Über dieses Buch:

Leipzig im 15. Jahrhundert: Um den letzten Wunsch ihrer verstorbenen Mutter zu erfüllen, tritt Maria ins Kloster ein. Zwischen kalten Mauern und strengen Regeln fühlt sich die junge Frau gefangen. Erst die Begegnung mit einem geheimnisvollen Fremden bringt wieder Licht in ihr Leben – doch eine Nonne darf nicht lieben. Ihre Zwillingsschwester Katharina wird indes einem alten Mann als Frau versprochen, dabei schlägt ihr Herz für einen anderen.

Für Freiheit und Liebe widersetzen sich die Schwestern ihrem Vater und der Kirche. Doch dann bringt Katharinas Flucht das Leben ihrer Zwillingsschwester in höchste Gefahr …

Über die Autorin:

Susan Hastings ist gelernte Geologin und war lange als Sachverständige für Geologie und Ökologie tätig. Während eines späteren Studiums entdeckte sie schließlich ihr schriftstellerisches Talent. Zunächst schrieb sie Kurzgeschichten, später zahlreiche Liebes- und Historienromane, die sie unter verschiedenen Pseudonymen erfolgreich veröffentlichte.

Bei dotbooks ist von Susan Hastings auch folgendes eBook erschienen:
Die Braut des Wikingers
Die Sklavin und der Wikinger
Die Geliebte des Wüstenkriegers
In den Armen des Raubritters
Der schwarze Magier

Die Autorin im Internet: http://www.susan-hastings.de/

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eBook-Neuausgabe Februar 2017

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel Die Schwester der Nonne bei Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Originalausgabe 2006 Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Evgeniia Litovchenko (Frau) und eines Gemäldes von Schildbach

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-947-9

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Susan Hastings

Die Sehnsucht der Nonne

Roman

dotbooks.

Mein herzlicher Dank gilt Herrn Bernd Sikora vom Architekturbüro Sikora Leipzig und Frau Christine Becker vom Naturkundemuseum Leipzig für ihre wertvolle Hilfe, Leipzigs Vergangenheit in seiner ganzen faszinierenden Vielfalt wiederauferstehen zu lassen.

DER PRINZENRAUB

Als Hieronymus Preller vor die Tür seines Handelshauses trat, blieb er einen Augenblick stehen und blickte sich um. In den Gassen und auf dem Marktplatz drängten sich die Menschen. Sie lärmten und lachten, stritten und feilschten. Bauern und Knechte trieben ihre Maultiere, Ochsen und Pferde vor den Karren und Wagen durch die engen Straßen. Wer eine Bude auf dem Marktplatz besaß, konnte sich schon privilegiert nennen.

Auf einer freien Stelle vor dem Rathaus zogen Gaukler und Fahrensleute ihr Publikum in den Bann. Das nutzten Gauner und Taschendiebe für ihr Handwerk, und irgendwo schrie eine beklaute Marktfrau, als ginge es ihr ans Leben. Niemand kümmerte sich um sie.

Ein Seiltänzer versuchte, auf einem Hanfstrick zu balancieren, der zwischen zwei hölzernen Balkonen gespannt war, ohne den Leuten auf die Köpfe zu fallen. Schon schlossen die ersten Zuschauer Wetten ab, wie lange sich der Seiltänzer wohl oben halten könne. Ein Gaukler jonglierte mit brennenden Fackeln, und ein kleiner gefleckter Hund tanzte auf den Hinterbeinen und hielt einen Hut in der Schnauze, um ein paar Kupfergroschen zu erbetteln.

Die Sommerhitze dieses Julitages anno Domini 1455 staute sich in den Gassen der aufstrebenden Handelsstadt Leipzig, und aus den offenen Abwasserrinnen stiegen vielfältige Gerüche hinauf in die geöffneten Fenster der Häuser, aus denen neugierige Bewohner schauten.

Der Marktplatz bildete das Zentrum der Stadt wie auch das Zentrum des Handels. Dieser Handel hatte die Stadt reich gemacht. Davon zeugte nicht zuletzt die immense Bautätigkeit. Das Rathaus mit seinen gotischen Treppengiebeln, spitzen Dachreitern und dem hübschen Turm kündete von dem Stolz der Leipziger Bürger auf ihren Reichtum. Rund um den Marktplatz standen stattliche Bürgerhäuser, teils in massiver Bauweise, teils mit vorspringenden Fachwerk-Geschossen, sowie Handelsfaktoreien. Auch das Handelshaus Preller hatte seinen angemessenen Platz am Karree des Marktplatzes.

Zufrieden strich sich Hieronymus über sein Wams. Trotz der Wärme trug er Strumpfhosen aus feinstem Wollstoff, und das Wams aus dunkelblauem Samt war mit Goldfäden bestickt. Seinen barettartigen Hut zierte eine lange, edle Feder. Respektvoll machten die Leute ihm Platz, während er langsam über den Marktplatz schlenderte, hier und da die angebotene Ware begutachtete und sie schließlich wieder zurücklegte.

Hieronymus war ein Kaufmann und hatte das Handelshaus bereits von seinem Vater geerbt. Der bevorzugte Platz am Markt war auch seinem Vater zu verdanken, der sich um den Handel der ehrgeizigen Stadt verdient gemacht hatte. Nun trat sein Sohn in dessen Fußstapfen und führte die Geschäfte weiter. Er hatte den Handel bereits mit der Muttermilch eingesogen und die weitreichenden Beziehungen nach Böhmen, nach Norditalien und Frankreich, nach Holland und nach Polen weiter vertieft. So war die Familie Preller zu einem ansehnlichen Wohlstand gelangt. Das wussten auch die Ratsherren der Stadt zu würdigen. Wenngleich der Kaufmann Preller ihnen nicht ganz ebenbürtig war – man begegnete diesen »Pfeffersäcken« mit einem gewissen Misstrauen – so nahm er doch einen gewissen Platz in der Honoratiorenordnung der Stadt ein.

Die Herolde vor dem Rathaustor ließen ihre Fanfaren ertönen, und gleich darauf öffnete sich die schwere Tür. Zuerst erschien der Bürgermeister, umringt von den Ratsherren, alle in ihrem besten Staat. Über ihnen flatterten die Fahnen, mit denen das Rathaus festlich geschmückt wurde.

Hinter dem Rücken des Bürgermeisters trat eine wunderschöne junge Frau hervor, hielt sich jedoch züchtig zurück und den Blick gesenkt, als die vielen Menschen vor dem Rathaus ihnen zujubelten.

»Wer ist das?«, fragte Hieronymus einen Gelehrten in langem, dunklen Umhang, der zufällig neben ihm stand und ebenfalls das Treiben beobachtete.

»Das wisst Ihr nicht, Herr? Es ist Elisabeth, die Tochter des Bürgermeisters. Jetzt weiß ich, warum er sie immer so gut versteckt hielt. Sie ist wunderschön.«

Das fand Hieronymus ebenfalls. Er konnte nicht anders, als sie anzustarren, auch wenn sich das nicht geziemte, und dabei war er nicht der Einzige. Ihre Schönheit war wirklich atemberaubend. Ein Gaukler versuchte, der Schönen eine Blume zu überreichen, doch die Wachen drängten den gar zu Aufdringlichen rüde zurück. Dieser stolperte über ein Schwein, das unter den Marktbuden nach Fressbarem suchte, und landete selbst in den Abfällen.

