Cover

DAS BUCH

Die Zukunft: Ein interstellares Portal hat sich geöffnet. Angespornt von den ungeahnten Möglichkeiten, die sich damit bieten, bricht die Menschheit zu den Sternen auf und besiedelt fremde Welten. Ein wahrer Exodus zu den Tausenden von unentdeckten Planeten beginnt, und eine Siedlerwelle nach der an­deren verlässt unser Sonnensystem. Ilus ist der erste neue Planet, der mit Blut und Feuer erkämpft wird, denn mit dem Treck zu den Sternen ziehen auch Megakonzerne wie Royal Charter Energy mit, die sich die Schätze der neuen Welten unter den Nagel reißen wollen. Aber die Siedler sind nicht bereit, ihre Welt kampflos aufzugeben, und so bildet sich eine geheime Widerstandsgruppe. Ein blutiger Kampf um den Planeten scheint unvermeidlich, und so werden Kapitän James Holden und seine Crew entsandt, um das Schlimmste zu verhindern. Je länger er jedoch auf Ilus aushält, umso deutlicher wird ihm, dass diese Welt längst nicht so unbewohnt war, wie es den Anschein hatte. Und während der Konflikt eskaliert, erwachen uralte Artefakte einer vergangenen Zivilisation auf Ilus zum Leben. Einer Zivilisation, ausgelöscht von einem unvorstellbar mächtigen Gegner – der ebenfalls wieder erwacht …

THE EXPANSE

James Coreys internationale Bestsellerserie sprengt alle Maßstäbe der Science-Fiction. Die TV-Verfilmung wird bereits als beste Science-Fiction-Serie aller Zeiten gefeiert.

Erster Roman: Leviathan erwacht

Zweiter Roman: Calibans Krieg

Dritter Roman: Abaddons Tor

Vierter Roman: Cibola brennt

Fünfter Roman: Nemesis-Spiele

Sechster Roman: Babylons Asche

Siebter Roman: Persepolis erhebt sich

DIE AUTOREN

Hinter dem Pseudonym James Corey verbergen sich die beiden Autoren Daniel James Abraham und Ty Corey Franck. Beide schreiben auch unter ihrem eigenen Namen Romane und leben in New Mexico. Mit ihrer erfolgreichen gemeinsamen Science-Fiction-Serie THE EXPANSE haben sie sich weltweit in die Herzen von Lesern und Kritikern gleichermaßen geschrieben.

www.diezukunft.de

JAMES COREY

CIBOLA
BRENNT

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

CIBOLA BURN

Deutsche Übersetzung von Jürgen Langowski

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Redaktion: Ralf Dürr

Copyright © 2014 by James S. A. Corey

Copyright © 2018 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld,
unter Verwendung eines Motivs von Daniel Dociu

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN 978-3-641-15274-1
V009

www.diezukunft.de

Für Jay Lake und Elmore Leonard.

Meine Herren, es war uns ein Vergnügen.

PROLOG   Bobbie Draper

Tausend Welten, dachte Bobbie, als sich die Türen der Röhre schlossen. Nein, es waren nicht nur tausend Welten, sondern tausend Sternensysteme. Sonnen, Gasriesen, Asteroidengürtel. Genau das, was die Menschheit schon einmal in Besitz genommen hatte, nur eben tausendfach vervielfältigt. Die Bildschirme über den Sitzen auf der anderen Seite zeigten einen Newsfeed, doch die Lautsprecher waren kaputt, und die Stimme des Sprechers war zu stark verzerrt, um die Worte verstehen zu können. Das Schaubild, das neben ihm herein- und herauszoomte, verriet ihr jedoch alles, was sie wissen musste. Von den Sonden, die man durch die Tore geschickt hatte, waren neue Daten hereingekommen. In diesem Moment zeigten sie ein Bild eines unvertrauten Zentralgestirns mit eingezeichneten Kreisen für die Umlaufbahnen der neuen Planeten. Alle waren leer. Wer auch immer das Protomolekül erschaffen und vor unermesslich langer Zeit in Richtung Erde abgeschossen hatte, er war nicht mehr da. Die Erbauer der Brücke hatten der Menschheit den Weg geebnet, doch von der anderen Seite kam keine übermächtige Gottheit herüber.

Erstaunlich, wie schnell die Menschheit von »Welche unvorstellbare Intelligenz hat diese Ehrfurcht gebietenden Wunder erschaffen?« bis zu »Nun, da sie nicht mehr da sind, kann ich jetzt ihre Sachen haben?« fortgeschritten ist, dachte Bobbie.

»Verzeihung«, ließ sich die asthmatische Stimme eines Mannes vernehmen. »Sie haben nicht zufällig ein bisschen Kleingeld für einen Kriegsveteranen übrig?«

Sie wandte den Blick vom Bildschirm ab. Der Mann war schmal und hatte ein graues Gesicht, der Körper wies die Anzeichen eines Menschen auf, der unter niedriger Schwerkraft aufgewachsen war: ein langer Rumpf, ein großer Kopf. Er leckte sich über die Lippen und beugte sich vor.

