Global Fishing Watch verfolgt das gesamte Fischereiaufkommen auf allen Meeren. https://globalfishingwatch.org/map/
Mangrovenwälder zählen zu den produktivsten, aber gefährdeten Ökosystemen der Erde.
Plastikmüll in den Ozeanen
© no.parking
Mariasole Bianco beim Tauchen (© Mariasole Bianco’s personal archive)
Mariasole Bianco (© Mariasole Bianco’s personal archive)
Der Kugelfisch lebt vor allem in der epipelagischen Zone.
Das Geheimnis der Biolumineszenz wurde durch die Erforschung der Kammqualle entschlüsselt.
Auch die Sepie ist in der mesopelagischen Zone zu Hause, bei Gefahr sondert sie Schleim ab, um ihre Jäger zu verwirren.
Der Oktopus ist ein genialer Multitasker und verfügt über drei Herzen.
Salpen leben in der Dämmerzone, durch ihren Stoffwechsel tragen sie zur Bindung von Kohlenstoff in den Meerestiefen bei.
Seegurken finden sich sowohl im flachen Wasser als auch in der Tiefsee.
Hunderte von Arten, die die Dämmerzone bevölkern, sind biolumineszent.
Seeteufel sind auf der ganzen Welt verbreitet, die meisten Arten leben in der Tiefsee.
Der Anglerfisch kommt in bis zu 6000 Metern Tiefe vor.
Der Schneckenfisch wurde 8145 Meter unter dem Meeresspiegel gesichtet.
Röhrenwürmer – sie können bis zu 250 Jahre alt werden.
Seesterne leben in bis zu 10.000 Metern Tiefe.
Buckelwale verfügen über eines der raffiniertesten Kommunikationssysteme im Tierreich.
Thunfische sind für ihre langen Wanderungen bekannt.
Meeresschildkröten nutzen Meeresströmungen, um sich schneller fortzubewegen.
Sargassosee – das Unterwasserparadies in der Karibik
Aal in der Sargassosee, wo alle Aale zur Welt kommen.
Haie im White Shark Café
Gorgonien im submarinen Gebirge
Mangrovenwälder bieten vielen Tierarten ideale Lebensbedingungen.
Seeanemone
Das Great Barrier Reef vor Australien ist einer der artenreichsten Lebensräume unseres Planeten.
1960 tauchen Jacques Piccard und Don Walsh mit dem Tauchboot „Trieste“ als erste Menschen auf den Grund des Marianengrabens.
Die Folgen der Klimakrise sind in der Arktis schon heute sichtbar.
Bohrinsel – bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe gelangt Kohlendioxid in die Atmosphäre.
33 Prozent der Fischbestände sind überfischt.
Grundschleppnetze werden über den Meeresboden gezogen und richten dabei große Schäden an.
Die Lederschildkröte kehrt zum Brüten an ihren Geburtsstrand zurück.
Mangrovenwald in Gambia
Ein Tsunami kann durch einen gesunden Mangrovenwald abgemildert werden. Die tamilische Bezeichnung Alaithi Kadukal bedeutet „Wald, der die Wellen bändigt“.
Jedes Jahr gelangen acht Millionen Tonnen Plastik ins Meer.
Foto: @Mariasole Bianco’s personal archive
DIE AUTORIN
Mariasole Bianco, geboren 1990, ist promovierte Meeresbiologin und hat an der Universität Cairns in Australien geforscht. Seit 2012 ist sie Mitglied der World Commission on Protected Areas (WPCA) und der International Union for Conservation of Nature (IUNC). 2013 gründete sie die Organisation Worldrise, die sich für den Schutz der Meere und des Klimas einsetzt und Jugendliche für Klimaschutz sensibilisiert.
Unser Leben
hängt vom Meer ab,
die Zukunft der Meere
von uns.
Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler
Für meinen Vater, der seine Liebe für das
Meer an mich weitergegeben hat.
Einleitung
1. Das Reich des Pelagos
2. Das große Blau
3. Meere und Küsten
4. Am Ende der Welt: Arktis und Antarktis
5. Hoffnung für unsere Meere
Anhang:
Fünf Lösungsansätze zur Rettung der Ozeane
Ich habe mich in das Meer verliebt, als ich ein kleines Mädchen war.
