Für die WARP-Agentinnen Susanne, Judith und Jeannette, die mit mir durchs Wurmloch gereist sind. Und für Rainer Strecker, der Garrick von den Toten zurückgeholt hat.

Was man wissen muss

Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts fand der Quantenphysiker Professor Charles Smart heraus, wie man aus exotischer Materie mit negativer Energiedichte Zeittunnel konstruieren kann. Einfacher ausgedrückt: Es gelang Smart, an verschiedenen Quantenweichstellen sogenannte Wurmlöcher in die Vergangenheit zu öffnen. Wie nahezu alle Erfindungen in der Geschichte der Menschheit wurde auch diese alsbald von mächtigen und gierigen Personen für ihre eigenen brutalen Zwecke missbraucht. In diesem Fall richtete der amerikanische Geheimdienst FBI mithilfe von Smarts Erfindung das sogenannte Witness Anonymous Relocation Programme – kurz WARP – ein. Damit sollten wichtige Zeugen in der Vergangenheit versteckt werden. Dieser Plan war so unglaublich kompliziert und teuer, dass er von vorneherein zu einem katastrophalen Scheitern verurteilt war. Und genau das geschah, als das Militär das Programm übernahm und Charles Smart mitsamt seinen Geheimnissen in der Vergangenheit verschwand.

Der Zusammenbruch des WARP führte unter anderem dazu, dass

technische Ausrüstung im Wert von etlichen Milliarden Dollar in diversen Jahrhunderten verloren ging;

eine ganze Anzahl von Zeugen samt ihren Bewachern in verschiedenen historischen Zeitabschnitten strandete;

Albert Garrick, ein durchgeknallter Mörder aus der Zeit Königin Viktorias, im heutigen London landete, wo er eine blutige Spur hinterließ;

Clayton Box, ein Colonel aus dem zwanzigsten Jahrhundert, sich im London des neunzehnten Jahrhunderts versteckte und mit seinen Waffen aus der Zukunft das Parlament zu stürzen plante – und das wäre ihm auch beinahe gelungen, hätten ihn nicht zwei verfluchte Gören davon abgehalten, nämlich:

Chevron Savano, eine junge FBI-Anwärterin indianischer Abstammung, die in die Vergangenheit reiste, um die Zukunft zu retten, was noch viel komplizierter war, als es sich anhört, und

Riley, ein viktorianischer Waisenjunge, dem es gelang, seinen durch und durch bösen Herrn, den Mörder Albert Garrick, in einem Zeittunnel einzusperren und Colonel Box’ Pläne zu durchkreuzen – eine beachtliche Leistung für einen vierzehnjährigen Jungen, der über nichts weiter verfügte als ein helles Köpfchen und Erfahrung als Bühnenzauberer.

Doch über die Einzelheiten der Vorgeschichte braucht sich niemand den Kopf zu zerbrechen. Es genügt, wenn ihr wisst, dass unsere beiden außergewöhnlich begabten und einfallsreichen jungen Helden gerade erfahren haben, dass Rileys lange verschollener Halbbruder Tom im Gefängnis von Newgate sitzt, und dorthin geeilt sind, um ihn zu befreien.

Ihr könnt euch wahrscheinlich denken, dass das fürchterlich schiefgeht und eine Menge tödlicher Gefahren auf sie lauern.

Keine Sorge, es gibt auch was zu lachen.

Aber ich will ehrlich sein: Meistens geht es um tödliche Gefahren.

Wer von euch also von zartbesaiteter Natur ist, möge dieses Buch beiseitelegen und sich lieber eines über Ponys oder dergleichen besorgen.

Ich habe euch gewarnt.

Zartbesaitet ist übrigens ein altmodisches Wort für empfindlich. Ich wollte euch nur schon mal auf die Zeit einstimmen, in der unsere Geschichte spielt.

Mir war gerade danach.

Breitband

Professor Charles Smart.

Ist jemand, der so heißt, auch clever?

Der Mann, dem es gelungen war, die Einstein-Rosen-Brücke zu öffnen (beziehungsweise das Wurmloch, wie du und ich sagen würden), verstand davon nur so viel wie ein Schimpanse von der Molekularstruktur der Banane, die er gerade geschält hat. Trotzdem bohrte er ein Loch in die Bananenschale und warf Leute hinein, in der Hoffnung, dass sie am anderen Ende unversehrt wieder herauskommen würden. Zugunsten des Professors muss man sagen, dass das in den meisten Fällen auch klappte, aber ein paar Zeitreisende wurden geradezu transformiert. Es gab ein paar positive Veränderungen – zum Beispiel hatte FBI Spezialagent Cody »Kahlkopf« Potter plötzlich wieder Haare, und der kleinwüchsige Jerry Townsend ging mit einsfünfundfünfzig hinein und kam mit einsneunzig wieder heraus –, aber die meisten Mutationen waren eher negativer Natur. Einige der Zeitreisenden wurden mit Tieren vermischt: Es gab Hundemenschen, Affenmenschen und einmal auch einen Tyrannosaurustypen. Andere wiesen Tumore, Verletzungen und Verbrennungen dritten Grades an allen möglichen empfindlichen Körperstellen auf. Dr. Marla DeTroit, die witzigerweise aus Detroit stammte, betrat den Zeittunnel als stattliche Dame in den Dreißigern und verließ ihn als zusammengesunkener, achtzigjähriger Mann. Das erschütterte die Leute sogar noch mehr als der Zwischenfall mit dem Dinosaurier. Und mit jedem neuen abstrusen Vorfall wurde den Beteiligten wieder einmal klar, wie wenig sie von dem mächtigen Tier wussten, das sie mit einem spitzen Stock piksten.

Professor Smart beschrieb es selbst mit den besten Worten: »Sie wollen wissen, wie viel wir über Zeitreisen wissen? Ich will es mal so formulieren: Wenn wir uns das Quantennetzwerk vorstellen wie ein riesiges System aus sich kreuzenden Linien – zum Beispiel wie die Londoner U-Bahn –, dann sind wir lediglich ein Schwarm Ameisen, der zufällig durch ein Gitter auf eines der Gleise gefallen ist.«

Nicht gerade vertrauenerweckend. Und das vom Boss höchstpersönlich. Von dem, der die Fäden zog.

Das Dumme war, dass es bei der Zeitreise Dinge gab, die Smart nicht wissen konnte, als er das erste Wurmloch öffnete. Das Ganze hatte weitreichende Folgen, die der Professor niemals hätte vorhersehen können. Aber als stolzer Schotte hätte er zumindest die Warnung beachten sollen, die er schon als Kind auf dem Schoß seines Vaters gehört hatte: Nichts auf dieser Welt ist umsonst, mein kleiner Charley. Und billig ist auch nichts. Alles wird dich eines Tages teuer zu stehen kommen.

Papa Smart hatte recht. Für alles muss man irgendwann bezahlen, und Mutter Natur ist die grausamste Gläubigerin von allen. Als unmittelbare Folge bezahlte Smart seine Einmischung mit dem Leben. Genau genommen bezahlte er wegen eines Zeitparadoxes sogar zweimal mit seinem Leben. Doch das genügte Mutter Natur nicht. Im Wurmloch gab es noch mehr, die sich in ihre Angelegenheiten eingemischt hatten, und auch die mussten ihr Blut lassen – wie Chevron Savano und Riley schon bald herausfinden würden.

