Geschichte der Malerei

 

Richard Muther

 

 

 

 

 

Inhalt:

 

Richard Muther – Biografie und Bibliografie

 

Geschichte der Malerei

 

Vorwort

 

Band 1

 

I. Das Mittelalter

 

1. Der Mosaikstil

2. Die Tafelmalerei unter dem Zeichen der Mystik.

3. Die Begründung des epischen Stils durch Giotto.

4. Die Freskomalerei des späteren Trecento.

 

II. Die Nachblüte des mittelalterlichen Stils im Quattrocento.

 

5. Der Kampf des alten mit dem neuen Zeitgeist.

6. Byzantinismus und Mystik.

7. Das Ende des Monumentalstils

 

III. Natur und Antike

 

8. Die ersten Realisten

9. Sturm und Drang in Florenz.

10. Piero della Francesca.

11. Wetterleuchten.

12. Mantegna.

13. Mantegnas Nachfolger.

14. Hugo van der Goes.

15. Das Zeitalter des Lorenzo Magnifico.

 

Band 2

 

I. Die kirchliche Reaktion.

 

1. Savonarola

2. Piero di Cosimo

3. Botticelli

4. Filippinu Lippi

5. Die religiöse Säkularstimmung

6. Crivelli

7. Perugino

8. Bellini

9. Memling

10. Leonardo

 

II. Die germanische Malerei des Reformationszeitalters.

 

11. Der Anschluß an Italien

12. Die Niederländer

13. Die Kölner

14. Dürer

15. Franken und Bayern

16. Elsaß und Schwaben

17. Holbein

 

Band 3

 

I. Der Triumph der Sinnlichkeit in Italien.

 

1. Der Einfluß Leonardos

2. Leonardos Nachfolger

3. Giorgione

4. Correggio

 

II. Das Majestätische und Titanische.

 

5. Der Schönheitsbegriff des Cinquecento

6. Tizian

7. Tizians Zeitgenossen

8. Michelangelo

9. Der Sieg des Formalen

 

III. Die Vereinigung der Stile.

 

10. Rafael

11. Das Ende der Renaissance in Italien

12. Roma caput mundi.

 

IV. Venedigs und Spaniens Kampf gegen Rom.

 

13. Lorenzo Lotto

14. Tintoretto

15. Die Spanier

 

Band 4

 

I. Italien.

 

1. Der Geist der Gegenreformation

2. Die kirchliche Malerei

3. Das Sittenbild

4. Die Landschaft

 

II. Spanien.

 

5. Ribera und Zurbaran

6. Velasquez

7. Murillo

 

III. Flandern.

 

8. Rubens

9. Rubens' Zeitgenossen

10. Van Dyck

 

IV. Holland.

 

11. Die ersten Porträtisten

12. Frans Hals

13. Hals' Zeitgenossen

14. Rembrandt

 

Band 5

 

I. Das Ende der holländischen Malerei.

 

1. Die Genremaler

2. Die Landschafter

3. Hofluft

 

II. Die aristokratische Kunst Frankreichs.

 

4. Das Zeitalter Ludwigs XIV

5. Der Geist des Rokoko

6. Watteau

7. Watteaus Nachfolger

8. Boucher

9. Die Frivolen

10. Das bürgerliche und antike Schäferspiel

 

III. Der Sieg des Bürgertums.

 

11. England

12. Die Aufklärung

13. Das Sterben in Schönheit

14. Revolution und Empire

15. Der Klassicismus in Deutschland

 

 

Geschichte der Malerei, Richard Muther

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

 

ISBN: 9783849618377

 

www.jazzybee-verlag.de

admin@jazzybee-verlag.de

 


 




Richard Muther – Biografie und Bibliografie

 

Deutscher Kunstgelehrter, geb. 25. Febr. 1860 in Ohrdruf, verstorben am 28. Juni 1909 in Wölfelsgrund/Schlesien. Studierte seit 1877 in Heidelberg und Leipzig Philosophie, Archäologie und Kunstgeschichte, wurde in Leipzig 1881 zum Doktor promoviert auf Grund der Schrift »Anton Graff, der Porträtmaler unsrer Klassiker« (Leipz. 1881) und habilitierte sich als Privatdozent der Kunstgeschichte an der Universität München. Dort wandte er sich anfangs dem Studium der Bücherillustration zu, als dessen Früchte erschienen: »Die ältesten deutschen Bilderbibeln« (Münch. 1883); »Die deutsche Bücherillustration der Gotik und Frührenaissance« (das. 1884) und die mit G. Hirth herausgegebene Sammlung der »Meisterholzschnitte aus vier Jahrhunderten« (das. 1888–93). Ferner gab er mit Hirth einen »Cicerone durch die Münchener Pinakothek« (5. Aufl., Münch. 1898) und einen »Cicerone durch die Berliner Gemäldegalerie« (das. 1889) heraus. 1894 wurde er als außerordentlicher Professor der Kunstgeschichte an die Universität Breslau berufen und ein Jahr später zum ordentlichen Professor ernannt. Im weitern Kreise machte er sich durch eine »Geschichte der Malerei im 19. Jahrhundert« (Münch. 1893–94, 3 Bde.; engl. Übersetzung, Lond. 1896) bekannt, in der er mit Entschiedenheit für die Bestrebungen des modernen Naturalismus, des Neuidealismus und verwandter Richtungen eintrat. Von seinen übrigen Schriften sind zu nennen: »Geschichte der Malerei« (in der Sammlung Göschen, 5 Bändchen, Leipz. 1899–1902); »Studien und Kritiken« (Wien 1901–02, 2 Bde.); »Ein Jahrhundert französischer Malerei« (Berl. 1901); »Geschichte der englischen Malerei« (das. 1903); »Die belgische Malerei im 19. Jahrhundert« (das. 1904); »Rembrandt, ein Künstlerleben« (das. 1904). Seit 1902 gibt er eine Sammlung von Monographien unter dem Titel »Die Kunst« (Berlin) heraus, in der er bisher die Biographien von L. Cranach, Leonardo da Vinci, J. F. Millet, Velazquez, Goya und die Renaissance der Antike veröffentlichte.

Geschichte der Malerei

 

Vorwort

 

Um einen "Leitfaden" handelt es sich bei diesen Bändchen nicht. Künstlerbiographien und Bilderbeschreibungen werden nicht gegeben. Der geneigte Leser kann dieses thatsächliche Material in so vielen vortrefflichen Werken finden, daß es mir unnötig schien, es nochmals auszubreiten. Dafür wurde versucht, den "Stil" der verschiedenen Epochen aus der Zeitpsychologie, die Kunstwerke als "menschliche Dokumente" zu deuten. Daß viele Fragen nur gestreift, nicht erschöpft werden konnten, hängt mit dem vorgeschriebenen Umfang des kleinen Buches zusammen. Ein größeres Werk, das fast vollendet in meinem Schreibtisch liegt, enthält, was der Kundige hier vermissen wird.

 

Muther.

