Die Autoren
Mareike Augsburger, Dr. rer. nat., Dipl.-Psych., forscht zu Traumafolgestörungen. Während ihrer Promotion beim Mit-Entwickler der Narrativen Expositionstherapie, Prof. Dr. Thomas Elbert, arbeitete sie mehrere Jahre als klinische Psychologin im Kompetenzzentrum Psychotraumatologie der Universität Konstanz mit traumatisierten Geflüchteten. Darüber hinaus absolvierte sie in Kooperation mit der Nichtregierungsorganisation vivo international e. V. mehrere Einsätze in ostafrikanischen Krisenregionen zur Verbesserung der Versorgung nach Traumatisierung. Seit 2017 ist sie als Postdoktorandin an der Universität Zürich tätig. Gegenwärtig leitet sie ein Projekt zur Implementierung des Internationalen Trauma-Interviews nach ICD-11 im psychiatrischen Stationsalltag. Darüber hinaus befindet sie sich in Weiterbildung zur Notfallpsychologin gemäß den auf nationaler Ebene festgelegten Standards der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) sowie des Nationalen Netzwerks Psychologische Nothilfe (NNPN). Als angehende Notfallpsychologin ist sie unter anderem für die Stiftung Carelink tätig, die die Akutversorgung nach traumatischen Ereignissen zur Prävention der PTBS in der Schweiz übernimmt.
Andreas Maercker, Prof. Dr. phil. Dr. med., ist seit 2005 Professor für Psychopathologie und Klinische Intervention an der Universität Zürich. Er ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut, Facharzt für Psychosomatik und in der Schweiz berufsbewillligt als Psychiater und Psychotherapeut. Er arbeitet seit den 1990er Jahren auf dem Gebiet der Traumafolgestörungen sowohl klinisch als auch wissenschaftlich. In dieser Zeit wurde er zu einem europäisch und international anerkannten Experten für diese Störungsgruppe, zu der auch die Anhaltende Trauerstörung und die Anpassungsstörungen gehören. Er war Präsident der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie, langjähriges Vorstandsmitglied der Europäischen und der Internationalen Societies for Traumatic Stress Studies und hatte den Vorsitz einer Kommission zum Thema bei der Weltgesundheitsorganisation. Er ist Autor bzw. Herausgeber mehrerer Standardwerke zu Traumafolgestörungen in deutscher und englischer Sprache.
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1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-033002-3
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pdf: ISBN 978-3-17-033003-0
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Eine Ergänzung der Buchreihe »Störungsspezifische Psychotherapie« um einen Band zu Traumafolgestörungen ist aus unserer Sicht als Autor und Autorin ein überfälliger Schritt, denn im klinischen Alltag, ambulant und stationär, ist diese Gruppe von Patientinnen und Patienten stark vertreten. Dabei kann beobachtet werden, dass einige von ihnen nicht angemessen diagnostiziert und behandelt werden. So kommt es vor, dass eher die Diagnose einer Angststörung, affektiven Störung oder Persönlichkeitsstörung (z. B. Borderline) gestellt und dabei die traumaspezifische Symptomatik als Primärstörung übersehen wird. Manchmal hängt dies auch damit zusammen, dass sich Patienten und Patientinnen scheuen, ihre Erfahrungen aus Scham von sich aus offen zu legen (z. B. bei sexualisierter Gewalt), da das Vertrauen in den Therapeuten oder die Therapeutin noch fehlt.
Dieses Buch sammelt den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zur diagnostischen Einordnung, Fallkonzeption und Therapieplanung für Patienten und Patientinnen mit einer der beiden Diagnosen, der (klassischen) Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und der komplexen PTBS, nach den neuen Richtlinien des ICD-11 bzw. DSM-5. Dabei wurde die komplexe PTBS (KPTBS) erstmalig 2019 international von der Weltgesundheitsorganisation zu einer offiziellen Diagnose erklärt. Demnach ist das aktualisierte Wissen zur KPTBS bisher noch in wenigen deutschsprachigen Büchern und Materialen niedergelegt. Da unsere Arbeitsgruppe an der Universität Zürich an der Neudefinition beider Diagnosen nach ICD-11 beteiligt war, können wir sozusagen aus erster Hand die aktuelle Entwicklung beschreiben. Dies gilt auch für die neuen therapeutischen Verfahren, die sich in der internationalen Literatur zur komplexen PTBS finden lassen.
