Eugen Pletsch

Achtung Golfer!

Schlägertypen in Wald und Flur

KOSMOS

Für Tatjana

Was ist Golf?

Golf ist ein Zielspiel! Nicht jeder, der ein Golfbuch aufschlägt, weiß das und selbst Alt-Golfern ist diese Idee nicht immer präsent. Ein Ball wird mit einem Golfschläger von einem Abschlag über das Fairway auf ein Grün getrieben, um ihn dann in ein kleines Loch zu schubsen – das klingt einfach, ist es aber nicht, denn der Golfschwung ist eine äußerst komplexe Angelegenheit. Obwohl wir theoretisch vierzehn Schläger benutzen dürfen, um die Bälle auf verschiedene Flugbahnen zu schicken, kennen wir Amateure nur zwei Schlaglängen: zu lang oder zu kurz. Zu lang fliegt der Ball in den Wald, zu kurz ins Wasser, was üblicherweise zu Wutausbrüchen und schließlich zu dumpfer Resignation führt.

Der Ball fliegt meist anders als er soll und manchmal fliegt er gar nicht. Nur dann, wenn der Spieler entnervt aufgeben möchte, segelt die weiße Kugel plötzlich wie von Zauberhand durch die Lüfte und lächelt freundlich. Sofort wird der Spieler von einem intensiven Glücksgefühl erfasst und beschließt, seinem Sport treu zu bleiben, woraufhin sich der Ball beim nächsten Schlag in einen Abgrund verabschiedet. Hobby-Philosophen meinen, der Golfweg erziehe zur Demut, während Psychiater in diesem Zusammenhang eher von Masochismus sprechen. Trotzdem: Irgendwann synchronisieren sich die verschiedenen Schwungfehler zu einer Art Golfschwung. Es gelingt, den Ball häufiger zu treffen, bis der Golfschwung urplötzlich wieder „verloren geht“, was den Golfer dann zu der klassischen golfphilosophischen Frage führt: „Wer bin ich, warum bin ich hier, und warum tue ich mir das an?“ Da sich das Spiel als unbesiegbar erweist, heißt es, Glück und Unglück lägen in der Hand der Golfgötter. Erfahrene Spieler wissen jedoch, dass es nur einen Golfgott gibt und der ist eine Frau! Ihren Lieblingen offenbart die Golfgöttin ihr Geheimnis in seiner ganzen Fülle. Wer von ihr erhört wird, findet Erleuchtung und genießt die Freuden dieses Spiels. Aber nur für eine Weile, denn die Golfgöttin ist eine launische Diva, so grausam wie ungerecht. Wer dabei dennoch den Humor behält, behält auch seinen Ball. Zumindest manchmal.

Der Autor

Prolog

Ein Buch zu schreiben ist für mich ein ähnliches Abenteuer wie eine Golfrunde auf einem gänzlich unbekannten Platz. Man kann sich einschwingen, ein Birdie Book studieren oder sich einen Spielplan zurechtlegen, aber wenn es dann losgeht und direkt am ersten Abschlag auf einem Felsen über der Küste plötzlich heftiger Wind aufkommt, dann passieren die merkwürdigsten Dinge und das manchmal über 18 lange Bahnen. Es fasziniert mich immer wieder, wohin mich mein Golfspiel führt, aber noch mehr fasziniert es mich, als Anhänger des spontanen Schreibens, zu erleben, wie ein Text entsteht und sich daraus ein Buch entwickelt – oder sollte ich sagen: verwickelt?

Mein letztes Buch1 hatte mich weit über meine körperlichen und geistigen Grenzen hinausgeführt und ich brauchte Jahre, um mich zu regenerieren.

Als schließlich die Lust an einem neuen Buchprojekt in mir zu köcheln begann, versuchte ich mich an einem anarchistischen Golfroman. Es sollte ein dicker, fetter Schmöker werden, schwer genug, um Augen mit Tränen zu füllen, Blumen zu pressen und um offene Balkontüren zu fixieren. Mein Werk sollte auch die dunkle Seite des Golfsports beschreiben. Viele mögen es nicht glauben, aber sogar der Golfsport hat seine Schattenseiten, die von Niveaulosigkeit, Geltungssucht und Habgier bestimmt sind. Deshalb – und weil ich manchmal dem Wahn erliege, die ewigen Werte in ihrer Weisheit und Wahrheit für mich gepachtet zu haben – versuchte ich dem „königlichen Spiel“ in einem gewaltigen Epos zu huldigen, nicht zuletzt, um damit ein Bollwerk gegen den golferischen Stumpfsinn zu errichten.

Irgendwann war mein Werk zu einer stattlichen Rohfassung gereift, was mir jedoch immer noch fehlte, war der erste Satz. Deshalb wurde ich in meiner ohnehin unruhigen Nachtruhe häufig von Alpträumen heimgesucht. Dabei ging es stets um diesen ersten Satz, der mir nicht einfallen wollte. Mein Roman (mittlerweile war es ein Golfer-Drama, das vor Tragik nur so triefte) würde Herzen schmelzen und Tränen vom Himmel fallen lassen – aber nur, wenn der erste Satz perfekt wäre. Was tun?

Ich musste das Problem in aller Ruhe durchdenken, und denken kann ich am besten auf einer Golfrunde. Weil das Thema so gewaltig war und es so viel Stoff zum Nachdenken gab, spielte ich den ganzen Sommer lang jeden Tag Golf. Dadurch kam ich leider nicht zum Schreiben, während meine Träume immer bedrohlicher wurden.

Der Volkshochschulkurs

Könnte der erste Satz lauten: „Der Golfer ist ein seltsam Ding, wovon ich Euch ein Liedlein sing.“?

Nein, lieber nicht. Auch Kursleiter Benno Breme war von der Idee entsetzt, während er sich an meinem verängstigten Hasenblick weidete. Noch einmal stellte er mir die Frage, die mich seit Monaten quälte: „Wie lautet der erste Satz in deinem nächsten Buch?“

Ich starrte ihn an und schluckte. Woher sollte ich das wissen? Deshalb war ich doch in seinem Kurs! Mit meinem Golferlatein war ich am Ende. Die anderen Teilnehmer des Kurses „Kreatives Schreiben“ im Raum IV der Volkshochschule schauten mich desinteressiert an.

„Mein erster Satz, äh …“ Ich stotterte.

