Cover
Tom Clancy: Im Sturm
Die Originalausgabe erschien 1986 unter dem Titel
»Red Storm Rising«
G. P. Putnam’s Sons, New York
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Copyright © der Originalausgabe 1986
by Jack Ryan Enterprises Ltd. und Larry Bond
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1994
by Blanvalet Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlaggestaltung: Design Team, München
Umschlagfoto: Zefa, Masterfile / Scott Tysick
WR · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-08991-7
V006
www.goldmann-verlag.de
www.penguinrandomhouse.de

Inhaltsverzeichnis

Buch
Autor
Vorwort
1 - Träge Lunte
Nischnewartowsk, UdSSR
Sunnyvale, Kalifornien
2 - Außenseiter im inneren Zirkel
Moskau
Fort Meade, Maryland
Moskau
3 - Korrelation der Kräfte
Moskau
Norfolk, Virginia
Moskau
4 - Maskirowska 1
Moskau
Fort Meade, Maryland
Kiew, Ukraine
5 - Seeleute und Spione
Chesapeake Bay, Maryland
Norfolk, Virginia
6 - Die Beobachter
Norfolk, Virginia
Schpola, Ukraine
USS Pharris
USS Chicago
7 - Erste Observationen
Norfolk, Virginia
Kiew, Ukraine
USS Chicago
Norfolk, Virginia
Poljarnij, UdSSR
8 - Weitere Observationen
Grassau, DDR
Norfolk, Virginia
Kiew, Ukraine
9 - Ein letzter Blick
Norfolk, Virginia
Moskau
Crofton, Maryland
10 - Die Pulververschwörung
Crofton, Maryland
Norfolk, Virginia
Kiew, Ukraine
Moskau
Norfolk, Virginia
Kiew, Ukraine
11 - Die Schlachtordnung
Schpola, Ukraine
Norfolk, Virginia
12 - Arrangements für Begräbnisse
Norfolk, Virginia
Norfolk, Virginia
Crofton, Maryland
13 - Fremde kommen und gehen
Aachen
Rota, Spanien
Aachen
Kiew, Ukraine
Bonn
Leningrad
Koblenz
14 - Gas
Wandlitz, DDR
Moskau
Washington, D. C.
Nordatlantik
Moskau
USS Pharris
USS Nimitz
15 - Die Seefestung
USS Chicago
Nordatlantik
Penguin 8
MS Julius Fucik
Sunnyvale, Kalifornien
USS Pharris
Sunnyvale, Kalifornien
USS Nimitz
USS Chicago
16 - Erste Schritte – letzte Schritte
USS Nimitz
USS Chicago
Brüssel
Aachen
17 - Die Traumland-Frisbees
Deutschland, VRV
Hohenwarte, DDR
USS Pharris
Sunnyvale, Kalifornien
18 - Nordlicht
Kiew, Ukraine
Keflavik, Island
MS Julius Fucik
Keflavik, Island
Penguin 8
Keflavik, Island
MS Julius Fucik
Penguin 8
MS Julius Fucik
Penguin 8
MS Julius Fucik
Penguin 8
MS Julius Fucik
Penguin 8
MS Julius Fucik
Keflavik, Island
Penguin 8
Hafnarfjördur, Island
MS Julius Fucik
USS Pharris
19 - Wege enden – Wege beginnen
Hafnarfjördur, Island
MS Julius Fucik
Hafnarfjördur, Island
MS Julius Fucik
Höhe 152, Island
Hafnarfjördur, Island
Höhe 152, Island
Hafnarfjördur, Island
USS Chicago
USS Pharris
USS Nimitz
Höhe 152, Island
Hafnarfjördur, Island
20 - Tanz der Vampire
USS Nimitz
Höhe 152, Island
Keflavik, Island
Höhe 152, Island
Keflavik, Island
USS Nimitz
Kirowsk, UdSSR
USS Nimitz
Nordatlantik
USS Nimitz
Nordatlantik
USS Nimitz
Nordatlantik
USS Nimitz
Nordatlantik
USS Nimitz
Nordatlantik
USS Nimitz
21 - Nordischer Hammer
Höhe 152, Island
Keflavik, Island
Höhe 152, Island
USS Pharris
USS Nimitz
Island
USS Pharris
Kiew, Ukraine
Island
USS Pharris
USS Chicago
Grafarholt, Island
22 - Nachstöße
USS Chicago
Keflavik, Island
Grafarholt, Island
Schottland
Stornoway, Schottland
USS Pharris
Grafarholt, Island
USS Pharris
Grafarholt, Island
Keflavik, Island
USS Pharris
23 - Resultate
USS Pharris
Kiew, Ukraine
Island
Keflavik, Island
Bitburg
USS Chicago
USS Pharris