Das Gelächter der Umstehenden war groß, und der Unglückliche errötete so heftig, dass Hieronymus befürchtete, sein Kopf würde platzen.

»Schrecklich, dieser Pöbel«, klagte der Gelehrte neben ihm. »Wälzt sich mit den Schweinen im Dreck. Was muss unser Kurfürst nur von uns denken? Schließlich ist Leipzig auch eine Stadt der Wissenschaften und der Kunst.«

»Lasst doch dem Pöbel seine Freude an so einem Tag. Und wenn’s zwei Schweine im Dreck sind«, erwiderte Hieronymus lachend. »Außerdem ist der Herzog noch gar nicht da.«

Zu ihrer aller Überraschung eilte jedoch die schöne Elisabeth herbei und zu dem Unglücklichen hin. Sie war die Einzige, die nicht über sein Missgeschick lachte. Sie raffte rasch mit einer Hand ihre Röcke, um die andere dem Gestrauchelten zu reichen und ihm auf die Beine zu helfen. Ungläubig starrte der Gaukler sie an und nahm zögernd die dargereichte Hand. Umständlich rappelte er sich hoch, um gleich darauf auf die Knie zu fallen und Elisabeths Rocksaum zu küssen.

»Erhebe dich«, sagte sie zu ihm. »Deine Bestimmung ist, den Menschen Freude zu bereiten und nicht, vor ihnen auf die Knie zu fallen.«

In den Augen des Mannes glitzerte es verdächtig, und er strich verlegen über seine Kleidung aus kunterbunten Flicken.

»Ich glaube, sie hat uns beide beschämt«, flüsterte der Gelehrte Hieronymus zu.

Der Kaufmann kam nicht mehr dazu zu antworten. Wieder erschollen Fanfaren, diesmal von der anderen Seite des Marktplatzes wo eine der Straßen vom südlichen Stadttor mündete. Die Wachen meldeten die Ankunft des Kurfürsten.

Das aufgeregte Murmeln schwoll an, und alle reckten die Köpfe, um einen Blick auf den Herzog und sein Gefolge zu erhaschen. Der Lärm steigerte sich, als die Soldaten der Vorhut die Menschenmenge auseinandertrieb, damit eine genügend breite Gasse blieb. Von hinten drängten die Neugierigen nach, und es gab ein Schieben und Schubsen, ein Schreien und Stöhnen, Jubel und Beifall. Kinder schlüpften zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch, Tagediebe taten es ihnen gleich und erleichterten Geldbörsen und Beutel.

Pferdehufe klapperten über das Kopfsteinpflaster, und vom Peterstor her zog der hochherrschaftliche Zug, der Kurfürst mit seinem farbenprächtigen Gefolge, nach Leipzig ein.

Der Herzog fühlte sich Leipzig als seiner Geburtsstadt verbunden, hatte er doch in den Mauern dieser Stadt vierundzwanzig Jahre zuvor den heiligen Bund der Ehe mit Margarethe, Erzherzogin von Österreich, geschlossen. Es war gleichzeitig der Beginn einer engen Verbindung der Wettiner mit den Habsburgern. Auch heute führte der Kurfürst eine stattliche Abordnung von Österreichern in seinem Gefolge mit.

Kurfürst Friedrich, den das Volk den Sanftmütigen nannte, ritt auf einem prächtigen Schimmel. Er trug einen pelzbesetzten Umhang und sein ergrautes Haar wehte im Rhythmus seiner Bewegungen. Sein hageres, von Falten durchzogenes Gesicht schaute ernst und hoheitsvoll.

Der Jubel wogte ihm entgegen, und wo er vorbeiritt, verbeugten sich die Menschen tief und ehrfurchtsvoll. Es war wirklich eine große Ehre, dass der Kurfürst die Stadt besuchte. Nicht nur das Volk in den Gassen und auf dem Marktplatz, sondern auch die Ratsherren, die freien Bürger und vor allem der Klerus wussten das zu schätzen.

Der Propst des Thomasklosters, ein noch junger, aber zur leiblichen Fülle neigender Mann mit Doppelkinn und dicken, aufgeworfenen Lippen, warf dem Bürgermeister einen tadelnden Blick zu.

»Den Dienern des Herren gilt stets der Vortritt vor den Dienern des Geldes«, knurrte er und schob sich entschlossen vor die Ratsherren. Die ihn begleitenden Mönche taten es dem Propst gleich und murmelten dabei eifrig Gebete.

»Wenn er damit auf die gefüllte Stadtkasse anspielt, so sollte er lieber schweigen, denn er profitiert nicht wenig davon«, murmelte der Gelehrte neben Hieronymus. Laut wagte er das nicht zu äußern. Schon wegen geringerer Vergehen erließ die Kirche harte Strafen, und der Propst war ein eifriger Verfechter unnachgiebiger Strenge.

Der Vorsteher des Thomasklosters war ein mächtiger Mann. Ihm oblag nicht nur die Aufsicht über die anderen Klöster der Stadt, sondern er führte auch in seinem eigenen Haus ein strenges Regiment. Und er sorgte dafür, dass die Klöster immer reicher wurden, nicht zuletzt durch die hochherzigen Gaben reicher Kaufleute der Stadt. Auch Hieronymus Preller war nicht kleinlich mit Spenden und erhoffte so den Segen der Kirche über all seine Handelsgeschäfte. Er war kein tiefgläubiger Mann, aber er wusste, dass man es sich mit der Gottesmacht nicht verderben durfte. Die irdische Strafe würde entsprechend schrecklich sein. So ersparte er sich eine Antwort auf die losen Sprüche des Gelehrten und verbeugte sich tief, als der Kurfürst vorbeiritt.

Vor dem Rathaus hielt der prachtvolle Zug und der Bürgermeister trat nun heran, um den Kurfürsten in den Mauern seiner Geburtsstadt willkommen zu heißen.

»Mein lieber Bürgermeister«, sagte der Kurfürst jovial, »wie beneide ich Euch um die schöne Stadt, in der Ihr leben dürft. Meißen hat zwar die Elbe und die Berge ringsum, aber mir geht das Herz auf, wenn ich den Fuß auf den Boden dieser umtriebigen Stadt setzen kann.«

»Ihr ehrt uns mit Eurer Anwesenheit, Durchlaucht und wir schätzen uns glücklich, Euch in unseren Mauern beherbergen zu dürfen.« Der Bürgermeister begrüßte seinen Landesherrn mit stolzgeschwellter Brust.

Die freie Bürgerschaft der Handelsstadt war sich ihrer Bedeutung bewusst, doch der Besuch des Landesvaters war eine besondere Ehre. Er verlieh der Stadt ein bisschen vom Glanz des Meißner Hofes.

Es war Friedrichs Vater, Friedrich dem Streitbaren, und dessen gleichfalls regierendem Bruder Wilhelm Il. zu verdanken, dass in Leipzig im Jahre 1409 die Universität gegründet wurde. Dieser Gelehrte neben Hieronymus schien das vergessen zu haben, als er sich aus seiner nicht sehr tiefen Verbeugung aufrichtete. Ein bisschen mehr Dankbarkeit gegenüber der Obrigkeit hätte er ruhig zeigen können.