 

 

Band 1

I. Das Mittelalter

 

1. Der Mosaikstil

 

Vielleicht könnte man die Geschichte der christlichen Malerei als eine große Auseinandersetzung mit dem Hellenentum auffassen. Als die antike Welt zusammenbrach, endete die raffinierteste Civilisation, die je die Erde gesehen. In seiner übersinnlichen Tendenz, seiner Verleugnung des Irdischen legte das Christentum der Kunst fast unübersteigliche Hindernisse entgegen. Der große Pan war tot. Bei den Griechen ein froher Sinnenkult, der die Menschen lehrte, hinieden sich auszuleben. Jetzt eine Religion des Jenseits, die das Erdendasein nur als trübe Vorbereitung auf ein außerirdisches Leben betrachtete. Wohl kam noch immer der Frühling. Die Menschen liebten und die Blumen blühten, die Vögel sangen und die Wiesen grünten. Doch das alles war Blendwerk der Hölle, bestimmt, den Gläubigen zu umgarnen, seinen Geist mit sündigen Gedanken zu erfüllen. Im Jenseits war seine Heimat, die ganze Welt nur Golgatha, die Schädelstätte, wo der Gekreuzigte hing. Durch diesen asketischen Zug, der die Sinnlichkeit verfemte, die freudige Hingabe an die Natur, den Genuß des Diesseits ächtete, unterband das Christentum eine Hauptader künstlerischen Schaffens. Nur nach einer andern Seite ließ es den Weg offen. "Es hatte das Psychische vertieft, hatte Schätze von Güte und Liebe, von Demut und Entsagung erschlossen, die das Griechentum noch nicht gehoben. Nach dieser Seite mußte, wenn überhaupt eine Kunst erstehen sollte, die Entwicklung gehen. War die griechische eine sinnliche, körperliche Kunst, so mußte die christliche eine psychische, spirituelle werden. Hatte jene in der idealen Vollendung der Form, des Körperlichen, ihr Ziel gesucht, mußte die christliche das ihre in der Apotheose der Seele finden."

 

Die Malerei näherte sich, wenn auch auf Umwegen, diesem Ziele.

 

Die erste Reaktion gegen das Hellenentum war die, daß die Kunst überhaupt verboten wurde. "Verflucht seien alle, die Bilder machen", heißt es in den Schriften der Kirchenväter. Erst als das Christentum in Verbindung mit anderen Kulturen, als es nach Rom gekommen war, verlor es seinen kunstfeindlichen Charakter. Aber da diese Künstler Römer waren, ist zugleich erklärlich, weshalb es bei den ersten Werken viel weniger um Christliches als um Antikes sich handelt. Es ist Sache des Theologen, zu schildern, wie die Malerei als Zeichensprache, als Symbolismus begann, wie alle jene Sinnbilder sich erklären – das Kreuz, der Fisch, das Lamm, die Taube, der Phönix –, die als Hieroglyphenschrift die Geschichte der christlichen Kunst eröffnen. Der Archäolog hat darzuthun, wie in den Bildern der Katakomben, obwohl sie neuem Geiste Ausdruck geben, doch ohne Scheu die Formen der Antike verwendet werden. Sie sind freundlich und hell, diese Wandgemälde, die den widdertragenden Hermes, den leierspielenden Orpheus oder andere dem Heidentum entlehnte Formeln nun in christlicher Umdeutung vorführen. Die ganze Behandlung ist heiter dekorativ wie in den Wandbildern von Pompeji. Doch diese Uebereinstimmung beweist auch, daß die Katakombenkunst in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft weist, ein Ende, keinen Anfang bedeutet.

 

Erst als seit dem Uebertritt Konstantins die ersten Kirchen entstanden, als das Christentum keine Sekte mehr war, sondern als herrschende Staatsreligion repräsentieren mußte, entwickelte sich eine christliche Kunst. Das Symbolische, der Antike Entlehnte tritt zurück, und der christliche Typenkreis erhält seine Ausprägung. In den Mosaiken spiegelt diese Entwicklung sich wider. Auch sie knüpfen technisch an ein Verfahren an, das die alten Römer schon kannten. Aber der Geist, der in ihnen waltet, ist neu. Die ganze ungeheure Kraft der Kirche in der ersten Zeit ihrer Anerkennung kommt in diesen Werken zum Ausdruck. "Wie einst in den Tempeln des Hellenentums die goldstrotzenden Statuen des Zeus und der Pallas prangten, so blickten nun von den Wölbungen der Basiliken die Bilder Jesu und seines Hofstaates in machtvoller Erhabenheit hernieder." Feierliche Ruhe ist allen Gestalten eigen. Regungslos wie Bildsäulen sind sie aufgepflanzt, in einfacher Symmetrie nebeneinander thronend. Verschwunden ist das spielende Rankenwerk, das Tändelnde, antik Heitere, das in der Katakombenkunst herrschte. Alles ist hoheitvoll, ernst, imponierend, von majestätischem Glanz wie von goldenem Himmelslicht umleuchtet. Die Mosaikmalerei hat die Heroen des christlichen Glaubens machtvoll, wie für die Ewigkeit hingestellt, in einer Feierlichkeit und Wucht, die keine andere Technik erreicht hätte. "Die riesenhafte Größe der Gestalten, ihre Bewegungslosigkeit, der drohende Blick ihrer weitgeöffneten Augen übt eine übermenschliche, beängstigende Wirkung. Der ganze Geist des Mittelalters, seine finstere Dogmengläubigkeit und zelotische Strenge, das unerschütterliche Machtbewußtsein der alten Kirche – in diesen erhabenen Werken hat es Gestalt gewonnen."

 

"Nur eines fühlt man nicht: daß das Christentum ursprünglich die Religion der Liebe bedeutete. Immer dogmatischer hatte sich im Laufe der Jahrhunderte die christliche Lehre gestaltet. Aus dem liebevollen Stifter des neuen Glaubens, dem einfachen Jesus von Nazareth, war auf Beschluß der Konzilien ein Gott, aus Gott selbst, dem liebenden Vater, ein strafender Despot geworden. Das künden die Bilder. Von der Macht und Strenge des Göttlichen sprechen sie, nicht von dessen Güte; Gottes furcht predigen sie, keine himmlische Liebe." Schon daß sie aus Stein sind, ist bezeichnend. Denn steinern, kalt, eisig ist das Herz der Wesen. Allwissend, mit ihrem Auge jeden durchbohrend, unnahbar, wie eine allgegenwärtige rächende Nemesis oder eine versteinernde Gorgo blickt die Gottheit auf die Welt hernieder.

 

Dieses Starre, düster Bewegungslose des Mosaikstils war berechtigt, solange die byzantinische Malerei auf Byzanz beschränkt blieb. Denn hier entsprach es der Entwicklung, die der christliche Glaube genommen. Es paßte zu dem Formelwesen des Staates, dem feierlichen Ceremoniell der Sitten, der steifen Gravität des Hofes, dem unheimlich stabilen, orientalischen Geist, der das ganze Leben beherrschte. Aber die jungen unverbrauchten Völker des Westens, die seit dem Schlusse des ersten Jahrtausends als neue Faktoren in die Geschichte eintraten, brauchten andere Ideale. Wo sie hernehmen?