»Sie sind also ein Veteran?«, fragte Bobbie. »Wo haben Sie gedient?«

»Ganymed«, erklärte der Mann nickend und bemühte sich sehr, ein wenig Haltung anzunehmen. »Ich war da, als dort alles zusammenbrach. Kaum dass ich wieder hier war, setzte mich die Regierung an die Luft. Jetzt versuche ich, genug zusammenzubekommen, um mir eine Überfahrt nach Ceres leisten zu können. Da habe ich Verwandte.«

In Bobbies Brust baute sich ein Zorn auf, den sie geflissentlich für sich behielt. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken. »Haben Sie es schon bei der Veteranenhilfe versucht? Vielleicht kann man dort etwas für Sie tun.«

»Ich brauch nur was zu essen«, entgegnete er. Es klang erheblich aggressiver als zuvor. Bobby blickte im Waggon hin und her. Normalerweise waren um diese Zeit immer einige Menschen unterwegs. Die Wohnviertel unter Aurorae Sinus waren mit Vakuumröhren verbunden und bildeten ein Teil des großen Terraforming-Projekts auf dem Mars, das schon vor Bobbies Geburt begonnen hatte und noch lange nach ihrem Tod weiterlaufen würde. Sie überlegte, wie der Bittsteller sie wahrnahm. Sie war groß gewachsen und schlank, dabei aber durchaus kräftig. Im Moment saß sie allerdings, und der Pullover war recht weit. Möglicherweise glaubte er, unter dem Stoff seien umfangreiche Fettschichten verborgen. Das war jedoch nicht der Fall.

»In welcher Einheit haben Sie gedient?«, fragte Bobbie. Er blinzelte verdutzt. Anscheinend war er davon ausgegangen, dass sie sich ein wenig vor ihm fürchtete. Nun reagierte er verunsichert, weil sie sich nicht beeindrucken ließ.

»Einheit?«

»In welcher Einheit haben Sie gedient?«

Wieder leckte er sich über die Lippen. »Ich will jetzt wirklich nicht …«

»Es ist schon komisch«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich hätte schwören können, dass ich so ziemlich jeden kenne, der sich auf Ganymed befand, als die Kämpfe ausbrachen. Wenn man so etwas erlebt, vergisst man es nie, weil man dabei eine Menge Freunde sterben sieht. Welchen Rang haben Sie bekleidet? Ich war Gunnery Sergeant.«

Das fahle Gesicht war jetzt verschlossen und kreidebleich, der Mann presste die Lippen zusammen, schob die Hände tiefer in die Hosentaschen und murmelte irgendetwas.

»Was nun?«, fuhr Bobbie fort. »Dreißig Stunden in der Woche arbeite ich bei der Veteranenhilfe und bin ziemlich sicher, dass wir einem ehrbaren Veteranen wie Ihnen ein wenig unter die Arme greifen könnten.«

Als er sich umdrehte, hielt sie ihn blitzschnell am Ellbogen fest und packte energisch zu. Vor Angst und Überraschung schnitt er eine Grimasse. Sie zog ihn an sich und erklärte es ihm mit scharfen, genau bemessenen Worten.

»Denken Sie sich eine andere Geschichte aus.«

»Ja, Madam«, antwortete er. »Ja, das mache ich.«

Der Waggon ruckte, der Bremsvorgang für den ersten Halt in Breach Candy begann. Sie ließ ihn los und stand auf, und sobald sie sich ganz aufgerichtet hatte, riss er die Augen noch ein wenig weiter auf. Ihre Vorfahren stammten aus Samoa, und so wie dieser Mann reagierten manchmal auch andere Menschen, die sie falsch eingeschätzt hatten. Gelegentlich hatte sie deshalb sogar ein schlechtes Gewissen, aber nicht heute.

Ihr Bruder lebte in einem schicken Mittelklasse-Wohnloch in Breach Candy, nicht weit von der Fachhochschule entfernt. Nachdem sie vor einer Weile auf den Mars zurückgekehrt war, hatte sie zunächst bei ihm gewohnt und versucht, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken, was allerdings mehr Zeit erfordert hatte als erwartet. Nun fand sie, sie sei ihrem Bruder etwas schuldig, und die Abendessen mit seiner Familie waren ein Teil der Wiedergutmachung.

Die Gänge von Breach Candy waren nahezu menschenleer. Sobald sie sich näherte, sprang die Werbung an den Wänden an, und die Gesichtserkennung erfasste sie und wählte die Produkte und Dienstleistungen aus, die nach Ansicht der Werbetreibenden für sie infrage kamen: Partnervermittlungen, Fitnessstudios, Schawarma-Schnellimbisse, der neue Film von Mbeki Soon, psychologische Beratung. Sie wünschte sich, es wären mehr Menschen und damit noch ein paar weitere Gesichter unterwegs, die für etwas mehr Vielfalt sorgten. Damit sie sich einreden konnte, die Werbung sei wohl doch eher für jemanden gedacht, der in der Nähe vorbeiging, und nicht für sie.