Die Regel, erst zwei Stunden nach dem Essen ins Wasser zu gehen, habe ich nie beachtet, manchmal habe ich mein Brötchen direkt im Meer gegessen. Meine Liebe brachte mir durch Sonne und Salzwasser ausgebleichte Haare und endlose Diskussionen ein, wenn ich gegen Ende des Sommers wieder Schuhe anziehen musste … und schlussendlich führte sie dazu, dass aus mir eine leidenschaftliche Anwältin für den Schutz des Meeres geworden ist.
Mit seiner Schönheit, seiner unbändigen Kraft und seinen Geheimnissen hat es mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Im Laufe meines Studiums und danach habe ich mein Wissen über die Artenvielfalt der Unterwasserwelt vertieft und mich dem Erhalt dieses einzigartigen Lebensraums verschrieben. Dabei ist mir neben der Großartigkeit des Meeres noch etwas aufgefallen: seine Verwundbarkeit.
Die Ozeane waren schon immer der Inbegriff für Unendlichkeit, Unerschöpflichkeit und Immunität gegenüber menschlichen Eingriffen. Aber die Realität sieht anders aus. In den vergangenen Jahrzehnten ist immer offensichtlicher geworden, dass die Weltmeere sich in einer Geschwindigkeit verändern, die alle noch so pessimistischen Prognosen übertrifft. Durch die Erwärmung des Wassers verändern sich seine chemischen und physikalischen Eigenschaften, es wird saurer und der Sauerstoffgehalt nimmt ab. Und auch die Biodiversität des Meeres verändert sich und gefährdet die Existenz aller von ihm abhängigen Lebensformen, nicht zuletzt die des Menschen. Die Beziehung zwischen Mensch und Meer ist von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt: Unser Leben hängt vom Meer ab, die Gesundheit und die Zukunft des Meeres von uns.
Der Einsatz ist inzwischen sehr hoch. Wir sind dabei, die naturgegebenen Ressourcen zu vergeuden und unserem Planeten die Lebensader abzuschneiden, mit verheerenden Folgen für zukünftige Generationen. Die Meere sorgen für die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, sie regulieren das Klima, absorbieren den Großteil des von uns produzierten Kohlendioxids und sind für die Hälfte der Weltbevölkerung eine wichtige Einkommens-, Nahrungs- und Energiequelle.
Aber es gibt Hoffnung. Zumindest wissen wir, wie wir die Probleme lösen und das Steuer noch herumreißen können. Noch haben wir Zeit dazu, wir müssen es nur wollen. Wir befinden uns gerade in einer entscheidenden Dekade für die Gesundheit unserer Meere: Die Beschlüsse der nächsten zehn Jahre und ihre Umsetzung werden die Zukunft unseres Planeten in den nächsten Jahrhunderten bestimmen.
Mit diesem Buch möchte ich Ihnen die Schönheit unserer Meere näherbringen und Möglichkeiten aufzeigen, sie zu erhalten. In kleinen Schritten, denn Lösungen beginnen mit der Erkenntnis, die schließlich zu mehr Bewusstsein, dem Willen zur Umsetzung und größerem Respekt führt.
Ich lade Sie herzlich ein, zusammen mit mir in die Unterwasserwelt einzutauchen. Wir verabschieden uns vom Rauschen des Windes und der Wellen über uns und lassen uns in die Stille der Tiefe sinken.
Da ist das tiefe Blau: Die beherrschende Farbe eines Großteils unseres Planeten, denn 71 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt. Das unendliche Blau, dem wir unser Leben verdanken.
Merkwürdig, nicht wahr? Die Meere sind flächenmäßig der größte Lebensraum unseres Planeten, und doch schenken wir diesem Habitat nur relativ wenig Aufmerksamkeit. Oft beschränken wir uns darauf, seine unendliche Weite zu bewundern und mit einem Seufzer das spektakuläre Bild zu genießen, wenn die Sonne im Meer versinkt. Unser Blick bleibt jedoch an der Oberfläche.
Um unsere Reise zu beginnen, müssen wir deshalb unter Wasser tauchen. Nur so können wir die ganze Bedeutung des Meeres erkennen.