Das waren noch Zeiten, als Friedrich I., dieser kluge und kampferprobte Mann, den Wettinern die Kurwürde erstritt. Er hatte sich als erfolgreicher Feldherr gegen die böhmischen Hussiten die Achtung des deutschen Königs Siegmund erworben, was ihm später die Belehnung mit dem Herzogtum und der Kur Sachsen, dem Erzmarschallamt, der Pfalz Allstedt der Grafschaft Brehna und der Burggrafschaft Magdeburg einbrachte.

Mit Friedrich I., wie er als Kurfürst schließlich genannt wurde, stieg das Haus Wettin in die Führungsriege der deutschen Reichsfürsten auf. Es entsandte einen der sieben Adligen, die den Römischen König wählten.

Diesen Status konnten zu Hieronymus’ Bedauern Friedrichs Söhne nicht aufrechterhalten, die in einem unseligen Bruderkrieg Kursachsen teilten. Das war eine Katastrophe für den Handel. Je mehr Landesgrenzen, Zollschranken, Gesetze es gab, umso komplizierter wurden die Geschäfte. Gerade das Altenburger Land war eine wichtige Verbindung zu den südlichen und westlichen Handelspartnern.

Bis vor wenigen Jahren flackerten immer wieder Fehden zwischen beiden Ländern und beiden Brüdern auf. Im Gegensatz zu Friedrich I., der streitbar und gleichzeitig einigend auftrat, war sein Sohn Friedrich II., der Sanftmütige, zu weich und nachgiebig. Er ließ sich von seinem Bruder Wilhelm III. auf der Nase herumtanzen.

Wie glücklich wäre alles verlaufen, wenn es diese Teilung nicht gegeben hätte. So viel vergeudete Kraft, und so viel verlorenes Geld. Hieronymus durfte gar nicht daran denken, wie viel Gewinn ihm durch diese Zwistigkeiten verloren gegangen war.

Diese Gedanken gingen Hieronymus durch den Kopf, als er die Begrüßung des Kurfürsten beobachtete.

»Ja, was blüht denn da für eine wunderschöne Blume im Verborgenen?«, staunte der Kurfürst, und zum ersten Mal an diesem Tag erhellte ein Lächeln sein Gesicht. Gleichzeitig vertieften sich seine Falten.

»Mit Verlaub, Hoheit, darf ich Euch mein reizendes Töchterchen Elisabeth vorstellen?«

Elisabeth verharrte im tiefsten Hofknicks und hielt das Haupt gesenkt. Ihr langes blondes Haar fiel wie ein Wasserfall über ihren Rücken, und die kleine goldbestickte Brokatkappe, die sie trug, unterstrich ihren Liebreiz.

Der Kurfürst beugte sich zu ihr herab und ergriff ihre Hand. »Erhebe dich, schönes Kind, auf dass dein Anblick meine Augen und mein Herz erfreue.«

»Der Bürgermeister soll nur aufpassen, dass der Kurfürst seine Tochter nicht noch als Hofdame für seine Gattin erwählt. Wäre ein hübsches Geschenk, wenn er wieder nach Meißen zurückkehrt.« Der Gelehrte neben Hieronymus hielt die Hände vor der Brust verschränkt und betrachtete kritisch die Szene.

»Warum sollte er das tun?«, wunderte sich Hieronymus. »Sie ist nicht von Adel.«

»Na und? Als kleine Mätresse aber allemal gut genug. Da zählt weniger die Herkunft als die Schönheit.«

Ja, Elisabeth war wirklich schön. In Hieronymus kam gelinde Panik auf bei dem Gedanken, dass diese Elfe im Bett des alternden Kurfürsten landen sollte.

Währenddessen bat der Bürgermeister den Kurfürsten in den Ratssaal hinein, wo das Bankett stattfinden sollte. Stolz präsentierte er die lange Tafel aus edlem, poliertem Holz, geschmückt mit erlesenen Stücken aus dem Ratssilber. Prunkstück waren zwei silberne Leuchter und mehrere Pokale.

Ein etwas erhöhter Tisch stand allein dem Kurfürsten zu. Die Zimmerleute hatten ihn auf ein Podest gestellt, um den Unterschied zu den bürgerlichen Ratsherren, aber auch dem Klerus zu verdeutlichen. In der Sitzfolge zeigte sich die soziale Hierarchie der Anwesenden. Der Kurfürst wandte sich nach Elisabeth um und streckte die Hand nach ihr aus.

»Erweist mir die Freude und speist an meiner Seite, schönes Kind«, sagte er huldvoll. Vor Freude und Verlegenheit errötete sie heftig. Sie wusste nicht, ob sie das Ansinnen annehmen oder verschämt ablehnen sollte. Ihr Vater stieß sie mahnend in die Rippen.

»Es ist mir eine große Ehre«, hauchte sie mit gesenktem Blick. Dann legte sie ihre kleine, schmale Hand auf die des Kurfürsten.

Kaufmann Preller blieb der Zutritt zum Ratssaal verwehrt. Am liebsten wäre er hineingestürmt, um seine Angebetete vor dem Zugriff des Landesvaters zu schützen. Aber er war nur ein Kaufmann, ein Bürgerlicher, wenn auch ein wohlhabender. Es stand ihm nicht zu, in irgendeiner Weise seine eigenen Absichten kundzutun. Elisabeth war für ihn im Moment unerreichbar.

Als die Rathaustür geschlossen wurde, wandte Hieronymus sich ab. Seine Enttäuschung verbergend, schlenderte er über den Markt und betrachtete naserümpfend die feilgebotene Ware.

Kurfürst Friedrich der Sanftmütige nahm seinen Ehrenplatz an der Tafel ein und warf einen hocherfreuten Blick zu Elisabeth, die neben ihrem Vater saß. Der Bürgermeister strahlte das Selbstbewusstsein eines freien Bürgers aus, und gleichzeitig spürte man die tief in der Seele der Menschen verwurzelte Unterwürfigkeit vor dem Adel.

Es war wohl beides, das ihn und seine Ratsherren dazu veranlasst hatte, die Tafel mit dem Ratssilber zu decken und die erlesensten Speisen auffahren zu lassen. Die ersten Dienstboten trugen Schüsseln mit legierter Suppe aus jungen Erbsen mit püriertem Weißbrot und Ei herein, die einen verführerischen Duft verbreitete. Ein Bediensteter hielt eine Platte mit Fleischstückchen von Kalb und Ente, ein zweiter legte einige Stückchen in die Schüssel, die vor dem Kurfürsten stand, der nächste goss die Suppe darüber.

»Diese Suppe ist mit Safran gebunden, wie Ihr an der Farbe seht, Durchlaucht«, erklärte der Bürgermeister eifrig.

Der Kurfürst nahm den silbernen Löffel und kostete vorsichtig. Gespannt starrten ihn alle Ratsherren an.

