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Gerhard Vohs

Mütter sind auch
Schwiegermütter

Mein Leben war in Butter,
dann kam die Schwiegermutter

Eine ironisch-humorvolle
Geschichte über Schwiegermütter

Foto Umschlagseite: Gerhard Vohs
Fotos Innenteil: siehe Bildernachweis
Seite 157/158

Inhaltsverzeichnis:

1.Sie sind wie Klärgruben, außen Beton, innen scheiße

2.Ich hab gerade Zeit, wo gibt es nichts zu tun

3.Sie sind keine Engel mit Flügeln, aber dafür Miststücke mit Charakter

4.Schwiegermütter sind wie Tierfreunde, machen ständig einen zur Sau

5.Du hasst mich? Heftig, wie kann das nur angehen

6.Ich hatte das Gefühl, von einer höheren Macht verarscht zu werden

7.Schwager mit klebrigen Fingern, ein Spezialist für Eigentumsübertragung

8.Besuch des Ackervernichtungsboten

9.Abschied ist ein schweres Schaf

10.Muss man für eine freche Klappe einen Waffenschein haben?

11.Muttiwohner

12.Mamikinder

13.Gratifikationsdefizit oder Undank ist der Welt Lohn

14.Einen Blumenkohl ans Ohr labern

15.Der Raubtierkapitalismus hat Tollwut bekommen

Mütter sind auch Schwiegermütter

1. Sie sind wie Klärgruben, außen Beton, innen scheiße

Unter dem Begriff Schwiegermutter, auch bekannt unter den Namen Drache, Monster oder Streitaxt, versteht man ein blutrünstiges, fieses Geschöpf, das seine Opfer gerne durch besonders schöne Töchter anlockt, die perfekt aussehen, verführerisch lächeln; zum Zerreißen gespannte Blusen tragen, sich in tiefergelegte Hosen zwängen und ganz besonders auf ihre Figur achten.

Während der Mann keine Angst vor dem Dicker werden hat, sich selbstbewusst mit dem Bier in die Hand vor den Spiegel stellt, hineinblickt, seinen unförmigen Bauch sieht, kräftig draufschlägt und sagt: »Joa, des sieht ja mal gesund aus!«, schämt sich die Frau, wenn die Waage ihr mal wieder vorlügt, sie sei zu dick, obwohl die Waage gar keine Dicke messen kann. Das Gewicht ist und wird immer der Hauptfeind vieler Frauen sein, die ihr ganzes Leben lang dagegen kämpfen. Sie sind der Meinung, sie würden sonst keinen Kerl abkriegen, der ihnen den Einkaufwagen schiebt oder die Einkauftaschen trägt.

Männer sind, ähnlich den Frauen, zweibeinige Wesen. Den modernen Mann erkennt man an den verschiedensten Merkmalen. So sind sie unglaublich gute Zuhörer und haben ein ausgeprägt gutes schauspielerisches Talent. Ihr Interesse an Problemen, Wünschen und Meinungen sind so groß, dass sie sich die Geschichten ihrer Frau/Partnerin immer und immer wieder von neuem erzählen lassen und so tun, als wenn sie es zum ersten Mal hören würden, nur damit sich die Liebste interessant fühlt.

Hat man dann endlich das Herz der Angebeteten im Sturm erobert, eine Traumfrau mit dunklen Haaren, schönen vollen Kusslippen, glatter Haut, Sanduhrfigur und einem IQ über fünfzig gefunden, die dem eigenen Idealbild entspricht, stürzt man sich gerne in die Höhle des Löwen und befindet sich ebenso schnell auch in den Klauen der »Schwiegermutter«. Hier ist man eigentlich verloren, wenn man nicht den Ehrgeiz hat zu kämpfen.

Es kommt dann der Tag des persönlichen Zusammentreffens, ein erstes Gespräch zwischen seiner königlich hoheitlichen Durchlaucht und dem Kammerdiener. Hier geht es zunächst nicht um irgendwelche Demütigungen, sondern erst mal um die Erfassung des Lebensstils, der Wohn-, Kleidung-, Sprach- und Freizeitpräferenzen; mit welchen Attributen man sich von anderen abgrenzt oder sich mit anderen verbindet.