In der Tiefsee zeigt sich diese unbekannte Welt voller Geheimnisse am besten. Hier gibt es die weitesten und tiefsten Täler unseres Planeten, Seen, Flüsse und sogar Unterwasser-Wasserfälle. Zudem zigtausende aktive Vulkane, etwa entlang des Mittelatlantischen Rückens, der sich über etwa 16.000 Kilometer erstreckt und damit das längste Gebirgssystem unserer Erde darstellt. Insgesamt summiert sich die Längsausdehnung der mittelozeanischen Rücken auf mehr als 70.000 Kilometer. Sie bedecken etwa 23 Prozent der Gesamtoberfläche unseres Planeten.
Wir haben entdeckt, dass die Ozeane vor Lebewesen wimmeln, selbst in der dunkelsten Tiefsee, wo man weder Pflanzen noch Tiere vermutet hatte. Heute wissen wir, dass dort eine ebenso große, wenn nicht größere Biodiversität existiert wie im tropischen Regenwald. Allein schon die Entdeckung, dass Leben nicht nur dort möglich ist, wo es Sonnenlicht gibt, hat unser Verständnis über das Leben auf der Erde revolutioniert.
Mit der wissenschaftlichen Erforschung der Weltmeere wurde erst in jüngster Zeit begonnen, die meisten Entdeckungen datieren sogar erst nach der Mondlandung (1969). Kaum zu glauben, aber wahr: Von Mond oder Mars gibt es detailliertere Karten als von der Tiefsee. Und das ist kein Zufall, sondern spiegelt die Verteilung der Forschungsgelder wider: Mit dem jährlichen Budget der NASA könnte die NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration), die US-amerikanische Behörde für die Erforschung der Ozeane, ihre Aktivitäten sage und schreibe 1600 Jahre lang finanzieren!
Bahnbrechende Fortschritte der Tiefseetechnik haben es Forschern in jüngster Zeit ermöglicht, bis in die abgelegensten Bereiche der Weltmeere vorzudringen. Trotzdem stehen wir noch am Anfang eines unglaublichen Abenteuers, denn bis jetzt sind gerade einmal fünf Prozent des Lebensraums Tiefsee erkundet. Obwohl die Menschen bereits seit Jahrhunderten versuchen, immer weiter und tiefer vorzudringen, liegen die größten Herausforderungen noch vor uns.
Die gewaltigen Dimensionen der Ozeane, die endlos scheinende Wasseroberfläche und die schwärzesten Untiefen haben seit jeher Mythen und Legenden genährt. Die Seeleute der Antike waren fest davon überzeugt, dass in den Tiefen der Meere Monster und Fabelwesen hausen. Schriftsteller haben darüber berichtet, Kartografen haben sie auf den Meereskarten verzeichnet.
In den letzten Jahrhunderten jedoch verschwanden die Mythen über Drachen und Meerjungfrauen. Die Vermessung der Meeresoberfläche und die Berechnung der Breiten- und Längengrade wurden präziser, und nach und nach wagte man sich an die Erforschung der Meeresböden und die Tiefenvermessung.
Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts versuchte Fernando Magellan die Tiefen des Pazifischen Ozeans zu vermessen – mit einer 730 Meter langen Bleileine, die ganz offensichtlich nicht bis zum Meeresboden reichte. 200 Jahre später versuchte der Wissenschaftler Pierre-Simon Laplace die Tiefe des Atlantischen Ozeans auf der Grundlage der Bewegung der Gezeiten an der Westküste Afrikas und vor Brasilien zu berechnen. Aus den Wasserbewegungen schloss er, dass die durchschnittliche Tiefe etwa 4000 Meter betragen müsse. Dank unserer heutigen Messtechnik wissen wir, dass seine Berechnungen schon damals richtig waren!