 

Wohl hatte auch der Westen noch lange von dem großen Erbe der Antike gezehrt. Aber der Einbruch nordischer Barbarenstämme machte dieser alten Civilisation ein Ende. Nach den Ereignissen der Völkerwanderung und den darauffolgenden Kämpfen war auf Jahrhunderte für die Kunst kein Raum, die immer nur auf dem Boden einer abgeklärten Kultur erwachsen kann. Die neuen Stämme fangen zwar an, sich zu regeln und wirkliche Völker zu werden. Aber in jenes ästhetische Stadium, das die Vorbedingung für eine Kunstblüte bildet, waren sie mit ihrer militärischen Größe, Energie und Brutalität noch lange nicht getreten. Die Menschen essen und trinken, bauen, machen urbar, vermehren sich. Es war nur eine Zeit für die armi, nicht für die marmi. Erst als die materiellen Sorgen erledigt sind, kommen unternehmende Byzantiner herüber, um die neuen Kirchen mit ihren Kunstwerken auszustatten. Der Westen erhält durch sie die erste künstlerische Tünche. Doch auch der Schematismus jener vertrockneten Kunst wird auf das neue Erdreich übertragen. Eingeklemmt zwischen der Civilisation des gealterten Ostens und der Barbarei der Heimat schwanken die Künstler unstet zwischen blinder Nachahmung der byzantinischen Muster und ungelenker, derb hilfloser Schöpfung aus dem eigenen Gefühl heraus. Im einen Fall herrscht erstarrtes Schema, im anderen barbarische Wildheit.

 

Die Miniaturmalerei der irischen, gallischen und deutschen Klostermönche war weniger Malerei als Schönschreibekunst. Aus Schnörkeln und Schwingungen setzte man rein kalligraphisch menschliche Gestalten zusammen. Die Tafelmalerei versucht zuweilen die byzantinische Starrheit zu durchbrechen. Man malt riesige Kruzifixe, wagt sich an bewegtere Vorgänge, an Martyrien und Passionsscenen heran. Aber jeder Versuch scheitert an zeichnerischem Unvermögen. Die Glieder sind ungeschlacht, die Bewegungen plump, die Bilder ungeheuerlich, roh, abscheulich. In allem Uebrigen wurden die fremden Muster nachgeahmt, nur derber und gröber. Es ist, als hätten die Maler absichtlich gerade das Greisenhafte der byzantinischen Vorbilder imitiert. Grießgrämige, abgezehrte Figuren, ausgedörrt wie Mumien, mit hohlen Wangen und tiefliegenden Augen, in Kasteiungen und Buße gealtert, sind auf den späteren Erzeugnissen der Mosaikmalerei dargestellt. Und nicht nur diese selbst wurde, statt mehr Leben zu gewinnen, immer starrer und finsterer. Da sie überhaupt die maßgebende Rolle im Kunstbetrieb spielte, kam auch in die Wand- und Glasmalerei derselbe asketische, steinerne Stil. Keine Wimper der Gestalten zuckt. Nichts verrät an ihnen, daß sie die Gebete der Menschen hören, daß sie huldreich trösten und gnädig verzeihen können. Richterlich streng, erbarmungslos würdevoll wie drohende Gesetzestafeln starren sie hernieder. Unterwerfung fordern sie, Furcht und Gehorsam, winken keine Gnade, nicht Trost und Erlösung.

 

Und die Menschen verlangten doch nach Liebe und Trost. Nachdem die officiellen Formen des Kultus zu geistloser Starrheit verknöchert, suchte man wieder in persönliches Verhältnis zu Gott zu treten, wollte ihn verehren, nicht wie der Knecht den Herrn, sondern wie das Kind den Vater. Man wollte Heilige haben, die nicht herzlos streng den Sünder zittern machen, sondern gütig und mild sich seiner erbarmen. In der großen kirchlichen Bewegung, die sich im 12. Jahrhundert vollzog, fand diese Sehnsucht ihren Ausdruck. Ueber den großen weltbewegenden Fragen des Katholicismus waren die Sorgen des Einzelnen vergessen worden. Die aufgeregte Zeit der Kreuzzüge hatte über die innere Leere hinweggetäuscht, aber nachdem der Kriegsjubel vorüber gerauscht war, machte sie desto mehr sich fühlbar. Das Volk verlangte Geistliche, die an seinen Schmerzen und Freuden teilnahmen, nicht mehr lateinisch, sondern die Volkssprache redeten, das Evangelium nicht in scholastischer Wortklauberei, sondern in derselben patriarchalischen Einfachheit verkündeten, wie es Christus auf dem Berg gepredigt. Schon war Petrus Waldus aufgetreten, aber die Kirche hatte ihn als Ketzer verdammt. Erst Franziskus von Assisi hatte ein besseres Schicksal.

 

Als er seine Predigten begann, ging eine Frühlingsstimmung durch die Welt. Es schien den Menschen, als sei ein neuer Messias gekommen. Franz hat das Christentum gleichsam neu gegründet, indem er an die Stelle eines erstarrten Buchstabenglaubens wieder eine Gefühlsreligion setzte. Die Liebe überbrückte den Abgrund, der bisher so jäh zwischen Gott und der Menschheit geklafft. Die Mystik nahm dem Göttlichen seine schreckhafte Starrheit, gab ihm eine empfindende menschliche Seele. Maria namentlich, die jugendliche Gottesmutter, trat in den Mittelpunkt des Kultus. Teils klang in diesem Marienkult die ritterliche Frauenverehrung der Kreuzfahrer und der Minnesänger aus. Teils kam Maria gerade in ihrer zarten, hilflosen Weiblichkeit dem Gefühlsbedürfnis der Zeit mehr entgegen, als die tragische Gestalt des Gottessohnes und die strenge Majestät Gottvaters. Ihr widmet Franziskus stammelnde Liebeslieder, wie sie die Minnesänger an ihre Herrin, ihre liebe Frouwe, richteten. Zu ihrem Lobe erscholl allabendlich von den Türmen der Franziskaneikirchen der Glockengruß des Ave Maria.

 

Und nicht nur die Gottheit brachte Franziskus dem Menschen näher, auch mit der Tierwelt und mit der Natur versöhnte er ihn. Ein pantheistischer Zug geht wieder, wie in den Tagen des Hellenentums durch die Welt. Hatte das Mittelalter in den Tieren nur gottfeindliche Wesen, Schöpfungen des Satan, verzauberte Dämonen gesehen, so nennt Franz sie seine "Brüder und Schwestern". Und die Tiere danken ihm für seine Liebe. Die Rotkehlchen essen an seinem Tisch. Die Vögel des Feldes lauschen seiner Predigt. Ebenso nahm er von der Natur den Fluch, den die Mönchstheologie darüber gesprochen. Die Wiesen und Weinberge, die Felder und Wälder, die Flüsse und Berge fordert er auf, den Herrn zu preisen. Die ganze Schöpfung ist ihm ein Erzeugnis der Liebe Gottes, der die Menschen glücklich sehen will, der den Frühling nur kommen, die lauen Winde nur wehen läßt, damit die Kinder da unten ihre Freude daran haben.

