Im Herzen eines jeden Menschen leben zwei Wölfe.
Der eine ist weiß und strahlt wie die Mittagssonne, der andere ist schwarz wie die mondlose Nacht. Der schwarze Wolf knurrt, ist rachsüchtig und gierig. Der weiße aber ist sanft, gütig und weise. Welchen der beiden Wölfe in dir willst du füttern? Dieses Buch zeigt, was wir selbst dafür tun können, um die Eigenschaften des weißen Wolfs zu entwickeln und das Gute und Lichtvolle in uns zu stärken. Unterhaltsame Weisheitsgeschichten aus der ganzen Welt regen zum Nachdenken an, gefolgt von praktischen Übungen und Meditationen zu Verbundenheit, Dankbarkeit, Achtsamkeit, Mitgefühl und Vertrauen.
Ronald Schweppe · Aljoscha Long
Füttere den weißen Wolf
Weisheitsgeschichten, die glücklich machen
Kösel
Inhalt
Ich sind zwei – ein Hinweis in eigener Sache
Die zwei Wölfe
Fütterungsempfehlungen für den weißen Wolf
Schöne bunte Farben für ein schönes buntes Leben
Die eigensinnige Gärtnerin
Meditation: Was übersehe ich gerade?
Der König und der Holzsammler
Meditation: Nichts tun für Anfänger
Schwarze Wölfe lieben Stress
Die drei Ziegen
Das Geheimnis der Zufriedenheit
Die Jade-Schlange
Wunschlos glücklich im Universum
Die Schwätzerin
Vom edlen Schweigen
Meditation: Der Stille zwischen den Worten lauschen
Die Zeit ist knapp
Denk an die arme Gans!
Meditation: Innehalten für Fortgeschrittene
Die Höhlenhunde
Gefühle im Spiegel
Der Tuchhändler
Positiv denken ist nur die halbe Miete
Herzmeditation für dich und deinen »Feind«
Der Ring des Königs
Vom Segen der Vergänglichkeit
Wechselwetter
Worauf wartest du?
Achtsamkeitsexperiment: »Man könnte es auch so sehen«
Die Mönche und das Mädchen
Vertraue der Intelligenz deines Herzens
Die schwere Frage
Nicht eingreifen
Der Goldfischteich
Manches können wir nicht verstehen
Der Reiche und der Schneider
Haben oder Sein
Das Duell
Den bösen Wolf schlafen lassen
Die Samatha-Meditation
Die Meisterschaft
Vollkommen bei dieser einen Sache bleiben
Die Glückseligkeit des Einsiedlers
Vom Zauber des Unscheinbaren
Achtsamkeitsexperiment: »Ein kleines Stückchen Himmel«
Die drei schönen Schwestern
Die Saat der Güte
Das 10-Cent-Experiment
Der unglückliche Steinmetz
Sei, der du bist
Der traurige Krug
Mehr Mut zum Sprung in der Schüssel
Die vier Schätze
Der Diamant in deinem Herzen
Die Vipassana-Meditation
Der Berg
Mühelos Berge versetzen
Der Kalif und der Flickschuster
Vertrauen, Flexibilität und Güte – drei Abwehrmittel gegen schwarze Wölfe
Himmel und Hölle
Der Himmel in dir
Deine Gefühle sind kein Problem
Achtsamkeitsexperiment: »Steig nicht in die Geschichte ein«
Schöner Wang und Affengesicht Wang
Schön und gut
Der sorgenvolle Pilger
Füttern verboten!
Meditation: »Kein Kommentar«
Wolf und Hund
Sicher in Freiheit, frei in Sicherheit
Achtsamkeitsexperiment: »Entdecke deine Möglichkeiten«
Der junge Dieb
Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet
Achtsamkeitsexperiment: »Meinungsfreiheit«
Das Versteck der Weisheit
Weisheit: Basisfutter für den weißen Wolf
Meditation: »Technik der Nicht-Technik«
Der Alte, der die Zukunft nicht kannte
Gewinn, Verlust und andere Illusionen
Der Wunsch
Fisch oder Fleisch?