(Einsatz drohender, düsterer Trommelschläge: Bom-bom-bommmmmmm.)

Gefängnis von Newgate, London. 1899

Das Gefängnis von Newgate war der berüchtigtste, hässlichste Elendsklotz, der je im alten Stadtzentrum von London errichtet worden ist. Er wurde vor langer, langer Zeit, nämlich im letzten Wimpernschlag des zwölften Jahrhunderts, von Harry Plantagenet (auch bekannt als Heinrich II.) in Auftrag gegeben und ein paar Jahrhunderte später nach den Vorgaben des Lord Mayor Dick Whittington höchstpersönlich umgebaut – was in den Geschichtsbüchern nur selten erwähnt wird.

Gestaltet nach den Prinzipien der französischen Architecture Terrible, sprich: wuchtig und mit gezielt abstoßendem Aussehen, sollte das Gebäude jeden, der zu ihm aufsah, als Warnung vor dem Schicksal dienen, das ihm drohte, wenn er ein Leben als Verbrecher wählte. Das Gefängnis besaß nicht eine einzige elegante Linie, und es kam so gut wie kein Tageslicht hinein.

Vor dieser Furcht einflößenden Festung, eingeschüchtert vom Wehgeschrei etlicher Häftlinge, standen der junge Zauberer Riley, noch keine fünfzehn Jahre alt, und seine Gefährtin Chevron Savano, stolze Kriegerin aus der Zukunft und gerade mal zwei Jahre älter als er. Beide dachten sinngemäß:

Das ist die Hölle auf Erden.

Und:

Wir müssen Tom da rausholen.

»Das lässt sich sicher mit Gold regeln, Chevie«, sagte Riley mit einem leichten Zittern in der Stimme, das nur jemand, der ihn sehr gut kannte, bemerken würde. »Schließlich ist fast jeder käuflich. Hier im Gate ist der Zaster König.«

»Ganz bestimmt«, sagte Chevie und drückte seine Hand.

Und in der Tat hatte der junge Riley recht.

Das Gefängnis von Newgate war genauso ein Finanzunternehmen wie die Bank of England. Essen, Kleider, Familienunterbringung – für Geld bekam man dort alles, selbst die Befreiung von den Fußfesseln oder einen Schluck Laudanum, um die Nerven eines Verurteilten auf seinem kurzen Weg zum dreiarmigen Galgen zu beruhigen.

Und man musste kein Mörder sein, um gehenkt zu werden. Es gab Hunderte von Verbrechen, für die man, ganz gleich ob Mann oder Frau, die Aufforderung bekam, den Newgate Jig zu tanzen. Eines davon war, seine Schulden nicht zu bezahlen.

London war eine Handelsstadt, und für viele der dort ansässigen Geschäftsleute galt Wortbruch als ein abscheuliches Verbrechen. Ein Mann, der seine Nächsten um ihr Geld betrog, verdiente es, unter dem Gejohle seiner Mitgefangenen den Hals lang gezogen zu kriegen. Und nach allem, was man wusste, steckte Tom Riley, allgemein unter dem Namen Ginger bekannt, bis zum Adamsapfel in Schulden. Sein Schicksal war besiegelt.

Es sei denn …

Es sei denn, der Geschädigte bekam sein Geld zurück.

In dem Fall wäre alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen, und Ginger würde in eine strahlende Zukunft entlassen.

Doch nicht so schnell, mein Junge. Nicht so hastig.

Geschäfte dieser Art auszuhandeln war schwieriger, als einen Knoten in einen eingelegten Aal zu machen. Die eine Partei hatte der anderen bereits die Schlinge um den Hals gelegt, und es brauchte schon einen wahrhaft begabten Feilscher, um den Knoten wieder zu lösen, zumal Tom einen Mann von großem Einfluss betrogen hatte, genauer gesagt Sir James Maccabee, den besten Anwalt von ganz London, der mehr Seelen auf seinem Kerbholz hatte als der Große Brand.

Riley hätte sich selbst als Feilscher versuchen können, doch Maccabee hätte ihn in der Luft zerrissen, und so hatte er die berühmte Gefängnisunterhändlerin Tartan Nancy Grimes engagiert, der es sogar gelungen wäre, Napoleon Bonaparte auszutricksen, wenn der kleine Franzose das Pech gehabt hätte, ihr am Verhandlungstisch gegenüberzusitzen.

Und so war Tartan Nancy gekommen, hatte die Goldmünze, die man ihr als Anzahlung gab, mit den Zähnen auf ihre Echtheit geprüft und war umgehend ins Innere des Gefängnis verschwunden, um herauszufinden, was Sache war, wer zuständig war und vor allem, wie hoch der Preis war.

Und jetzt warteten Chevie und Riley darauf, dass die Feilscherin zurückkam. Sie warteten mitten im Gewimmel der Barackensiedlung, die sich im Schatten von Newgate gebildet hatte und alle paar Wochen von der Miliz zerstört wurde, aber im Handumdrehen wieder nachwuchs wie ein besonders hartnäckiges Unkraut. Sie warteten umgeben von mittellosen Familien und Besuchern und Händlern und Kriegsveteranen. Beide wandten den Blick ab von der lärmenden menschlichen Tragödie, die sie umgab – Riley, weil er seine eigenen Sorgen hatte, und Chevie, weil sie noch nicht überzeugt war, dass auch nur irgendetwas hiervon wirklich existierte.

Ich liege im Koma, sagte sie sich immer wieder. Ich liege im Koma, und das kommt davon, wenn man spätabends Charles Dickens liest.

Das war eine vernünftige Theorie, auf jeden Fall wesentlich glaubwürdiger als das, was ihr bisher als Wirklichkeit verkauft worden war: FBI, Zeitmaschinen, mordende Zauberer, größenwahnsinnige Colonels und so weiter.

Koma hin oder her, Chevie hatte sich bereit erklärt, ein Kleid aus dem Fundus des Orient Theatre über ihren eng anliegenden FBI-Overall zu ziehen, um Riley Peinlichkeiten zu ersparen. Als Krönung verbarg sie ihr schwarzes Haar und ihr dunkles Gesicht unter einer Haube aus Stroh, damit sie kein unnötiges Aufsehen erregten.

Mit diesem Monstrum sehe ich aus wie Darth Vaders Tochter, hatte sie in der Garderobe gedacht.

Doch als einzige Shawnee-Indianerin in ganz England zog sie schon genug neugierige Blicke auf sich, da musste sie nicht noch in einem Outfit herumlaufen, das für dieses Zeitalter schockierend unmoralisch war.

Oder wie Riley es formuliert hatte: »Die Leute machen schon Stielaugen, ohne dass du wie eine Dirne herumscharwenzelst.«

Da Chevie annahm, dass eine Dirne nicht unbedingt etwas Positives war, hatte sie die Haube zähneknirschend unter dem Kinn zusammengebunden, sich dabei aber gefragt, warum Riley mit seinem Zauberermantel auf der Straße herumlaufen konnte, obwohl das bestimmt auch Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Doch als sie sich nun umsah, musste sie zugeben, dass hier jede Menge Männer mit Umhängen herumliefen. Sie kam sich vor wie bei einer historischen Comic Con.