Dabei gilt zu beachten, dass Diagnosen nach ICD-11 in den deutschsprachigen Ländern noch nicht offiziell sind, denn dies wird frühestens ab Januar 2022 der Fall sein. Dieses Buch greift somit vorweg und beschreibt die zukünftige Situation, denn evidenzbasierte Heilkunde erfordert die Notwendigkeit, sich kontinuierlich am internationalen »State of the Art« (letzter Stand des Wissens) zu orientieren, um Patienten und Patientinnen die bestmöglich wirksame Therapie zukommen zu lassen.
Aus diesem Grund beschränkt sich dieses Werk auch nicht auf ein einziges Instrument oder wenig ausgewählte diagnostische Instrumente oder therapeutische Methoden, denn es soll nicht als therapeutisches Manual verstanden werden, sondern dazu dienen, verschiedene wirksame Verfahren kennenzulernen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können. Dabei basiert unsere Auswahl auf einem evidenzbasierten Vorgehen nach einschlägigen wissenschaftlichen Behandlungsleitlinien, Meta-Analysen und Überblicksarbeiten. Darin enthalten sind auch Ansätze, die in der eigenen Arbeitsgruppe entwickelt wurden oder zu denen wir selbst viel klinische Erfahrung sammeln konnten. An dieser Stelle sei zum Beispiel das sozio-interpersonelle Modell erwähnt. Zusätzlich gibt es einen Abschnitt zu vielversprechenden Neuentwicklungen, deren Wirksamkeit noch nicht hinreichend geprüft werden konnte, die aber zukünftig eine große Relevanz entwickeln könnten.
Experten und Expertinnen im Bereich Traumafolgestörungen sind sich einig, dass die Therapie der (klassischen) PTBS bisher eine Erfolgsgeschichte war. Mit verschiedenen spezifischen Methoden kann Überlebenden einmaliger oder kurzfristiger traumatischer Erlebnisse gut und wirksam geholfen werden. Zwar sind therapeutische Erfolge bei der komplexen PTBS höchstwahrscheinlich schwieriger zu erreichen, doch bieten erste Studien ebenfalls Hinweise auf nachhaltige Möglichkeiten.
Wir wünschen allen Lesern und Leserinnen eine nutzenbringende Lektüre, um für das Wohl unserer Patienten und Patientinnen zu wirken.
Zürich, im April 2020
Mareike Augsburger und Andreas Maercker
Wir möchten uns an dieser Stelle bei Milena Kaufmann bedanken, die entscheidend zum Gelingen der therapeutischen Kapitel dieser Arbeit beigetragen hat. Vielen Dank auch an Charlotte Salmen für ihre konstruktiven Anmerkungen.
Frau B. saß auf dem Beifahrersitz. Bei der Autobahneinfahrt passierte es. Ein anderer Fahrer wollte vom Beschleunigungsstreifen auf die von ihm links gelegene Spur einfahren. Dabei übersah er das Auto, in dem Frau B. und ihre Freundin saßen. Seine linke Wagenseite streifte die rechte Front des Autos von Frau B.s Freundin. Metall und Glas splitterten grässlich. Überall war Blut. An mehr kann sich Frau B. nicht mehr erinnern. In ihrem nächsten wachen Moment befindet sie sich mit großen Schmerzen in einem Krankenhaus. Dieses darf sie nach einer Woche wieder verlassen. Doch die psychischen Beschwerden halten bis heute, Monate später, an: Frau B. wacht mehrmals in der Woche schweißgebadet von Alpträumen auf. Auto fahren kann sie nicht mehr, auch Bus fahren fällt ihr schwer. Dafür ist die Angst vor einem weiteren Unfall zu groß. Nähern sich Autos, erschrickt Frau B. schnell. Das quietschende Geräusch von Bremsen versetzt sie in Panik. Ihren Job musste sie aufgeben. Frau B. hat das Gefühl, seit diesem Unfall sei ihr Leben sei ruiniert.
