Über dieses Buch:
Sachsen im frühen 9. Jahrhundert: Gemeinsam haben Odo und Lupus, die Kommissare Karls des Großen, bereits manche Gefahr überstanden – doch nichts hat sie darauf vorbereitet, was im Grenzgebiet zum heidnischen Wendenland auf sie wartet. Eine finstere Bande sorgt mit Mord und Menschenhandel für Unruhen – gelenkt und gedeckt von fränkischen Würdenträgern und sächsischen Stammesführern! Kriegsgefahr liegt in der Luft. Als auch noch eine junge Baut entführt wird, müssen Odo und Lupus alles aufs Spiel setzen, um eine Katastrophe zu verhindern …
„Ein erfrischend guter Roman im historischen Kontext. Mal wieder etwas anderes als CSI-XY. Die Atmosphäre stimmt ebenso wie die Sprache und das Verhalten der Charaktere – ein Lesespaß.“ www.media-mania.de
Über den Autor:
Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins. Bei dotbooks erschienen seine historischen Romane rund um Odo und Lupus, die Kommissare Karls des Großen:
Demetrias Rache
Saxnot stirbt nie
Pater Diabolus
Die Witwe
Pilger und Mörder
Tödliche Brautnacht
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Neuausgabe Mai 2013
Copyright © der Originalausgabe 2008 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München
ISBN 978-3-95520-259-0
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Robert Gordian
Tödliche Brautnacht
Odo und Lupus, Kommissare Karls des Großen
Sechster Roman
Dotbooks
Am Ende dieses eBooks finden Sie ein Personenverzeichnis und in einem Glossar zahlreiche Wort- und Sacherklärungen.
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
Dramatis personae
Glossar
Lesetipps
Gruß und Heil entbietet dem edlen Volbertus, Prior im Kloster N., sein treuer Vetter Lupus.
Lange Zeit hörtest Du nichts von mir. Es sind sogar einige Jahre vergangen, seit ich Dir unser letztes Abenteuer schilderte. Warum schwieg ich? Ganz einfach, weil sich nichts ereignete. Für Belangloses soll man nicht die Kuhhaut verderben, dazu ist sie als Pergament zu kostbar.
Ich beklage mich nicht, aber nachdem ich auf unseren Reisen ein Stück von Gottes Welt gesehen hatte, fiel es mir nicht leicht, in die Kanzlei zurückzukehren und wieder jahraus, jahrein das Gleiche zu tun: Ernennungsurkunden aufsetzen, Erbschaftsverträge prüfen, Verordnungen vervielfältigen. Odo sah zwar von Zeit zu Zeit herein und sagte: „Geduld, mein Bester, bald geht’s wieder los!“ Aber dann waren es immer nur hohe Herren, meist Grafen und Bischöfe, die als missi dominici ins Reich geschickt wurden. Seit unser Herr Karl nicht mehr nur König, sondern Kaiser ist, legt er nämlich besonderen Wert darauf, dass die Männer, die er als seine Bevollmächtigten und Stellvertreter ausschickt, etwas von seinem Glanz verbreiten. Dazu müssen sie natürlich auch selber glänzen und, wenn sie zur Geistlichkeit gehören, wenigstens ein paar Perlen an der Mütze haben. Was kann einer wie ich, der es nur bis zum Diakon gebracht hat, für seine Dienste schlecht bezahlt wird und immer noch in seiner alten abgewetzten Mönchskutte herumläuft, schon für Glanz verbreiten?
Mit Odo steht es nicht viel besser. Die schönen Träume vom Aufstieg in höhere Ränge am Hofe, beim Militär, in einer Stadt oder in einer Grafschaft haben sich rasch verflüchtigt. Er ist nach wie vor einfacher Königsvasall. In letzter Zeit befehligte er eine kleine Abteilung der Palastwache. Jedes Mal, wenn wieder so eine glänzende Abordnung loszog, schimpfte er: „Diese aufgeputzten Vergnügungsreisenden! Was können die als mandatum haben? Fressen, saufen und huren. Und natürlich Geschenke einsammeln. Wir beide kommen erst wieder dran, wenn es irgendwo richtig brennt und stinkt. Erinnere dich an meine Worte!“
Wie recht er hatte! Beim Lesen dieser Abhandlung wird Dir, mein lieber Volbertus, manchmal ein Schauer über den Rücken laufen. Ich empfehle Dir deshalb, sie in Etappen zu lesen, zwischendurch aber immer mal wieder etwas Erbauliches aus den heiligen Schriften oder den Werken der Kirchenväter. So wirst Du Dich stärken, und die Schrecknisse und Ungeheuerlichkeiten, die ich Dir mitteilen muss, werden Dich nicht so erschüttern. Denn trotz allem wollen wir ja nicht daran zweifeln, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf.
Es war an einem Apriltag, so um die neunte Stunde, nachmittags also. Ich hatte gerade, nach meiner Gewohnheit aus der Klosterzeit, mein Stundengebet verrichtet und war darüber ein wenig eingenickt, als ich plötzlich einen Schlag auf die Schulter verspürte. Mein Kopf – er hatte wohl auf dem Schreibpult gelegen – fuhr hoch, und meine Augen erblickten Odos gewaltige Nase und seine braunen Augen, die wie Kastanien im Feuer glühten.