„Golfer … äh … sind liebenswerte Menschen. Zumindest die meisten.“

„Und so was nimmt dir dein Verlag ab?“

Benno Breme (in der Autorenszene BeeBee genannt) schmatzte verächtlich. Er hatte gelbe Zähne vom Rotwein und Schwarzer Krauser rauchen und einen dicken Schnauzer, in dem meist ein Popel hing. Noch ein mitleidiger Blick in meine Richtung, dann donnerte er los: „Leute! Der erste Satz ist entscheidend! Der muss wie ein Faustschlag sitzen!“

Er musste es ja wissen: Der Bukowski-Jünger BeeBee hatte in den 90er-Jahren einige Schmuddelgedichte in Underground-Magazinen veröffentlicht. Da ihm die breite Anerkennung versagt blieb, hatte er sich sein Nest in der Schublade „Verkannte Dichtergenies“ gepolstert und pflegte sein Image als einstiger Zeilenstürmer. Was er weniger genoss, war seine Volkshochschulklientel: Smartphone-Fuzzies der Generation Twitter, die lernen wollten, wie man geile Marketingtexte verfasst, um „irgendeinen „Konsumscheiß via Internet zu verhökern“ (Zitat: BeeBee), sowie Hausfrauen, die davon träumten, als Harry-Potter-Milliardärinnen in die Literaturgeschichte einzugehen.

„Wenn du deinen Leser mit dem ersten Satz am Schlafittchen hast, kann er dir nicht mehr entrinnen! Aber nur dann!“

Eine seltsame Stille krümmte den Raum. Oh bitte, lieber Gott, gib mir endlich den ersten Satz!

Das Bild von BeeBee im Raum IV der Volkshochschule verblasste. Ich erwachte schweißgebadet.

Ein heiteres Buch?

Dann kam der Anruf, den ich seit Wochen befürchtet hatte.

„Und? Wie sieht es aus?“ Die Stimme meines Redakteurs klang freundlich.

„Sie meinen: draußen? Das Wetter ist sonnig“, murmelte ich.

„Ich spreche von unserer weiteren Zusammenarbeit.“

„Das neue Buch ist in Arbeit. Aber Sie wollten abklären, wie es mit dem Vorschuss aussieht.“

„Die Verlagsleitung hat über Ihre Forderungen nachgedacht.“

„Und?“

„Wie beim letzten Buch: Eine Flasche stilles Wasser, einen Apfel und eine Packung Knäckebrot.“

„Das ist alles?“

„Wir halten es hier mit Schopenhauer, der einst sagte: ‚Die vortrefflichsten Werke der großen Männer sind alle aus der Zeit, als sie noch umsonst oder für ein sehr geringes Honorar schreiben mussten.’“

„Dann aber Dinkelknäckebrot!“

„Hab’s notiert.“

„Irgendwelche Bedingungen?“

„Ja. Es soll ein heiteres Buch werden!“

„Ein was?“

„Ein heiteres Buch.“

Das vermieste mir sofort die Laune. „Das Golfspiel ist nicht immer heiter!“

„Das mag sein. Aber Sie können manchmal richtig fies werden, so dass man meint, Sie wollten Ihren Lesern das Golfspiel vermiesen.“

„Wie bitte? Ich? Ich bin der einzige in der Branche, der diesen Traumtänzern reinen Wein einschenkt, der ihnen schonungslos sagt, was ihnen bevorsteht, wenn sie … ich habe doch täglich mit den Opfern dieses Spiels zu tun. Ich bin doch selbst eins!“ Ich hatte die Stimme vielleicht etwas angehoben, aber brüllen klingt anders.

„Ja, ja, schon gut“, wiegelte er ab, vermutlich, weil er befürchtete, dass mein Bluthochdruck zu Umsatzeinbußen führen könnte. „Beruhigen Sie sich. Ich rufe noch mal in ein paar Wochen an. Vielleicht fällt Ihnen bis dahin etwas ein. Aber bis zur nächsten Verlagskonferenz brauche ich ein Konzept.“

„Alles klar“, knurrte ich und legte auf.

Hatte ich unwirsch geklungen? Schließlich war der Vorschuss noch nicht ausbezahlt. Aber es regt mich auf, dass alles immer „lustig“ sein muss. Das Leben ist nicht immer lustig und schon gar nicht dieses Spiel. Golf ist eine zwiespältige Angelegenheit. Jeder Golfer weiß das, und natürlich auch jede Golferin. Einerseits erfüllt uns das Spiel mit einer Heiterkeit des Herzens, die ich nicht missen möchte. Aber wenn Schläge misslingen, dann ist die Heiterkeit futsch. Dann kann man sich ärgern, bis man schwarz wird, rot sieht oder blau anläuft. Dem Ärger ist die Farbe egal.

Der Goldesel

Zwei Wochen später. Düdelüt!

Ein schmerzhaftes Nagen an meiner Hirnrinde. Düdelüt!

Mein Telefon! So früh? Nein, es war nicht früh, ich hatte total verpennt.

Ich hob ab und mein Redakteur sprang mir direkt in den Schädel, wodurch sich das Gespräch unauslöschlich in meine Festplatte brannte.

„Habe ich Sie geweckt?“

„Ich sitze seit Stunden am Schreibtisch.“

„Das ist wunderbar“, sagte er, der gerne in neuen Manuskripten stochert, egal ob sie von lustigen Teichmolchen, schwarzen Löchern im Universum, fetten Fischen auf dem Grill oder kiffenden Landschildkröten handeln. Sogar Golfbücher pflegt er in rührender Unkenntnis zu sichten, seit der Verlag nach einem Schnupperkurs der Geschäftsleitung entschied, Golfbücher im Marktsegment Naturkundliche Wanderung zu platzieren.

„Woran arbeiten Sie?“

„Am ersten Satz des neuen Buches.“

„Oh?“

„Ja, der erste Satz ist entscheidend. Man muss seine Leser sofort am Schlafittchen schnappen. Wussten Sie das nicht?“

„Aber Sie haben vorwiegend Leserinnen! Unsere Leserbefragung bestätigt das. Übrigens: Wie sieht es mit Ihrem Konzept aus? Nicht dass ich drängeln möchte, aber wie Sie wissen, rückt die Verlagskonferenz immer näher und die Kollegen fragen sich …“

Die sonst so sanfte Stimme meines Redakteurs hatte einen anderen Farbton angenommen. So klingt er, wenn ich versuche, ihn um einen Vorschuss anzuhauen.

„Ein Konzept? Sie meinen, worum es in dem neuen Buch geht?