Einige Zeit später tauchte die stämmige Gestalt der Feilscherin aus einem Seitentor auf. Ohne die Gossenkinder zu beachten, die sich um ihre voluminösen Röcke drängten und um ein paar Tabakbrösel oder einen Schluck Gin bettelten, winkte sie Chevie und Riley zu sich, und gemeinsam eilten sie zur anderen Straßenseite, wo Nancy sich mit einem Stück Glut aus einem Feuerkorb ihre Pfeife anzündete. Abgebrüht wie sie war, hielt Tartan Nancy das Glutstück in der bloßen Hand, den kleinen Finger abgespreizt, als würde sie Sahne aus einem Silberkännchen gießen.

Tartan Nancy Grimes war keine Schottin, und sie trug auch nicht den Tartan irgendeines Clans. Während die beiden auf Nancys Rückkehr warteten, hatte Riley Chevie aufgeklärt, dass der Spitzname »Tartan« von einem Cockney-Reim auf »fartin’« stammte, der auf die gasreichen Innereien der Unterhändlerin anspielte.

Oh, hatte Chevie gesagt, und dann: Ohhhh, als der Groschen fiel.

Und obwohl keine weitere Erläuterung erbeten worden war, hatte Riley ausgeführt: »Nancy hat ihre ollen Röcke schon so lange an, dass sie ganz hart geworden sind. Die funktionieren wie ’ne Glocke, wirklich. Das dröhnt richtig, Chevie. Aber sag da niemals etwas zu, Nance mag es nicht, wenn man davon anfängt.«

Solche indiskreten Bemerkungen gab Riley sonst nicht von sich, aber er war nervös, und die Worte purzelten einfach so heraus. Doch er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen; Chevie würde ein solches Thema gewiss nicht mitten in einer schwierigen Verhandlung anschneiden, schließlich hatte sie an der FBI-Akademie in Quantico zwei Semester lang Geiselbefreiungen belegt.

Tartan Nancy Grimes warf das Glutstück in den Rinnstein, zog an ihrer Pfeife und stieß eine Gewitterwolke aus. Sie war eine stämmige Frau mit leicht angegrauten roten Locken, die ihr rundes Gesicht umrahmten wie Unkraut einen zerklüfteten Flussstein. Auf dem Kopf trug sie eine makellose weiße Haube, die weder zu ihr noch zu ihrer Umgebung passte, doch eine saubere Haube war für Nancy unverzichtbar – wenn eine Dame keine saubere Haube hatte, was in Gottes Namen blieb ihr dann noch?

»Haben Sie Tom gesehen?«, fragte Riley, und direkt darauf: »Wie geht es ihm? Ist er gesund und munter?«

Nancy zog noch ein paarmal an der Pfeife, dann sagte sie: »Ja, ich hab ihn gesehen, Jungchen. Er ist ein bisschen angeschlagen, aber das wird ihn nicht umbringen – es sei denn, er steckt sich mit irgendwas an, was natürlich jederzeit passieren kann.«

Dass Tom noch unter den Lebenden weilte, war die beste Nachricht, auf die sie hoffen konnten, denn es kam recht häufig vor, dass ein frisch gefangener Fisch am ersten Tag im Glas ins Gras biss – um es mal etwas salopp auszudrücken.

Chevie drückte Rileys Schulter. »Siehst du? Wird schon alles gut gehen. Zum Abendessen ist die ganze Familie wieder zu Hause. Oder zum Fünfuhrtee.«

Keiner von den dreien lächelte, nicht einmal Chevie.

»Und wie ist Maccabees Stimmung?«, fragte Riley die Feilscherin. »Hat die Aussicht auf sein Geld ihn aufgemuntert?«

Nancy klopfte ihre Pfeife aus und spuckte in den Pfeifenkopf. »Ah, jetzt kommen wir zum springenden Punkt, Jungchen, denn der Geschädigte ist nicht Maccabee, sondern irgend so ’n geheimnisvoller Kerl, der sich versteckt.« Tartan Nancy drückte ihren Daumen in den Pfeifenkopf und verteilte die Spucke. »Und die alte Nance mag keine Leute, die sich verstecken. Ist verdammt schwer, mit so jemandem zu feilschen. Maccabee ist einfach nur sein Anwalt. Und ’n Mann, der ’nen Mann wie Maccabee dazu kriegt, die Marionette für ihn zu spielen, noch dazu im Gate« – Nancy pfiff anerkennend durch eine seitliche Zahnlücke –, »also, das ist ’n Mann, vor dem man schon den Hut ziehen muss.«

Chevie war verwirrt von all den Männern, von denen da die Rede war. »Dieser Maccabee ist also gar nicht unser … Mann?«

»Nee«, sagte Nancy. »Der ist nur Staffage. Euer Mann ist der Mann hinter ihm, der Lauerer. Und von dem hab ich nicht einmal das Gesicht gesehen, bloß Stiefel, die aus dem Schatten ragten. Schwarze Reitstiefel, so schwarz, dass sie nicht mal glänzten. Wie soll man solchen Stiefeln trauen?«

Tartan Nancy spuckte erneut in ihren Pfeifenkopf, bis er randvoll war. Offenbar hatte Chevie das Gesicht verzogen, denn sie sagte: »Tut mir leid, Prinzessin, aber ich putze meine Pfeife nicht gern mitten in ’ner Verhandlung.«

Chevie nickte. Diese Art von Reinlichkeit war sicher nicht förderlich für das Ergebnis.

Riley hatte tausend Fragen. »Erinnert sich Tom an mich, Nance? Hat er Ihnen vielleicht gesagt, wie ich heiße? Und was um alles in der Welt hat er angestellt, dass er in diesem Schlamassel steckt?«

Nancy deutete mit dem Pfeifenhals auf ihn. »Genau deshalb übernehme ich das Feilschen, Jungchen, und nicht du. Du würdest sofort alle Karten auf den Tisch werfen. Immer schön ruhig, eins nach dem anderen, als hättest du alle Zeit der Welt.«

Riley schluckte seine Ungeduld hinunter. »Sie haben ja recht, Nance. Also, dann das Wichtigste: Was werfen sie ihm vor?«

»Das ist das Seltsame«, sagte Nancy. »Es geht um nicht zurückgezahlte Schulden, aber was Genaueres kriegt man nicht raus. Maccabee redet um den heißen Brei rum, und dieser Lauerstiefel macht den Mund überhaupt nicht auf. So was hab ich noch nie erlebt. Sie haben deinem Bruder ’ne hübsche Einzelzelle besorgt, alles für die Verhandlungen vorbereitet, und dann rümpfen sie die Nase, als ich ihnen das Gold anbiete, als wär’s Kanaldung. Keine Ahnung, was das soll.«

Chevie, die zumindest über theoretische Erfahrung mit solchen Situationen verfügte, kam direkt auf den Punkt. »Irgendwas wollen sie immer. Was ist es?«

»Nicht dumm, das Injanermädchen«, sagte Tartan Nancy. »Ja, sie wollen was, aber was Seltsames.«

»Egal«, stieß Riley aus, der Nancys Rat, sich nicht in die Karten blicken zu lassen, schon wieder vergessen hatte. »Ich gebe ihnen alles, was sie wollen.«

»Sie wollen dich, Jungchen«, sagte Nancy, die nicht verstand, weshalb dieses Bürschchen irgendjemandem mehr wert sein sollte als schimmerndes Gold. »Du scheinst ein netter Junge zu sein, Riley, aber ich hab ihnen zwanzig Goldmünzen geboten. Zwanzig als Einstiegsgebot

Chevies Soldatinneninstinkt machte sich bemerkbar, und irgendetwas sagte ihr, dass es hier um mehr ging als um ein reines Geldgeschäft.

