Inhalt
Vorwort
Einleitung
»Kinder verstehen« – ein kurzes Vorspiel
Eine kleine Bedienungsanleitung
Kapitel 1
Wie Kinder essen lernen
Einblick und Ausblick: Unreife als Vorteil
Kapitel 2
Stillen – die natürlichste Sache der Welt?
Einblick und Ausblick : Konflikte in der Familie – Fehler im Plan der Natur?
Kapitel 3
Beifüttern – die Sicht der Natur
Einblick und Ausblick: Warum Kinder den Teller nicht leer essen
Kapitel 4
Wie Kinder schlafen lernen
Einblick und Ausblick: Warum Schlaf?
Kapitel 5
Gemeinsam schlafen?
Einblick und Ausblick: Fetisch Selbstständigkeit?
Kapitel 6
Gehört Schreien dazu?
Einblick und Ausblick: Können Tränen lügen?
Kapitel 7
Warum Kinder trotzen
Einblick und Ausblick: Bedürfnisse – Richtschnur der Erziehung?
Kapitel 8
Wie Kinder sauber werden
Einblick und Ausblick: Windellos erziehen?
Kapitel 9
Zwischenspiel: Die Evolution verstehen
Kapitel 10
Das neue Bild von Bindung
Einblick und Ausblick: Wozu der Babyspeck?
Kapitel 11
Warum Kinder fremdeln
Einblick und Ausblick: Kinderkrippen – wider die Natur?
Kapitel 12
Der natürliche Umgang mit Säuglingen
Einblick und Ausblick: Kann man Kinder verwöhnen?
Kapitel 13
Wie Kinder zu Persönlichkeiten werden
Einblick und Ausblick: Die Kindergruppe – der natürliche Hort?
Kapitel 14
Kompetent erziehen – warum Liebe nicht ausreicht
Einblick und Ausblick: Das Elternbild der Evolution
Kapitel 15
Förderung aus Sicht der Evolution
Einblick und Ausblick: Angeboren oder anerzogen?
Kapitel 16
Wie Fairness und Moral entstehen
Einblick und Ausblick: Moral – ein Widerspruch zur Evolution?
Kapitel 17
Von anderen Kulturen lernen?
Einblick und Ausblick: Rätsel Kindheit. Wozu müssen wir Kinder sein?
Kapitel 18
Natürlich erziehen?
Anhang
Danksagung
Anmerkungen
Bücher zum Thema
Bildnachweis
Stichwortverzeichnis
Für unsere Kinder
Von deinen Kindern
lernst du mehr als sie von dir:
Sie lernen eine Welt von dir, die nicht mehr ist.
Du lernst von ihnen eine, die nun wird und gilt.
(Friedrich Rückert, 1788–1866)
Und für das Kind in uns
Vorwort
Unsere Kinder betrachten wir als das Resultat einer aufgeklärten Erziehung, wie wir sie in den letzten 200 Jahren seit Jean-Jacques Rousseau anstreben. Wir erziehen die Kinder immer noch nach Erziehungsgrundsätzen, die ihre Wurzeln in der 2000 Jahre alten christlichen Kultur haben. Die Entwicklung und das Verhalten der Kinder sind aber auch Ausdruck der Lebensumstände, wie sie in den vergangenen 100.000 Jahren vorgeherrscht haben. Kurz, die Kinder sind dem Steinzeitalter in ihrer Anlage noch nicht entwachsen. Und so kommt es, dass sie nicht so ganz in unsere moderne Zeit passen. Drei Beispiele:
Nahrung war in den vergangenen 100.000 Jahren Mangelware. Hunger war eine Erfahrung, die praktisch alle Menschen im Verlaufe ihres Lebens irgendwann machen mussten. Wenn sie Gelegenheit hatten, sich ein Fettpolster anzuessen, haben sie es getan – als Reserve für zukünftige schlechte Zeiten. Unsere Kinder futtern wie im Schlaraffenland, was ihnen nicht sonderlich gut bekommt. Manche leiden an Übergewicht und als Erwachsene werden sie davon die vielfältigen negativen Auswirkungen zu spüren bekommen. Mit der Unterstützung von Präventionsprogrammen bemühen wir uns seit Kurzem, in Familie und Schule die Kinder zu einer gesunden Kost zu erziehen.