„Genau.“

„Es handelt sicher nicht von Einwegschnecken oder kroatischen Kampfbibern. Es wird ein Golfbuch!“

„Tatsächlich? Wie interessant. Nur bräuchte ich das etwas genauer, da wir im Verlagsprogramm auch andere Golfbücher vorbereiten.“

„Meine These: Der Golfsport ist versaut. Es geht nur um Kohle.“

„Also eine Art Schmähschrift, wie Ihre anderen Bücher?“

„In diese Richtung dachte ich, aber ich wollte es diesmal etwas größer anlegen. Ich dachte an einen anarchistischen Golfroman.“

„Einen anarchistischen Golfroman? Hatten Sie nicht schon mal vor Jahren in diese Richtung gedacht?“

„Stimmt. Damals war die Zeit aber noch nicht reif, man hätte mich nicht verstanden. Doch jetzt, wo die Menschheit die größte Bedrohung in ihrer Geschichte erlebt …“

„Sie meinen den Golfsport?“

„Nein, ich meine ALLES! Der Weltuntergang steht bevor. Uralte schreckliche Geheimnisse werden offenbar. Grauenhafte Gestalten der Finsternis kriechen hervor …“

„Gut, dass Sie mich an meinen Banktermin erinnern“, flötete mein Redakteur, der sich durch nichts so schnell aus der Fassung bringen lässt, „aber nun sagen Sie doch mal: Worum geht es in Ihrem Roman?“

„Sie meinen: in Kurzfassung? Hm. Ich würde sagen, es geht um den Konflikt zwischen Tradition und Moderne am Beispiel des Golfsports. Sozusagen. Meine These ist: Golf ist Anarchie. Mein Beweis: Wo immer sich Golflehrer einmischen, herrscht danach das reine Chaos. Nein, das war nur ein Spaß.“

Er holte tief Luft. „Jetzt mal im Ernst“.

„Na gut. Es wird ein ziemlicher Schinken werden. Stellen Sie sich vor: Krieg und Frieden, Die Säulen der Erde und Die Bibel in einem Buch. Soll ich etwas aus der Handlung beschreiben?“

„Ich bitte darum.“

„Einerseits geht es um all die Abscheulichkeiten einer verkommenen Welt, aber es geht auch um einen Golfer und seine große Liebe. Der letzte Dialog der beiden Liebenden, wenn er sich von ihr wegen Missachtung einer Golfregel trennt – und dabei war alles nur ein Irrtum –, oh, Jesses, ich muss schon flennen, wenn ich nur daran denke. Vom Winde verweht ist nichts dagegen. Dass so ein monumentales Werk seine Zeit braucht, werden Sie doch verstehen, oder?“

Eine Weile herrschte Stille, dann hörte ich ihn leise wimmern: „Vom Winde verweht?“

„Ja! Mit herrlichen, endlos langen Sätzen und einem Schuss Wahnsinn, fast wie Dantes Inferno.“ Einen gewissen Stolz konnte ich mir nicht verkneifen.

Er röchelte. „Dieses Inferno wird niemand kaufen.“

Ich erschrak. „Wie kommen Sie denn darauf?“

„Ganz einfach, weil die Menschen nicht mehr lesen. Wir leben im Twitter-Zeitalter. Mehr als eine SMS kann wegen der allgemeinen Reizüberflutung nicht mehr verarbeitet werden. Lange Geschichten können Sie vergessen.“

„Aber alle meine Bücher bestehen doch aus langen Geschichten!“

„Darüber wollte ich heute mit ihnen sprechen. Die Leserumfrage besagt: Kaum ein Leser liest Ihre langen Geschichten.“

„Nein? Was dann?“ Ich hatte meine Tropfen noch nicht genommen und jetzt flatterte mein Nervenkostüm. Mir wurde schwach. „Meine Leserinnen auch nicht?“

„Die lesen manche Kapitel. Aber gegen seichtes, hochtrabendes Geschwafel sind auch Frauen mittlerweile allergisch. Über doppelbödige Pointen, die den Kopf anstrengen, mag heute niemand mehr nachdenken.“

Heute Morgen würde ich meinen Blutdruck besser nicht messen. „Worauf wollen Sie hinaus?“

„Kein 1000-Seiten-Roman! Wir brauchen kurze Episoden, leicht wie Knäckebrot, die flach unter dem Wind segeln.“

„Was meinen Sie damit? Soll ich irgendwelche niveaulosen Sottisen und peinlichen Anekdötchen zu einem Amalgam der Geschmacklosigkeit zusammenrühren, das bei jedem intelligenten Menschen Übelkeit verursacht? Schopenhauer sagt dazu …“

„Das leichte Genre ist ein Trend, den wir nicht verschlafen sollten!“, unterbrach mich mein Redakteur.

„Sie meinen, ich soll meine Leser in den Hades grobschlächtiger Satire stürzen? Aber das ist doch überhaupt nicht mein Stil! Außerdem kann ich mich nicht kurz fassen.“

„Dann müssen Sie es lernen. Viele Bücher, die ihre Leser nicht mit Inhalt überfordern, sind Bestseller geworden.“

„Solche Bücher werden Bestseller?“

Es folgte ein Moment der Stille. Der Redakteur am anderen Ende der Leitung schien zu nicken. Im tiefsten Gedärm meines Wesens, da wo in jedem Künstler die Angst vor der Einsamkeit in Altersarmut wohnt, schrie plötzlich ein hungriger Esel auf, der GOLDESEL: „ÖÖÖnk, ÖÖÖnk, ÖÖÖnk!“

„Vielleicht sollte auch ich diesen schweren Zeiten der Niveaulosigkeit meinen Tribut zollen?“

„Die Verlagsleitung würde das sehr zu schätzen wissen.“

„Und das Thema?“

„Geschichten über Golfer, sozusagen Schlägertypen in Wald und Flur. Auf wen lässt man sich ein, wenn man mit dem Golfen beginnt? Wir möchten den Markt der Neugolfer ansprechen, indem wir ihnen die Menschen vorstellen, die sich bereits für dieses hübsche Hobby entschieden haben. Freundliche, sympathische Gestalten voller Lebensfreude und Humor, die ihre Geschichte erzählen – und wie gesagt, es darf nicht zu anspruchsvoll sein. Meinen Sie, Sie können das?“

„Hübsches Hobby? Freundliche, sympathische Gestalten voller Lebensfreude? Sagen Sie, waren Sie schon mal auf einem Golfplatz?“

„Nein, aber denken Sie über meinen Vorschlag nach.“

„Ich könnte vielleicht etwas über unsere Therapiegruppe schreiben“, überlegte ich laut.

