Die Autoren
Dr. sc. hum. Matias Valente, Psychologischer Psychotherapeut. Aufbau des Schematherapie-Programms der Psychosomatischen Abteilung des Klinikums am Weissenhof in Weinsberg, bis 2019 dort Ltd. Psychologe. In eigener Praxis in Schwäbisch Hall niedergelassen sowie als Dozent und Supervisor für Verhaltenstherapie und Schematherapie tätig. Co-Leitung des Stuttgarter Instituts für Schematherapie (IST-S).
Dr. med. Eckhard Roediger, Neurologe, Psychiater und Arzt für Psychotherapeutische Medizin, Ausbildungen in tiefenpsychologischer und Verhaltenstherapie. Vormals Aufbau und Leitung der Psychosomatischen Abteilung am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin, seit 2007 niedergelassen in Frankfurt/Main und als Dozent und Supervisor für Verhaltenstherapie und Schematherapie tätig. Mitglied des Gründungsvorstandes der Internationalen Gesellschaft für Schematherapie (ISST), ehem. deren Präsident. Leiter des Frankfurter Instituts für Schematherapie (IST-F).
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1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-035980-2
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Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.
Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung entsprechen, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu beschaffen. Diesen Bedürfnissen soll die Buchreihe »Psychotherapie kompakt« entgegenkommen.
Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthalten.
Nina Heinrichs (Bremen)
Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)
Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)
Carsten Spitzer (Rostock)
Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)
Bernhard Strauß (Jena)
Die Buchreihe wurde begründet von Harald J. Freyberger, Rita Rosner, Ulrich Schweiger, Günter H. Seidler, Rolf-Dieter Stieglitz und Bernhard Strauß.
Die Schematherapie wurde von Jeffrey Young in den USA entwickelt. Young studierte Psychologie und bildete sich zunächst als Verhaltenstherapeut bei Joseph Wolpe weiter. Anschließend promovierte er unter der Leitung von Aaron Beck und absolvierte dabei sein Training als Kognitiver Therapeut an Becks Institut für kognitive Verhaltenstherapie in New York, um anschließend dessen Direktor für Forschung und Lehre zu werden. Insbesondere während der Arbeit mit Patienten mit chronifizierten depressiven Störungen und Ängsten, sah er sich mit den Grenzen der traditionellen kognitiven Verhaltenstherapie konfrontiert, welche keine anhaltende Besserung zu erzielen schien. Young gründete aus diesem Grund eine Arbeitsgruppe, um sich diesen Patienten zu widmen und entwickelte die Hypothese, dass die Schwierigkeiten bei der Behandlung solcher Patienten zum größten Teil auf komorbide »charakterologische Probleme« (heute Persönlichkeitsstörungen) zurückzuführen waren. Young und sein Team versuchten zunächst, handlungs- und situationsübergreifende Muster herauszuarbeiten und erweiterten das im Rahmen der kognitiven Therapie bekannte Konzept der Grundannahmen oder -überzeugungen. Dabei entstand das für die Schematherapie zentrale Konzept von frühen maladaptiven Schemata, definiert als ein »weit gestecktes und umfassendes Thema oder Muster, welches in der Kindheit oder Adoleszenz entsteht und sich im Laufe des Weiteren Lebens verstärkt«. Dieses Muster ist »stark dysfunktional und besteht aus Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen, die sich auf den Betreffenden selbst und seine Kontakte zu anderen Menschen beziehen« (Young et al. 2005, S. 36). Anders als in der traditionellen Kognitiven Therapie beinhaltete sein Schemakonzept nicht nur kognitive, sondern auch emotionale, physiologische und interpersonale Aspekte. Young erweiterte nicht nur die theoretischen Grundlagen, sondern auch die Behandlungskonzepte. Insbesondere inspiriert durch Gestalttherapie und humanistische Verfahren setzte er neben den kognitiven Techniken zahlreiche erlebnisorientierte Techniken ein, insbesondere Imaginationsübungen und Übungen mit mehreren Stühlen. Darüber hinaus legte er einen großen Wert auf die Gestaltung der therapeutischen Beziehung in Form der sogenannten »begrenzten elterlichen Fürsorge«. Seine erste Publikation zur »schemafokussierten Therapie« erfolgte bereits im Jahr 1990 (Young 1990).