24 - Vergewaltigung
USS Pharris
USS Chicago
Island
USS Chicago
Stornoway, Schottland
25 - Trecks
Island
USS Pharris
Stornoway, Schottland
Island
Kiew, Ukraine
Luftstützpunkt Dover, Delaware, USA
Skulafoss, Island
Schottland
26 - Impressionen
Stendal, DDR
USS Pharris
Stornoway, Schottland
USS Chicago
Bieben, BRD
USS Pharris
Island
27 - Verluste
Keflavik, Island
Stornoway, Schottland
Norwegisches Meer
Stendal, DDR
Island
USS Pharris
28 - Durchbrüche
Stendal, DDR
Lammersdorf, BRD
Holle, BRD
Faslane, Schottland
USS Pharris
Reydarvath, Island
Bodenburg, BRD
Alfeld, BRD
Stornoway, Schottland
Lammersdorf, BRD
29 - Abhilfen
Alfeld, BRD
Luftstützpunkt Langley, Virginia
Leninsk, UdSSR
Luftstützpunkt Langley, Virginia
Stendal, DDR
Faslane, Schottland
USS Pharris
Sunnyvale, Kalifornien
Island
Faslane, Schottland
Stendal, DDR
Brüssel
Panama
30 - Annäherungen
Boston, Massachusetts
Stornoway, Schottland
Stendal, DDR
Norfolk, Virginia
Windward Passage
Virginia Beach, Virginia
Island
USS Chicago
31 - Dämonen
Virginia Beach, Virginia
Nordatlantik
Keflavik, Island
Stendal, DDR
Brüssel
Stornoway, Schottland
Alfeld, BRD
USS Chicago
Island
Keflavik, Island
Nordatlantik
32 - Neue Namen, neue Gesichter
Norfolk, Virginia
Fölziehausen, BRD
Island
Schottland
Luftstützpunkt Langley, Virginia
Stornoway, Schottland
Norfolk, Virginia
Stornoway, Schottland
Fölziehausen, BRD
Island
33 - Kontakt
USS Reuben James
Moskau
USS Chicago
Stornoway, Schottland
Northwood, England
USS Reuben James
Northwood, England
34 - Fühler
USS Reuben James
Island
Fölziehausen, BRD
New York
25 - Im Visier: die Zeit
USS Reuben James
Luftstützpunkt Langley, Virginia
Kirowsk, UdSSR
USS Reuben James
Island
Nordatlantik
USS Reuben James
Nordatlantik
USS Reuben James
Nordatlantik
USS Reuben James
Nordatlantik
USS Reuben James
Nordatlantik
Stornoway, Schottland.
USS Reuben James
Stornoway, Schottland
Nordatlantik
Northwood, England
USS Chicago
Seeadler
USS Chicago
Moskau
36 - Schlacht bei 31° West
Moskau
Northwood, England
Luftstützpunkt Langley, Virginia
Norfolk, Virginia
USNS Prevail
USS Reuben James
USS Chicago
USS Reuben James
Island
Stendal, DDR
USS Reuben James
37 - Das Rennen der Krüppel
Stendal, DDR
Seweromorsk, UdSSR
Northwood, England
Wackersleben, DDR
Brüssel
USS Reuben James
Fölziehausen, BRD
USS Chicago
Island
Southampton
USS Chicago
38 - Verdeckte Operationen
Island
USS Chicago
Island
USS Independence
USS Reuben James
Le Havre, Frankreich
Island
USS Independence
USS Reuben James
USS Chicago
39 - Die Küste von Stykkisholmur
Hunzen, BRD
Brüssel
Island
USS Independent
Keflavik, Island
USS Chicago
40 - Killing Fields
Stykkisholmur, Island
Keflavik, Island.
Brüssel
Hunzen, BRD
USS Independence
USS Nassau
Keflavik, Island
Sack, BRD
USS Independence
Hunzen, BRD
Alfeld, BRD
USS Independence
Moskau
Stendal, DDR
Brüssel
41 - Gelegenheitsziele
Brüssel
Stendal, DDR
Bitburg, BRD
Stendal, DDR
Moskau
Alfeld, BRD
Stendal, DDR
Alfeld, BRD
USS Reuben James
Keflavik, Island
USS Reuben James
Alfeld, BRD
Stendal, DDR
42 - Die Lösung des Konflikts
Brüssel
Moskau
Stendal, DDR
Höhe 914, Island
USS Nassau
Swerdlowsk, UdSSR
Moskau
Stendal, DDR
Moskau
Keflavik, Island
Brüssel
Kasan, UdSSR
Faslane, Schottland
Moskau
43 - Ein Waldspaziergang
Brüssel
Potsdam, DDR
Sack, BRD
USS Independence
Nordatlantik
Norfolk, Virginia
Copyright