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahm man an, dass es in Tiefen von mehr als 300 Faden, etwa 500 Metern, kein Leben geben konnte, mit Ausnahme von Meeresungeheuern oder riesigen Walfischen. Kurz darauf begann die wissenschaftliche Erforschung der Tiefsee. Der Grundstein für die moderne Ozeanografie wurde mit der britischen Challenger-Expedition (1872–1876) gelegt. Dieses kleine Kriegsschiff der Marine war mit wissenschaftlichen Messinstrumenten und Laboratorien ausgestattet, um Daten über Temperatur, chemische Zusammensetzung, Strömungen, Tierwelt und Geologie der Tiefsee zu sammeln und auszuwerten. Während der vier Jahre dauernden Expedition wurden fast 70.000 Seemeilen zurückgelegt, 4717 neue Arten entdeckt und Hunderte von Proben gesammelt. Ein weiteres bedeutendes Ergebnis war die Vermessung der Tiefe des Marianengrabens, die mit etwa 8100 Metern berechnet wurde. Heute nennt man den tiefsten Punkt des Grabens Challenger Deep und wir wissen, dass er 10.994 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. 1960 tauchten Jacques Piccard und Don Walsh als erste Menschen auf den Grund des Marianengrabens. Nach fünf Stunden Fahrt durch die Dunkelheit mit dem Tiefseetauchgerät Trieste erreichten sie ihr Ziel. Trotz des gewaltigen Wasserdrucks, tausend Mal höher als an der Wasseroberfläche, blieb das Tauchboot, bis auf einen Riss in der Glasscheibe, unversehrt. Auf ihrer langen Fahrt begegneten ihnen immer wieder Fische und andere Meeresbewohner, der Beweis, dass auch in den tiefsten Tiefen vielfältiges Leben zu finden ist. 2012 gelang dem Regisseur James Cameron mit dem Tiefsee-U-Boot Deepsea Challenger der erste Solo-Tauchgang zum Grund des Marianengrabens. Das Boot war mit zahlreichen Kameras ausgestattet, deren Aufnahmen Grundlage des 3D-Dokumentarfilms Deepsea Challenge wurden. Unglaublich, aber wahr: Bereits zwölf Menschen haben es bis auf den Mond geschafft, aber nur vier bis zum tiefsten Meeresgrund: Cameron, Piccard, Walsh und Victor Vescovo.
Die Hochsee ist eine weitgehend unbekannte Welt, unter der riesigen Wasserfläche verbergen sich viele Geheimnisse. Wir haben gerade erst mit ihrer systematischen Erforschung begonnen. Es entstand die Theorie der Plattentektonik, man bewies die Drift der Kontinente, wir haben Leben um hydrothermale Tiefseequellen entdeckt, an Stellen, wo unglaublicher Druck herrscht und kein Sonnenlicht für die Fotosynthese hingelangt. Das alles ist schwer zu verstehen, aber es ist so. Es kann sogar sein, dass es in den Tiefen der Ozeane mehr Pflanzen und Tiere gibt als in den höheren Wasserschichten.
Deshalb müssen wir genau dort ansetzen. Der Weg zu dem Ort, an den ich Sie mitnehmen möchte, ist weit. Bereiten Sie sich gut vor und machen Sie sich darauf gefasst, dass es Stunden dauert, bis wir wieder an der Oberfläche sind.
Wir verlassen die Wasseroberfläche und tauchen in die Tiefe, das Blau unter uns wird noch immer von der Sonne durchflutet. Wir befinden uns im Epipelagial, der obersten Schicht des Meeres, die bis in eine Tiefe von 200 Metern reicht. Im Laufe unserer Reise fällt sofort auf, dass die Farben immer blasser werden; je tiefer wir kommen, desto mehr werden sie absorbiert. Als Erstes verschwinden die langwelligen Farben, wie Rot, Gelb und Orange, die kurzwelligen Farben, wie Violett und Blau, begleiten uns am längsten. Ein ähnliches Phänomen wie am Himmel: Obwohl das Wasser durchsichtig ist, wirkt das Meer für unsere Augen wie ein riesiges blaues Segel.
Diese Zone wird von der Sonne durchflutet und erlaubt Algen und anderen planktischen Organismen, Fotosynthese zu betreiben, genau wie über dem Wasser an Land. Deshalb ist die epipelagische Zone so wichtig für das Leben im Meer: Hier findet die Primärproduktion statt. Kaum zu glauben, dass mit bloßem Auge nicht sichtbare Organismen so wichtig und so zahlreich vorhanden sind, dass sie die Energiequelle und die Basis für das Leben von Millionen von Spezies darstellen: das Phytoplankton.