„Gut zu wissen, dass Sie noch in Therapie sind, aber ist das lustig?“

„Ich bin nicht in Therapie, ich bin der Therapeut!“

„Oh! Wie schön. Dann ist es für Ihre Klienten bestimmt lustig.“

„Für die Betroffenen vielleicht weniger, aber für die Leser könnte manche Episode ein Anlass zum Schmunzeln sein.“

„Na, dann haben wir doch etwas gefunden“, sagte mein Redakteur und legte auf.

Letzter VHS-Abend

Frohen Mutes stiefelte ich los, um die letzte Stunde meines Volkshochschulkurses zu absolvieren. Benno Breme schaute mich mehrfach argwöhnisch an. Er schien zu spüren, dass eine Veränderung in mir stattgefunden hatte. Seine Macht über mich hatte er eingebüßt, meine Albträume würden bald der Vergangenheit angehören.

„Na, hast du deinen ersten Satz gefunden“, knurrte er, als er einen Moment an meinem Tisch stand und zusah, wie ich eifrig Bezeichnungen von Golfertypen kritzelte.

„Nein, aber ich habe das Thema gewechselt.“

„Man kann es sich auch einfach machen.“

„Warum nicht? Verlagsauftrag. Vorschuss. Was will man mehr?“

Benno Breme schluckte hinter seiner Trotzki-Bürste.

Verlag. Vertrag. Vorschuss. Davon konnte er nur träumen.

Ich lächelte. Ob ich Menschen vorstellen könne, die sich bereits für dieses hübsche Hobby entschieden haben, hatte mein Redakteur wissen wollen. HA!

Den Rest der Stunde zeichnete ich einige der Golfertypen aufs Papier, denen ich in den letzten Jahren begegnet war. Dabei fiel mir auf: Die meisten hatten einen Bauch, womit sich die Frage aufdrängte: Warum haben so viele Golfspieler einen dicken Bauch? Das lässt sich auf den ersten Blick recht einfach beantworten: Während jedes sechste Kind in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze lebt und jedes dritte Kind dicht dran ist, haben viele Golfer die Möglichkeit, nach Herzenslust zu fressen und zu saufen. Wobei man natürlich sagen muss, dass sie, wenn Leberschmerzen und das Gewissen zwicken, auch für die Armen spenden. Nicht so viel wie Bill Gates und Jack Nicklaus, aber immerhin. Dazu wird ein Charity-Turnier veranstaltet, mit einer Tombola, bei der tolle Reisen zu gewinnen sind und irgendwelche Nutzlosigkeiten versteigert werden. Wenn Golfer ganz viele Charity-Events spielen, bei denen es grundsätzlich immer leckeres Essen gibt, bekommen sie irgendwann einen dicken Bauch. So könnte man das erklären. Es gibt aber auch noch eine andere Erklärung: Golfer, die einen dicken Bauch haben, sind scheinschwanger! Dahinter steckt das männliche Schwangerschaftssyndrom, von Psychiatern auch als “Couvade-Syndrom”2 bezeichnet. (Vor ein paar Jahren entdeckten Wissenschaftler in den USA, dass nicht nur Menschen, sondern auch Krallenaffenmännchen, die Väter wurden, mehr Gewicht zulegen.) Da Golfer ständig über ihren Schwung brüten, könnte es also durchaus sein, dass sie deshalb scheinschwanger werden. Das ist aber wissenschaftlich noch nicht wirklich abgeklärt.

Ich habe auch einen Bauch. In Zeiten, in denen ich ein Buch ausbrüte, bekomme ich oft Heißhunger, werde launisch, esse Heringssalat mit Nutella und beginne mir in meiner Höhle mit alten Socken und Handtüchern ein Nest auszupolstern. Deshalb bin ich ziemlich sicher, dass ich auch schwanger bin, zumindest ein bisschen.

Die Pausenklingel läutete und BeeBee schnappte sich seine speckige, alte Aktentasche, die er seit seiner Zeit als Praktikant bei Opel mitschleppte. Auch wenn es damals nicht ganz mit der Weltrevolution geklappt hatte – er wüsste genau, wen er zuerst aufknüpfen würde, wenn die werktätigen Massen endlich zur Besinnung kämen: zuallererst mich und dann das restliche großkarierte Golfergesocks.

„Also dann“, sagte ich und lächelte ihm freundlich zu.

Er nickte.

„Ich reise auf die Azoren.“

„Azoren?“ Er schaute verächtlich.

„Ja, dort sind wunderbare Heilquellen.“

„Heilquellen?“ Beebee schüttelte nur den Kopf und schlurfte davon.

Eine Horde nasser Schweden

Ziel meiner Reise auf die Azoren war das vergessene Heil- und Badeörtchen Furnas mit seinen vielen Heilquellen im Osten der Insel. Ich wohnte in einem alten Herrenhaus in einem märchenhaften, dschungelähnlichen Park, schwamm täglich meine Runden in einem riesigen Becken mit heißem, braunem Mineralwasser und manchmal fuhr ich den Berg hoch zum Golfclub.

San Miguel, die Hauptinsel der Azoren, beheimatet zwei herrliche Golfplätze. Der zauberhafte Parkland Course von Furnas hatte es mir besonders angetan. Deshalb fuhr ich auch am letzten Tag meiner Reise noch einmal zum Platz, doch als ich aus dem Wagen stieg, hingen schwere, dunkle Wolken am Himmel. Bekanntermaßen haben die Azoren ihre klimatischen Reize, schlechtes Wetter gibt es jedoch nur, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, wie ich an jenem Tag. Kräftige Regenschauer und heftige Windböen hatten die Spieler ins Clubrestaurant verbannt.

Fast alle Tische waren von einer schwedischen Reisegruppe besetzt, die ziemlich nass geworden war. Um die Zeit bis zur Abfahrt zu überbrücken, zelebrierte der begleitende Professional eine Demo im Trockendock. Ich verstand kein Wort, aber anhand seiner Vorführungen mit dem Wedge ließ sich nachvollziehen, dass er über das Chippen und Pitchen sprach.