 

Diese veränderten Anschauungen blieben auch auf die Kunst nicht ohne Einfluß. Durch Franziskus ist die Natur entsühnt, sie kann Gegenstand künstlerischer Verherrlichung werden. Daher tritt an die Stelle des Goldgrundes, der bisher dazu gedient hatte, die Heiligengestalten von allem Irdischen loszulösen, allmählich die Landschaft: Rosenhecken und Paradiesesgärten, wo die Vöglein singen und Tiere friedlich neben den Heiligen wohnen. Doch namentlich psychisch ist der Umschwung deutlich. Wie mitten aus der religiösen Begeisterung heraus die gefühlsinnigen Kirchengesänge der Franziskaner entstanden, tritt in den Bildern Gefühlsseligkeit an die Stelle starrer Erhabenheit. Die Heiligen, früher so finster und streng, werden gütig und mild wie der Poverello selbst es gewesen. An Maria besonders und den minniglichen Jungfrauen ihres Gefolges lernt die Kunst, was ihr am meisten fehlte: den Ausdruck des Psychischen.

 

2. Die Tafelmalerei unter dem Zeichen der Mystik.

 

Allein der Umstand, daß die Tafelmalerei, die bisher eine sehr bescheidene Rolle gespielt, jetzt tonangebender Faktor im Kunstbetrieb wurde, ist für den Umschwung des Gefühlslebens bezeichnend. Bei der Mosaikmalerei waren künstlerische Fortschritte und ein Beseelung der Gestalten schon durch die Entstehungsart der Werke ausgeschlossen. Der Maler konnte nicht unmittelbar sich aussprechen, denn er fertigte nur den Karton, wonach Handwerker das Mosaikbild bestellten. Jetzt tritt an die Stelle dieses unpersönlichen Stils, in dessen kaltem Material jede Empfindung versteinerte, eine neue Technik, die dem Meister gestattet, seine Gedanken ohne fremde Vermittlung niederzuschreiben, in flüssigen Pinselstrichen auch feinere Empfindungsnuancen zum Ausdruck zu bringen.

 

Trotzdem hat sich die Wandlung keineswegs schnell vollzogen. So sehr sich die Kunst bemühte, dem neuen Zeitgeist zu folgen, stand sie doch unter dem Bann einer tausendjährigen Tradition. Das byzantinische Schema herrscht zunächst noch vor. Nur ganz allmählich macht man sich frei. Die neue Empfindung sprengt die überkommenen Formen.

 

In der älteren Kunst war Maria gewöhnlich allein, mit betend erhobenen Armen, dargestellt worden. Seltener war das Thema der Madonna mit dem kleinen Christus, obwohl nach der Legende schon der Evangelist Lukas ein solches Bild malte. Aber auch dann wahrt Maria ihre hoheitvolle Starrheit. In steifer Vorderansicht sitzt sie, die willen- und gefühllose Trägerin des Gottessohnes, der – mehr ein verkleinerter Mann, ein Miniaturheros, als ein Kind – gravitätisch in ihrem Schoße steht, in der einen Hand als Zeichen seines Lehramtes die Schriftrolle haltend, mit der anderen feierlich den Segen erteilend.

 

Die ältesten Tafelbilder sind in nichts von diesen Mosaiken verschieden. Teils um an den Metallglanz des früheren Altarschmucks zu erinnern – bis zum 12. Jahrhundert war es Sitte gewesen, die Altäre lediglich mit kostbaren, aus Metall gearbeiteten Reliquiarien zu zieren –, teils wegen der Nachbarschaft der Mosaiken oder Glasgemälde mußten die Bilder einen möglichst glänzenden Eindruck machen. Die Figuren heben sich daher wie auf den Mosaiken von Goldgrund ab. Rot, Blau, Gold ist die durchgehende Note. Auch die Gestalten selbst haben die ernste Feierlichkeit byzantinischer Typen. Der Kopf der Madonna mit den großen geschlitzten Augen und der langen, spitzen Nase, die gleichgültige Art, wie sie mit ihren überlangen, knochigen Händen das Kind hält, ist hier und dort die gleiche. Dieses hat ebenfalls die greisenhaften Züge der byzantinischen Christkinder. Von irgend welcher Neuerung, einem gesteigerten Gefühlsleben ist nicht die Rede.

 

Erst mit dem Schlusse des 13. Jahrhunderts, in den Werken des florentinischen Malers Cimabue macht sich eine Aenderung bemerkbar. Der Jesusknabe wird kindlicher, freundlicher. Eine leichte Neigung des Hauptes der Madonna sagt, daß sie die Gebete der Menschen hört, ihnen Hilfe und gnädige Verzeihung erwirken kann. Anmut und Weichheit, ein menschliches Rühren beginnt die mürrisch harten Züge zu beseelen. In diesem Sinne schrieb Vasari, es sei durch Cimabue "mehr Liebe" in die Kunst gekommen.

 

Noch zarter als Toskana hat die stille Bergstadt Siena das Madonnenideal der Mystiker verkörpert. Die Sienesen sind die erste Lyriker der neuern Kunst. Wie sie einerseits ihren Bildern etwas Zierliches, Sauberes, eine Pracht der Farbe und der Vergoldung geben, die an Byzanz gemahnt, spiegelt sich andererseits in ihren Werken auch die ganze weiche Gefühlsseligkeit wieder, die erst durch Franziskus in die Welt gekommen. Betonte die byzantinische Kunst das Greisenhafte, so herrscht hier das Jugendliche, Liebliche, Graziöse. War dort alles starr und steif, so herrscht hier schlanke, biegsame Anmut. Es ist, als seien die steinernen Wölbungen der Kirchen plötzlich durchsichtig geworden, und man schaute hinauf in den wirklichen Himmel, wo zarte, ätherische Wesen, singend und den Höchsten preisend, in ewiger Jugend dahinleben und liebeverwandt zum Menschen herniederbücken.

 

Duccio, in der großen Madonna des Domes, gab die erste Anregung. Diese Maria ist nicht mehr streng und würdevoll, sie ist huldvoll und mild. Es ist, als hätte sie Mitleid mit der sehnenden Seele des Gläubigen, denn eine leise, träumerische Wehmut verklärt ihre Züge. Auch ihr Verhältnis zum Kind wird anders; nicht mehr als gleichgültige Gottesträgerin fühlt sie sich, sondern als zärtliche Mutter. Ambruogio Lorenzetti, der stille Poet, hat sie gemalt, wie sie innig ihre Wangen an die des Kindes schmiegt, hat sie dargestellt, wie sie ihrem Knaben die Nahrung reicht: mütterlich und doch magdhaft, stolz und doch schüchtern.