Autor

Tom Clancy, geboren 1948, arbeitete lange Jahre als Versicherungsagent. Eine Meuterei auf einem sowjetischen Zerstörer regte Clancy dazu an, seinen ersten Thriller, »Jagd auf Roter Oktober«, zu schreiben. Das Buch wurde auf Anhieb ein internationaler Erfolg, der sich in der Verfilmung mit Sean Connery in der Hauptrolle wiederholte. Seither ist Tom Clancy der Erfolg treu geblieben, seine Romane belegen regelmäßig über Wochen hinweg die ersten Plätze der internationalen Bestsellerlisten, die Verfilmungen mit Harrison Ford als Jack Ryan waren ausnahmslos Kassenschlager.

1

Träge Lunte

Nischnewartowsk, UdSSR

Sie gingen rasch, lautlos, zielstrebig vor; über ihnen leuchtete kristallklar der Sternenhimmel Westsibiriens. Sie waren Moslems, was man ihnen kaum anmerkte; sie sprachen russisch mit dem singenden Tonfall der Aserbeidschaner. Die drei hatten gerade auf dem Lkw-Parkplatz und an den Bahngleisen eine komplizierte Aufgabe erledigt, nämlich das Öffnen Hunderter von Füllventilen. Ibrahim Tolkase war ihr Anführer. An der Spitze ging jedoch Rasul, ein Schrank von einem Mann, ehemals Feldwebel beim MVD; er hatte in dieser kalten Nacht bereits sechs Männer getötet – drei mit der Pistole, drei mit bloßen Händen. Niemand hatte etwas gehört, denn in einer Erdölraffinerie herrscht viel Lärm. Die Leichen waren im Dunkel zurückgelassen worden, und die drei Männer bestiegen nun Tolkases Wagen, um die nächste Phase in Angriff zu nehmen.

Das Kontrollzentrum befand sich in einem modernen zweistöckigen Bau in der Mitte des Komplexes. Mindestens fünf Kilometer weit in alle Richtungen erstreckten sich die Destillations- und katalytischen Anlagen, Tanklager und vor allem das kilometerlange Röhrengeflecht, das Nischnewartowsk zu einer der größten Raffinerien der Welt machte. In unregelmäßigen Abständen erhellten Flammen den Himmel, wo Gase abgefackelt wurden, und es stank nach Rohöldestillaten: Kerosin, Benzin, Diesel, Stickstofftetraoxid für Interkontinentalraketen, nach Schmierölen und allen möglichen anderen petrochemischen Verbindungen.

Der Ingenieur Tolkase steuerte seinen privaten Lada auf das fensterlose Backsteingebäude zu, hielt auf dem für ihn reservierten Parkplatz und ging zum Eingang. Seine Kameraden warteten geduckt im Fond.

Hinter der Glastür begrüßte Ibrahim den Mann vom Werkschutz, der zurücklächelte und die Hand nach Tolkases Ausweis ausstreckte. Der Wächter hatte getrunken; einziger Trost in diesem rauen, kalten Land. Sein Blick war verschwommen, sein Lächeln zu starr. Tolkase händigte ungeschickt seinen Ausweis aus, ließ ihn fallen, und der Wächter bückte sich wankend, um ihn aufzuheben. Tolkases Pistolenmündung war das letzte, was der Mann spürte. Er starb, ohne zu wissen wie oder warum. Ibrahim hob die Leiche auf, setzte sie vornübergesunken an den Tisch – es verpennte mal wieder einer die Spätschicht – und winkte dann seine Kameraden heran. Rasul und Mohammed sprinteten auf den Eingang zu.