Breach Candy war lange nicht mehr so dicht bevölkert wie noch vor einiger Zeit. In den Röhrenbahnhöfen und den Gängen waren weniger Menschen unterwegs, und auch beim Veteranenhilfsprogramm dünnte der Besucherstrom aus. Auf der Universität war die Zahl der Einschreibungen um sechs Prozent zurückgegangen.

Bisher hatten die Menschen auf den neuen Welten noch keine lebensfähige Kolonie eingerichtet, doch die Daten der Sonden verrieten genug. Die Menschheit hatte die Grenzen ihrer Welt erweitert, und die Städte auf dem Mars bekamen die Konkurrenz zu spüren.

Der kräftige Duft des Gumbo, den ihre Schwägerin zubereitet hatte, drang ihr sofort in die Nase, als sie durch die Tür trat. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Ihr Bruder und ihr Neffe stritten sich so laut, dass sich ihr Bauch verkrampfte, aber die beiden waren ihre Verwandten, die sie liebte. Sie war ihnen etwas schuldig, auch wenn sie im Moment den Gedanken an eine Schawarmabude schrecklich verlockend fand.

»… nicht, was ich sage«, rief ihr Neffe. Er ging inzwischen auf die Universität, doch wenn er sich mit dem Vater stritt, hörte sie immer noch den Sechsjährigen heraus.

Ihr Bruder schmetterte eine Antwort und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, als er seine Argumente vorbrachte. Trommeln als rhetorisches Mittel. Auch ihr Vater hatte diese Angewohnheit gehabt.

»Der Mars ist mehr als nur eine Möglichkeit.« Klack. »Er ist auch nicht die zweite Wahl.« Klack. »Die Tore und das, was sich da auf der anderen Seite befindet, sind nicht unsere Heimat. Das Terraforming …«

»Ich habe doch gar nichts gegen das Terraforming«, gab ihr Neffe zurück, als sie das Wohnzimmer betrat. Die Schwägerin nickte ihr aus der Küche zu. Bobbie grüßte wortlos zurück. Das Esszimmer schloss sich direkt an das Wohnzimmer an, wo ein stumm geschalteter Newsfeed lief, der Teleaufnahmen der unbekannten Planeten zeigte, während ein adretter schwarzhäutiger Mann mit einer Drahtbrille mit sonorer Stimme Erläuterungen lieferte. »Ich will damit nur sagen, dass wir eine Menge neue Daten bekommen. Daten – nicht mehr und nicht weniger.«

Die beiden belauerten sich quer über den Tisch hinweg, als stünde ein unsichtbares Schachbrett zwischen ihnen. Ein Spiel, das ihre ganze Konzentration und Intelligenz forderte und das sie derart in Anspruch nahm, dass sie die ganze Welt rings um sich vergaßen. In gewisser Weise traf dies sogar zu. Die beiden würdigten Bobbie keines Blickes, als sie sich an ihren Platz setzte.

»Auf keinem Planeten gibt es so viele Bildungsangebote wie auf dem Mars«, beharrte ihr Bruder. »Die vielen neuen Daten spielen überhaupt keine Rolle, weil sie nichts mit dem Mars zu tun haben! Sie interessieren uns nicht! Wenn du dir Bilder von tausend anderen Tischen ansiehst, erfährst du nichts über denjenigen, an dem du sitzt.«

»Wissen ist immer gut«, erklärte ihr Neffe. »Das hast du mir selbst oft gesagt. Ich verstehe gar nicht, warum du dich jetzt so dagegen sträubst.«

»Wie läuft es denn bei dir, Bobbie?«, fragte ihre Schwägerin unvermittelt, während sie eine Schüssel auf den Tisch stellte. Reis und Paprika bildeten das Bett für den Gumbo. Die Männer machten finstere Mienen, als sie derart gestört wurden.

»Gut«, antwortete Bobbie. »Der Vertrag mit den Werften ist abgesegnet. Dadurch können wir vielen Veteranen neue Jobs verschaffen.«

»Weil sie Forschungs- und Transportschiffe bauen«, ergänzte ihr Neffe.

»David.«

»Entschuldige, Mom, aber es stimmt doch.« David wich keinen Millimeter zurück. Bobbie schaufelte sich Reis in ihre Schale. »Die Schiffe, die man ohne großen Aufwand umbauen kann, werden gerade überholt, und dann konstruieren sie neue Einheiten, um die Menschen in die Systeme hinter den Ringen zu befördern.«

Ihr Bruder übernahm den Reis und den Servierlöffel und gluckste dabei leise, um zu verdeutlichen, wie wenig er von den Ansichten seines Sohnes hielt. »Der erste echte Erkundungstrupp läuft gerade das erste System an …«

»Auf Neuterra leben bereits Menschen, Dad! Ein paar Flüchtlinge von Ganymed …« Er hielt inne und warf Bobbie einen verlegenen Blick zu. Über Ganymed sprach man nicht beim Essen.