»Das gefällt mir nicht. Woher weiß dieser Lauerer überhaupt, dass es dich gibt, Riley?«

Riley interessierte das nicht. »Was wollen sie denn von mir, Nance?«

»Dich. In der Zelle. Sie wollen mit dir reden, nur mit dir.«

»Nein«, sagte Chevie. »Auf keinen Fall. Wenn Riley da reingeht, kommt er nicht wieder raus.«

»Auch da hat die Injanerin recht«, sagte Nancy und musterte Chevie eingehend. »Schon mal drüber nachgedacht, ’ne Feilscherlehre zu machen, Mädel? Deine exotische Erscheinung könnte ein echter Vorteil sein, so was haut die Leute immer um. Vielleicht noch mit ein paar Tätowierungen im Gesicht?«

»Danke für das Angebot, Nancy«, sagte Chevie. »Aber wir sollten uns besser auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Schon allein unter Verhandlungsaspekten wäre es ein Riesenfehler, Riley in das Gefängnis zu lassen.«

»Stimmt«, gab Tartan Nancy zu. »Aber da rücken sie keinen Fingerbreit von ab. Entweder Riley geht in die Zelle, oder er schert sich zum Teufel, und der Rotschopf baumelt am Galgen.«

Riley straffte die Schultern und bemühte sich um eine entschlossene Miene. »Ich muss es tun, Chevie. Mir bleibt nichts anderes übrig.«

Chevie fand, dass die entschlossene Miene ihres Gefährten ziemlich überzeugend wirkte, und es war offensichtlich, dass er nicht davon abzubringen war.

»In Ordnung, Kumpel. Aber wenn du da reingehst, gehe ich mit.«

Nancy wedelte mit dem Pfeifenhals. »Nur der Junge, hat Maccabee gesagt. Sonst keiner.«

Chevie tat den Einwand mit einer Handbewegung ab. »Tja, dann wird Maccabee lernen müssen, mit Enttäuschung umzugehen. Das hier ist doch eine Verhandlung, oder, Nancy? Da heißt es geben und nehmen. Nun, ich nehme mir die Freiheit, mit da reinzugehen.«

Nancy schnaubte anerkennend. »Überzeugender Tonfall. Gute Haltung, kein Anzeichen von Bluff. Falls du es lebend aus dem Gate schaffst, Mädchen, komm zu mir. Du bist ’ne geborene Feilscherin.«

Eine geborene Feilscherin.

Chevie wusste nicht, ob sie geschmeichelt oder beleidigt sein sollte. Sie beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, denn schließlich lag sie ja im Koma.

Eine geborene Feilscherin?

Aus welcher dunklen Ecke ihres Unterbewusstseins war das gekommen?

Bitte, Doktor, dachte sie, während sie Nancy zum Gefängnis folgte. Jetzt wäre ein guter Moment, um mich wiederzubeleben.

Tartan Nancy Grimes führte sie rasch durch das Gewimmel zum Gefängnistor. Offenbar genoss sie im Gate solchen Einfluss, dass die Wachen zur Seite traten, ohne auch nur zu fragen, wer ihre beiden Begleiter waren, und sie nur flüchtig durchsuchten, denn es lag im Interesse aller, von der Köchin bis zu den Wachleuten, dass Nancys Geschäfte ungehindert vonstattengingen.

Sie passierten erst ein schmiedeeisernes Tor und dann eine schwere Tür, die beide mit unheilvollem Dröhnen hinter ihnen ins Schloss fielen, und Chevie hatte das ungute Gefühl, dass dies eine Einbahnstraße für sie und Riley war und dass der dreiarmige Galgen, von dem sie gehört hatte, am nächsten Morgen voll besetzt sein würde.

Bleib locker, sagte sie sich. Du hast nichts Böses getan.

Wie sie feststellen musste, wurde es zunehmend schwieriger, sich an der Komatheorie festzuhalten, während sie von den schwarzen Mauern des Gefängnisses von Newgate umgeben war.

Riley schien den Angstschweiß auf ihrer Stirn bemerkt zu haben, denn er kam näher und flüsterte: »Keine Sorge, Chev. Die Schlösser hier sind ein Klacks für mich. Ich hab Knackis in den Haaren.«

Ein Klacks? Knackis?

Vielleicht lag sie doch im Koma.

Sie eilten weiter und hatten Mühe, Tartan Nancys energischem Schritt zu folgen. Sie war wie eine Dampfmaschine, und ihre Pfeife war der Schornstein.

Nancy sprach beim Gehen, und ihre Worte kamen von Rauchwolken umhüllt über ihre Schulter.

»Ich übernehme das Reden, Jungchen.«

»Ja«, sagte Riley gehorsam. »Von mir gibt’s keinen Mucks.«

»Und auch kein Geflenne«, fügte Nancy hinzu. »Was Lauerstiefel angeht, liegt dir nichts an diesem Tom. Du bist nur aus Pflichtgefühl gegenüber deiner Familie hier, verstanden?«

»Verstanden«, sagte Riley. »Er ist mir schnurzegal.«

»So halten wir den Preis niedrig.«

In Wirklichkeit war es der Preis, der Riley schnurzegal war. Er würde mit Freuden auch die letzte Goldmünze aus Albert Garricks blutbeflecktem Vermögen hergeben, um Tom zu befreien, aber ihm war klar, dass er diese Meinung besser für sich behielt, als sie einer Feilscherin wie Tartan Nancy zu verraten, sonst hätte der Schock womöglich ihre Glocke zum Läuten gebracht, und das wollte in einem beengten Raum gewiss niemand riskieren.

Der Gang führte auf den Innenhof, wo die Gefangenen in Fußfesseln herumschlurften, sofern sie nicht genug Geld hatten, um sich diese abnehmen zu lassen. Viele von ihnen lungerten am Tor herum und kratzten sich die schwärenden Blasen auf. Sie hatten ihre Zeit abgesessen, aber ohne die vorgeschriebene Entlassungsgebühr kamen sie nicht hinaus. Jedes Jahr starben etliche Männer und Frauen in Newgate, weil sie nicht den Shilling aufbringen konnten, der ihnen die Freiheit zurückgab. Die Geräusche und Gerüche waren vielschichtig und überwältigend, und das durchweg im negativen Sinne. Selbst der sonst nicht kleinzukriegende Cockney-Geist verkümmerte in so einer Umgebung.

Ich gehöre nicht hierher, dachte Chevie, und sie spürte, wie das Grauen und die bedrückende Düsternis des Ortes sie beinahe in die Panik trieben. Das ist nicht meine Zeit.

Tatsächlich gehörte niemand dieser Welt nach Newgate, und Newgate gehörte nirgendwo auf dieser Welt hin.

Zum Glück führte Nancy sie nicht durch den Innenhof, sondern bog mit der Präzision einer Marschkapelle in einen Durchgang ab, der sich nur dadurch von der Mauer abhob, dass er noch einen Hauch schwärzer war, und verschwand in der Dunkelheit. Riley lief ein wenig schneller, und Chevie blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, obwohl alles in ihr bei der Vorstellung, in diese unbekannte Finsternis zu treten, auf Alarm schaltete, vor allem da ihre Nachtsicht anscheinend bei der Reise durch das Wurmloch auf der Strecke geblieben war.