Bis in die Neuzeit sind die Kinder mehrheitlich in der Natur aufgewachsen. Ihre Entwicklung ist daher an die Erfahrungen angepasst, die sie auf Wiesen, im Wald und in Savannen machen konnten. Nun werden sie in Räume eingesperrt und sollen gefälligst stundenlang ruhig sitzen. Eltern und Lehrer beklagen sich über eine unerträgliche Hyperaktivität und wollen die lebhaften Kinder mit Medikamenten ruhigstellen.
Die Schrift wurde vor etwa 5000 Jahren erfunden. Wenn man das sehr späte Auftreten der Schrift in der Menschheitsgeschichte berücksichtigt, erstaunt es nicht, dass die Lesekompetenz bei den Kindern unterschiedlich ausgebildet ist. Kinder mit einer Leseschwäche sind in ihrer Schulkarriere behindert. Und so schicken wir sie in eine Legasthenietherapie, wo die Schwäche behoben werden soll.
Die Kinder sind nicht genau so, wie wir sie haben möchten. Es gibt daher dringenden Aufklärungsbedarf, den dieses Buch leisten will und auch kann. Ausgangspunkt sind für Herbert Renz-Polster die »Warum«-Fragen. Warum schreien junge Säuglinge? Warum wollen sie nicht alleine schlafen? Warum trotzen sie? Aus seiner evolutionsbiologischen Sicht müssen diese Verhaltensweisen in der Vergangenheit sinnvoll gewesen sein und den Kindern einen Überlebensvorteil gebracht haben. Worin bestand dieser Überlebensvorteil? Und: Besteht er immer noch?
Als Nächstes wendet sich Herbert Renz-Polster den Eltern zu. Er spricht ihre Befürchtungen und Erwartungen an. Viele Eltern sind zutiefst verunsichert. Warum haben sie solche Angst, ihr Kind durch Nähe zu verwöhnen und unselbstständig zu machen? Weshalb löst der Trotzanfall eines Kindes bei manchen Eltern geradezu Panikgefühle aus? Wieso eigentlich sollen Gemüse und Spinat im Besonderen gesund sein?
Schließlich geht es Herbert Renz-Polster um das Auffinden einer Erziehungshaltung, die den Kindern möglichst gerecht wird, aber für die Eltern auch lebbar ist. Wir können nicht mehr zurück in die Steinzeitkultur der Jäger und Sammler. Den Lebens- und Erziehungsstil der letzten Naturvölker können und wollen wir uns auch nicht mehr zu eigen machen. Die Kinder sind andererseits nun einmal so, wie sie die Natur in den vergangenen 100.000 Jahren geschaffen hat. Kompromisse sind daher angesagt. Lösungen zu finden, welche die Bedürfnisse der Kinder und Eltern gleichermaßen berücksichtigen, ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Dieses Buch kann die Eltern unterstützen, indem es ihnen einen erhellenden Blick zurück in vergangene Zeiten eröffnet und ihnen damit zu einem vertieften Verständnis für die Herkunft des Menschen und die Natur des Kindes verhilft.
Remo H. Largo
Einleitung
Kinder verhalten sich oft nicht so, wie es ihre Eltern von ihnen erwarten und sich wünschen: Babys weinen ohne Angabe von Gründen, sie haben wochenlang Koliken, und sie wollen partout nicht im eigenen Bettchen schlafen. Kleinkinder essen kein Gemüse, dafür Süßigkeiten ohne Grenzen, sie schlafen schlecht ein und wachen nachts regelmäßig auf. Sie bekommen aus heiterem Himmel Wutanfälle und lassen sich beim Sauberwerden endlos Zeit.