„Alter Schwede!“, dachte ich, setzte mich an den einzigen freien Tisch in der Ecke des Restaurants und bestellte mir leckeren grünen Azorentee. Ich beobachtete die Schweden, die heiße Suppe schlürften, Bier tranken und fröstelnd den Ausführungen ihres Pros lauschten. In diesem Moment wurde mir schlagartig klar: Hier saßen sie, die Menschen mit dem hübschen Hobby, und selbst wenn sich Golfer durch Sprache und Rasse unterscheiden – überall sind die gleichen „Schlägertypen“ unterwegs, um mit ihren inneren Dämonen zu kämpfen. Die Frage ist nur: Mutieren Menschen zu Golfern, nachdem sie eine Zeit lang Golf gespielt haben oder sind Golfer eine eigene Rasse, die sich auf diesem Planeten ausgebreitet hat?

Logbucheintrag: Rückflug. Während der drei Stunden Aufenthalt in Lissabon arbeitete ich an einem Gedicht. Meine futuristische Vision handelt von zwei Graugolfern, die über eine Brache wandern, „da, wo einst ein Golfplatz war“. Das Gedicht beschreibt ihre Erleuchtungserfahrung durch die unmittelbare Schau des Mysteriums, das diesem Spiel innewohnt. Irgendwann fiel mir auf, dass ich am Gate 23 saß und auf Flug 23 wartete! Dachte an Dagobert Seicht aus meinem früheren Golfclub Bauernburg und seine Macke mit der Zahl 23. Zum Glück hatte ich Sitznummer 32. Auf dem Rückflug nickte ich ein und träumte von Seicht, der mit der Hand wedelte und etwas sagte. Es klang wie „Mongolei“.

Welcher Golfer ist das?

Zu Hause angekommen, machte ich mich an die Arbeit. Bereits in meinem golfpsychiatrischen Standardwerk GOLFGAGA hatte ich die Phasen der Entwicklung zum Golfneurotiker (unter dem Aspekt der Golfsucht) in sieben Typen unterteilt:

Typ 1, der Golfinteressierte

Typ 2, der Rabbit mit leichter Suchttendenz

Typ 3, bereits golfsüchtig

Typ 4, der Golfjunkie

Typ 5, der Golfmaniac

Typ 6, der Golfzombie

Typ 7, der ultimative Golfneurotiker, der vollkommen GOLFGAGA geworden ist und jenseits von Eden lebt.

Das war mein Stand der Dinge. Meine nächste Überlegung war: Wäre eine Art Bestimmungsbuch denkbar, wie es das für Pilze, Sterne, Heilpflanzen, Fische und Greifvögel gibt? Im Sinne von: Welcher Golfer ist das? Die Ethnologie bietet dafür durchaus hoffnungsvolle Ansätze, indem sie nicht entwickelte, nicht zivilisierte, nicht erzogene bzw. im Naturzustand befindliche primitive Kulturen klassifiziert3 und beschreibt. Aber damit kam ich nicht weiter.

Auch mit anthropologischen Methoden versuchte ich, den Schlägertypen beizukommen, indem ich sie zum Beispiel nach ihrer Größe ordnete. Zu klein geratene Golfer, die hoch hinaus wollen, kommen häufig zu kurz. Sie gehören unbedingt in ein Bestimmungsbuch!

Aber dann gingen die Überlegungen los: Sollte ich die Golfer wirklich nur nach Größe sortieren und – falls nein – wie ließe sich der Golfer sonst noch klassifizieren? Nach der Flugbahn seines Balles? Die ändert sich bei den meisten Spielern mit jedem Schlag.

Schließlich befasste ich mich mit den klassischen Methoden zur Unterscheidung des Menschen. Im antiken Griechenland kannte man die vier Temperamente. In den 1920er Jahren dachte sich der Psychiater Ernst Kretschmer eine Typenlehre aus, die Menschen nach dem Körperbau unterscheidet: Es gibt Pykniker, Athletiker, Leptosome (oder Astheniker) sowie Dysplastiker. Aber was glauben Sie was passiert, wenn ich unseren Spartenführer Herrengolf einen Dysplastiker nennen würde? Der Choleriker haut mir eine aufs Maul!

Eine Weile haben mich die Somatypen nach der Typologie William Sheldons fasziniert, als da wären: ektomorphe, mesomorphe oder endomorphe Typen. Sheldons Einteilung des Menschen nach den Keimblattgeweben des Embryos wird jedoch höchstens noch im Fitnessbereich verwendet, um ein dem Körpertyp angepasstes Trainingsprogramm zu erstellen.

Dann versuchte ich es mit dem Enneagramm. Diese uralte Geheimleere basiert auf dem Neuneck. Ich dachte Neuneck und Neun-Loch-Platz – das könnte passen. Das Enneagramm unterscheidet neun Persönlichkeitstypen und gemäß der Enneagramm-Typologie verfügt jeder Mensch über drei Intelligenzzentren: der Kopf, also Verstand oder Ratio, das Herz mit seinen Emotionen und der Bauch, der den Instinkt beherbergt. Der geheimen Lehre zufolge hat Intelligenz nicht nur mit dem Kopf zu tun, es gibt auch die sogenannte „Bauchintelligenz“. Einen Bauch haben Golfer, wie bereits erwähnt, aus vielerlei Gründen. Aber wird ihr Golfspiel dadurch intelligenter?

Schließlich betrachtete ich die Sportanthropologie, um die verschiedenen Schulen zur Bestimmung der Konstitutionstypen zu erforschen, doch das brachte mich auch nicht weiter. Sogar das Handicap kann man vergessen. Was ich schließlich als wichtiges Unterscheidungsmerkmal entdeckte, ist die Lautstärke eines Golfers. Liegt doch auf der Hand, oder? Die Lautstärke der Geräusche, die ein Golfer von sich gibt, sagt viel aus. Man unterscheidet dabei grundsätzlich zwei Geräuschquellen: Was der Golfer selbst von sich gibt und welche Geräusche seine Ausrüstung macht. Wir kennen die Brüllochsen, die Kreischhühner, die Quietschmäuse, Jodlerinnen, Bassbrummler und dauerplappernde Angeber, um nur einige zu nennen.

Bei der Ausrüstung unterscheiden wir die Klapperer, die Rattler, die Trolley-Quietscher, die Head-Banger und die Bag-Umfaller.