»Ja, köstlich«, erwiderte er schließlich. »Safran ist mir selbstverständlich geläufig.«

Der Bürgermeister dienerte, während die Lakaien an die übrigen Gäste Fleisch und Suppe austeilten. Außer dem Herzog, der allein eine silberne Schüssel bekam, mussten die anderen Gäste sich zu zweit eine Schüssel teilen und auch die Trinkbecher. Immerhin erhielt jeder Gast an der Tafel einen Löffel, weil der Leipziger Rat sich einige der Löffel bei reichen Bürgern geliehen hatte. Wie allgemein üblich, brachten die Gäste ihre Messer mit. Nur dem Kurfürsten wurde ein besonders wertvolles, ziseliertes Messer vorgelegt.

Vor dem Ehrengast stand der reich verzierte Tafelaufsatz, der das Salzfässchen und die Gewürze enthielt. Er besaß die Form eines Schiffes und war verziert mit wertvollen Emaileinlagen. Auch das Salzfass wies reliefartige Verzierungen auf. Der Kurfürst betrachtete es wohlwollend.

»Halte dich beim Essen zurück«, raunte der Bürgermeister seiner Tochter zu. »Bei feinen Leuten essen die Damen immer nur ganz wenig.«

Elisabeth warf dem Kurfürsten, der mit gutem Appetit seine Suppe verzehrte und mit einem spitzen Messer das Fleisch aus der Schüssel fischte, einen verstohlenen Blick zu.

»Warum? So etwas bekomme ich wahrscheinlich nie wieder zu essen. Das muss ich doch ausnutzen.«

Der Bürgermeister rollte mit den Augen. »Herrgott noch mal, wir sitzen mit dem Kurfürsten an einer Tafel, Elisabeth. Da musst du dich dementsprechend benehmen«, zischelte er.

In ununterbrochener Reihenfolge servierten die Diener Kapaun in weißem Pudding, Bratenplatten mit Zicklein und Lamm, Drossel und Hühnchen mit einer Soße aus Sauerwein, dazwischen Krebse aus der Pleiße, Kaninchen in Aspik, kalten Salbei mit Wachtelküken, gefüllte Schweinsköpfe mit Äpfeln, Zickleingekröse in Kräutern, Käse und gewürztem Wein, Selleriegemüse Hühnchenpastete, Mehlpudding mit rosa Zuckerwerk und Granatäpfel.

Der Gewürzhandel gedieh in der umtriebigen Messestadt prächtig und so waren die Speisen mit edlen Gewürzen, wie Ingwer, Zimt, Nelken, Paradieskorn, Pfeffer, Nardenwurzel, Safran, Muskatnuss, Lorbeerblättern, Kümmel und Zucker veredelt. Darauf waren der Bürgermeister und seine Ratsherren besonders stolz.

Auf der anderen Seite der Tafel saß der Klerus. Der Propst des Thomasklosters mit Namen Benedictus schlug seine Finger in einen Schweinskopf.

»Völlerei ist Sünde«, mampfte er kauend und das Fett troff über sein Doppelkinn. »Aber das grobe Fleisch hält Leib und Seele zusammen.« Er warf einen begehrlichen Blick auf das feine Hühnchenfleisch, das zwar als weniger nahrhaft als das Fleisch von Rind, Schwein und Schaf galt, aber weil es dem Adel zustand, war es eine besondere Speise. Für seine sündhafte Völlerei, die einen sozusagen kurfürstlichen Anlass hatte, erteilte er sich selbst Absolution, indem er Buße tat und an zwei Tagen in der Woche dem Fleischgenuss entsagte. An diesen Tagen gab es die doppelte Portion Aale und Krebsschwänze, Forellen, Karpfen und Neunaugen, aber auch Lauch, Zwiebeln, Kohl, Linsen und Bohnen. Diese Art der Askese machte jederzeit dieses eher seltene Bankett wieder wett.

Das Messer des Propstes war mit eingravierten Versen verziert: »Für deine Wohltaten sagen wir dir, Herr, unseren Dank.« Das ersparte ihm die Danksagung vor dem Essen. Benedictus war dafür viel zu beschäftigt, er musste ja von allen Speisen kosten. Zwischendurch schlug er dem einen oder anderen Klosterbruder auf die Finger, der sich zu vorwitzig an der Tafel bediente, bevor sich sein Propst von der Speise genommen hatte.

Wiederholt trugen die Diener Brot auf, mit dem die Soßen und das Bratenfett aufgetunkt wurde oder als Unterlage für die Fleischstückchen dienten. Die runden Brotlaibe trugen die Zeichen der Bäcker, die sie gebacken hatten.

»Ich sehe, Eure vielen Mühlen bringen der Stadt Wohlstand«, sagte der Kurfürst zum Bürgermeister und zerriss mit seinen goldberingten Fingern einen kleineren Brotlaib. »Gesegnet sei die Stadt mit ihren vielen Flüssen und Mühlen, auch wenn es im Sommer immer so von Mücken wimmelt.«

»Keine Sorge, Hoheit, die Mücken bleiben draußen in der Aue. Sollen die Müller sich damit herumplagen.«

»Dafür gibt es hier genug fette Fliegen«, flüsterte einer der Ratsherren und schielte zum Propst mit seinen schwarz gekleideten Mönchen. Wie die schwarzen Fliegen auf dem Misthaufen oder an den Rinnsalen auf den Gassen hielten sie sich am Servierten schadlos.

»Sie sind beides«, flüsterte sein Tischnachbar zurück. »Hier fressen sie wie die fetten Fliegen und draußen saugen sie mit ihrem Ablasshandel wie die Mücken die Leute aus.«

Er erhielt einen Fußstoß unter dem Tisch. »Mach dich nicht unglücklich«, riet ihm ein anderer Ratsherr. »Der Propst hat mehr Macht in den Stadtmauern als der Kurfürst.« Der Angesprochene schwieg und bediente sich weiter von den silbernen Platten. So ein Festmahl gab es schließlich auch nicht alle Tage, und da sollte man nicht Zeit mit sinnlosem Geschwätz vertun.

»Ich finde es trotzdem seltsam, dass wir unsere Ehefrauen nicht zum Bankett mitbringen durften. Nur der Bürgermeister hat seine Tochter dabei. Angeblich aus Sparsamkeitsgründen, damit das Essen üppiger ausfällt. Aber wieso begleitet ihn dann seine Tochter?«

»Siehst du nicht, dass sie als Kurzweil für den Kurfürsten gedacht ist? Ich glaube kaum, dass der Kurfürst sich an deinem Weib ergötzt hätte. Außerdem rührt Elisabeth kaum die Speisen an.«

Er griff nach dem Becher mit Würzwein. »Es lebe der Kurfürst«, rief er. Die anderen Anwesenden fielen in die Hochrufe ein und prosteten dem Kurfürsten zu.

Einer der Ratsherren und auch zwei Mönche beugten sich unter die Tafel, um zu erbrechen. Die Geräusche gingen in den Hochrufen auf den Kurfürsten unter. Einige Hunde aus dem Gefolge des Kurfürsten stürzten sich auf diese Leckerbissen. Ein kleiner, rotwangiger Mönch kroch unter dem Tisch hervor, froh darüber, dass wieder genügend Platz in seinem Bauch war. Sein Bruder blieb unter dem Tisch liegen. Der Wein hatte seinen Geist benebelt, so dass er friedlich neben seinem Mageninhalt einschlief und nur etwas unwillig knurrte, als einer der Hunde über sein Gesicht leckte.