»Das Erkundungsteam ist noch nicht einmal gelandet«, meinte ihr Bruder. »Es wird Jahre dauern, bis wir dort draußen echte Kolonien aufbauen können.«

»Es wird Generationen dauern, bis hier jemand ohne Raumanzug auf der Oberfläche herumlaufen kann. Wir haben noch nicht einmal eine verdammte Magnetosphäre!«

»Hüte deine Zunge, David!«

Ihre Schwägerin kehrte zurück. Der Gumbo war schwarz und duftete stark, auf der Oberfläche trieben Fettaugen. Wieder lief Bobby das Wasser im Mund zusammen. Die Gastgeberin stellte den Topf auf einen Untersetzer aus Schiefer und reichte Bobbie die Servierkelle.

»Wie gefällt es dir in deiner neuen Wohnung?«, fragte die Schwägerin.

»Sehr gut«, antwortete Bobbie. »Und gar nicht so teuer.«

»Ich wünschte, du lebtest nicht in Innis Shallow«, meinte ihr Bruder. »Das ist eine schreckliche Gegend.«

»Mit Tante Bobbie legt sich keiner an«, verkündete ihr Neffe. »Und wenn es einer versucht, reißt sie ihm den Kopf ab.«

Bobbie grinste. »Nein, ich sehe sie einfach nur böse an, und dann …«

Unversehens entstand im Wohnzimmer ein rotes Glühen. Der Newsfeed zeigte neue Eilmeldungen. Oben und unten liefen hellrote Laufbänder, und eine Erderin mit feisten Wangen starrte betroffen in die Kamera. Die bewegten Bilder hinter ihr zeigten Brände, dann war ein Archivfoto eines alten Kolonieschiffs zu sehen. Die schwarze Beschriftung der grellen Flammen lautete: TRAGÖDIE AUF NEUTERRA.

»Was ist da passiert?«, fragte Bobbie. »Was ist da bloß passiert?«

1   Basia

Basia Merton war früher einmal ein sanftmütiger Mann gewesen. Sicher nicht der Typ, der aus alten Schmierölfässern und Bergbausprengstoff Bomben baute.

Er rollte eine weitere Bombe aus der kleinen Werkstatt hinter dem Haus und beförderte sie zu einem der Elektrokarren, die allen Einwohnern von Erstlandung gemeinsam gehörten. Die kleine Gebäudereihe der Siedlung erstreckte sich ein Stück weit nach Norden und Süden, dahinter begann die schier unendliche Ebene. Die Taschenlampe, die er am Gürtel trug, wippte bei jedem Schritt hin und her und malte seltsam zuckende Schatten auf den staubigen Boden. Kleine fremde Tiere, die außerhalb des Lichtscheins blieben, blökten ihn an.

Die Nächte auf Ilus – den Namen »Neuterra« brachte er nicht über die Lippen – waren stockfinster. Der Planet hatte dreizehn winzige, schwach leuchtende Monde, die sich so gleichmäßig am Nachthimmel verteilten, dass jeder sie für künstliche Artefakte hielt. Woher sie auch stammten, für jemanden, der auf den planetengroßen Satelliten Jupiters aufgewachsen war, ähnelten sie eher eingefangenen Asteroiden als echten Monden. Sie waren jedenfalls nicht in der Lage, in der Nacht das Licht von Ilus’ Sonne in nennenswertem Umfang zu reflektieren. Die einheimische nächtliche Fauna bestand vor allem aus kleinen Vögeln und Eidechsen, oder vielmehr aus Tieren, die den menschlichen Siedlern wie Vögel und Eidechsen vorkamen. Den irdischen Namensvettern waren sie allerdings nicht sehr ähnlich, und die größte Gemeinsamkeit war die Tatsache, dass alle Lebensformen auf Kohlenstoff beruhten.

Grunzend vor Anstrengung hievte Basia das Fass auf die Ladefläche des Karrens. Wenige Sekunden später ertönte ein paar Schritte entfernt ein ganz ähnliches Stöhnen. Es war eine neugierige Papageiechse, die sich mit funkelnden kleinen Augen bis an die Grenze des Lichtscheins vorgewagt hatte. Wieder grunzte sie und nickte mit dem breiten ledrigen Kopf, der an einen Ochsenfrosch erinnerte. Der Luftsack unter dem Hals blähte sich auf und erschlaffte. Sie wartete einen Moment, starrte ihn an und kroch in die Dunkelheit, als er nicht reagierte.

Basia nahm Spanngurte aus einer Werkzeugkiste und sicherte die Fässer auf der Ladefläche. Wenn sie lediglich herunterfielen, würden sie nicht explodieren. Das hatte ihm jedenfalls Coop versichert. Basia war trotzdem nicht danach, die Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

»Baz«, sagte Lucia. Er errötete wie ein kleiner Junge, den man beim Stibitzen von Süßigkeiten erwischt hatte. Lucia wusste, was er tat. Er hätte sie nie anlügen können, hatte jedoch gehofft, sie werde drinnen bleiben, während er beschäftigt war. Schon ihre bloße Gegenwart warf für ihn die Frage auf, ob sein Vorhaben wirklich richtig war. Denn wenn es richtig war, gab es keinen Grund, so verlegen zu reagieren, sobald sie in der Nähe war.

»Baz«, wiederholte sie. Es war nicht drängend, es klang eher traurig und nicht zornig.

