Felix Mitterer: Die Weberischen
Haymon
© 2007
HAYMON verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
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Aufführungsrechte für alle Stücke beim Österreichischen Bühnenverlag Kaiser & Co., Am Gestade 5/II, A-1010 Wien
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ISBN 978-3-7099-7659-3
Lektorat: Haymon Verlag/Georg Hasibeder
Umschlag- und Buchgestaltung:
Kurt Höretzeder, Büro für Grafische Gestaltung, Scheffau/Tirol
Dieses Stück wurde dem Sammelband Stücke 4 entnommen. Den Sammelband erhalten Sie in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.
Die Weberischen
Biographische Daten und Werkverzeichnis
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart und Martyn Jacques
Musikalische Leitung, Arrangements und
musikalische Bearbeitungen von Christian Kolonovits
Im Jahre 2004 fragte mich Peter Marboe, Intendant des „Wiener Mozartjahres 2006“, ob ich mir vorstellen könnte, ein Stück zum Thema zu schreiben. Nun verhielt es sich so, dass ich vor Jahren bei Recherchen zu einem im Wien des 18. Jahrhunderts spielenden Film auf die Familie Weber gestoßen war, die mich ungemein faszinierte und mir ein toller Stoff für eine Komödie schien.
1778 lernt der 22-jährige Mozart in Mannheim die Familie Weber kennen. Sie besteht aus Vater Fridolin, Mutter Cäcilia und den vier Töchtern Josefa, Aloisia, Konstanze und Sofie. Vater Fridolin kann als Musiker und Notenkopist die Familie kaum ernähren. Die vier Töchter sind ebenfalls musikalisch begabt und alle ausgebildete Sängerinnen. Mutter Cäcilia ist eine Matriarchin, die auf Grund der miserablen finanziellen Situation ihre Töchter so schnell und gut wie möglich unter die Haube bringen will. Mozart verliebt sich in die 19-jährige Aloisia und will mit ihr nach Italien reisen, um sie dort zum Star zu machen, Vater Leopold zwingt ihn aber, die geplante Reise nach Paris anzutreten. Als Mozart recht erfolglos aus Paris zurückkommt, weist ihn Aloisia ziemlich kühl ab, denn sie ist mittlerweile an der Münchner Oper ein angehender Star. 1781 kündigt Mozart dem Fürstbischof von Salzburg den Dienst auf und sieht sich in Wien obdachlos auf der Straße stehen. Doch bald schon findet er ein Zimmer, und zwar bei den Weberischen, denn diese sind mittlerweile nach Wien gezogen. Der Hofschauspieler Josef Lange hat sich hoffnungslos in Aloisia verliebt und Mutter Weberin setzt einen Ehekontrakt auf, der es in sich hat. Gleich nach der Hochzeit wird Aloisia als Erste Sängerin ans Hoftheater engagiert. Ihre Schwester Josefa bekommt ebenfalls ein gutes Engagement, und zwar im „Freihaus“-Theater von Emanuel Schikaneder. Und Mozart heiratet schließlich gegen den Willen seines Vaters Konstanze.
Sein ganzes weiteres Leben lang ist nun Mozart in die Weberischen verstrickt, sie werden ihm ganz und gar zur eigenen Familie. Mutter Cilly zieht die Fäden, Josefa und Aloisia treten in seinen Opern auf, die vier Töchter liefern sich Eifersuchtsgefechte um ihn, lassen ihn bis zum Tode und darüber hinaus nie mehr los.
Peter Marboe war sofort begeistert von meinem Vorschlag, über die fünf weberischen Frauen eine Komödie zu schreiben. Meine Idee war dabei, Mozart selbst niemals vorkommen zu lassen (außer als Leiche), sondern sein Leben solle sich in den fünf weberischen Frauen widerspiegeln. Und es würde Theater am Theater sein, die Aufführung würde quasi einige Wochen nach dem Tod von Mozart im Theater von Schikaneder stattfinden, sozusagen als Benefizvorstellung für die arme Witwe Konstanze.
Bald danach meldete sich bei mir Kathrin Zechner, Intendantin der Vereinigten Bühnen Wien. Ich kannte sie schon als Programmdirektorin des ORF und aus der professionellen Zusammenarbeit (meine Drehbücher betreffend) hatte sich eine Freundschaft entwickelt. Kathi fragte mich nun, ob ich mir nicht eine Art Musical vorstellen könnte, wenn ja, würde sie in Kooperation mit dem Mozartjahr die Produktion auf die Beine stellen. Bei „Musical“ erschrak ich zuerst ein wenig, denn ich bin nicht wirklich ein Anhänger dieser Musiktheaterrichtung. Meine Antwort war also, dass ich mir natürlich zusätzliche, nicht nur von Mozart stammende Musik vorstellen kann, aber es müsse etwas ganz besonderes sein.
