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© 2019 Joachim Sass
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BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7494-4190-7
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Für Gisela
Vieles wurde über die Pyramiden bereits publiziert, aber bis heute gibt es keine umfassende und technisch überzeugende Antwort darauf, wie sie gebaut wurden. Jenseits aller Spekulationen über ihre Entstehung besteht für diese Bauwerke jedoch grenzenlose Bewunderung.
Die einschlägige Fachliteratur wird von Wissenschaftlern der Ägyptologie und Archäologie bestimmt. Diese Darlegungen sollen mit der vorliegenden Publikation als fachübergreifender Beitrag aus der Sicht des Bauingenieurs mit aktuellen und realitätsnahen Erkenntnissen ergänzt werden.
Offensichtlich war das forschende Interesse der Bauingenieure bisher nicht ausgeprägt genug, eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage zu geben. Dabei verfügt diese Berufsgruppe über die größte fachliche Nähe und wäre mit ihren Fachkenntnissen auf den Gebieten der Baukonstruktionslehre, des Baubetriebs, der Vermessung, Bodenmechanik und Darstellenden Geometrie prädestiniert gewesen, Lösungsvorschläge zu diesen Bauaufgaben zu machen.
Weil es weder schriftliche noch bildliche Aufzeichnungen über den Pyramidenbau gibt, musste vom Autor mit fachkundigem Blick auf die Bauwerke selbst und deren Details die Art ihrer handwerklichen Ausführung „abgelesen“ werden.
Erste Informationen lieferten die vielgestaltigen Formen und Größen der Bauwerke, der unterschiedliche Baugrund sowie die konstruktive Ausgestaltung von Gängen und Räumen mit ihren verschiedenen Deckenkonstruktionen. Weitere Hinweise gaben die verbauten Quader und Steinbalken, ihre abweichenden Größen und Formen sowie die verwendeten Gesteinsarten. Bearbeitungsspuren an diesen Werkstücken ließen weitere Rückschlüsse auf die verwendeten Werkzeuge zu.
Durch eine vertiefende Betrachtung waren sowohl die angewandten Konstruktionstechniken als auch die zugehörigen realistischen Bauabläufe zu ermitteln, mit denen man die Pyramiden Stein auf Stein errichtete.
Die bis zu diesem Stadium gewonnenen Resultate wurden mit dem fachspezifischen Wissen des Bauingenieurwesens kritisch auf Unvereinbarkeiten überprüft. Mit diesem Blick in die Vergangenheit war die Entstehungsgeschichte der Bauwerke zu beschreiben.
Im Zuge dieser Studien wurde erkennbar, über welches theoretische und praktische Fachwissen die damaligen Bauleute verfügt haben mussten. Alle im Zuge dieser Untersuchungen gewonnenen Einsichten zum Baugeschehen in der Pyramidenzeit fügten sich zu einem nachvollziehbaren Gesamtbild, wie die Arbeitsabläufe organisiert gewesen sein mussten und wie die verschiedenen Tätigkeiten ineinander griffen, um diese komplexen Bauwerke zu realisieren.
Der Abgleich mit den bis heute gültigen Regeln der Baupraxis verfestigte abschließend die einleuchtende Vorstellung über den gesamten Baubetrieb mit den Mitteln der damaligen Zeit.
Mit diesem Überblick war die Baugeschichte der ägyptischen Pyramiden im Allgemeinen und die der Cheopspyramide im Besonderen mit großer Realitätsnähe zu entwickeln und abzusichern. Sie ist das über alle Zeiten herausragende Glanzstück technischer Begabungen und Ingenieurfähigkeiten.
Wie das Grabmal des Cheops als gewaltigste Steinpyramide der Welt in der Zeit zwischen der Thronbesteigung und seinem Tod errichtet wurde, fasziniert durch seine damals neuartigen Bauverfahren und die Errichtung innerhalb einer beachtlich kurzen Bauzeit.
Die Cheopspyramide wird in den baugeschichtlichen Kontext der Bauwerke gestellt, die außerhalb Ägyptens bereits vorher errichtet wurden. Weil auch sie die Zeiten überdauerten, repräsentieren sie bis heute eindrucksvoll ein schon sehr viel früheres Bauschaffen mit einem überraschend hohen technischen Anspruch.
Ein ergänzender Exkurs in die Zeit von 1960 bis 1970 – in welche die Entstehung des Assuan-Hochdammes und das Versetzen der Felsentempel von Abu Simbel fällt – rundet diese Arbeit ab.
Hierbei werden die beiden Großprojekte dieser Ära beschrieben, deren praktische Umsetzung nach Art, Umfang und Leistungsfähigkeit bis in alle Einzelheiten bekannt ist. Beide Baumaßnahmen berühren nachhaltig die Kultur und das Schicksal Ägyptens, wie es auch die Großpyramiden des Alten Reiches taten.
Allein die Größe und Bedeutung dieser beiden Bauwerke, aber auch ihre herausragenden Ingenieurleistungen, die in weiten Teilen in dieser Form erstmals erbracht wurden, sollen eine anachronistische, aber reizvolle Gegenüberstellung mit dem Bau der Pyramiden im Alten Ägypten bilden. Auch diese Bauaufgaben waren von enormen technischen und logistischen Herausforderungen geprägt. Berücksichtigt man die Mittel und Möglichkeiten der jeweiligen Zeit, lässt sich eine vergleichbare Vorstellung vom außergewöhnlichen Potenzial der Baufachleute im Alten Ägypten entwickeln.
Mit dem Buch Die Baugeschichte der Cheopspyramide – Genialität in der Einfachheit wird eine Studie vorgelegt, die umfassend und anschaulich die zu ihrer Errichtung erforderlichen vielschichtigen Arbeitsabläufe und die damit verbundene diffizile Logistik beschreibt. Sie entschlüsselt erstmals die zahlreichen, bisher nicht erkannten Bautechniken der hoch komplexen Struktur und macht den Zusammenhang zwischen fachlichem Können und immer währendem Wagnis seiner Erbauer deutlich.
Unverzichtbar für den glaubwürdigen Nachweis der Machbarkeit sind die ergänzenden Leistungsnachweise und Berechnungen.
Auslöser für diese Arbeit waren die im Rahmen einer Studienreise durch Ägypten in situ gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse. Sie weckten das besondere Interesse des Autors, Lösungsvorschläge für diese Bauaufgaben zu erarbeiten.
Im Zuge der Verifizierung von gemachten Aussagen wurde außerdem eine umfangreiche Korrespondenz mit einschlägig tätigen Wissenschaftlern geführt.