„Aufgewacht, Vater, jetzt wird es ernst! Es gibt Arbeit. Der Alte verlangt nach uns. Komm mit!“
„Was sagst du? Wer? Der Herr Karl? Der Kaiser persönlich?“
„Wer sonst sollte Odo von Reims so in Trab bringen?“
„Und er will, dass auch ich …?“
„Nun mach schon! Wir haben Audienz!“
„Kann ich denn so, wie ich bin …?“
„Du meinst, ohne deinen Heiligenschein? Wir sagen, der wird gerade vergoldet. Auf! Vorwärts!“
Kurz darauf wurden wir beide in den kaiserlichen Empfangssaal geführt.
Der Herr Karl saß in seinem Armstuhl, und als er uns bemerkte, winkte er uns gleich ungeduldig heran. Bei ihm war der kleine Herr Einhard, ein Gelehrter, der zum engeren Kreis seiner Berater gehört. Der stand neben dem Armstuhl so nahe am Ohr des Kaisers, dass er sich nicht einmal vorbeugen musste, um etwas hineinzuflüstern. Außerdem waren da noch zwei Fremde, die ich schon mehrmals hier in Aachen gesehen hatte. Obwohl es bereits sommerlich warm war, trugen sie auch jetzt ihre Schafspelze. Ihre spitzen Filzkappen hatten sie ehrfürchtig abgenommen und kneteten sie in den Händen. Man erkannte sie daran als Leute von jenen Stämmen, die im Norden und Osten jenseits der Elbe leben und die wir als Wenden bezeichnen. Mir schwante nichts Gutes, als ich sie hier sah.
Wir traten vor, verbeugten uns vor dem Herrn Karl und wurden gnädig von ihm angeredet. Ich war ihm lange nicht so nahe gewesen und fand ihn noch eindrucksvoller als früher. Der massige Körper, der Stiernacken, der runde Kopf mit den grauen Haaren, der buschige Schnurrbart – alles wirkte majestätisch. Er ist ja ein Riese, und obwohl ich stand und er saß, sah er auf mich herab. Sein Blick ist so scharf und zwingend, dass man wahrhaftig Mühe hat, ihn auszuhalten. In meiner Aufregung und Verwirrung hörte ich zwar seine Worte, erfasste aber zunächst ihren Sinn nicht, und erst als ich mal kurz einen hilfeheischenden Seitenblick wagte und Odo zufrieden grinsen sah, begriff ich, dass wir gelobt wurden. Tatsächlich, der Kaiser rühmte unsere Verdienste! Er sprach von unserem Scharfsinn und unserem Mut, die sich gegen Bischofsmörder, Reliquienfälscher, Erbschleicher und Witwenschänder bewährt hätten. Freilich hatte er sich das alles nicht selber gemerkt, sondern es war Herr Einhard, der unentwegt die Lippen bewegte und ihm vorsagte. Der Herr Karl sagte dann, wir hätten uns so vortrefflich bewährt, dass wir verdienten, dafür geehrt zu werden. Männer wie wir – und dabei ballte er die Faust und klopfte nachdrücklich auf die Armlehne – würden von ihm ihrem Wert entsprechend behandelt und seien für höhere Aufgaben bestimmt. Odos Grinsen wurde noch breiter. Der ganze Odo wurde breiter, seine Brust wölbte sich, sein Schnurrbart sträubte sich, seine Schultern dehnten sich so sehr, dass er mich, der ich neben ihm stand, beinahe aus der Senkrechten stieß. Ich gestehe, auch ich war voller Erwartung. Nach diesem kaiserlichen panegyricus musste uns etwas Wunderbares geschehen. Gleich würde es kommen.
Und dann kam es.
Wir hatten, im Lichte des höchsten Wohlwollens stehend, die beiden Wenden gar nicht mehr wahrgenommen. Bescheiden hielten sie sich etwas abseits.
Jetzt deutete der Herr Karl mit dem Finger auf sie und fuhr fort: „Diese Männer benötigen eure Hilfe. Das heißt, nicht nur sie, sondern ihre Leute zu Hause, die Wenden oder … eh … (Herr Einhard flüsterte eifrig) … Obodriten, Polaben, Waräger … nun, diese Stämme zwischen der Elbe und dem östlichen Meer. Ihr König Ratibor hat sie hergeschickt, und sie haben mir gerade vorgetragen, was sie bedrückt. Es scheint, dass ihnen unrecht getan wird, und das kann ich nicht dulden, denn sie sind Freunde. In meinen Kriegen gegen die Sachsen waren sie immer treue Verbündete. Erst vor ein paar Jahren, in der Schlacht auf dem Suentanafeld, kämpften sie tapfer unter ihrem Oberkönig Drazko, und auch schon vorher, als es gegen die anderen Wenden ging, die feindlichen, die … eh … Wilzen. Immer waren sie an unserer Seite, und deshalb bin ich ihr Freund und Beschützer, und es soll sich niemand etwas gegen sie herausnehmen, wie es anscheinend Graf Waratto tut, der sie manchmal belästigt …“
Plötzlich rief einer der Wenden, ein Hagerer mit Sichelbart: „800 Menschen, Herr Kaiser! 800 Menschen hat fortgeschleppt Graf Waratto! Zusammen mit diesem Missetäter, mit Sachsenhäuptling, mit Remmert! Haben alle verkauft, Männer, Frauen und Kinder, haben große Geschäft gemacht mit Händler Bromios, der sie bringt zu König der Mauren, nach Cordoba. Auch meine Tochter, Herr Kaiser, ganz winzig noch …“
„Schweig!“, sagte Herr Einhard schneidend. „Wie kannst du wagen, den Herrn Kaiser zu unterbrechen! Du hörst doch, dass er sich eurer Sache annimmt. Also halt’s Maul und warte ab!“
Der Gerüffelte verbeugte sich demütig und trat noch ein paar Schritte zurück. Auch der andere, der mit seinem Borstenhaar einem Igel glich, buckelte.
