Als Gott die Erde schuf, hat er den Knödel im Sinn gehabt, ist dieser in seiner Rundheit doch der Inbegriff der Perfektion – und um sein Innenleben sind schon wahre Glaubenskriege entstanden …
Unterhaltsame Geschichten rund ums Essen – Eva Demski erzählt von Gourmets und Asketen, von üppigen Festgelagen, von den Wonnen des Fastens und vielem mehr: wie die Wahl des richtigen Weins zur Sinnfrage wird und das Beerensammeln zum Feldzug. Sie berichtet vom unaufhaltsamen Siegeszug der Bratwurst, die selbst ausgewiesene Sternerestaurants erobert, und stimmt ein Loblied auf die Suppe an, die Leib und Seele wärmt.
Eva Demski wurde 1944 in Regensburg geboren und lebt heute in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, so erhielt Eva Demski 2008 den Preis der Frankfurter Anthologie.
Im insel taschenbuch liegen von ihr außerdem vor: Gartengeschichten (it 4003), Katzenbuch (it 3654), Mama Donau (it 3279), Lesbos. Sappho und ihre Insel (it 3246) und Venedig. Salon der Welt (it 3193).
Eva Demski
Rund wie die Erde
Kulinarische Geschichten
Insel Verlag
Umschlagabbildung: Michael Sowa
eBook Insel Verlag Berlin 2012
© Insel Verlag Berlin 2012
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Umschlag: Michael Hagemann
Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
eISBN 978-3-458-77530-0
www.insel-verlag.de
Rund wie die Erde
Ein Tausender das Kilo
Ein ernstes Getränk: Champagner
Das große und das kleine Fressen
Ein Wein voller Weine
Beerenlese
Die Frankfurter Kleinmarkthalle
Verkannte Trösterin – Lob der Suppe
Endzeitdekoration
Wo die Blutwurst der Leberwurst begegnet
Weniger werden – ein Tagebuch
Zwiefache Speise
Lebensmittel
Ein Herz schlägt unter jeder Küchenschürze
Und hütet sein Geheimnis: die Gewürze.
So könnte man es sich mit dem gebotenen Respekt vorstellen: Eines Tages nahm der Allmächtige eine Handvoll Materie, spielte damit und formte die Erde. Wie sich die Dinge weiter mit ihr zutrugen, braucht uns hier, Ihm sei Dank, nicht zu kümmern – jedenfalls ist unstreitig so der erste Knödel entstanden. Wer immer danach geduldig und nachdenklich teigdrehend in der Küche steht, sollte sich dessen erinnern. Nein, wir werden hier nicht das Wort »Kloß« einführen, nicht ein einziges Mal, jenes preußische Unwort, das wir den Trauer- und Erdklößen verdanken, die nie wissen werden, was ein Kartoffelknödel verliert, wenn man ihn zum Kloß degradiert. Einen Knödel hat der Schöpfer im Sinn gehabt, keinen Kloß! Was daraus wurde – es mag am falschen Garen gelegen haben. Das aber, wie gesagt, hat uns hier nicht zu kümmern. Die Geschichte fängt eigentlich ganz anders an, viel näher und sehr wenig mythisch, sie fängt mit meinem Neffen an, der kategorisch erklärte, nur runde Nahrung zu sich zu nehmen. »Ich will nur runde Sachen essen!« sagt er, seit er überhaupt etwas sagen kann und einen eigenen Willen hat. So kam ich aufs Nachdenken über den Knödel, das Runde an sich. Die Dreiquartelanalytiker, die abscheulichen, ungebetenen Partypsychiater und Handstricktherapeuten werden mit den Mutterbrüsten daherkommen, von denen der Knabe entweder zu wenig oder zuviel gesehen hätte. Nichts davon! Außerdem lebt der Knabe in der Oberpfalz, da hat man sowas gar nicht. Psychologie, meine ich. Und er weiß auch nichts von jenem Sechsundachtzigjährigen, den ich in Südtirol kennengelernt hatte. Der Mann rauchte wie ein Schornstein, trank nicht wenig Schnaps und ernährte sich, wie er glaubhaft versicherte, seit seiner Entwöhnung von den mütterlichen Rundungen von Speckknödeln. Ein Leben lang Speckknödel, zweimal am Tag Speckknödel und nur manchmal einen Salat dazu. Der Mann ist vollkommen gesund. Man wird ihm einen Knödel ins Grab nachwerfen, wenn er überhaupt stirbt, vielleicht hat er ja mit der vollkommen runden Ernährung als erster im runden Universum den Schlüssel zur Unsterblichkeit gefunden. Das alles interessiert meinen Neffen gar nicht, und nur Speckknödel wären ihm zu fad, da doch Hunderte von Knödelsorten am kulinarischen Himmel aufscheinen, ein Planetarium runder Genüsse gleichsam.