Während der vergangenen Tage war Chevie aufgefallen, dass diese letzte Zeitreise allerlei Spuren bei ihr hinterlassen hatte. Nichts Dramatisches, keine Dinosaurierteile, aber sie war nicht mehr dieselbe. Ihr Gehör funktionierte nicht mehr so gut wie zuvor, und aus dem Chevron-Tattoo auf ihrem Oberarm war eine Art erhabenes Muttermal geworden. Das Laufen fiel ihr ein wenig schwer, und sie hätte schwören können, dass ihr eines Bein einen Zentimeter länger war als vorher. Und das Neueste auf ihrer stetig wachsenden Liste von Mutationen war, dass sie mehrmals am Tag, wenn auch nur für eine oder zwei Sekunden, einen Röntgenblick hatte.

Lieber Professor X, dachte sie. Ich schreibe Ihnen, weil ich glaube, dass ich über die nötige Eigenschaft verfüge, um bei den X-Men einzutreten.

Das Ganze wurde immer seltsamer.

Und dann waren da noch die Kopfschmerzen.

Aber das musste warten.

Jetzt ging es erst einmal ums Überleben.

Die Dunkelheit verschluckte sie, und Chevie zwang sich zur Konzentration, denn ob die Theorie mit dem Koma nun stimmte oder nicht, jeder wusste, wer im Traum starb, starb auch in seinem Bett.

Todesträume sind nur ein Weckruf für Leute, die nie aufwachen.

Was absolut keinen Sinn ergab.

Chevie stieß ein bitteres Lachen aus, das sie schnell als Husten kaschierte. Sinn? Wann hatte zuletzt irgendetwas einen Sinn ergeben?

Ihr fiel auf, dass sie und Riley sich an den Händen hielten, aber nicht wie frisch Verliebte – was auch seltsam gewesen wäre –, sondern auf eine angespannte Ich-will-sicher-sein-dass-mein-Freund-bei-mir-ist-Weise.

Der arme Kerl merkt nicht einmal, dass er mich hinter sich herzieht, dachte sie. So versessen ist er darauf, seinen Halbbruder kennenzulernen.

Das verstand Chevie. Was würde sie nicht alles dafür tun, noch einmal einen Tag mit ihrem Dad zu verbringen? Für eine gemeinsame Orangenlimo?

Zwei Strohhalme, eine Flasche.

Das war ihr Ding gewesen. Und dann ein einziger Funke im lecken Tank seiner Harley, und alles war vorbei.

Die Chancen dafür standen eins zu einer Million, hatte der Cop von der Autobahnpolizei gesagt, als er zu ihr in das kleine Cottage in Malibu gekommen war. So was hab ich noch nie gesehen, Miss.

Eins zu einer Million, dachte Chevie jetzt. Irgendwie stehen die Chancen für mich dauernd so.

Doch zurück zum Gefängniskorridor: Tartan Nancy, tödliche Gefahr und so weiter und so fort.

Nancy stürmte mit dem selbstbewussten Schritt eines Mächtigen oder eines Bluffers voran, und Chevie hätte ihr am liebsten hinterhergerufen: Warten Sie! Nicht so schnell.

Schließlich konnten sie nicht wissen, was sie in dem Raum erwartete. Wer auch immer dieser Lauerer war, er wollte etwas von Riley. Etwas, das so wichtig war, dass er dafür klingende Goldmünzen ablehnte.

Chevie ging im Geist die Möglichkeiten durch.

Ein alter Feind?

Vielleicht.

Einer von Box’ Männern?

Nein. Dafür war die Zeit zu kurz. Es war ja kaum vierundzwanzig Stunden her, seit sie von der Bildfläche verschwunden waren.

Eins von Garricks Opfern?

Nein. Garricks Opfer waren genau das: Opfer. Die konnten sich an niemandem mehr rächen. Und Garrick war schließlich der Mann, der Jack the Ripper getötet hatte, Himmel noch mal.

Dann vielleicht ein anderer Zeuge aus dem WARP?

Möglich. Es war zwar unwahrscheinlich, dass jemand aus der Zukunft sich für einen jungen Zauberer aus der Vergangenheit interessierte, aber das Wort »unwahrscheinlich« schien zusehends an Bedeutung zu verlieren.

Chevie ertappte sich dabei, dass sie mit der freien Hand nach dem Timekey tastete, der unter den Kleidern verborgen um ihren Hals hing. Er hatte schon seit Tagen keinen Pieps mehr von sich gegeben – wahrscheinlich war er bei dem Hin und Her durch London und dem Tauchbad in den Abwasserkanälen der Stadt kaputtgegangen –, aber wenn in der Zelle ein Typ aus der Zukunft wartete, konnte es gut sein, dass er es darauf abgesehen hatte, sich den Timekey zu schnappen und ihn zu vernichten.

Komisch, dass niemand aus der Zukunft dorthin zurückwill. Außer mir.

Aber wollte sie das wirklich?

Ich weiß ja nicht mal, in was für eine Zukunft ich zurückkäme.

Soziale Medien und Reality TV? Ein weltweites Faschistenreich? Oder vielleicht eine Mischung aus beidem?

Wie auch immer die Zukunft aussah, Chevie war entschlossen, den Timekey zu behalten, für den Fall, dass sie fliehen musste.

Sofern es ein Portal gibt. Und eine Kapsel oder eine Landeplattform am anderen Ende.

Sie müsste schon in eine ganz üble Situation geraten, damit sie ins Wurmloch sprang, ohne sicher zu sein, dass sie am anderen Ende auch wieder herauskam. Aber in diesem Jahrhundert schien es andauernd irgendwelche üblen Situationen zu geben – von den üblen Gerüchen mal ganz zu schweigen. Selbst die angenehmen Gerüche waren infiziert von dem, was sie zu überdecken suchten.

Apropos üble Gerüche: Sie waren jetzt vor einer weiteren Tür angelangt, die noch schwärzer war als die vorige und aus verdichtetem Schatten zu bestehen schien. Bewacht wurde die Tür von einem der stinkendsten Wesen, das Chevie je unter die bemitleidenswerte Nase geraten war. Mit geschlossenen Augen wäre sie nie auf die Idee gekommen, dass es ein Mensch war, so grauenvoll war sein Geruch und so bizarr das schnüffelnde Geräusch seines Atems. Die Uniform des Wachmanns sah aus, als wäre sie aus den Röcken gefallener Soldaten zusammengeflickt, und war gekrönt von einem absurden napoleonischen Hut, der in einem anderen Zusammenhang komisch gewirkt hätte.

»Breitband«, sagte Nancy und grüßte ihn mit einem Wippen ihrer Pfeife.

Chevie war überrascht. Hatte Nancy diesen speziellen Wachmann gerade mit »Breitband« angeredet?

Breitband erwiderte den Gruß mit einem knappen Nicken. »Schon wieder hier, Nance! Wie läuft das Feilschen?«

Nancy pfiff durch ihre Zahnlücke. »Ziemlich langsame Verbindung, Breitband.«

»Zu viel Verkehr«, sagte Breitband. »Da gibt’s schon mal ’nen Stau.«

Chevie blinzelte. Spielten die beiden ihr einen Streich, oder fing sie an zu spinnen?