Auch wenn dieses erste Modell neue Therapietechniken einsetzte, war es konzeptuell noch stark an die kognitive Therapie angelehnt. In der intensiven Arbeit mit Patienten mit narzisstischen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen sah sich Jeffrey Young gewissermaßen »gezwungen«, sein Konzept zu erweitern. Denn das Schemamodell erwies sich einerseits als zu komplex, andererseits aber auch als zu statisch, um die rasch wechselnden emotionalen Zustände der Patienten optimal zu konzeptualisieren und v. a. praxisorientiert zu operationalisieren. Insbesondere die Borderline-Patientengruppe zeigte in so vielen Schemata auffällig hohe Werte, dass sich mit dem Schemakonzept alleine keine praktikable Fallkonzeption entwickeln ließ. Daraufhin erweiterten Young et al. (2005) das erste Schemamodell zum Schema-Modus-Modell weiter, das stärker auf die im Hier und Jetzt aktualisierten inneren Zustände der Patienten und deren Klärung und Bewältigung abzielt. Das Konzept von einem »Schemamodus« als komplexer Aktivierungszustand, welcher die Gesamtheit der kognitiven und emotionalen Reaktionen sowie die daraus resultierenden Handlungstendenzen zu einem bestimmten Zeitpunkt beinhaltet, stellte eine deutliche Weiterentwicklung des klassischen kognitiven Verständnisses dar und ermöglichte letztendlich die Entwicklung der modernen Schematherapie.
Ein »Meilenstein« in der Entwicklung der modernen Schematherapie stellt die Arbeit von Arnoud Arntz hinsichtlich der Manualisierung (Arntz und van Genderen 2009) und der empirischen Untersuchung (Giesen-Bloo et al. 2006) der Schematherapie für Patienten mit Borderline-Störungen an der Universität Maastricht dar. In den letzten zehn Jahren erfolgten zahlreiche Studien und Wirksamkeitsuntersuchungen, insbesondere in den Niederlanden und in Deutschland. So kann die Schematherapie in ihrer modernen Form als evidenzbasiertes Verfahren zur effektiven Behandlung von Persönlichkeitsstörungen verstanden werden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wird die Schematherapie nicht als eigenständige Methode, sondern überwiegend als ein strukturiertes Konzept innerhalb der Verhaltenstherapie angesehen, welches Techniken aus verschiedenen Methoden konsistent in das Verhaltenstherapie-Paradigma integriert. So wird sie auch in diesem Buch dargestellt.
Im Rahmen der sogenannten »kognitiven Wende« in den 1970er Jahren (Beck 1967; Ellis 1969) wurde der kognitiven Informationsverarbeitung und insbesondere automatisch ablaufenden Gedanken und dysfunktionalen Grundannahmen eine entscheidende Rolle in der Verhaltenssteuerung und somit in der Entstehung und Aufrechterhaltung psychopathologischer Symptome zugesprochen. Wie bereits dargestellt entstand die Schematherapie zunächst als Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie. Insbesondere das zentrale Konzept von maladaptiven Schemata kann aus einer theoretischen Perspektive mit dem Konzept dysfunktionaler Grundannahmen in Verbindung gebracht werden. Young legte jedoch einen viel größeren Wert auf die emotionalen und interpersonellen Aspekte als auf die kognitiven.
Die neurobiologische Forschung relativierte in den letzten Jahren zunehmend die Rolle explizit-kognitiver Prozesse für die Verhaltenssteuerung und zeigte, dass wesentliche Prozesse im Zusammenhang mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen v. a. emotionaler Natur sind und unbewusst reguliert werden (Roth 2001). Die moderne kognitive Therapie versucht diesen Ergebnissen zu entsprechen, indem sie auch »implizite« Kognitionen in die Konzeptualisierung psychopathologischer Symptome einbezieht (Beck et al. 2004). Die Schematherapie geht jedoch konsequent einen Schritt weiter, indem sie die emotionalen, z. T. unbewussten Prozesse durch erlebnisorientierte Techniken direkt aktiviert und sie zu einem zentralen Gegenstand der Therapie macht.