Rundes will er essen? höre ich die Knödelbanausen fragen. Dann geben Sie ihm doch Tomaten, Orangen oder Kartoffeln – das ist auch alles mehr oder weniger rund. Die Ahnungslosen! Das Wesen des Knödels ist nicht denkbar ohne die Verwandlung eines Rohstoffs in die Vollkommenheit des Runden. Erst als Knödel ist die Kartoffel wirklich rund und wahrhaft genießbar!
Das Schöpferische will der Knödelsüchtige mitessen, und das Rund der Aprikose ist vollkommen, wenn ihr Kern durch ein Stück Zucker (der ins Innenrund hineinschmilzt) ersetzt und ihre äußere Rundung durch einen zarten Nudelteig mit Butter, Zucker und Zimt gestaltet worden ist. Das naturgegebene Rund wird durch die Kunstrundung erhöht. Das ist Kultur! Es muß keine Aprikose sein, auch Zwetschgen und Kirschen lassen sich auf diese Weise veredeln. Und es muß kein Nudelteig sein, auch ein rauhleichter Quarkteig oder ein in diesem Fall eher biederer Kartoffelteig sind brauchbar. Bieder ist der Kartoffelteig, aber wirklich nur bei der Erhöhung und Vervollkommnung der Früchte! Für sich genommen ist nämlich der Knödel die Apotheose der Kartoffel, mehr Kartoffel, als eine simple Kartoffel je sein kann! Aber man muß sich dem Prozeß der Kartoffelverwandlung stellen: Tüten voll mißtrauenerweckenden Pulvers und gar jene Papiersäckchen, in denen durch Kochen ein walzenförmiges Ding von gummiartiger Konsistenz entsteht, müssen wir vergessen. Natürlich bleibt es jedermann unbenommen, derlei zu produzieren und zu essen. Man sollte es nur nicht Knödel nennen dürfen.
Vor den Knödel haben die Götter jene Flüssigkeiten gesetzt, die in diesem und anderem Zusammenhang gern genannt werden (und wir werden sehen, daß es hier buchstäblich zutrifft): Blut, Schweiß und Tränen. Nicht alles muß für jede Knödelsorte vergossen werden – fangen wir also mit dem Blut an. Der wirklich echte Reiberknödel, der aus rohen Kartoffeln geriebene, erhält seine letzte Würze durch jenes Tröpfchen Blut, das fließt, wenn wir mit den Fingerknöcheln über die Kartoffelreibe raspeln. Dafür gehört dieser gefährliche Knödel zu den wunderbarsten seines Genres. Wichtig ist die Reibe – es muß genau in jener mittleren Stärke gerieben werden, die die zarten Kartoffelspäne noch zwischen den Zähnen ahnen läßt. Kein Matsch, aber auch keine Stückchen, und zur Füllung ganz puritanisch nur leicht in Butter geröstete Graubrotwürfel.