 

Ein ähnlicher Fortschritt von der Starrheit zur Seelenmalerei läßt sich bei allen Stoffen verfolgen. Nicht an den Hauptfiguren allein. Denn um die psychische Wirkung zu steigern, fügt man gern Engel und Heilige bei, in deren Freude und Trauer die Stimmung des Hauptvorganges harmonisch ausklingt. Früher verlief bei der Himmelfahrt Maria alles in frostiger Steifheit. Jetzt strahlt Dankbarkeit und himmlische Sehnsucht aus Marias Augen. Engel singen und musizieren. Jubelnde Festfreude durchwogt die Bilder. Bei der Krönung Maria wurde früher nichts anderes dargestellt, als daß Christus, steif dasitzend, der ebenso bewegungslosen Maria eine Krone aufs Haupt setzt. Jetzt kreuzt sie demütig schwärmerisch die Arme, und der Heiland segnet sie. Heilige und musizierende Engel folgen in freudigem Erstaunen dem Vorgang. Wird die Verkündigung dargestellt, so bemüht man sich, die schüchterne Befangenheit Marias, den kindlichen Eifer des Gottesboten auszudrücken. Selbst die Krucifixe, früher Schreckbilder mit ihren plumpen, schwarzen Konturen und dem ungeschlachten, grünlich gefärbten Leib, bekommen eine weihevolle, still wehmütige Stimmung. Stumme Ergebung spricht aus den Augen des Erlösers. Klagend oder in melancholischem Sinnen stehen die Freunde da. Einer preßt die Hände an die Brust, ein anderer hebt sie in staunender Verehrung. Ein dritter bedeckt sein Gesicht und weint heiße Thränen. –

 

Die gleiche Entwicklung erfolgte im 14. Jahrhundert in Deutschland. Ja, die Ideale der Mystiker fanden hier vielleicht die reinste Verkörperung, weil träumerische Empfindungsseligkeit noch mehr im deutschen Gemüt als im Charakter des Italieners liegt.

 

Auch in Deutschland waren vorher – namentlich in Westfalen – nur Altarwerke von starr musivischem Stil entstanden. Die Haltung ist steif, der Ausdruck leblos. Eine streng stilisierte Zeichnung begrenzt die Formen. Die Augen, die Nasen, die Bärte, die Gewandfalten, die Flügel der Engel – alles macht, obwohl mit dem Pinsel gezeichnet, mehr den Eindruck, als sei es aus Steinwürfeln zusammengesetzt.

 

Darüber kam auch die Prager und Nürnberger Schule nicht weit hinaus. In Prag, das durch Karl IV. ein künstlerischer Mittelpunkt geworden war, arbeitete ein Meister Theodorich, der den specifisch mittelalterlichen Stil zu höchster Vollendung ausprägte. Alle seine Gestalten sind von finsterer Majestät und ernster Erhabenheit; die Köpfe mächtig, die Augen drohend, die Gewänder feierlich nach Art des musivischen Stils geordnet. Die Nürnberger möchten wohl dem neuen Zeitgeist folgen. Ihre Werke sind weicher als die der Prager, aber hausbacken und verständig. Die ernste Großartigkeit mittelalterlichen Stiles ist verloren gegangen, und den Ideen von hingebender Gottesminne, wie sie Franziskus erschlossen, vermochte man in der fleißigen Handelsstadt doch nicht ehrlich sich hinzugeben.

 

*

 

Köln, das heilige, von der Poesie uralter Geschichte umflossene Köln, wo im Laufe des Mittelalters der größte aller Dome entstand, ward auch für die Malerei das deutsche Assisi. Hier lebten im 14. Jahrhundert die großen Mystiker Albertus Magnus, Meister Eckardt, Tauler von Straßburg und Suso, Apostel der gleichen Lehre, die in Italien Franziskus verkündete. In Suso namentlich fand der seraphische Heilige einen wahlverwandten Nachfolger. Sein ganzes Leben ist ein ewiger Minnekampf, seine Verehrung der Madonna von fast sinnlicher Liebesglut. Herzlieb nennt er sie, bittet, daß sie seine Herrin werden möchte, weil sein junges, mildes Herz ohne Liebe nicht sein könne. Nach ihr sehnt er sich nachts und grüßt sie morgens. In der Maienzeit, wenn die Burschen ihren Mädchen Lieder singen, bringt auch er der Gebenedeiten sein Lied dar. Körperlich glaubt er sie vor sich zu sehen, in langem, weißem Gewand, einen Rosenkranz im goldblonden Haar; vernimmt Gesänge, als ob Aeolsharfen klängen. Die Bilder sind in die Malerei übersetzte mystische Visionen, blumenzarte, ätherische Träume frommer, erdentrückter Schwärmer. War Maria bisher eine ernste, erhabene Königin, so erscheint sie jetzt als holdselige Jungfrau im Liebreiz der Jugend, wie eine Prinzessin von einem Hofstaat sittiger Ehrenfräulein umgeben. Kleine Idyllen von sehr viel Zartheit treten an die Stelle des hoheitvollen Monumentalstils von früher.

 

Als der Begründer dieser neuen Richtung wurde bis vor Kurzem Meister Wilhelm genannt. Doch geht aus den datierten Monumenten hervor, daß in den Jahren 1358 bis 1372, als Wilhelm von Herle arbeitete, sich die kölnische Malerei noch in durchaus mittelalterlichen Bahnen bewegte. Die hart gezeichneten Figuren mit den eckigen Bewegungen und den plumpen Händen ähneln in nichts den schmächtigen Wesen mit der weich geschwungenen Haltung, die so typisch für die kölnische Schule sind. Der Schöpfer dieses neuen Stils wurde erst Hermann Wynrich von Wesel, der nach Wilhelm von Herles Tod dessen Werkstatt übernahm und dann von 1390–1413 das Kölner Kunstleben beherrschte. Von ihm, nicht von Meister Wilhelm rührt der berühmte Marienaltar her, der besonders deutlich das Erwachen der neuen Anschauungen zeigt.

 

Die Bilder sind nicht sämtlich von einer Hand. Die derben Passionsscenen der oberen Reihe scheinen die Arbeit eines Gesellen zu sein, der in der älteren Weise arbeitete. Wynrich malte die sechs mittleren Tafeln, worin die Kindheit Jesu in entzückender Frische erzählt wird. Auch er selbst hatte, wenn er später an bewegte, leidenschaftliche Vorgänge sich wagte, wenig Erfolg. Nur wo es um stille Madonnen, um milde Weiblichkeit sich handelt, ist seine frauenhaft zarte, lyrische Kunst am Platz. Der schmale, gebrechliche Leib seiner Jungfrauen, umflossen von wallenden Gewändern, tritt gänzlich zurück vor dem Eindruck der sanften, braunen Augen, aus denen die Sehnsucht nach dem Jenseits, die Sehnsucht nach dem himmlischen Bräutigam strahlt. Sinnend neigt sich das Köpfchen zur Seite. Schmal sind die Schultern, flach ist die Brust. In seinen ätherischen weißen Händen endigen die schwachen mageren Arme. Selbst die Männer, obwohl sie Bärte tragen, haben nichts von kraftvoller Männlichkeit. Sie blicken schüchtern und demütig, träumerisch wie Kinder in die Welt. Man denkt an die Lehren der Mystiker, die in einem gesunden Körper das schwerste Hindernis auf dem Wege zur Seligkeit sahen. Man erkennt aber auch, daß aus dieser Unterordnung des Körperlichen unter das Seelische alle Vorzüge dieser Kunst sich ergeben. Nur indem Wynrich alles Körperliche so zurücktreten ließ, vermochte er den Gefühlsausdruck, nach dem er strebte, so rein und ungetrübt zu geben. Die typische Aehnlichkeit der Gestalten, das feine Oval der Köpfchen, die gebrechliche Schlankheit der Körper – es dient dazu, in eine ferne Welt zu entrücken, wo alles anmutig und schön ist, die Gefühle zart und fein, in ein Paradies, wo keine Roheit, kein Mißton die große Harmonie, die himmlische Sphärenmusik stört.