Entscheidungshilfen für Unentschlossene
Der besonnene Handwerker
Arbeit als Weg
Achtsamkeitsexperiment: »Liebe, was du tust«
Die Henne und der Adler
Sei kein Huhn!
Die Belehrung
Die verwandelnde Kraft von Aha-Erlebnissen
Der aufmerksame Prinz
Vom Glück der Einfachheit
Dankbarkeitstraining
Was brauche ich wirklich?
Spuren im Sand
Love is all you need
Metta-Meditation über die liebende Güte
Vergiss die Quelle nicht – dich selbst!
Der Dieb
Quellen
Über die Autoren
Jede Geschichte, die deine Gefühle berührt,
hat die Kraft, dich zu verändern
und dich wachsen zu lassen.
Ich sind zwei –
ein Hinweis in eigener Sache
Wie du siehst, stehen auf dem Cover zwei Autoren. Das soll auch so sein, da wir dieses Buch ja zu zweit geschrieben haben. Dennoch wirst du im Folgenden immer wieder einmal das Wort »ich« finden, denn auch wenn wir wie bei unseren anderen Büchern wieder eng zusammengearbeitet haben, so sind wir doch zwei verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen. Hinter jedes »ich« eine Klammer mit dem jeweiligen Namen zu setzen, sähe nicht schön aus und brächte dir auch keinen Nutzen. Wer jeweils mit »ich« gemeint ist, bleibt also offen. Das macht aber nichts, denn das, was wir »ich« nennen, ist ohnehin sehr wandelbar, und das ist – wie du bald merken wirst – von unschätzbarem Vorteil.
Wir wünschen dir viel Freude beim Lesen und hoffen, dass du in den Geschichten aus aller Welt viele motivierende Anregungen, Erkenntnisse und Inspirationen finden wirst.
Ronald Schweppe und Aljoscha Long,
München 2016
Die zwei Wölfe
(aus Amerika)
Unter dem weiten Sternenhimmel, unter dem Licht des Ahnenmondes, unter der Decke des Großen Geistes saßen Roter Hirsch, der Älteste des Volkes, und Kurzer Pfeil, der Sohn seines Enkels, am wärmenden Feuer. Es war die erste Lange Jagd Kurzen Pfeils gewesen; die Jagd, die ihn zum Mann machen sollte. Schweigend saßen sie eine Weile, lauschten der Stille und den eigenen Gedanken.
»Großvater«, begann der Junge zögerlich, »ich soll ein Jäger werden und ich habe mit deiner Hilfe nun meine erste Lange Jagd beendet. Doch die Ruhe will nicht in mein Herz einkehren. Heiter und fröhlich ging ich mit dir auf meine erste Jagd, doch bald war ich unruhig und traurig, weil ich keine Spuren fand. Als du mir sie zeigtest, wurde ich sogar wütend und vertrieb mit meinen lauten Worten das Büffelkalb, das wir sonst erlegt hätten. Am Morgen war mein Herz weit vor Freude über den Himmel, die Erde und das Wasser, doch am Nachmittag hasste ich die Sonne, die Menschen und mich selbst. Warum ist das so, Roter Hirsch, Vater meines Vaters Vater?«
Roter Hirsch sah in den Himmel hinauf, sah ins Feuer, sah in sein Herz. Nach langem Schweigen sprach er schließlich: »Seit Anbeginn der Welt, noch bevor der Coyote, der Trickreiche, durch die Prärie streifte, noch bevor unser Volk auf Pferden ritt, leben im Herzen eines jeden Menschen zwei Wölfe. Der eine ist weiß und strahlt wie die Mittagssonne, der andere ist schwarz wie die mondlose, wolkenverhangene Nacht. Erbittert kämpfen beide miteinander.«
»Kämpfen diese Wölfe denn auch in meinem Herzen?«, fragte Kurzer Pfeil und legte die Hand auf seine Brust.