Die vorliegende detailreiche Veröffentlichung soll einen Erkenntnisgewinn sowohl für die Leserschaft der bautechnisch und archäologisch geschulten Fachwelt als auch für eine interessierte Öffentlichkeit bringen. Es werden Bautechniken für die einzelnen sehr speziellen, bisher rätselhaften und fast unlösbar erscheinenden Probleme vorgestellt. Die Beschreibungen der Details ihrer Ausführung und eine große Zahl von Zeichnungen zeigen, wie die praktische Umsetzung in genialer Einfachheit erfolgt sein muss.
Zwischen etwa 2650 und 2500 v. Chr. wurden am Westufer des Nil die ersten Pyramiden am Übergang vom fruchtbaren Ackerland zur Wüste gebaut, deren Erhaltungszustand noch immer eindrucksvoll die ursprüngliche Erhabenheit verkörpert. Bei Gizeh entstanden die beiden größten, von denen die Pyramide des Cheops mit ursprünglich 146,59 m sowohl die höchste als auch die mit einem Volumen von ca. 2,6 Mio. m3 die monumentalste ist. Bis heute ist sie die großartigste technische Bauleistung, die noch immer bei ihren überwältigten Betrachtern respektvolles Staunen hervorruft.
Sie war nahezu viereinhalb Jahrtausende lang das größte aus Stein errichtete Zeugnis einer überragenden Baukunst und wurde in ihrer Höhe erst 1880 durch die Fertigstellung des Kölner Doms mit seinen beiden ca. 157,40 m hohen Türmen übertroffen. Diese wiederum sollten bereits 1890 mit der Fertigstellung des Ulmer Münsters und dessen 161,53 m hohen Kirchturms überragt werden – dem bis heute höchsten der Welt.
Die ägyptischen Pyramiden sind sicherlich spektakuläre Bauvorhaben mit den größten umbauten Volumina, aber nicht die ersten technisch anspruchsvollen Projekte der Baukunst.
Anhand der nachfolgenden Beispiele wird gezeigt, dass zum Teil mehrere tausend Jahre vor der Zeit des Pyramidenbaus in Regionen außerhalb Ägyptens respektable Projekte ausgeführt wurden. Teilweise sind an Bauteilen Bearbeitungsspuren zu erkennen, die einen schon frühen Einsatz von Werkzeugen belegen.
Die 20 km südlich von Kairo in Sakkara gelegene Stufenpyramide des Djoser aus der Zeit der 3. Dynastie (ca. 2700–2600 v. Chr.), ist das erste aus behauenen Steinen errichtete Monument, das die damals eindrucksvolle Höhe von 62,50 m hat. Dieses und die nachfolgend genannten Zeugnisse der Baukunst sind uns bis heute erhalten.
Die in der Baugeschichte überragende Stellung der ägyptischen Pyramiden lässt mitunter die Aufmerksamkeit auf sehr viel ältere, planvoll errichtete bauliche Meisterwerke in den Hintergrund treten. Ihre Erbauer verfügten bereits über bemerkenswerte technische Kenntnisse und meist auch über ein ausgeprägtes Verständnis für kosmische Bezüge. Dennoch erhalten ihre Konstruktionen nicht immer die gebührende Beachtung.
Spiritualität war in der Geschichte der Menschheit schon früh ausgeprägt, sodass es meist Gebäude des Glaubens waren, die nach religiösen Vorschriften errichtet wurden. Grab- und Tempelanlagen dienten einem Verehrungskult für Götter und Tote.
Die Kenntnisse über kosmische Zusammenhänge fanden vielfach in der Ausrichtung der Bauwerke und den einfallenden Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne an bestimmten Tagen des Jahres Ausdruck. Bauwerke, die als Sonnenobservatorien dienten, waren für sesshaft gewordene Gesellschaften von existenzieller Bedeutung. An ihnen war der veränderliche Lauf der Sonnenbahn während eines Jahres zu beobachten und die Einteilung in Jahreszeiten mit dem Zeitpunkt für Aussaat und erwartete Ernte ablesbar. (siehe Kapitel „Die Bedeutung der Sonnenbahn“, Seite → f)
Bauwerke wurden aufgrund von gemachten Erfahrungen errichtet und waren mehr oder weniger standsicher. Wenn es Einstürze gab, wurden die Ursachen festgestellt, Bauteile verstärkt und ggf. Änderungen in der Planung vorgenommen. Wieder verwertbare Baustoffe nutzte man erneut. Damit sind uns die Gebäude überliefert, die alle Naturereignisse und geschichtliche Verwerfungen überdauert haben. An diesen Zeugnissen ist das bautechnische Können längst vergangener Zeiten noch heute chronologisch abzulesen. Die Größe und Komplexität dieser Bauwerke ermöglichen eine Vorstellung von den Mühen, unter denen sie entstanden sind.
Zusammen mit der Verwendung riesiger Findlinge, als ein für die Ewigkeit haltbares Baumaterial, gelang in der Megalithkultur der Umgang mit gewaltigen Gewichten. Die Fähigkeit dieses für die damalige Zeit härteste Material mit Werkzeugen zu bearbeiten, musste eine weitere Faszination auf die Menschen ausgeübt haben.
Als Grabanlagen waren diese Steinbauten mit Erdreich überschüttet. Ohnehin waren für den Bau von Megalithanlagen größere Erdbewegungen erforderlich, weil Rampen und Wege für den Transport benötigt wurden.
Die mit größter Kraftanstrengung überwundenen enormen Schwierigkeiten könnten es gewesen sein, die den eigentlichen Wert des Dienstes für etwas „Höheres“ ausmachten.
In einem ganz anderen Zusammenhang steht die sich selbst erklärende Bedeutung des Turms von Jericho. Bis heute gilt er als ältester Steinbau der Welt – bezeichnenderweise diente er Verteidigungszwecken.
Auf dem Gebiet der Vermessung gab es Aufgaben mit sehr unterschiedlichem Anspruch. In der Megalith-Kultur genügten mehr oder weniger grobe Absteckungen von Quadraten, Rechtecken und Kreisbogen. Die genaue Ausrichtung von Eingängen z. B. zum Aufgangspunkt der Sonne am Horizont zur Zeit der Sommer- oder Wintersonnenwende jedoch war exakt eingehalten und hatte rituelle Bedeutung.
Im Gegensatz dazu erreichten die bei den Pyramiden abgesteckten geometrischen Figuren erstmals eine hohe Genauigkeit. Außerdem mussten horizontale Steinlagen hergestellt und dazu Höhenunterschiede nivelliert werden. Eine exakte Ausrichtung des Bauwerks mit einer Seite nach Norden und damit nach den vier Himmelsrichtungen war auch hier religiös begründet.