„Nun“, sagte der Herr Karl, „so also stehen dort die Dinge. Man muss etwas tun. Ihr beide … eh … Odo und Lupus, seid hiermit zu Gesandten ernannt. Im Reich habt ihr euch bewährt, deshalb erhöhe ich euern Rang und vertraue euch eine auswärtige Mission an. Ich wünsche, dass ihr diesen Ratibor aufsucht und ihn meiner Freundschaft und Bündnistreue versichert. Sagt ihm, solche Vorkommnisse werden sich nicht wiederholen. Und mit Geschenken soll nicht gespart werden! Was Waratto betrifft, so soll er ein Bußgeld zahlen, wenn er seine Befugnisse überschritten hat. Zu prüfen ist, ob er bei seinen Geschäften nicht den Fiskus vergessen hat, wie es Vorschrift ist. Zu prüfen ist ferner … nun, aber das wisst ihr ja, wozu darüber noch viele Worte machen. Bringt ihm das neue Kapitular, da steht alles drin …“
Der Herr Karl musste gähnen, und sein Blick war nicht mehr so scharf und zwingend. In seinem Armsessel war er zusammengesunken und sah jetzt sogar ein wenig zu mir auf. Die Zeit für seinen Nachmittagsschlaf war nämlich gekommen. Man bemerkte nun auch, wie alt er geworden war. Wenn er beim Gähnen den Mund aufriss, kamen nur noch wenige schwärzliche Zähne zum Vorschein. Wenn man nicht in seine Augen starrte, sondern sein ganzes Gesicht betrachtete, fielen einem die tiefen Furchen auf. Die ersten anderthalb Jahre als Kaiser hatten unsern Herrn Karl ziemlich mitgenommen.
Herr Einhard klatschte in die Hände und sagte, dass die Audienz für alle beendet sei. Wir verbeugten uns und gingen hinaus.
Odos stolze Heiterkeit war verflogen. Während des zweiten Teils der Ausführungen des Herrn Karl war er wieder auf sein normales Maß geschrumpft, und sein Schnurrbart hing am Ende der Audienz herab wie das Gezweig einer Trauerweide. Nun stapfte er wortlos davon, so dass ich Mühe hatte, mit meinen halb so langen Beinen an seiner Seite zu bleiben. Meine Versuche, ein Gespräch zu beginnen, beantwortete er nur mit wütendem Grunzen und der Beschleunigung seiner Schritte. Schließlich landeten wir in einer Schenke, wo er, nachdem er zwei Becher Wein hinuntergestürzt hatte, endlich den Mund auftat. Die Flüche und Kraftworte, die er ausstieß, lasse ich weg, er benutzte sie reichlich. Auch das Übrige war nicht weniger anstößig.
„Eine Gesandtschaft zu diesen Sumpfottern!“, polterte er. „Das nennt der Alte nun Rangerhöhung! Dafür hält er uns eine Schmeichelrede! Ich hoffte schon, dass ich nun endlich meine Grafschaft bekäme, um meine Fähigkeiten zu nutzen und etwas Fett anzusetzen, als Alterszehrung. Stattdessen wate ich wieder im Dreck und lasse mir Eisen um die Ohren fliegen!“
„Die Obodriten sind ja noch immer mit uns befreundet“, wandte ich ein. „Das hat der Herr Kaiser ausdrücklich betont.“
„Du steckst deine Nase zu tief in die Bücher, Freund, sie wird davon stumpf. Ich wittere den Gestank schon von hier, über Hunderte Meilen. Wie werden die noch unsere Freunde sein, wenn Franken und Sachsen ihnen die Weiber wegfangen und an die Turbanträger verkaufen! Ich kenne Waratto, habe mal mit ihm das Zelt geteilt. Es gibt keinen zweiten Gierschlund wie den. Der stiehlt dir die Goldstücke, wo immer du sie verwahrst, und sei es im Arschloch. Aber so einen macht der Alte zum Markgrafen, damit er den Frieden an der Elbe sichert. Natürlich, er ist ein Verwandter des Meginfred, des Herrn Seneschalk! Ich dagegen … ich darf den sauren Brei fressen, den er gekocht hat. Bin ja ein Merowinger … nur einer, für den sich niemand verwendet. Den man am liebsten loswerden möchte!“
„Ich bitte dich, sprich nicht so laut!“, sagte ich und sah mich um nach den anderen Gästen der Schenke, die zum Glück in ihre eigenen Gespräche vertieft waren. Odo war jedoch nicht mehr zu bremsen.
„Jawohl!“, bekräftigte er mit düsterem Hohn, nachdem er einen weiteren Becher geleert hatte. „Das wäre dem Alten nur recht. Ich bin ein Enkel der Schwester des letzten Königs, dem diese Hausmeier den Thron geraubt haben. Diese Pi-pi-pi-pippins und Ka-ka-ka-karle! Wenn der Alte auch satt und zufrieden in seinem Armstuhl sitzt und – wie Gott seine Schöpfung – schon alles vergessen hat … eines hat er bestimmt nicht vergessen: dass eigentlich einer von uns, ein Merowinger, an seine Stelle gehörte. Und deshalb schickt er den Letzten von uns immer dorthin, wo es Hoffnung gibt, dass er nicht wiederkommt!“
„Wie kannst du so etwas behaupten, Odo?“, sagte ich seufzend. „Mich schickt er ja ebenfalls dorthin. Und was sollte er gegen mich unbedeutenden Menschen haben?“
„Du bist mein Freund, das genügt ja schon“, erwiderte er überzeugt – und enttäuschend, denn ich hoffte, er würde das „unbedeutend“ bestreiten und meine gelegentlichen Scharmützel mit gelehrten, aufgeblasenen Dummköpfen als Ursache für meine Versendung benennen.
