Die SA war zu Beginn des »Dritten Reichs« zu einer straff organisierten und im gesamten deutschen Staatsgebiet präsenten Organisation herangewachsen. Sie war der Reichswehr nachgebildet und konkurrierte mit dieser um die Rolle als »Waffenträgerin der Nation«.
Während die Reichswehr aufgrund des Versailler Vertrags offiziell eine Stärke von 100 00 Mann nicht überschreiten durfte, hatte die SA mehr als 3 Millionen Mitglieder. In eine gewöhnliche Vorlage aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurden im Frühjahr 1934 die Gebietsgrenzen der Obergruppen, Gruppen und Brigaden der SA eingezeichnet, was die Karte (links) zur Geheimsache werden ließ. Obwohl die NSDAP wie die SA in dieser Zeit in Österreich verboten waren, ist die Obergruppe XI (Österreich) wie selbstverständlich einbezogen.
Übersichtstafeln wie die im Nachsatz abgebildeten zeigen die Rangzeichen und Flaggen der SA und liefern Hinweise auf deren Herkunft. Sie dienten als Schulungsmaterial für neue Mitglieder, die mit den dem Militär nachempfundenen Grundzügen der Organisation noch nicht vertraut waren, und als Nachschlagewerk. Kenntnisse über den Rang eines SA-Führers sowie über die Herkunft der von ihm befehligten Einheit waren bei den Paraden und Massenaufmärschen der NSDAP von großem praktischen Nutzen.
Zum Buch
Dies ist die erste umfassende Geschichte der SA. Daniel Siemens, einer der renommiertesten deutschen Historiker der jüngeren Generation, beschreibt darin den Aufstieg der Ordnertruppe, die für die Hitlerbewegung den Straßenkampf gegen die politischen Feinde ausfocht. Bis zu den frühen dreißiger Jahren verwandelte sich die SA dann von einer Schlägertruppe zum entscheidenden Faktor bei der Machteroberung der Nationalsozialisten. In seinem Standardwerk zeigt Daniel Siemens zudem, wie sogar nach den Säuberungen beim »Röhm-Putsch« 1934 die SA eine überraschend aktive Rolle in der nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungspolitik und dem Holocaust spielte.
Zum Autor
Daniel Siemens, geboren 1975 in Bielefeld, ist Professor für Europäische Geschichte an der Newcastle University und Fellow der Royal Historical Society. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, darunter der hochgelobten Studie »Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten« (Siedler 2009), die mit dem Preis Geisteswissenschaften International ausgezeichnet wurde.
Die englische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Stormtroopers: A New History of Hitler’s Brownshirts« bei Yale University Press.
Copyright © 2017 by Daniel Siemens
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by Siedler Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Umschlagabbildung: ullstein bild/Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
Karte Deutsches Reich und Österreich: Auswärtiges Amt – Politisches Archiv
Tableau Rangabzeichen und Flaggen: Julius Moritz Ruhl, Carl Starke und Kurt Bauer, Adolf Hitlers Braunhemden, Leipzig 1933, S. 18 und 23
Lektorat und Satz: Büro Peter Palm, Berlin
Reproduktionen: Aigner, Berlin
ISBN 978-3-641-15535-3
V002
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einleitung
Eine Nacht der Gewalt
Machtprobe in der Provinz
Grenzland-Nationalismus
Schläger, Mörder und politische Hooligans
Neue Perspektiven
Zwei Seiten der Gewalt
Der Gang der Untersuchung
TEIL I
1
Die Anfänge der nationalsozialistischen SA
Im Kampf um die Nachkriegsordnung
Die Gründung der SA
Ein öffentliches Ärgernis
Das Krisenjahr 1923
Die Nachwirkungen des Putsches
2
Die SA und die Politik der Straße
Frühe Weichenstellungen
Von der Splittergruppe zur Massenbewegung
Bedeutung und Wirkung der braunen Uniform
Sarkasmus als Waffe?
Die Eskalation der Gewalt
Erwerbslosigkeit und soziale Unruhen in der SA
SA auf dem Land
Die Gefahr der frühen SA-Gewalt
3
Der braune Kult um Jugendlichkeit und Gewalt
Militante Männlichkeit
NS-Aktivistinnen
Emotionale Bedürfnisse und ihre Befriedigung
SA-Merchandising
Geschäfte mit der Zigarettenindustrie
Moderne Kreuzritter
SA und Reichswehr
TEIL II
4
Terror, Begeisterung und Enttäuschung
Gemischte Gefühle im Moment des Sieges
Die Erniedrigung des Gegners
Reaktionen
Über dem Gesetz
Die Eingliederung des Stahlhelms
Die Nazifizierung des deutschen Hochschulwesens
Griffe in die Staatskasse
Auf dem Weg zu einer zweiten »Revolution«?