 

Daß selbst die Landschaft zuweilen herangezogen wird, um die Paradiesesstimmung der Bilder zu steigern, ist ebenfalls den Lehren der Mystiker zu danken. Wie in Italien Franziskus, hatte in Deutschland Suso die Natur vom Fluche der Mönchstheologie befreit. Blumen, besonders Rosen, Paradiesgärten, in denen Madonna wandelt, kommen häufig in seinen Visionen vor. Er beschreibt das Paradies als eine schöne Au, wo Lilien und Rosen, Veilchen und Maiblumen duften, wo Stieglitze und Nachtigallen Tag und Nacht in herrlichen Weisen singen. Darum liebt es auch Wynrich, die Madonna im Freien darzustellen, auf blumigem Rasen, von zarten Jungfrauen begleitet. Bald kniet neben ihr die heilige Katharina, die sich mit dem Christkind verlobt, bald Agnes, die mit dem Lämmlein spielt. Andere lesen vor aus kostbaren Büchern, musizieren, pflücken Blumen, unterweisen das Christkind im Zitherspiel. Auch Ritter, schlank wie Mädchen, gesellen sich hinzu, um mit den Fräulein sittige Unterhaltung zu pflegen. Ringsum sproßt und grünt es, duftet und blüht es. In Werken der Art fand das Mittelalter der deutschen Kunst sein Ende. Es ist der letzte Klang aus jener Welt der reinen Harmonien, die Franziskus und Suso erschlossen hatten.

 

3. Die Begründung des epischen Stils durch Giotto.

 

Noch weit folgenreicher wurde nach einer anderen Seite das Auftreten des Franziskus. Er vertiefte nicht allein durch seine Predigten das Empfindungsleben und schuf so den Boden für jene lyrisch-empfindsame Malerei, die in Köln und Siena blühte. Indem er an die Stelle des dogmatischen den persönlichen Christus setzte, wie seine irdische Lebensarbeit ihn als Menschen neben anderen Menschen zeigte, führte er auch die Christuslegende als neuen Stoff der Kunst zu. Ein Epos war gegeben, das auch vom Maler erzählt werden konnte. Und namentlich: das eigene Leben des Heiligen mit all seinen Entbehrungen und wunderbaren Geschehnissen reizte zur Darstellung. In epischer Breite, in großen monumentalen Bildern sollte geschildert werden, was Franz erlebt und gethan.

 

An Wandflächen fehlte es nicht, denn die Gotik in Italien war eine andere als im Norden. Das Princip war, weite Binnenräume mit wenig Stützen durch große Bogen zu überspannen. Und da diese ungegliederten Flächen von selbst zur Dekoration mit Wandgemälden aufforderten, trat die Freskomalerei als tonangebender Faktor in das italienische Kunstschaffen ein.

 

Für die Franziskuslegende gab es keine altgeheiligte Tradition. Nachdem jahrhundertelang die Künstler, einer dem anderen folgend, sich darauf beschränkt hatten, die Kultusbilder Christi und der Maria zu schaffen, an denen jede Bewegung, jede Gewandfalte durch kirchliche Satzung bestimmt war, hatten sie bei diesem neuen Thema plötzlich Freiheit. Alle Scenen waren – nach den Erzählungen der Mönche oder der Lebensbeschreibung des Bonaventura – gänzlich neu zu gestalten. Statt ruhiger Gnadenbilder mußten bewegte Vorgänge, Handlungen, Ereignisse geschildert werden. Zur Bewältigung solcher Dinge reichte Gefühlsschwärmerei, reichte mystische Versenkung nicht aus. Eine große männliche Gestaltungskraft, ein freies Schaffensvermögen, ein gewisser Realismus war nötig. Daß an Stelle der ewig gleichbleibenden himmlischen Gestalten zum erstenmal ein realer, beinahe zeitgenössischer Stoff in den Darstellungkreis trat, bedeutete einen vollständigen Bruch mit der mittelalterlichen Tradition. Es ist daher kein Zufall, daß zur Lösung dieser Aufgabe eine Stadt berufen war, die mit gar keiner Ueberlieferung zu brechen hatte, da sie während des Mittelalters stumm beiseite gestanden: nicht das ewige Rom, das stolze Venedig oder das mächtige Pisa, sondern das junge Florenz, das damals neu und frisch, mit unverbrauchter Kraft, in die Kultur und Kunst Italiens eintrat. Hatte Siena, die stille Bergstadt, und Köln, das heilige Köln, den mystischen Idealen des Trecento den zartesten Ausdruck gegeben, so tritt der große Giotto diesen Lyrikern als Epiker, den Mystikern als der Realist des 14. Jahrhunderts zur Seite.

 

In der Grabkirche des Heiligen, San Francesco in Assisi, verdiente er sich die Sporen. Giovanni Cimabue, dem die Dekoration übertragen war, hatte ihn, den früheren Hirtenbuben, nebst anderen Gesellen mit sich genommen und überließ ihm zur selbständigen Ausführung die Bilder aus der Franziskuslegende, die die Wände der Oberkirche überziehen. Giotto malte sie. Und nachdem er an dem neuen Thema seine Kraft geübt, an der Hand des zeitgenössischen Stoffes sich von den Fesseln des Byzantinismus befreit, sah er auch das Alte mit modernem Auge. Auf die Franziskuslegende folgte die Neugestaltung des Lebens Christi, das er in Padua, in der Kirche der Arena, erzählte. Nachdem er dann noch in der Unterkirche von Assisi die drei Gelübde des Franziskanerordens: Armut, Gehorsam und Keuschheit sowie die Glorie des Franziskus gemalt und in den verschiedensten anderen Städten – in Rom, Ravenna, Rimini und Neapel umfangreiche (heute zerstörte) Werke geschaffen, kehrte er 1334 nach Florenz zurück, wo er zum Baumeister des Domes und des Campanile ernannt wurde und auch als Maler – in der eben vollendeten Franziskanerkirche Santa Croce – noch eine ausgedehnte Thätigkeit entfaltete. Drei Jahre nach seiner Rückkehr, am 8. Januar 1337 erfolgte sein Tod. Boccaccio schrieb über ihn im Dekamerone: "Giotto war ein solches Genie, daß nichts in der Natur war, was er nicht so abgebildet hätte, daß es nicht nur der Sache ähnlich, sondern diese selbst zu sein schien." Und Polizian läßt ihn in seiner Grabschrift sagen: Ille ego sum, per quem natura, extincta revixit.

