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Ich erwachte auf Ledersitzen, mein Hinterkopf schmerzte. Einer der Gorillas hielt mir einen Eisbeutel ins Genick. Es war der große Blonde, der aussah, als hätte er gerade seinen Platz in einer schwedischen Heavy-Metal-Band verloren. Von dem süßlichen Geruch von Volcheks Zigarre wurde mir übel. Ich reimte mir zusammen, dass man mich vom Boden der Limousine aufgehoben und auf den Sitz gelegt hatte. Meine Augen brannten ein wenig von dem Rauch, aber ich brauchte nur einen kurzen Moment, bis ich erkannte, dass der riesenhafte Psychopath, der mich k. o. geschlagen hatte, nicht mehr im Wagen war. Ich nahm den Eisbeutel und ließ ihn auf den Boden fallen.
»Wir sind jetzt beim Gericht«, sagte Arturas.
Ich setzte mich auf.
»Wieso sind wir beim Gericht?«, fragte ich.
»Weil Mr. Volcheks Prozess heute Morgen anfängt«, erwiderte Arturas.
»Heute Morgen?« Ich beschwor das Bild meiner Tochter auf Volcheks Handy herauf und spürte, wie die Wut neuen Schmerz in meinem Nacken und eine eisenharte Spannung in meinen Muskeln entstehen ließ.
»Der Prozess beginnt in einer Stunde. Bevor Sie gehen, müssen wir wissen, dass Sie das schaffen. Andernfalls töten wir Sie sofort und Ihre Familie später«, sagte Arturas. Er holte den Revolver hervor und legte ihn auf sein Knie.
Arturas gab mir ein teuer aussehendes Glas mit einem Spritzer urinfarbener Flüssigkeit darin. Es roch nach Bourbon. Ich schüttete ihn hinunter und fühlte die vertraute, säuerliche Wärme. Es war mein erster Drink, seit ich die Entzugsklinik wegen meiner Alkoholsucht verlassen hatte. Einen Moment lang dachte ich daran, wie viel Geld ich der Klinik noch schuldete, dann verwarf ich den Gedanken. Es gab eine Zeit und einen Ort, um wieder zur Flasche zu greifen, und hier und jetzt waren so gut wie alle anderen. Ich streckte die Hand nach einem zweiten Drink aus, und Arturas schenkte mein Glas aus einer passenden Kristallkaraffe nach. Ich kippte den Whiskey schnell hinunter und genoss das Brennen. Ein Schauder durchlief mich von dem starken Alkohol, ich schüttelte den Kopf und bemühte mich, klar zu denken.
»Wo ist meine Tochter?«
»Gesund und munter, für den Augenblick«, sagte Arturas. Er schenkte mir noch einen Drink ein.
Ich schüttete ihn hinunter und überlegte. »Warum habt ihr Jack getötet?«, fragte ich.
Volchek nickte in Richtung Arturas. Er überließ es ihm gern, die Einzelheiten zu berichten.
»Alle Anwälte, die wir gefragt haben, sagten, Bennys Aussage würde zu Volcheks Verurteilung führen. Also war es schlicht logisch, Benny zu töten. Eine einfache Lösung, aber wir konnten ihn nicht finden. Wir haben Jack … zugeredet, das Jackett zu tragen, damit wir Benny töten konnten, wenn er ins Gericht kam. Aber Jack konnte es nicht.«
Ich fragte mich, welche Art der Überredung sie bei Jack versucht hatten. Zweifellos hatten sie ihn gefoltert. Er war ein Arschloch und spielsüchtig, aber er war mein Partner gewesen, und meine Gefühle in Bezug auf ihn wurden ein wenig milder. Was immer Jack gewesen war, er war nicht dafür gemacht, eine Bombe am Leib zu tragen. Die meiste Zeit war er froh, wenn er seine Aktentasche tragen konnte, ohne über die eigenen Füße zu fallen. Sie mussten ihn ziemlich hart hergenommen haben.
»Warum Jack?«, fragte ich.