Das Fallbeispiel beschreibt die psychischen Folgen eines Verkehrsunfalls. Frau B. beschreibt dabei augenscheinlich typische Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Doch zur leitliniengerechten Diagnosestellung und Feststellen der Therapieindikation muss das Zutreffen bestimmter Kriterien geprüft werden. Je nach verwendetem Diagnosesystem (International Classification of Diseases (ICD) oder Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disordes (DSM)) können sich die Kriterien unterscheiden. Im Folgenden werden deswegen die Symptome sowohl nach ICD-11 (World Health Organisation [WHO], 2018) und DSM-5 (American Psychiatric Association [APA], 2015) beschrieben.
Die PTBS (und die KPTBS, Kap. 2) gehören zu den wenigen psychischen Störungen, bei denen ein traumatisches Ereignis zwingend zur Diagnosestellung vorangegangen sein muss. Je nach Klassifikationssystem unterscheiden sich die Definitionen geringfügig:
• In der neuen ICD-11 wird das traumatische Ereignis oder eine Serie von Ereignissen als extrem bedrohlich oder furchtbar beschrieben (World Health Organisation 2018). Dadurch qualifizieren sich verschiedenste Situationen, die absichtlich nicht a-priori genauer festgelegt wurden.
• Das DSM-5 beschreibt sehr viel konkreter ein traumatisches Ereignis als »Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt« (A-Kriterium; American Psychiatric Association 2015, S. 369). Es wird weiter unterschieden zwischen:
1. Direkte Exposition
2. als Zeuge oder Zeugin miterlebte Ereignisse
3. Erfahren, dass das Ereignis einer nahestehenden Person zugestoßen ist
4. Beruflicher Konfrontation mit Details von Ereignissen
Beide Definitionen beinhalten damit eine große Spannweite potentiell traumatischer Erfahrungen. Es kann hilfreich sein, zwischen sogenannten man-made Traumata (z. B. Angriff, sexuelle Gewalt) und akzidentiellen Traumata (z. B. Verkehrsunfall, Naturkatastrophe) zu unterscheiden. Es wird ebenfalls zwischen Typ-I-Traumata und Typ-II-Traumata differenziert. Bei ersterem handelt es sich um ein unerwartetes singuläres Ereignis auftreten (z. B. Überfall), letzteres beschreibt mehrfach und wiederholt auftretende potentiell traumatische Erfahrungen (z. B. wiederholte sexuelle Gewalt) (vgl. Maercker und Augsburger 2019). Dies wird vor allem für die Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (KPTBS) relevant.
Bei vielen umgangssprachlich als »Traumata« bezeichneten Ereignissen (z. B. Trennung des Partners/der Partnerin; Ablehnung durch die Vorgesetzte) handelt es sich nach diesen Definitionen nicht um traumatische Ereignisse. Gleichwohl kann es sich für die betroffene Person um eine sehr belastende Erfahrung handeln, die gegebenenfalls eine psychotherapeutische Intervention erfordert. Doch für das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses muss eine drohende oder tatsächliche Verletzung der psychischen und/oder physischen Integrität bestanden haben.
Drei Hauptsymptomgruppen oder Symptomcluster, die als Reaktion auf das Überleben eines traumatischen Ereignisses auftreten, definieren das Störungsbild der PTBS ( Abb. 1.1): Wiedererleben, Vermeidung und Übererregung (bzw. gegenwärtige Bedrohung) (vgl. Augsburger und Maercker 2018a; Maercker und Augsburger 2019).