»Breitband ist Ihr Name??«, fragte sie misstrauisch. »Wie kommt’s?«

Nancy antwortete, als wäre der Wachmann seinerseits zu langsam, um sich an den Grund für seinen eigenen Spitznamen zu erinnern.

»Wegen dem Gefängnishemd, das er früher immer im Winter anhatte. Von irgendwo aus dem Norden. Das hatte ein breites Band als Abzeichen statt dem Newgate-Pfeil. Stimmt’s nicht, Breitband?«

Chevie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Das war eine vollkommen nachvollziehbare Erklärung. Niemand wurde verrückt.

»Breitband«, sagte sie mit einem etwas hysterischen Lachen. »Wie schnell laden Sie denn runter?«

Der Wachmann überlegte einen Moment ernsthaft. »Also, ’nen Karren schaff ich in ’ner Stunde oder so, je nachdem, welche Stiefel und Handschuhe ich hab. Für ’n Kahn brauch ich allein ’nen ganzen Tag. Mit ’nem Kumpel weniger.« Dann fügte er in einem Anfall von Weisheit hinzu: »Wenn mehr Leute anpacken, geht’s schneller.«

Nancy lachte keckernd und tippte Breitband auf die Stirn. »Bist ’n kluges Kerlchen. Deshalb geben sie dir ja auch die Zellen mit den großen Nummern zu bewachen.«

Normalerweise hätten Riley und Chevie darüber gekichert, aber nicht heute. Heute gab Riley keinen Mucks von sich.

Er hat überhaupt nichts gesagt, dachte Chevie. Nicht seit wir diesen Trakt betreten haben.

Sie sah zu ihrem Gefährten hinunter. Sein blasses Gesicht schien in der Dunkelheit zu leuchten, und nach den Abenteuern der letzten Tage stand sein Haar in alle Richtungen ab.

Richtig mangamäßig, dachte Chevie. Er ist seiner Zeit voraus.

Doch trotz all der Erfahrungen, die er mit seinen vierzehn Jahren schon gemacht hatte, wirkte Riley immer noch wie ein kleiner Junge, als er ihre Hand umklammerte und auf die Zellentür starrte.

Was mag jetzt wohl in seinem Kopf vorgehen, kurz vor der lang ersehnten Begegnung mit seinem einzigen lebenden Verwandten?

Tatsächlich herrschte in Riley ein wildes Durcheinander aus Bildern und Gefühlen, die darum kämpften, die Oberhand zu gewinnen. Es war mehr, als sein junger Kopf verarbeiten konnte. Immerhin wusste Chevie einiges über die Zukunft. Und sie hatte ein wenig über die Vergangenheit gelernt. Riley hingegen war mit großen Augen und völlig ahnungslos durch das einundzwanzigste Jahrhundert getapst und fühlte sich jetzt wie ein Fremder in seiner eigenen Zeit.

Ginger Tom wird mein Anker sein, war der Gedanke, der schließlich durch den Mahlstrom in seinem Kopf drang. Es war ein guter, starker Gedanke, und er begann ihn leise vor sich hin zu murmeln.

Tartan Nancy zog eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts, denn sie war eigenartiges Verhalten beim Feilschen gewohnt. Ein alter Seebär hatte einmal mitten in der Verhandlung plötzlich mit der Stimme eines kleinen Mädchens gesprochen, was äußerst irritierend gewesen war. Aber auch überaus hilfreich, denn die Wärter hatten es kaum erwarten können, ihn loszuwerden.

»Seid ihr bereit?«, fragte sie.

Riley drückte noch einmal Chevies Hand, und seine Finger fühlten sich an wie Sardinen, so glitschig waren sie, aber sie hielt sie trotzdem fest – schließlich hatten sie zusammen schon schlimmere Flüssigkeiten erlebt als ehrlichen Schweiß.

»Ja«, sagte sie. »Ich will wissen, was an diesem Tom so besonders ist.«

Breitband zog einen an einer Kordel hängenden Schlüssel unter seinem Hemd hervor, und Chevie hätte beinahe dasselbe getan und gesagt: »Zwei Dumme, ein Gedanke!«, entschied sich dann aber weise dagegen, denn die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass der plötzliche Griff in irgendwelche Kleidungsteile in Gegenwart bewaffneter Männer oft dazu führte, dass der Greifer erschossen wurde.

Breitband schob den Schlüssel in ein Schloss, das groß genug war, um eine Maus hindurchzulassen, und drehte ihn geräuschvoll zweimal gegen den Uhrzeigersinn.

»Das Übliche?«, sagte er zu Nancy.

Nancy sprach mit Wachmännern nie laut über Geld, denn die durften – zumindest theoretisch – nicht mehr verlangen als das, was auf der Preisliste des Gefängnisdirektors stand. Stattdessen wippte sie zweimal mit ihrer Pfeife.

Breitband schüttelte den Kopf. »Nee, dafür reichen zwei nicht, Nance. Dieser Alte im Schatten gefällt mir nicht. Wenn du heute noch einmal feilschen willst, dann kostet dich das vier Goldstücke.«

Der Wachmann versperrte den Eingang zu Tom Rileys Zelle mit ausgestrecktem Arm, bis Nancy mit vierfachem Wippen ihrer Pfeife den geforderten Preis bestätigte.

Die Verhandlung

Die Zellentür quietschte nicht, wie man es von billigen Schundromanen kennt, denn diese spezielle Tür wurde häufig benutzt, und die Scharniere wurden regelmäßig mit Tierfett oder Lampenöl geschmiert. Diese Tür gehörte zu einer sogenannten Premium-Zelle, in der über das Schicksal besonderer Gefangener entschieden wurde. Zu den einstigen Insassen zählten unter anderem ein Mitglied der Familie Romanow und sogar ein Angehöriger der Königsfamilie, der nach einem Tag beim Pferderennen mit ein paar übermütigen Freunden aus Oxford auf Abwege geraten und festgenommen worden war.

Doch nun saß in dieser Zelle der einfache, unscheinbare Ginger Tom Riley, und Nancy Grimes verstand nicht so recht, was an diesem Schuldner so besonders war, dass für das Feilschen eine Premium-Zelle gemietet worden war.

In den guten alten Zeiten, dachte sie, wäre so ein gewöhnlicher Schuldner in die Stone Hall geworfen worden.

Die Tür stand nun offen, und das gespenstische Flackern eines Kerzenhalters an der Wand fiel auf rußgeschwärztes, von Löchern und Rissen durchzogenes Mauerwerk. Ein säuerlicher Geruch drang ihnen entgegen: Es war der Geruch von Verzweiflung und Verfolgung.

Oder schlichter Moder.

Nancy ging als Erste hinein, wie es sich gehörte, dann folgte Chevie, die Fäuste geballt und kampfbereit. Beschütze Riley, war ihr oberstes Ziel. Normalerweise war Riley durchaus in der Lage, sich selbst zu beschützen, da sein mörderischer Herr und Meister, Albert Garrick, ihn in den Kampfkünsten unterwiesen hatte, doch an diesem Tag war ihr Freund abgelenkt und nicht in bester Form.

Ein Elefant könnte sich unbemerkt an ihn heranschleichen, dachte Chevie und positionierte sich wie einen Schutzschild zwischen Riley und alles, was dort in der Zelle lauern mochte.