Endlich dämpfte er die Stimme und setzte eine schlaue Miene auf.
„Aber sei guten Mutes. Ich verfolge seit einiger Zeit einen Plan. Er ist ausgezeichnet und wird gelingen. Und du wirst auch etwas davon haben. Wenn ich erst Graf bin, wirst du Bischof. Wenn ich erst einmal sein Schwiegersohn bin, kann mir der Alte nichts mehr verweigern!“
„Was? Was? Sein Schwiegersohn?“, sagte ich und sah mich wieder erschrocken um.
„Ja! Ich, der letzte Merowinger, werde mich dazu herablassen. Ich werde in diese thronräuberische Karolingerfamilie eindringen wie ein Wurm in den Apfel!“
„Odo …“
„Hör zu. Die Sache ist noch geheim, aber trotzdem wahr. Eine von seinen Töchtern liebt mich!“
„Nein!“, unterbrach ich ihn unwirsch. „Davon fang nur nicht wieder an. Die Geschichte kenne ich schon, und ich weiß, wie sie ausging.“
„Nichts weißt du!“ Er beugte sich augenzwinkernd zu mir herüber und kitzelte mich mit seinem Schnurrbart. „Du denkst vielleicht, ich rede noch immer von Rotrud. Was geht die mich noch an? Soll sie sich doch mit diesem Rorico von Maine verlustieren, sie ist schon ganz hässlich davon geworden. Der Alte hat ja zum Glück nicht nur eine Tochter gezeugt. Ich meine nicht Rotrud, sondern Hiltrud!“
„Wie? Die Ältere von der seligen Königin Fastrade?“
„Dieselbe. 16 Jahre alt, ein Juwel. Die Schönste von allen!“
„Und die soll dich alten Knochen lieben? Du bist etwa so alt wie ich, an die 40!“
„Das bestreite ich. Und eine liebende Jungfrau stört das nicht. Ich hatte das Glück, sie öfters mit meinem Trupp als Schutzwache zu begleiten. Sie macht mir Augen … so!“
Er starrte mich an und klapperte mit den Lidern, als wollte er mit mir schöntun und mich gleich küssen.
„Nun reicht es aber“, sagte ich und wandte mich ab. „Wie gut, dass wir einen Auftrag haben und von hier fortmüssen. Du brächtest dich sonst nur wieder in Schwierigkeiten!“
„Diesmal wird alles gründlich bedacht. Wir heiraten heimlich! Sobald wir zurück sind, entführe ich sie! Und dann …“
„Sieh doch mal“, sagte ich, um ihn von dem verfänglichen Thema abzubringen. „Da hinter den Fässern sitzen die beiden Gesandten und gucken herüber. Die haben sich anscheinend gleich an unsere Fersen geheftet. Wir werden sie wohl oder übel als Reisebegleiter mitnehmen müssen.“
„Zum Teufel mit ihnen!“, sagte Odo, nachdem er den beiden einen scheelen Blick zugeworfen hatte. „Da kommt mir gleich ein Gedanke, Vater. Wozu mit den Sumpfottern Zeit verlieren? Eigentlich sind sie selber schuld, wenn man ihnen die Weiber raubt! Habe ich recht? Was sind das für Männer! Ich jedenfalls … ich, Odo von Reims, lasse mich nicht mehr berauben … so wie beim letzten Mal von diesem Laffen, diesem Rorico von Maine. Ich werde mir Hiltrud nicht wegschnappen lassen. Ich werde handeln, und deshalb kann ich nicht lange fortbleiben. Pass auf! Wir machen uns auf den Weg und verlieren die beiden Kerle, die Filzhüte, unterwegs irgendwo in einem Moorloch.“
„Was sagst du? In einem Moorloch?“
„Nun ja … Wir bestatten sie auf Germanisch. Wie findest du das? Und dann kehren wir rasch zurück und sagen, wir hätten diesen Ratzebolz oder Ratibor, ihren Sumpfotternkönig, nicht angetroffen, weil ihn der Dänenkönig Göttrik inzwischen vertrieben hat und die Siedlungsplätze der Sumpfottern leer waren. Glaubst du, der Alte macht sich auf, um sie zu suchen? Später sind sie dann wieder da, aber jetzt sind sie weg. Wer weiß schon, was jenseits der Elbe passiert. Wir können daran ohnehin nicht viel ändern …“
„Du hast einen Becher zu viel getrunken und redest Unsinn!“, sagte ich streng. „Vergiss nicht, wir haben noch mehr zu erledigen. Wir müssen dem Grafen Waratto das neue Kapitular bringen, ihm die Bestimmungen dazu erläutern …“
„Wozu die Mühe? Es wird nichts nützen! Oder glaubst du vielleicht, dass Waratto sich daran halten würde? Sobald wir fort sind, treibt er es nur umso schlimmer. Deshalb hat es gar keinen Zweck …“
Er unterbrach sich und blickte auf. Da standen die beiden Wenden neben dem Tisch und sahen ernst auf uns herab.