Die nachfolgende Zusammenstellung weist der Cheopspyramide ihren Platz unter verschiedenartigen komplexen Bauwerken zu, die bereits ab etwa 8000 v. Chr. entstanden.
Turm von Jericho
Die Stadt Jericho im Palästinensischen Autonomiegebiet Westjordanland liegt im südwestlichen Bereich des fruchtbaren Halbmondes, eines vom Klima und den Bodenverhältnissen begünstigten Gebietes. Es erstreckt sich vom Persischen Golf über ca. 3.000 km vom Zweistromland mit Euphrat und Tigris, den Süden der Türkei, das heutige Syrien, den Libanon, Jordanien und Israel bis ans Mittelmeer. Diese Region gilt mit ihren frühesten Nachweisen von Getreideanbau und Viehzucht als Ursprungsgebiet für die Neolithische Revolution, in der sich der Wandel von der Lebensweise als Wildbeuter zum Ackerbauer und Viehzüchter herausbildete und sich die ersten Stadtkulturen entwickelten.
Oft wird das Niltal als die Verlängerung des fruchtbaren Halbmondes betrachtet, der nur kurz durch den wüstenhaften Sinai mit seinen schroffen Gebirgen unterbrochen wird. Dieser ist nicht größer als vergleichbare Gebiete in Mesopotamien und Syrien. Das Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes wird aus den Ländern gebildet, die in der Genesis eine Rolle spielen.
Technische Neuerungen erleichterten das Leben und es entwickelte sich allmählich ein Verständnis für „Zeit“, eine Sicht auf die „menschliche Arbeitskraft“ und die Bewältigung von Aufgaben durch „Arbeitsteilung“. In solchen Gemeinschaften begannen sich komplexe Hierarchien zu bilden, in denen „Autorität und Führung“ entstanden.
Solange die Menschen nomadisierend als Jäger und Sammler umherzogen, hatten sie viel Bewegungsfreiraum. Durch die vielfachen Ortsveränderungen mit wechselnden Verhältnissen in ihrem Dasein war man in der Existenzsicherung aufeinander angewiesen. Nur wenn jeder in der Gruppe das beitrug, was er konnte, war man gemeinsam erfolgreich und musste nicht hungern.
In der Zeit des beständigen Umherziehens errichteten die Menschen keine festen Bauten. Diese erstellten sie erst mit der Sesshaftwerdung. Eine solche Lebensform steht wiederum in direkter Verbindung mit Ackerbau und Viehzucht als Existenzgrundlage. Durch das Leben auf engerem Raum in Siedlungen mussten sich die Menschen Regeln für das Zusammenleben und die Konfliktbewältigung geben.
Der in dieser Form des Wirtschaftens liegende Vorteil hat zu einer Absicherung der bestehenden Lebensumstände geführt, was wiederum Begehrlichkeiten unter nomadisierenden Hirtenvölkern ausgelöst hat. Daher mussten sich sesshaft gewordene Gesellschaften gegen Übergriffe schützen, beispielsweise durch den Bau von Stadtmauern.
Etwa für die Zeit um 8000 v. Chr. kann für Jericho eine Stadtmauer nachgewiesen werden, die über einen Turm als Verteidigungsanlage verfügte. Das besondere bautechnische Interesse richtet sich auf diesen massiven Steinturm mit einer Höhe von etwa 8,25 m und ca. 9 m Durchmesser, der aus unbehauenen handlichen Quadern besteht. Er wurde im Westen der Stadt auf der Innenseite der Stadtmauer gebaut, die etwa bis zu seiner halben Höhe reicht. Er verfügt über ein innen liegendes etwa 60° geneigtes und ungefähr 1 m breites Treppenhaus.
Der Turm ist in mancherlei Hinsicht ein rätselhaftes Bauwerk. Für Archäologen und die Öffentlichkeit gilt er als das bisher älteste und zu seiner Zeit auch als höchstes Bauwerk der Menschheit.
Wissenschaftler des Archäologischen Instituts der Universität von Tel Aviv sind überzeugt, dass die Wahl des Bauplatzes in einem geografisch-kosmischen Bezug steht 1. Die Verbindung wird mit dem nahe gelegenen Judäischen Gebirgskamm und der Quruntul Spitze gesehen, auf die der gerade verlaufende Treppenaufgang des Turmes zielt. Die Achse, die der Turm, die Treppe und der Berg bilden, hat genau den Horizontalwinkel (Azimut) von 290°, was exakt dem Winkel der untergehenden Sonne zum Zeitpunkt der Sommersonnenwende in Jericho entspricht.
Die Bedeutung der Sonnenbahn
Nachdem der Mensch sesshaft geworden war, wird er im Laufe der Zeit von seinem nunmehr festen Ort beobachtet haben, dass sich im Wechsel der Jahreszeiten die Sonnenaufgangs- und Sonnenuntergangspunkte am Horizont veränderten. Auch den Zusammenhang von längeren und kürzeren Himmelsbahnen der Sonne mit entsprechenden Temperaturunterschieden wird er wahrgenommen haben. Für bäuerliche Gesellschaften war die Erkenntnis dieses Zusammenhangs von existenzieller Wichtigkeit. Mit Hilfe dieser „Horizontastronomie“ 2 war es möglich, anhand bestimmter Sonnenstände günstige Zeitpunkte für Aussaat und Ernte zu erkennen.
Die Bezeichnung von „Auf- und Untergang“ der Sonne entspricht der allgemein üblichen Sichtweise des Menschen von der Erde aus betrachtet. Tatsächlich aber dreht sich die Erde in 24 Stunden einmal um die eigene Achse von Westen nach Osten, wodurch die Sonne nur „scheinbar“ im Osten auf und im Westen untergeht. Ihr allmorgendliches Erscheinen hatte für die Menschen schon in frühester Zeit große spirituelle Bedeutung.
Für die Beobachtung der über das Jahr wechselnden Sonnenauf- und Sonnenunterganspunkte bieten sich beispielsweise weite Ebenen an, bei denen der Blick bis zum Horizont reicht. Vom Zentrum eines in Augenhöhe verlaufenden Ringwalls, der als künstlicher Horizont diente, konnte ein Beobachter auf seiner Blickachse die über das Jahr wechselnden Punkte des Sonnenauf- und Sonnenuntergangs am Horizont anvisieren und von einem zweiten Mann auf dem Ringwall markieren lassen. Im Verlauf eines Jahres konnte mit diesem Verfahren eine vollständige Skalierung der wechselnden Auf- und Untergangspunkte der Sonne, aber auch anderer Gestirnen durchgeführt werden. Damit war eine ordnende Einteilung nach Jahreszeiten möglich, woraus sich das Kalenderwesen entwickeln konnte.