Plankton ist die Bezeichnung für die Gesamtheit der winzig kleinen Organismen, die frei im Wasser schweben und von Strömungen und Wellen bewegt werden. Der Begriff umfasst sowohl tierisches Plankton (Zooplankton) als auch pflanzliches Plankton (Phytoplankton). Darunter fallen Mikroalgen und Fotosynthese betreibende Cyanobakterien. Diese produzieren mehr als die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, und absorbieren und verbrauchen etwa ein Drittel des in der Atmosphäre vorhandenen Kohlendioxids. Zudem bilden sie als erste Stufe der maritimen Nahrungskette die Basis für die Gesundheit und Funktionalität des Meeres und die Nahrungsquelle unzähliger Lebewesen, von Mikroorganismen bis hin zu Walen.
Schauen wir uns einige dieser Organismen unter dem Mikroskop an, dann entdecken wir überraschende Farben und Formen, wie zum Beispiel die Kieselalgen. Sie kommen in Meeren gemäßigter Klimazonen vor und haben schalenartige Zellenhüllen, die wie Kunstwerke wirken.
Oder die Dinoflagellaten, die ihren Namen zwei mikroskopisch kleinen Flagellen verdanken, fadenförmige Gebilde, die wie Peitschen wirken und der Fortbewegung dienen. Sie sind so winzig und zahlreich, dass sich in einem Glas Meerwasser mehrere Millionen dieser Einzeller befinden können. Obwohl sie mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind, können sie Bemerkenswertes leisten. Einige sind schädlich, wie die Karenia brevis, die sich in gigantischen Massen sammeln und so viel Gift produzieren, dass sie die Küstenfauna in wenigen Monaten erheblich dezimieren können. Andere, wie die Noctiluca scintillins, ein Dinoflagellat, der zur Biolumineszenz fähig ist, kann in Massenansammlungen nachts ganze Buchten zum Leuchten bringen.
Inzwischen sind wir tiefer getaucht. Nach und nach ist auch der letzte Lichtschein verschwunden und mit ihm die letzten Konturen der Welt, wie wir sie kennen. Wir sind in der nächsten Zone angekommen und bewegen uns unsicher und nahezu blind im diffusen Halbdunkel. Unter uns liegt die Tiefsee.
Wir haben das Licht hinter uns gelassen. Zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe öffnet sich ein Reich, extrem und doch artenreich, das man Mesopelagial oder Dämmerzone nennt. Hierher dringt nur noch ein Prozent des Sonnenlichts durch, viel zu wenig, als dass die Primärproduzenten, das Phytoplankton, überleben könnten. Für die tierischen Organismen gilt das nicht. Es gibt Schätzungen, die davon ausgehen, dass 90 Prozent der Biomasse der Meeresfische in der mesopelagischen Zone anzutreffen sind. Eine enorme Menge, die sich gemäß einer kürzlich in der Wissenschaftszeitschrift Nature veröffentlichten Studie auf etwa zehn Milliarden Tonnen beziffert. Das entspricht etwa dem Hundertfachen dessen, was jährlich aus den Weltmeeren gefischt wird und dem Zweihundertfachen der Biomasse aller Haushühner, der weltweit größten Nutztierart.
Zum besseren Verständnis: Als Biomasse wird die Stoffmasse von tierischen oder pflanzlichen Organismen bezeichnet, die sich in einem bestimmten Moment in einer klar umrissenen Umgebung aufhalten.
Nur wenige Lebewesen der mesopelagischen Zone sind bekannt, wie zum Beispiel die Laternenfische oder die Borstenmäuler, die Gonostomatidae. Von diesen Tiefseebewohnern gibt es wahrscheinlich Trilliarden und alle hängen direkt oder indirekt von den Organismen der epipelagischen Zone ab. Jede Nacht kommt es in den Ozeanen zu der größten vertikalen Migration auf unserem Planeten: Die Bewohner des Mesopelagials folgen dem Zooplankton auf dem Weg zur Wasseroberfläche; während des Aufstiegs werden sie ihrerseits Teil der Nahrungskette und von Fischen gefressen, die weiter oben lauern, wie Thunfische, Schwertfische oder Haie.
Dieses Phänomen wurde während des Zweiten Weltkriegs durch Zufall entdeckt. Bei Sonarmessungen zur Ermittlung der Meerestiefe traute man seinen Augen nicht: Tagsüber zeigten die Instrumente eine Meerestiefe von 900 Metern an, nachts war die Tiefe an gleicher Stelle aber deutlich geringer. Es dauerte eine Weile, bis man das Rätsel lösen konnte: Die Instrumente hatten sich von den Laternenfischen verwirren lassen! Ihre mit Luft gefüllten Schwimmblasen hatten die Sonarwellen reflektiert. Die Messgeräte hatten die riesigen und dichten Schwärme dieser nur wenige Zentimeter großen Fische für den Meeresboden gehalten, der sich unerklärlicherweise nachts nach oben bewegte.