„Wenn Graf Waratto es treibt noch schlimmer“, sagte der Sichelbart, „dann wir keine andere Wahl haben. Wird Krieg sein zwischen Franken und Obodriten!“
„Und gute Männer sterben viele“, ließ sich der Igel vernehmen. „Schlecht für Franken und Sachsen, schlecht für Obodriten und Polaben.“
Wahr gesprochen! Ich lud die beiden ein, sich zu uns zu setzen. Darauf hatten sie nur gewartet, sie zwängten sich neben uns auf die Bank. Odo rückte nur widerwillig beiseite, starrte in seinen Becher und schwieg anfangs hartnäckig. So führte ich das Gespräch mit den Männern zunächst allein. Es wurde rasch lebhaft, denn die beiden waren froh, endlich mit jemandem zu sprechen, der sie anhörte und für sie zuständig war.
Es stellte sich heraus, dass sie schon fast ein Jahr im Frankenreich waren, an diesem Tage jedoch erst dem Kaiser ihr Anliegen vortragen konnten. Nach seiner Krönung in Rom am Weihnachtstag im Jahre des Herrn 800 hatte ja der Herr Karl noch acht, neun Monate in Italien verbracht, um die dortigen Angelegenheiten zu regeln. Man hatte die beiden Obodriten nach verschiedenen Pfalzen geschickt, wo er bei seiner Rückkehr erwartet wurde. Sie trafen ihn aber nirgendwo an, weil er einen ganz anderen Weg nahm, suchten weiter, irrten umher, wurden angefeindet und ausgeraubt. Anfangs waren sie zu dritt, aber der Dritte verlor bei einem Handgemenge das Leben. Erst tief im Winter fanden sie in die Aachener Pfalz zurück, wo auch der Kaiser inzwischen angelangt war. Doch ließ man sie nicht gleich zu ihm vor und setzte sie auf eine Liste. Und die Zeit floss dahin, und sie brauchten Geduld, weil der Herr Karl wieder lange fort war, zur Jagd auf Auerochsen in den Ardennen. Bei einem Wechsler, der zu der Kaufmannschaft von Reric Verbindung hielt, verschafften sie sich die Mittel für einen kärglichen Unterhalt. Endlich nun, im April, war ein Bote Herrn Einhards in ihrer Herberge aufgetaucht und hatte sie in den Palast gerufen.
Der Sichelbart hieß Sparuna, der Igel Niklot. Sparuna, der der Ältere war und meist das Wort führte, war ein Vetter des Ratibor, der sie losgeschickt hatte. Der nannte sich Knes, was bei ihnen ein Häuptling oder König ist, saß nicht weit von der Elbe an einem See, war aber nur der Unterknes, wenngleich ziemlich selbständig gegenüber dem Oberknes Drazko, der weiter im Norden und Osten in seiner Mecklenburg residierte. Ich fragte die Männer aus, denn ich wusste ja kaum etwas über diese Verhältnisse. Hatte ich jemals damit gerechnet, als Gesandter zu den Wenden zu gehen?
Was Odo betrifft, so überwand er schließlich seinen trotzigen Unmut, wurde aufmerksam und beteiligte sich an unserm Gespräch. Anfangs warf er nur ab und zu ein paar Brocken hin. Als aber Sparuna und Niklot schilderten, wie die Gefolgschaft des Grafen Waratto in ihren Dörfern gewütet hatte, rötete sich sein Gesicht in edler Empörung, und er verlangte nach Einzelheiten. Die waren dann aber auch haarsträubend. Gewöhnlich in tiefer Nacht waren die wendischen Bauern überfallen worden. Brände wurden in die hölzernen Katen geworfen, und wenn dann die Menschen, nackt, wie sie von ihrem Nachtlager hochgeschreckt waren, herausstürzten, fing man sie ein und fesselte und knebelte sie. Die Alten, die unbrauchbar waren, wurden gleich totgeschlagen, ebenso die ganz kleinen Kinder, die noch nicht laufen konnten und nur Umstände machten. Auch junge Männer, die sich zu heftig wehrten oder zu fliehen versuchten, wurden niedergemacht. Ein Sohn des Niklot kam so ums Leben. Die Knechte der Angreifer trieben derweil das Vieh von den Weiden, und aus den Hütten schleppten sie noch die Truhen mit den kostbaren Leinentüchern heraus, die bei den Wenden als Zahlungsmittel beim Tauschhandel dienen. Man mag sich die Schrecknisse nicht vorstellen, die sich im Feuerschein eines solchen brennenden Dorfes ereigneten. Die Anführer, die es nicht erwarten konnten, machten sich über die jungen Frauen her, vor den Augen ihrer Männer, über den Leichen ihrer Kinder. Im Morgengrauen trieb man die Unglücklichen fort – manchmal nur 20, aber manchmal auch 60, 80 auf einmal. An der Elbe warteten die Boote. Und ehe der Rauch, der über dem brennenden Dorf zum Himmel stieg, in benachbarten Weilern bemerkt wurde, war die Beute am anderen Ufer.
So schilderten es Sparuna und Niklot.