In der nördlichen Hemisphäre werden Aussaat und Ernte von den Jahreszeiten beeinflusst. Anders ist es in Ägypten, wo dies von der jährlichen Überschwemmung des Nil abhängig war.
In Mitteleuropa wandert der Sonnenaufgangspunkt im Frühjahr am östlichen Horizont täglich bis zum 21./22. Juni, dem Tag der Sommersonnenwende, ein kleines Stück nordwärts bis nach Nordost, danach bis zum 21./22. Dezember, dem Tag der Wintersonnenwende südwärts bis nach Südost. Dieser Zeitpunkt, ab dem das Tageslicht wieder länger wird, ist bis heute der Beginn eines neuen Jahres für viele Kulturen.
Lediglich am 21./22. März und am 21./22. September, den beiden Tagen, an denen der Tag und die Nacht gleich lang sind (Äquinoktium), geht die Sonne auf der nördlichen Halbkugel ziemlich genau im Osten auf und im Westen unter.
Die Bestimmung der Nordrichtung könnte ebenso mit dem nachfolgend beschriebenen astronomischen Verfahren erfolgt sein.
Es besteht aus einem senkrecht im Boden steckenden Stab M als Schattenzeiger, um den z. B. drei konzentrische Kreise geschlagen werden. Sie waren mit dem Schnurzirkel herzustellen. Der Bogen, den die Spitze des Schattenzeigers im Tagesverlauf beschreibt, führt ab Sonnenaufgang von Richtung Westen über die Punkte A1 bis A4 nach M1 und weiter von U5 bis U8 in die Richtung Osten.
Beispielhaft werden die Punkte A3, M und U6 betrachtet. Berührt der Schatten der Zeigerspitze in M am Punkt A3 den mittleren Kreisbogen, wird dieser Punkt durch eine Linie mit dem Zentrum M markiert. Sobald der Schatten der Zeigerspitze den mittleren Kreis im Punkt U6 erneut berührt, wird auch dieser Punkt mit dem Zentrum M verbunden. Die Winkelhalbierende der beiden Strecken MA3 und MU6 zeigt die Nordrichtung an. Darüber hinaus hat der Zeigerschatten MM1 seine kürzeste Länge, was den höchsten Sonnenstand und damit sowohl die Mittagszeit als auch die Nord-Süd-Richtung bestimmt. Exakt wird die Messung durch mehrfache Wiederholungen an verschiedenen Tagen über den Zeitraum eines Jahres.
Man nimmt an, dass sich aus dem schlichten Stab als Schattenzeiger in Ägypten der Obelisk entwickelt hat. Der Schattenlauf symbolisierte die Umfahrt des Rê, der göttlichen Sonne, auf ihrer Fahrt mit der Barke über den Himmel von Ost nach West und durch die Nacht – dem Reich der Unterwelt.
Der Lauf der Sonne und die sich über das Jahr verändernden Sonnenauf- und Sonnenuntergangspunkte zeigten den Menschen den Ablauf der Jahreszeiten an und wurden damit zum Sinnbild ihrer Weltordnung.
Auch der Himmelsnordpol nahe dem Polarstern, den man zu dieser Zeit bereits kannte, fiel dadurch auf, dass er – von der Erde aus wahrgenommen – seine Position nicht verändert und sich um ihn das nächtliche Himmelsgewölbe dreht.
An dieser Stelle ist auf die Ostung hinzuweisen, die aus religiösen Gründen eingehaltene Ausrichtung frühchristlicher und mittelalterlicher Kirchen hin zur aufgehenden Sonne. Weil der Sonnenaufgang als Symbol der Auferstehung gilt, sind die Längsachsen dieser Bauwerke in Ost-West-Richtung „orientiert“, lateinisch oriens – Osten. Daher wurde der Altar stets in den Ostchor gebaut, damit seine Fenster beim Morgengottesdienst vom Licht der aufgehenden Sonne durchflutet werden. Vergleichbares geschieht durch das Licht der Abendsonne, das durch die großen Radfenster romanischer und gotischer Kathedralen über den Eingängen an den Westfassaden fällt.
In wenigen Ausnahmen gibt es auch die sogenannte Westung wie z. B. bei der Lateranbasilika und dem Petersdom in Rom. Bei denen sind der Chor mit analoger Symbolik jeweils im Westen zur Seite des Sonnenuntergangs und der östliche Eingang zum Sonnenaufgang orientiert.
Eine Kirche kann auch zum Sonnenaufgangspunkt am Festtag der oder des Schutzheiligen ausgerichtet sein, denen die Kirche geweiht ist.
Das zeigt, welche große Bedeutung die Ausrichtung von Bauwerksachsen zum Sonnenauf- und Sonnenuntergang auch in unserem Kulturkreis über lange Zeit hatte.
Sonnenobservatorium von Gosek
In Goseck/Sachsen-Anhalt, nordöstlich von Naumburg an der Saale, wurde in jüngster Zeit eine Kreisgrabenanlage aus der Jungsteinzeit entdeckt, die sogar auf ca. 5000 v. Chr. datiert wird und in der einschlägigen Literatur als Sonnenobservatorium gilt. Die Anlage besteht aus einem kreisförmigen Graben mit 71 m Durchmesser. Darin gibt es Spuren von zwei konzentrischen Palisadenringen mit Durchmessern von etwa 56 m und 49 m. Die Anlage verfügt über 3 Zugänge bzw. Blickachsen, die nach Norden, Südwesten und Südosten ausgerichtet sind. Vom Mittelpunkt der Anlage aus sind um den 21. Dezember die beiden südlichen Blickachsen einsehbar, die auf den Sonnenaufgangs- und Sonnenuntergangspunkt des Tages der Wintersonnenwende um 4800 v. Chr. ausgerichtet waren. 3
Die spirituelle Bedeutung der Wintersonnenwende liegt darin, dass von diesem Zeitpunkt an die Tage wieder länger werden und damit ein neues Jahr beginnt.
Weil die Sonne für das Überleben der Menschen von existenzieller Bedeutung war, erfuhr sie besondere Verehrung. Die wieder länger werdenden Tage symbolisieren die Wiederkehr des Lichtes und damit des Lebens.
Auch das Weihnachtsfest und Neujahr werden mit der Wintersonnenwende in einen Zusammenhang gebracht. Über 5000 Jahre später feiern die Römer an diesem Tag das Fest des „unbesiegten Sonnengottes“, des sol invictus. Weil sich dieser Kult dauerhaft durchgesetzt hatte, stellte die römisch-katholische Kirche dem heidnischen Sonnengott das „wahre Licht der Welt“ entgegen.