»Ja, auch in deinem Herzen«, nickte der Alte. »Auch in meinem Herzen, auch in dem deiner Schwestern und Brüder, deines Vaters und deiner Mutter. Sie leben und kämpfen im Herzen eines jeden Menschen. Doch die Wölfe unterscheiden sich nicht nur in der Farbe ihres Fells. Der schwarze Wolf fletscht die Zähne, er droht und knurrt und beißt, er ist rachsüchtig, grausam und gierig. Der weiße Wolf aber ist klug, sanft und liebevoll. Er liebt die Menschen und ist gütig und weise.«
Kurzer Pfeil sah lange in die Glut des erlöschenden Feuers. Schließlich fragte er leise: »Wird aber nicht der schwarze Wolf den weißen töten? Ist nicht im Kampf der Wütende dem Sanften überlegen? Und was geschieht, wenn der schwarze Wolf den weißen Wolf erst besiegt hat?«
»Kurzer Pfeil, denk nach: Kannst du den großen Helden Tamahanaka besiegen, nur weil du voll Wut bist?«
»Nein. Es kommt auf die Stärke und das Können an. Aber welcher Wolf ist nun der stärkere? Welcher wird den Kampf gewinnen?«
»Der, den du fütterst«, antwortete der Alte.
Fütterungsempfehlungen
für den weißen Wolf
Die Geschichte von den beiden Wölfen zeigt, dass Glück vor allem eine Frage der Entscheidung ist. Und da das so ungeheuer wichtig ist, schreibe ich es hier lieber gleich noch einmal hin, schwarz auf weiß:
Dein Glück ist deine Entscheidung!
Sicher ist die Entscheidung oft nicht gerade leicht, aber doch sehr viel öfter als du wahrscheinlich glaubst. Denn sogar wenn wirklich schlimme Dinge passieren und dir das Schicksal übel mitspielt, hast du doch immer noch eine Wahl. Und wenn du mich fragst, ist das allemal besser, als keine zu haben: Wer die Wahl hat, hat nämlich nicht nur die Qual, sondern auch die Freiheit – und nur darauf kommt es an. Denn die Freiheit gehört zum erfüllten Mensch-Sein.
Welchen Wolf wirst du in deinem Herzen füttern? Der schwarze ist voller Unruhe, Angst und Wut, er regt sich leicht auf und wird schnell neidisch. Der weiße Wolf ist das genaue Gegenteil: Er bleibt auch in schwierigen Situationen gelassen, ist entspannt, heiter und voller Lebensfreude.
Natürlich variieren die Kräfteverhältnisse. Mal ist der eine stärker, dann wieder der andere. Manche Menschen tragen von Haus aus einen riesigen schwarzen Wolf mit sich herum, während andere den ihren kaum bemerken, weil er winzig ist. Doch über kurz oder lang wird immer der Wolf gewinnen, um den du dich besser kümmerst.
Die Entscheidung liegt tatsächlich ganz bei dir: Fütterst du deine Sorgen, Ängste und Selbstzweifel, so werden diese mit der Zeit immer stärker. Wenn du hingegen positive Gedanken und Gefühle in dir nährst, dann werden die negativen mit der Zeit von selbst verschwinden. Da du dieses Buch in den Händen hältst, denken wir mal, dass du dich für letztere Möglichkeit entschieden hast. Und so fragt sich eigentlich nur noch, wie du den weißen Wolf füttern kannst, denn es ist ja klar, dass ein saftiges Steak dir hier nicht weiterhelfen wird.
In freier Wildbahn können Wölfe viele Tage ohne Futter überleben. Auch in Zoos oder Wildparks werden sie oft nur alle zwei bis drei Tage gefüttert. Doch was den weißen Wolf in deinem Herzen betrifft, der frisst lieber jeden Tag viele kleine Häppchen. Und genau diese Häppchen wirst du in diesem Buch finden: Da sind zum einen Geschichten und Märchen, die dich inspirieren können. Zum anderen findest du Meditationen: einfache mentale Übungen und kleine Achtsamkeitsexperimente, die du jederzeit anwenden kannst. Schließlich wirst du noch Kapitel mit Gedanken und Reflexionen finden, die ebenfalls dabei helfen, den weißen Wolf in dir groß und stark werden zu lassen.