„Wir beide“, sagte Sparuna, der sehr erregt war bei dieser Erinnerung, „waren bei Ratibor, zu Gericht und Beratung … da Franken und Sachsen kommen in Dorf, machen Raubzug. Wir kehren zurück und was sehen? Trümmer und Tote. Ermordet auch unsere Frauen … nicht mehr jung, nicht zu brauchen. Aber Räuber finden nicht Topf mit Hacksilber, kleiner Schatz, in Wald vergraben. Ich grabe aus und nehme Topf und rudere über Fluss und gehe zu Graf Waratto und sage: ‚Hier, nimm … nimm alles! Aber gib meine Tochter wieder, einziges Kind, noch so klein, 6 Jahre alt.‘ Da lacht Graf Waratto und sagt: ‚Was soll mir das? Dein Silber reicht nicht mal für Gürtelbeschlag. Und deine Tochter ist lange fort. Kommt in sonniges Land, an prächtigen Hof, in großen Palast. Und wenn sie gewachsen ist, schläft sie in Bett von Seide und tanzt vor Emir von Cordoba. Lebt besser dort als bei dir in stinkender Hütte.‘ Ich sage zu Graf Waratto: ‚Du lügst! Sie ist noch hier, weil Händler Bromios kommt später. Kommt erst in Sommer, und es ist Frühling. Gib meine Tochter! Wo ist sie versteckt?‘ Da wird er wütend und schreit nach Männer von seine Gefolgschaft. Und Remmert ist bei ihm, früher Häuptling von Sachsengau, als großer Kaiser noch nicht ihr Herr. Der sagt: ‚Was soll er mit Topf voll Silber? Er kriegt Tochter nicht wieder … was braucht er noch Mitgift für sie?‘ Und reißt Topf aus mein Hand und sagt: ‚Hattest Glück, Filzhut, warst nicht zu Hause, dich Alten hätten wir sonst geröstet. Aber jetzt tun wir dir nichts mehr, weil du uns noch gebracht hast dein Silber.‘ Und die Männer prügeln mich trotzdem und stoßen mich in Burggraben.“
„An diesem Beispiel sieht man“, bemerkte Odo, „dass es sich gelohnt hat, 30 Jahre lang gegen die Sachsen Krieg zu führen, um sie zu guten Christen zu machen. Jetzt sind sie ebenso gute Räuber wie wir. Nicht einmal der kleinste heidnische Topf mit Hacksilber entgeht ihrer Raubgier.“
„Herr Odo will damit sagen“, erklärte ich, weil die Wenden runde Augen machten und die Ironie nicht verstanden, „dass es im Gegenteil schlechte Christen sind, sehr schlechte Christen, die sich auf diese Weise bei ihren Nachbarn bereichern. Gar nicht zu reden von der rohen Gewalt, die sie dabei anwenden. Da ihr so lange unterwegs wart und uns jetzt erst darüber berichten konntet, wird wohl inzwischen noch mehr passiert sein.“
„Kommt jedes Jahr Händler Bromios“, sagte Niklot. „Holt neue Ware von Graf Waratto und Remmert.“
„Kauft Mädchen für 50 Denare, verkauft für 300!“, ergänzte Sparuna empört. „Wir wissen, weil er hat eine in Friesland verkauft, ist ihr aber Flucht gelungen und ist wiedergekommen.“
„Das heißt, er nimmt die Ware am liebsten umsonst“, sagte Odo, der nun ziemlich betrunken war. „Was meinst du, Vater? Wir werden uns diesen Knauser von Sklavenhändler mal ansehen müssen. Kein Wunder bei so schlechter Bezahlung, dass unser armer Waratto ihm die Ware massenweise heranschaffen muss. Auch der Alte ist sehr besorgt. Hast du gehört, was er uns ans Herz legte? Dass bei diesen Geschäften auch ja nicht der Fiskus vergessen wird! Wir werden also den Handel richtig in Schwung bringen müssen, damit er für alle vorteilhaft wird!“
„Warum redest du so vor den beiden?“, zischte ich, weil Sparuna und Niklot wieder erstarrten. „Herr Odo“, wandte ich mich an sie, „meint natürlich den Handel mit Pelzen und Honig. Der Herr Kaiser schickt uns ja zu euch, um unsere alte Freundschaft zu erneuern. Wir werden die Missstände untersuchen und alles tun, damit an der Grenze künftig Frieden herrscht.“
„Eigentlich habe ich keine Zeit“, sagte Odo mit lahmer Zunge. „Ich mache das nur, weil mich der Alte, mein künftiger Schwiegervater, so herzlich darum gebeten hat. Ich müsste mich eigentlich um meine Braut kümmern. Deshalb sage ich euch, es muss alles sehr schnell gehen. Beim nächsten Moorloch wird kurzer Prozess gemacht. Mit einer Bestattung auf Germanisch!“
„Odo!“, rief ich. „Kein Wort mehr!“
„Warum denn? Wir werden schon einige Schufte finden, die dort hineingehören. Haben ja immer welche gefunden. Und meine Nase, dieses prachtvolle, zuverlässige Gerät, hat schon die richtige Witterung. Unseren Freunden, den Filzhüten, soll Gerechtigkeit werden! Das schwört ihnen Odo von Reims, der dafür sogar seine Hochzeit verschiebt!“
Dazu schlug er bekräftigend mit der Faust auf den Tisch. Die beiden Wenden begriffen nun, dass er auf ihrer Seite war, lachten erleichtert, und Sparuna rief: „O große Ehre! Großes Glück! Kommt vornehmer Herr zu Obodriten! Heiratet Tochter von Herrn Kaiser!“
Darauf stimmten sie einen Gesang an, den sie mit Händeklatschen, kleinen Verbeugungen und allerlei seltsamen Gebärden begleiteten und der wohl bei ihrem Stamm eine Art Huldigung war. Odo fühlte sich geehrt, grölte mit, obwohl er gar nichts verstand, und bestellte Wein für die beiden. Ich warf immer wieder besorgte Blicke um mich, weil er nicht aufhörte, von seiner Hochzeit mit der Prinzessin zu prahlen.