Selbstverständlich wird die Schwiegermutter bei diesem ersten gemeinsamen Date bemerken, dass man zittert wie auf drei Jahre Heroin-Entzug, weil man sich am Abend zuvor mit seinen Freunden das Gehirn weggesoffen hatte. Aber das macht gar nichts, sie wird volles Verständnis dafür haben und denken, es wäre der Respekt ihr gegenüber. Schon eine kleine Dosis davon macht viele Menschen relativ frei und befähigt sie dazu, sich gewürdigt und geachtet zu fühlen. Menschen, die an Selbstüberschätzung erkranken, benehmen sich ihrem Selbstempfinden nach besonders würdevoll und verlangen überdurchschnittlich viel Respekt. Ansonsten eignet sich Respekt auch hervorragend, um mit den Füßen getreten zu werden.

Man kann es auch damit begründen, dass das besagte Zittern damit zusammenhängt, dass man sich in dieser heruntergekommenen versifften Drecksgegend unwohl fühlt und befürchtet, dass jeden Moment ein Junkie aus dem Gebüsch gestürmt kommt und einem ein Messer in den Rücken jagt. Oder weil das Zittern durch die Schüchternheit hervorgerufen wird, was zusammen mit Schweißausbrüchen auftritt, mit konsequentem Wegschauen und mit mindestens um eine Minute verspäteten Antworten auf diverse Fragen verursacht wird. Ob derartige Aussagen wirkungsvoll erscheinen, sei erst mal dahingestellt.

Eigentlich ist es egal, ob man in einer sogenannten wilden Ehe, also in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt oder ob die Dame des Herzens zur Ehefrau wird und anfängt Ringe zu sammeln, an den Fingern, um die Hüften und unter den Augen. Wichtig ist nur, dass man eine Schwiegermutter in der Nähe hat, die segenreich wie ein Fliegerangriff ist

Ihre zu verrichtenden Aufgaben sind mannigfaltig gestaltet, die sie am besten erfüllen kann, wenn sie in der Nähe des zu überwachenden Ehepaares wohnt. Noch besser ist es, direkt im Haus oder in der Wohnung ihres Kindes und dessen Partner zu leben, so kann eine totale Kontrolle der Lebensgewohnheiten gewährleistet werden.

Hier wird dann durch eine zielgerichtete, aufmerksame Beobachtung ein umfassendes Protokoll erstellt, über das, was alles komplett falsch gemacht wird. Ein Erfahrungsschatz, der das zukünftige Leben prägen wird, voller Ermahnungen und Erregungen, Moralpredigten und Gemütsbewegungen, Sticheleien und Anregungen. Selbst beim Schreiben muss man verdammt aufpassen, denn man steht auf der schwarzen Liste und wird bespitzelt. Möglicherweise wird die Schwiegermutter noch einen dieser neuen Trojaner auf der Festplatte installieren, damit alle Daten an sie weitergeleitet werden. Ein Moment, in dem man stark sein muss, um sich nicht einschüchtern zu lassen.

Derartige Verfahren werden noch heute zur gezielten Überwachung von potenziellen Terroristen angewandt, um für ein unverzichtbares allgemeines Wohlbefinden zu sorgen. Es ist wie die Videoüberwachung bei Big Brother, die weniger aus Sicherheitsgründen, sondern vielmehr zur Belustigung diente. Wie die Zensur, die fachfrauliche Beurteilung, das Ausstellen eines Arbeitszeugnisses für das Deputatgesinde durch die Schwiegermutter:

Er hat leider die an ihm gestellten Aufgaben gar nicht oder widerwillig erfüllt. Sein Einsatz als Chauffeur, um mich vom Kegeln abzuholen, war selten von Erfolg gekrönt. Er blieb meistens wegen Kraftstoffmangel auf der Autobahn liegen und musste durch den ADAC abgeschleppt werden.

Auch die Pflege und Wartungsarbeiten an meinem Pkw, wofür er verantwortlich war, wollte er einfach nicht erledigen, weil er durch Aufgabe des Tabakkonsums erheblich an Körpergewicht zugenommen hatte und nicht mehr unter das Fahrzeug passte.

Die Aufgabe des Rauchens wirkte sich auch äußerst negativ auf seine Gemütsverfassung aus. So wurden Gespräche mit mir nur noch unter Einsatz von Bier und Schnaps geführt.

Dies war aber noch nicht genug. Als er eines Tages auf dem Heimweg mich auf der Straße sah, hielt er an, winkte mich durch die geöffnete Seitenscheibe heran und klemmte durch das elektrische Hochfahren der Scheibe meine Arme und mein Kopf ein. Dann fuhr er los und schleifte mich bis zur Bewusstlosigkeit hinter sich her.

