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© 2020 D. – G. Voss
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7526-3067-1
Es war endlich mal wieder Sommer. Die Sonnenwende hatte ihren Höchststand erreicht, Menschen waren gut gelaunt, die Sonne zaubere lustige Sommersprossen auf Gesichter, verliebte bewegten sich Arm in Arm im Schunkelgang, einige lagen faul im Gras, Ausflüge wurden zum Kurzurlaub, Blumen dekorieren die Balkone, Open-Air-Konzerte häufen sich, Biergärten und Schwimmbäder wurden genötigt.
Andere widmen sich lieber dem sommerlichen Wurst-Grillen mit gekühltem Bier und Schorlen in Parks, in Schrebergärten oder auf dem eigenen Grundstück.
Grillen tut immer der Mann. Nicht etwa, um der Frau das Kochen zu ersparen, nein, es ist die feurige Lust, Holzkohle zu schichten, an dem Brandbeschleuniger zu schnüffeln, das blutige Fleisch zu sehen, das offene Feuer, das Knistern der rot glühenden Kohle, die Hitze und schließlich der Moment, wo sich ein weißer Asche-Belag gebildet hat, der dem Profi signalisiert: Jetzt geht's erst richtig los.
Eigenhändig wird dann das rohe Muskelgewebe auf den Rost gelegt, ungewürzt damit die Gewürze nicht verbrennen und das Fleisch so sein volles Aroma entfalten kann. Durch die direkte Hitzestrahlung schließen sich sofort die Poren und nur wenige Vitamine und Mineralstoffe gehen verloren, wodurch die typischen Geschmacksstoffe erhalten bleiben.
Zärtlich und liebevoll wird dann das Grillgut vom Grillmeister mit der Grillzange gewendet, welches vorher mit hochwertigem Speiseöl einmassiert wurde, um das Anhaften am Rost zu vermeiden. Ein wenig Fett schmilzt aus der feinen Marmorierung der Schweinenacken-Steaks und tropft auf die Glut. Es qualmt leicht und fängt an zu zischen. Brutal wird es mit einer halben Flasche Bier gelöscht, bevor ein Höllenfeuer entsteht. Der Rest verschwindet in der Kehle des Bachelors of Barbecue.
Gewürzt wird zum Schluss mit etwas Salz und Pfeffer und auf handelsüblichen Papptellern gereicht, die instabil sind, leicht durchweichen und zusammenknicken, wenn ein gebratenes Stück Fleisch oder Salat sich darauf befindet.
Ein Refugium für Griller, eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen überhaupt, eine Aufgabe, die den ganzen Mann fordert. Den dabei entstehenden Rauchschwaden wird nicht nur sehnsüchtig hinterhergeblickt, bei denen Urinstinkte geweckt werden, nein, sie werden zudem noch tief inhaliert, um die Duftstoffe vorab nasal zu genießen.
Während man vor dem Rost wie ein Schwein schwitzt, als wenn man für die Klimaerwärmung trainieren würde, sind die Gäste dabei, das gebratene Fleisch und die Würstchen in Ketchup zu ertränken und es wollüstig und geräuschvoll niederzumetzeln. Zwischendurch immer wieder die Rufe an den Grillmeister:
»Komm setzt dich doch mal zu uns.«
»Keine Zeit«, heißt es dann.
Ja es ist einfacher gesagt, als getan. Lässt man den Grill für einen kurzen Augenblick unbeaufsichtigt, um der Aufforderung nachzukommen, kann es schnell mal zu einem Flammeninferno kommen. Durch das Heruntertröpfeln des Fetts wird die glühende Kohle aufgeflammt und der Grill nebst Fleisch gerät in Brand.
Um so ein Feuer schnell unter Kontrolle zu bringen, dazu aber nie ein Eimer Wasser störend im Wege steht, bedarf man sich dann schon der Verwendung einiger Biere, auch "Papas Bestes" genannt. Dabei werden dann die verbrannten Rückstände der Holzkohle aufgewirbelt, die sich dann schützend oder auch bedrohlich um das Grillgut legen.
Riechen tut das Fleisch daraufhin angenehm nach Bier als nach Asche, aber ob es dadurch nun besser schmeckt, sei dahingestellt. Zumindest gleicht das Grillgut kongruent der darunter liegenden Holzkohle.