In der Betrachtung des konkreten therapeutischen Vorgehens zeigen sich insgesamt klare Unterschiede. Kognitive Techniken sind häufig primär auf »Inhalte« fokussiert und haben das wesentliche Ziel, ungünstige/unrealistische Kognitionen zu korrigieren. In der Schematherapie achtet man jedoch viel mehr auf den Kontext und die Funktionalität von Kognitionen, insbesondere bei der Betrachtung interpersoneller Konflikte.
Die klassische (sog. horizontale) Verhaltensanalyse mit ihrem Schwerpunkt auf der gegenwartsnahen Bedingungsanalyse konnte das komplexe Verhalten von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen nicht ausreichend erklären. Durch das Hinzufügen einer sogenannten vertikalen Achse im Rahmen der »Plananalyse« und der »Organismus-Variable« entsteht im verhaltensanalytischen Denken der notwendige Raum für komplexe erlernte Muster, welche neben den biologisch-temperamentalen Variablen den Niederschlag früher Beziehungserfahrungen abbilden. Schemata können sehr gut in dieser vertikalen Achse angesiedelt werden. Insgesamt können Schemata und Modi sehr gut aus lerntheoretischer Sicht in deren Entstehung und Aufrechterhaltung erklärt werden ( Kap. 3.6).
Das konkrete therapeutische Vorgehen in der Schematherapie integriert zahlreiche verhaltensbezogene Techniken und Prinzipien, wie z. B. das Erlernen konkreter Strategien zur besseren Impulsregulation und das Einüben neuer sozialer Strategien im Rahmen von Rollenspielen ( Kap. 5.14).
Eine der Hauptannahmen der psychodynamischen Theorie lautet, dass sich psychopathologische Symptome auf Konflikte und Motive zurückführen lassen, welche für den Patienten nicht ohne Weiteres bewusst zugänglich sind. Die Schematherapie und ihr Ansatz, im Hier und Jetzt aktualisierte innere Zustände (sogenannte Schemamodi) auf frühe, oft nicht bewusst erinnerte Erfahrungen von Bedürfnisfrustrationen zurückzuführen, weist Gemeinsamkeiten mit psychodynamischen Modellen (einschließlich Internalisierungsprozessen) auf. Auch das Konzept der unbewusst entwickelten Bewältigungsreaktionen ( Kap. 3) zeigt Ähnlichkeiten zu dem psychoanalytischen Konzept der Abwehrmechanismen. Die Schematherapie verbindet psychodynamisches Verstehen mit der zielgerichteten und veränderungsorientierten Haltung der kognitiven Verhaltenstherapie. Dadurch ergibt sich eine Verbindung von erlebensnaher Klärungsarbeit mit dem strukturierten Einsatz handlungsbezogener Techniken (schriftliche Arbeitsblätter, praktische Übungen und Hausaufgaben im Sinne der klassischen Verhaltenstherapie). Auf psychodynamischer Seite integriert analog zur Schematherapie z. B. der Strukturelle Ansatz von Rudolph (2006) zunehmend handlungsorientierte Techniken, so dass hier auf der praktischen Anwendungsebene eine sehr hohe Konvergenz entstanden ist und psychodynamisch arbeitende Therapeuten viele der in diesem Buch beschriebenen Techniken in ihrem konzeptuellen Rahmen anwenden können.
Übungen mit einem leeren oder auch mehreren Stühlen werden im Kontext der Gestalttherapie sowie in psychodramatischen Verfahren häufig angewendet. Modus-Dialoge auf Stühlen gehören zu den wichtigsten technischen Elementen in der Schematherapie. Sowohl in der Gestalttherapie als auch in der Schematherapie werden Übungen mit Stühlen v. a. als Möglichkeit der emotionalen Aktivierung und inneren Differenzierung eingesetzt. In beiden Fällen verfolgt die Anwendung dieser Techniken das Ziel, »innere Prozesse« zu externalisieren und durch die Darstellung im »realen Raum« neue Perspektiven zu ermöglichen bzw. Spielräume für neue Lösungen zu finden. Während die gestalttherapeutische Anwendung ganz überwiegend prozessorientiert ist, zeigen sich in der Schematherapie eine klar direktive Rolle des Therapeuten und in den meisten Fällen ein im Voraus angestrebter, zielgerichteter Ablauf der Übung.