»Brüder, es ist soweit.« Tolkase reichte seinem hünenhaften Freund die Kalaschnikow AK-47 und einen Patronengurt.

Rasul wog die Waffe kurz in der Hand, überzeugte sich, daß sie geladen und entsichert war. Dann warf er sich den Patronengurt über die Schulter, pflanzte das Bajonett auf und sagte zum ersten Mal in dieser Nacht etwas: »Das Paradies erwartet uns.«

Tolkase klemmte sich den Sicherheitsausweis an den weißen Kittel. Dann führte er seine Kameraden die Treppe hinauf.

Normalerweise durfte das Kontrollzentrum nur betreten, wer einem der dort Beschäftigten persönlich bekannt war. Nikolaj Barsow wirkte überrascht, als er Tolkase durch das winzige Fenster in der Tür erblickte. »Sie haben doch heute frei, Ischa.«

»Heute nachmittag versagte ein Ventil, und ich vergaß, vor Schichtende nach dem Fortgang der Reparaturarbeiten zu sehen. Sie wissen ja, welches ich meine – das Hilfsspeiseventil für Kerosinlager acht. Wenn es bis morgen nicht instand gesetzt ist, müssen wir umleiten, und Sie können sich vorstellen, was das bedeutet.«

Barsow grunzte zustimmend. »Allerdings, Ischa. Treten Sie zurück, damit ich aufmachen kann.«

Die schwere Stahltür öffnete sich nach außen. Rasul und Mohammed waren Barsow verborgen geblieben. Er hatte keine Zeit mehr, sie wahrzunehmen. Drei Geschosse vom Kaliber 7,62 mm bohrten sich in seine Brust.

Die Kontrollzentrale, in der zwanzig Mann Dienst taten, ähnelte einem Stellwerk oder der Schaltzentrale eines Kraftwerk. Schematische Darstellungen des Pipeline-Systems bedeckten die hohen Wände, übersät mit Hunderten von Leuchten, die die Funktion der einzelnen Steuerventile anzeigten. Doch dies war nur das Haupt-Display. Einzelne Teile des Systems wurden über separate Rückmeldeanlagen gesteuert, größtenteils durch Computer, aber auch von der Hälfte der diensttuenden Ingenieure überwacht. Das Personal konnte die drei Schüsse nicht überhören.

Doch niemand war bewaffnet.

Gelassen, fast elegant begann sich Rasul vorzuarbeiten, setzte seine Kalaschnikow meisterhaft ein, gab jedem Ingenieur nur eine Kugel. Anfangs versuchten sie zu fliehen – bis sie erkannten, daß Rasul sie wie Vieh in eine Ecke trieb. Zwei Männer griffen tapfer nach den Telefonen, um die Sicherheitseinheiten des KGB zu alarmieren. Einen erschoß Rasul auf seinem Posten, der andere aber ging hinter den Schaltpulten in Deckung und rannte zur Tür, wo Tolkase stand. Es war Boris, wie Tolkase sah, der Favorit der Partei und Chef des Kollektivs, ein Mann, der mit ihm »Freundschaft« geschlossen hatte. Ibrahim, der nicht vergessen hatte, wie gönnerhaft er von diesem Russen behandelt worden war, hob seine Pistole.

»Ischa!« schrie der Mann entsetzt. Ibrahim schoß ihm in den Mund und hoffte nur, daß Boris noch lange genug lebte, um sein verächtliches Giaur! zu hören. Es freute ihn, daß Rasul diesen Mann nicht erwischt hatte. Alle anderen überließ er seinem wortkargen Freund gern.

Die anderen Ingenieure brüllten und warfen mit Tassen, Stühlen und Handbüchern, doch es gab nirgends Zuflucht, nichts führte an dem dunkelhäutigen, baumlangen Mann vorbei. Manche hoben flehend die Hände, andere beteten sogar laut. Der Lärm legte sich, als Rasul lächelnd den letzten erschoß. Dieser schwitzende ungläubige Hund würde ihm im Paradies dienen. Rasul lud sein Sturmgewehr nach, ging zurück in die Kontrollzentrale, stieß die Leichen mit dem Bajonett an und verpaßte jenen vieren, die noch schwache Lebenszeichen zeigten, den Gnadenschuß. Sein Gesicht war grimmig befriedigt. Mindestens fünfundzwanzig ungläubige Hunde tot. Fünfundzwanzig Fremde, die nun nicht mehr zwischen seinem Volk und Allah standen. Wahrlich, er hatte Allahs Werk getan!