»Lucy.« Er drehte sich zu ihr um. Sie stand am Rand des Lichtkegels und hatte sich in einen weißen Übermantel gehüllt, um den schmalen Körper vor der nächtlichen Kälte zu schützen. Ihr Gesicht konnte er kaum erkennen.

»Felcia weint«, sagte sie. Es war kein Vorwurf. »Sie hat Angst um dich. Komm und sprich mit deiner Tochter.«

Basia wandte sich ab, zog den Gurt stramm über die Fässer und wich ihrem Blick aus. »Ich kann nicht. Sie kommen«, antwortete er.

»Wer denn? Wer kommt?«

»Du weißt doch, wen ich meine. Wenn wir uns nicht wehren, nehmen sie uns alles weg, was wir aufgebaut haben. Wir brauchen mehr Zeit. Auf diese Weise bekommen wir ein wenig Luft. Ohne Landeplattform müssen sie die kleinen Shuttles benutzen. Deshalb zerstören wir ihre Landeplattform. Sie müssen sie neu aufbauen. Niemand wird verletzt.«

»Wenn es ganz schlimm wird, könnten wir auch wieder weggehen«, gab sie zu bedenken.

»Nein.« Er war selbst überrascht, wie heftig er auf den Vorschlag reagierte. Er drehte sich um und machte ein paar Schritte auf sie zu, bis ihr Gesicht vom Lichtschein erfasst wurde. »Wir gehen nicht mehr weg. Wir sind von Ganymed geflohen. Wir haben Katoa zurückgelassen und sind weggelaufen. Meine Familie musste ein Jahr auf einem Schiff leben, weil niemand uns die Landeerlaubnis geben wollte. Wir laufen nicht wieder weg. Nie mehr. Sie werden mir nie wieder ein Kind wegnehmen.«

»Ich vermisse Katoa auch«, wandte Lucia ein. »Aber diese Leute haben ihn nicht getötet. Es war Krieg.«

»Es war eine verdammte geschäftliche Entscheidung. Sie haben eine geschäftliche Entscheidung getroffen und deshalb den Krieg begonnen, und dann haben sie mir meinen Sohn weggenommen.« Und ich habe es zugelassen. Er sprach den Gedanken nicht aus. Ich habe dich, Felcia und Jacek mitgenommen und Katoa zurückgelassen, weil ich ihn für tot hielt, aber er war nicht tot. Die Worte schmerzten ihn viel zu sehr, um sie auszusprechen, aber Lucia verstand genau, was er meinte.

»Es war nicht deine Schuld.«

O doch, es war meine Schuld, wollte er entgegnen. Er schluckte es hinunter.

»Diese Leute haben kein Anrecht auf Ilus.« Es kostete ihn viel Mühe, ruhig mit ihr zu sprechen. »Wir waren zuerst hier. Wir haben unser Land abgesteckt. Wir schicken die erste Ladung Lithium los, bekommen das Geld und schalten Anwälte ein, die uns zu Hause vertreten können. Wenn sich die Firmen erst einmal hier festgesetzt haben, ist es zu spät. Wir brauchen einfach nur mehr Zeit.«

»Wenn du das machst, werfen sie dich ins Gefängnis«, warnte ihn Lucia. »Tu uns das nicht an. Tu das deiner Familie nicht an.«

»Ich mache das für meine Familie«, widersprach er leise. Das war noch schlimmer als ein lautstarker Streit. Er setzte sich ans Steuer und trat auf das Gaspedal. Ruckend und mit jaulendem Motor fuhr der Karren an. Er blickte nicht zurück, er konnte es nicht ertragen, Lucia anzusehen.

»Für meine Familie«, wiederholte er.

Das Haus und die Barackenstadt, deren Standort sie vorab von der Barbapiccola aus mit den Sensoren bestimmt hatten, fielen hinter ihm zurück. Sie hatten ihr den Namen »Erstlandung« gegeben, und der Name war hängen geblieben, als sich die bloße Idee in eine reale Ansiedlung verwandelt hatte. Das Zentrum bestand aus zwei Reihen Fertigbauten, dahinter begann ein festgefahrener Weg, der als Hauptstraße diente und zum eigentlichen Landeplatz führte. Die Flüchtlinge, die Ilus kolonisiert hatten, waren in kleinen Shuttles vom Schiff heruntergekommen und hatten für die Landung nur ein wenig ebenes Gelände gebraucht. Doch die Leute von Royal Charter Energy, diese Firmenvertreter , die kraft einer UN -Charta Anspruch auf diese Welt erhoben, rückten mit schwerem Gerät an. Das große Lastenshuttle benötigte eine richtige Landeplattform. Sie war genau dort errichtet worden, wo vorher die Kolonisten gelandet waren.

Basia fand das taktlos und arrogant. Der erste Landeplatz war wichtig. Er hatte sich vorgestellt, dass dort eines Tages ein Park mit einem Denkmal entstehen würde, das an ihre Ankunft auf dem neuen Planeten erinnerte. Doch nun hatte die RCE auf ihrem Landeplatz ein riesiges funkelndes Metallungetüm gebaut. Und damit nicht genug, sie hatten sogar Kolonisten angeheuert, um das Ding zu errichten. Viel zu viele hatten es für eine gute Idee gehalten und sich darauf eingelassen.