Es hat sich eingebürgert, all das als ein Defizit der Kinder zu sehen: Sie sind eben noch nicht in der Lage, sich verständlich zu machen. Ihre Blasenfunktion ist noch »unreif«. Ihr Gehirn eine Baustelle. Oder sie tragen mit ihrem Verhalten irgendwelche Konflikte aus – mit sich, mit der Mutter oder ihrem Über-Ich. Oder sie sind schlicht und einfach »unerzogen«.
Diesem Buch liegt eine andere Sichtweise zugrunde. Statt nach dem zu suchen, was unseren Kindern fehlt, fragt es nach den Vorteilen, die ein bestimmtes Verhalten bietet. Was bringt es dem Kind, so zu sein, wie es ist – und nicht anders? Also: Was hat das Kind davon, kein Gemüse zu essen? Was hat es davon, den Teller nicht leer zu löffeln? Was hat es vom Trotzen, was von dem Geschrei, wenn es alleine einschlafen soll? Kurz, dieses Buch nimmt an, dass Kinder gute Gründe haben, wenn sie ihre Eltern vor Rätsel stellen.
Entwicklung als Erfolgsprogramm
Aber welche Gründe? Wo haben die Kinder ihr seltsames Verhalten aufgelesen? Die Antwort von »Kinder verstehen«: Sie haben diese Verhaltensweisen im Laufe der Evolution entwickelt, um besser mit ihrer Umwelt zurechtzukommen, in der sie über Hunderttausende von Jahren gelebt haben! Die von Charles Darwin begründete Evolutionstheorie geht ja davon aus, dass alle heutigen Lebewesen deshalb so aussehen, wie sie aussehen, und sich so verhalten, wie sie sich verhalten, weil sie mit diesen Eigenschaften in der Vergangenheit Erfolg hatten.
Und das gilt auch für unsere Kinder. Dass sie in ihrer Entwicklung auf das uns Eltern einschlägig bekannte und oft frustrierende Repertoire setzen, hat einen einfachen Grund: Es hat ihnen im Laufe der menschlichen Geschichte geholfen, für das Leben gerüstet zu sein und sich erfolgreich zu Erwachsenen zu entwickeln!
Dies ermöglicht eine radikal andere Sicht auf die Entwicklung des Kindes: Kindern fehlt es an nichts. Sie mögen unfertige Erwachsene sein – aber sie sind hundertprozentig dafür gerüstet, Kinder zu sein. Wir Eltern sollten ihr Rüstzeug endlich kennenlernen.
Was bringt der Blick zurück?
Man kann nun einwenden: Warum sollen wir in die Zeit vor der Sintflut zurückschauen, um die Erziehungsfragen von heute zu beantworten? Schließlich müssen unsere Kinder nicht mehr durch wilde Wälder ziehen, sondern sich im Internet zurechtfinden. Und überhaupt: Die Anlagen, die unsere Kinder mitbringen, sind doch längst nicht alles – schon ob der kleine Jakob heute mit dem linken oder dem rechten Fuß zuerst aus dem Bettchen steigt, kann ihn zu einem anderen Menschen machen.
Das stimmt. Unsere Anlagen sind nicht unser Schicksal. Für ihre Entwicklung brauchen Kinder weit mehr als nur ihre »natürlichen Anlagen«.
Aber das ändert nichts daran: Das Erbe der Vergangenheit wirkt weiter und gibt der Entwicklung unserer Kinder einen Rahmen vor – auch heute noch. Kinder sind wirklich »born to be wild«, wie der Untertitel dieses Buches besagt!
Wie mächtig dieser Rahmen ist, kann schon ein kurzer Blick auf die Liegewiese im Freibad verdeutlichen: Die ewig hungrige, auf Vorratsbildung bedachte Fettzelle war ein Erfolgsmodell, als wir Menschen als Jäger und Sammler von der Hand in den Mund leben mussten. In der heutigen Welt jedoch, wo Kinder praktisch neben dem Kühlschrank aufwachsen, ist der Segen zum Fluch geworden. Die Fettzelle hortet für schlechte Zeiten, die nie kommen werden. Ist es, so betrachtet, ein Wunder, wenn unsere Kinder immer dicker werden?