Abb. 1.1: Die drei Symptomgruppen der PTBS
Im Fallbeispiel sind diese drei Symptomgruppen klar zu erkennen: Frau B.s anhaltende Alpträume weisen auf eine Wiedererlebens-Symptomatik hin. Ihre Unfähigkeit, Tätigkeiten zu verrichten, die in unmittelbarer Nähe mit dem traumatischen Ereignis standen (Auto oder Bus fahren), sind Beispiele für Vermeidungsverhalten. Symptome der Übererregung manifestieren sich in übersteigerter Schreckhaftigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten.
Die betroffene Person erlebt das traumatische Ereignis oder Aspekte davon auf unkontrollierbare Weise wieder. Dies kann in wachem Zustand sein oder im Schlaf stattfinden (z. B. Alpträume). Dabei erfolgt das Wiedererleben nicht nur visuell in Form lebhafter Bilder und Träume, sondern auch verschiedene sensorischen Systeme sind am Wiedererleben beteiligt: Gerüche, Geräusche, körperliche Empfindungen (z. B. Berührungen auf der Haut), physiologische Reaktionen (z. B. Schwitzen), all dies drängt sich dem oder der Betroffenen unkontrollierbar erneut auf, so wie es damals passiert ist. Ursprünglich nicht mit dem traumatischen Ereignis in Zusammenhang stehende Stimuli (sogenannte »Trigger« wie z. B. das Schlagen einer Autotür, klingeln an der Haustür) können dabei ein Wiedererleben auslösen.
• Nach ICD- 11 wird das Vorliegen lebhafter intrusiver Erinnerungen, Flachbacks oder Alpträumen gefordert, gefolgt von starken Emotionen (z. B. Angst, Hilflosigkeit) und physischen Empfindungen. Ebenfalls ist es möglich, dass Betroffene von den gleich-intensiven Gefühlen wie bei Ablauf des traumatischen Ereignisses überströmt werden. Dies bedeutet, leichte Erinnerungen an das Erlebte reichen nicht aus, es muss sich um intensive intrusive Wahrnehmungen »im Hier und Jetzt« handeln.
• Im DSM- 5 (B-Kriterium) muss das traumatische Ereignis persistent wiedererlebt werden. Dazu zählen (1) ungewollte aufwühlende Erinnerungen, (2) Alpträume, (3) Flashbacks sowie (4) emotionales Leid oder (5) physische Reaktivität, wenn Betroffene Erinnerungen an das traumatische Ereignis ausgesetzt werden. Es muss mindestens eins der Kriterien 1–4 erfüllt sein.
Das unkontrollierte Aufdrängen der traumatischen Erfahrung ist für Betroffene sehr unangenehm. Aus diesem Grund versuchen sie, alle Möglichkeiten zu vermeiden, die Erinnerungen an die traumatische Situation auslösen könnten. In der Konsequenz vermeiden sie Situationen, Plätze, Tätigkeiten, Gespräche oder andere Menschen, die mit dem traumatischen Ereignis in Zusammenhang stehen bzw. als Trigger wirken können.
• ICD-11: Das Vermeiden von Gedanken, Erinnerungen an das Ereignis muss erkennbar sein und/oder das Vermeiden von Aktivitäten, Situationen oder Personen, die an das Ereignis erinnern.
• Im DSM- 5 (C-Kriterium) kann Vermeidung durch zwei Formen sichtbar sein: (1) Vermeidung traumabezogener Gedanken oder Gefühle oder (2) Vermeidung von Erinnerungen an das traumatische Ereignis. Mindestens ein Kriterium (1 oder 2) muss erfüllt sein.
Wenn ein Mensch Stress erlebt, löst dies eine Kaskade physiologischer Reaktionen aus (z. B. Kampf- und Fluchtreaktion bei Bedrohung). Bei einer PTBS bleibt der Körper in diesem anhaltenden Alarmzustand gefangen – es findet keine Regulation auf Normallevel mehr statt. Diese Symptomgruppe nennt sich Übererregung oder Hyperarousal – der Körper kann jederzeit auf eine vermeintlich erneut auftretende bedrohliche Situation reagieren. Die Folge sind erhöhte Schreckhaftigkeit und eine übermäßige Schreckreaktion (z. B. Zusammenzucken bei kleinen Geräuschen) sowie Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten.