Von einer »dritten Welle« in der Verhaltenstherapie spricht Hayes (2004) hinsichtlich derjenigen Methoden, die auf autonome, emotionale Regulationsprozesse fokussieren. Die Gemeinsamkeit dieser Ansätze besteht darin, eine mentale Distanz zu den aktivierten inneren Prozessen aufzubauen, was eine höhere Flexibilität und somit eine gewisse innere Beweglichkeit entstehen lässt, welche Menschen den Freiraum für funktionalere Verhaltensweisen zurückgibt. Während die Schematherapie zu Beginn einer Behandlung dysfunktionale Muster zunächst erarbeitet und inhaltlich zu verändern versucht (oder sogar zu »bekämpfen« oder »ersetzen«), entfernt sich im Verlauf der Behandlung der Schwerpunkt von der direkten »inhaltlichen Veränderung« nicht hilfreicher Schemata und Modi hin zur Entwicklung und Stärkung neuer, funktionalerer Muster und Selbstregulationsstrategien, was in der Sprache der Schematherapie »Gesunder Erwachsenenmodus« genannt wird. Unabhängig davon, welche Verhaltenstendenzen innerlich entstehen und auf welche dysfunktionalen Schemata diese zurückzuführen sind, hat der Patient im »GE-Modus« die »letzte Entscheidung« und er bestimmt, wie er sich verhalten möchte. Dies bedeutet den Übergang von einer inhaltlichen kognitiven Bearbeitung der dysfunktionalen Schemata (zweite Welle nach dem Behaviorismus) hin zu einer distanzierenden, metakognitiven Haltung im Sinne einer »dritten Welle«. Insbesondere im Falle schwerer Persönlichkeitsstörungen ist dies von großer Bedeutung, denn tiefe emotionale und kognitive Muster können nicht komplett verändert werden. Vielmehr geht es in der Behandlung um die zunehmende Akzeptanz deren Existenz, was die Entwicklung neuer Muster ermöglicht, welche sich parallel dazu als Handlungsalternativen anbieten. Es gibt zahlreiche Methoden der Verhaltenstherapie, welche Achtsamkeit, Akzeptanz und Commitment fokussiert trainieren. Die Acceptance and Commitment Therapy (ACT; Hayes 2004) ist zum derzeitigen Stand das am häufigsten untersuchte Verfahren. ACT-Strategien bieten sich nach unserer Erfahrung als eine sehr passende Ergänzung an und können sehr gut im Sinne eines Trainings »gesunder erwachsener Fertigkeiten« zum Aufbau von Selbstkontrolle in die Schematherapie integriert werden ( Kap. 5). Eine weitere Methode, welche an vielen Stellen Gemeinsamkeiten mit der Schematherapie aufweist, ist die Compassion Focused Therapy (CFT; Gilbert 2009). Die Konzeptualisierung von Mitgefühl als einen trainierbaren Prozess und »Überbegriff« verschiedener Fertigkeiten (Mitgefühl mit sich selbst im Umgang mit eigenen emotionalen Aktivierungen und »inneren Stimmen«, Mitgefühl mit anderen Menschen als prosoziale Bindungstendenz, Akzeptieren vom Mitgefühl anderer gegenüber der eigenen Person) zeigt deutliche Parallelen mit dem Konzept eines gesunden Erwachsenenmodus in der Schematherapie. Mitgefühl spielt in der Schematherapie eine wesentliche Rolle in der Selbstregulation sowie in der Reduktion dysfunktionaler Bewältigungsmodi, wie etwa der narzisstischen Selbsterhöhung gegenüber anderen.
Eine wichtige Annahme der Schematherapie (und möglicherweise der Psychotherapie im Allgemeinen) besteht im Postulat universeller emotionaler Grundbedürfnisse. Universell bedeutet, dass diese so tiefgreifend sind, dass sie in jedem Menschen zu finden sind. Dies schließt natürlich nicht aus, dass von Individuum zu Individuum Unterschiede in der Intensität oder sogar der Priorisierung festgestellt werden können.