Der Ratsherr tauchte mit hochrotem Gesicht wieder auf, aber der Kurfürst hatte ohnehin nichts bemerkt. Sein Gefolge sprach nun dem Wein kräftiger zu und die Lautstärke im Ratssaal steigerte sich.

»Keine Weiber da«, monierte einer der Gefolgsleute des Kurfürsten. »Was soll das für ein Bankett sein? Und die Gaukler und Musikanten tummeln sich draußen auf dem Marktplatz.«

»Was willst du? Es ist eben ein bürgerliches Bankett. Dafür ist es angemessen.« Sein Tischnachbar, mit dem er sich die Schüssel und den Trinkbecher teilte, warf einen abschätzenden Blick über die Platten. »Viel Grobes, ziemlich gewöhnlich.« Er griff nach einem Stück Zickleinfleisch und kaute darauf herum.

»Findest du es nicht seltsam, dass hier gar keine Weiber sind? Nicht einmal die Frauen der Ratsleute. Nur dieses Mädchen, auf das der Kurfürst ein Auge geworfen hat.«

»Ach, er schaut nur dahin, weil er ja nicht weiß, wo er sonst hinschauen soll. Die haben nicht einmal Dirnen hier.«

»Der Kurfürst wird es schon wissen, was wir machen. Sobald der offizielle Teil vorbei ist, suchen wir uns eine richtige Schänke mit drallen Weibern. Solange müssen wir uns eben gedulden.«

»Und uns mit dem Wein trösten«, erwiderte der andere und leerte den Becher.

Der Tumult steigerte sich, aber erst nach einer Weile bemerkten die Anwesenden, dass der Lärm von der Tür her kam. Ein Bote stürzte in den Ratssaal und kämpfte verbissen gegen die Wachen, die den Eindringenden zurückhalten wollten.

»Lasst mich durch, ihr blöden Esel, ich muss zum Kurfürsten!« »Da könnte jeder kommen und hier eindringen.«

»Ich habe eine Botschaft für Durchlaucht. Es ist dringend!« Er schlug dem Wächter kurzerhand die Faust ins Gesicht, dass er gegen die Wand taumelte. Der Bote kam frei und lief in den Saal. Vor dem Herzog fiel er auf die Knie.

»Verzeiht, Durchlaucht, mein ungebührliches Eindringen, doch es ist von Eurem höchsten Interesse.« Er hielt in seiner zitternden Hand eine zerknitterte Pergamentrolle hoch.

Der Kurfürst hob erstaunt die Augenbrauen und leckte sich die Finger ab. Ein Diener sprang hinzu und hielt ihm eine Wasserschale hin, die der Kurfürst jedoch ignorierte. Er griff nach der Pergamentrolle, erbrach das Siegel und rollte sie auf. Während er die wenigen Zeilen überflog, versteinerte sich sein Gesicht.

»Meine Söhne, die Prinzen, sind entführt worden«, stieß er hervor. Seine Hand umkrampfte die Pergamentrolle, als könne er sie so für die schreckliche Nachricht strafen.

Der Bürgermeister und die Ratsherren sprangen auf. Selbst Propst Benedictus hörte auf zu kauen, wenngleich er auf seiner Bank sitzen blieb.

»Ich muss sofort nach Altenburg!« Der Kurfürst stieß seinen Stuhl um. Seine Gefolgsleute sprangen an seine Seite. »Lasst die Sturmglocken läuten!«

Im nächsten Augenblick gab es ein heilloses Durcheinander. Alle liefen durcheinander, alle riefen durcheinander, jeder befahl dem anderen etwas und keiner hörte darauf. Sie umringten den Kurfürsten, der mit hoch erhobenen Händen tobte und zürnte.

»Wer war das? Wer war dieser Verbrecher, der es wagt, Hand an meine Söhne zu legen?« Niemand konnte ihm darauf antworten.

Der Bürgermeister und die Ratsherren waren entsetzt, dass der Besuch des Landesherrn so abrupt und unter schlechten Zeichen endete. Es war ein Besuch, von dem sich die Stadtoberhäupter viel versprachen. Es gab so viel zu reden, zu bitten, anzutragen. Doch alles verlor plötzlich an Wichtigkeit.

»Durchlaucht, Ihr seht uns unendlich betroffen«, rief der Bürgermeister und rang die Hände, während er unter ständigen Verbeugungen neben dem Kurfürsten herlief. Dieser winkte seinen Getreuen, um die Pferde bringen zu lassen. »Was können wir tun, um Euch behilflich zu sein?«

Der Kurfürst blieb abrupt stehen. »Lasst nach den Tätern fahnden. Verbreitet die Kunde vom Prinzenraub, auf dass jeder Mann, ob Bauer oder Bürger, Kaufmann oder Fischer Acht gibt, wo schwarze Gestalten zwei unschuldige Kinder von adligem Geblüt in ihren Fängen haben.«

»Ja, aber wer sind diese schwarzen Gestalten?«, wollte der Bürgermeister wissen.

»Woher soll ich das wissen«, erregte sich der Kurfürst. »Wer auch immer es sei, er soll seinen Kopf verlieren, sobald ich ihrer habhaft werde. Und das werde ich, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

Überstürzt verließ der Kurfürst mit seinem Gefolge das Rathaus und die Stadt in Richtung Altenburg. Die Ratsherren standen vor dem Tor und blickten ihrem Landesherrn nach.

Das Volk vor dem Rathaus begriff zunächst nicht, was der Grund für das Durcheinander war. Die Taschendiebe machten gutes Geschäft dabei.

Propst Benedictus versammelte seine Brüder zu einem Stoßgebet um sich. Mit einem Auge schätzte er die Reste der Tafel ab; er würde diese als Spende für das Kloster einfordern. Schließlich musste er für den Abbruch des Festessens entschädigt werden. Der Klosterküche kam dieser Segen gerade recht.

Hieronymus Preller starrte auf das Durcheinander. Dann eilte er mit großen Schritten hinzu. Seine Größe und seine imposante Erscheinung verschafften ihm Platz. Den Rest erledigte er mit seinen kräftigen Armen.

»Platz da!«, herrschte er die Leute an, die ihm im Weg waren. Dabei schien es ihm unerheblich, ob Marktfrau, Gaukler, Schaulustiger oder Wachsoldat. Das Tor stand offen, einige Ratsherren standen immer noch heftig diskutierend davor. Die Bediensteten standen ebenfalls in kleinen Grüppchen. Niemand nahm von ihm Notiz.

Mitten im Ratssaal standen die Brüder des Thomas-Klosters und beteten lautstark. Einige Vorwitzige hatten sich vom Marktplatz in den Ratssaal geschlichen und bedienten sich ungeniert an der Tafel. Benedictus wusste nicht, ob er seine Gebete unterbrechen und diese dreisten Diebe verjagen sollte.

»Betet weiter, Brüder«, murmelte er, nahm einen der zu Bruch gegangenen Stühle und warf ihn nach den Mundräubern. »Höllenbrut«, grollte er und freute sich, dass er einen der Kerle am Kopf traf. Dieser sank mit einem leisen Klagelaut unter den Tisch.