Bereits der Neandertaler stand morgens früh auf, schwang sein Bärenfell um die Hüften, nahm sein Speer und ging auf die Jagd, um seiner wichtigsten Pflicht nachzukommen, die Familie zu ernähren. Er riskierte dabei sein Leben, kämpfte mit Mammuts und Säbelzahntiger und erst wenn er ein wildes Tier erledigt hat, kehrt er wieder zurück. Zu Hause wartet dann seine Sippe, die währendes die ganze Zeit das Feuer bewachten. Stolz wird dann das tote Tier über die Flammen gehängt, um es zu braten, worauf die Frau ihm lobend auf die Schulter klopft und meint:
»Du bist der Größte.«
Das Verhaltensmuster hat sich also seit der Steinzeit nicht viel geändert. Frauen haben kein Interesse an den Job des Grillmeisters, schließlich haben sie in so vielen anderen Lebensbereichen bereits das Zepter an sich gerissen, sodass dem Mann nur noch der Griff zur Grillzange übrig blieb, um sich in der ureigenen Rolle als Jäger und Familienversorger zurückzufinden.
Mit dem Gang zum Schlachter fängt alles an, er ersetzt gewissermaßen die Jagd. Entschlossen steht man an der Theke, deutet mit dem Finger auf alle möglichen Sorten des rohen Fleisches und der Würstchen hin und grunzt:
»Einpacken!«
Meistens wird immer viel zu viel gekauft. Wahrscheinlich um sich, wie bei den Vorfahren, als großartigen Versorger bei der Sippschaft zu präsentieren.
Der menschliche Grill-Trieb sitzt gleich neben dem Sexualtrieb und dem Hang zum Heimwerken. Sobald es draußen wärmer wird, erwacht er und die Freude, auf ein in Bier gewälztes Schwein zu grillen, steigt. Dabei ist es egal, wie man grillt, Hauptsache man(n) grillt.
Da generell beim Grillen das Gebot der Rücksichtnahme oberste Priorität genießt und man auch Streitigkeiten vermeiden möchte, weil die Rauchentwicklung des Grillgutes die sündhaft teure, extravagante, hochwertige, frisch gewaschene Victorias's-Secret Unterwäsche auf dem Nebengrundstück verpesten könnte, die ausgerechnet an diesem Tag zum trocken aufgehängt wurde, werden die Nachbarn des Friedens Willen mit eingeladen, obwohl man sie eigentlich gar nicht ausstehen kann. Wie schon Friedrich Schiller wusste: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn ihm die schöne Nachbarin gefällt … äh … ne …, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt, oder so.
Meisten wird der Grillrost mit mindestens zehn Kilo Fleisch für die ersten zehn Gäste vollständig ausgelegt und in zehn Minuten weggegrillt. Die Steaks sehen dann von außen kräftig gebräunt aus, sind aber von innen statt zart und saftig eher immer noch roh. Grillen dauert eben.
Eigentlich ist Grillen scheiße und eine stressige Angelegenheit. Während die anderen essen und man selber schwitzt, ernährt man sich von den halbleeren Bierflaschen, die man zuvor zum Löschen der Glut benutzt hatte.
Doch so stressig es auch ist, schon am nächsten Abend, wenn von irgendwoher der Duft frisch entfachter Holzkohle einem in die Nase steigt, wenn Tatendränge hervorrufen werden, die einem mental saftige Steaks mit einer herben Rauchnote vor Augen schweben lässt, dann spürt man ihn wieder, den uralten Ruf der Vorfahren.
Ja, schon der Satz:
»Schatz, ich kümmere mich um das Fleisch, mach du den Rest«, sind Worte, die schon zu Zeiten der Jagd und des Beerenpflückens gefallen sind und bis heute sich nicht verändert haben.
So auch das alljährliche Zusammentreffen bei einem Nachbarn, der all seine Bekannten und Freunde dazu einlud, mit ihm ein solches Fest im Freien zu genießen.
Einige kamen in Hawaii-Hemd, Gummisandalen, Bermuda-Shorts und weißen Socken, die über kalkweiße Beine gezogen wurden, andere in Pumphosen, weißem Hemd und Krawatte.
Sie alle bestellten sich ein Sex on the Beach, bekamen aber nur ein leicht gekühltes Bier aus einer mit kaltem Wasser gefüllten Wanne.
Der Hof dieser meet-and-grill Aktion war so groß, dass eine ganze Bierzeltausstattung eines Hofbräu-Hauses, einschließlich Getränke-Kühlschrank, Doppelspültresen und überdimensionalen Schwenkgrill Platz hätte, Platz, um die ureigenen animalischen Triebe auszuleben.
Der Gastgeber selber, mit der Erhabenheit eines ganzen Mannes, der mittlerweile die Midlife-Crises erreicht hatte und mit dem Mangel an einer Partnerin lebt, also unverheiratet ist, war für die Speisezubereitung auf dem Bräter zuständig.