Du kannst das Positive in dir jederzeit und überall nähren. Es gibt keine Regeln, wie du mit den Geschichten und Methoden in diesem Buch umgehen musst oder solltest. Eines aber möchte ich dir doch empfehlen: dass du ihn nie vergisst, den weißen Wolf, der in deinem Herzen wohnt, und dass du ihn nicht verhungern lässt.
Schöne bunte Farben
für ein schönes buntes Leben
Vor vielen Jahren erzählte mir eine befreundete Yogalehrerin bei einer Tasse Tee von einem interessanten Experiment. Es legt nahe, dass es unter den Menschen zwei »Grundtypen« gibt.
Die Versuchsteilnehmer wurden dazu aufgefordert, ein Hotelzimmer zu betreten und sich kurz umzusehen. Es handelte sich um ein ganz normales deutsches Mittelklasse-Hotelzimmer. Anschließend wurden sie gebeten, stichpunktartig ihre Eindrücke zu notieren. Der eine Teil der Gruppe freute sich über die großen Fenster und den tollen Ausblick auf einen nahe gelegenen See. Sie empfanden das Zimmer als hell und freundlich, und ihre Aufmerksamkeit fiel schnell auf das gemütliche Sofa in der Ecke, das dem Raum ihrer Ansicht nach zusammen mit dem alten, stilvollen Parkettboden eine heimelige Atmosphäre verlieh.
Den anderen fiel sofort der kaputte Lampenschirm auf, und sie merkten an, dass die Fenster nicht ordentlich geputzt waren. Fast alle Teilnehmer der »Negativgruppe« fanden, dass das Sofa abgenutzt und schmuddelig wirkte, und einigen fielen die zahlreichen Kratzer im Holzboden auf. Viele bemängelten zudem, dass es im Zimmer weder Fernseher noch Minibar gab.
Während also ein Teil der Versuchsteilnehmer das Zimmer mäßig oder bestenfalls ganz okay fand (übrigens der deutlich größere Teil), fanden die anderen das Zimmer sehr gemütlich und ansprechend und wären gerne für ein paar Nächte geblieben.
Wie kann das sein? Es war doch ein und dasselbe Zimmer. Hatte der eine Teil der »Hotelgäste« eine rosa Brille auf, während die anderen die Dinge realistisch sahen? Oder waren die Miesepeter und -petras umgekehrt diejenigen, die die Realität nicht sehen konnten?
Die Antwort ist einfach: Keiner hat hier recht oder unrecht. Ob etwas als schön oder schmuddelig empfunden wird, liegt eben im Auge des Betrachters. Die Binsenweisheit, wonach das halb gefüllte Glas Wein abhängig von der Perspektive halb voll oder halb leer ist, ist zwar reichlich abgenutzt, stimmen tut sie aber trotzdem. Das Sofa jedenfalls kann nichts dafür, ob wir es als gemütlich oder als alt und abgenutzt wahrnehmen; es steht einfach nur unschuldig in der Ecke, für alle Interpretationen offen.
Es gibt einen alten Vers, dessen Verfasser anonym ist:
»Zwei Männer saßen einst für lange Zeit in einer Zell’ gefangen,
der eine sah auf Straßenstaub, der andre Sterne prangen.«
Was hat das alles mit dem weißen Wolf zu tun? Ganz einfach: Ob du ein glückliches, zufriedenes und sinnvolles Leben führen kannst oder nicht, das hat gar nicht so viel mit den äußeren Dingen und Umständen zu tun. Vielmehr ist die Frage, wie du diese Dinge und Umstände interpretierst. Und das wiederum hängt nicht so sehr von der Tönung deiner Brillengläser, sondern vor allem davon ab, auf was du deinen Blick wirfst; oder um ein etwas aus der Mode geratenes Wort zu verwenden: Es ist deine Ausrichtung, die entscheidet.