Das Innenleben der Knödel ist fast so wichtig wie die äußere Hülle. Glaubenskriege sind schon darum entstanden, die wollen wir ruhig ein wenig schüren. Aber bleiben wir noch bei der Härte, die in diesem Fall dem Genuß vorausgeht – auch der Schweiß spielt seine Rolle dabei, und wer je den schweren, mit Semmelstücken durchsetzten Teig für den klassischen böhmischen Mehlknödel gerührt hat, weiß, wovon ich rede. Und das Rühren muß sein, bis die Hände und der Teig Blasen werfen, denn nur dann entfaltet sich aus irdischer Schwere traumhafte Leichtigkeit. Wenn der Mehlknödel gelungen ist, ist er so empfindlich, daß er sich vor dem Messer fürchtet. Deshalb soll er mit einem weißen Zwirnsfaden in Scheiben geteilt werden. Ein Innenleben hat er nicht, denn er ist ganz Innenleben, Komposition aus Weißbrot, Mehl, Ei und Hefe, der meine Mutter noch ein wenig Sprudelwasser hinzuzufügen pflegte, obwohl das nicht orthodox ist – selbst das Ei wird von manchen böhmischen Puristen abgelehnt. Und die Tränen? Sie fließen, wenn alles umsonst war, der Knödel sich auflöst oder wie ein heimtückischer Stein dem Messer widersteht. Damit man nicht weinen muß, ist der Probeknödel zu empfehlen, den man als Vorhut ins leise simmernde Salzwasser gleiten läßt. Wenn der störrisch oder suppig wird, läßt sich noch was retten. Scylla und Charybdis der Knödelköchin (ich kenne nur große Knödelköchinnen, keinen einzigen Mann, der zur Erschaffung vollkommener Knödel geeignet wäre): der Matschknödel und der Steinknödel. Zwischen beidem gilt es, die jedem Knödel zugeordnete, einzig wahre Beschaffenheit zu erreichen. Die nachgiebige Festigkeit des gekochten Kartoffelknödels, die rauhe Schwere des Reiberknödels, die leichtsinnige Körnigkeit des Grießknödels. Über den Mehlknödel sprachen wir schon, und über die einzig wahre Konsistenz des Semmelknödels und des Leberknödels werden wir streiten. Fest muß er sein, wehrhaft, sich nicht gleich den zerstörerischen Attacken des Bestecks ergeben, sagen die einen. (Man benutze das Messer nur unterstützend, Knödel »reißt« man!) Weich und aufnahmebereit, ein Dienender, das sei der wahre Knödel, sagen die anderen, und woran denken sie? An die Soße, natürlich, die in diesem Zusammenhang auf gar keinen Fall Sauce heißen darf.
Ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Kapitel: Der Knödel ersehnt die Soße wie der Erdball den Regen. Ihr muß er sich öffnen, er darf sie nicht abweisen wie ein verkarsteter Boden, er darf sie aber auch nicht bis zur Selbstverleugnung einsaugen und sich ihr ununterscheidbar vermählen.
Eigentlich bildete der Knödel die ideale Speise für Vollwertköstler und Vegetarier, die es nicht verbissen sehen – wenn die Sache mit der Soße nicht wäre. Denn das weiß jeder, daß der Schweinsbraten und der Rehrücken in der Hauptsache Lieferanten einer ausgiebigen, würzigen und abrundenden Soße sind. Und ohne Fleisch geht nichts, sagt der Neffe, obwohl er nie welches ißt. Aber alles geht, wenn man sich in die Knödelkunde versenkt, und so gebe ich jenen, die auf dem Pfad vegetarischer Tugend schon weit geraten sind, den Rat, die böhmischen Mehlknödel mit einer Dill-Sahne-Gurkensoße zu versuchen. Und sehr Wohlhabende könnten den Semmelknödel (in seinen Teig muß ein Hauch feingewiegter glatter Petersilie) in einen tiefen, üppigen See von Steinpilzen in saurem Rahm versenken. Das ehemalige Armeleuteessen ist heute fünfmal so teuer wie Braten, geschieht uns recht. Und es schmeckt so überirdisch, daß wir die Kosten und das bißchen Cäsium auch noch schlucken. Der Semmelknödel ist des Neffen liebster Knödel, obgleich er immer wieder das mangelnde Innenleben beklagt. Und zur Abwechslung den mit Weißbrotbröseln, Hackfleisch und Käse gefüllten Halb und Halb (halb rohe, halb gekochte Kartoffeln) sehr gern hat. Mir ist der zu grob, ich habe ihn im Verdacht einer besorgniserregenden Modernität. Wo sowas geht, ist das Ketchup nicht weit. Andererseits ist die Brutalität – die lüsterne Brutalität – des Zerteilens erst dann wirklich schön, wenn das Innere, das Magma des Knödels hervortritt.