 

Ein solches Lob, dem Naturalisten Giotto gespendet, wird dem modernen Auge sehr übertrieben scheinen. Wer mit realistischem, dem Stil späterer Epochen entlehnten Maßstab an Giottos Werke herantritt, findet keinen Eingang in die Werkstatt seines Geistes.

 

Wohl überrascht er, wenn es Außergewöhnliches, Erotisches zu schildern gilt, zuweilen durch ganz modernen Naturalismus. Unter dem Gefolge der heiligen drei Könige in der Kirche von Assisi sind wunderbare Exemplare mongolischer Rasse, mit eingedrückter Nase, gelber Hautfarbe und ebenholzschwarzem Haar. Ebenso fallen die Nubierköpfe in der Kirche Santa Croce durch ethnographische Treue auf. Doch daß sie auffallen, zeigt, wie vereinzelt solche Dinge bei Giotto sind. Auch er hat, wie alle früheren, einen durchgehenden Typus: jene harten, wie aus Holz geschnitzten unpersönlichen Gesichter mit den vorstehenden Backenknochen, den mandelförmigen Augen und der gradlinigen, sogenannten griechischen Nase.

 

Das Nackte zu studieren lag noch nicht im Sinne der Zeit. Wo unbekleidete Figuren gegeben werden, wie in der Taufe Christi oder in den Kreuzigungsbildern, ist daher die Zeichnung ganz allgemein.

 

Was das Kostüm anlangt, hat er in einzelnen Fällen, wie aus dem Bild der Anbetung der Könige, zeitgenössische Moden verwendet. Doch nur bei Figuren, die er in Gegensatz zu den Gestalten des spezifisch christlichen Glaubenskreises setzen will. Für die Heiligen behält er die feierliche Idealtracht bei, die das Mittelalter von der Antike übernommen hatte. Sie tragen Toga, Tunika und Sandalen. Der Kopf bleibt unbedeckt.

 

Wie in der Darstellung des Menschen, ist er als Tiermaler von Naturtreue weit entfernt. Der Hühnerhund, der auf einem der Paduaer Fresken an Sankt Joachim aufspringt, der Esel, auf dem ebenda der heilige Joseph reitet, und die drei Kamele auf dem Bilde der Anbetung der Könige in Assisi sind an naturalistischer Durchbildung wohl das Hervorragendste, was Giotto auf dem Gebiet der Tierdarstellung leistete. Die Schafe, die der frühere Hirtenjunge hätte kennen müssen, sind wenig korrekt gezeichnet. Das Pferd bleibt für ihn eine unverstandene Maschine.

 

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Noch befremdlicher wirken seine Hintergrunde. All diese Baulichkeiten, in ihren Einzelheiten naturwahr, bilden als Ganzes doch keinen realistischen Hintergrund. Viel zu klein, sind sie weder perspektivisch richtig gezeichnet noch stehen sie in richtigem Verhältnis zu den Menschen. Diese sind oft größer als die Häuser, in denen sie wohnen. Ebenso bewegt er sich als Landschafter in den primitivsten Bahnen. Die Natur setzt sich gewöhnlich aus wunderlich gezackten, kahlen Felsen zusammen, auf denen hier und da ein Stamm wächst, der auch wieder als einzige Bekleidung höchstens ein Dutzend wie aus Blech geformte Blätter hat. Die malerischen Elemente der Landschaft, Flüsse, Thäler, Hügel und Wälder, ihre ernste und heitere Vegetation kamen für ihn so wenig wie für andere Meister des Trecento in Frage. "Wenn du Gebirge in einer guten Weise entwerfen willst, die natürlich scheinen, so wähle große Steine aus, rauh und unpoliert, und zeichne sie nach der Natur." Diese Vorschrift Cenninis ist ein bezeichnendes Dokument für die Naturauffassung einer Epoche, der noch der Baum den Wald, der Stein das Gebirge bedeutete.

 

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Selbst das Kolorit Giottos, so sehr es in seiner lichten Haltung von den preciös barbarischen Farben der Byzantiner abweicht, ist weit entfernt der Wirklichkeit zu folgen. Wie er die Pferde zuweilen rot, die Bäume blau malt, ist auch eine Bezeichnung der Stoffe, aus denen die Dinge bestehen, ein Unterschied in der Behandlung der Architektur, der Gewänder und des Fleisches weder erreicht noch versucht.

 

Doch man darf, um die Bedeutung eines Künstlers festzustellen, ihn nie mit Späterem, nur mit Früherem vergleichen. Da imponiert schon die Erweiterung des Stoffgebietes, die sich durch Giotto vollzog. Die byzantinische Kunst hatte nur die regelhafte, für Ewigkeiten festgemauerte Ruhe des Göttlichen dargestellt, es in hieratischer Starrheit, über Zeit und Raum erhaben vor Augen geführt. Bewegte Scenen darzustellen, war nur nebenher und schüchtern versucht. Giotto als erster giebt der Kunst die Wendung zur Aktion, schildert nicht Ruhiges, sondern Bewegtes, nicht Zeitloses, sondern Geschehen. Indem er an die Stelle der repräsentierenden Andachtsbilder ganze Epen, ganze Dramen setzte, wurde er der erste Historiker der christlichen Kunst.

 

Und hält man fest daran, immer nur an Früheres, nicht an Späteres zu denken, wird auch sofort ersichtlich, welche Summe technischer Ausdrucksmittel Giotto erst schaffen mußte, um diesen neuen Stil zu begründen. Die Figuren sind nicht naturalistisch durchgebildet, aber er als erster weiß menschliche Gestalten in voller Bewegung darzustellen. Die Tiere sind nicht gut gezeichnet, aber er als erster öffnet seine Fresken den Vertretern des Tierreichs, von den Vierfüßlern bis zu den Vögeln, die der Predigt des Franziskus lauschen. Seine Landschaften sind noch symbolisch, trotzdem war es ein jäher Ruck, mit dem er die Gestalten aus der byzantinischen Raumlosigkeit in eine bestimmte örtliche Umgebung setzte, sie auf der Erde in der freien Natur, auf den Straßen und Plätzen der Städte zu neuem, lebensvollen Wirken vereinte.

 

Schließlich erklärt sich vieles, was gegen die Naturwahrheit zu verstoßen scheint, nicht aus mangelndem Können, sondern aus den stilistischen Anforderungen des großen Stils. In der souveränen Sicherheit, mit der er die Gesetze des Monumentalstils feststellte, liegt seine eigentliche unsterbliche Größe. Giotto wußte noch, was spätere Maler vergaßen, daß es gar nicht Aufgabe der Wandmalerei ist, naturalistische Wirkungen in Form und Farbe zu erstreben, sondern daß sie nur ihren Zweck erfüllt, wenn sie in den Grenzen rein schmückender Flächendekoration sich hält. Aus diesem Grunde ist er noch für unsere Zeit, für Puvis de Chavannes und andere, der starke Anknüpfungspunkt geworden. Nachdem die jahrhundertelange, auf den Realismus gerichtete Entwicklung ihren Abschluß gefunden, trat desto mehr hervor, daß Giotto vor sechs Jahrhunderten schon das besaß, was wir heute wieder erstreben. Sein ganzes Schaffen wurde nicht durch naturalistische sondern durch dekorative Gesichtspunkte bestimmt. Gerade indem er der monumentalen Wirkung zuliebe vieles von der Naturwahrheit, die auch er hätte erreichen können, opferte, ergriff er im Kern die Aufgabe raumschmückender Kunst.