Die eigensinnige Gärtnerin
(aus Frankreich)
Der Garten der alten Wirtin sah eigentümlich aus. Auf der sonnenabgewandten Seite des Hauses wucherte Unkraut; vorn, an der sonnenzugewandten Seite wuchsen Blumen. Das war aber nicht das Eigentümliche, sondern dies: Das Unkraut gedieh prachtvoll, es wucherte und stand voll im Saft; der Blumengarten hingegen bot einen tristen Anblick. Die wenigen Blumen sahen kraftlos aus und ließen die Köpfe hängen.
Endlich überwand ein Nachbar seine Scheu; seine Neugierde wurde zu stark. Als er der Alten begegnete, fragte er daher: »Liebe Frau Wirtin, verzeiht mir bitte, wenn ich frage. Aber sagt mir doch einmal, wie kann es eigentlich sein, dass in Eurem hinteren Garten das Unkraut so kraftvoll wuchert, aber die schönen Blumenbeete in Eurem Vorgarten brachliegen und welken?«
Die Wirtin sah ihren Nachbarn an und nickte traurig. »Ja, mit Eurer Beobachtung habt Ihr wohl recht, Herr Nachbar. Es ist traurig, aber wahr: Täglich gieße ich meinen Garten, aber das Wasser reicht nicht aus. Mit zwei großen Eimern Wasser trete ich durch die Hintertür in den Garten, aber nachdem ich die Rückseite gewässert habe, bleibt für die Blumenbeete nichts übrig, und dann bin ich zu erschöpft, um die Eimer erneut zu füllen.«
Meditation:
Was übersehe ich gerade?
Manchmal verbringen wir ganze Tage wie in einem Tunnel. Unser Blick wird dann sehr einseitig und ist fast ausschließlich auf die negativen Seiten unseres Lebens fixiert. Statt uns über das Blumenbeet am Straßenrand zu freuen, marschieren wir fest entschlossen auf das Unkraut zu.
Jedes Mal, wenn du dir Sorgen machst, dass etwas passieren könnte, was du auf keinen Fall willst, oder dass du das, was du so gerne hättest, nicht bekommen wirst, gießt du das Unkraut in deinem Garten. Wann immer du in endlosen Schleifen über Probleme nachgrübelst, frustriert oder verängstigt bist oder wenn dein Geist verwirrt und zerstreut ist, dann bist du nicht »voll da«. Dann siehst du nur eine Seite, nur eine Möglichkeit, und dein Leben wird eng und einseitig. Na gut – vielleicht nicht gleich dein ganzes Leben, aber es reicht schon, wenn dir immer wieder wertvolle Lebenszeit entgeht, nur weil du durch die Sorgenbrille schaust.
Die folgende kleine Meditation ist eine Art »Achtsamkeits-Turboübung«. Mit einer simplen Frage erweiterst du deinen Horizont schlagartig. Dein Blick weitet sich und du schaltest den Strahl deines Bewusstseins von Taschenlampe auf Flutlicht um. Manchmal ist die Wirkung so intensiv, als bräche die Sonne an einem düsteren Tag durch die Wolken. Und ganz egal, ob du auf dem Sofa, im Auto oder im Konferenzraum sitzt, du kannst diese Meditation überall ausführen.
Hier die Kurzanleitung:
Atme zunächst einmal tief durch: Atme tief ein und dann ganz tief aus. Um bewusst aus Gedankenschleifen, Sorgen, Grübeln, Ärger usw. auszubrechen, sagst du dir innerlich »Stopp!«.
Und jetzt – halte kurz inne, schau dich um und stelle dir folgende Frage: Was ist in diesem Moment noch da?