Auch dies wie eine Erinnerung: das Tröstende, das Abmildernde der runden Speise. Essensreste in mageren Zeiten verloren ihre Traurigkeit, wenn man sie klein schnitt oder hackte und einen sanften Teig um sie herumschloß, ein Neuerschaffenes glitt da ins Wasser, das niemals kochen darf, immer viel und immer gesalzen sein muß, auch bei den süßen Knödeln. Der Knödel: Das war eine scheinbare Üppigkeit in ärmlichen Zeiten, ein Aufscheinen des Barocken dort, wo die Menschen eher gotisch aussahen.
Heute ist der Knödel verpönt, denn er hat die Gestalt, die wir anzunehmen fürchten, wenn wir uns seinem Genuß hingeben. Das ist schade. Manchmal schmuggeln die feinen Köche, die nicht aufhören können, das Runde zu lieben, ganz kleine Knödel auf die Teller, das sind Nocken, aber die Hoffnung bleibt, daß sie sich allmählich wieder zu richtigen Knödeln auswachsen könnten, die nicht nur für kleine Buben Inbegriff des Glücks sind.
bracht. Ihm steht auch jenes Gemüse gut zu Gesicht, das sonst fürchterlicherweise immer mit der Sanftheit des gekochten Kartoffelknödels oder gar, horribile dictu, des Semmelknödels gepaart wird: das Sauerkraut. Der Leberknödel darf es haben, die beiden passen zusammen, und es schadet nichts, wenn man den Leberknödel für diese Verbindung aus der obligatorischen Fleischbrühe fischt.
Wie viele von der ebenso verschämten wie großen Gemeinde der Knödelliebhaber werde ich jetzt unzufrieden gelassen haben, der Quarkknödel beispielsweise nicht ernsthaft gedenkend oder des Germknödels? Auch über das geheimnisvoll anrüchige Innenleben des Mohnknödels haben wir nicht wirklich reflektiert. Meine böhmische Großmutter, die eine große Knödelköchin war (was meine Mutter bestreitet, die aus purer Schwiegermutterphobie eine noch bessere Knödelgestalterin wurde), also meine Großmutter hätte laut gelacht, wenn man ihr die Verbindung von Mohn und Rauschgift hätte einreden wollen. Aus Mohn macht man Knödel. Allenfalls noch Strudel. Vieles wäre besser auf der runden Erde, wenn man Knödel daraus machte.
Wer Knödel macht, muß ein nachdenklicher, ruhiger, in sich gekehrter Mensch sein. Das Reiben, das Schnippeln, Mischen und Rühren, die zärtlich gebohrte Kuhle im Teig, die die Füllung aufnehmen soll, schließlich der wahre Schöpfungsakt: das Formen mit feuchten oder bemehlten Händen, das Runden und Glätten. All das bedarf der Einkehr und der Geduld. Ein Hektiker bringt keine gescheiten Knödel fertig.
Spätestens beim Essen wird man für die Zeit der Stille entschädigt. Knödel sind ein Essen, das der Geselligkeit bedarf. Die traurigste denkbare Kombination wäre ein Single und ein Knödel. Auf einer flachen Schüssel müssen sie liegen, einander berührend, aber nicht bedrückend, die Knödel. »Neun Stück habe ich geschafft«, sagt der spindeldürre Neffe stolz. »Sie sind aber auch saugut gewesen.«
Ess, ess, ess ich Estragon?
Was, was hätt ich denn davon?
In den Essig Estragon?
Ja, das geht. Das wars auch schon.