Viele bezeichnen ihn auch aufgrund seines Single-Daseins als eine Art Praktikant, unberührt, unbesehen, geblockt, noch mit Frischesiegel.
Manchmal aber auch erweckt er in einem den Eindruck, als wenn er als Kind beim Schaukeln zu dicht an der Wand gestanden hatte oder das die Geschwindigkeit des Laufbandes in seinem Fitnessstudio zu hoch eingestellt wurde und er wie ein Pfeil durch die Halle geschossen wurde.
Seit Jahren schon hat er ein großes Problem mit dem Im- und Export. Er importiert zu gerne Bier durch seine Kehle und hatte er mal zu viel eingefahren, so exportierte es dann schon mal, meistens mit einem besorgten Blick irgendwo auf dem Hinterhof über einen unschuldigen Busch.
Wohnen tut er noch zum Nulltarif zu Hause, in seinem alten Kinderzimmer und genießt dabei die Nestwärme. Schmutzige Wäsche, die im Wäschekorb landet, findet er spätestens nach zwei Tagen sauber, wohlriechend und gebügelt im Kleiderschrank wieder.
Zweimal die Woche wird das Zimmer von Mama geputzt. Sie passt auf, dass er richtig gekleidet ist, schüttelt täglich sein Bett auf und sorgt dafür, dass sein Snoopy Schlafanzug aus dem Jahre 1992 immer ordentlich zusammengelegt unter dem Kopfkissen verschwindet.
Zwischendurch brüht sie ihm immer mal wieder zum Abendbrot eine Pferdewurst, um ihn einfach damit zu zeigen, dass Mami doch die Beste ist.
Zu Hause zu wohnen hat natürlich seine Vorteile. Man spart die Miete, muss keine Verantwortung übernehmen, kann träge und bequem sein und sollte man tatsächlich Damenbesuch bekommen, dann weiß man, dass man nicht alleine ist, denn Mami hängt in der Nähe ab und schaut Musikantenstadl oder so.
Sein Zimmer im obersten Stockwerk, gleich neben dem Schlafzimmer seiner Eltern, hat er ganz nach seinem männlichen Geschmack eingerichtet, spartanisch, asketisch und anspruchslos im Vintage-Style mit Shabby-Effekt: Bett, Schrank, Stuhl und Tisch mit sichtlichen Gebrauchsspuren.
Im Gegenzug dazu eine Revox High End Anlage mit kompletten audiophilem Stereo System und tausend Watt Active Bass; einem 600Hz Full HD LED-Flachbildschirm mit 75 Zoll diagonale, Quad Core Prozessor, Hintergrundbeleuchtung, Ultra High Definition, HD Dreifachtuner und Wireless sowie ein Abo des Pflichtsenders aller Fußballbegeisterten: Sky Deutschland.
Abends nach dem gemeinsamen Essen mit der Erziehungsfraktion entflieht er jedes Mal der mütterlichen Sorgfalt und sollte es tatsächlich mal dazu kommen, dass er eine Frau kennenlernt, die mit ihm eine Zukunft planen würde, dann hört man schon jetzt die Worte seiner Mutter Oberin im Ohr klingen:
»Du musst doch nicht gleich ausziehen, mein Junge. Bei Mutti ist es doch am besten und hier bekommst du doch alles.«
Ja Hotel Mama ist schon eine Alternative für einen unselbständigen Sohn, der es nie geregelt bekommt, einen eigenen Hausstand zu gründen.
Sein Ansehen war nicht nur bei seiner Mutter gefragt, sondern manchmal auch bei sehr anschaulichen, seinem Alter mehr oder weniger entsprechenden Mädels. Um einer Neuangebeteten zu imponieren, erwies er sich als hilfsbereiter, dienlicher, entgegenkommender, wohlwollender Zeitgenosse und merkte dabei gar nicht, dass er eigentlich für die Mädels nur eine Art Instrumentalisierter war.
Etwas feminine Energie in sein Leben zu rufen war sein Gedankensprung, wahrscheinlich die Art der Energie, die jede einzelne Pore seines Körpers ausströmt, wenn er sich wieder mal hat volllaufen lassen.
Doch er spielte immer wieder in der falschen Liga, liebäugelte bei Frauen mit einem wesentlich größeren und substanziell intellektuellen Erscheinungsbild, das er nicht annähernd erreichte. Er bot sich an, wie die Zeugen Jehovas den Wachturm, machte dieses und jenes und merkte dabei nicht mal, dass die Mädels bereits mit einem anderen Mann vor dem Traualtar standen, während er sich noch in der Ausübung des menschlichen Paarungstriebes hegte.