Mohammed, der dritte, war schon an seine Arbeit gegangen, als Rasul sich am oberen Ende der Treppe postierte. Im rückwärtigen Teil des Raumes schaltete er unter Umgehung aller automatischen Sicherheitssysteme von Computerkontrolle auf manuelle Notsteuerung um.

Ibrahim, ein methodischer Mann, hatte das Unternehmen zwar über Monate hinweg geplant und sich jede Einzelheit eingeprägt, trug aber dennoch eine Checkliste in der Tasche, die er nun entfaltete und vor sich aufs Hauptschaltpult legte. Tolkase warf einen Blick auf die Anzeigetafel, um sich zu orientieren, und hielt dann inne.

Aus der Hüfttasche zog er die Hälfte eines Korans, der seinem Großvater gehört hatte, und schlug ihn aufs Geratewohl auf: die Sure über die Kriegsbeute. Sein Großvater war bei einem erfolglosen Aufstand gegen Moskau zum »Märtyrer des Islam« geworden, sein Vater hatte sich auf schändliche Weise dem gottlosen Staat unterworfen, und Tolkase selbst war von seinen Lehrern indoktriniert und schließlich zum Ingenieur ausgebildet worden, der in Aserbeidschans bedeutendster Industrieanlage Anstellung fand. Erst dann hatte der Gott seiner Vorväter seine Seele durch einen inoffiziellen Imam gerettet. Tolkase las die Passage, die er aufgeschlagen hatte: »Und als die Ungläubigen planten, dich gefangenzuhalten, zu töten oder zu vertreiben, planten sie schlau; doch auch Allah hatte seinen Plan gemacht. Und seine Pläne sind die klügsten.«

Tolkase lächelte. Ein letzter Fingerzeig für einen Plan, den ein Größerer ausführte. Seelenruhig und zuversichtlich begann er, sein Schicksal und seinen Auftrag zu erfüllen.

Zuerst das Benzin. Er schloß sechzehn Steuerventile – die nächsten waren drei Kilometer entfernt – und öffnete dann zehn; so leitete er achtzig Millionen Liter Benzin um, die nun aus einer Batterie von Füllventilen für Tanklaster strömten. Da die drei keine pyrotechnischen Vorrichtungen hinterlassen hatten, entzündete sich der Treibstoff nicht sofort. Doch wenn wir wahrhaftig das Werk Allahs tun, hatte sich Tolkase gesagt, wird Er schon dafür sorgen ...

Was Er auch tat. Ein Kleinlaster ging auf dem Abfüllhof zu rasch in die Kurve, geriet auf dem auslaufenden Benzin ins Schleudern und prallte seitlich gegen einen Strommast. Es bedurfte nur eines Funkens ... und auch an den Gleisen lief schon der Treibstoff aus.

An den Hauptschaltern des Pipeline-Systems ging Tolkase nach einem ganz speziellen Plan vor. Rasch gab er in den Computer einen Befehl ein und dankte Allah für Rasuls Geschick, der mit seinem Sturmgewehr nichts Wichtiges beschädigt hatte. Die Hauptleitung von dem nahegelegenen Ölfeld hatte einen Durchmesser von zwei Metern und zahlreiche Abzweigungen zu allen Bohrlöchern. Das Öl in diesen Pipelines stand unter dem Druck der Förderpumpen des Feldes. Auf Ibrahims Befehle hin wurden Ventile in rascher Folge geöffnet und geschlossen. Die Pipeline barst an einem Dutzend Stellen, der Computer aber ließ die Pumpen weiterlaufen. Das austretende leichte Rohöl überflutete das Ölfeld; ein Funke genügte, um einen vom Winterwind noch weiter angefachten Großbrand auszulösen. Ein anderer Rohrbruch ereignete sich an der Stelle, wo die Öl- und Erdgasleitungen parallel über den Fluß Ob geführt wurden.