Der Cairn de Barnenez
Cairn ist gälisch und bezeichnet einen jungsteinzeitlichen, meist aus kleinen handlichen Bruchsteinen als Trockenmauerwerk aufgeschichteten Hügel.
In der Bretagne befindet sich auf der Halbinsel Kernéléhen über der Bucht von Morlaix im Département Finistère der Cairn de Barnenez. Er wurde in zwei Bauabschnitten errichtet, was durch die Verwendung von zwei unterschiedlichen Gesteinsarten zu erkennen ist. Der östliche Teil verfügt über 5 Ganggräber und wurde um 4600 v. Chr. aus Dolerit gebaut. Damit ist er mehr als 2000 Jahre älter als die Pyramiden. Der zweite Teil ist etwa 200 Jahre jünger als der erste, er hat 6 Ganggräber und besteht aus Granit, dessen nächstgelegene Vorkommen auf der etwa 1 km entfernten Île de Stérec waren.
Der Cairn ist die größte megalithische Grabanlage in Europa und eine der größten der Welt. Der steinerne Hügel hat eine Länge von 72 m, eine Breite von 20–30 m und eine Höhe von 8–9 m. Von seiner südöstlichen Längsseite führen 11 Ganggräber in sein Inneres, wo sie in engen Räumen münden. Die Länge der Gänge schwankt zwischen 7 m und 12 m, ihre Breiten betragen durchweg ca. 1,50 m und sind ungefähr 1,30 m hoch.
Die Wände der Gänge und die Decken bestehen aus großen Steinblöcken – den Wandsteinen, die in den Boden eingelassen sind und großen darauf ruhenden Decksteinen. Sie haben alle eine flache Seite, die zur Innenseite des Gangs weist. Teilweise bestehen die Wände auch aus handlichen Steinen, die als Trockenmauerwerk aufgesetzt sind oder die beiden Bauweisen wurden kombiniert.
Die Grabkammern sind unwesentlich größer als die Gänge und haben runde oder vieleckige Grundrisse mit Durchmessern von 2–3 m. Von ihnen verfügen 9 Kammern über Kraggewölbe, deren Höhen zwischen 3–4 m betragen. Bei 2 Kammern wurde die vorgenannte Bauweise mit Wandsteinen und einem oberen Abschluss von horizontalen Steinplatten gewählt. Diese torförmige Bauweise wird Trilith genannt. Mehrfach hintereinander aufgereiht bilden sie Ganggräber. 4 Diese ist zusammen mit dem „Stein auf Stein“ aufgesetzten Mauerwerk die Konstruktionsform der Megalithkultur.
Während die Wandsteine ausschließlich auf Druck belastet werden, sind horizontale Steinplatten auf Biegezug beansprucht. Diese müssen ihr Eigengewicht und im Fall des Hügelgrabes eine Auflast aus Steinen und Erdreich tragen. Das führt zur Durchbiegung, was auf der Unterseite Zugspannungen hervorruft. Gesteine können zwar hohe Druckkräfte aufnehmen, jedoch Zugbeanspruchungen nur bedingt.
Am Cairn de Barnenez findet man die bisher ältesten erhaltenen Kraggewölbe. Im später beschriebenen Hügelgrab von Newgrange, errichtet um ca. 3200 v. Chr., gibt es ein wesentlich größeres und ca. 1.400 Jahre jüngeres, dessen Bauweise dort beschrieben wird. (siehe Kapitel „Newgrange“, Seite → f)
Grand Menhir de Brisé
Der Name Menhir kommt aus dem Bretonischen und bedeutet „langer Stein“. Er bezeichnet schlanke hoch aufragende Monolithe (Hinkelsteine) mit flachen ovalen Querschnitten. Sie wurden mit ihren unteren Enden in den Boden eingelassen.
Eine der vielleicht größten technischen Leistungen der Menschheit um 4500 v. Chr. gelang mit der Gewinnung, dem Transport über ca. 10 km Entfernung und der Aufrichtung des „Grand Menhir“ bei Locmariaquer in der Bretagne. Er hat eine Länge von etwa 21 m, sein Gewicht beträgt schätzungsweise 2.648–3.236 kN (270–330 Tonnen) und besteht aus Orthogneis, ein dem Granit ähnliches Gestein. Werkzeugspuren von Steinhämmern in dem Bereich, der ursprünglich über der Erde lag, lassen darauf schließen, dass er erst nach seiner Aufrichtung bearbeitet wurde. Der Menhir ist in der Folgezeit umgestürzt und in vier Teile zerbrochen. 5
Der aufgerichtete Grand Menhir de Brisé steckte im Endzustand erstaunlicherweise nur etwa 3 m tief im Boden und ragte 18 m über das umgebende Gelände. Nachgewiesen sind bei Menhiren die mit Trockenmauerwerk allseitig umschlossenen Gruben, die als Köcher dienen. Darin wurden die unteren Enden lagenweise mit Steinen verkeilt, die Zwischenräume mit Erdreich verfüllt und durch Stampfen verdichtet. Vor und während des Verkeilens im Köcher war der frei stehende Menhir durch Zugmannschaften mit Seilen perfekt auszubalancieren und zu sichern.
Mit den vier Bruchstücken lässt sich nahezu der gesamte Menhir rekonstruieren. Durch ihre Lage im Gelände und die Form der Bruchflächen sind vorsichtige Rückschlüsse auf den Augenblick der Zerstörung zu ziehen. Sicher ist, dass der Menhir zu diesem Zeitpunkt aufrecht stand und die drei Brüche durch wechselnde Belastungen im Gestein auftraten. Die daraus abzuleitende plausibelste Erklärung ist, dass die Zerstörung durch die Raum- und Oberflächenwellen eines Erdbebens eintrat, die auf die enorme träge Masse des aufrecht stehenden Menhirs trafen.
Bisher sind die Fragen des Transports und der Aufrichtung noch nicht plausibel erklärt. Unter anderem macht dies das Werk so besonders. Aus technischem Interesse soll hier eine Lösung angeboten werden.
Nachfolgend werden die Arbeitsschritte für eine praktikable Lösung gemacht:
1. Der Menhir wurde über eine auf dem Gelände geschütteten Rampe mit einer angenommenen Steigung von 1 m auf 10 m Längen (1 : 10), durch menschliche oder tierische Muskelkraft bis auf die Höhe von ca. 8 m geschleppt. Dafür verlegte man in Zugrichtung Baumstämme, auf denen sich quer gelegte Walzen während des Transports unter der flachen Seite des Menhirs abrollten. Beim Zugvorgang wurden die hinter dem Menhir frei werdenden Walzen aufgenommen und vor ihm wieder aufgelegt.