Ich empfehle dir, nun schrittweise vorzugehen:
Wiederhole die Punkte 1 bis 3 dann noch ein- oder besser zweimal.
Das war’s schon. Nun kannst du dich wieder deinem Alltag widmen. Solltest du aber bemerken, dass du schon bald wieder auf das Unkraut zusteuerst, dann wiederhole den ganzen Zyklus einfach noch einmal.
Und hier noch ein paar konkretere Hinweise:
Wenn du irgendwann während des Tages bemerkst, dass deine Gedanken in eine Richtung abschweifen, die dich runterzieht – wenn du dich zum Beispiel über einen vergangenen Streit ärgerst, dir Sorgen wegen eines unangenehmen Termins machst, an dir selbst zweifelst oder über Probleme nachgrübelst –, dann solltest du dich fragen, was abgesehen von diesen Gedanken und Gefühlen eigentlich noch da ist.
Denke kurz »Stopp!«, atme tief durch und wende dich dem zu, was in diesem Augenblick in der wirklichen Welt in dir und um dich herum passiert.
Zuerst frage dich: »Was sehe ich?« Denk aber nicht lange nach – schau dich einfach um. Ganz egal ob du den Himmel, ein Auto, einen Menschen oder Bäume siehst – öffne einfach deinen Blick für das, was da ist. Verweile kurz bei dem, was du siehst. Schau etwas genauer hin als sonst, aber nicht, um es zu bewerten oder zu verurteilen, sondern einfach nur, um die Farben und Formen, also das wirklich Sichtbare, besser wahrnehmen zu können. Mache innerlich ein paar Schnappschüsse von deiner Umgebung.
Konzentriere dich jetzt auf das Hören: »Was höre ich?« Ob du Motorengeräusche, Vogelgezwitscher, Geräusche im Haus oder Stimmen hörst, ist dabei ganz unwichtig. Lausche dem Klang, tauche kurz aber tief in das Hören ein.
Und nun zur letzten Frage: »Was fühle ich gerade in meinem Körper?« Achte auf Körperempfindungen, die stark genug sind, dass sie dir im Moment bewusst werden. Vielleicht kannst du Anspannungen im Rücken, ein Kribbeln in den Füßen, Wärme in den Händen oder die Entspannung im Bauch spüren. Was es auch sei – verändere nichts. Nimm einfach nur achtsam wahr, was gerade spürbar ist.
Mit zwei bis drei Durchgängen wird es dir normalerweise gelingen, das Gedankenkarussell anzuhalten und wieder entspannt im Hier und Jetzt zu landen. Das klappt zwar nicht immer, aber doch sehr oft – und übrigens umso öfter, je öfter du diese »Aufwachübung« einsetzt. Dann verändert diese einfache Methode nicht nur diesen Augenblick, sondern auch den darauf folgenden und den darauf folgenden …
Der König und der Holzsammler
(aus Spanien)
Eines Tages beschloss der König, sich als reisender Kaufmann zu verkleiden, um sich im Volk umzuhören, damit er besser regieren könne, denn er war ein weiser und gütiger König. Er traf auf Geizkrägen und Betrüger, auf Großherzige und Rechtschaffene, auf Arme und Reiche, auf Kluge und Dumme. Nachdenklich geworden, machte sich der König auf die Heimreise.
Da kam er an eine Hütte im Wald, in der ein armer Holzsammler mit seiner Familie wohnte. Der König, der als reisender Kaufmann gekleidet war, bat um Wasser, Brot und ein Bett für die Nacht, und es wurde ihm gerne gewährt. Abends saß er mit dem armen Holzsammler vor der Hütte. Der holte ein wenig Brot, Wein und Käse aus der Speisekammer und sie sprachen lange miteinander. Der König stellte fest, dass der Holzsammler ein kluger und gebildeter Mann war, und er wunderte sich, dass er in solcher Armut lebte. Und so fragte er ihn, wie er denn seinen Tag verbringe.