Wahrscheinlich lag es daran, dass er seine Gefühle perfekt verbergen konnte und sie somit auch nie erkannt wurden, sodass der Status seiner Bemühungen, sich nicht wesentlich vom Nullvektor unterschied.
Eigentlich sind die Mädels nur der Mittelpunkt und die Männer der Kreisverkehr, da sollte es doch auch schon mal für ihn zu einer Kollision kommen, oder nicht?
Zum siebten Mal schon wohnt die zentrale Gestalt dieser Geschichte, nennen wir ihn der einfachheitshalber Mal Gerd, diesem nachbarschaftlichen Stelldichein bei, an einem Tisch zusammen mit Peter, Jürgen, Rolf und Uwe. Ein Quintett, das sich überwiegend in einer der wichtigsten angeborenen emotionalen Ausdrucksweise unterhält, dem Lachen. Oftmals wird die Redewendung "zum Totlachen" angebracht, obwohl es eine grausame Art des Suizids wäre.
An die fünfzig Gäste waren gekommen, von denen man gerade mal ein Dutzend kannte. Der Rest entfernte Anwohner mit Kind und Kegel, Arbeitskollegen und - kolleginnen und Schafe, die man einfach einlud, weil man sie einladen musste.
Auch herrenlose weibliche Wesen waren zugehen, wo der Grillmeister - den man liebevoll den Spitznamen Fanny verabreichte - sich zur Hasenjagd aufmachte, eine gewisse Phase seiner Balz vorausschickte, die so einfallslos und dafür verantwortlich war, dass auf seinem Grabstein irgendwann mal stehen wird: ungebraucht zurück.
Das Grillfest war eine Zusammenkunft, wo man so viel essen konnte, wie man wollte. Zwei, drei, vier Steaks und noch ein halbes Dutzend Würstchen, Kartoffelsalat und Knoblauchbrot schaden der Figur doch kaum. Keiner schaut einen blöd an oder erinnert mit mahnendem Blick an seinen wachsenden Wohlstandsbauch.
Etikette und Tischmanieren wurden dabei gänzlich über den Haufen geworfen, was keinem stört. Da wurde die Wurst mit den Händen gepackt und herzhaft hineingebissen, sodass das Fett nur so spritzte und der Saft am Kinn herunterlief.
Getrunken wurde, was das Zeug hergab, war ja schließlich umsonst, also Gratis. Als man dann ins Reich der lallenden Zungen eintrat und nur noch Zuflucht in den Bierkästen fand, stellte man dann den Unterschied zwischen aktivem und passivem Trinken fest.
Langsam wurde es ruhiger und nachdem die einen nach Hause gingen und die anderen ins Bett, verblieb nur noch der harte Kern, der sich weiterhin der Flüssigkeitsausnahme widmete.
Somit war nur noch das Quintett, das durch die vorzeitige Abwesenheit von Uwe kurzfristig zum Quartett wurde und durch den inzwischen arbeitslos gewordenen Grillmeister wieder zum Quintett wuchs, auf dem Hof zugegen.
Ein Fahrzeug fuhr vor. Aufgrund der bereits eingetretenen Dunkelheit, konnte man nicht erkennen, um was für ein Fahrzeug es sich handelte. Fest steht, es hat eine Leuchte auf dem Dach, doch diese erlosch beim Abschalten des Motors. Ein Polizeifahrzeug? Liegt hier eine Anzeige wegen Ruhestörung durch die Nachbarschaft vor? Ein Übel, entstanden durch eine gutgelaunte Zusammenkunft nicht böse ahnender Männer mit einem leichten Schwips?
Ein Mann stieg aus und kam die Einfahrt herauf. Erst als er in den Schein der Hausbeleuchtung eintrat, erkannte man ihn.
Es war Droschken-Eckhard, Chef und Berufsmasochist eines Ein-Mann-Taxi-Unternehmens mit seinen fünfundzwanzig Jahre alten Mineralölvernichtenden 230E W124.
Seine Meinung, dass ein gelbes Taxischild einer blauen Rundumleuchte gleichzusetzen ist, stellt er jedes Mal damit unter Beweis, dass er sich von sämtlichen vorfahrtsregelnden Vorschriften befreit füllt, mit doppelter Geschwindigkeit durch die Ortschaft fährt, jedes Stoppschild ignoriert und rote Ampeln nur als eine farbenfrohe Empfehlung ansieht. Doch was will Eckhard hier?