Das schräge Verlaufen von Walzen sowie das Zurückrollen auf der flach ansteigenden Rampe wurden mit langen Hebeln verhindert. Die Stirnseite der Rampe bildete eine ca. 60° geneigte Wand aus Trockenmauerwerk. Gegenüber befand sich eine vergleichbare, die ebenfalls mit Erdreich hinterfüllt war. Im unteren Bereich bildeten die beiden Wände einen ovalen, den Fuß des Menhirs umschließenden Köcher von etwa 3 m Tiefe.
Der Köcher und der Raum zwischen den beiden Wänden waren mit Sand gefüllt. Der Menhir wurde auf dem Rollweg soweit gezogen, bis sein Schwerpunkt S nahezu in der Mitte zwischen den beiden Wänden auf der Sandfüllung zu liegen kam (Phase 1).
Mit dem Abgraben der Sandfüllung kippte der Menhir über die Oberkante der linken Wand in die entstehende Grube. Die Fortsetzung dieses Vorgangs bewirkte das allmähliche Absinken in Richtung des Köchers (Phasen 2 bis 3). Dabei stützte sich der Menhir stets auf die Sandfüllung und glitt zwangsweise geführt an den Mauern entlang in den Köcher.
Sobald der Menhir mit seinem Fuß auf dem Boden des Köchers stand, wurde er von Zugmannschaften an Seilen in die Senkrechte gebracht und dort gehalten. Dabei war er – in Zugrichtung gesehen – nur gegen das Vornüber- bzw. Zurückkippen zu sichern. Bis der Raum zwischen Menhir und Köcher durch Steine lagenweise verkeilt, mit Erdreich verfüllt und verdichtet war, konnte der Menhir mit Streben gegen das Mauerwerk abgestützt in seiner senkrechten Lage gehalten werden.
2. War der Menhir in seinem Köcher gesichert, wurden die Trockenmauern und aufgeschütteten Erdkörper bis auf das ursprüngliche Gelände (GOK) abgetragen.
Wegen fehlender anderer technischer Möglichkeiten im Alten Ägypten musste dieses Bauverfahren auch beim Aufrichten der Obelisken angewendet worden sein.
Es ist bekannt, dass in der 4. Dynastie (2600–2450 v. Chr.) Obelisken errichtet wurden, von denen jedoch kein Zeugnis überliefert ist. Die von den Sonnentempeln der 5. Dynastie waren mit höchstens 3 m Höhe verhältnismäßig klein.
Einer der zwei von Thutmosis I. (1504–1492 v. Chr.) in Karnak errichteten Obelisken ist 24 m hoch, hat eine quadratische Aufstandsfläche von 1,80 m Seitenlänge und wiegt 143 Tonnen. Im Gegensatz zu Menhiren wurden Obelisken nicht in Köcher gesetzt, sondern auf Sockeln platziert.
Megalithkultur
Um 4500 v. Chr. begannen Menschen Megalithbauwerke in Nordeuropa zu errichten. Die ältesten befinden sich in Westfrankreich. In der Norddeutschen Tiefebene wird mit der Errichtung um 4200 v. Chr. begonnen. Es wird in vier Bauformen unterschieden:
Die genannten Baumaßnahmen der archaischen Steinarchitektur beeindrucken besonders durch den für ihre Errichtung getriebenen enormen Aufwand. Viele Tonnen schwere Findlinge wurden technisch geschickt zu eindrucksvollen Denkmalen zusammen gefügt.
Allein die Gewinnung der Findlinge, die Steinspaltung mit Keilen, die Frostsprengung, die Spaltung des Gesteins durch Erhitzen mit Feuer und rascher Abkühlung mit Wasser waren die sehr speziellen Verfahren ihrer Zeit. Hinzu kamen der oft weite Transport mit Schlitten und/oder Rollen, das Überwinden von Höhenunterschieden durch Rampen sowie die umfangreichen Erdarbeiten. Dies war nur im Rahmen von gut organisierten Abläufen möglich, bei denen große Arbeitsgruppen geordnet zusammenarbeiteten.
Diese Kraftanstrengungen und das damit verbundene handwerkliche Können zeigen, dass es sich um durchdachte und planvoll durchgeführte Baumaßnahmen handelte. Diese mussten eine besondere Faszination auf die am Bau Beteiligten ausgeübt haben, um den gefährlichen Umgang mit solchen enormen Gewichten in einer Gemeinschaftsleistung zu wagen. Zur Verfügung standen dazu die bescheidenen technischen Mittel wie Hebel, Keil und Rolle. Die Realisierung von Bauaufgaben setzte bereits handwerkliche Fähigkeiten und ein gewisses technisches Verständnis voraus.
Im Rahmen experimenteller Archäologie wurde für Erd- und Steinarbeiten zusammen mit ethnografischen Beobachtungen inzwischen ein EDV-Programm entwickelt, mit dem Leistungen bei der Errichtung von Megalithanlagen errechnet werden können. Es wurde beim Großsteingrab „Kleinkneten 1“, eine Megalithanlage der Jungsteinzeit (Trichterbecherkultur 3500–2800 v. Chr.) im Naturpark Wildeshauser Geest, angewendet. 6
Zugänglich waren die mit Erdreich überschütteten Dolmen durch einen Eingang direkt an der durch die Findlinge gebildeten Kammer oder einem vorgebauten kurzen Gang.
Im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen stellte man fest, dass die Orientierung von Grabanlagen der Megalithkultur meist Bezüge zur auf- oder untergehenden Sonne an den Tagen der Sommer- bzw. Wintersonnenwende oder der Tag-und-Nacht-Gleiche aufweisen. Das zeigt darüber hinaus, welche enge existenzielle und gleichzeitig spirituelle Bedeutung diese kosmischen Bezüge für Menschen der Megalithkultur hatten. 7
Großsteintempel auf Malta
Ab 3600 v. Chr. beginnt in Ggantija auf Gozo der Tempelbau aus Stein.
Das Grundrisskonzept der Tempel bildet ein schmaler Gang als Hauptachse, an den sich eine variable Anzahl von halbrunden bis ovalen Räumen (Apsiden) meist symmetrisch angliedern. Die gekrümmten Wände der Räume werden von polygonartig gesetzten Wandsteinen gebildet. Die größten Bausteine wiegen etwa 245 kN (25 Tonnen). Der Grundriss des ältesten Tempels gleicht mit einer Apsis in der Verlängerung des Zugangs und einer Apsis an jeder der beiden Seiten einem dreiblättrigen Kleeblatt. Bei anderen Tempeln wurde das noch durch weitere Apsiden ergänzt.
