Dr. phil. Ilona Hündgen
Einzelfallstudie zur generationsübergreifenden Vererbung von Kriegstrauma
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Epigraph
Vorwort
1. Einleitung
2. Ziele, Leitfragen, Definitionen
3. Grundlagen transgenerationaler Kriegstraumatisierung
4. Fallanalyse
5. Typische Merkmale transgenerationaler Kriegstraumatisierung
6. Reflexion und Schlussbemerkungen
7. Literaturverzeichnis
Anhang
Informationen zur Autorin
Informationen zum Buch
Links
Publikationen
Impressum neobooks
Vorgelegt am 22. Januar 2020
Ausbildungsinstitut: campus naturalis Akademie München
Kurs „Integraler Flüchtlingsberater“
Schwerpunkt Traumatherapie
IT-M-1-18: Integrale Traumatherapie
Benotung: 240 von 240 Punkten
Autorin: Dr. phil. Ilona Hündgen
Heilpraktikerin für Psychotherapie
Hypnosis Center München
Karlstraße 122
80335 München
Deutschland
Web: https://www.hypnosiscenter.de
Email: info@hypnosiscenter.de
Neuauflage November 2020
Verlag: Independently published (Dr. phil. Ilona Hündgen)
Produktion: Neopubli GmbH, Berlin
Titelgrafiken: Pixabay, https://pixabay.com/de/
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© 2021 Dr. phil. Ilona Hündgen. Alle Rechte vorbehalten.
Du kannst es nicht beschreiben, wenn Du es nicht gesehen hast
Du kannst es nicht erklären, wenn Du es nicht getan hast
Du kannst es Dir nicht vorstellen,
wenn Du nicht dort gewesen bist
Und dann verlässt es Dich nicht mehr
Bill Blessington, Reporter im Ruhestand, Chugiak, Alaska
Quelle: Korritko 2011, S. 1
Nach dem zweiten Weltkrieg zeigte sich in der Traumaforschung, dass Traumatisierung, unabhängig von der Gesellschaftsschicht, jeden treffen kann (Dietl 2015, Radebold 2010, S. 132 ff.).
Kriege können, über Traumatisierung bis hin zur vollständigen Vernichtung, so viel Leid verursachen, dass sie mit zu dem Schlimmsten gehören, das Menschen überhaupt treffen kann. Deshalb ist es unsere Pflicht, uns mit allen Mitteln für Frieden in der Welt einzusetzen (Ganser 2016).
Jedoch können nicht nur extreme Katastrophen wie z.B. Kriegserlebnisse, Missbrauch, Folter, schwere Unfälle, Naturkatastrophen usw. traumatisieren. Auch ein freundlicher Welpe, der im Spiel an einem Kleinkind hochspringt, kann bei einem Kind subjektiv Todesangst, psychische Überforderung und infolgedessen ein Psychotrauma mit Folgen für die Hirnphysiologie und für das autonome Nervensystem verursachen (vgl. Kap. 3.1).
Wer ein Kriegstrauma direkt (primär) erworben hat, war unmittelbar Beteiligter oder Zeuge eines mit den Sinnen erfassbaren überfordernden Ereignisses. Bei indirekter (sekundärer) transgenerationaler Kriegstraumatisierung traumatisieren demgegenüber Kriegstraumatisierte (z.B. Eltern, Bezugspersonen) aufgrund ihrer Kriegstraumatisierung durch schädigende Interaktionen Vertreter der Nachfolgegenerationen, z.B. ihre Kinder. In diesem Fall haben die Nachfolgegenerationen das ursprünglich traumaauslösende Ereignis nicht selbst - als direkt Betroffene oder Zeugen - erlebt (s. Kap. 2.4).
Folgen von Kriegstraumata können über mindestens vier Generationen hinweg an Nachfolgegenerationen übertragen werden (Rüchel 2018, Hasselmann 2016, Radebold 2016; Girrulat 2012, Chavez 2015). Hierbei sind die Symptome vielfach von einer Generation zur nächsten geringer ausgeprägt, bis sie irgendwann verschwinden. Bei den Nachfahren kriegstraumatisierter Vorfahren können alle erdenklichen vegetativ-stressbedingten psychischen und körperlichen Symptome auftreten (s. Kap. 3.1).
Sabine Bode hat in mehreren Büchern dargelegt, wie Deutschland´s Kriegsenkel und deren Nachfahren noch immer an den Folgen der Kriegstraumatisierungen leiden, die ihre Vorfahren in den beiden großen Weltkriegen erfahren hatten, obwohl die Kriegsenkel in politisch sicheren Verhältnissen in Deutschland geboren wurden. Wer körperlich und/oder psychisch erkrankt ist und kriegsbelastete Eltern und/oder Vorfahren hat, sollte deshalb immer auch transgenerationale Kriegstraumatisierung als Ursache für die gesundheitlichen Belastungen in Betracht ziehen.