»Nun«, antwortete der Holzsammler. »Das ist schnell erzählt. Ich gehe morgens in den Wald und sammle eine große Kiepe Holz. Dafür bekomme ich ein paar kleine Münzen und kann Brot, Wein und Käse kaufen. Dann spiele ich mit meinem Sohn, wir besuchen Freunde, trinken ein Gläschen Wein und singen gemeinsam, und wenn die Sonne schön warm scheint, sitze ich vor dem Haus und lese ein bisschen. Und abends liebe ich meine Frau.«
Der König runzelte die Stirn. »Aber warum gehst du nicht noch einmal in den Wald und sammelst mehr Holz?«
»Warum denn das?«, fragte der Holzsammler erstaunt.
»Nun sieh: Dann bekommst du mehr Geld. Und dieses zusätzliche Geld kannst du sparen. Dann kannst du einen Gehilfen anstellen und verdienst noch mehr. Wenn du genug verdient hast, kannst du ein Haus in der Stadt beziehen und das Brennholz von Holzsammlern ankaufen und teurer verkaufen, und schließlich wirst du ein reicher Kaufmann sein, der vielleicht sogar mit dem Königshaus handelt und wer weiß? möglicherweise vom König als Hoflieferant bestallt!«
Der Holzsammler schloss kurz die Augen und dachte angestrengt nach. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Ich verstehe Euch nicht, lieber Herr.«
»Nun«, sagte der König etwas unwirsch. »Das ist doch klar. Du kannst doch ganz leicht eine hohe Stellung erreichen. Und hast du das – ja, dann kannst du tun, was du willst! Dann kannst du alles kaufen, hast Zeit mit deinem Sohn zu spielen, deine Freunde zu besuchen, ein Gläschen Wein zu trinken und wenn die Sonne schön warm scheint, kannst du in deinem Garten sitzen und lesen. Und abends liebst du deine Frau.«
Da lächelte der arme Holzsammler, klopfte dem König freundschaftlich auf die Schulter und sprach: »Mein Lieber, ich glaube du hast schon ein Gläschen Wein zu viel getrunken. Geh zu Bett.«
Als der König des Morgens aufbrach, hatte er ein großes Lächeln auf dem Gesicht, denn er wusste jetzt, was wahrer Reichtum ist.
Meditation:
Nichts tun für Anfänger
Wann hast du das letzte Mal gar nichts getan? Ich meine jetzt nicht, wann du auf dem Sofa ferngesehen, gelesen oder Musik gehört hast, sondern wann du wirklich überhaupt nichts gemacht hast?
Man sollte ja meinen, dass es nichts Leichteres gibt, als einfach nur nichts zu tun. Allerdings habe ich festgestellt, dass das ganz und gar nicht einfach ist. Manchmal ist es im Alltagstrubel schon schwer genug, überhaupt mal eine Pause einzulegen. Aber selbst wenn das klappt, werden die Pausen meist »genutzt«, um etwas zu lesen, zu telefonieren, sich mit Leuten zu unterhalten, Kaffee zu trinken oder eine Zigarette zu rauchen.
Ebenso wie dem Holzsammler fällt es Kindern und Verliebten leicht, einfach nur zu sein und den Wolken beim Schweben zuzuschauen. Alle anderen sind in der Kunst des Nichtstuns jedoch weitaus weniger begabt. Viele von uns verhalten sich, als würden ihre Akkus ewig halten. Das ist bedauerlich, denn erstens halten die Akkus nicht wirklich ewig, was wir leider erst merken, wenn wir seelisch oder körperlich krank werden; und zweitens hindert uns die ständige Geschäftigkeit daran, öfter einmal vom Tun- in den Seinsmodus umzuschalten.