5
Der »Röhm-Putsch« und der Mythos vom homosexuellen Nazi
Showdown
»Reichsmordwoche«
Konsequenzen
TEIL III
6
Die Wandlungen der SA zwischen 1934 und 1939
Auf der Suche nach neuen Aufgaben
Antisemitische Gewalt und die Grenzen der Volksgemeinschaft
Das Vordringen der SA in die bürgerliche Gesellschaft
Die Österreichische Legion
Die SA im Sudetenland und im Memelgebiet
Vom Bedeutungsgewinn an der Peripherie ins Zentrum der Gesellschaft
7
Die SA und die »Germanisierung« des europäischen Ostens
Frühe Siedlungsinitiativen
Siegfried Kasche und die ambitionierten Siedlungspläne der SA
Bauern und Ideologen
Vom Mitwirken beim Aufbau einer deutschen »Volksgemeinschaft« in Osteuropa
8
Die SA im Zweiten Weltkrieg
SA und Wehrmacht
Die Anfänge des Krieges
Die SA-Standarte Feldherrnhalle
Kommunistische Propaganda
Generalgouvernement, Protektorat, Slowenien
An der Heimatfront
Bis zum letzten Mann
Die Niederlage vor Augen
Alltagsfanatismus
9
Diplomaten im Braunhemd und der Holocaust in Südosteuropa
SA-Führer im Auswärtigen Amt
Der Kampf hinter den Kulissen
Die Durchführung des Holocausts in der Slowakei
Tödliche Varianten
Bilanz
Vergessen oder Erinnern?
TEIL IV
10
Was bleibt? Deutungskämpfe der Nachkriegszeit
Die SA vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg
Fehlgeleitete Idealisten?
Umgeschriebene Geschichte(n)
Die Politik der Erinnerung
Fazit
Die SA und der Nationalsozialismus. Eine Bilanz
ANHANG
Anmerkungen
Personenregister
Es freut mich sehr, dass meine ursprünglich auf Englisch verfasste und im Jahr 2017 bei Yale University Press in London und New Haven veröffentlichte Geschichte der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) nun auch auf Deutsch vorliegt. Geschrieben habe ich das Buch seit 2012 zunächst mit Blick auf ein internationales Publikum in der Hoffnung, dass es zeitgeschichtlich Interessierten wie Experten für die Geschichte des Nationalsozialismus noch Neues bieten könnte. Anfangs ging ich davon aus, dass das Werk keine übermäßige aktuelle Relevanz erfahren würde. Die Zeiten der politischen Straßengewalt, der antisemitischen Verfolgungen und auch des religiös verbrämten Nationalismus schienen in Europa überwunden. Gerade in Deutschland war in der liberalen Öffentlichkeit die optimistische Ansicht verbreitet, dass die historische Erfahrung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen diese politische Ideologie ein für alle Mal delegitimiert hatte.
Inzwischen hat sich Skepsis ausgebreitet. In den letzten Jahren wurde uns deutlich vor Augen geführt, wie fragil die demokratisch verfassten Gemeinwesen der Gegenwart sind. Die jahrzehntelang vorherrschende Auffassung, Bonn sei nicht Weimar, die Bundesrepublik also nicht mit der kurzlebigen Weimarer Republik zu vergleichen, hat angesichts des wiedererstarkten Populismus in vielen Ländern des alten Westens zu Beginn des 21. Jahrhunderts erheblich an Überzeugungskraft eingebüßt. Das ehemals so stabile deutsche Parteiensystem hat sich deutlich verändert; neue politische Kräfte, die Grundüberzeugungen der liberalen Gesellschaften infrage stellen, sind in der Bundesrepublik ebenso wie in vielen anderen Ländern Europas auf dem Vormarsch. Ob es sich dabei um eine dauerhafte Verschiebung der politischen Koordinaten oder lediglich um eine temporäre Erscheinung handelt, ist eine Frage, zu deren Beantwortung der Historiker wenig beitragen kann. Er kann aber gegenwärtige Entwicklungen vor dem Hintergrund des historischen Erkenntnisstandes einordnen.
Die hier vorgelegte Geschichte vom Aufstieg und Fall der SA ist aus drei Gründen von besonderem Interesse: Erstens zeigt sie exemplarisch, welche Sprengkraft eine Politik der Straße entfalten kann, wenn sie tief sitzende Emotionen schürt, an traditionelle nationale und religiöse Überzeugungen anknüpft und vor dem Einsatz selbst massiver Gewalt nicht zurückschreckt. Zweitens macht sie die Gefahren deutlich, die sich für ein demokratisches Gemeinwesen ergeben, wenn sich gesellschaftliche Debatten in nahezu hermetisch abgeriegelten Teilöffentlichkeiten abspielen und missliebige Argumente und politische Positionen als fake news abgetan werden. Drittens schließlich kann man verfolgen, welch ungewöhnlich starke Loyalität gerade jene Gesellschaftsschichten, für die sich die politischen Eliten nur am Rande interessieren, entwickeln können, wenn man tatsächlich oder auch nur vorgeblich eine Politik in ihrem Sinne macht. Angesichts der radikalen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten gerät heute allzuleicht in den Hintergrund, dass diese politische Bewegung Angehörige sehr verschiedener gesellschaftlicher Gruppen für sich zu gewinnen vermochte. Die Geschichte der SA zeigt an vielen Beispielen, wie attraktiv die Vision einer nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« war – für die Zeit vor der »Machtergreifung« wie im späteren »Dritten Reich« und selbst noch lange nach 1945.
Der Siedler Verlag und hier besonders der ehemalige Programmleiter Tobias Winstel haben früh Interesse an diesem Projekt gezeigt. Karl Heinz Siber hat engagiert die Übersetzung besorgt; das Schlusslektorat erledigte Ditta Ahmadi auf die gewohnt zuverlässige Weise. Ich danke ihr sehr für die vertrauensvolle Zuammenarbeit in den letzten Monaten. Auch allen anderen Beteiligten im Verlag gilt mein herzlicher Dank. Gewidmet sei dieses Buch meinen Eltern. Ich verdanke ihnen viel.
Newcastle upon Tyne, den 25. Januar 2019
Daniel Siemens