»Es musste eine bestimmte Sorte Anwalt sein. Wir wissen, dass Sie und Jack diese Kanzlei mit Geld von einem Kredithai gestartet haben. Jack hatte einen schlechten Ruf als Lügner, und weil er seine Schulden nicht bezahlte. Er brauchte Geld, Klienten sprangen ab, nachdem Sie ausgestiegen waren, und wir brauchten jemanden, der die Bombe durch die Sicherheitsschleuse brachte. Die Sicherheitsmaßnahmen am Gericht sind gut. Heute werden sie noch besser sein. Wir konnten keine Bombe hineinschmuggeln. Jeder, der da reingeht, wird durchsucht, dann passiert er den Scanner, und anschließend wird er noch einmal durchsucht – jeder außer Jack und Ihnen. Wir wissen es. Wir haben Sie beide monatelang beobachtet, wie Sie ins Gerichtsgebäude gegangen sind. Sie wurden nie durchsucht. Die Wachleute lassen Sie beide einfach durchspazieren – wie alte Freunde. Wir haben Jack befohlen, was wir Ihnen auch befohlen haben: die Bombe zu deponieren und den Mord auf sich zu nehmen.«
Arturas lehnte sich zurück und warf Volchek rasch einen Blick zu. Es war echte Teamarbeit: Arturas hatte die Fakten klar und deutlich dargelegt. Danach ließ er seinen Boss mit Freuden die Einschüchterung übernehmen.
»Jack saß vor gerade mal drei Tagen genau da, wo Sie jetzt sitzen, Mr. Flynn. Er trug dasselbe Jackett wie Sie, mit derselben Bombe darin. Wir haben ihm erklärt, was wir Ihnen erklärt haben. Ich öffnete die Tür dieses Wagens und sagte zu ihm, er solle hinausgehen und seinen Job erledigen.« Volchek senkte den Blick. Dann hob er den Kopf inmitten einer grauen Rauchwolke, die sein Gesicht einrahmte. »Jack wurde starr. Er zitterte wie ein … wie nennen Sie es? Epileptiker? Als hätte er einen Anfall. Pisse lief an seinem Hosenbein hinunter. Wir machten die Tür zu und brachten ihn zu uns.« Er saugte wieder an der Zigarre und betrachtete die heiße Glut an der Spitze. »Ich fesselte ihn an einen Stuhl und sagte, ich würde seine Schwester töten, wenn er nicht machte, was ich verlangte. Viktor …«, er zeigte auf den Blonden, »… bringt die Schwester zu uns. Ich nehme mein Messer und zerschneide ihr vor seinen Augen das Gesicht. ›Werden Sie es jetzt tun?‹, frage ich ihn. Nichts. Ich bearbeite sie mit meinem Messer, und er sitzt einfach nur da.«
Ich spürte beinahe, wie sich eine Kralle um meine Brust legte. Dieses Monster hatte mein kleines Mädchen. Ein Geräusch erschreckte mich – es waren meine Knöchel, die knackten, weil ich eine Hand zur Faust ballte. In der anderen Hand hielt ich das leere Bourbon-Glas und überlegte, es Volchek ins Auge zu stoßen, aber dann entschied ich mich dagegen. Nachdem mein letzter Versuch, ihn anzugreifen, schlecht ausgegangen war, wollte ich keinen neuen wagen.
Noch nicht.
»Mir wird klar, dass wir uns nicht auf Jack stützen können. Bevor ich ihn töte, verschaffe ich seiner Schwester etwas Genugtuung. Ich gebe ihr mein Messer. Ich helfe ihr, ihn zu schneiden, böse zu schneiden.«
Ein Höllenfeuer loderte in seinem Blick. Er schien die Erinnerung köstlich zu finden.
»Jack war nicht der richtige Kopf für die Sache, also schnitt ich ihn ab und gab ihn seiner Schwester, bevor ich auch sie tötete. Sie war tapfer. Nicht wie ihr Bruder.«
Ich sah zu der Sporttasche auf dem Boden, die jetzt glücklicherweise geschlossen war, und dachte an Jack. Meine Meinung über ihn pendelte zurück zu Hass. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich den abgeschnittenen Kopf in den Hudson gekickt. Jack hätte es verdient gehabt, neben diesem gesunkenen Schiff auf dem Grund des Flusses zu liegen.
»Wir haben keine Zeit mehr für einen Probelauf bei Ihnen«, fuhr Arturas fort. »Sie bringen die Bombe jetzt hinein, Mr. Flynn. Beruhigen Sie sich. Denken Sie an Ihre Tochter. Wenn Sie die Bombe ins Gericht schaffen, sind Sie ihr einen Schritt näher. Wenn Sie erwischt werden, wandern Sie ins Gefängnis, weil Sie versucht haben, ein öffentliches Gebäude in die Luft zu sprengen. Sie bekommen lebenslänglich, ohne vorzeitige Entlassung. Was meinen Sie?«
Ich meinte, dass er recht hatte. Wer in dieser Stadt versucht, öffentliche Gebäude in die Luft zu jagen, kommt normalerweise nicht allzu glimpflich davon. Ich wäre ohne Frage zumindest ein Kandidat für lebenslänglich. Als mildernder Umstand würde mir nur die Drohung gegen meine Tochter angerechnet. Unter extremem Zwang zu handeln, reicht nicht für einen Freispruch, es hätte mir das lebenslänglich aber vielleicht erspart.
Dieses widerliche Grinsen breitete sich wieder auf Arturas’ Gesicht aus. Ich hatte fast den Eindruck, dass er meine Gedanken erriet. Volchek drückte seine Zigarre aus und sah mich durch den dünner werdenden Rauch an. Ich dachte, dass sie beide intelligente und skrupellose Menschen waren, aber jeder mit seiner eigenen Art von Intelligenz. Arturas schien der Beratertyp zu sein, der Mann mit dem Plan, der alle Eventualitäten durchspielte und die Risiken sorgsam abwog, ein kühler Denker. Sein Boss war ganz anders. Volcheks Bewegungen waren langsam und elegant, wie bei einer großen Raubkatze, die sich im hohen Gras an ihre Beute pirscht. Sein Verstand war ursprünglich, instinktgeprägt, beinahe wild. Mein eigener Instinkt sagte mir, dass diese Männer mich nicht am Leben lassen würden, egal was geschah.
»Ich habe seit langer Zeit keinen Fuß mehr in dieses Gebäude gesetzt. Wie kommen Sie darauf, ich könnte heute einfach da hineinspazieren, ohne durchsucht zu werden?«
»Sie kennen die Wachleute, und die Wachleute kennen Sie«, sagte Arturas. Er hob die Stimme und beugte sich vor, um seine Worte zu unterstreichen. »Wir beobachten dieses Gerichtsgebäude schon sehr lange, Anwalt. Ich plane die ganze Sache seit fast zwei Jahren bis in jede Kleinigkeit. Die Bombe kann nur jemand hineinschaffen, dem die Wachleute trauen, bei dem sie es am wenigsten vermuten. Anders bekommt man keine Bombe in das Gebäude. Ich habe Sie persönlich beobachtet, wie Sie mit Verspätung zu einem Prozesstermin hineingejoggt sind und den Wachleuten nur zugewinkt haben, als Sie den Alarm auslösten. Sie haben ihn ignoriert und Sie einfach durchgewunken. Sie reden mit den Wachen. Die Leute kennen Sie. Sie nehmen sogar Gespräche für Sie entgegen.«
Ich habe kein Handy. Mir hat die Vorstellung nie behagt, dass mein Aufenthaltsort anhand des nächstgelegenen Funkmasts bestimmbar ist. Es war ein Überbleibsel aus der alten Zeit, das ich nie ablegt habe, obwohl Jack mir mehr als ein Handy gekauft hat. Ich habe sie alle verloren. Als ich noch praktizierte, war ich einen großen Teil des Tages im Gerichtsgebäude. Wenn mich jemand dringend erreichen musste, rief er in der Eingangshalle an. Meist wusste einer der Wachleute, in welchem Gerichtssaal ich steckte, und ging mich holen. Ein paar Flaschen Whiskey für die Wachmannschaft zu Weihnachten und ein Geschenkkorb für jeden zu Thanksgiving waren ein geringer Preis für diese Art Hilfe.
Mein Kopf wurde allmählich ein wenig klarer.
»Warum können Sie diesen Kerl nicht auf andere Weise töten? Ein Scharfschütze könnte ihn beispielsweise auf dem Weg zum Gericht erledigen.«
Arturas nickte. »Daran habe ich auch gedacht. Ich habe jede Möglichkeit durchgespielt. Wir wissen nicht, wo er ist und wie er ins Gericht gelangen wird. Das ist die einzige Möglichkeit. Die großen Anwaltskanzleien, denen wir den Fall vorgelegt haben, praktizieren in der ganzen Stadt. Sie und Jack dagegen hatten fast alle Ihre Fälle hier in der Chambers Street. Sie kennen das Personal. Die Anwälte in diesen anderen Kanzleien berechnen neunhundert Dollar die Stunde. Glauben Sie, die haben Zeit, mit einem Wachmann zu reden? Nein. Ich wusste, so muss es laufen, als ich Sie und Jack das erste Mal durch die Sicherheitsschleuse laufen und den Alarm auslösen sah, und niemand hat auch nur mit der Wimper gezuckt. Sie haben mir die Lösung aufgezeigt.«
Arturas war hier der Stratege. Das Ganze war eindeutig sein Plan. Er wirkte distanziert, kalt, rational, und ich stellte mir vor, so würde er selbst dann noch sein, wenn es darum ging abzudrücken. Für Volchek galt das Gegenteil. Obwohl er ruhig geblieben war, als ich ihn geschlagen hatte, spürte ich, dass ein Ungeheuer hinter seiner beherrschten Fassade lauerte, das jederzeit durch die Oberfläche brechen konnte.
Ich legte den Kopf in die Hände und atmete tief und langsam durch.
»Da ist noch etwas, Mr. Flynn«, sagte Volchek. »Sie sollten wissen, dass wir Kämpfer sind. Wir sind stolz. Wir sind eine Bratwa, das bedeutet Bruderschaft. Ich vertraue diesem Mann.« Er legte die Hand auf Arturas’ Schultern. »Aber vieles kann schiefgehen. Sie müssen das Jackett in das Gebäude bringen. Der Tod Ihrer Tochter ist nur einen Anruf entfernt. Sie werden hineinkommen. Ich weiß es. Ich erkenne auch in Ihnen einen Kämpfer. Aber kämpfen Sie nicht gegen mich.«
Er hielt inne, um sich eine neue Zigarre anzuzünden.
»Arturas und ich sind vor zwanzig Jahren mit nichts hierhergekommen. Wir haben viel Blut vergossen, um dahin zu gelangen, wo wir sind, und wir laufen nicht kampflos davon. Aber wir sind nicht dumm. Der Prozess ist auf drei Tage angesetzt. Wir geben Ihnen zwei. Mehr können wir nicht riskieren. Zwei Tage, um Little Benny auf diesen Platz zu bekommen, damit wir ihn töten können. Wenn er bis morgen Nachmittag um vier nicht tot ist, haben wir keine andere Wahl. Wir werden fliehen müssen. Je länger das Verfahren dauert, desto wahrscheinlicher wird die Staatsanwaltschaft versuchen, meine Kaution zu widerrufen. Das hat mir einer von diesen Neunhundert-Dollar-Anwälten erklärt. Sie sind klug genug, um zu wissen, dass er recht hat.«
Ich hatte es schon öfter erlebt. Die meisten Ankläger haben ihren schlagendsten Beweis bei der Vernehmung zur Anklage noch nicht parat, wenn der Beschuldigte Freilassung auf Kaution beantragt. DNA-Nachweise und Expertengutachten brauchen Zeit, bis sie fertiggestellt sind. Bis der Prozess beginnt, hat die Staatsanwaltschaft dann alles beisammen und wird beim Richter möglicherweise beantragen, die Freilassung des Angeklagten gegen Kaution zu widerrufen, wenn sie ihren Beweisen traut. Damit ist das Schicksal des Angeklagten in der Regel besiegelt. Alles, was es braucht, ist eine kleine, aber vorsätzliche Verzögerung durch den festnehmenden Beamten, damit die Jury den Angeklagten in Handschellen sieht. Ein kurzer Blick auf diese Armbänder, und alles ist vorbei – die Jury kommt jedes Mal zu einem Schuldspruch.
Ich nickte. Volchek wusste, dass ich erfahren genug war, um die Kniffe der Staatsanwaltschaft zu kennen, es hatte also keinen Sinn, es zu leugnen.
Während Volchek sein Ultimatum bekannt gab, strengte er sich an, die Brutalität seiner wahren Natur aus seiner Stimme zu halten.
»Das Gericht hat meinen Pass, das gehörte zu den Kautionsbedingungen. Ich lasse dreimal im Jahr Ware aus Russland einfliegen, mit einem privaten Flugzeug zu einem kleinen Geschäftsflughafen nicht weit von hier. Dieses Flugzeug trifft morgen um drei ein und fliegt um sechs zurück. Wenn Benny um vier noch lebt, ist Ihre Zeit um. Ich muss das Gericht um vier Uhr verlassen, um das Flugzeug noch zu erwischen. Es ist meine letzte Chance, aus den Vereinigten Staaten hinauszukommen. Ich möchte aber gern bleiben. Ich möchte kämpfen. Little Benny muss vor vier Uhr morgen Nachmittag sterben, sonst töte ich Sie und … Sie wissen schon. Das schwöre ich feierlich.«
Das Whiskeyglas zersprang in meiner Hand.
Mir war, als würde ich fallen. Ich sackte in mich zusammen, mein Kiefer zitterte, und ich biss die Zähne fest zusammen, damit sie nicht klapperten. Blut tropfte aus einem Schnitt in meiner Handfläche, aber ich fühlte keinen Schmerz. Ich war zu keiner Bewegung fähig. Ich konnte nicht denken. Wenn Amy etwas zustieß, würde mich der Schmerz umbringen. Meine Frau Christine hatte sich mit vielem abgefunden, mit den Überstunden im Büro, den Anrufen um drei Uhr morgens von einem Polizeirevier irgendwo in der Stadt, weil einer meiner Klienten verhaftet worden war, mit den verpassten Verabredungen zum Abendessen und meinen Ausreden, ich würde das alles für sie und Amy tun. Als ich vor einem Jahr dann auch noch zu trinken anfing, warf sie mich hinaus. Ich hatte eins der besten Dinge in meinem ganzen Leben verloren. Der Verlust unserer Tochter wäre ein Horror, den ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte.
Von irgendwoher hörte ich die Stimme meines Vaters, des Mannes, der mir beigebracht hatte, wie man krumme Dinger dreht, der mir erklärt hatte, was zu tun war, wenn ich bei einem Betrug aufflog: Was auch passiert, verlier nicht den Kopf.
Ich schloss die Augen und betete leise. Lieber Gott hilf mir. Bitte hilf meiner Kleinen. Ich liebe sie so sehr.
Ich wischte mir über die Augen, bevor die Tränen kamen, schniefte und stellte meine Digitaluhr auf einen Countdown bis morgen 16.00 Uhr ein.
»Sie müssen eine Entscheidung treffen, Anwalt«, sagte Arturas und befingerte seinen Revolver.
»Ich mache es. Tun Sie nur Amy nichts. Sie ist erst zehn.«
Volchek und Arturas sahen einander an.
»Gut«, sagte Arturas. »Gehen Sie jetzt und warten Sie in der Eingangshalle auf mich, nachdem Sie durch den Checkpoint sind.«
»Sie meinen, falls ich durchkomme.«
»Soll ich Ihre Tochter für Sie beten lassen?«, fragte Volchek.
Ich antwortete nicht. Ich stieg allein aus der Limousine und sah, wie Arturas aus dem Wagen zu mir hinaufblickte, als ich auf dem Gehweg stand.
Ich nickte. »Ich werde nicht gegen Sie kämpfen.«
Das war gelogen.
So wie sie mich belogen hatten. Egal, was sie versprachen, selbst wenn Little Benny morgen um vier nur noch ein Fleck auf der Decke des Gerichtssaals sein sollte, würden sie Amy nicht gehen lassen. Sie würden mich und meine Tochter töten.
Ich hatte einunddreißig Stunden.
Einunddreißig Stunden, um die Russenmafia auszutricksen und mir mein kleines Mädchen zurückzuholen. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte.
Ich knöpfte meinen Mantel zu, schlug den Kragen hoch und drehte mich zum Gerichtsgebäude um. Die Stimme meines Vaters klang immer noch leise in meinem Ohr: Verlier nicht den Kopf! Meine Hand blutete nicht mehr. Es schien noch kälter geworden zu sein, meine Atemluft kondensierte vor mir. Als sich der Dunst klärte, sah ich etwas, was ich in neun Jahren Tätigkeit an diesem Gericht noch nie gesehen hatte: eine Schlange von vielleicht vierzig Personen, bestehend aus Journalisten, Anwälten, Zeugen, Beklagten und Kamerateams, die alle vor der Sicherheitskontrolle anstanden.