Es fühlte sich an, als sollten sie aus den Geschichtsbüchern getilgt werden.

Scotty und Coop erwarteten ihn an der neuen Landeplattform. Scotty hockte auf der Kante der Metallfläche und ließ die Beine baumeln, rauchte Pfeife und spuckte ab und zu zwischen den Füßen auf den Boden. Neben ihm stand eine kleine elektrische Lampe, die ihn gespenstisch grün färbte. Coop hielt sich etwas abseits und blickte mit gebleckten Zähnen zum Himmel hinauf. Coop war ein Gürtler der alten Schule, dem die Therapie gegen Agoraphobie viel schwerer gefallen war als allen anderen. Der Mann mit dem schmalen Gesicht starrte die große Leere an und kämpfte gegen den Drang an, sofort Deckung zu suchen.

Basia lenkte den Karren bis dicht an die Landeplattform und sprang hinaus, um die Gurte zu lösen, mit denen die Fassbomben befestigt waren.

»Kann mir mal jemand helfen?«, fragte er. Ilus war ein großer Planet, die Schwerkraft lag ein wenig über einem G. Obwohl er sechs Monate lang Medikamente genommen hatte, die den Muskel- und Knochenaufbau unterstützten, fühlte er sich immer noch zu schwer. Schon bei dem Gedanken, die Fässer von der Ladefläche auf den Boden zu wuchten, taten ihm die Schultern weh.

Scotty rutschte von der Kante der Landeplattform herunter und ließ sich anderthalb Meter tief auf den Boden fallen. Dann strich er sich die fettigen schwarzen Haare aus den Augen und nahm einen langen Zug aus der Pfeife. Die Mischung aus Cannabis, den Scotty in der Badewanne gezogen hatte, und gefriergetrockneten Tabakblättern verbreitete einen beißenden Geruch. Coop sah sich mit unstetem Blick um und hatte Mühe, sich zu konzentrieren, dann setzte er ein schmales, grausames Lächeln auf. Der Plan war ursprünglich seine Idee gewesen.

»Hm«, machte er. »Hübsch.«

»Verguck dich nicht in die Dinger«, antwortete Basia. »Sie fliegen bald in die Luft.«

Coop machte ein ploppendes Geräusch mit den Lippen und grinste. Dann hoben sie gemeinsam die vier schweren Fässer vom Karren und bauten sie in einer Reihe neben der Landeplattform auf. Als sie fertig waren, keuchten sie vor Anstrengung. Basia lehnte sich schweigend an den Karren, während Scotty Pfeife rauchte und Coop die Sprengkapseln anbrachte. Die Zünder ruhten wie schlafende Klapperschlangen auf der Ladefläche, die roten LED s waren noch nicht erwacht.

In der Dunkelheit funkelten die Lichter der Stadt. Die Häuser, die sie gemeinsam füreinander gebaut hatten, schimmerten da drüben, als seien Sterne vom Himmel gefallen. Dahinter lagen die Ruinen. Ein lang gestrecktes, niedriges Gebäude, das die Aliens errichtet hatten. Zwei mächtige Türme ragten daraus empor wie übergroße Termitenhügel. Das ganze Gelände war von Gängen und Kammern durchzogen, die kein menschliches Gehirn ersonnen hatte. Im Tageslicht spielten gespenstische Farben auf den Flächen, als bestünde der Bau aus Perlmutt. Nachts herrschte dort tiefste Finsternis. Ein Stück dahinter befand sich die Erzgrube, nur zu erkennen an den Arbeitslampen, deren schwacher Widerschein die Bäuche der Wolken erhellte. Basia mochte die Mine nicht. Die Ruinen waren fremdartige Relikte aus der Vergangenheit des Planeten, die er wie alles, was unheimlich, aber nicht gefährlich war, nach ein paar Monaten kaum noch wahrnahm. An die Erzgruben waren dagegen große Erwartungen und viele Erinnerungen geknüpft. Er hatte sein halbes Leben in Tunneln aus Eis verbracht, und die neuen Tunnel, die sich nun durch das fremde Erdreich zogen, hatten den falschen Geruch.

Coop stieß einen unwirschen Laut aus und wedelte fluchend mit der Hand. Da nichts in die Luft geflogen war, konnte es nicht so schlimm sein.

»Glaubt ihr, sie bezahlen uns, damit wir das Ding wieder herrichten?«, fragte Scotty.

Basia fluchte und spuckte aus.

»Wir müssten das hier gar nicht tun, wenn die Leute nicht so scharf darauf wären, der RCE an den Titten zu lutschen.« Er rollte das letzte Fass an die richtige Stelle. »Ohne die Plattform können sie nicht landen. Wir hätten sie gar nicht erst bauen dürfen.«

Scotty lachte und stieß dabei eine Rauchwolke aus. »Die kommen so oder so, da können wir auch gleich ihr Geld nehmen. So sehen es die Leute.«

»Die Leute sind Idioten«, behauptete Basia.

