Hardenberg, Fabian

Heiße Phase

Ein Insider-Roman aus der Welt der Unternehmensberatung

 

 

 

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Copyright © 2002. Campus Verlag GmbH

E-Book ISBN: 978-3-593-40257-4

|7|Prolog

|8|»Ich habe kein Geständnis abzulegen. Nur damit das klar ist.«

Der Anwalt lächelte. Sätze dieser Art hatte er schon ziemlich oft gehört.

»Ich habe auch nichts zu verbergen. Ich ... Ich fühle mich nur bedroht, das ist alles.«

»Das habe ich schon verstanden, Herr ...«, der Anwalt sah noch einmal auf die Visitenkarte, »Herr Klosters. Erklären Sie mir doch bitte noch einmal, wodurch Sie sich bedroht fühlen.«

Sein Klient saß ihm gegenüber auf der anderen Seite des massiven alten Schreibtischs in einem großen, dick gepolsterten Lehnsessel. Seine früheren Kollegen hatten über seine Mobiliarwahl den Kopf geschüttelt, als er sich vor einem halben Jahr mit einer eigenen Kanzlei selbstständig gemacht hatte, aber er hatte gewusst, was er tat. Der Klient sollte sich sicher fühlen, wenn er ihm gegenüber saß. Sicher und geborgen.

Klosters, das musste man zugeben, wirkte trotz allem ziemlich nervös. Eigentlich strahlte seine massige Gestalt in dem dunklen Anzug, dem gestreiften Hemd und der gedeckten Krawatte eine beeindruckende Souveränität aus. Aber nur solange er selber sprach. Wenn er zuhören musste, rutschte er auf dem überdimensionalen Sessel hin und her. Und schaute immer wieder auf seine Uhr. Gehetzt wirkte er. Auch bedroht? Jetzt zuckte Klosters mit den Achseln.

»Zuerst waren es die Zeitungsausschnitte«, sagte er. »Alle in meiner Post, ohne Absender. Berichte über Großmann, Meyer & Cie., aus dem Winter vor drei Jahren.«

Der Anwalt sah ihn fragend an.

»Das war eine Privatbank, die damals zu unseren Kunden gehörte. Sie war in einen ... nun ja, einen Skandal verwickelt. Über den haben die Zeitungen damals intensiv berichtet. Glücklicherweise, ohne die Verbindung zu uns näher zu beleuchten.«

»Das wäre negativ für Sie gewesen, in die Schlagzeilen zu kommen.«

|9|Klosters nickte. »Kann man so sagen.« Er fuhr über die Taschen seines Jacketts und holte ein flaches Lederetui heraus. »Stört es Sie, wenn ich ein Zigarillo rauche?«, fragte er und steckte es sich schon in den Mund.

»Nein, bitte«, sagte der Anwalt und schob einen Aschenbecher zu seinem Klienten. Er sah, wie Klosters Hand zitterte, als er das Zigarillo anzündete.

»Publicity ist grundsätzlich eine zweischneidige Sache für uns, wissen Sie. Unsere Kunden erwarten schließlich Diskretion. Und natürlich Seriosität. Mit einem Skandal in Verbindung gebracht zu werden ist so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann.«

Der Anwalt nickte wieder und sah noch einmal auf die Visitenkarte. »Geschäftsführer« stand da in schlichten Blockbuchstaben unter dem Namen, und dann, in derselben schlichten, aber edlen Schrift: »Top Management Consulting«. Darunter klein eine der teuersten Adressen, die Frankfurt zu bieten hat. Ein Studienfreund, der inzwischen bei einer Top-Wirtschaftskanzlei arbeitete, hatte ihm Michael Klosters vermittelt. »Kümmere dich mal um den«, hatte er am Telefon gesagt. »Er ist Unternehmensberater. Hat noch höhere Stundensätze als wir. Zur Zeit ist er aber ziemlich durch den Wind. Ich kenne ihn von früher, und er hat mich neulich abends zuhause angerufen. Hat mir gesagt, er werde erpresst. Da habe ich gleich an dich gedacht.« Erpressung fiel ins Strafrecht. Sein Gebiet. Darauf sahen die feinen Wirtschaftsanwälte abschätzig herab. Immerhin, so hatte er einen neuen Klienten gewonnen. Nur – wo war der Fall? Von Erpressung konnte er weit und breit noch nichts erkennen.

»Wenn Sie in diesen Artikeln nicht erwähnt werden, warum fühlen Sie sich dann bedroht?«

Klosters blies den blauen Rauch in den Raum. »Es hat uns damals viel Mühen gekostet, aus der Presse herausgehalten zu werden. Mich ganz besonders, denn ich war verantwortlich für den Kunden. Und wenn mir jetzt jemand jeden Tag einen Artikel von damals zuschickt, dann spielt er genau darauf an.«

»Also kein Absender auf den Briefen?«

Klosters schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß, von wem sie kommen.«

Der Anwalt sah ihn erstaunt an. »Ach so. Und wer ist es?«

Statt zu antworten griff Klosters in sein Jackett. Dann legte er eine Diskette auf den Tisch. »Das ist gestern gekommen«, sagte er.

|10|»Was ist da drauf?«, fragte der Anwalt.