In einer wissenschaftlichen Studie wird die These aufgestellt, dass die Tempel in Malta mit der Orientierung ihrer Achsen einen Bezug zum Lauf der Sonne haben. 8
Die Bezeichnung Ggantija erhielt der Tempel von der mittelalterlichen Bevölkerung, die sich die Erbauung nur durch eine Riesin vorstellen konnte. Das verwendete Baumaterial besteht aus Blöcken von Korallenkalk, ein gräulicher, harter und widerstandsfähiger Kalkstein, der in der Nähe der Baustelle gewonnen wurde. Der weichere und rascher verwitternde Globigerinenkalk mit honiggelber Farbe wurde in wesentlich geringerem Maße verwendet. Er war leicht zu bearbeiten und fand bei Bauteilen Verwendung, die mehr der Ausschmückung diente. Für die Bearbeitung des Steinmaterials waren Werkzeuge erforderlich, die scharfe Kanten aufwiesen. Sie konnten aus Obsidian, einem vulkanischen Glas vom nicht zu fernen Sizilien oder aber aus Feuerstein bestehen.
Von der Größe, der anspruchsvollen Grundrissgestaltung und den für den Bau des Tempels erforderlichen Gesteinsmassen lässt sich ableiten, von welcher überragenden Wichtigkeit diese Anlage für ihre jeweilige Gemeinschaft gewesen sein musste.
Die Bauart der Wände ist in mancherlei Hinsicht ungewöhnlich. Beeindruckend sind bei allen Tempeln die enormen Größen der tonnenschweren und teilweise nur wenig oder gar nicht bearbeiteten Wandsteine, die meist ihre kürzeste Seite als Aufstandsfläche haben. Bei der Anlage von Ggantija stehen die Wandsteine auf einem Fundamentsockel aus flachliegenden Quadern, die ihrerseits auf einer Packlage aus Schotter zur Lastaufnahme und -verteilung ruhen. Es gibt Beispiele, bei denen die Wandsteine direkt auf einer Packlage aus Schotter stehen.
In einer Apsis befinden sich Reste von „Torba“ einer Form von neolithischem Mörtel, der aus zerkleinertem Globigerinenkalk der Größe von etwa 0–4 mm besteht. Wenn dieses Material auf eine Schicht aus zerkleinertem Kalkschotter aufgebracht, wiederholt benetzt und festgestampft wurde, konnte eine geglättete harte Oberfläche hergestellt werden.
Stonehenge
In der Zeit zwischen 8500 und 7000 v. Chr. war der größte Teil des Südens von England mit Wald bedeckt, jedoch das Kreideflachland um Stonehenge könnte eine ungewöhnlich offene Landschaft gewesen sein. Dieser Ort in der Ebene von Salisbury bot die freie Sicht auf den Horizont. Die frühneolithische Entstehung von Stonehenge zeigt in besonderer Weise, dass dort die Beobachtung der am Horizont erscheinenden Gestirne vorgenommen werden konnte, die man auf entsprechende bauliche Strukturen im Nahbereich beziehen konnte. (siehe Kapitel „Die Bedeutung der Sonnenbahn“, Seite → f)
Es ist kennzeichnend für dieses Monument, dass dessen Bauprogramme über einen extrem langen Zeitraum und damit über Generationen hinweg beibehalten und entwickelt wurden.
Den ersten Bauabschnitt bildeten wahrscheinlich die um ca. 3100 v. Chr. durchgeführten Erdarbeiten. Dabei wurde ein kreisrunder Graben ausgehoben und mit dem Aushub auf seiner Innen- und Außenseite Wälle angelegt. Als Werkzeuge standen dafür Geweihhacken und Schulterblattknochen von Ochsen als Schaufeln zur Verfügung. Innerhalb dieses so eingefassten Bereiches gab es einen Ring aus 56 Gruben, den sogenannten Aubrey-Löchern, deren Tiefe und Durchmesser 1 m betrugen. Seit langem besteht bei Wissenschaftlern Konsens darin, dass die Gruben Köcher von längst verrotteten Holzpfosten waren.
Um 2600 v. Chr. wurden die Blausteine zu zwei konzentrischen Halbkreisen gesetzt. Das Gestein – ein Dolerit – ist härter als Granit und ist eine Form des Basalts. Außerdem wurde der Eingang verbreitert, der in Richtung des Sonnenaufgangs zur Sommer- und Wintersonnenwende der damaligen Zeit zeigt.
Etwa zwischen 2440 und 2100 v. Chr. – damit kurz nach dem Bau der Cheopspyramide – wurden innerhalb der bestehenden Kreisgrabenanlage bearbeitete Sarsen- und Blausteine gesetzt. Die 75 Sarsensteine bestimmen bis heute den Gesamteindruck von Stonehenge. 9
Die Beschreibung des Bauwerks in seinen einzelnen Bauphasen zeigt, dass es organisierte Gemeinschaften gewesen sein mussten, die eine solche Bauaufgabe in ihren unterschiedlichen Ausprägungen über einen Zeitraum von ca. 1500 Jahren entwickelten, änderten und unter größten Anstrengungen realisierten.
Während die zwischen 245 kN und 440 kN (25 und 45 Tonnen) schweren Sarsensteine von den etwa 32 km nördlich gelegenen Marlborough Downs antransportiert wurden, war der Transport der etwa 4 Tonnen schweren Blausteine aus dem Südwesten von Wales eine weitaus größere Herausforderung.
Es ist offensichtlich, dass keine Anstrengung zu groß war, um sowohl die schweren Sarsensteine als auch die leichteren Blausteine aus großer Entfernung heranzuschaffen.
Das heutige Stonehenge ist eine Ruine und gibt nur einen ungefähren Eindruck seines ursprünglichen Aussehens wider. Zahlreiche Sarsen- und Blausteine sind umgestürzt, zerbrochen oder für eine weitere Verwendung entnommen worden. Wahrscheinlich fand dies in römischer und mittelalterlicher Zeit statt. Dennoch ist es der anspruchsvollste prähistorische Steinkreis der Welt und bildet als solcher den kreativen Genius und die technischen Fähigkeiten der damaligen Zeit ab.