Hieronymus nutzte das Durcheinander aus und eilte zu Elisabeth. Die stand schreckensbleich neben der Tür und starrte auf die kopflos umherlaufenden Ratsherren. Er nahm ihre Hand und zog die Widerstrebende zu ihrem Vater. Der Bürgermeister schaute Hieronymus irritiert an. »Was wollt Ihr denn, Preller?«

»Die Hand Eurer Tochter.«

»Die habt Ihr doch schon«, erwiderte der Bürgermeister verärgert. »Passt auf sie auf, damit ihr nichts geschieht.«

»Das ist ein Wort!«

»Wer seid Ihr?«, fragte Elisabeth mit großen Augen.

Hieronymus betrachtete sie verzückt. »Euer zukünftiger Ehemann. Euer Vater hat meinem Antrag eben zugestimmt.«

»Werde ich denn gar nicht gefragt?«, wunderte sie sich und betrachtete den stattlichen Mann in dem blauen Samtwams mit geneigtem Kopf.

Er lächelte, nahm wieder ihre Hand und zog sie hinaus zu einem der Fenster, das den Blick über den Marktplatz gestattete. Er deutete zu dem großen Haus gegenüber, das sein Vater erbauen ließ und den Wohlstand der Familie Preller zeigte.

»Würdet Ihr allen Ernstes so etwas ablehnen?«

Noch ehe Elisabeth etwas antworten konnte, entdeckte Hieronymus den Propst. Dieser stand inmitten seiner Klosterbrüder, einen Knüppel in der Hand, um die Reste auf der Festtafel zu verteidigen. Benedictus bemerkte den befremdeten Blick des Kaufmanns. Sofort schaute er zum Himmel, schlug in einem fort Kreuze in die Luft und begann ein lautes Wehklagen. Er klagte auf Latein, was Hieronymus ohnehin nicht verstand und so zupfte er ihn wenig respektvoll am Ärmel. So plötzlich, wie er mit seinem Gebet begonnen hatte, hörte er wieder auf. Seine kleinen Augen blickten missmutig.

»Was willst du?«, herrschte er Hieronymus an.

»Heiraten«, erwiderte Hieronymus. »Sofort!«

Der Propst schnappte nach Luft, und er sah aus wie ein fetter Karpfen auf dem Trockenen. »In dieser Situation?«, brachte er endlich hervor.

»Gerade deshalb«, erwiderte Hieronymus. »Man muss handeln, wenn sich die Gelegenheit bietet.«

Der Propst starrte ihn an wie ein Gespenst.

»Waren Euch meine Spenden nicht gut genug?«, fragte Hieronymus, da setzte das Denkvermögen des Propstes wieder ein.

»Ach, Ihr seid’s, Preller. Die Aufregung – entschuldigt – ich habe Euch nicht gleich erkannt. Trotzdem, ist das nicht ein bisschen überstürzt? So schnell geht das nicht.«

Hieronymus fasste nach seinem ledernen Geldbeutel, den er unter dem Wams trug und ließ ihn gewichtig in der Handfläche tanzen. »Wie schnell geht es?«, wollte er wissen.

Der Propst folgte den Handbewegungen mit den Augen, während seine dicken Karpfenlippen immer noch offen standen. Dann glitt ein kleines Lächeln über sein Gesicht.

»In einer Woche, Preller. Das muss genügen.«

Der kleine Lederbeutel wechselte auf kurzem Weg den Besitzer. Zufrieden wandten sich sowohl der Propst wie auch Hieronymus ab.

»Kommt«, forderte er Elisabeth auf. »Das Fest ist zu Ende. Ich geleite Euch zu Eurem Haus.«

Wenig später besuchte Hieronymus eine Schänke und ließ sich einen großen Krug Wein bringen. Der Prinzenraub war Stadtgespräch, und nicht nur in den Schänken hockten die Leute zusammen und diskutierten über diese Ungeheuerlichkeit.

Zu seiner Überraschung entdeckte Hieronymus den Gelehrten, der neben ihm auf dem Marktplatz gestanden hatte. Auch dieser erkannte Hieronymus wieder. Der Kaufmann winkte ihm zu und schob dem Mann einen Hocker hin. »Setzt Euch zu mir, Herr Gelehrter, und seid mein Gast. Die ganze Stadt ist in Aufregung.«

Schweigend setzte sich der Mann und ordnete sorgfältig die Falten seines langen, dunklen Umhangs. Der Wirt brachte einen zweiten Becher. Hieronymus schenkte eigenhändig ein.

»Mein Name ist Hieronymus Preller, einer der ersten Kaufleute am Platz.«

Bedächtig nahm der Gelehrte den Becher und schaute ihn aufmerksam an. Der Mann hatte ein blasses Gesicht mit klugen Augen, die ein wenig skeptisch blickten.

»Ich kenne Euch, Preller. Wer kennt Euch nicht? Wer erfolgreich und wohlhabend ist, den sieht man gern.«

»Und mit wem habe ich die Ehre?«

Der Gelehrte lachte auf. »Ich bin Jakob Siebenpfeiffer, Magister an der hiesigen Universität.«

»Auf Euer Wohl, Herr Magister.«

Siebenpfeiffer hob den Becher ein Stück höher. »Auf Euer Wohl, Preller.«

Sie tranken beide.

»Ist es nicht seltsam«, stellte Hieronymus fest, »dass so ein Unglück uns die Bekanntschaft beschert?«

»So Ihr bewandert in philosophischen Dingen seid, müsste Euch klar sein, dass jedes Ereignis zwei Seiten hat, eine gute und eine schlechte. Wobei ich bei dem, was den Prinzen widerfahren ist, nicht von einem Unglück sprechen würde.«

»So? Wisst Ihr etwa mehr davon?« Interessiert beugte sich Hieronymus zu dem Gelehrten herüber und senkte dabei die Stimme.

Dieser schüttelte den Kopf. »Ich weiß gar nichts. Aber ich stelle logische Schlussfolgerungen.«

»Und was ergeben Eure Schlussfolgerungen?« Seine Augen ließen nicht einen Moment von den Lippen des Gelehrten. Der schien mehr Interesse an seinem Weinbecher zu hegen als daran, Hieronymus’ Neugier zu befriedigen.

»Nun, wie ich sagte, jedes Ereignis hat immer eine gute und eine schlechte Seite. Und jedes Ereignis ergibt sich aus einem vorhergehenden Ereignis, das dieses bedingt.«

Hieronymus knallte hart den Becher auf den groben Tisch und verzog ärgerlich das Gesicht. »Ich bin keiner von Euren Studiosi, Herr Magister. Könnt Ihr Euch nicht etwas verständlicher ausdrücken?«

»Es stellt sich die Frage, wer zieht einen Gewinn aus der Entführung der Prinzen. Jemand, der mit dem Herzog eine Rechnung zu begleichen hat.«

Hieronymus’ Augen weiteten sich. »Wer sollte es wagen, gegen den Landesherrn anzukämpfen, außer …«, er stockte und ein Leuchten der Erkenntnis flog über sein Gesicht, »der Bruder des Kurfürsten, Wilhelm.«

Jetzt setzte Siebenpfeiffer seinen Becher ab und zog seinen Umhang fester um den Körper, als wollte er sich auf diese Weise vor der Unwissenheit dieses Kaufmannes schützen.