»Hey Jungs«, rief er, als er sich dem Tisch näherte.
»Na Eckhard, wie geht's denn so?«
»Ach manchmal habe ich da Gefühl, dass meine Schwiegermutter mich in den Wahnsinn treibt. Ständig mischt sie sich in unsere Ehe ein und sagt man mal nein, wird man gleich als undankbar abgestempelt.«
»Wenn du hier jammern willst, kommst du zu spät. Die Party ist vorbei, Bier ist alle, der Kühlschrank ist leer und Gäste, Gäste gibt es auch nicht mehr.«
»Ja, wir trinken bereits Fannys Rasierwasser«, bemerkte Jürgen.
»Was Fanny rasiert sich schon und das mit Rasierwasser? Ich dachte, mit dem Zeug spült man ab?«, fügte Gerd noch hinzu.
»Setz dich erst mal zu uns auf die Bank.«
»Genau, auf Fannys Stühlen kann man nicht sitzen. Da sitzt man so tief, das man das Gefühl bekommt, man liegt in einem LKW Reifen.«
»Gibt doch dem Eckhard erst mal was zu trinken. N' Orangensaft oder so«, sprach Rolf.
»Nein danke, das Getränk letztens hatte mir gereicht. Da waren mehr Biereiswürfel im Glas als Orangensaft, da wäre ich fast besoffen gefahren.«
»Echt? Kann nicht sein.«
»Sei froh, dass es nur Eiswürfel waren. Als ich im Krankenhaus lag, hatten die an einem Infusionsständer eine Bierflaschen befestigt, einen Infusionsschlauch mit Infusionsregler angebracht und dann das Pils in meinen Mund tröpfeln lassen. Du hättest da mal Schwester Rabiata erleben sollen, als die ins Zimmer kam.«
Ja das Gelächter war wieder mal groß, besonders wenn das Lachgetriebe unter Alkoholeinfluss strapaziert und die Freude zusätzlich mit epileptischen Bewegungen untermalt wird. Doch auch so ein Lachflash findet mal sein Ende und mündet dann nur noch in ein Prusten, Schnauben und Röcheln.
»Und was treibt dich hierher?«, wurde Eckhard dann gefragt.
»Euer Gastgeber dieser sandlosen Strandparty hatte mich angerufen und meinte, ob ich noch wüsste, wo es frisches Bier geben würde. Hallo, ich würde nicht Eckhard heißen, wenn ich nicht wüsste, wo es um diese Uhrzeit noch was Anständiges zu trinken gäbe. Schon mal was vom Dorfkrug gehört? Der bietet Biergenuss auf höchster Stufe.«
»Aha, und du meinst, dass wir da mal hinmarschieren sollten?«
»Na ja, der Bequemlichkeitshalber könnte man auch ein Taxi bevorzugen.«
»Ich habe nicht gesagt, dass du uns abholen sollst«, wandte Fanny ein. »Ich meinte nur, dass du von der Tanke eine Kiste vorbeibringen solltest.«
»Warum dieser Umweg, der Dorfkrug ist doch auch wie eine Tankstelle und die Bedienung ist wie ein Tankwart äh ne, wie eine Tankwärtin. Betankerin? Tankinatorin oder wie nennt man solche Mädels?«
»Bierdienerin?«
»Quatsch, die heißt Maria«, bemerkte Fanny.
»Ach ne den Namen kannst du klar und deutlich aussprechen, aber sonst hast du Socken im Mund.«
»Was Fanny trägt Socken, ich dachte Strumpfhosen?«
»Ne Socken, die haben wenigstens einen Lebenspartner.«
Ja und da war sie mal wieder, die Boshaftigkeit, die Ironie, die institutionalisierte Schadenfreude, die ein schallendes Gelächter verursachte und immer wieder Fanny traf.
»Sag mal Fanny, wann warst du das Letzte mal mit einer Frau zusammen?«, wollte jählings Jürgen wissen, obwohl es kein Geheimnis war, dass Fanny ein Mönchdasein wie Dom Pérignon auslebt.
Dom Pérignon war ein französischer Mönch des Benediktinerordens, der bis zu seinem Tode die Keuschheit gelobte. Nach ihm wurde die Champagnermarke von Moët & Chandon benannt und obwohl viele Frauen und Männer beschwipst bei einem feuchtfröhlichen Abend ihre Klamotten zu Boden fallen ließen, behielt der Namensgeber dieser Fürstenbrause seine Klamotten lieber an.