»Die Grünen sind da!« schrie Rasul. Gleich darauf kam der Einsatztrupp des KGB-Grenzschutzes die Treppe hochgestürmt. Ein kurzer Feuerstoß aus der Kalaschnikow tötete die beiden ersten Männer. Der Rest des Trupps machte hinter einer Biegung des Treppenhauses jäh halt; ein junger Feldwebel versuchte auszumachen, in was sie da hineingeraten waren.

Ringsum im Kontrollzentrum gingen automatische Alarmsignale los. Die Hauptanzeige stellte vier wachsende Brände dar, umrissen von blinkenden roten Leuchten. Tolkase trat an den Hauptrechner und riß die Bandspule mit den digitalen Steuerimpulsen heraus. Ersatzbänder lagen in einem Tresorraum im Keller, doch die einzigen Männer im Umkreis von zehn Kilometern, die die Kombination des Türschlosses kannten, lagen tot am Boden. Mohammed riß eifrig die Anschlüsse aller Telefone heraus. Die Explosion eines zwei Kilometer entfernten Benzintanks ließ das ganze Gebäude erzittern.

Die Detonation einer Handgranate leitete einen neuen Angriff der KGB-Truppen ein. Rasul erwiderte das Feuer; Todesschreie mischten sich mit dem ohrenbetäubenden Lärm der Brandsirenen. Tolkase eilte in die Ecke, wo der Boden vom Blut schlüpfrig war, öffnete die Tür eines Sicherungsschranks, legte den Hauptschalter um und schoß dann mit der Pistole hinein. Wer hier etwas reparieren wollte, würde im Dunkeln arbeiten müssen.

Es war vollbracht. Ibrahim sah, daß sein hünenhafter Freund von Granatsplittern tödlich in die Brust getroffen war, sich aber wankend an der Tür auf den Beinen hielt, bemüht, seine Kameraden bis zum letzten Augenblick zu schützen.

»Ich nehme Zuflucht im Herrn der Welt«, rief Tolkase den KGB-Truppen, die kein Wort Arabisch verstanden, trotzig zu. »Dem König der Menschen, Gott der Menschen, vorm Übel des flüsternden Scheitan –«

Der KGB-Feldwebel sprang auf den unteren Treppenabsatz, und seine erste Garbe riß Rasul die Kalaschnikow aus den blutleeren Händen. Zwei Handgranaten flogen im Bogen durch die Luft, als der Feldwebel schon wieder um die Ecke verschwand.

Kein Ausweg, kein Grund zur Flucht. Mohammed und Ibrahim blieben reglos in der Tür stehen, als die Handgranaten über die Fliesen auf sie zugerollt kamen. Um sie herum schien die ganze Welt Feuer zu fangen – und ihretwegen würde sie auch tatsächlich in Brand geraten.

»Allahu akbbar!«

Sunnyvale, Kalifornien

»Heiliger Strohsack!« hauchte der Chief Master Sergeant. Der in dem Benzin- und Diesellager der Raffinerie ausgebrochene Brand hatte ausgereicht, die Sensoren eines vierzigtausend Kilometer über dem Indischen Ozean in einer geosynchronen Umlaufbahn schwebenden strategischen Frühwarnsatelliten zu aktivieren. Das Signal wurde zu einer hochgeheimen Bodenstation der US-Luftwaffe gesendet.

Der ranghöchste Wachoffizier der Satelliten-Kontrolleinrichtung war ein Colonel der Air Force, der sich nun an seinen rangältesten Techniker wandte. »Bringen Sie das auf die Karte.«

»Ja, Sir.« Der Sergeant gab an seinem Terminal einen Befehl ein, der die Empfindlichkeit der Kameras im Satelliten verringerte. Als der Überbelichtungseffekt auf dem Bildschirm nachließ, ortete der Satellit die Quelle der Wärmeenergie rasch. Eine computererzeugte Landkarte auf dem Monitor lieferte genaue Koordinaten. »Sir, da brennt eine Erdölraffinerie. In zwanzig Minuten haben wir einen KH-11-Durchlauf. Der Satellit passiert die Brandstelle in knapp hundertzwanzig Kilometer Entfernung.«

»Gut.« Der Colonel nickte. Er betrachtete aufmerksam den Bildschirm, um sich zu vergewissern, daß die Hitzequelle sich nicht bewegte. Mit der rechten Hand griff er nach dem goldenen Telefon zum NORAD-Hauptquartier in Cheyenne Mountain im Bundesstaat Colorado. »Hier Argus Control. Ich habe eine Blitzmeldung für den CINC-NORAD.«

»Moment.«

»Hier CINC-NORAD«, sagte ein zweiter Mann, der Oberbefehlshaber der nordamerikanischen Luft- und Raumverteidigung.