Seitdem haben die Biologen sehr viel gelernt. Heute wissen wir, dass die tägliche Vertikalwanderung zwischen Mesopelagial und Epipelagial einen fundamentalen Beitrag für den Klimaschutz leistet. Wenn die Fische nach oben schwimmen, um Plankton oder andere Mikroorganismen zu fressen, nehmen sie auch den in ihrer Nahrung gespeicherten Kohlenstoff auf und transportieren ihn in tiefere Gewässer. Dadurch wird er der Atmosphäre entzogen, wo er zum Treibhauseffekt und zum Klimawandel beitragen würde. Auch die nur wenige Zentimeter großen Salpen tragen ihren Teil dazu bei, in dem ihr Kiemendarm das Wasser auf der einen Seite einsaugt und auf der anderen wieder ausstößt. Während das Wasser durch ihren Körper fließt, bleibt das Plankton zurück, das ihnen als Nahrungs- und Energiequelle dient. Danach scheiden sie kugelförmige Exkremente aus, die sich rasch im Wasser verteilen und den Kohlenstoff in die Meerestiefe transportieren, wo er Tausende von Jahren verbleibt.
Die Dämmerzone ist also voller Leben und Ressourcen und trägt einen wichtigen Teil zur Verbesserung der Lebensqualität auf der Erde bei. Außerdem ist sie der sicherste Ort, an dem sich die Tiere aufhalten, die tagein, tagaus diese Vertikalwanderung unternehmen. Trotzdem ist Vorsicht geboten, denn auch das Verstecken in der Dämmerung kann problematisch sein. Wenn Sie vom Mesopelagial nach oben schauen, werden Sie es verstehen: In der Dunkelheit, in der wir uns befinden, genügt ein winziger Lichtstrahl, der durch die ferne Wasseroberfläche dringt, um eine Silhouette oder eine Bewegung der hier lebenden Tiere sichtbar zu machen. Die Natur hat für alles eine Lösung: In einer Welt der Dunkelheit kann das Licht zu einem Schlüssel für das Überleben werden.
Es gibt Hunderte Arten von Laternenfischen (Myctophidae), die die Dämmerzone bevölkern, aber sie haben alle eines gemeinsam: Ihr Körper ist mit Photophoren besetzt, Leuchtorganen, die nicht nur Licht erzeugen, sondern auch dessen Intensität je nach Bedarf regulieren können. Besonders wichtig ist das Nachahmen des Oberflächenlichts, wodurch die potenziellen Beutetiere für die Augen der Jäger fast unsichtbar werden. Eine wichtige Eigenschaft für Fischschwärme, die so groß wie ein Haus sein können. Mit den Photophoren lassen sich aber auch wichtige Botschaften übermitteln. Und genau dieses Phänomen hat seit langem die Neugier der Wissenschaftler geweckt.
Um die Tragweite dieser Problematik zu verstehen, muss man eines wissen: 76 Prozent aller Meerestiere sind biolumineszent. Diese Eigenschaft ist demnach ein vorherrschendes Charakteristikum und im Übrigen seit Langem bekannt. Der Erste, der diese wichtige Frage näher untersucht hat, war der französische Physiologe Raphael Dubois, der Ende des 19. Jahrhunderts über die Pholas dactylus geforscht hat, eine zweischalige Muschel, ähnlich einer Venusmuschel, die durch ihren Siphon einen leuchtenden Schleim ausstoßen kann. Dubois entdeckte, dass Biolumineszenz von bestimmten Bakterien erzeugt wird, die Licht produzieren können. Daraufhin untersuchte er weitere Meeresbewohner, wie zum Beispiel die Kammquallen, die nachts den Hafen von Menton erhellten. Dabei stellte er fest, dass die Lichtproduktion in diesem Fall auf die Interaktion zwischen zwei chemischen Substanzen zurückzuführen ist: ein Enzym als Katalysator und eine organische Verbindung. Bei der chemischen Reaktion der beiden Stoffe wird Energie in Form von Licht abgegeben. Aus diesem Grund nannte Dubois sie Luciferine und Luciferase, nach dem lateinischen lucifer, „Licht bringend“.