»Fanny hat mal im Kino einen Transvestiten begrabscht, nur weil er oder sie eine wahnsinnige Figur hatte«, flocht Peter ein und wieder fingen alle an zu lachen.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, das ist eine alte Weisheit von Martin Luther, die selbst noch heute dafür sorgt, dass sich ganz besonders Freunde über einen lustig machen.
»Ha-ha-ha, sehr witzig«, echauffierte sich Fanny. »Schön, ich muss gerade mal eine Durststrecke durchmachen, aber das macht jeder mal.«
»Aber deine Durststrecke dauert doch schon fast vierzig Jahre.«
Ja da ist doch ein Fernseher wesentlich flexibler und nimmt keinen auf den Arm.
Es ist wie der Wettlauf mit dem Hasen, den sämtliche Frauen auf Trab hielten, sie ihn dann mit Körben segneten und am Ende dann …
Tja, der Hase hat sich dann wieder mal in den Reptilienhals einer Bierflasche verbissen, um so seine Niederlage auf der Rennstrecke zu überwinden.
»Säufste stirbste, säufste nicht, stirbste auch, also Eckhard, steig schon mal ein und lass laufen … wir sind gleich bei dir«, sprach Gerd und unterbrach damit die angeregte Unterhaltung.
»Ganz wie du meinst "Mister Gestern hatte ich noch ein Schnurrbart und heute ist er plötzlich weg".«
»Was Gerd hatte ein Schnurrbart?«
»Hatte! Ich habe dann festgestellt, dass ein ausdrucksvolles Gesicht es wert ist, komplett gezeigt zu werden. Ich bin ein attraktiver Mann, das wissen wir doch alle. Das ist ein Fluch, mit dem ich leben muss.«
»Ja einer von vielen Flüchen, mit denen du Leben muss.«
Lachend stiegen sie in die Taxe und schon wurde die Droschke wieder mal zu einem türkçe taksi, pralle gefüllt, voll mega.
Eckhard drehte den Zündschlüssel und der Sound eines fünfundzwanzig Jahre alten Motors schalte durch die Gasse. Das so etwas tatsächlich anspringt …
Der Weg im Dorfkrug führte direkt zur Theke, keine Frage, denn deswegen war man ja schließlich da. Fünf Biere wurden bestellt, fünf Biere wurden getrunken, fünf Biere folgten. Dann der prüfende Blick durch diese von Zigarettenqualm erfüllte Schankstube. Sie war nicht übermäßig besucht, was wohl eher an der nächtlichen Tageszeit lag, als am Mangel von Atmosphäre.
An einem Tisch nahe der Tanzfläche saßen zwei Frauen und unterhielten sich angeregt.
»Siehst du die beiden Mädels da am Tisch?«, bemerkte Fanny.
»Nicht mehr so deutlich«, entgegnete Gerd.
»Die eine, die Blonde, die habe ich schon öfters hier im Dorf gesehen. Die sieht wirklich toll aus. «
»Dann geh hin und quatsch sie an.«
»Hm ich weiß nicht, ich trau mich nicht so.«
»Sag ihr, dass du sie toll findest und das du sie näher kennenlernen möchtest.«
»Würde ich ja, aber ich glaube, ich kann das nicht.«
Solche intimen Gespräche werden natürlich gerne von Freunden aufgefangen und mit entsprechenden Ratschlägen geahndet:
»Hey Fanny, das ist nicht schwer. Ich hatte mal um neun Uhr eine Frau kennengelernt und um zwölf Uhr hatte ich meine Füße hinter ihren Ohren.«
»Hör nicht auf so einen Kram, überleg es dir einfach genau, was du willst. Sie mich an. Irgendwann stehst auch du vor dem Altar und sagst: Ja ich will. Dann darfst du die Braut küssen, wobei du überlegst, ob es ein klassischer Kuss oder lieber ein sexy Kuss sein sollte. Das war es dann aber auch schon, denn ab dann wird sie es nie wieder mit dir treiben, wenn sie es nicht will.«
»Stimmt! Ich kann mich gut an meine Ehe erinnern«, sprach Jürgen. »Wir waren mal zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Meine Frau hatte unser Kind zu ihren Eltern gegeben und meinte dann: in unserer Wohnung ist niemand sonst. Hier gibt es nur dich und mich, nur uns Beide. Lass uns ne Runde schlafen. Wir gehen dann später oder gar nicht zu dieser Party. Ich war ganz außer mir und dachte, endlich mal wieder ein Erfolgt und so fragte ich: Du meinst, wir machen jetzt verdammt heißen schmutzigen Sex, worauf sie meinte: Tu was du nicht lassen kannst, aber weck mich nicht.«
»Ja das kenn ich auch«, flocht Peter ein. »Als wir frisch verheiratet waren, ich nach Hause kam, stand meine Frau in scharfen Klamotten am Eingang und begrüßte mich mit den Worten: Da bist du ja, Tiger. Keine zwei Sekunden später waren wir im Schlafzimmer verschwunden. Heute, wenn ich nach Hause komme, erwartet mich statt scharfer Unterwäsche eine aus Restlumpen vernähte Jogginghose, bei der ich froh sein kann, wenn ausnahmsweise mal keine Flecken darauf zu sehen sind. Dazu die Ausreden: Schatz tut mir leid, aber ich habe meine Tage. Dabei hatte sie schon letzte Woche und auch die Woche davor ihre Tage gehabt.«
»Ja so ist es mit den Mädels.«
»Aber so sind doch nicht alle«, erwiderte Fanny.