Newgrange
Eines der bemerkenswertesten neolithischen Bauwerke ist in Irland das Hügelgrab von Newgrange, das ca. 3200 v. Chr. von einer Bauernschaft im fruchtbaren Boyne Tal, etwa 50 km nördlich von Dublin gebaut wurde. Damit ist die Anlage 700 Jahre älter als die Cheopspyramide und fällt zeitlich etwa mit den Anfängen von Stonehenge zusammen. Dieses Bauwerk wurde mit einem beträchtlichen Zeitaufwand aus etwa 200.000 Tonnen Steinen errichtet. Es wird eine Stätte gewesen sein, in der neben der Verehrung von Toten die Verbindung der Lebenden mit diesen Toten in spirituellen und regelmäßig wiederholten Ritualen erhalten wurde.
Das Hügelgrab hat einen Durchmesser von ungefähr 80 m und eine Höhe von ca. 12 m. Randsteine von im Mittel 1,50 m Höhe fassen den Hügel umlaufend ein. Er ist aus Steinen und Erdreich aufgeschüttet und mit Gras bewachsen.
In den Hügel führt aus südöstlicher Richtung ein etwa 19 m langer, 2 m breiter und 1,50 m hoher Gang zu einer Kammer, die oben von einem 6 m hohen Kraggewölbe abgeschlossen wird. Die Erbauer schichteten dafür über einem vieleckigen Grundriss lagenweise lange Steinplatten übereinander. In jeder horizontalen Lage wurden die Steinplatten etwas weiter nach innen gerückt, wodurch ein nach oben konisch zusammenlaufender Raum entstand. Nach etwa 8–10 Steinlagen hatte der sich derart verjüngt, dass er mit einem einzelnen Deckstein abzuschließen war. Den Steinplatten gab man nach Außen zur Erdseite ein leichtes Gefälle, damit Sickerwasser aus dem Erdreich des Grabhügels wie bei Dachziegeln seitlich abgeführt wird. Dadurch ist dieses Kraggewölbe auch nach mehr als 5200 Jahren nach seiner Erbauung noch wasserdicht.
Die Kammer verfügt über 3 Nischen mit 2 bis 3 m Tiefe, die in Verlängerung des Gangs unter dem Kraggewölbe einen kreuzförmigen Grundriss bilden. In den Nischen befinden sich Steinschalen, die ursprünglich menschliche Überreste von Brandbestattungen enthielten.
Das besondere Geheimnis des Ganggrabes ist das einfallende Sonnenlicht bei Tagesanbruch am 21./22. Dezember, dem Tag der Wintersonnenwende. An diesem kürzesten Tag des Jahres fällt durch eine schmale Öffnung über dem Eingang das erste Licht der hinter dem gegenüberliegenden Hügel aufgehenden Sonne. Es flutet durch den Gang bis in die Kammer, wo das reflektierte Sonnenlicht in die drei angegliederten seitlichen Nischen fällt und diese in ein mystisches Licht taucht. Nach etwa 15 Minuten erlischt das spektakuläre Schauspiel wegen des höher werdenden Sonnenstandes.
oben: Vertikalschnitt durch das Hügelgrab mit Gang und Kraggewölbe;
unten: Horizontalschnitt mit den drei Nischen und Steinschalen.
Die Schnittzeichnungen zeigen das bis zur Achsnische des Kraggewölbes über der „Vierung“ einfallende Sonnenlicht.
Diese „Himmelserscheinung“ mag ein starkes Symbol für den Sieg des Lebens über den Tod gewesen sein – an Attraktion hat sie bis heute nichts verloren.10
Um diesen besonderen kosmischen Bezug des Bauwerks zu erreichen, waren an die Vermessung und Astronomie besondere Anforderungen gestellt.
Wie oben dargestellt, war nicht nur für die bäuerliche Steinzeitkultur des Boyne Tal die Wintersonnenwende der Beginn eines neuen Jahres. Sie mag für die Steinzeitkultur allgemein ein kraftvolles Zeichen für das Wiedererwachen der Natur mit der Aussicht auf die Ernte von Feldfrüchten gewesen sein. Darüber hinaus könnte es den Sieg des Lebens über den Tod symbolisiert haben.
Ausgeführt wurden Bauaufgaben von ortsansässigen Menschen, die in ihrem Alltag Bauern oder Hirten waren. Sie wurden von einzelnen fachlich erfahrenen Spezialisten angeleitet. Diese entwickelten mit den Möglichkeiten der Zeit anspruchsvolle Bauwerke, die sie als Gemeinschaftsleistungen umsetzten.
Die Bauwerke lassen auf handwerkliche Fähigkeiten schließen, die von einem Erfahrungswissen geprägt waren, das durch Versuch und Irrtum erworben wurde. Stießen sie dabei an Grenzen, überwanden sie diese durch Verbesserungen. Um sich an neue Lösungen zu wagen, waren Kreativität und Mut gefordert. Mit diesen Erkenntnissen und dem erlangten theoretischen Wissen entstanden Traditionen, die sich über die Zeiten hinweg weiter entwickelten und an die nächsten Generationen weitergegeben wurden. Die Umsetzung von Bauaufgaben in der Gruppe hatte einen gemeinschaftsbildenden Aspekt.
Bei den genannten weit voneinander entfernten Bauwerken, die zu unterschiedlichen Zeiten ausgeführt wurden, bestand für die Bauleute keine Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs. Das bedeutet, dass Bautechniken regional unabhängig voneinander mit individueller Sachkunde entwickelt wurden. Am Ende eines solchen Prozesses stand mit der Realisierung die geglückte Verbindung von Bauidee und technischem Können.
Bei Menschen, die von den angewandten Bautechniken keine Vorstellungen hatten, führte das nicht selten zur Bildung von Legenden.
Gelegentlich nahm man beispielsweise wegen der verbauten schweren Findlinge an, dass diese Arbeit nur das Werk von Riesen hatte sein können.
Dazu gehörte in späteren Zeiten auch die Sage, dass bei der Entstehung eines besonders kühnen Brückenbaus über eine Schlucht der Baumeister für dessen Gelingen sogar mit dem Teufel im Bunde gestanden haben soll. Der Preis für die Vollendung war die erste Seele, die über diese Brücke ging.
Nachdem das Wissen über die beim Bau der Cheopspyramide angewandten Techniken verloren gegangen war, begannen sich auch um die Baugeschichte der Cheopspyramide Mythen zu ranken. Wie früh solche bereits blühten, zeigen die um 450 v. Chr. entstandenen Texte des Herodot von Halikarnassos. Sie erschienen, als die Cheopspyramide bereits über 2000 Jahre fertiggestellt war. In der Forschung ist umstritten, mit welcher Sorgfalt Herodot arbeitete und welcher Quellen er sich bediente.