Scotty nickte, verscheuchte mit einer Hand eine Papageiechse vom Beifahrersitz und ließ sich nieder, stemmte die Füße gegen das Armaturenbrett und zog an der Pfeife. »Wir müssen weit weg sein, wenn die Bomben zünden. Der Sprengstoff knallt ganz schön laut.«

»He, Mann«, rief Coop. »Wir sind so weit. Lasst uns die Bomben legen, ja?«

Scotty stand auf und marschierte in Richtung Landeplattform. Basia hielt ihn auf, zog ihm die Pfeife aus dem Mund und legte sie auf das Führerhaus des Karrens.

»Sprengstoff«, erklärte Basia. »Das Zeug ist explosiv.«

Scotty zuckte mit den Achseln und schnitt eine wehmütige Grimasse. Coop hatte schon das erste Fass auf die Seite gekippt, als sie ihn erreichten. »Das hier ist buena Arbeit. Solide konstruiert.«

»Danke«, antwortete Basia.

Coop legte sich mit dem Rücken auf den Boden, Basia legte sich neben ihn, und Scotty rollte das erste Fass zwischen die beiden Männer.

Gemeinsam bugsierten sie der Reihe nach die vier Fässer unter die Landeplattform in das Gewirr der Streben und Stützen, aktivierten die Fernzünder und synchronisierten sie. Als ein Elektromotor surrte, wurde Basia wütend, weil Scotty anscheinend mit dem Karren weggefahren war, doch dann wurde ihm bewusst, dass in Wirklichkeit ein weiterer Karren eingetroffen war.

»He.« Es war Pete.

»Que la merde hat der Dreckskerl hier zu suchen?«, murmelte Coop und wischte sich mit dem Handrücken die Stirn ab.

»Soll ich nachsehen, was er will?«, bot Scotty an.

»Basia«, entschied Coop. »Sieh du mal nach, was Pete hier treibt. Scotty hat sich noch nicht mal den Rücken dreckig gemacht.«

Basia rutschte hinaus und machte Scotty und der letzten der vier Bomben Platz. Petes Karren stand neben seinem eigenen, Pete selbst trat zwischen den Fahrzeugen von einem Bein auf das andere, als müsste er dringend pinkeln. Basia taten der Rücken und die Arme weh. Er wollte es endlich hinter sich bringen und möglichst bald zu Lucia, Felcia und Jacek nach Hause zurückkehren.

»Was ist?«, fragte Basia.

»Sie kommen.« Pete flüsterte, als lauerte ein Lauscher in der Nähe.

»Wer kommt?«

»Alle. Der vorläufige Gouverneur. Die Wachleute der Firma. Wissenschaftler und Techniker. Einfach alle. Jetzt wird es Ernst. Sie schleppen eine regelrechte Regierung für uns an.«

Basia zuckte mit den Achseln. »Das ist nichts Neues. Sie sind schon vor achtzehn Monaten gestartet. Genau deshalb sind wir doch hier.«

»Nein«, widersprach Pete. Er zappelte immer noch herum und blickte zu den Sternen hoch. »Sie kommen jetzt . Die Edward Israel hat vor einer halben Stunde mit dem Bremsschub begonnen und eine hohe Umlaufbahn eingeschlagen.«

Der kupferne Geschmack der Angst erfüllte Basias Mund. Auch er starrte in die Finsternis empor. Eine Milliarde unbekannte Sterne, anscheinend ein und dieselbe Milchstraße, wie alle glaubten, aber aus einem ganz anderen Blickwinkel. Hektisch hielt er hier und dort Ausschau, dann erfasste er die Bewegung. Sie war fast unmerklich, vergleichbar mit dem Minutenzeiger einer analogen Uhr, aber er sah sie. Die Landeeinheit war unterwegs, das Lastenshuttle steuerte die Landeplattform an.

»Ich wollte über Funk Bescheid geben, aber Coop meinte, sie überwachen die Frequenzen …«, setzte Pete an. Basia rannte schon zur Landeplattform zurück. Scotty und Coop krochen gerade wieder heraus, Coop klopfte sich grinsend den Staub von den Hosen.

»Wir haben ein Problem«, verkündete Basia. »Das Shuttle landet jetzt. Anscheinend sind sie sogar schon in die Atmosphäre eingetaucht.«

Coop blickte nach oben. Der helle Schein der Taschenlampe warf tiefe Schatten über die Wangen und die Augenhöhlen.

»Oh«, machte er.

»Ich dachte, du hast aufgepasst, Mann. Ich dachte, du achtest darauf, wo sie sind.«

Coop zuckte unverbindlich mit den Achseln.

»Wir müssen die Bomben rausholen«, verlangte Basia. Scotty kniete bereits nieder, doch Coop legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Warum denn?«, fragte er.

»Wenn sie jetzt landen, könnte alles in die Luft fliegen«, meinte Basia.