Der Klapperer trägt seine Schläger, wobei diese weithin über den Platz klappern, wie der Name schon sagt. Beim Rattler dagegen werden die Schläger meist im Bag gezogen, wobei zwei bis drei Eisen aneinanderschlagen (ding-ding-ding), was sensible Menschen als ausgesprochen störend empfinden. Ähnlich ist es beim Headbanger, der meist aus Faulheit – oder weil er sie verschlampt hat – ohne Hauben auf den Hölzern über den Platz tingelt. Das helle Klingeln, wenn zwei Titanschlägerköpfe dauerhaft aneinanderschlagen (ting-ting-ting-ting), kann ebenso nervtötend sein wie das nörgelnde Quietschen eines Trolleys (njäg-njäg-njäg) oder die Fähigkeit eines Mitspielers, sein Bag stets in dem Moment umfallen zu lassen, wenn sich ein anderer Spieler unaufhaltsam im Rückschwung befindet (rumms).

Aber ist das wichtig? Bringt uns das weiter? Mir kamen Zweifel, ob es wirklich sinnvoll ist, Golfer nach einem System zu ordnen. Reicht es nicht, zu wissen, dass es Siegertypen gibt – und ewige Verlierer?

Logbucheintrag: Wollte mein Jacket in die Reinigung bringen und fand den Zettel mit meinem Graugolfer-Gedicht. Es inspirierte mich, an einer „Hackerballade“ zu arbeiten, einer Moritat über Schlägertypen, die in Wald und Flur unterwegs sind, um das Unmögliche zu wagen. Sie beginnt so:

„Es ziehen drei Hacker durch Wald und Flur, suchen einen Ball im Morgenreif und träumen vom perfekten Drive am Himmel wie ein Kometenschweif.“

Na ja, noch nicht der große Wurf – that’s life. Aber vielleicht sollte ich mal nachsehen, ob die Triumphe und Tränen von uns Hackern überhaupt im großen Golfkanon erwähnt werden.

Schlägertypen in Wald und Flur

Tatsächlich. Meine Recherchen bestätigten, was ich vermutet hatte: Über alles Mögliche wird im Golfsport geschrieben, nur nicht über Golfer! Mit Golfer meine ich nicht die Heroen des Sports, die sich in der Hall of Fame aus ihren Silbertrophäen zuprosten. Nein, ich meine uns, das Fußvolk, die Bauern im Spiel, die wir im Tümpel unserer Unfähigkeit nach Bällen fischen. Der lange Dünne mit seinem kleinen, dicken Kumpel, die drei alten Haudegen aus der 3. Fußball-Liga, die pickligen Knaben, die verwirrten Doktoren, die verirrten Witwen und die vielen, liebenswerten Ehepaare, die auf ihren Golfrunden in unerschütterlicher Gemütlichkeit der Frage ausweichen, ob dieses Spiel ursprünglich nicht doch irgendeinen Sinn gehabt haben könnte. Diese Golfer gibt es überall – nur in der Hall of Fame hat man sie noch nie gesehen.

Wie sieht sie eigentlich aus, diese Ruhmeshalle des Golfsports? Nein, nicht die irdische World Golf Hall of Fame in St. Augustine, Florida. Dort mögen erfolgreiche Sportler geehrt werden, aber der Vatikan ist auch nicht der Himmel, oder? Ich meine das echte Walhalla der Golfer, irgendwo da oben, wo die ganz Großen sitzen und sich mit Single Malt abfüllen. Wenn ich darüber nachdenke, stelle ich mir die ganze Chose ziemlich nordisch vor. Schottisch. Ein altes Herrenhaus mit hohen Säulen, eigentlich wie das Clubhaus der R&A in St. Andrews, natürlich auf der Astralebene.

In der großen Halle sitzen die Champions der Vergangenheit an einem langen Tisch: James Braid, Archie Compston, George Duncan, Abe Mitchell, und Amateure wie John Ball, Bernard Darwin, Harold Hilton oder die schottisch-stämmigen US-Pros wie Jock Hutchison, Stewart Maiden oder MacDonald Smith. Natürlich sind auch einige Damen dabei, zum Beispiel Joyce Wethered oder Babe Zaharias. Nicht so viele Damen wie Männer, aber immerhin einige. Eine feine Gesellschaft, aber nicht zu fein. Die alten Pros, die zu ihrer Zeit nicht mal das Clubhaus betreten durften, weil sie keine „Gentlemen“ waren, sollen sich auch wohlfühlen. Da sitzt Ted Ray, neben ihm Harry Vardon und am anderen Ende des Tisches die jüngeren Golfmeister, die tief durchatmen und froh sind, überhaupt hier sein zu dürfen. Wer präsidiert an der Stirnseite der Tafel? Natürlich Old Tom Morris und das ist in Ordnung, aber wer ist das zu seiner Rechten? Young Tom Morris? Jetzt wird es kompliziert. Walter Hagen, der Loki des Golfer-Himmels wispert, dass allein Bobby Jones diesen Platz für sich beanspruchen dürfe. Jones winkt bescheiden ab, trotzdem geht der Ärger los – natürlich auf stilvolle Weise. Sie fangen an, sich zu kabbeln und damit endlich wieder himmlische Ruhe einkehrt, schlägt Old Tom für den nächsten Tag ein Sudden Death Matchplay vor. Der Sieger oder die Siegerin dürfe zu seiner Rechten sitzen und wieder wispert Walter Hagen: „Ein Sudden Death hier oben, das ist ja wohl ein Witz.“

Die Amerikaner kichern. Gene Sarazen, Horton Smith, Joe Turnesa und der Amateur Francis Ouimet fragen nach Bourbon. Sie mögen keinen Scotch. Wieder gibt es Aufruhr in der Ruhmeshalle. Nur Ben Hogan und Moe Norman fehlen. Sie stehen draußen im himmlischen Regen und schlagen Bälle, die von selbst ins Körbchen zurückrollen.

Was in dieser Ruhmeshalle alles abgeht – man glaubt es nicht! Das wäre mal eine Geschichte für eine Golfzeitung, aber diese „Golfjournalisten“ können offensichtlich nur noch über Promi-Galas und irgendwelchen PR-Krempel schreiben. Da bleibt keine Zeit für eine Homestory aus dem Golfer-Walhalla. Ich hätte durchaus die Zeit, da mal raufzufahren, doch wer zahlt mir die Fahrt? Und wie komme ich wieder zurück? Aber was soll’s. Vielleicht klärt sich das später. Alles zu seiner Zeit. Ich möchte nur klarstellen, wer nicht in der Ruhmeshalle rumhängt, ja, nicht mal an die Pforten klopfen darf – nämlich wir, die einfachen Golfer.

Doch lassen wir den Herrschaften ihren Platz in den Ruhmeshallen und genießen wir stattdessen die Zeit, die uns hienieden bleibt, um unsere Kreise zu ziehen. Damit kommen wir zu der Frage zurück, warum wir, die einfachen Golfer, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in der Golfliteratur komplett ausgeblendet werden. Ist es denn so peinlich, dass es uns gibt?