Im Jahr 2017 war jeder hundertzehnte Mensch weltweit von Flucht und Vertreibung betroffen (BPB VIDEO). Gemäß einer AOK-Studie sind drei von vier Kriegsflüchtlingen traumatisiert (Woratschka 2018). Ohne Traumatherapie werden viele dieser Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit später ihre Kinder transgenerational traumatisieren, auch wenn diese erst nach der Flucht im sicheren Zielland geboren werden.
In der vorliegenden Arbeit untersuche ich den Fall meiner heutzutage volljährigen Probandin Frau A. (Name geändert), die im Kindesalter mit ihrer kriegstraumatisierten Mutter und mit Geschwistern aus einem östlichen Land nach Deutschland geflohen war. Frau A. hatte die Bedrohungen des Krieges im Heimatland tagtäglich direkt, aber im Schutz der Mutter und der Familie - bei oft abwesendem Vater - miterlebt. In der vorliegenden Arbeit wird zu ermitteln versucht, ob die zahlreichen Symptome meiner Probandin durch die Annahme von indirekt-transgenerationaler Kriegstraumatisierung bei Frau A. erklärbar sind.
Kapitel 2 dieser Arbeit enthält allgemeine Grundlagen (u.a. Themeneingrenzung, Ziele, Methoden, Definitionen). In Kapitel 3 gehe ich auf theoretische Grundlagen transgenerationaler Kriegstraumatisierung ein. In Kapitel 5 ist anhand von einigen ausgewählten typischen Aspekten transgenerationaler Kriegstraumatisierung aus der Literatur dargestellt, ob und inwiefern meine Probandin (s. die Fallanalyse in Kapitel 4) indirekt-transgenerational kriegstraumatisiert sein könnte. Kapitel 6 enthält die Reflexion auf die Ergebnisse dieser Arbeit sowie Handlungsempfehlungen für transgenerational Traumatisierte, Berater, Therapeuten und Angehörige.
Transgenerationale Denkweisen sind nicht neu. Indigene Völker, insbesondere auch Schamanen, arbeiten ohne Verwendung moderner Terminologie seit Jahrhunderten beraterisch und therapeutisch mit Ahnen und mit generationsübergreifenden Themen. Durch die moderne transgenerationale Traumaforschung und die Wissenschaft der Epigenetik (s. Kap. 2.4) erhielt das alte Wissen neue Aktualität.
Viele Kriegsenkel und deren Nachfahren leiden darunter, dass sie selbst nicht wissen, dass sie transgenerational kriegstraumatisiert sind, und dass sogar Therapeuten dies oft nicht (an)erkennen. Wenn Kriegsenkel und deren Nachfahren Unwohlsein äußern oder krankheitsbedingt, z.B. aufgrund von Burnout, berufliche Karriereknicke erleiden und/oder sogar arbeitsunfähig werden (Bode), glaubt ihnen kaum jemand, dass die Symptomatik mit früheren Kriegen in Zusammenhang stehen könnte (Huber 2012, S. 8). Ohne therapeutische Bearbeitung der Kriegstraumatisierungen kann jedoch oft keine nachhaltige Besserung erzielt werden.
Es kann Jahre dauern, bis Betroffene entsprechende Bezüge selbst hergestellt haben, denn es gibt nicht viele Ärzte, Psychotherapeuten, Heilpraktiker und psychosoziale Berater, die sich im Bereich der transgenerationalen Kriegstraumatisierung auskennen und in der Lage sind, fachgerecht bei der Aufarbeitung transgenerationaler Psychotraumata zu beraten und zu therapieren.
Gerade bei Flüchtlingen können Traumaberater und -therapeuten mit hochkomplexen Situationen konfrontiert sein, für die sie oft nicht ausreichend sensibilisiert und ausgebildet sind.
Um das Leid der Betroffenen zu lindern, tut vor allem Aufklärung durch Psychoedukation Not. Deshalb soll die vorliegende Arbeit in diesem Sinne für das komplexe Thema der „transgenerationalen Kriegstraumatisierung“ sensibilisieren.
In dieser Arbeit soll im Rahmen einer Einzelfallanalyse untersucht werden, ob und mit welchen Folgen die schwer kriegstraumatisierten Eltern meiner Probandin Frau A. ihre traumatischen Belastungen indirekt-transgenerational an meine Probandin weitergegeben haben könnten.
Insgesamt möchte ich mit der vorliegenden Arbeit auf der Grundlage von Forschungsliteratur und eines eigenen Praxis- bzw. Fallbeispiels (s. Kap. 4) allgemein für typische Aspekte transgenerationaler Kriegstraumatisierung sensibilisieren. Hierbei geht es nicht um Vollständigkeit des Dargestellten.
Formen sekundärer Traumatisierung, die nicht transgenerational sind, z.B. Traumatisierung von Hilfspersonal wie Therapeuten und Entwicklungshelfer (145 f), sind in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.