»Das stimmt. Aber die Richtige zu finden, ist gar nicht so einfach. Wenn man immer auf die gleiche Stelle tritt, kommt man nicht voran.«
»Genau. Also, auch wenn du nur ein halbes Ei in der Hose hast, gehst du jetzt rüber und sprichst sie an.«
»Meinst du?«
Und synchron schoss es aus den Mündern der vier Männer die aufmunternden Worte:
»Schmeiß dich an sie ran, du Tiger!«, worauf er dann mit langsamen, unsicheren Schritten auf sie zuging.
Obwohl man es ihr ansah, dass sie in einer ganz anderen Liga spielte, dass sie nicht nur adrett, gepflegt, äußerlich ansprechend aussah, sondern auch selbstüberzeugt redete, sie den Eindruck erweckte eine gestandene Geschäftsfrau zu sein, die sich wohl eher in dieser Lokalität verlaufen hatte, fasste er den Mut, sie auf eine unwiderstehliche Art anzusprechen.
Er setzte sich zu ihr und urplötzlich gewann man den Eindruck, dass seine Durststrecke auf einmal ein Ende gefunden hatte.
Sowas muss natürlich genauestens überprüft werden und es war nicht der Mangel an musikalischer Unterhaltung, der das am Tresen stehende Quartett augenblicklich an die Musikbox beorderte! Nein, es war eher die Neugier, eine Neugier, die sie schon fast in Ohnmacht trieb.
Da die Musikbox in unmittelbarer Nähe zu dem Tisch stand, konnte man von hier aus das Gespräch am besten belauschen.
Geistige Wetten wurden abgeschlossen, wobei sich die eine Hälfte wünschte, dass die Kleine ihn erhört, während die andere Hälfte sich in den Arsch beißen täte, wenn sie ihn nicht abblitzen lassen würde.
»Hallo du«, sprach er. »Ich bin Fanny. Du kannst so schön lachen, wie …, na ja ich weiß nicht, wie … wie irgendwas.«
»Aha.«
»Du bist echt süß.«
»Danke.«
»Ich gehöre dir und du kannst machen mit mir, was du willst. Oh …, das war wahrscheinlich falsch formuliert, ich meinte, du kannst mich benutzen, wie du willst, ich bin zu allem bereit. Weißt du, ich möchte dich nur befriedigen äh … ne, ich meine für dich immer bereit sein, äh … für dich da sein, meine ich.«
»Ey sag mal Gänseblümchen willst du mich hier anmachen oder was?«
»Äh … ich weiß nicht.«
»Du möchtest doch nicht etwa diesen Prachtkörper besitzen? Darf ich dir mal eine persönliche Frage stellen?«
»J-j-j-j-ja.«
»Sag mir, wie lange ist es her, dass du Stofftiere aus deinem Bett verbannt hast und förmlich unbeschwert mit den Beinen in der Luft strampeln könntest, weil du zufälligerweise mal keine Pampas anhattest? Ich gehe mal davon aus, dass deine Mutter weiß, dass sie irgendwann mit dem Stillen aufhören muss, oder?«
»Ich … ich glaube schon.«
»Gut, dann mach jetzt einen Abgang, sonst fliegen hier gleich Körperteile.«
»Möchtest du denn nicht wenigstens meine Telefonnummer haben?«
»Sehr verlockend, aber … nein! Und nun verschwinde, du aufgeblasenes Arschloch.«
Resigniert kam Fanny zum Tresen zurück und auch die Vier verloren ganz schnell das Interesse an der Auswahl an Platten in der Musikbox.