»Wilhelm würde den Teufel tun und seine eigenen Neffen entführen, damit würde er ja die Ergebnisse des Bruderkrieges in Frage stellen. Nein, nein, dazu wäre er nicht in der Lage. Diese Entführung ist die Tat eines tollkühnen Mannes, der einen triftigen Grund hat, auf diese Weise sein Recht zu erzwingen.«

Hieronymus überlegte angestrengt. »Ihr meint doch nicht etwa diesen Ritter, der gegen Friedrich klagte?«

»Kunz von Kaufungen, ganz recht.« Siebenpfeiffers Gesicht blieb reglos, während Hieronymus der Atem stockte.

»Woher wisst Ihr das?«

»Wie ich sagte, ich weiß es nicht. Und doch ist es eine logische Schlussfolgerung.«

»Ritter Kunz ist ein verbündeter Friedrichs, hat auf seiner Seite gegen Wilhelm gekämpft.«

»Eben deshalb. Aber dabei sind einige seiner Ländereien in Mitleidenschaft gezogen worden und er hat deswegen vom Kurfürsten Entschädigung gefordert.«

»Und deswegen raubt er die Prinzen? Um eine Entschädigung zu erpressen?«

»O nein, nicht deshalb. Er ist schließlich kein Pfeffersack.« Er lächelte spöttisch, als er die beleidigte Miene von Hieronymus bemerkte. »Entschuldigt, Kaufmann, aber Ihr denkt eben in diesen Kategorien. Für einen Mann wie diesen Ritter zählen andere Werte mehr als der Verlust des Einkommens dreier Jahre.«

»Was gibt es von höherem Wert als Geld?«, wunderte sich Hieronymus. Er erntete einen verachtenden Blick des Magisters.

»Er ist Ritter und stolz. Der Fürst hat seine Ehre gekränkt. Das ist seine Rache.«

»Aus gekränkter Ehre?« Hieronymus schüttelte den Kopf. »Dafür würde ich nicht einmal den Arsch im Bett drehen, verehrter Siebenpfeiffer. Nein, das nehme ich Euch nicht ab. Obwohl ich Kaufungen aus einem anderen Grund nicht mag. Während dieses unseligen Krieges hatte er Leipziger Kaufleute überfallen und verschleppt, von denen einer dabei sogar ums Leben gekommen ist. So ein Mann hindert den Aufschwung des Handels, den Aufschwung unserer Stadt. Er ist ein übler Raubritter, der keine Ehre hat.«

»Ihr irrt, Preller. Der Rechtsstreit zwischen dem Ritter und dem Fürsten geht schon seit Monaten. Kunz hat Fehler gemacht, es ist seine Schuld. Dass die Gerichte gegen ihn entschieden haben, sieht er natürlich nicht ein. Er denkt mit dem Schwert, nicht mit dem Kopf.«

»Das sind doch alles nur Spekulationen. Ihr grübelt zu viel, Herr Magister. Das tut auch nicht gut und verwirrt den Geist. Trinkt noch einen Becher.«

»Nein, danke«, wehrte der Gelehrte ab und erhob sich. »Es wird Zeit für mich zu gehen. Morgen früh um sechs erscheinen meine Studenten.«

Verdrießlich schaute Hieronymus auf den halb vollen Krug. Allein trank es sich nicht so gut wie in Gesellschaft. Auch wenn dieser Magister ein sehr widersprüchlicher und undurchsichtiger Geist war, so war er doch interessant und ungewöhnlich.

»Was unterrichtet Ihr eigentlich?«, wollte Hieronymus wissen. Der Gelehrte ordnete wieder sorgsam seine Mantelfalten, nachdem er sich erhoben hatte. »Jurisprudenz und Philosophie«, sagte er wie nebenbei. »Gehabt Euch wohl, Kaufmann, und seid bedankt für Eure Einladung.« Dann ging er.

»Verdammt noch mal, ich wollte feiern, weil ich in sieben Tagen heiraten werde!«, rief er schon mit schwerer Zunge und knallte den irdenen Weinkrug so auf den Tisch, dass dieser zu Bruch ging und der Wein über sein Wams und die Hose schwappte.

Augenblicklich wurde es still in der Schänke und alle Blicke wandten sich ihm zu. »Was glotzt ihr so?«, fuhr er auf. »Ich werde Elisabeth heiraten, die Tochter des Bürgermeisters. Er findet keinen besseren Schwiegersohn als mich. Ich bin der reichste Kaufmann in der Stadt und weiß, wer die beiden Prinzen entführt hat.«

»Macht Euch nicht unglücklich, Preller. Im Weinrausch sagt mancher etwas, das er später sehr bereut«, mahnte der Wirt.

»Ach, halt’s Maul!«, raunzte Hieronymus ihn an. »Du wirst es schon noch sehen, ihr alle werdet es sehen, dass ich Recht behalte. Der Kaufunger war’s, dieser elende Raubritter. Dann erhält er wenigstens seine gerechte Strafe.«

»Ihr solltet besser gehen, Preller«, forderte der Wirt ihn leise auf. »Ich will keinen Ärger haben.«

Unsicher erhob sich Hieronymus. »Undankbares Volk«, lallte er. »Ihr werdet noch an mich denken.« Dann schwankte er zur Tür hinaus.

»Ob’s wirklich der Ritter von Kaufungen war?«, fragte einer der Gäste, als Hieronymus gegangen war.

»Ach was, der Preller ist bloß wütend auf ihn, weil  der Ritter Kunz einmal ein paar Pfeffersäcke überfallen hat. Hätten sie ihm damals ihre Geldbeutel gegeben, hätte er sie bestimmt laufen lassen. Aber diese Geizkragen lassen sich lieber umbringen, als sich von ihrem Geld zu trennen. Die sind fast so schlimm wie die Juden.«

»Aber Preller ist ein Christ«, rief ein anderer. »Und er hat schon viel für die Stadt und die Klöster gespendet. Habt ihr gehört, dass er die Tochter des Bürgermeisters heiraten will? Da gibt es eine große Hochzeitsfeier.«

Die Aussicht auf so ein herausragendes Ereignis versöhnte die Gäste der Schänke sofort wieder. Darauf mussten sie unbedingt noch einen Krug Bier oder Wein leeren, die der Wirt eifrig herbeischaffte.

Am nächsten Tag gab es nur zwei Gesprächsthemen in der Stadt: der dreiste Raub der beiden Prinzen und die unerwartete Hochzeit des Kaufmanns Preller mit der Tochter des Bürgermeisters.

Natürlich war beides auch Thema am Ratstisch. Die Ratsherren gratulierten dem Bürgermeister zur bevorstehenden Vermählung seiner Tochter mit dem angesehenen Kaufmannshaus Preller.

»Was denn für eine Vermählung?«, fragte der Bürgermeister entgeistert.

»Na, die Eurer Tochter«, erwiderte ein Ratsmitglied lachend. »Es ist ja schon Stadtgespräch.«

Wutschnaubend fuhr der Bürgermeister hoch. »Das ist doch Unsinn! Es wird keine Hochzeit geben. Den Mann für meine Tochter suche immer noch ich aus!«

»Aber habt Ihr ihm denn nicht die Hand Eurer Tochter versprochen? Preller hat sogar schon mit dem Propst gesprochen und den Termin festgelegt. Er ist in sechs Tagen.«

Die Gesichtsfarbe des Bürgermeisters verdunkelte sich zusehends. »Dieser unverschämte Kerl! Er hat mich übertölpelt!«

»Das solltet Ihr als Bürgermeister aber nicht so laut sagen«, mahnte ein anderer Ratsherr. »Ein Bürgermeister, der sich übertölpeln lässt, ist kein guter Bürgermeister. Er könnte sich ja auch in anderen Dingen übertölpeln lassen.«

Die anderen Ratsherren nickten zustimmend.

»Ich werde dem Preller meine Meinung sagen«, tönte der Bürgermeister und stürmte zum Tor. Mit einem Ruck riss er es auf.

Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er das Gebäude gegenüber, das Handelshaus Preller. Er straffte sich, ballte die Hände zu Fäusten und stapfte mit großen Schritten quer über den Marktplatz. Die Buden waren alle belegt; der Stadtrat hatte zu Ehren des Besuchs des Kurfürsten extra einen Markt genehmigt. Musikanten und Gaukler waren ebenfalls in der Stadt geblieben. Eine Hochzeit war ein lohnendes Geschäft, das wollten sie sich keinesfalls entgehen lassen. Sie spendeten dem Bürgermeister Beifall, der jedoch davon keine Notiz nahm. Wutentbrannt wummerte er mit den Fäusten gegen die Tür von Prellers Haus. Eine Magd öffnete erschrocken.

»Wo ist er, dieser Mädchenverführer?«, schrie er.

»Wen meint Ihr, Herr Bürgermeister?«

»Ach, geh weg«, schnaubte er und schob die Magd einfach beiseite. Im Hintergrund erschien Hieronymus. Ein Lächeln flog über sein Gesicht. »Willkommen, Schwiegervater.«

»Was erlaubt Ihr Euch, Preller? Niemals gebe ich mein Einverständnis zu dieser Hochzeit. Wie kommt Ihr darauf, in der Stadt zu verbreiten, dass Ihr Elisabeth heiratet?«

»Weil ich das Einverständnis bereits von Euch habe. Gestern habt Ihr mir die Hand Eurer Tochter gegeben, vor Zeugen im Rathaus.«

»Gestern zählt nicht; gestern war ein Unglückstag. Die beiden jungen Prinzen wurden entführt.«

»Wollt Ihr damit sagen, dass Euer Wort nicht zählt, Bürgermeister? Das wird aber den Rat interessieren. Was soll Leipzig mit einem Bürgermeister, der sein Wort bricht? Es könnte Euch das Amt kosten.«

»Wollt Ihr mir drohen, Preller? Das könnte Euch den Kopf kosten. Außerdem habe ich jetzt überhaupt keinen Sinn für Freudenfeiern, solange die Prinzen verschleppt bleiben. Noch weiß niemand, wer die Übeltäter sind. Solange es keine gute Nachricht aus dem Fürstenhaus gibt, denke ich nicht daran, Elisabeth zu verheiraten. Mit Euch schon gar nicht!«

»Ihr vergesst, dass das Handelshaus Preller eines der bedeutendsten Leipzigs ist, Bürgermeister. Was wäre Leipzig ohne seine Kaufleute? Schließlich machen wir die Stadt reich und statten damit auch Euer Amt aus.«

Der Bürgermeister stellte sich auf die Zehenspitzen, da er einen halben Kopf kleiner als Hieronymus war, und fixierte ihn aus seinen zum Spalt verengten Augen. Beinahe berührten sich ihre Nasenspitzen.

»Ich lasse mich von Euch nicht erpressen, Preller. Ihr bekommt Elisabeth nicht!«

»Und ich lasse mich nicht von Euch herabwürdigen, Bürgermeister. Für Elisabeth gibt es keine bessere Partie als mich!«

»Ich habe andere Sorgen, als mich um die richtige Partie für Elisabeth zu streiten. Kümmert Ihr Euch um Euren Handel, ich mich um das Wohl der Stadt! Und Elisabeth lasst aus dem Spiel!« Er drehte sich um und stapfte ebenso wütend wieder zurück über den Marktplatz.

»Auch dann nicht, wenn ich Euch sage, wer die Prinzen entführt hat?«, rief ihm Hieronymus hinterher.

Der Bürgermeister stockte mitten im Schritt. Langsam drehte er sich um. Hieronymus stand mit triumphierender Miene in der Tür seines Hauses, die er mit seinem Körper fast gänzlich ausfüllte.

Trotzig reckte der Bürgermeister das Kinn vor. »Auch dann nicht!« Er stapfte unbeirrt hinüber zum Rathaus. Vor dem Tor blickte er über die Schulter. Preller starrte noch immer zum Rathaus hinüber. Der Bürgermeister drohte ihm mit der Faust, dann schlug die schwere Eichentür hinter ihm zu.

Die Leute auf dem Marktplatz, die Zeugen dieser Szene geworden waren, johlten und pfiffen, rissen derbe Scherze und applaudierten.

Hieronymus schloss die Tür. Im Haus lief er wütend auf und ab. Er gab ja zu, die unübersichtliche Situation ausgenutzt zu haben. Das änderte aber nichts daran, dass der Bürgermeister sich gefälligst an sein Wort zu halten hatte. Außerdem hatte er dem Propst ein beträchtliches Sümmchen zugesteckt, das er nicht umsonst geopfert haben wollte. Es sollte eine prächtige, eine angemessene Hochzeit werden, von der die Stadt noch in Jahren sprechen sollte. Und wenn der Bürgermeister sich weiter so bockig zeigen sollte, dann würde Hieronymus seine Elisabeth auch ohne dessen Einwilligung heiraten. Aber besser war natürlich mit seiner Einwilligung und seinem Geld. Das war schließlich Sache des Brautvaters und Hieronymus sah überhaupt nicht ein, warum dieser Dickschädel darum herumkommen sollte.

Wer war er denn, dass er sich vom Bürgermeister derart vorführen ließ, und das noch vor all den Leuten draußen auf dem Markt? Das konnte Hieronymus nicht auf sich sitzen lassen.

Entschlossen ging er zur Tür und riss sie auf. Die Hitze dieses Julitages schlug ihm entgegen und der Gestank aus den Rinnsalen, die durch die Gassen flossen. Aber beides nahm er nicht wahr. Er straffte seine Haltung und reckte sich zu voller Körpergröße, ballte die Hände zu Fäusten und eilte mit ausgreifenden Schritten quer über den Marktplatz hinüber zum Rathaus. Mit den Fäusten trommelte er gegen das Tor, was neuerlich einen Auflauf der Marktbesucher und Händler, Gaukler und Musikanten verursachte.

»He, Bürgermeister! Ich lass mich nicht für dumm verkaufen! Die ganze Stadt ist Zeuge, dass du mir die Hand deiner Tochter versprochen hast. Nun steh zu deinem Wort!«

Die Umstehenden stimmten ihm lautstark zu.

Er trommelte weiter mit den Fäusten an die Rathaustür, bis ein Ratsdiener verärgert öffnete. Hieronymus stieß ihn unsanft beiseite und stürmte hinein.