Zum Glück war die Aufmerksamkeit der andern Gäste abgelenkt. Alle reckten die Hälse nach der entgegengesetzten Ecke der Schenke. Dort hockten Würfelspieler um einen Tisch, und es gab auf einmal ein großes Geschrei, weil sie einem die Hose herunterzogen, die er wohl gerade verspielt hatte. Der Kerl hatte schon kein Hemd mehr an, und er hielt die Hose, offenbar sein letztes Kleidungsstück, fest und zog sie immer wieder herauf. Im Schummerlicht der wenigen Kerzen, die der geizige Schankwirt angezündet hatte, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, doch irgendwie kam mir seine dürre Gestalt bekannt vor. Immer mehr Männer umdrängten den Tisch, schrien, gestikulierten, lachten. Einige waren dafür, dem Armen die Schuld zu erlassen, weil er schon alles verloren hatte, doch der Gewinner bestand auf Bezahlung und stieß irgendwelche Drohungen aus. Auf einmal drängte sich – ich weiß nicht, woher die plötzlich gekommen war – ein dralles Weibsbild zwischen den Gaffern durch, packte den halbnackten Würfelbruder, schüttelte ihn und fing an zu keifen. Das Gelächter schwoll an, und einer schrie: „Bezahl du doch für ihn, Martinga! Er will seinen Hintern nicht herzeigen – zeig du uns deinen!“ Erst blaffte die Dicke nun auch den Rufer an, aber dann gab es Verhandlungen, und im allgemeinen Gedränge wurde sie plötzlich von mehreren Armen hochgestemmt und stand auf dem Tisch. Und da griff sie auch schon den Rock und das Hemd, hob beides bis zur Mitte des Leibes und zeigte zwei riesige weiße Backen, die mächtig leuchteten, so dass es auf einmal in der schummrigen Schenke ganz hell wurde. Dies wurde mit freudigem Jubel begrüßt, und ich gestehe, auch ich war geblendet, so dass ich meinen geistlichen Stand und mich abzuwenden vergaß. Die Röcke fielen wieder, doch da schrien sie: „Dreimal, Martinga! Dreimal hat er verloren!“ Martinga seufzte, bückte sich aber bereitwillig. Doch als sie nun abermals ihren Rock hochraffte, sprang der Dürre hinzu und zog ihn heftig wieder herunter. Und weil er dazu beide Hände brauchte, ließ er die Hose fahren und stand selber mit nacktem Hintern da. Der erzeugte freilich keine zusätzliche Beleuchtung, denn er war nicht viel größer als zwei Kinderfäuste. Jetzt aber erkannte ich den Mann.
„Rouhfaz!“, rief ich.
Er war es – unser launischer, zänkischer Schreiber, der unübertreffliche Kalligraph. Ich wusste schon, dass er wieder in Aachen war, nachdem er sich eine Zeitlang woanders herumgetrieben hatte. Auch dass er bei einer Stallmagd untergekrochen war, hatte ich gehört, das war wohl diese Martinga. Sein altes Laster hatte er also nicht abgelegt. Erinnerst Du Dich, lieber Vetter Volbertus, an unser Abenteuer in Sachsen, als er sogar unser einziges Zugpferd verspielte?
Ich sprang auf und drängte mich in das Knäuel der Spieler, Zecher und Gaffer.
„Rouhfaz!“
„O Himmel! Ihr seid es, Vater?“
„Zieh deine Hose herauf! Wie viel schuldet er?“
„Noch einen Denar“, sagte der Gewinner der Würfelrunde.
„Und was hat er schon verspielt?“
„Seinen Gürtel und seine Tunika.“
„Und seine Schuhe?“
„Der hat doch keine.“
„Wie viel das Ganze?“
„Zwei Denare.“
Ich nestelte meinen Geldbeutel los und bezahlte. Rouhfaz bekam sein Zeug zurück und bedeckte sich. Die dicke Martinga, die inzwischen vom Tisch geklettert war, schmatzte mir einen Kuss auf die Hand, während sie ihm gleichzeitig mit der Faust drohte.
„Das wirst du mir abarbeiten, Rouhfaz!“, sagte ich. „Melde dich morgen in der Kanzlei. Wir gehen wieder auf Reisen!“
Die letzten Worte rief ich ihm nach, weil Martinga ihn schon mit Knüffen und Püffen nach draußen beförderte. Ich kehrte zurück zu Odo und den beiden Wenden.
„Unsere Gesandtschaft nimmt Gestalt an“, sagte ich und rieb mir fröhlich die Hände. „Nun fehlen noch Helko und Fulk. Du wirst sie hoffentlich alle finden, damit der bewährte Trupp wieder zusammenkommt. Sobald wir vollzählig sind, kann es losgehen!“
„Wie man sieht“, sagte Odo mit schwerer Zunge, „übernimmt Eure Heiligkeit schon die Führung. Aber erlaube eine Frage. Was wäre der Papst ohne Kaiser?“
Er erhob sich und schwankte dabei so heftig, dass wir drei hinzuspringen und ihn stützen mussten.