Das, was in der Zelle lauerte, waren vor allem diverse Schichten von Schatten und Finsternis, die das flackernde Kerzenlicht kaum zu durchdringen vermochte.

Als sich die Augen der Neuankömmlinge an die Dunkelheit gewöhnten (manche langsamer als andere), sahen sie, dass sich nunmehr sechs Personen im Raum befanden, obgleich einer der Anwesenden sich lediglich an seinen Stiefeln erahnen ließ, denn sonst war von seiner Gestalt in den tiefen Schatten neben dem Käfig nichts zu erkennen. Allerdings ließen die hohen Schäfte und die abgelaufenen Absätze darauf schließen, dass er groß, schlank und beweglich war.

Dies nahm jedoch nur Chevie wahr, denn Rileys ganze Aufmerksamkeit galt dem unglückseligen Gefangenen im Zellenkäfig.

»Tom«, sagte er. »Tom, bist du es wirklich? Kann es wahr sein?«

Riley glaubte, dass es tatsächlich wahr sein könnte. Auf jeden Fall hatte der Gefangene den kupferroten Haarschopf, an den er sich erinnerte, und sein Gesicht ähnelte dem, das Riley manchmal in seinen Träumen erblickte, obgleich es mit Schmutz und Blut bedeckt und vor Angst verzerrt war.

Rileys eigenes Gesicht hingegen schien wohl vor Hoffnung aufzuleuchten, denn Nancy kniff den Jungen in den Arm und warf ihm einen warnenden Blick zu.

»Reiß dich zusammen, Jungchen«, flüsterte sie. »Sonst verlieren wir diese Schlacht, bevor auch nur ein Schuss abgefeuert wurde.«

Der Letzte im Raum war Maccabee.

Sir James Maccabee.

Londons meistgefürchteter Anwalt. Der Anwalt, der fast ein halbes Jahrhundert zuvor berühmt geworden war, weil er den Kreuzzug gegen die Plage der Wegelagerer angeführt hatte. Es hieß, Sir James hätte mehr Hälse umgedreht als ein Truthahnzüchter. Ein passender Vergleich, denn hier saß er nun höchstpersönlich, die Weste bis zu seinem Truthahnhals zugeknöpft und glänzend wie ein ebensolcher Braten zur Weihnachtszeit.

Angst, erkannte Chevie. Dieser Maccabee macht sich fast in die Hose.

Genau derselbe Gedanke beschäftigte Tartan Nancy, obwohl sie es innerlich etwas anders formulierte: Was für ein übler Kerl muss dieser Lauerstiefel sein, wenn er es schafft, dass ein Mann wie Maccabee Fracksausen kriegt?

Riley hingegen scherte sich nicht den Teufel um den Anwalt oder den Lauerer. Seine Augen hingen an Tom, suchten dessen Gesicht und Körper nach vertrauten Anzeichen ab. »Sprich mit mir, Tommy«, flehte er. »Gib mir etwas, um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Es ist so lange her, und ich war noch so klein.«

Maccabee verschränkte die Finger und legte sie auf seinen mächtigen Bauch, und in dem Moment war es leicht, ihn sich im Gericht vorzustellen, mit der gepuderten Perücke auf dem Kopf.

»Nein, junger Mann«, sagte er. Seine Stimme war tief und wohlklingend, aber zittrig wie die eines Schauspielers bei der Premiere. »Er darf erst sprechen, wenn unsere Geschäfte abgeschlossen sind. Dieser Mann ist ein zum Tode verurteilter Schuldner, und als solcher hat er kein Recht auf Leben oder irgendetwas sonst, bis mein Klient zufrieden ist. Und ich muss sagen, dass du diese junge Dame mit hierher gebracht hast, ist kaum ein guter Einstieg in unsere Verhandlungen.«

Nancy warf Riley erneut einen finsteren Blick zu, damit er den Mund hielt, dann trat sie vor, zog ein paarmal in aller Ruhe an ihrer Pfeife und begann mit dem Feilschen.

»Kommen Sie, Sir, wir sind doch keine Heiden. Wir sind nicht in Schottland oder so. Wir sind zivilisierte Engländer, Gott schütze die Königin und so weiter. Wir sind zum Verhandeln hier, oder? Ich hab den Jungen hergebracht, wie Sie es wollten, und ich habe die junge Lady mitgebracht, wie er es wollte. Und jetzt müssen wir uns vergewissern, dass das Produkt auch echt ist und keine Fälschung.«

Maccabee blickte hinüber in die Schatten, bevor er auf diese Salve antwortete. Der Mann, der sich dort verbarg, ließ keine Reaktion erkennen, nicht einmal ein Stiefelzucken, doch Maccabee nickte eilig, als hätte er einen Befehl erhalten.

»Ich bedaure, Madam, aber diese Verhandlung ist nicht wie Ihre bisherigen, äh … Feilschereien. Mein Herr … ich meine, mein Auftraggeber ist nicht an Ihrem Angebot interessiert. Er hat seine Bedingungen, und die sind nicht verhandelbar.«

Nancy paffte, bis eine Gewitterwolke unter der Decke hing. »Bedingungen, ja? Bedingungen?! Wir sind hier nicht im Old Bailey, Sir James. Dies ist eine Feilschzelle, und wozu sind wir hier im Angesicht Gottes versammelt, wenn nicht zum Feilschen?«

Maccabee leckte sich über die fleischigen Lippen. »Bitte, Nancy, bitte. Um unser aller willen …«

Der Lauerer stampfte mit einem Stiefelabsatz auf, dass die Dunkelheit sich zu kräuseln schien. Die Bedeutung war klar: Maccabee hatte zu viel gesagt.

Riley hörte nur mit einem Ohr zu, denn mit dem Rest seiner Sinne konzentrierte er sich auf den Mann im Käfig. Tom war noch ein Junge gewesen, als sie sich zuletzt gesehen hatten, kaum älter als er jetzt. Es war mehr als zehn Jahre her, seit sie ein gemeinsames Zimmer gehabt hatten, und da war Riley noch ein Knirps gewesen.

Konnte dies Tom sein?

War er es?

Etwas zupfte an seinem Herzen. Vielleicht wusste sein Instinkt, was sein Gehirn nicht erfassen konnte.

Der Knall des Stiefelabsatzes holte ihn zurück ins Hier und Jetzt.

»Euer Ehren«, sagte Riley zu Maccabee. »Bitten Sie Ihren Auftraggeber, seine Bedingungen zu nennen, denn es muss ihm doch um mehr gehen, als mich in diesem elenden Loch schmoren zu lassen.«

Maccabee saß auf einem ramponierten Hocker in der Ecke, genau gegenüber dem Lauerer. Der Hocker wackelte und rumpelte auf dem unebenen Boden.

»Es gibt Bedingungen«, sagte er. »Oder genauer gesagt, eine Bedingung. Und die ist nicht verhandelbar. Entweder ihr willigt ein, oder ihr lasst es, wie es euch beliebt.«

Nancy spuckte auf den Boden. »Hab ich recht gehört? Eine Bedingung? Nicht verhandelbar? Was ist denn das für eine Feilscherei? Kommen Sie aus dem Schatten, Sie Lauerer, oder muss ich Sie da rausziehen?«

Maccabee sprang so schnell auf, dass der Hocker umkippte und er selbst nach vorne stolperte, da er fast das Gleichgewicht verloren hätte. »Still, Weib«, zischte er und richtete sich wieder auf. »Und hüten Sie sich. Oder wollen Sie, dass wir alle unter der Erde landen?«

Da kam ein Geräusch aus der Ecke des Lauerers – ein trockenes Scharren, wie wenn eine rostige Klinge über einen Stein gezogen wird. Es klang wie ein Husten oder ein Kichern aus der Kehle eines Irren. Was immer es war, es war nicht dazu angetan, Maccabees Nerven zu beruhigen.