»Ein ... ein Bericht, so könnte man es nennen. Oder ein Roman, wie Sie wollen. Es liest sich jedenfalls wie einer. Aber die Ereignisse haben wirklich so statt gefunden. Na ja ... so ziemlich jedenfalls.«

»Und wer hat das geschrieben?«

Klosters zog heftig an seinem Zigarillo. »Ein Autor wird nirgendwo genannt. Aber es kann eigentlich nur Sebastian Ritter sein. Er ist die Hauptfigur in diesem Bericht, und aus seiner Sicht wird fast alles geschildert.«

»Und diesen Ritter kennen Sie?«

Klosters nickte. »Er war mein Projektleiter bei der Bank. Bis zu dem Skandal. Dann ist er verschwunden.«

»Verschwunden?«

»Er ist ins Ausland gegangen. Nach Asien oder so. Keine Ahnung. Ich habe seitdem keinen Kontakt mehr mit ihm.«

Der Anwalt kratzte sich an der Wange. »Und jetzt vermuten Sie, dass er mit diesem ... Bericht wieder Kontakt zu Ihnen aufnehmen will?«

»Schon möglich, ja.«

»Warum ist das bedrohlich für Sie?«

Klosters schnippte das Zigarillo in den Aschenbecher. »Sebastian war ein brillanter Berater. Durch den Skandal hat er seinen Job verloren. Womöglich noch mehr als das. Der Skandal war erst der Anfang.«

»Und das Ende?«

Klosters fuhr sich durch sein spärliches Haar.

»Es war eine beschissene Geschichte. Wir haben damals einen Deal gemacht, unter der Bedingung, dass er den Mund hielt.«

»Das hat er aber auch getan?«

»Schon. Aber wie sich jetzt zeigt, hat er dafür alles aufgeschrieben.«

Der Anwalt schüttelte unwillig den Kopf. »Also, ganz ehrlich, Herr Klosters, ich begreife herzlich wenig von alledem, was Sie da erzählen. Warum fangen Sie nicht einfach einmal ganz von vorne an?« Klosters betrachtete ihn skeptisch. »Was ist denn bei Ihnen ganz vorne?«

Der Anwalt faltete die Hände und lächelte. »Hören Sie, Herr Klosters, die ganze Sache hier hat relativ wenig Sinn, wenn Sie kein Vertrauen haben.«

Klosters brummte unwillig. »So war das nicht gemeint ...«

|11|»Also gut.« Der Anwalt schlug seine Mappe auf und nahm seinen Füllfederhalter in die Hand. »Dann erzählen Sie mir bitte, was Sie für eine Rolle in dem Skandal gespielt haben.«

Klosters rieb sich an der Nase. »Wissen Sie was? Ich glaube, am besten ist, Sie lesen erst einmal, was auf dieser Diskette ist.«

Der Anwalt runzelte die Stirn. »Wie viel ist das denn?«

»Ich weiß nicht. Ich hab es nicht ausgedruckt. 350 Seiten, schätze ich.«

»So viel?«

»Na ja, es ist jetzt Freitag Nachmittag, übers Wochenende sollte das zu schaffen sein. Ich habe das ganze Ding gestern Abend gelesen.« »Also gut ... Und wann wollen wir uns dann wieder sehen?«

Der Berater griff in sein Jackett und holte einen Palm hervor. »Montag, acht Uhr«, sagte er. »Später geht nichts mehr.«

Der Anwalt seufzte und schrieb Klosters Namen in seinen Kalender. Dann nahm er die Diskette und sah sie skeptisch an.

»Ich hoffe, das Ding ist nicht so langweilig.«

Klosters lachte kurz. »Es geht um das Beraterleben. Ganz lebendig beschrieben. Und darum, wie der Skandal sich entwickelt hat. Nur das Ende ist reichlich abgedreht. Völlig aus der Luft gegriffen, wenn Sie mich fragen.«

»Über Ihre Rolle erfahre ich auch etwas?«, fragte der Anwalt.

Klosters Züge wurden hart. »Schon. Wie gesagt, aus der Sicht von Ritter. Aber darüber können wir dann am Montag reden.« Er stand auf und verabschiedete sich.

Der Anwalt brachte den Berater zur Tür. Als er zu seinem Schreibtisch zurück kam, sah er sich die Diskette noch einmal an. »Heiße Phase« war auf das Etikett getippt. Was für ein einfallsreicher Titel. Er hatte schon ewig keinen Roman mehr gelesen. Noch nicht mal einen Krimi. Und jetzt gleich 350 Seiten. Du lieber Gott. Das war ja schlimmer als Aktenstudium. Und es bedeutete, er konnte die Verabredungen am Wochenende absagen. Ein Alptraum.

Er schob die Diskette in den Computer und rief die erste Datei auf. Dann begann er zu lesen.

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