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Meine Frau und meine Tochter hatten ein paar Jahre zuvor bei den Wiener Festwochen die Aufführung „Shockheaded Peter“ („Struwelpeter“) von den „Tiger Lillies“ gesehen und Tochter Anna hatte mich deshalb hellauf begeistert in Irland angerufen, mit der Aufforderung, mir Musik der Tiger Lillies zu besorgen. Das tat ich denn auch und war ebenso angetan. Die „Tiger Lillies“ bestehen aus Martyn Jacques, der alle Lieder schreibt und komponiert, aus dem Kontrabass-Spieler Adrian Stout und aus dem Schlagzeuger Adrian Huge. Es ist schwer, Martyn Jacques einzuordnen. Man könnte seine Lieder eine Art von Punk-Balladen-Bänkelgesang nennen, sie erzählen mit oft makabren Details von Zuhältern, Prostituierten, Drogenopfern, Seemännern, Gangstern, Tod und Teufel, sogar von Jesus Christus. Jedenfalls sind die Heldinnen und Helden der Lieder durchwegs Underdogs und Loser. Und Martyn Jacques liebt sie alle. Als ich Kathrin Zechner nun den Vorschlag machte, den Londoner Bänkelsänger die Musik zum geplanten Stück schreiben zu lassen, und nicht nur das, Martyn Jacques könnte vielleicht sogar selber mit seinen Tiger Lillies auftreten, erwartete ich mir nicht das, was nun sofort als Antwort kam. Erstens zeigte Kathi sich begeistert von meinem Vorschlag, sie fand es ganz naheliegend, dass ein Bänkelsänger im Theater von Schikaneder auftritt, im damals berühmtesten Volkstheater Wiens. Zweitens hatte sie ohnehin schon bei den „Tiger Lillies“ angefragt, ob die sich einmal eine Art von Kooperation mit den Vereinigten Bühnen Wien vorstellen könnten. Es dauerte keine zwei Wochen und wir trafen schon Martyn Jacques in der berühmten Künstler-Bar des Londoner Hotels Savoy, umgeben von Fotografien englischer Theaterstars.
Martyn war sofort vom Thema gefesselt. Auch hatte er beim „Shockheaded Peter“ bemerkt, dass sein schwarzer Humor gerade in Wien offene Ohren fand. Hinzu kam als magischer Moment, dass die Tiger Lillies ihre ersten großen Erfolge in den Kneipen von Mannheim gefeiert hatten, wo ja unsere weberische Geschichte ihren Ausgang nimmt.
Als das Stück fertig war, kam auf wiederum magische Weise die Regisseurin Stephanie Mohr hinzu, die immer wieder am Theater in Mannheim inszenierte. Und wenn schon Mannheim, dann richtig: auch die Bühnenbildnerin Miriam Busch sowie die Lichtdesignerin Nicole Berry wurden aus der weberischen Heimatstadt geholt.
„Die Weberischen“ standen unter einem derart guten Stern, wie es mir selten zuvor passiert ist. Das beginnt mit der Dramaturgin Michaela Ronzoni, die Ungeheures geleistet hat, um alles unter einen Hut zu bringen. Das setzt sich fort mit der Austropop-Legende Christian Kolonovits, der nicht nur das 20-köpfige Orchester leitete, sondern auch alle Arrangements schrieb sowie die Musik der Tiger Lillies mit Mozarts Musik koordinierte. Die Regisseurin Steffi Mohr hat eine unglaublich fugenlose, sensible, wirbelnde Inszenierung erstellt, Bühne und Kostüme vermieden jede „Barockisierung“, waren ganz heutig. Und – natürlich das Wichtigste – die Darstellerinnen waren auf den Punkt richtig besetzt, wahrlich zum Niederknien, allen voran Robert Meyer, der (als Schikaneder) Mutter Cilly spielte. Und die „Tiger Lillies“ übertrafen alle unsere Erwartungen, nun sind sie Kult auch in Wien.
Was schon bei „Wolkenstein“ der Fall war, trat natürlich auch bei „Die Weberischen“ ein: Die Musik füllte und bereicherte den Text mit unglaublichen Emotionen. Ganz am Schluss sagt Konstanze den Satz: „Er (Mozart) hat genug geschrieben, es reicht.“ Damit ist der Text zu Ende, aber nicht das Stück, die Aufführung. Mozart liegt tot auf der Bahre, die weberischen Frauen sind um ihn versammelt. Die Tiger Lillies treten auf und Martyn Jacques singt „What does it mean? Nothing“. Der Inhalt des Liedes ist, dass Ruhm absolut vergänglich ist, dass er nichts bedeutet. „Deine Zukunft ist mit Gold gepflastert, ich seh deine Zukunft, ich seh dein Grab. Was bedeutet es schon? Nichts! Gar nichts!“
Die Zuschauer schlucken, manche haben Tränen in den Augen, aber sollen sie mit diesem Gefühl, dass „alles nichts ist und nichts bedeutet“ nach Hause gehen? Nein, so entlassen wir sie nicht. Das Bühnenbild verschwindet samt den Darstellern, ganz hinten erscheint erhöht ein Musiker und spielt die ersten Takte des letzten Werkes von Mozart, das Klarinettenkonzert A-Dur, KV 622. Und mit dieser unfassbar schönen, tröstlichen, sehnsuchtsvollen Musik heben die Zuschauer ab in den Himmel. Ja, mag sein, dass Ruhm nichts bedeutet, aber was uns bleibt, was uns niemand nehmen kann, ist die göttliche Musik von Mozart.
PERSONEN:
Cilly Weber (ca. 50)
Josefa (ca. 30)
Aloisia (ca. 27)
Konstanze (ca. 25)
Sofie (ca. 24)
Das Stück spielt im Wiener „Freihaustheater“ von Emanuel Schikaneder, dieser stellt die Mutter Cilly dar.
Die Tiger Lillies (Martyn Jacques, Adrian Huge, Adrian Stout) führen durch das Stück, begleitet vom Orchester.
Die Handlung erstreckt sich von 1778 bis 1791, wobei uns dieser Zeitraum von 13 Jahren, ein eventuelles Altern der Frauenfiguren betreffend, nicht sonderlich interessiert.
Intro Orchester:
Konzert für Klarinette, KV 622
(1. Satz, Beginn)
Noch im Dunkeln hören wir die Klarinette, mit Einsetzen des Orchesters langsam Licht auf.
Die drei Tiger Lillies erscheinen auf der Bühne.
Tiger Lillies: Fame
(= Variation zu „Ach, ich fühls, es ist verschwunden
...“, „Die Zauberflöte“, Arie
Nr. 17 der Pamina)
MARTYN JACQUES: (singt)