Wieso soll man sich mit emotionalen und insbesondere kindhaften Bedürfnissen beschäftigen, wenn man mit erwachsenen Patienten arbeitet? Weil sich erst durch das mitfühlende Erleben des frustrierten Kindes in seiner damaligen Lebensumwelt die nachfolgend entwickelten Bewältigungsreaktionen verstehen lassen, die sich jetzt in der Interaktion mit dem Therapeuten wieder zeigen und diese belasten. Das Wissen, dass sich diese Person im Inneren gerade sehr verletzbar fühlt, sich schämt oder sogar panische Angst hat, erneut entwertet oder misshandelt zu werden, kann dem Therapeuten helfen, mit dem vordergründig gezeigten Verhalten effektiver umzugehen und dieses weniger persönlich zu nehmen. Dies kann in der unmittelbaren Arbeit sehr hilfreich sein, z. B. wenn ein narzisstischer Patient seinen Therapeuten entwertet oder eine emotional instabile Patientin dissoziiert. Im zweiten Schritt hilft die konkrete Frage »was hätte dieser Mensch anstelle dessen eigentlich gebraucht«, die aktivierten Bedürfnisse jetzt in der Therapie im Sinne einer korrigierenden emotionalen Erfahrung zu befriedigen. So erleben Patienten, dass es eine Alternative gibt zu ihren automatisierten, dysfunktionalen Bewältigungsreaktionen und können im Erwachsenenmodus lernen, heute durch funktionales Verhalten ihre ja unverändert vorhandenen Grundbedürfnisse besser zu befriedigen.
Jeffrey Young (2005) formulierte zunächst fünf emotionale Grundbedürfnisse:
sichere Bindung zu anderen Menschen
Autonomie, Kompetenz und Identitätsgefühl
angemessene Grenzen
Freiheit, eigene Bedürfnisse und Emotionen auszudrücken
Spontaneität und Spiel
Dieses Modell ist vor allem phänomenologisch-deskriptiv und beschreibt emotionale Grundbedürfnisse aus der Perspektive eines Kindes. Die Reihenfolge beschreibt insgesamt chronologische Zusammenhänge (Valente und Reusch 2017): Ein Kind, welches sich in der Beziehung zu seinen Eltern und insbesondere zu seiner Mutter sicher fühlt, verspürt fast natürlicherweise den Drang nach Erforschung der Umwelt und der eigenen Möglichkeiten und Grenzen, was zwangsläufig Gefahren mit sich bringt. Dabei ist dieses Kind, da es noch eine sehr rudimentäre Impulskontrolle besitzt, auf angemessene Grenzsetzungen seiner Erziehungsfiguren angewiesen. Wenn diese Grenzen liebevoll und angemessen gezeigt werden, dann ist durchaus zu erwarten, dass dieses Kind sich auch gegen diese Begrenzung wehrt – etwa mit einem Trotzanfall. Unter idealen Bedingungen gelingt es Eltern, zwar destruktives Verhalten während eines Wutanfalls zu begrenzen, das Kind aber in seiner Ganzheit als Person weiterhin anzunehmen. Dabei erlebt das Kind, dass er immer noch das »Recht« auf seine Emotionen und Bedürfnisse hat, was gewissermaßen das Fundament eines intakten Selbstwertgefühls darstellt. Das Bedürfnis nach Spontaneität und Spiel wird eher als eine Art »ständiger Begleiter« während dieses Prozesses verstanden.
Im deutschsprachigen Raum wird v. a. das Modell von Klaus Grawe (1998) verwendet. Anders als Youngs Modell beschreibt dieses Modell emotionale Grundbedürfnisse aus erwachsener Sicht, weswegen ein Bedürfnis nach realistischen Grenzen hier kein direktes Korrelat findet. Dieses fehlende Bedürfnis nach realistischen Grenzen in Grawes Modell kann als »Kontrolle und Orientierung nach innen« (d. h. im Sinne von Impulskontrolle) verstanden werden (Roediger 2016). So lassen sich diese zwei Systematiken gut aufeinander beziehen. Grawe (1998) formulierte folgende vier Grundbedürfnisse:
Bindung. Menschen brauchen das Gefühl eines vertrauensvollen, verlässlichen, bedingungslosen Verbunden-Seins mit anderen Menschen.