Ansonsten gehorchte er meiner Tochter, machte seine Aufgaben stets ausführlich, sodass man ihn beim Denken einzelner Buchstaben beobachten konnte. Immer wieder wurden seine Fähigkeiten gefördert, durfte alleine einkaufen, kochen, putzen, aber es nützte nichts. Er hatte seine Ziele zwar sehr hoch gesteckt, aber nie erreicht. Lieber Schwiegersohn, ich wünsche dir viel Erfolg auf deinem weiteren Lebensweg und bin froh, dass du weg bist.

So sind Schwiegermütter. Zu ihrem Aufgabengebiet gehört an erster Stelle die Aufsicht und Herabwürdigung des mit ihrer Tochter zusammenlebenden Schwiegerkindes. Sie muss dafür sorgen, dass ihr leibliches Kind in der Ehe oder Partnerschaft den Ton angibt und dass das Schwiegerkind nicht zu mächtig und eigenständig wird; dass es im Laufe der Zeit willenlos wird, jedes Gefühl des Zwangs erfolgreich verdrängt und den Eindruck erhält, freiwillig seinen zugewiesenen Verpflichtungen nachzugehen.

Ihren Hass auf den eigenen Ehemann projiziert die Schwiegermutter auf den unterwürfigen Schwiegersohn und demütigt diesen bei jeder Gelegenheit. Die Attacken sind so vielfältig und verschieden, dass man sie nicht alle beschreiben kann. Immer wieder wird sie versuchen, den armen Mann bei seiner männlichen Ehre zu packen und ihm immer wieder vorzuwerfen, dass er nicht gut genug für ihre Tochter sei.

Sprüche wie: »Schau dir mal die faule Sau an, sitzt da kaputt rum, nur weil er acht Stunden lang aufm Bau Zementsäcke geschleppt hat. Früher war alles besser, da gab es noch richtige Männer, da herrschte noch Recht und Ordnung. Und wie er wieder aussieht, ungepflegt und die kaputte Hose, oh Gott ne, zu meiner Zeit gab es das alles nicht.«

Hallo! Schon mal was von Mode gehört, von Designern entwickelte Produkte wie das Haargel mit Wet-Look-Effekt und die industriell zerfetzte und verschmutzte Jeans mit Pseudoflicken?

»Und die verwahrlosten Stoppeln im Gesicht«, wird dann weiter fortgefahren. »Früher sahen Drei-Tage-Bärte noch wie Drei-Tage-Bärte aus, doch die verweichlichten Mannsbilder müssen heute mindestens zehn Tage schon warten, bis ihr zarter Bartflaum auch nur annähernd so aussieht wie früher ein Drei-Tage-Bart.«

Ja, Schwiegermutter, früher! Früher saßen wir in Autos ohne Kindersitz, ohne Sicherheitsgurt und ohne Airbag. Unsere Bettchen waren mit Farben voller Blei und Cadmium angestrichen. Auch die bunten Holzbauklötze, die wir in den Mund nahmen, waren nicht anders.

Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel. Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung unserer Fingerchen.

Wenn wir zu faul zum Laufen waren, setzten wir uns hinten auf das Fahrrad unseres Freundes – natürlich ohne Helm. Wasser tranken wir aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen. Ein Kaugummi legte man am Abend auf den Nachttisch und am nächsten Morgen wieder in den Mund; wir aßen ungesundes Zeug, keiner scherte sich um Kalorien und wir wurden trotzdem nicht dick.

Frühmorgens verließen wir das Haus und kamen erst wieder, wenn die Straßenbeleuchtung bereits eingeschaltet war. In der Zwischenzeit wusste niemand, wo wir waren, und keiner hatte ein Handy dabei. Keiner brachte uns, keiner holte uns; wir bauten Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten; spielten Straßenfußball und nur wer gut war, durfte mitspielen. Die anderen mussten zusehen und lernen mit Enttäuschungen umzugehen, ohne Kinderpsychiater.

Auch wir tranken Alkohol und wurden nicht alkoholsüchtig; tranken aus der gleichen Flasche wie unsere Freunde und keiner machte Theater oder wurde gleich krank. Das Fernsehprogramm begann um 18.00 und die Eltern bestimmten, was und wie lange TV geglotzt wurde.

Wir hatten nichts, aber wir hatten Freunde; hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung, mit denen wir umgehen mussten und wir konnten damit umgehen.

Ja, früher. Eine Floskel, die immer wieder von Älteren benutzt wird, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Eine mythische Zeit, während der die Welt noch in Ordnung war.

Doch als die Jahre des 20. Jahrhunderts sich entwickelten und sich dann auf der ganzen Welt in das 21. Jahrhundert ausbreiteten, wurde diese Veränderung bei vielen Menschen, die zur Zeit der Weltwirtschaftskrise geboren wurden, nicht bemerkt.