»Sir, hier Colonel Burnette, Argus Control. Massiver Thermalenergiewert, Koordinaten sechzig Grad fünfzig Minuten Nord, sechsundsiebzig Grad vierzig Minuten Ost. Die Lokalität ist als Erdölraffinerie ausgewiesen. Die Hitzequelle ist stationär, wiederhole: stationär. In zwanzig Minuten erfolgt ein KH-11-Durchlauf. Nach erster Einschätzung, General, haben wir es hier mit einem Großbrand auf einem Ölfeld zu tun.«

»Ihr Satellit wird also nicht von einem Laser geblendet?« fragte der CINC-NORAD. Es bestand immer die Möglichkeit, daß die Sowjets solche Spiele trieben.

»Negativ. Die Lichtquelle umfaßt das gesamte sichtbare Spektrum plus infrarot und ist nicht, wiederhole: nicht monochromatisch. Weitere Einzelheiten in wenigen Minuten, Sir. Bisher weisen alle Daten auf einen Flächenbrand hin.«

Dreißig Minuten später hatten sie Gewißheit. Der Aufklärungssatellit kam über den Horizont und der Unfallstelle so nahe, daß seine acht Fernsehkameras das Chaos aufzeichnen konnten. Das Signal wurde über einen stationären Satelliten an die Bodenstation gefunkt, und Burnette sah sich das Ganze in »Echtzeit« an, live und in Farbe. Der Brand hatte bereits auf die Hälfte des Raffineriekomplexes und auf mehr als die Hälfte des nahegelegenen Ölfelds übergegriffen; brennendes Öl strömte aus den geborstenen Pipelines in den Ob. Sie konnten zusehen, wie sich das von einem starken Wind angefachte Feuer rasch ausbreitete. Im sichtbaren Spektrum hüllte Rauch den Großteil der Anlage ein, aber Infrarot-Sensoren durchdrangen ihn und zeigten eine Vielzahl von Hitzequellen, die nur riesige, heftig brennende Seen von Erdölprodukten darstellen konnten. Burnettes Sergeant kam aus dem Osten von Texas und hatte als junger Mann auf Ölfeldern gearbeitet. Er brachte Tageslichtaufnahmen der Anlage auf den Monitor und verglich sie mit dem Bild auf dem Sichtgerät nebenan, um festzustellen, welche Teile der Raffinerie bereits Feuer gefangen hatten.

»Verflucht, Colonel.« Der Sergeant schüttelte andächtig den Kopf. »Die Raffinerie ist im Eimer, Sir. Das Feuer rast vor dem Wind her und ist unmöglich zu löschen. Die Anlage ist ein Totalverlust und brennt vielleicht noch drei, vier Tage weiter, stellenweise sogar eine Woche. Und wenn sie den Brand nicht unter Kontrolle bekommen, geht auch das Ölfeld hoch. Beim nächsten Durchlauf steht der ganze Schlamassel in Flammen, brennendes Öl aus allen Bohrlöchern ... Mann, da traut sich selbst Red Adair nicht ran!«

»Von der Raffinerie bleibt also nichts übrig? Hmm.« Burnette ließ eine Bandaufzeichnung der Satellitenaufnahmen ablaufen. »Das ist ihre neueste und größte Anlage. Bis die von Grund auf wieder aufgebaut ist, gibt es bei Petroleumprodukten mit Sicherheit Engpässe. Wenn der Brand gelöscht ist, werden sie ihre Benzin- und Dieselproduktion radikal umstellen müssen. Eins muß ich dem Russen lassen: Wenn bei seiner Industrie etwas schiefgeht, stößt er sofort zu. Ein lästiger Rückschlag für unsere russischen Freunde also, nicht mehr.«

Diese Analyse wurde tags darauf vom CIA und einen Tag später von den britischen und französischen Nachrichtendiensten bestätigt.

Sie lagen alle schief.