Coop lächelte milde. »Kann sein«, räumte er ein. »Und wenn schon?«

Basia ballte die Hände zu Fäusten. »Sie kommen in diesem Moment runter.«

»Das sehe ich«, antwortete Coop. »Für mich ändert das nichts. Und wie du es auch drehst und wendest, wir haben nicht mehr genug Zeit, um die Bomben herauszuholen.«

»Wir könnten wenigstens die Sprengkapseln und die Zünder entfernen«, drängte Basia. Er bückte sich und ließ den Strahl der Taschenlampe über die Streben der Landeplattform wandern.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, meinte Coop. »Die Frage ist, ob wir es tun sollten, und darüber denke ich gar nicht erst nach.«

»Coop?«, wandte Scotty zaghaft ein. Coop hörte nicht auf ihn.

»Kommt mir vor wie eine günstige Gelegenheit«, fuhr Coop fort.

»In dem Shuttle sitzen Menschen.« Basia kroch unter die Landeplattform. Die Elektronik der ersten Bombe hatte sich ins Erdreich gedrückt. Er stemmte die schmerzende Schulter gegen die Bombe und schob.

»Dazu haben wir nicht genug Zeit, mein Freund«, rief Coop.

»Vielleicht doch, wenn du deinen Arsch hierher bewegst«, rief Basia zurück. Die Sprengkapsel klebte wie eine Zecke auf dem Fass. Basia versuchte, die Finger in den Klebstoff zu pressen und die Kapsel abzureißen.

»Oh, verdammt«, sagte Scotty beinahe andächtig. »Oh, verdammt, Baz!«

Die Kapsel löste sich, Basia schob sie sich in die Tasche und kroch zur nächsten Bombe.

»Keine Zeit«, rief Coop. »Wir sollten uns lieber verdrücken und das Ding in die Luft jagen, solange sie noch hochziehen können.«

Pete brachte sich unterdessen in Sicherheit und fuhr mit seinem Karren weg. Gleichzeitig hörte Basia ein zweites Geräusch, das dumpfe Dröhnen eines mächtigen Triebwerks im Bremsschub. Verzweifelt betrachtete er ein letztes Mal die drei restlichen Bomben und robbte unter der Landeplattform hervor ins Freie. Das Shuttle hob sich inzwischen deutlich vom Nachthimmel ab, er konnte sogar schon die einzelnen Schubdüsen erkennen.

Er würde es nicht schaffen.

»Lauft!«, rief er und rannte zusammen mit Scotty und Coop zum Karren. Das Dröhnen wurde schmerzhaft laut. Basia erreichte den Wagen und schnappte sich den Zünder. Wenn er früh genug auslösen konnte, startete das Shuttle vielleicht durch und entkam unbeschädigt.

»Nicht!«, rief Coop. »Wir sind zu nahe!«

Basia knallte die Handfläche auf den Zündknopf.

Die Erde bockte unter ihnen, er bekam einen harten Schlag ins Kreuz, Erde und Steine schürften ihm über Hände und Wangen, als er stürzte und rutschte. Die Schmerzen spürte er jedoch kaum. Vielleicht war es der Schock, doch auch der schien weit entfernt und kaum bemerkenswert. Vor allem fiel ihm auf, wie still alles war. Kein Geräusch erreichte ihn mehr. Nur den eigenen Atem und den Herzschlag vernahm er noch. Alles andere war fast unhörbar leise geworden.

Er drehte sich auf den Rücken und blickte zum nächtlichen Firmament empor. Das schwere Shuttle flog über ihm mit einem langen Feuerschweif vorbei, die Maschinen gaben kein dumpfes Dröh nen mehr von sich, sondern das Kreischen eines verwundeten Tiers. Den Lärm spürte er mehr im Bauch, als dass er ihn hörte. Vielleicht war das Shuttle zu nahe oder die Sprengung zu mächtig gewesen, womöglich hatten ein paar Trümmer eine ausgesprochen unglückliche Flugbahn eingeschlagen. Man konnte es nicht wissen. Irgendwie erkannte Basia sofort, dass es übel ausgehen würde, aber es fiel ihm schwer, sich auf die Ereignisse zu konzentrieren.

Das Shuttle verschwand aus seinem Sichtfeld und entließ den schrillen Todesschrei über dem Tal. Bei ihm kam nur ein schwaches hohes Pfeifen an, dann herrschte schlagartig Stille. Scotty saß neben ihm auf dem Boden und starrte in die Richtung, in die das Schiff verschwunden war. Basia ließ sich wieder auf den Rücken sinken.

Als die grellen Funken, die das Shuttle hinterlassen hatte, verglüht waren, kehrten die Sterne zurück. Basia betrachtete sie lange und fragte sich, welcher davon Sol sein mochte. So weit weg. Aber dank der Tore auch sehr nahe. Er hatte das Shuttle der Neuankömmlinge abgeschossen. Jetzt mussten sie mit aller Macht eingreifen, sie hatten keine Wahl.

Auf einmal schüttelte ihn ein heftiges Husten. Es fühlte sich an, als wäre eine Flüssigkeit in die Lungen eingedrungen. Der Anfall hielt mehrere Minuten an, und nach dem Husten kamen die Schmerzen, die ihn vom Kopf bis zu den Füßen durchzuckten.

Mit den Schmerzen kam die Angst.