Auch auf anderen Verhaltensweisen lässt sich der Stempel der Vergangenheit leicht entdecken: Kleine Kinder erfüllt die Nacht mit Unbehagen, auch wenn ihre Bettchen längst hinter Sicherheitsglas stehen und die Eltern mit beiden Ohren am Babyphon kleben. Wir fürchten uns weiterhin schrecklich vor Schlangen, obwohl die Gefahr eines Schlangenbisses hierzulande geringer ist als das Risiko, von einem roten Ferrari überfahren zu werden (auf den die wenigsten von uns mit Panik reagieren). Und kleine Kinder schauen vor dem Einschlafen noch immer unter ihren Betten nach, weil dort »Monster« leben könnten – eine Praxis, die bestimmt einmal Sinn machte, als fieses Getier wirklich dazu neigte, sich ins warme Lager einzuschleichen.
Die Entwicklung unserer Kinder – das ist die Kernaussage dieses Buches – wird von Federn angetrieben, die in der Vergangenheit gespannt wurden. Sie richtet sich nicht primär nach den Anforderungen der heutigen Welt – und auch nicht unbedingt nach den Erwartungen, die wir Eltern haben. Kinder kommen vielmehr mit eigenen Erwartungen auf die Welt. Und Eltern und Erzieher tun gut daran, diese körperlichen und seelischen Erwartungen zu kennen. Denn so durchdacht unsere Erziehungsziele und -methoden auch sein mögen – wenn sie nicht zu unserer evolutionären Geschichte passen, können wir uns als Eltern daran nur die Zähne ausbeißen.
Ein neues Rezeptbuch?
Ist dieses Buch also der verloren gegangene Beipackzettel, der dem Paket »Kind« einmal beigelegen hat? Das sicher nicht. Dass es eine universelle Gebrauchsanleitung für Kinder nicht geben kann, auch davon handelt dieses Buch.
Die folgenden achtzehn Kapitel sind vielmehr aus der Überzeugung geschrieben worden, dass Eltern mehr brauchen als nur Rezepte. Wir brauchen ein tiefer greifendes Verständnis von der kindlichen Entwicklung, ein Verständnis der Geschichte unserer Kinder – und die reicht ganz bestimmt weiter zurück, als die tagesaktuellen Trends in der Erziehungsdebatte wahrhaben wollen.
Wer um diese Vergangenheit weiß, wird die Entwicklung seiner Kinder kompetenter und gelassener begleiten können. Wer erkennt, welchen natürlichen Zielen und Motiven Kinder folgen, wird vielleicht »natürlicher« auf sie eingehen können – und vielleicht auch die vielen pädagogischen Spekulationsblasen unserer Zeit kritischer betrachten. Und wer nicht immer gleich eine Störung oder ein Defizit vermutet, wird öfter auf Stärken stoßen. Genau das wünsche ich meinen Leserinnen und Lesern!
»Kinder verstehen« – ein kurzes Vorspiel
Eltern blicken in die Zukunft. Sie wollen schließlich ihren Kindern einen Weg weisen. Dabei vergessen sie leicht die Vergangenheit. Kinder treten aber mit einer Geschichte ins Leben – mit einer von der Evolution geschriebenen Geschichte. Wenn wir diese Geschichte kennen, können wir unsere Kinder besser verstehen: ein Wegweiser vorweg.
Gegen die pädagogischen Spekulationsblasen. Es gibt keine Theorie, die Erziehungsexperten nicht schon vollmundig verkündet hätten: dass Kinder durch Körperkontakt verzärtelt werden, dass das Schlafen im Elternbett die Entwicklung des Ichs behindere oder dass Kinder mit drei Jahren »sauber« sein sollten. Die evolutionäre Sicht stellt die Erziehung auf den Prüfstand der Menschheitsgeschichte: Warum sollen kindliche Verhaltensweisen, die jahrtausendelang das Überleben der Kinder gesichert haben, heute auf einmal eine »Störung« oder gar ein Entwicklungshemmnis sein?