Natürlich beschreibt manch humoristisches Golfbuch ein paar klassische Charaktere, aber die Vielfalt der Schlägertypen, wie sie uns in Wald und Flur begegnen können, wurde meines Wissens nie in angemessener Ausführlichkeit gewürdigt. Den golfenden Menschen in seinem täglichen Kampf mit sich selbst in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, hätte sogar für erfahrene Golfer einen wohltuenden Effekt: Sie könnten sich entspannt zurücklehnen, wenn sie lesen, dass die anderen Golfneuröschen auch alle am Rad drehen und nicht mehr ganz richtig ticken. Somit war das, was mein Redakteur so leichtfertig von sich gegeben hatte, gar keine schlechte Idee!

Logbucheintrag: Habe zu viele Golfschläger. Werde über den Winter einiges in den Internetbörsen verkaufen.

Der Leber-Galle-Tee

Nach einem goldenen Herbst hatte sich eine ausgesprochen unfreundliche Witterung breit gemacht. Sturm, Windböen und eisige Schauer zerwühlten das Land; aus den Bergen wurden erste Schneefälle gemeldet. Selbst wetterfeste Golfer zeigen an solchen Tagen Vernunft, weshalb ich in meinem Sessel saß und meine Aufmerksamkeit auf das bernsteinfarbene Getränk richtete, das mir meine Heilpraktikerin verordnet hatte.

Wenn man einen Leber-Galle-Tee in ein Glas gießt und lange genug anschaut, dann sieht man schließlich nur noch die Farbe. Sogar ein rational geprägter Mensch wie ich, dem es sonst an jeglicher Fantasie mangelt, erinnert sich dann der vielen moorig-weichen Hochland Malts, die er in seiner Golferjugend gern und oft genossen hat. Dann gleiten die Gedanken auf bernsteinfarbenen Flügeln zurück in jene Zeit, als die Leber noch jung war und zwei Runden Golf am Tag keine Anstrengung bedeuteten.

Die Stube war warm und alles war getan, was getan werden musste. Meine Überlegungen bezüglich der Schlägertypen veranlasste mich, einige meiner Golfbücher durchzublättern, von denen ich etliche besitze, denn nicht alle Golfer sind – wie der erste Eindruck glauben macht – ungebildete Leute. Im Gegenteil! Seit Aristoteles mit seinem Wanderstab auf dem Weg nach Athen das Gewölle einer Eule ins Meer schlug, die als Begleiterin der Göttin Athena bereits in den Fabeln des Äsop für ihre Klugheit gerühmt wurde, gilt der Golfer als letzte Bastion humanistischer Bildung in einer bis in ihre Grundfesten trivialisierten Welt. Und unsere Golfbücher erfüllen zweierlei Zweck: Sie nähren die Illusion vom verlässlichen Schwung und helfen uns Träumern, die Realität des eigenen Spiels zu transzendieren.

Fachkundige Anleitungen zum Golfschwung, Bildbände mit traumhaften Golfplätzen aus aller Welt, Biografien großer Golfer sowie Golfromane und Erzählungen lassen uns den eigenen Kampf mit dem Krampf vergessen. Das feine Lüftchen, das beim Blättern der Buchseiten entsteht, hält die Glut in unseren Golferherzen am Glimmen. Wenn Eis und Schnee die heimatlichen Plätze unbespielbar machen, dann sind Golfbücher ein Labsal für die Seele und das Manna, das Golfer nährt. Auch in der trostlosesten Winterzeit haben wir Golfer deshalb allen Grund zur Freude.

Als ich aus meinem bernsteinfarbenen Nickerchen erwachte, nahm ich den Klassiker schlechthin, Ben Hogans Golfschwung, zur Hand und schaute mir die faszinierenden Abbildungen von Anthony Ravielli an. Seit Generationen gründen Schwungsucher Stand, Griff, Schwung und Ausrichtung auf Hogans Empfehlungen, die mit den genialen Zeichnungen Raviellis auf zeitlose Weise bildhaft geworden sind. Manche Pros mögen diskutierten, ob Hogan noch zeitgemäß ist. Mir ist das egal, denn wem ein Leber-Galle-Tee gleich einem Single Malt zu Kopfe steigt, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen.

Der Regen prasselte an die Scheiben, doch in den nächsten Tagen sollte es kälter werden. Bald würde der Winter kommen. Wie ein alter Indianer, der am Feuer sitzt und von Büffeln träumt, würde ich die Monde zählen und darauf warten, dass die Jagd nach der weißen Kugel erneut beginnt.

Logbucheintrag: Habe zwei Schlägersätze mit alten Blades, zwei Schlägersätze von Clubfittern und etliche Hölzer, sowohl Metal- als auch Persimmon-Hölzer im Internet angeboten. Auch heilige Kühe aus meiner Sammlung sowie Putter, die klebrig sind von meinen Tränen nach 12 Jahren Yips. Denke mir: Was weg ist, ist weg.

Frau Liebeseel

Tiefschnee! Das hatte mir noch gefehlt. Wie das liebe Greenvieh hockte ich in meinem Stall und scharrte mit den Hufen. Die Vorhänge waren zugezogen, damit ich diesen weißen Wahnsinn nicht mit ansehen musste. Tonlos flimmerten die Aufzeichnungen der OPEN über meinen Bildschirm. Tom Watson drehte seine Runden, um Himmel und Erde im Gleichgewicht zu halten. In letzter Zeit schlief ich viel. Ja, ich war ein echter Penner geworden. Ich kam nicht mehr aus dem Bett und das hatte einen Grund: Meine Nachbarin, die Frau Liebeseel, hatte einen Kurs über Erdstrahlen besucht und sich ein Messgerät für Elektrosmog gekauft. Damit untersucht sie Wohnungen von Freunden und Bekannten auf schädliche Strahlungen, ein Talent, das sie vom Opa geerbt hat. In meinem Fall war die Analyse ausgesprochen unangenehm und bestätigte, was manche meiner Leser längst vermutet haben, nämlich, dass ich einen am Sträußchen habe. Die Ursache: Ich schlafe – oder besser gesagt: ich schlief – jahrelang auf dem Kreuzpunkt eines Currygitters und dabei kann man nur gaga werden. Also haben wir mein Feldbett an einem anderen Platz in meiner Klause eingenordet und seitdem schlafe ich wie ein Stein. Für einen chronisch von monetären Urängsten erschöpften Freiberufler ist das zwar gesund, aber es hatte den Haken, dass ich morgens nicht mehr aus den Federn kam. Bald waren meine eiserne Disziplin und meine strikte Tagesplanung von einem Currygitter-Jetlag über den Haufen geworfen, was nach Ansicht von Frau Liebeseel noch eine Weile anhalten würde. Sie wünschte mir schöne Träume.