 

Sein Geheimnis liegt in dem großen Zug der Linien, in der klaren Anordnung der Gruppen, in der strengen Unterordnung aller Einzelheiten. Damit kein kleinliches Detail den Linienfluß stört, wählt er Typen, die an Gesicht und Gestalt einfach und mäßig sind. Damit die Klarheit der Erzählung nicht leidet, vermeidet er alle malerischen Füllfiguren, beschränkt sich darauf, in lakonischer Kürze den geistigen Gehalt des Themas in künstlerische Anschauung umzusetzen. Da sich die hohe Getragenheit des Monumentalstils nicht mit jähen Wendungen und unsicheren Gesten verträgt, bildet er sich eine feststehende Gebärdensprache, die wie die Schriftsprache für die gleichen Dinge immer die gleichen Worte benutzt, und so dem Betrachter sofort beibringt, was die Figuren sagen. Ein signifikanter Blick, eine leichte Bewegung der Hand und des Körpers, der die lose herabhängenden Gewänder willig folgen, müssen genügen, die Bedeutung der dargestellten Person, die Regungen ihres Seelenlebens zum Ausdruck zu bringen. Da er die Wandmalerei lediglich als Flächendekoration auffaßt, vermeidet er alle plastischen, auf die Illusion von Körperlichkeit ausgehenden Wirkungen, arbeitet in demselben Stil wie die Japaner, bei denen ebenfalls die Menschen weder Rundung haben noch Schatten werfen. Auch die Farbe muß sich dem dekorativen Zwecke unterordnen. Daher trägt er kein Bedenken, bewußt von der Wirklichkeit abzuweichen, wenn eine naturwahre Farbe die helle Gesamtharmonie, den bleichen Gobelinton der Bilder zerstören würde. Die Stilisierung der Landschaft ergab sich als weitere Folge. Sie durfte nicht selbständig auftreten, nur die Begleitung zu den großen Hauptlinien der Figuren bilden. Darum hält er sie in den einfachsten Formen. Auch Giotto wußte, daß in so kleinen Häusern keine Menschen leben können, daß Pflanzen und Bäume nicht so symmetrisch wachsen, daß Felsen nicht so treppenförmig abgestuft oder so nadelförmig spitz sind. Aber er malt sie so, weil jede naturalistische Durchbildung ihn von seinem Ziel entfernt hätte. Denn hätte er die Häuser größer gegeben, so wären seine Bilder statt Monumentalmalereien Architekturstücke und historische Genrebilder im Stil Gentile Bellinis geworden. Hätte er die Felsen nicht so abgetreppt, nicht so schroff gradlinig gezeichnet, wäre er nicht im stande gewesen die Pläne so scharf zu sondern, die verschiedenen Ereignisse so deutlich zu trennen. Hätte er die Bäume naturalistisch durchgeführt, so hätte sich nicht nur eine Dissonanz mit den mäßig gradlinigen Figuren ergeben, es wäre auch der Eindruck der Feierlichkeit verloren gegangen, den sie gerade in ihrer Stilisierung machen. Nur indem er auf alles Kleinliche, auf alle naturalistischen Einzelheiten verzichtete und die Natur vereinfachte, um sie noch elementarer sprechen zu lassen, konnte er seinen Werken die feste Geschlossenheit, jene sakramentale Würde geben, die dem Thema sowohl wie dem Stil dekorativer Kunst entspricht.

 

Und der Begründer dieses Stils konnte nur ein so klarer männlicher Geist wie Giotto werden. Es ist eine geschichtliche oder besser eine psychologische Merkwürdigkeit, daß inmitten dieser gefühlseligen Generation ein Mann lebte, der gar nichts vom Mystiker hat. Man braucht, um diesen Zug seines Charakters zu erkennen, nur seine Madonnenbilder zu betrachten. Von der Zartheit und mystischen Innerlichkeit der Sienesen und Kölner sind diese Werke weit entfernt. Eine gewisse Nüchternheit, ungraziöse Härte und poesielose Sachlichkeit haftet ihnen an. Statt wie die andern nach ätherischer Holdseligkeit zu streben, trägt er realistisch-genrehafte Züge in das Thema hinein. Das Kind steckt den Finger in den Mund, spielt mit einem Vogel, ist im Begriff der Mutter auf den Schoß zu klettern. Auch die paar Züge, die aus seinem Leben bekannt sind, deuten seine Doppelstellung an. Er verherrlicht die Franziskanergelübde, verwahrt sich aber ausdrücklich dagegen, daß für ihn selbst Armut das Ziel des Strebens bedeute. Er ist Maler, bewegt sich aber mit gleichem Erfolg in der materiellsten aller Künste, die gar keine Empfindung, nur handwerkliche Tüchtigkeit und mathematische Berechnung voraussetzt: in der Baukunst. Er malt Mystisches, gilt aber seinen Zeitgenossen als sehr verständiger Mann, dessen moderne Anschauungen und kaustische Witze seltsam kontrastieren mit dem Wesen des Heiligen, als dessen Verherrlicher ihn die Kunstgeschichte feiert. Dem entspricht seine Kunst. Man ersieht aus ihr, wie aus den Werken der Sienesen, welche Tiefe des Gefühlslebens durch Franziskus erschlossen war. Alle Regungen des menschlichen Herzens, Zorn und Demut, Liebe und Haß, Mut und Entsagung hat er meisterhaft interpretiert. Aber er thut es ohne mystische Traumseligkeit, in verständiger Sachlichkeit. Seine Kunst ist klar und durchsichtig, spricht in knappen, lapidaren Sätzen wie ein mathematischer Beweis. Kein Schwärmer, aber ein positiver exakter Geist, kein Träumer, aber ein gewaltiger Arbeiter von gesunder, breitausgreifender Männlichkeit, hat er auf ein Jahrhundert hinaus die Bahnen der italienischen Kunst bestimmt.

 

4. Die Freskomalerei des späteren Trecento.

 

Nachdem Giotto der Malerei die Zunge gelöst, begann in ganz Italien eine ungeheure Thätigkeit. In Florenz bot die Kirche Santa Croce, wo Giotto seine letzten Bilder geschaffen, auch den Jüngeren ein reiches Arbeitsfeld. Gleichzeitig erhielt die Kirche Santa Maria Novella ihre Ausstattung. Siena, das lyrisch mystische Siena folgte ebenfalls dem episch gewordenen Zeitgeist, ließ seinen Palazzo publico mit Fresken dekorieren. In Pisa, der schlafenden, toten Stadt, enthält das Camposanto eine der gewaltigsten Bilderreihen mittelalterlicher Kunst. In Padua, wo Giottos Werk in der Arena den Sinn für monumentale Kunst geweckt, erprobten in der Kirche Sant Antonio und in der Kapelle San Giorgio nun auch einheimische Künstler ihre Kräfte.