»Mein Gott Fanny«, sprach Peter, »wie schaffst du es nur morgens, ohne fremde Hilfe, deine Hose zuzuknöpfen? Das ist ja unfassbar.«
»Tröste dich Fanny, ich fand es auch nicht gut, was sie sagte, aber es war wenigstens unterhaltsam.«
Ja, eigentlich braucht bei Fanny nur eine Frau zu blinzeln und schon geht er auf Kuschelkurs. Doch hier hatte der Weltrekordler im Zölibat halten wieder mal Schiffbruch erlitten.
Schnell wurde das Thema des Anbiederungsversuchs vom Tresen gefegt und man widmete sich lieber einer weiteren Runde.
Im weiteren Verlauf des Zechgelages zeigte ein jeder seine Tricks, stapelte Bierdeckel, präsentierte Billardkünste und erfand die zehn lustigsten Arten, einen Schnaps ohne Hände zu trinken.
Irgendwann kam die Zeit, wo ein jeder nur noch nach Hause wollte, sich ins Bett legen und den Tag vergessen. Die Rechnung kam.
Unter Alkoholeinfluss funktioniert das Gehirn nicht mehr so richtig. Man sieht viele Dinge mit vier Augen, also doppelt. So auch die Rechnung mit einer Summe, zu der man auch mit Angelina Jolie in einem 12-Zylinder, 700 PS starken Maybach Exelero ein Jahr lang hätte zwischen Hamburg und Mallorca pendeln können.
Da die Muskeln in und am Augapfel unter normalen Umständen schnell und präzise reagieren müssen, wie die exakte Abstimmung des Sekundenzeigers einer handelsüblichen Armbanduhr, das Hirn aber besonders empfindlich auf Alkohol reagiert, wird diese Feineinstellung stark beeinträchtigt und …, na ja man sieht dann halt doppelt und dreifach.
Meistens fangen die Tage ganz normal an, wenn man nicht gerade eine durchzechte Nacht hinter sich hat, wo nebulöse Vermutungen in einen keimen, eventuell ein oder gar zwei vielleicht sogar fünf Biere zu viel getrunken zu haben.
Im schlimmsten Fall wacht man mit einem Kopf auf, der entweder zu groß ist oder indem ein migräneähnlicher Zustand herrscht. Ein Kopfschmerz, der eigentlich Frauen vorbehalten ist, um sich der körperlichen Betätigung im Zuge der Fortpflanzung zu entziehen.
Doch lieber so ein Hafenkonzert im Schädel, als am nächsten Morgen neben einer nackt im Bett liegenden Frau aufzuwachen und sich wundern, dass es dabei nicht um Catherine Zeta-Jones oder um Cameron Diaz handelt, wie man es am Vorabend bei 4,8 Promille geglaubt hatte, sondern um ein kleinwüchsiges, zahnloses, mitleiderregendes Wesen, das vom Alter her bereits mit dem Taschentuch hinter Elisabeth II hergewinkt hatte, als diese zur Königin gekrönt wurde.
Fernab dieser Illusion malt man sich erst mal den Verlauf des gestrigen Abends aus und dachte dabei sogar an das Szenario einer außerirdischen Invasion. Man wäre sogar geneigt, die Bahnen der Normalität zu verlassen, um sich auf den Weg Richtung Herzstillstand zu begeben. Doch letztendlich nimmt man sich vor, zu kämpfen, sich gegen den Zustand des Katerseins zu wehren. Noch im Bett liegend, fängt man an, langsam, gemächlich und bedachtsam seine Augen zu öffnen.
Allerdings schlossen sie sich sofort wieder, denn irgendjemand hatte eine fünfzigtausend Lumen starke Tatortbeleuchtung mitten im Schlafzimmer aufgestellt.
Der Moment ist gekommen, wo einem letale Gedanken umflogen und man es für ausgeschlossen hielt, dass man sich noch in irdischen Bezirken befand. Panik stieg auf. Ist der Herzstillstand tatsächlich schon eingetreten? Zweifellos, der Tod trat durch Alkoholvergiftung ein oder durch Genickbruch, weil man im Rausch aus dem Bett gefallen war. Nun liegt man hier und die Ermittlung der Polizei über den Tathergang wurde eingeleitet.
Oder?
Nein! In Wirklichkeit war es das Sonnenlicht, das sich seinen Weg ins Schlafzimmer bahnte und einem seines Seevermögens beraubte, denn es war bereits Mittag.
Unsicher und etappenweise werden die Augen geöffnet. Vorsichtig schweift der Blick umher und schon schwoll der Fluss der Tränen an, trat über die Lider und ließ sie dann wie Kaskaden über die Wagen kullern.