Mit ihren Messinstrumenten entdeckte sie dabei noch eine Besonderheit: Ich sei überaus sensitiv, sagte sie. Für mich war das nichts Neues.

„Kannst du meine Aura sehen?“

„Nee“, sagte ich, „aber ich sehe das Karma von Golfschlägern.“

„Wie das?“, fragte sie neugierig.

„Ich nehme Schläger in die Hand und spüre, wie sie schwingen. Dann tauchen Bilder in mir auf. Ich sehe frühere Besitzer beim Spiel. Die Schläger tragen gute und schlechte Erinnerungen. Meist schlechte, aber bei manchen alten Schlägern ist es richtig schön, ihre Geschichte zu sehen: Wie sie in den USA oder vielleicht in Japan von einem braven Gesellen mit großer Sachkenntnis gefertigt wurden und wie ihr weiteres Schicksal verlief. Die meisten alten Schlägersets haben das Leben eines Globetrotters hinter sich. Sie sind um die Welt gereist, um irgendwann in einem Keller oder einer Garage entdeckt zu werden. Vielleicht landen sie dann bei einem Pro in England, der erkennt, welchen Schatz er vor sich hat. Er restauriert die Eisen, um sie an ein vielversprechendes junges Talent weiterzugeben. Alte Wilson- oder Hogan-Blades, die in den Händen eines jungen Meisters erblühen und vielleicht zu den Schwertern werden, mit denen er sich den Weg zur Qualifikation der OPEN erkämpft. Solche Geschichten sehe ich.“

„Ich verstehe kein Wort“, sagte Frau Liebeseel begeistert, „aber aus so einem Talent lässt sich doch etwas machen!“

„Was denn? Im Internet habe ich eine karmische Schlägerbegutachtung angeboten, um Käufern Ärger zu ersparen.“

„Ja, und?“

„Ein paar Leute haben mir ihre Schläger geschickt. Schrott aus chinesischen Sklavenfabriken, bei dem mir schlecht wurde. Und was könnte man bei Schlägern verlangen, die nach einem Jahr schon keinen Marktwert mehr haben? Nein, das ist nur bei Sammlerstücken sinnvoll, aber wen interessiert das Karma seiner Golfschläger so sehr, dass er bereit wäre, meine Arbeit angemessen zu bezahlen?“

„Da hast du auch wieder recht“, sagte sie. Sie trank den Tee aus und empfahl mir dringend, die Ecke auszusaugen, in der das Bett zuvor gestanden hatte.

„Was ist denn mit deiner Feinstaub-Stylistin, der Frau Jaruschkowa? Kommt die nicht mehr?“

Ich schüttelte den Kopf.

„So schnell wohl nicht mehr. Se miste mal inne ale Häimat, un wisste nicht, wann se zerick käme, hat sie mir gesagt.“

Frau Liebeseel packte ihre Messinstrumente ein.

„Sonst alles okay?“

Sie schien etwas besorgt. Ich nickte.

„Ja schon, aber seit es zu schneien angefangen hat, habe ich keinen Ball mehr geschlagen.“

Das war nun wirklich nicht ihr Karma. Sie zuckte mit den Schultern und verschwand.

Die Kunst des perfekten Gehens

Normalerweise sehe ich mir nur uralte, knisternde Golfvideos an, aber in der Winterzeit lasse ich es krachen und hole mir fast jeden Abend im Video-Laden eine DVD für 50 Cent. Ich schaue mir wirklich alles an, solange es nur 50 Cent kostet. Mein Intellekt mag nach brandneuen 1,60-Euro-Filmen mit guten Besprechungen lechzen, aber meine schottische Ader lässt sich darauf nicht ein. Auf diese Weise lerne ich Filme kennen, die ich mir sonst nie angetan hätte. Manchmal sind echte Überraschungen dabei. Ich weiß nicht mehr welche, weil ich am nächsten Tag meist schon vergessen habe, wovon ein Film handelte, aber mir bleibt manchmal das Gefühl in Erinnerung, dass es eine echte Überraschung war.

„Und? Wie war der Film?“, fragt mich dann der nette junge Mann im Laden, auf dessen cineastische Meinung ich viel Wert lege (solange die DVD nicht mehr als 50 Cent kostet).

„Eine echte Überraschung“, sage ich manchmal und bin froh, dass er mich nicht fragt, warum.

„Ja, stimmt, ich war auch erstaunt, als ich den Film vor sechs Jahren sah“, sagt er vielleicht. Wir schauen uns an und nicken. Er weiß noch genau, wovon der Film handelte, während ich schon nicht mehr weiß, wovon er überhaupt spricht. Aber das ist nun mal so, wenn man seinen Geist auf höhere Dinge richtet. Zum Beispiel auf die Kunst perfekt zu gehen, denn meist ist es schon duster, wenn ich ins Dorf tappse.

Durch den vielen Schnee in diesem grässlichen Winter war das perfekte Gehen nicht einfach. Die Wege waren besonders da rutschig, wo die Leute Schnee geschippt hatten. Es blieben immer Schneeplacken zurück, die tagsüber antauten und nachts wurde es darauf richtig glatt.

Mit dem Schneeschippen ist es wie mit vielen anderen Vorschriften, die ursprünglich einen Sinn hatten: Schön, wenn der Schnee geräumt ist, aber wenn die Wege dadurch glatter werden, dann ist Schneeschippen Quatsch. Ich komme langsam in ein Alter, in dem es gefährlich wird, wenn man hinfällt. Dann bricht man sich sofort den Oberschenkelknochenhals und 24 Stunden in einer von Privatinvestoren gekaperten Uniklinik reichen heutzutage aus, um eine Lungenentzündung zu bekommen, die dann falsch behandelt wird. Schnell ist man mit irgendwas infiziert oder bekommt anstatt einem Einlauf das Bein amputiert.

Also versuchte ich, aufmerksam zu gehen und die Stellen zu meiden, an denen der Schnee geräumt war. Zumindest abends.

Beim perfekten GehenTen miles walk