Der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal schrieb schon vor über 350 Jahren, dass alles Unglück der Menschen nur von einem Einzigen herrührt – »dass sie es nicht verstehen, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben«. Natürlich musst du aber gar nicht in deinem Zimmer bleiben, denn Nichtstun klappt auch im Wald, am Strand, im Zug oder auf einer Parkbank ganz hervorragend. Die »Technik« ist einfach. Nimm dir einige Minuten Zeit, in denen du absolut nichts tust:
Schwarze Wölfe lieben Stress
Statt nach immer mehr zu streben, kannst du ebenso gut entspannt und in Muße leben – so wie der Holzsammler in der Geschichte mit dem König. Auf ein Schloss und eine Segelyacht musst du dann zwar wahrscheinlich verzichten, dafür gewinnst du etwas sehr viel Wertvolleres: ein Leben ohne Stress.
Schwarze Wölfe lieben Stress. Wenn du gestresst bist, wirst du schnell wütend, ungeduldig, unzufrieden oder frustriert. Und je öfter du in die Abwärtsspirale aus negativen Emotionen stürzt, desto wohlgenährter und kräftiger wird der schwarze Wolf in deinem Herzen.
Stress ist ein kompliziertes Phänomen. Sperrige Definitionen beschreiben etwa, dass unter Stress »die durch spezifische äußere Reize, sogenannte Stressoren, hervorgerufenen physischen und psychischen Reaktionen« zu verstehen sind, »die Lebewesen zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen«. Dabei spielen dann Stimulus-, Reaktions-, Transaktions- und Diskrepanzkonzepte eine Rolle. Alles klar? Wenn nicht, ist das auch egal, denn im Grunde wissen wir doch alle ganz genau, was es heißt, gestresst zu sein.
Neulich hatte ich es mal wieder eilig. Ich musste von München nach Ulm und bin zu spät losgefahren, was mir öfter passiert. Hätte ich mir die Verkehrsmeldungen vorher angeschaut, dann hätte ich von der Baustelle und dem Staurisiko erfahren. Mein Versäumnis wurde mir bewusst, als ich schließlich in einem endlosen Stau stand und mit knirschenden Zähnen auf dem Autositz herumrutschte, während ich darüber nachdachte, welch »entsetzliche« Folgen meine Verspätung wohl auf den vereinbarten Termin, meine Geschäftsbeziehungen und meine ganze weitere Zukunft haben würde. Irgendwann wurde mir klar, dass ich ziemlich gestresst war. Einige tiefe und langsame Atemzüge und die Einsicht, dass wir das, was ohnehin nicht zu ändern ist, möglichst schnell loslassen sollten, haben mir jedoch geholfen, wieder zur Ruhe zu kommen. Um Stress zu reduzieren, ist es also nicht nötig, Theorien über stressbedingte vegetative Wirkungsketten oder das Nebennierenhormon Adrenalin zu kennen. Für den Alltagsgebrauch gibt es eine ganz einfache Stresstheorie: Stress tritt immer dann auf, wenn wir auf eine Situation mit Anspannung reagieren.
Es ist ja offensichtlich: Wenn du gestresst bist, bist du nicht entspannt, sondern angespannt. Du kannst nicht loslassen, sondern hältst an irgendetwas fest. Und statt »Ja« zur Situation zu sagen, sagst du »Nein«. Kurzum: Stressprobleme sind immer Spannungsprobleme.
Weniger Stress heißt automatisch weniger Nahrung für den schwarzen Wolf. Doch wie kannst du lernen, möglichst stressfrei zu leben? Da gibt es bekanntlich viele Möglichkeiten: Yoga, körperliche Bewegung, Muskelentspannung, Sauna, eine gesunde Ernährung, ein gutes Zeitmanagement usw. Doch letztlich besteht die wirkungsvollste Methode einfach darin, immer wieder loszulassen und gelassen zu werden. Ob du loslassen kannst und ob es dir gelingt, auch schwierigen Situationen mit Gelassenheit zu begegnen, ist keine Frage der Veranlagung oder des Zufalls. Denn Ruhe, Zufriedenheit und sogar Glück sind vor allem Übungssache. Und »Nichtstun« ist doch schon einmal eine schöne Möglichkeit, das Loslassen zu üben.