„Der Papst wäre ohne den Kaiser ein F…“
Ich hielt ihm im letzten Augenblick die Hand vor den Mund. Wer weiß, welche schreckliche Blasphemie ihm da noch entfahren wäre! Er hatte an diesem Abend wahrhaftig genug Unsinn geschwatzt. Ich musste auch für ihn noch die Zeche bezahlen, und dann waren wir endlich mit ihm auf der Straße. Wie einen hohen, starken Pfeiler, den aber der Wind hin und her wirft und der jeden Augenblick fallen kann, schleppten wir drei eher kleinen und schwächeren Kerle ihn in sein Quartier.
So begann unser Abenteuer mit den Wenden.
Wir verloren keine Zeit, und am fünften Tag nach der Audienz beim Herrn Karl machte sich unsere Gesandtschaft schon auf den Weg.
Es war nicht schwer gewesen, die beiden wichtigsten Leute unserer Schutztruppe, Helko und Fulk, die sich auf unseren früheren Reisen bewährt hatten, wiederzufinden. Helko, der junge blonde, beherzte Sachse, gehörte zur Mannschaft des Stallgrafen, wo er einem der marescalci, der Stallmeister, unterstellt war. Den kannte Odo gut, und er ließ sich bereden, seinen besten Mann als Ortskundigen der Gaue, die wir durchqueren mussten, freizustellen. Helko fiel Odo um den Hals und brach vor Freude in Tränen aus, als er hörte, wir würden seine heimatliche Gegend durchreisen, und er würde vielleicht Gelegenheit haben, seine Mutter und seine Geschwister wiederzusehen. Er wurde auch wieder Anführer unserer Schutztruppe, die diesmal übrigens nicht nur aus vier, sondern sechs Mann bestand. Wir waren ja nun nicht nur Boten des Königs, sondern des Kaisers, und unsere Mission war vor allem eine auswärtige.
Mit Fulk war es nicht ganz so einfach. Der alte Eisenfresser mit der flammenden Narbe über der Stirn hatte wieder mal seinen Ruf bestätigt und sich in Ungelegenheiten gebracht. Man hatte ihn als Wächter an eine Brücke gestellt. Da hatte er nun den Sohn des Grafen Rikulf von Vienne hartnäckig für einen Kaufmann gehalten, seinen Wagen durchsucht und für verschiedene kostbare Gegenstände Brückenzoll verlangt. Der empörte Adelige befahl jedoch seinen Dienern weiterzufahren. Fulk zog daraufhin gegen drei Mann sein Schwert, es kam zu einem kurzen Gefecht, und einer der Diener verlor ein Auge, was seinen Wert ja erheblich mindert. Fulk wurde verurteilt, ein Wergeld zu zahlen. Dies hatte er bisher nicht zusammengebracht, und nun wollte ihn sein Gläubiger, der noch in Aachen weilte, nicht fortlassen. Da Odo und ich wegen der Geschenke für den Knes Ratibor ohnehin beim Herrn Camerarius, dem Schatzmeister, vorsprechen mussten, sprachen wir ihm über den Fall, und er erklärte sich schließlich bereit, Fulk die Summe vorzustrecken, damit er reisen konnte. Bei seiner Rückkehr würde er dann Schuldner des Fiskus sein.
„Einen Teufelsschiss werden sie von mir bekommen“, sagte Fulk, als er sich bei uns einfand. „Der Kerl, der sich Sohn des Grafen von Vienne nannte, war nämlich doch ein Kaufmann aus Genf!“
Dies bekräftigte er gleich mit einem Schluck aus seinem altertümlichen Trinkhorn, das er immer noch bei sich trug. Fulk war also auch derselbe geblieben – rechthaberisch, streitsüchtig, aber tapfer.
An den Tagen bis zur Abreise waren wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang rastlos tätig. Wie früher sorgte Odo für Reitpferde, Zugtiere und einen Planwagen. Sein Impetus war leider im Pferdehimmel, und so schwatzte er dem Stallgrafen einen zweijährigen Grauschimmel ab, der seinem Vorgänger ähnlich sah und den er Impetus secundus nannte. Auch ich ritt wieder einen „Grisel“, und dieser war sogar ein direkter Nachkomme meines alten, ein ebenso anhängliches, wenngleich zuweilen recht eigensinniges Eselchen. Odo beschaffte auch die Ladung des Wagens: Zelte, Decken und Mundvorrat, damit wir unterwegs immer ein Obdach hatten und keinen Mangel litten. Denn wir mussten wieder mal quer durch das wilde Sachsen, das ja gerade erst erobert und dem Frankenreich einverleibt worden war. Es gibt dort nur sehr wenige Herbergen, und auf die Gastfreundschaft der örtlichen Machthaber wollten wir uns lieber nicht verlassen. Das lebensgefährliche Abenteuer mit Saxnots Gefolgschaft, von dem ich Euch seinerzeit berichtet habe, mein lieber Volbertus, steckte uns immer noch in den Knochen.
Meine Aufgabe als Schriftkundiger war natürlich, uns mit dem geistigen Rüstzeug für unsere Reise zu versehen. Auch Pergament und Wachstafeln hatte ich zu besorgen, damit wir unterwegs alles festhalten konnten, was dem Herrn Kaiser und den mächtigen Männern am Hofe mitgeteilt werden muss. In aller Eile fertigte ich mehrere Abschriften der „Lex Salica“ an, unseres fränkischen Gesetzbuchs, sowie auch der neuen „Lex Saxonum“