Kontrolle und Orientierung. Menschen brauchen einerseits das Gefühl von Sicherheit, welches entsteht, wenn sie eine verlässliche und bis zu einem gewissen Grad vorhersehbare Welt erleben. Dieses Sicherheitsgefühl ermöglicht innere Entspannung und Beruhigung und ist die Voraussetzung für die Autonomieentwicklung und die Entstehung von Selbstwirksamkeit.
Selbstwerterhöhung. Menschen brauchen das Gefühl, gut vor anderen dazustehen, was in Verbindung mit Selbstwirksamkeit steht und die Individualisierung und Weiterentwicklung ermöglicht. In schwierigen Lebensumfeldern kann dieses Grundbedürfnis auch auf Rückzugsverhalten zum Selbstwertschutz reduziert werden.
Lustgewinnung und Unlustvermeidung. Menschen brauchen erfreuliche und lustvolle Erfahrungen und neigen dazu, schmerzhafte und unangenehme Erfahrungen zu vermeiden. Strategien zur Unlustvermeidung sind für die Entstehung von verschiedenen Störungen als aufrechterhaltende Bedingung von hoher Relevanz.
Einerseits im Sinne einer maximalen Komplexitätsreduktion, andererseits aber auch aufgrund unserer klinischen Erfahrung in der Umsetzung schematherapeutischer Konzepte, wird in diesem Buch mit den zwei vermutlich fundamentalsten, phylogenetisch bedingten Grundtendenzen gearbeitet: Bindung (d. h. liebevoll-entspannte Hinwendung zu anderen im Sinne pro-sozialen Verhaltens) und Selbstbehauptung (d. h. angespannt selbstbezogen-kontrollorientiertes Verhalten). Dieses dimensionale Verständnis mit zwei Grundpolaritäten als fundamentale Beschreibungsebene sozialer Beziehungstendenzen findet in zahlreichen Denkmodellen seinen Niederschlag: Der Philosoph David Bakan (1976) unterscheidet beispielsweise zwischen »Communio« und »Actio« und Sigmund Freud (1920) stellt im Rahmen seiner Strukturtheorie die Hypothese einer ebenso dichotomischen Zuordnung von Trieben in »Eros« (bindungsorientierte Tendenz oder »Lebenstriebe«) und »Thanatos« (selbstbehauptungs- und Individualisierungsorientierte Tendenz oder »Todestriebe«). Auch im vegetativen Nervensystem findet sich ein solches »2-Polaritäten-Prinzip«: Sympathikus (Aktivität und Energieverausgabung) und Parasympathikus (Passivität und Erholung).
Auf einer physiologischen Ebene unterscheidet Panksepp (2011) die folgenden sieben fundamentalen neurobiologischen Motivationssysteme: Seeking (Neugier-System), Rage (Selbstbehauptungssystem), Fear (sicherheitsorientiertes System), Lust (lustorientiertes System), Care (Versorgungssystem), Panic (Verlassenheitssystem) und Play (Spielsystem). Bei drei dieser Systeme ist das Hormon Oxytocin involviert: Care, Play und Lust. Oxytocin gilt als »Bindungshormon« und bildet eine biologische Grundlage von Vertrauen und bindungsbezogenem Verhalten (Kosfeld et al. 2005). Zahlreiche Studien belegen die verhaltensregulative Wirkung von Oxytocin: Strathearn et al. (2009) fanden beispielswiese heraus, dass unsicher Gebundene weniger Oxytocin im Liquor haben. Eine transnasale Gabe normalisiert autistische Störungen und ermöglicht für ca. 20 Minuten Blickkontakt sowie eine scheinbar sichere Bindung im »Adult Attachment Projective« (APP; Buchheim et al. 2009). Das Bindungsbedürfnis steht beim Spiel-, Versorgungs- und lustorientierten System nach Panksepp (2011) im Fokus. Das Bindungssystem des Kindes, dessen Überaktivierung zur Panik führt, kooperiert dabei mit dem Care-System auf Bezugspersonenseite. Bei der Selbstbehauptungstendenz sind hingegen vermutlich vor allem die Seeking, Rage und Fear (als Selbstschutztendenz) beteiligt.
Das Bindungsbedürfnis: