Egon Voss

»Wagner und kein Ende«

Egon Voss

»Wagner und kein Ende«

Betrachtungen und Studien

Atlantis Musikbuch-Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bestellnummer SDP 136

ISBN 978-3-7957-8560-4

© 2016 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer ATL 6210

© 1996 Atlantis Musikbuch-Verlag Zürich und Mainz

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Inhalt

Vorwort

Dramaturgie und Analyse

Die Feen

Eine Oper für Wagners Familie

Auch eine Unvollendete

Das wiederaufgefundene Sinfonie-Fragment in E-Dur WWV 35

Wagners Jugendsünde?

Zur großen komischen Oper Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo

Rienzi, der Letzte der Tribunen

Die unterdrückte Vorgeschichte

Zu Der fliegende Holländer

Lohengrin, der melancholische Held

Die Chöre im Lohengrin vor dem Hintergrund von Oper und Drama

Tristan: Die Liebe als furchtbare Qual

Besseres, als diese Lieder, habe ich nie gemacht ...

Zu den Wesendonck-Liedern

Tristan ohne Mythos

Die Meistersinger von Nürnberg als Oper des deutschen Bürgertums

Es klang so alt, – und war doch so neu, – Oder ist es umgekehrt?

Zur Rolle des Überlieferten in den Meistersingern von Nürnberg

Eigentlich ein Marsch mit einem Trio

Über das Vorspiel zu den Meistersingern von Nürnberg

„Kammermusik“ in den Musikdramen Richard Wagners

Noch einmal: Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner
(am Beispiel des Rings des Nibelungen)

Süßeste Rache sühnte dann alles

Zum ersten Akt der Walküre

Siegfrieds Musik

Huldigung Wagners an Cosima

Parsifal – das Spiel von der Macht der Schuldgefühle

Die Möglichkeit der Klage in der Wonne

Skizze zur Charakterisierung der Parsifal-Musik

Philologie und Aufführungspraxis

Von Notwendigkeit und Nutzen der Wagnerforschung

„Sämtliche Briefe?“

Das fragmentarische Orchesterwerk in e-Moll WWV 13 – die früheste der erhaltenen Kompositionen?

Der unvollendete Tannhäuser

Die Entstehung der Meistersinger von Nürnberg

Geschichten und Geschichte

Keine schwitzende Musik

Die Meistersinger von Nürnberg nach der kritischen Ausgabe der Richard Wagner-Gesamtausgabe

Wagners Striche im Tristan [Erster Versuch, 1971]

Aufführungspraktische Konsequenzen der Tristan-Philologie

[Striche im Tristan, zweiter Versuch, 1993]

Zur musikalischen Interpretation – Bayreuther Stil

Das Musikdrama, präpariert für den Salon: Richard Wagner auf dem Klavier

Beziehungen

Wagner und Rossini oder Un nouvel Orphée und Der ungemein geschickte Verfertiger künstlicher Blumen

Wagner und Bruckner

Ihre persönlichen Beziehungen anhand der überlieferten Zeugnisse (mit einer Dokumentation der wichtigsten Quellen)

Abkürzungen/Abgekürzt zitierte Literatur

Nachweise

Register

Werke Wagners

Personen

Vorwort

Der Titel dieser Sammlung von Betrachtungen und Studien ist – wie leicht zu merken – ein Zitat. So nämlich war 1950 die Erstveröffentlichung eines Briefes überschrieben, den Thomas Mann 1949 an den Bühnenbildner Emil Preetorius, dessen Wagner-Buch betreffend, gerichtet hatte1. Thomas Mann selbst übernahm diese Überschrift bei seiner eigenen Publikation des Briefes in dem Essay-Band Altes und Neues2. Freilich hatte der Titel einen anderen Sinn, als er hier intendiert ist; denn Thomas Mann verstand ihn als Ausdruck für die Vielzahl seiner Bekenntnisse über Wagner, zu Wagner, für und gegen Wagner, mit denen es ihm zu keinem Ende kommen zu sollen schien3. Im Unterschied oder Gegensatz dazu bezeichnet „Wagner und kein Ende“ hier ganz allgemein und jenseits individuell-persönlichen Bezugs die Besonderheit aller Auseinandersetzung mit Wagner – auch und gerade der wissenschaftlichen.

Abgeleitet wurde der Titel selbstverständlich von Goethes berühmter Abhandlung über Shakespeare von 1816. Er wurde jedoch nicht, wie man vielleicht meinen könnte, gewählt, weil sich Goethes Anfangssatz – Es ist über Shakespeare schon so viel gesagt, daß es scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig – auch auf Richard Wagner beziehen ließe. Zwar ist über Wagner sehr viel geschrieben worden, so viel, daß man sich allein von der Quantität der Wagnerliteratur leicht erdrückt fühlen kann; doch das nicht absehbare Ende, von dem der Titel spricht, bezieht sich vielmehr auf die seltsame Tatsache, daß man bei Wagner, so viel auch über ihn geschrieben wurde, immer noch und immer wieder am Anfang steht oder zu stehen scheint. Das hat ganz konkret mit der so außerordentlichen Fülle des überlieferten dokumentarischen Materials zu tun, das zu überblicken einem einzelnen kaum mehr möglich ist. Und dabei scheint der Strom der immer noch hinzukommenden, aus dem Dunkel der Geschichte wie der Archive auftauchenden Dokumente einstweilen gar nicht abreißen zu wollen. Entsprechend ist sehr vieles unerforscht und ungeklärt, und dabei handelt es sich durchaus nicht um Erscheinungen am Rande oder Sektoren, die nur den Wissenschaftler interessieren. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, die Wagnerforschung habe eben erst begonnen.

Daß ein Ende nicht abzusehen ist, liegt auch im besonderen Wesen der Kunst Richard Wagners begründet. Seine Idee eines Gesamtkunstwerks, der übergreifenden Zusammenführung der verschiedensten künstlerischen Ausdrucks- und Darstellungsmöglichkeiten stellt namentlich die Wissenschaft vor das Problem, wie und mit welcher Methode diesem Phänomen beizukommen sei. Die Betrachtung nur aus der Sicht der Musik oder des Textes oder des Theaters usw. wird der Sache nicht gerecht. Nur ein Verfahren, das ähnlich übergreifend ist wie Wagners eigenes, vermag dem Wesen der Wagnerschen Kunst auf die Spur zu kommen.

„... und kein Ende“ – dies betrifft aber auch noch eine andere spezifische Eigenheit der Wagnerschen Kunst: ihre Vieldeutigkeit. Zwar zeichnet es alle große Kunst aus, daß sie verschiedene Deutungsmöglichkeiten zuläßt, doch im Wagnerschen Werk ist dies zum Prinzip erhoben. Es kann also gar kein Ende des Deutens geben. Die mittlerweile zur Unüberschaubarkeit angewachsene Wagnerliteratur ist eine Konsequenz, die gleichsam in der Natur der Sache liegt.

Die hier vorgelegten Aufsätze aus 25 Jahren Beschäftigung mit Richard Wagner sind Versuche, die skizzierten Herausforderungen in die Tat umzusetzen, ohne daß damit aber irgendein Anspruch auf Erreichen des gesteckten Zieles erhoben würde. Es ist des Lernens kein Ende, heißt es bei Schumann. Das gilt auch für die Beschäftigung mit Wagner, vor allem dann, wenn man all den Mythen, die sich um die Person und das Werk Wagners ranken, mit der gebotenen Nüchternheit begegnen will und die Betrachtung der Werke aus dem Blickwinkel einer Verknüpfung von Philologie, Analyse, Dramaturgie und Auffuhrungspraxis betreibt. Als leitender Faden der Texte kann das Bemühen gelten, Ergebnisse der Forschung so zu vermitteln, daß sie in die künstlerische Praxis zu wirken und auch den Wagner-Liebhaber und interessierten Laien zu erreichen vermögen.

Den unterschiedlichen Anlässen entsprechend, denen sie ihre Entstehung verdanken, sind die Aufsätze nach Umfang und Art der Darstellung verschieden. Auf eine Vereinheitlichung für die Publikation in diesem Band wurde jedoch verzichtet, sieht man davon ab, daß je nach Notwendigkeit hie und da Ergänzungen und durchgehend Anmerkungen hinzugefügt wurden. Offenkundige Fehler sind selbstverständlich korrigiert. In einigen Texten wurden auch Kürzungen vorgenommen. Dabei handelt es sich in zwei Fällen um spezifizierende Tabellen, die zum einen für das Verständnis nicht unbedingt nötig sind und zum anderen ohnehin nicht mehr dem Stand der Forschung entsprechen. In einem dritten Fall, dem Aufsatz Noch einmal: Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner, der sich mit Alfred Lorenz befaßt, wurde auf einen Absatz verzichtet, der anhand eines Zitats aus einem mit Die Tonkunst grüßt den Führer betitelten Zeitschriftenartikel4 von 1939 Lorenz’ heillose Verstrickung in die Ideologie des Nationalsozialismus und die Weltanschauung des Faschismus allgemein anzudeuten versuchte. Dieser Absatz war dazu angetan, den Eindruck zu wecken, als werde eine unmittelbare Kausalität zwischen Lorenz’ faschistischer Weltanschauung und der Art seiner Analysen behauptet, und als seien die Analysen nur oder vor allem darum falsch, weil Lorenz Nationalsozialist war. Es gilt zu betonen, daß sie falsch sind ganz unabhängig von der politischen Einstellung ihres Verfassers. Höchst bedauerlich ist aber, daß die Lorenzschen Analysen nach wie vor ernstgenommen werden. Freilich war nicht einmal Th. W. Adorno gegen ihre Wirkung gefeit. So ist denn auch das „Geheimnis der Form“ noch zu einem Wagnerschen Mythos geworden und ein Ende nicht abzusehen.

München, im Juni 1995

Egon Voss

1  Brief vom 6. Dezember 1949, in: Thomas Mann, Wagner und unsere Zeit. Aufsätze, Betrachtungen, Briefe, hg. v. Erika Mann, Frankfurt a.M. 1963, S. 167ff.

2  Frankfurt a.M. 1953

3  Brief an den Intendanten des Stadttheaters Basel, Friedrich Schramm, 25. August 1951, in: Wagner und unsere Zeit, a.a.O., S. 181

4  Die zitierte Stelle ist faksimiliert in: Hartmut Zelinsky, Richard Wagner – ein deutsches Thema. Bine Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Richard Wagners 1876–1976, Frankfurt a.M. 1976, S. 236.

Dramaturgie und Analyse

Die Feen

Eine Oper für Wagners Familie

Die Feen sind zwar bereits Wagners dritte Oper und sein viertes Bühnenwerk überhaupt, jedoch das erste seiner dramatischen Werke, das ganz zum Abschluß kam. Vom Leubald, seinem dramatischen Erstling, vollendete Wagner nur den Text, die geplante Musik dazu – vermutlich eine Schauspielmusik – scheint gar nicht begonnen worden zu sein; eine 1830 angefangene Schäferoper, von der man nicht einmal den Titel kennt, wurde abgebrochen und die im Herbst 1832 begonnene Oper Die Hochzeit nach der Komposition der ersten Nummer aufgegeben. Daß Werke abgebrochen und liegengelassen werden, ist nichts Ungewöhnliches, scheint im vorliegenden Falle jedoch eine besondere Bewandtnis zu haben. Sicherlich brach Wagner die Arbeiten auch deshalb ab, weil er das Interesse daran verloren hatte. Es erscheint jedoch auch möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, daß er die Lust an diesen Stücken deshalb verlor, weil ihm Rückhalt und Zustimmung fehlten, nämlich das Wohlwollen und das Einverständnis seiner Familie. Daß der Leubald bei seiner Familie nicht auf Beifall stieß, weiß man aus Wagners autobiographischen Schriften. Wie sich Mutter, Onkel und ältere Geschwister zur Schäferoper verhielten, ist nicht bekannt. Mit der Hochzeit aber stieß Wagner geradezu auf Ablehnung. Weil Sujet und Textbuch seiner Schwester Rosalie, der Haupternährerin und Wortführerin der Familie, mißfielen, brach Wagner die bereits begonnene Komposition nicht nur binnen weniger Wochen ab, sondern vernichtete auch das Textbuch spurlos. Dieser radikale Akt war selbstverständlich eine Demonstration. Er drückt Wagners enge Bindung an die Familie sehr anschaulich aus, und die im unmittelbaren Zusammenhang damit erfolgte Wahl des Sujets der Feen für die nächste Oper scheint nichts anderes gewesen zu sein als der Versuch, endlich mit einem Bühnenwerk das Einverständnis der Familie zu erringen. Wie insbesondere die späteren Bemühungen einiger Familienmitglieder um die Aufführung der Oper in Leipzig zeigen, waren die Feen tatsächlich die erste Oper Wagners, die von der Familie akzeptiert wurde1.

Die Vernichtung des Textbuches der Hochzeit erfolgte um die Jahreswende 1832/33. Mit der Arbeit am Textbuch der Feen dürfte Wagner ziemlich gleichzeitig begonnen haben; am 14. März 1833 jedenfalls schrieb er an seinen Freund Theodor Apel, er habe bereits mit der Komposition der Oper begonnen2. Da die Wahl des neuen Sujets nicht frei, aus eigenem Antrieb erfolgte, sondern unmißverständlich eine Konsequenz der Kritik der Schwester war, muß man annehmen, daß Wagner das neue Textbuch der Schwester zeigte, bevor er mit der Vertonung begann. Da Wagner aber Leipzig vermutlich Ende Januar verließ – am 17. Februar traf er in Würzburg ein –, kann man davon ausgehen, daß das Textbuch zu den Feen zu dieser Zeit fertig vorlag. Auch Wagners eigene Darstellung in seiner Autobiographie Mein Leben legt diese Vermutung nahe3. Wie es scheint, erhielt das neue Textbuch die volle Zustimmung der Schwester; denn kaum in Würzburg angelangt, wo er sich für rund ein Jahr bei seinem Bruder Albert aufhielt, begann Wagner mit der Komposition, die er, beginnend am 20. Februar 1833, kontinuierlich ausführte und am 7. Dezember 1833 in der Skizze, am 6. Januar 1834 in der Partitur beendete4.

Die Wahl eines Stücks von Carlo Gozzi als Vorlage für die neue Oper dürfte kein Zufall gewesen sein. Vermutlich war bereits diese Entscheidung eine Verbeugung vor der Familie. Wagners Onkel Adolf, selbst Schriftsteller und Literat, war nach allem, was man weiß, ein Verehrer Gozzis; er hatte selbst ein Stück Gozzis ins Deutsche übersetzt, Il corvo („Der Rabe“), das 1804 im Druck erschienen war. Dieses Stück scheint bei der Entstehung von Wagners Feen eine Rolle gespielt zu haben. Die Vorlage zu Wagners Oper hat den Titel La donna serpente – „Die Frau eine Schlange“ oder „Die Frau als Schlange“– und dementsprechend wird die weibliche Hauptfigur (bei Wagner Ada) im Verlauf der Handlung in eine Schlange verwandelt. Wagner übernahm zwar das Motiv der Verwandlung, nicht aber die Art, in der sie geschieht; in den Feen wird Ada zu Stein. Eben dieses Motiv, daß ein Mensch in einen Stein verwandelt wird, findet sich – und zwar unter nahezu denselben Voraussetzungen wie in den Feen – in Gozzis Il corvo. Wagner übernahm es höchstwahrscheinlich von dorther, und man geht gewiß nicht fehl in der Annahme, daß diese Anlehnung an das vom Onkel übersetzte Stück eine ganz bewußte Verneigung vor der Familie war.

Wagner verwendete in den Feen zum Teil die gleichen Personennamen wie in der Hochzeit. Dadurch zeigte er der Familie unmißverständlich und deutlich an, daß er das ältere Stück aufgegegen hatte. Wichtiger jedoch ist noch, welche der Namen er übernahm, und wie die Beziehungen der Personen zueinander sind, die diese Namen tragen. Die Namen Lora und Harald dürften mehr zufällig aus dem einen ins andere Textbuch gelangt sein. Die Übernahme von Ada und Arindal hingegen geschah gewiß bewußt und sieht wie die Demonstration eines Sinneswandels aus. Ada und Arindal sind auch in der Hochzeit die Namen eines Paares; der Charakter der Beziehung zwischen den zwei Menschen ist jedoch ein völlig anderer. In der Hochzeit sind Ada und Arindal ein Brautpaar, das gerade im Begriff ist, seine Hochzeit zu feiern. Nach allem, was man über das Stück weiß, dessen Textbuch Wagner, wie erwähnt, vernichtete, wird eine konventionelle Ehe geschlossen. Ada, die Tochter aus einer mächtigen Familie, heiratet einen treuen Gefolgsmann ihres Vaters, nämlich Arindal. Nichts läßt darauf schließen, daß es sich um eine Liebesheirat handelt, um die Erfüllung einer leidenschaftlichen Beziehung. Zu vermuten ist vielmehr, daß diese Heirat eine Sache gleichsam von Staatsräson ist. Wesentlich erscheint, daß die Beziehung zwischen Ada und Arindal in der Hochzeit nur periphere Bedeutung hat, die normal-legale Beziehung spielt nur eine Rolle am Rande. Im Zentrum steht das Gegenteil: die Störung und Zerstörung der legalen Beziehung durch das buchstäbliche Eindringen eines Dritten, Kadolt, der sich am Abend vor der Hochzeitsnacht der Braut mit Gewalt zu bemächtigen versucht. Ada wehrt sich zwar erfolgreich gegen Verführung und Vergewaltigung, indem sie den Eindringling aus ihrem Turmzimmer über den Balkon in die Tiefe stürzt, so daß – was das Brautpaar anbetrifft – zumindest äußerlich nicht gegen die Sitte verstoßen wird; innerlich jedoch tritt Ada unmißverständlich in eine enge Beziehung zu Kadolt, dem Eindringling: bei der Totenfeier für ihn sinkt sie tot neben seinem Leichnam zusammen.

Diese Geschichte ist alles andere als eine Verherrlichung der Institution der Ehe und des bürgerlichen Lebens. Es hat daher den Anschein, als habe Wagner die Namen Ada und Arindal für die Protagonisten der Feen allein deshalb übernommen, um die Institution der Ehe, der in der Hochzeit so übel mitgespielt wurde, zu rehabilitieren. In den Feen sind Ada und Arindal ein Paar, dessen Beziehung von Beginn an legal verläuft und weder durch einen anderen Mann noch eine andere Frau auch nur andeutungsweise in Frage gestellt wird. Die Feen sind nichts anderes als die Umkehrung der Hochzeit, nämlich eine exemplarische Verherrlichung der Ehe. Alles, was geschieht, dient der Demonstration, daß nichts, weder unerfüllbare Bedingungen noch das Eingreifen von Zaubermächten, die Liebe eines einmal füreinander bestimmten Paares zerstören oder auch nur beeinträchtigen kann. Die Liebe siegt, bezeichnenderweise die Liebe eines Ehepaares, das bereits acht Jahre verheiratet ist und zwei Kinder hat.

So konventionell sich das Textbuch in dieser Hinsicht gibt und so nahe es damit der Tradition jener Stücke ist, in denen zwei Menschen über viele Hindernisse und feindliche Verhältnisse hinweg am Ende doch ein glückliches Paar werden, so unübersehbar ist ein – freilich nicht minder bürgerlicher – emanzipatorischer Zug des Werks. Die Sphären, denen Ada und Arindal entstammen, repräsentieren unterschiedliche Gesellschaftsschichten: Der Bereich der Feen entspricht der Aristokratie, derjenige der Menschen dem Bürgertum, und selbstverständlich plädiert das Stück im Sinne der Ideale der französischen Revolution für die Überwindung der durch die Aristokratie gesetzten Grenzen. Es besteht kein Zweifel, daß nicht Ada es ist, die aus purer Grausamkeit ihrem geliebten Arindal Bedingungen auferlegt, die dieser nicht erfüllen kann. Vielmehr ist es das Feenreich, also die Aristokratie, die mit allen Mitteln zu verhindern sucht, daß sich Adas Liebe durchsetzt und ihre Beziehung zu dem ,bürgerliche‘ Arindal Bestand hat. Es wäre falsch anzunehmen, es gehe bei den Bedingungen, die Arindal gestellt werden, um die Prüfung der Ernsthaftigkeit seiner Liebe zu Ada. Im Gegenteil: Es handelt sich vielmehr darum, einen noch geschlossenen Machtbereich, den der Aristokratie, vor Durchlöcherung, nämlich durch das Eindringen der Bürgerlichen, zu bewahren.

Daß Arindal versagt, entspringt der realistischen Einsicht in die prinzipielle Unerfüllbarkeit der gestellten Bedingungen; daß er schließlich doch noch siegt und Ada befreit, erscheint demgegenüber als Utopie, ausgedrückt vor allem darin, daß es Arindals Spiel der Leier ist, das Ada aus der Versteinerung ins Leben zurückverwandelt. Daß Ada am Ende doch nicht, wie es ihr Wunsch ist, zum Menschen wird, sondern die unsterbliche Fee bleibt, Arindal demgegenüber zur Unsterblichkeit erhoben wird, ist von Michael von Soden5 als „Trug“ gedeutet worden, als „Umarmung“, in der die Utopie gleichsam erstickt werde. Die Aufnahme Arindals in den Kreis der Erlauchten ist gewiß ein Unschädlichmachen des revolutionären Potentials, das in Arindal steckt. Es war jedoch auch stets der heimliche Wunsch der Bürger, in den Adel aufzusteigen, und die Interessen des Bürgertums gegenüber der Aristokratie sind nicht selten durch die Bürger selbst verraten worden. Ob man Arindals selbstverständliche Annahme seiner Erhebung in den Stand der Unsterblichkeit in diesem Sinne interpretieren darf, sei dahingestellt.

Wagners wohl wichtigste Zutat zu dem Stück Gozzis, das er im übrigen nach Struktur und Dramaturgie genau übernahm, ist, daß Arindal in seinem Kampf um die Erlösung Adas nach Schild und Schwert schließlich zur Leier greift und durch Musik das ersehnte Ziel erreicht. Wagner verknüpfte hier das Gozzische Märchen mit dem Orpheus-Mythos, einem der traditionsreichsten und angesehensten Opernstoffe überhaupt. Wie Orpheus vermag auch Arindal (mit Hilfe des Zauberers Groma) mit Leier und Gesang in Bereiche vorzudringen, die Sterblichen gewöhnlich nicht zugänglich sind; seine Musik erweicht sogar die Steine. Wagner nahm jedoch eine bemerkenswerte Änderung vor. In der Sage dringt Orpheus kraft seines Gesanges bis ins Totenreich vor und bewegt die Götter der Unterwelt, ihm Eurydike, seine Gattin, wiederzugeben; durch unerfüllbare Bedingungen wird ihm die eben erst zurückgewonnene Gattin jedoch schließlich wieder genommen. In Wagners Variante stehen demgegenüber die unerfüllbaren Bedingungen am Anfang, und das bezwingend-machtvolle Spiel der Leier ist es, welches das unerreichbar Scheinende, die Wiedergewinnung der Gattin, schließlich tatsächlich erreichen läßt. Die Tragik der Orpheus-Sage erscheint optimistisch gewendet, ganz entsprechend dem Wunsch von Wagners Schwester Rosalie nach „freundlicheren Situationen“6.

Ein Zugeständnis an die Familie und ihren Geschmack mag es auch gewesen sein, daß Wagner sich in der Komposition an bewährte und akzeptierte Vorbilder und Muster hielt. So schwierig es ist, ganz konkret und im Einzelfall nachzuweisen, welches die Modelle waren, denen Wagner folgte, so offenkundig ist doch, daß Wagner sich mit den Feen in die deutsche Operntradition stellte. Mozart, Beethoven, Weber und Marschner waren die Meister, denen der junge Wagner nachzueifern suchte. Ihre Opern waren allgemein anerkannt, die Werke Mozarts und Beethovens insbesondere für Wagners Lehrer Christian Gottlieb Müller und Christian Theodor Weinlig die Gipfelpunkte der Tonkunst. Die erste Nummer der Hochzeit (Introduktion: Chor und Septett), die Wagner vollständig ausführte und im Unterschied zum Textbuch nicht vernichtete, fand nach seinen eigenen Worten den Beifall Weinligs. Daß Wagner die Feen in der gleichen Art schrieb, dürfte nichts anderes bedeuten, als daß ihm auch bei diesem Werk an der Zustimmung Weinligs lag, und zwar nicht nur, weil es ihm um die Anerkennung durch den Lehrer ging, sondern auch, weil Weinligs Urteil etwas galt und sowohl für die Anerkennung durch die eigene Familie als auch für die Annahme der Oper durch das Leipziger Theater von Bedeutung war. Der deutliche Bezug auf die Opern Heinrich Marschners könnte damit Zusammenhängen, daß Marschner, dessen Vampyr und Templer und Jüdin ihre Uraufführung am Leipziger Theater erlebt hatten, in Leipzig in besonders hohem Ansehen stand. Daß Wagner während seines Aufenthaltes in Würzburg ein neues Schlußallegro zu einer Arie des Vampyr besonders gut, die Instrumentation einer Kavatine aus Bellinis Il pirata dagegen gar nicht gelang, veranschaulicht, wie genau sich Wagner 1833 auf den Stil Marschners eingestellt hatte. Wie eine Absicherung mag es darüber hinaus erscheinen, daß Wagner die Feen mit eigenen älteren Kompositionen verknüpfte, indem er Themen und Motive aus jenen in die Oper übernahm. Das Ausmaß, in dem dies geschah, ist so ungewöhnlich, daß man dahinter eine besondere Absicht oder Bewandtnis zu vermuten hat. Wahrscheinlich sollten die Zitate aus eigenen Kompositionen, die der Familie geläufig waren und deren Zustimmung gefunden hatten, den Beifall auch der Oper garantieren. Wagner übernahm zum einen Thematik aus seiner Fantasie in fis-Moll WWV 22, zum anderen griff er auf seine Sieben Kompositionen zu Goethes Faust WWV 15 zurück, und zwar auf das Melodram „Ach neige, du Schmerzensreiche“ (Nr. 7)7. Einige Notenbeispiele mögen das veranschaulichen8:

Es sind damit, abgesehen von der Adagio-Melodie aus der Fantasie, die nur im Adagio der 1. Fassung der Ada-Arie auftritt, durchaus nicht alle Stellen erfaßt, an denen in den Feen die genannten älteren Werke zitiert werden. Die entlehnten Themen und Motive treten also nicht episodisch auf, sondern sind von weitreichenderer Bedeutung; sie prägen ganze Szenen oder doch längere Passagen darin und treten als Erinnerungsmotive in Erscheinung.

Besonders bemerkenswert ist das Zitat aus den Faust-Kompositionen. Hier läßt sich der Bezug zur Familie Wagners gleichsam mit Händen greifen. In den Leipziger Faust-Aufführungen des Jahres 1831 hatte Wagners Schwester Rosalie das Gretchen gespielt, und sehr wahrscheinlich waren die Faust-Kompositionen im Zusammenhang mit diesen Aufführungen (vielleicht sogar für sie?) entstanden. Vor allem angesichts der nahen Beziehung des jungen Richard Wagner zu seiner ältesten Schwester dürfte außer Frage stehen, daß die Gretchen-Texte „Meine Ruh’ ist hin“ (Nr. 6) und „Ach neige, du Schmerzenreiche“ (Nr. 7) für Rosalie vertont wurden. Das legt auch ganz konkret eine erhaltene autographe Reinschrift von „Meine Ruh’ ist hin“ nahe. Die Tatsache, daß diese mit einer eigenen, in der Anordnung des Textes bewußt gestalteten Titelseite versehen wurde, deutet unmißverständlich auf die Funktion eines Widmungsexemplars hin. Deren offizieller Charakter aber wird dadurch aufgehoben, daß Wagner seinen Namen nicht, wie er es sonst – allgemeinem Usus gemäß – zu tun pflegte, ausschrieb, sondern auf die Initialen R. W. reduzierte9. Es muß sich also um eine private Widmung gehandelt haben, für die zuallererst Rosalie in Frage kommt. Mit R. W. spielte Wagner überdies auf die Initialen der geliebten Schwester an, die im übrigen ihre Briefe mit RW zu siegeln pflegte.

Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, daß Zitate aus den Kompositionen der Gretchen-Texte in den Feen nichts anderes bedeuteten als die Herstellung einer Beziehung zu Rosalie. Ada – denn nur auf sie beziehen sich die Zitate aus dem Faust-Melodram – ist auf diese Weise sowohl mit Gretchen verbunden als auch mit der Lieblingsschwester Richard Wagners.

Es wäre vermutlich eine Übertreibung, wollte man die Wahl der Feen als Sujet für eine Oper allein und ausschließlich auf Wagners innere Bindung an seine Familie, besonders auf die Beziehung zu seiner Schwester Rosalie zurückführen. Die Familie sollte Wagners kompositorisches Schaffen nicht nur gutheißen, sondern auch tatkräftig fördern, und Wagner dachte bei der Wahl der Feen als Stoff für seine nächste Oper mit Sicherheit vor allem auch daran, daß seine Familie in Leipzig über Einfluß verfügte, z. B. durch den Verleger Friedrich Brockhaus, der seit 1828 mit Wagners Schwester Luise verheiratet war, z. B. durch Rosalie, die als namhafte Schauspielerin am Leipziger Theater gute Beziehungen zum Leipziger kulturellen Leben unterhielt. Die Feen verdanken sich nicht allein einer inneren, emotionalen Beziehung zur Familie, sondern auch den äußeren Umständen.

Aller Einfluß der Familie in Leipzig und alle Beziehungen, über die der junge Wagner darüber hinaus noch verfügte, nützten am Ende nichts: die Feen kamen nicht in Leipzig zur Aufführung. Zwar lehnte man die Oper nicht von vornherein ab – vermutlich mit Rücksicht auf die einflußreichen Verwandten und Fürsprecher des jungen Komponisten –, aber man verstand es doch, die Entscheidung über die endgültige Annahme immer wieder hinauszuzögern, bis die Angelegenheit nahezu im Sande verlief und Wagner selbst die Lust verlor. Dem Leipziger Theaterteam, bestehend aus Direktor Friedrich Ringelhardt, Kapellmeister Ferdinand Stegmayer und Regisseur Franz Hauser (dem nachmals berühmten Sammler von Bach-Handschriften), kam zugute, daß Wagner vom Sommer 1834 an keinen unmittelbaren und kontinuierlichen Einfluß mehr ausüben konnte, da er Ende Juli 1834 ein festes Engagement als Theaterkapellmeister außerhalb Leipzigs antrat, und zwar bei der in Magdeburg spielenden Bethmannschen Theatertruppe. Wie ungehalten Wagner über den Gang seiner Opernangelegenheit in Leipzig war, zeigt drastisch sein Brief vom 27. Oktober 1834 an Apel: Ich hab’ jetzt viel Aerger, und zwar nicht etwa von Magdeburg aus, sondern von Leipzig. Meine Opernschmiere habe ich bis über die Ohren satt, und wenn die Scheisereien nicht bald aufhören, lasse ich den Leuten die Partitur vor der Nase wegnehmen.10 Wagner erwog zwar kurze Zeit, das Stück statt in Leipzig in Magdeburg herauszubringen, doch blieb es nach allem, was man weiß, bei dem lediglich in einigen Briefen geäußerten Vorsatz11. Über einen Versuch Wagners, den Direktor der Truppe, bei der er selbst engagiert war, Bethmann, zur Aufführung seiner Oper zu bewegen, ist nichts bekannt.

Spätestens im Winter 1835/36 gab Wagner die Oper gänzlich auf. Die Feen spielten danach überhaupt keine Rolle mehr, Wagner unternahm nicht die geringste Anstrengung, sie aufzuführen, und das, obwohl er dazu sowohl in Magdeburg als auch später in Königsberg und Riga durchaus Gelegenheit gehabt hätte. Diese totale Abkehr von den Feen erscheint wie ein radikaler Bruch, ganz ähnlich demjenigen, der von der Hochzeit zu den Feen führte. Er dürfte kaum damit zu erklären sein, daß Wagner seine Anschauungen allgemein und den Stil seiner Musik im besonderen um die Mitte der dreißiger Jahre wandelte. Wären Wagner Sujet und Textbuch der Feen tatsächlich so fortschrittlich im Sinne des Jungen Deutschland erschienen, wie Michael von Soden meint12, dann könnte man sicher sein, daß Wagner sich nach dem Scheitern der Leipziger Aufführungspläne andernorts nachdrücklich um Aufführungen bemüht hätte. Er tat es jedoch nicht. Wäre ihm das Werk als solches noch wichtig gewesen und lediglich die Komposition als nicht mehr dem inzwischen erreichten Standard entsprechend erschienen, so hätte Wagner die Partitur sehr wahrscheinlich umgearbeitet, was er jedoch ebenfalls nicht tat. Daß Wagner derartige Umarbeitungen nicht fremd waren, beweisen die nachfolgenden Opern vom Liebesverbot bis zum Tannhäuser zur Genüge; und auch die Feen selbst zeigen es: Adas große Arie im 2. Akt ist in zwei unterschiedlichen Versionen überliefert, deren zweite mit Sicherheit erst nach Abschluß der Partitur des gesamten Stücks, nämlich im Frühjahr 1834, geschrieben wurde, vermutlich im Anschluß an das Erlebnis eines Gastspiels von Wilhelmine Schröder-Devrient in Leipzig im März 1834.

Von keinem seiner Bühnenwerke hat sich Wagner so radikal getrennt wie von den Feen. Die Beschäftigung mit diesem Werk dauerte kaum drei Jahre; danach verhielt sich Wagner dem Stück gegenüber nur mehr gleichgültig. Möglicherweise quittierte er damit nichts weiter als die Enttäuschung, daß ausgerechnet diesem Werk, bei dem er sich in so außerordentlichem Maße bemüht hatte, der eigenen Familie zu gefallen und zu entsprechen, der Erfolg von Anfang an versagt blieb. Das heißt: Die Feen wurden vermutlich nicht deshalb aufgegeben, weil sie den Anschauungen und dem musikalischen Stil Wagners nicht mehr entsprachen; vielmehr dürfte – umgekehrt – die Enttäuschung über die Erfolglosigkeit der Feen der Grund für den Wandel der Anschauungen und des musikalischen Stils gewesen sein und damit zugleich der Anlaß für die Emanzipation von der eigenen Familie, die in der Tat im Sommer 1834 ihren Anfang nahm.

In den sechziger Jahren trennte sich Wagner sogar von seinem Partiturmanuskript; er schenkte die Originalpartitur zu Weihnachten 1865 Ludwig II. von Bayern. Bezeichnenderweise waren die Feen damit die erste der frühen Opern, die Wagner aus der Hand gab. An eine Veröffentlichung oder Aufführung dachte er auch später nicht. Nach Cosima Wagners Tagebuch sprach er sich am 14. Juni 1882 gerade in bezug auf die Ouvertüre zu den Feen ausdrücklich gegen eine Herausgabe dieser Jugend-Werke oder Gelegenheits-Kompositionen aus, ,die noch dazu – wie er wörtlich geäußert haben soll – nicht aus den allerhöchsten Okkasionen entsprossen seien13. Es nimmt daher nicht wunder, daß es erst nach Wagners Tod zur Publikation und ersten Aufführung kam. Die Uraufführung fand am 29. Juni 1888 im königlichen Hof- und National-Theater in München statt, einstudiert vom jungen Richard Strauss, dirigiert von Franz Fischer (und nicht, wie immer zu lesen, von Hermann Levi). Etwa zur gleichen Zeit erschienen Textbuch, Klavierauszug und Partitur im Druck. Die Münchner Aufführung war ein großer Erfolg, und die Oper wurde in der Folgezeit auch an anderen Orten gespielt, sie setzte sich aber nicht im Sinne eines Repertoirestücks durch. Wie Aufführungen beim Internationalen Jugendfestspieltreffen in Bayreuth 1967, bei der BBC 1976, in Wuppertal 1981 und in München 1989 erwiesen haben, zeigt die Partitur nicht nur das handwerkliche Können ihres Komponisten sowie seine Anpassungsfähigkeit an bestimmte Vorbilder, sondern auch unkonventionelle Züge, die möglicherweise sogar der Grund waren für die Ablehnung 1834 in Leipzig. Im übrigen verdienen die Feen als Jugendwerk eines der wichtigsten Autoren des europäischen Musiktheaters selbstverständlich die gleiche Beachtung wie etwa Mozarts La finta semplice oder Verdis Oberto.

1  Belege sind u.a. zwei erhaltene Briefe Rosalie Wagners an Richard Wagner vom 18. und 22. Oktober 1834 (NA: IV B 4-V-2/3).

2  SB I, S. 136

3  ML, S. 81

4  vgl. WWV, S. 115–118

5  Die Feen – ein unbekanntes Werk, in: Richard Wagner. Die Feen, hg. v. Michael von Soden und Andreas Loesch, Frankfurt a.M. 1983, S. 285

6  ML, S. 76

7  Der in der ersten Veröffentlichung dieses Textes behauptete motivische Zusammenhang mit der Sinfonie in C-Dur WWV 29 beruht auf einem Irrtum.

8  Zu den Notenbeispiclen 1–5 vgl. Richard Sternfeld, Richard Wagners „Feen“ Phantasie, in: Die Musik IV (1904/05), Heft 22, S. 277–280.

9  Faksimile der Titelseite in: Otto Daube, „Ich schreibe keine Symphonien mehr“. Richard Wagners Lehrjahre nach den erhaltenen Dokumenten, Köln 1960, S. 263

10  SB I, S. 166

11  SB I, S. 174f. und 224 (Briefe vom Herbst 1834 sowie vom 11. Oktober 1835)

12  siehe Anm. 5

13  CT II, S. 961 (Fußnote)

Auch eine Unvollendete

Das wiederaufgefundene Sinfonie-Fragment in E-Dur WWV 35

Bislang1 galt Richard Wagners Sinfonie in E-Dur aus dem Jahre 1834 – im Wagner-Werk-Verzeichnis als Nr. 35 eingeordnet – für verschollen. Man wußte nur, daß die Arbeit daran nicht über die Skizze2 eines vollständigen 1. und eines fragmentarischen 2. Satzes hinausgelangt war, und man kannte, aufgrund eines Aufsatzes des Musikschriftstellers und Wagnerforschers Wilhelm Tappert3, einige Themen und Passagen. Jetzt entdeckte Robert Münster, der Leiter der Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek in München, das Werk im Nachlaß des Dirigenten Felix Mottl; allerdings fand er nicht Wagners eigenhändige Skizze, die nach wie vor für verschollen gelten muß, sondern eine Partitur von der Hand Mottls. Man hat es also mit einer sekundären Quelle zu tun, die dennoch – in Ermangelung einer besseren – den Wert einer primären hat. Erstmals jedenfalls seit Tappert ist es möglich, das Stück als Ganzes und im Detail in Augenschein zu nehmen.

Wagner begann mit der Komposition laut eigenem Datumsvermerk auf der Anfangsseite der Skizze am 4. August 1834 in Lauchstädt, einem Badeort in der Nähe von Halle. Dort hatte er wenige Tage zuvor, wahrscheinlich am 2. August, sein Debüt als Opernkapellmeister mit Mozarts Don Giovanni gegeben4. Dieses Ereignis war möglicherweise der äußere Anlaß für die Komposition. Wagner war im Juli – wohl auch für ihn selbst unerwartet – als Musikdirektor der Bethmannschen Operntruppe engagiert worden, die unterm Jahr in Magdeburg spielte und in den Sommermonaten außerhalb Magdeburgs auftrat, so 1834 in Lauchstädt und Rudolstadt (Thüringen). Die Arbeit mit der Operntruppe ließ, wie Wagners Briefen aus der Zeit zu entnehmen ist5, wenig Zeit zum Komponieren. Überdies zog die Truppe am 12. August nach Rudolstadt weiter6. Jedenfalls kam die Skizze des 1. Satzes der Sinfonie laut Wagners Datierungsvermerk erst am 29. August 1834 in Rudolstadt zum Abschluß. Danach dürfte sich Wagner dem 2. Satz gewidmet haben, von dem die ersten 29 Takte skizziert wurden. Es ist anzunehmen, daß der Abbruch der Komposition spätestens am 13. September 1834 erfolgte; denn an diesem Tage schrieb Wagner an seinen Freund Theodor Apel, er sei in der Composition einer Symfonie begriffen, könne sie jedoch auf keinen Fall beendigen7. Warum er sich nicht in der Lage sah, die Arbeit fortzuführen, sagte er nicht, so daß sich über die Gründe nur rätseln läßt. Wagner selbst urteilte später in seiner Autobiographie Mein Leben – der Passus stammt von 1866 –: Schon um diese Zeit bildete sich aber bei mir die Ansicht von der Unmöglichkeit aus, auf dem Gebiete der Symphonie nach dem Vorgange Beethovens noch Neues und Beachtenswertes zu leisten.8 Diese Begründung klingt ideologisch; sie erscheint geprägt von der Wagnerschen Idee, daß nur das Musikdrama der legitime Nachfolger der Beethovenschen Sinfonie sein könne. Es ist zweifelhaft, ob der einundzwanzigjährige Wagner schon so weit dachte, ob nicht viel näher liegende, konkretere Gründe für den Abbruch der Arbeit an der Sinfonie verantwortlich waren.

In dem zitierten Brief vom 13. September 1834 schrieb Wagner auch, daß er wegen der Sinfonie schon an Pohlenz geschrieben habe9. Gemeint war Christian August Pohlenz, der Kapellmeister des Gewandhauses in Leipzig, dem Wagner die Sinfonie angekündigt haben dürfte, mit dem Gedanken selbstverständlich an eine Aufführung im Gewandhaus. Wagner war es also nicht allein darum zu tun, eine Sinfonie zu komponieren, sondern er wollte sich zugleich einer Aufführung dieses Werkes in dem weit über Leipzig hinaus renommierten Gewandhaus versichern. Es wäre nun denkbar, daß Wagner über der Kompositionsarbeit einsah, daß er mit dieser Sinfonie weder dem eigenen noch dem Anspruch des Gewandhauses gerecht zu werden vermochte. Dafür sprechen die Eigenheiten der Komposition, auf die noch einzugehen ist. Um nicht von Pohlenz beim Wort genommen werden zu können und sich einer Blamage aussetzen zu müssen, könnte Wagner ganz bewußt die Komposition abgebrochen haben. Im übrigen beschäftigte ihn seine neue Oper Das Liebesverbot, ein Projekt, das seinem eigenen Leben viel näher war, als es eine Sinfonie sein konnte. Daß er die Sinfonie zugunsten des Liebesverbots aufgegeben hätte, läßt sich freilich nicht beweisen. Mit dem Text zu der Oper hatte er nach seinen eigenen Zeugnissen begonnen, bevor er an die Komposition der Sinfonie ging10; und mit der Musik der Oper befaßte er sich erst ab Januar 183511.

Ganz unwichtig war Wagner die Sinfonie nicht; denn er vermerkte sie in den 1835 begonnenen autobiographischen Notizen in der sogenannten Roten Brieftasche12 und ging auch, wie erwähnt, in Mein Leben darauf ein. Andererseits scheint ihm schon bei der Aufzeichnung der Notizen der Roten Brieftasche nicht mehr gegenwärtig gewesen zu sein, daß er den 1. Satz in Lauchstädt und nicht in Rudolstadt begonnen und außerdem nicht nur einen ersten, sondern auch noch den Beginn eines 2. Satzes komponiert hatte. Das deutet darauf hin, daß er schon zum Zeitpunkt der Niederschrift der Notizen der Roten Brieftasche nicht mehr im Besitz der Skizze des Werks war. Als er Mein Leben diktierte, verfügte er, wie er selbst mitteilt, über keinerlei Manuskript. Er mußte sich folglich auf die Notizen der Roten Brieftasche stützen und übernahm daher deren Angaben.

Erst 1886 kam die Skizze wieder ans Licht. Wilhelm Tappert entdeckte sie bei einem Berliner Antiquar, möglicherweise Liepmannssohn, und erwarb sie schließlich im Auftrage der Familie Wagner für das Bayreuther Archiv13. Eine Abschrift, die er bei dieser Gelegenheit für sich selbst anfertigte, ist verschollen. Im Herbst des gleichen Jahres bat Cosima Wagner den Dirigenten Felix Mottl, das Stück zu instrumentieren14. Wann Mottl mit dieser Arbeit begann, ist ungewiß; sicher ist dagegen, daß er bis Anfang Mai 1887 nicht über die ersten 12 Partiturseiten hinausgekommen war15. Er beendete die Arbeit schließlich laut Datumsvermerk in der Partitur am 22. Juli 1887. Eine Abschrift der Skizze, die Mottl, wie er am 14. August an Cosima Wagner schrieb16, anfertigen lassen wollte, ist, sofern sie tatsächlich hergestellt wurde, nicht erhalten. Das Original verblieb, obwohl Eigentum der Familie Wagner, im Besitz Mottls, aus dessen Nachlaß es 1913 verkauft wurde. Seither ist es verschollen.

Bemerkenswert, weil ungewöhnlich ist die Wahl von E-Dur als Tonart einer Sinfonie. Weder Mozart noch Beethoven haben Sinfonien in dieser Tonart geschrieben, im sinfonischen Schaffen Haydns trifft man sie lediglich im Frühwerk an (Nr. 12 und 29), und in der nachklassischen Periode begegnet sie bis hin zu Bruckner nur ganz ausnahmsweise, etwa in dem Fragment gebliebenen Werk D 729 von Franz Schubert oder in der fünften Sinfonie von Franz Lachner. Vermutlich hat man die Wahl einer so ungebräuchlichen Tonart als Zeichen von Wagners Ehrgeiz zu werten, etwas Besonderes zu schaffen; denn da er die E-Dur-Sinfonien Haydns mit Sicherheit nicht kannte (sie dürften im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts noch unbekannt gewesen sein), und er auch von dem Fragment Schuberts sowie von der nicht zum Druck gelangten Sinfonie Lachners keine Kenntnis gehabt haben dürfte, könnte er durchaus der Ansicht gewesen sein, allein schon mit der Tonart E-Dur sinfonisches Neuland zu betreten. Daß ihm, zumindest später, das Ungewöhnliche von E-Dur als Tonart einer Sinfonie bewußt war, beweist Cosima Wagners Tagebuch, in dem es unter dem Datum des 28. November 1878 heißt: Er spricht auch von der begonnenen Symphonie in E dur; keiner, so viel er wisse, habe eine Symphonie in E geschrieben.17 Zudem scheint E-Dur für Wagner gerade in bezug auf die Gattung der Sinfonie von besonderer Attraktion gewesen zu sein. Zum einen sollten die beiden Sinfonien WWV 78, die Wagner kurz vor Beginn der Komposition des Lohengrin plante, in E-Dur stehen; zum anderen ist Wagners berühmteste, vielleicht auch bedeutendste Instrumentalkomposition, das Siegfried-Idyll, ein Werk in E-Dur. Der heute geläufige Titel, der erst später dem Stück beigegeben wurde, täuscht über die urspüngliche Intention hinweg: Wagner hatte nichts Geringeres als eine Sinfonie im Sinn und überschrieb daher die Widmungshandschrift der Partitur für seine Frau Cosima demonstrativ mit Symphonie.

Der 1. Satz – E-Dur, 3/4 – ist mit Allegro con spirito überschrieben und umfaßt 456 Takte. Ihm liegt, deutlich ausgeprägt, die Sonatensatzform zugrunde. Die Exposition, die wie traditionell üblich wiederholt wird, umfaßt 160, die Durchführung 135, die Reprise 161 Takte. Als Hauptthema fungiert eine 12taktige Periode, mit der der Satz beginnt:

Von motivisch-thematischer Relevanz ist jedoch lediglich das Anfangsmotiv von Vorder- und Nachsatz, strenggenommen sogar nur das punktierte Achtel mit Sechzehntel auf der ersten Zählzeit. Dieses Motiv nämlich, melodisch vielfach variiert (vom Sekund- bis zum Oktavfall), durchzieht den gesamten Satz. Es prägt auch das zweite wichtige Thema des Hauptsatzes, der mehr durch dieses als das Hauptthema charakterisiert wird. Das Charakteristikum besteht allerdings weniger im Thema selbst als darin, daß es schier unermüdlich sequenziert wird:

Mit Takt 32 ist der Hauptsatz zu Ende: Ab Takt 35, nach zwei Takten Generalpause, folgt eine Wiederholung des Hauptsatzes im Tutti und fortissimo, ehe dann mit Takt 64 ein Abschnitt einsetzt, den Wagner aus seiner Klaviersonate A-Dur WWV 2618 übernommen hat. Die Takte 64–138 des Sinfoniesatzes sind identisch mit den Takten 25–99 des 1. Satzes der Sonate, lediglich transponiert und in einigen Takten der Motivik des Sinfoniesatzes angepaßt. Daß Wagner das Thema des Seitensatzes

der Sonate entnahm, war bereits bekannt, da Wilhelm Tappert es in seinem genannten Aufsatz mitgeteilt hatte. Daß Wagner jedoch ganze Satzteile, noch dazu dieses Umfangs, aus der Sonate übernahm – die genannte Passage ist nicht die einzige –, war bislang unbekannt, da Tappert der Sachverhalt offensichtlich entgangen war – eine Seltsamkeit angesichts der Tatsache, daß Tappert ein ausgezeichneter Kenner der frühen Werke Wagners war und selbstverständlich auch die A-Dur-Sonate kannte19.

Überleitung und Seitensatz entstammen also komplett dem 1. Satz der Sonate. Erst der Epilog, beginnend mit Takt 139, ist wieder eigenständig. Er ist fast durchgehend wiederum vom punktierten Anfangsmotiv bestimmt,

schließt dann aber ganz unvermittelt mit einer von aller vorangehenden Motivik freien chromatischen Phrase:

Das besondere Merkmal der Durchführung ist, daß der Abschnitt, mit dem sie nach kurzer Überleitung in As-Dur beginnt (T. 163–206), nach wenigen Zwischentakten, um eine Quinte nach oben versetzt, getreu wiederholt wird (T. 215–258). Das Durchführungsprinzip der Aufstellung eines motivischen Modells, das dann sequenziert wird, schimmert bei diesem Verfahren zwar noch durch, die Ausweitung des Modells aber auf einen Umfang von mehr als 40 Takten macht aus dem seiner ursprünglichen Intention nach dynamischen Prinzip ein statisches. Das Modell beginnt mit Sequenzen des zweiten Themas aus dem Hauptsatz über liegenden Klängen, geht dann (T. 178ff.) ganz in Klang über und greift in den Takten 186–205 wiederum eine Passage aus dem 1. Satz der Klaviersonate A-Dur WWV 26 auf, nämlich deren Takte 125–144, ebenfalls aus der Durchführung. Nach einer Art Scheinreprise mit dem Zitat der Takte 2 und 3 des Hauptthemas, versetzt nach G-Dur (T. 211–214), schließt sich die transponierte Wiederholung des Modells, von Es-Dur ausgehend, an. Da Wagner auch die Durchführung der Sonate mit einem ausgedehnten Modell und seiner Sequenz gestaltet hatte, entsprechen die Takte 238–258 des Sinfoniesatzes den Takten 165–185 der Sonate, versetzt um einen Ganzton nach oben. Der Schlußteil der Durchführung, komponiert als breite Vorbereitung der Reprise, spielt ständig auf das Hauptthema an, unterbrochen von Zitaten des Anfangs des Seitenthemas:

Die Reprise führt das Hauptthema sogleich im Tutti und fortissimo vor, verzichtet also auf den Pianovortrag der Exposition, was bedeutet, daß die Takte 1–38 in der Reprise nicht wiederkehren. Überleitung und Seitensatz entstammen wiederum dem 1. Satz der Klaviersonate A-Dur. Wagner hat es jedoch an dieser Stelle nicht bei der durchgehenden Übernahme belassen, sondern einige Takte eingeschoben oder anders gestaltet. Die Takte 321–328/334–347/353–384 des Sinfoniesatzes sind mit den Takten 228–235/241–254/ 255–286 der Sonate identisch, zweiter und dritter Abschnitt jeweils quintversetzt. Der Epilog entspricht zunächst der Exposition, hat dann jedoch die Besonderheit, daß zwischen die beiden erwähnten Komplexe (vgl. Notenbeispiele 4 und 5) ein neuer Abschnitt eingeschoben ist, der jedoch nicht, wie es einer Coda entspräche, die Hauptthemen des Satzes aufgreift oder an die Durchführung anknüpft, sondern den Epilog fortführt und dessen Motivik gleichsam auslaufen läßt:

Den Schluß bildet ein verkürztes Zitat des Hauptthemas.

Der zweite Satz – A-Dur, 4/4 – ist mit Adagio cantabile überschrieben und bricht nach 29 Takten ab. Die Takte 1–4 – das war ebenfalls schon anhand von Tapperts Aufsatz feststellbar – entstammen wiederum der Klaviersonate A-Dur:

Sie erscheinen dort, allerdings in anderer Taktart (12/16), als zweites Thema des 2., ebenfalls langsamen Satzes (T. 21–24). Im Unterschied zur Sonate bilden die vier Takte in der Sinfonie den Vordersatz einer Periode, deren Nachsatz mit dem Vordersatz identisch ist, sich am Schluß jedoch traditionsgemäß zur Tonika wendet. Eingeschoben zwischen Vorder- und Nachsatz sind zwei Takte, die melodisch-thematisch wie eine Vermittlung wirken, harmonisch jedoch eher ein Fremdkörper sind, da sie in Cis-Dur stehen. In Takt 11 ist der erste Teil des Satzes beendet. Es folgt eine Überleitung, die mit folgendem Motiv arbeitet

und dann zu einer aus der Anfangsperiode abgeleiteten Motivik übergeht. Als zweites Thema schließt Wagner nun das Hauptthema des langsamen Satzes der Klaviersonate A-Dur an (T. 1–4), versetzt nach e-Moll und selbstverständlich gleichfalls von 12/16 nach 4/4 umgeschrieben:

In Takt 25 und 27 setzen jeweils Imitationen ein, die das Thema in andere Tonarten versetzen, es variieren und verkürzen. Dieser Vorgang bricht aber schon in Takt 28 ab, der im reinen Klang (H-Dur) verharrt. Der letzte von Wagner notierte Takt (T. 29) schließlich enthält nur eine einstimmige Phrase, die wohl als Rückleitung gemeint ist, ohne daß aber deutlich wäre, was sich hätte anschließen sollen.

Die umfangreichen Rückgriffe auf die Klaviersonate A-Dur machen deutlich, daß die Sonate20 zur Vorgeschichte der Sinfonie gehört. Wagner hatte sie zu Beginn des Jahres 1832 geschrieben und als sein Opus 4 veröffentlichen wollen. Dann – und das ist in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse – scheint er die Absicht gehabt zu haben, das Werk oder zumindest dessen 1. Satz zu instrumentieren. Jedenfalls finden sich im Manuskript zwei nachträgliche Instrumentationsvermerke. Wie weit dieser Plan schließlich gedieh, ist ungewiß, da keine Manuskripte dazu überliefert sind. Überraschend ist das Verfahren insofern nicht, als Wagner schon in einem früheren Fall, der heute verschollenen vierhändigen Sonate B-Dur WWV 1621, genauso vorgegangen war, und im übrigen Wagners Klaviermusik nicht so spezifisch klavieristisch ist, als daß sie sich nicht leicht für andere Besetzungen adaptieren ließe.