• ICD-11: Diese Symptomgruppe wird Anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten gegenwärtigen Bedrohung genannt, die sich durch Hypervigilanz oder eine überhöhte Schreckreaktion auf Stimuli zeigen kann (z. B. unerwartete Geräusche).
• Im DSM- 5 wird dieses Symptommuster als Übererregung oder gesteigerte Reaktivität (Kriterium E) formuliert. Es müssen mindestens zwei der folgenden Kriterien entweder nach dem traumatischen Ereignis begonnen oder sich verschlechtert haben: (1) Irritierbarkeit oder Aggression, (2) risikohaftes oder zerstörerisches Verhalten, (3) Hypervigilanz, (4) erhöhte Schreckreaktion, (5) Konzentrationsschwierigkeiten, (6) Schlafstörungen.
Im DSM-5 müssen zusätzliche Kriterien erfüllt sein, die nach ICD-11 eher dem Bereich KPTBS zuzuschreiben sind. Es handelt sich hierbei um die Symptomgruppe D Veränderungen in Gedanken und Gefühlen. Die Symptomgruppe beschreibt das Vorhandensein stark negativer Gedanken oder Gefühle, die nach dem Erleben des traumatischen Ereignisses begonnen oder sich danach intensiviert haben. Dazu gehören (1) Unfähigkeit, Kernaspekte des traumatischen Ereignisses zu erinnern, (2) übermäßig negative Gedanken und Annahmen über das Selbst oder die Welt, (3) überzogene Schuldzuschreibungen hinsichtlich der Verursachung des traumatischen Ereignisses, gegenüber einem selbst oder anderen Personen, (4) negativer Affekt, (5) vermindertes Interesse an Aktivitäten, (6) Gefühle der Isoliertheit, (7) Schwierigkeiten positive Gefühle zu empfinden. Es müssen zwei der Untergruppen 1–7 für eine Diagnose nach DSM-5 zutreffen (APA 2015).
Um zu verhindern, dass eine (normal auftretende) Belastungsreaktion fälschlicherweise als PTBS diagnostiziert wird oder nur geringfügig ausgeprägte Symptome pathologisiert werden, gibt es Kriterien für Schweregrad und Dauer der Symptome. In beiden Klassifikationssystemen sind ähnliche Kriterien zu finden: Zur Dauer der Symptome erfordert die ICD-11 ein Vorhandensein über mehrere Wochen, im DSM-5 kann eine Diagnose erst nach mindestens einem Monat seit Beginn der Symptome gestellt werden. Nach ICD-11 muss weiterhin eine funktionale Beeinträchtigung vorliegen (z. B. in persönlichen, familiären, sozialen Bereichen, bezüglich der Ausbildung oder des Jobs oder in anderen wichtigen Funktionsbereichen). Ähnlich formuliert das DSM-5 (Kriterium G): Die Symptome müssen zu funktioneller Beeinträchtigung (z. B. sozial oder beruflich) führen oder Leid hervorrufen (vgl. APA 2013; WHO 2018).
Im DSM-5 kann zwischen zwei Typen der PTBS differenziert werden (APA 2015):
Es wird unterschieden, ob ein dissoziativer Subtyp vorliegt. Dissoziation wird definiert, wenn eines der folgenden Kriterien als Reaktion auf traumabezogene Stimuli auftritt:
• Depersonalisation: Empfindung, sich außerhalb des oder losgelöst vom eigenen Körper zu befinden (z. B. Gefühle, sich wie in einem Traum zu befinden oder dass dies nicht einem selbst passiert).
• Derealisation: Empfindungen von Unwirklichkeit, Distanz oder Verzerrung (z. B. Dinge sind nicht real).
Abschließend wird im DSM-5 klassifiziert, ob der Beginn der Symptomatik verzögert