»Wir müssen das Geschäft abschließen und von hier verschwinden«, jammerte er. »Wir müssen zum Ende kommen, glauben Sie mir.«

Nancy war verärgert und verwirrt. Der Vorteil sollte ganz klar auf ihrer Seite liegen, schließlich war ihr Gegner angespannter als die Feder einer Uhr, und doch fühlte sie sich überlistet. »Sie sind doch Sir James Maccabee, oder? Der Mann, der die Straßen des Königreichs von den Wegelagerern befreit hat?«

Maccabee hatte offenbar genug von Nancys Frechheit.

»Halten Sie den Mund, verdammtes Weib«, donnerte er, und für einen Moment war er wieder der legendäre Löwe des Old Bailey. »Das Einzige, was zur Freilassung von Thomas Riley aus dem Gefängnis von Newgate führen wird, ist Folgendes: ein Riley gegen den anderen. Ein schlichter Tausch.«

Nancy starrte ihn nur fassungslos an, denn eine solche Bedingung hatte sie in den dreißig Jahren, die sie nun schon als Feilscherin tätig war, noch nie gehört.

Chevie, die vor Empörung loderte, ergriff zum ersten Mal, seit sie die Zelle betreten hatte, das Wort. »Okay. Das reicht jetzt. Wir machen die Biege.«

Drei einfache, kurze Sätze, aber sie hatten eine fulminante Wirkung. Riley reagierte sofort und wich von ihr zurück, als wäre Chevie der Feind.

»Nein, Chevie«, sagte er. »Nein. Das ist meine Entscheidung. Ganz allein meine.«

Nancys Erwiderung folgte auf dem Fuß. »Keiner verlässt den Saal. Nicht bis der Handel abgeschlossen ist. Solange ich im Dienst bin, gibt’s hier keine Amateurabgänge.«

Doch die überraschendste Reaktion kam vom Lauerer. Überraschend vor allem deshalb, weil er überhaupt reagiert hatte. Nicht dass er mit den Armen gefuchtelt oder den Kopf gegen die Wand geschlagen hätte, aber in Anbetracht dessen, dass sein einziger Beitrag zu den Verhandlungen bisher in einem Stiefelstampfen und, möglicherweise, einem spöttischen Lachen bestanden hatte, war es erstaunlich zu sehen, dass die Stiefel bei Chevies anachronistischen Sätzen mit lautem Scharren ganz im Schatten verschwanden. Und noch viel überraschender war der Anblick, wie sich die dunkle Gestalt des Lauerers zu voller Größe aufrichtete und eine Hand im flackernden Kerzenlicht erschien.

Die Hand bewegte sich langsam, und alle Anwesenden folgten ihr wie hypnotisiert mit den Augen, als wäre es der Kopf einer giftigen Schlange. Sie war bleich und von einer Samtmanschette umrahmt, und die langen Finger tasteten durch die Dunkelheit, als wollten sie das Echo von Chevies Worten einfangen. Doch dann hielten sie inne, als hätten sie es sich anders überlegt, rollten sich zu einer lockeren Faust zusammen und verschwanden. Die anderen standen ratlos und wie versteinert da.

»Na«, sagte Nancy. »Das nenn ich ’ne feine Begrüßung.«

Der Mann, der vielleicht Tom war, verstieß gegen den Schweigebefehl, den man ihm auferlegt hatte. »Bitte«, flehte er. »Habt Erbarmen, bitte. Ich habe nichts getan.«

»Ich mach’s!«, stieß Riley aus. »Ich willige ein. Ich für ihn. Eine Seele für die andere.«

Maccabee stürzte so eilig durch den Raum, dass er beinahe gefallen wäre, und packte Rileys Hand. »Einverstanden«, sagte er und spuckte auf die verschlungenen Hände, um den Handel zu besiegeln, weil er mal gehört hatte, dass die niederen Klassen auf diese Weise ihre Geschäfte abschlossen.

»Hol Sie der Teufel, Maccabee«, fluchte Nancy. »Wusste gar nicht, dass Sie so fix sein können, wenn Sie wollen.«

Maccabee stieß einen so mächtigen Seufzer aus, dass seine Lippen flatterten. »Die Sache ist besiegelt, Madam. Eingeschlagen und draufgespuckt.«

Normalerweise war Chevie stolz auf ihre schnelle Reaktionsfähigkeit, aber für jemanden, der in der prozesssüchtigen amerikanischen Gesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts aufgewachsen war, war dieser Handel in Blitzgeschwindigkeit abgeschlossen worden. Kein Hin und Her. Kein gespielter Unglaube. Keine Hände, die in die Luft geworfen wurden. Einfach nur zack, bumm, fertig. Schütteln, spucken und Schluss. Ihr Freund hatte sich soeben selbst zum Tod verurteilt.

»Oh nein, nein, nein«, protestierte sie, als hätte sie ein paar ungezogene Kinder vor sich, die nach Narnia durchbrennen wollten. »So läuft das nicht, solange ich hier bin. Dieser Deal stinkt dermaßen zum Himmel, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.«

Doch Riley war auf ihre Einwände gefasst. »Ich weiß, was du sagen willst, Chevie. Dass es vielleicht gar nicht Tom ist. Oder dass wir nicht wissen, was ihm vorgeworfen wird.«

»Genau«, sagte Chevie. »Und nichts gegen diesen sogenannten Tom, aber was mich betrifft, könnte er auch Lady Gaga mit Perücke sein. Ganz zu schweigen davon, dass dieser komische Kerl in der Ecke mit uns spielt. Nein danke. Das stinkt. Wir hauen ab. Elvis und sein Gefolge verlassen den Saal.«

Riley kniff die Augen zusammen, als könne er Chevie damit ausblenden. »Ich habe keine andere Wahl, Chevie. Wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass das hier mein Bruder ist, dann muss ich sie ergreifen. Ich muss.« Riley fiel ein unwiderlegbares Argument ein, und er öffnete die Augen, um es vorzubringen. »Wenn das da dein Vater wäre, Chevie, würdest du nicht alles tun, was du könntest, um ihn zu retten?«

Chevie wich zurück. Es war grausam, ihr dieses Argument vor die Füße zu schmettern, aber Riley hatte recht – sie würde alles tun, um ihren Dad davor zu bewahren, auf dem Pacific Coast Highway mit seiner brennenden Harley in den Tod zu fahren, auch wenn es bedeutete, seinen Platz einzunehmen. Sie würde es tun, ohne Zögern und ohne jede Garantie.

Maccabee blickte zur Decke und warf die Arme in die Luft. »All das ist bedeutungslos. Der Handel ist geschlossen. Mit Handschlag. Das ist rechtsgültig und unumstößlich. Fragt eure Feilscherin, wenn ihr daran zweifelt.«

Chevie wandte sich zu Nancy, die gerade ihre Pfeife neu stopfte. »Stimmt das? Reicht der Handschlag aus?«