Nachdem die Stoffe identifiziert waren, galt es die biologische Funktion zu verstehen. Da die Biolumineszenz fast überall im Stammbaum der Evolution vorhanden war, von den Pilzen bis zu den Wirbeltieren, musste es sich um eine fundamentale Fähigkeit für das Überleben der Arten handeln.
Um die Biolumineszenz der Meeresbewohner besser zu verstehen, bot es sich an, dieses Phänomen zunächst bei Landtieren zu untersuchen. Außerhalb der Meere kommt die Biolumineszenz eher selten vor, etwa bei Insekten, Würmern und Pilzen. Einen Vertreter allerdings kennen wir alle, das Glühwürmchen. Es war daher kein Zufall, dass man sich als Erstes diesem Leuchtkäfer widmete. Man fand heraus, dass es sich bei den Leuchtsignalen um ein Balzverhalten handelt. Der nächtliche Tanz der Glühwürmchen auf den Wiesen im Sommer ist ein Liebeswerben, ein Lockruf ohne Ton, aber mit Licht. Männchen und Weibchen sind gleichermaßen mit Leuchtorganen ausgestattet. Das Weibchen kann mehr als zwei Stunden lang Lichtsignale aussenden, das Männchen jedoch nur wenige Augenblicke. Auf diese Weise verständigen und locken sie sich, bevor sie sich schließlich paaren. Die Weibchen warten mit ihrem leuchtenden Bauch auf die Männchen. Kommt keines, dann ziehen sie sich in ihr Versteck zurück und versuchen es in der folgenden Nacht noch einmal.
Durch die Glühwürmchen haben wir gelernt, die Fische zu verstehen, denn auch bei ihnen dient die Biolumineszenz meistens der Fortpflanzung. Der Laternenfisch zum Beispiel nutzt das Licht, um einen Partner anzulocken, aber auch allgemeiner zur Kommunikation und um sich in Schwärmen von Tausenden Individuen wiederzuerkennen.
Das gilt aber nicht nur für Fische, sondern auch für Meereswürmer, wie zum Beispiel Odontosyllis enopla, die ihr Leben im Sand von Buchten verbringen und bei Vollmond vom Leuchten der Weibchen ins offene Meer hinausgezogen werden. Die faszinierende Biolumineszenz dieser Würmer, die zur Klasse der Vielborster gehören, wurde zum ersten Mal wahrscheinlich im August 1492 von Christoph Kolumbus dokumentiert, kurz bevor er in Amerika an Land ging. Er beschrieb das Phänomen als „flackerndem Kerzenlicht ähnlich“, da es mal schwächer und dann wieder stärker wurde. Diese leuchtenden Würmer sind tatsächlich an den Küsten der Bermudas, Puerto Ricos und Südkaliforniens weitverbreitet. Wissenschaftler haben den beeindruckenden Tanz dieser Wesen beobachtet, die sich im Sommer und im Herbst in der dritten Nacht nach Vollmond paaren, und dabei festgestellt, wie unglaublich präzise und synchron ihre Bewegungen sind. Genau 55 Minuten nach Sonnenuntergang kommen die Weibchen an die Oberfläche und beginnen zu leuchten, um die Männchen anzulocken. Kurz danach steigen auch die Männchen auf, gesellen sich zu den Weibchen und beginnen ebenfalls zu leuchten; Männchen und Weibchen entlassen sodann ihre Keimzellen ins Wasser, um dann „erloschen“ wieder in die Tiefe zurückzusinken und sich eine neue Wohnröhre zu bauen. Ein internationales Forscherteam hat entdeckt, dass die Bermuda-Feuerwürmer über ein Biolumineszenz-Enzym verfügen, das sich von dem aller anderen Licht erzeugenden Lebewesen, wie zum Beispiel Tiefseefische und Glühwürmchen, elementar unterscheidet.
Die biologische Lichterzeugung wird teilweise auch als Überraschungseffekt genutzt: Der Räuber sendet ein intensives Lichtsignal aus, als ob er das Fernlicht aufblenden würde, sodass die Beute geblendet wird und leichter zu fangen ist. Ein Beispiel dafür sind die Armflosser, Lophiformes