Mehr dazu lesen Sie in
Kapitel 5, 5 Einblick & Ausblick, 12 E&A
Die kindliche Entwicklung braucht artgerechte Bedingungen. Säuglinge hierzulande hinken in ihrer motorischen Entwicklung den Säuglingen in traditionellen Gesellschaften um etwa einen Monat hinterher. Vielleicht ist der Grund der: Moderne Babys liegen ausgiebig in ihrem Bettchen oder sie werden liegend durch die Landschaft geschoben. Sie werden damit vielleicht Experten im In-den-Himmel-Schauen, aber womöglich liegt ihnen eher das Leben in körperlicher Nähe zu Erwachsenen im Blut?
Kapitel 9, 12, 15
Nicht die Eltern, sondern unsere Gesellschaft braucht einen Elternführerschein. Kinder haben ihre Spielflächen verloren. Zuerst den Wald, dann die Wiesen, die Höfe, dann die Hinterhöfe, nun auch die Straßen. Und damit haben sie auch Entwicklungsraum eingebüßt, den die besten Spielplätze nicht wettmachen können (auf denen die Elterndichte oft größer ist als die Kinderdichte). Und nach den verkürzten Spieljahren geht es ab in eine Schule, die nicht der Entwicklung der Kinder dient, sondern der Vermittlung eines Curriculums. Nur, was nutzen einem drei Fremdsprachen, wenn man mit sich selbst nicht klarkommt?
Kapitel 14, 15
Kinder brauchen Kinder – auch in der Erziehung. Betrachtet man die Kindheit aus evolutionärer Sicht, so spielen Eltern eine wichtige, aber keine bestimmende Rolle. Kinder müssen später einmal mit ihren gleichaltrigen Kameraden zurechtkommen, nicht mit Mama und Papa. Deshalb schauen sie sich so hartnäckig bei anderen Kindern um (vor allem im Jugendalter). Darin, dass sich Kinder einen eigenen Reim auf das Leben machen müssen, liegt aber auch eine Hoffnung. Denn evolutionär gedacht sind wir Erwachsenen derzeit nicht sonderlich erfolgreich – wenn nicht alle Zeichen trügen, sind wir dabei, unsere Lebensgrundlagen unwiederbringlich zu zerstören. Da wäre eigentlich nur zu hoffen, dass unsere Kinder eben nicht in unsere Fußstapfen treten, oder?
Kapitel 10, 13, 15 E&A, 17 E&A
Es ist an der Zeit, das Dorf für Kinder fit zu machen. Menschenkinder sind nach Einschätzung der Verhaltensforschung der »teuerste« Nachwuchs im Tierreich überhaupt. Zu allen Zeiten war es deshalb das »Dorf«, das mithelfen musste (und nebenbei den gestressten Eltern Asyl und Ausgleich bot). Da ist es heute höchste Zeit für eine kritische Dorfbesichtigung: Wo sind denn die guten Kinderkrippen, wo die vielen Paten (immerhin kommen heute auf jedes Kind von 3 bis 9 Jahren statistisch gesehen etwa 15 Erwachsene), wo die Geburtsvorbereitungskurse, in denen man nicht nur das Hecheln, sondern auch etwas über das Leben mit einem Baby lernt?
Kapitel 11 E&A, 14, 14 E&A
Ist Erziehung vielleicht eine Art kultureller Mode? Hierzulande bekommen die meisten Frauen ihre Kinder auf dem Rücken liegend. Kurze Frage: WARUM? Das lässt sich weiterführen: Warum das Beifüttern mit Karotten beginnen? Wenn es wirklich einen Gemüsefahrplan gäbe, wäre die Menschheit schon längst ausgestorben. Könnte vieles von dem, was wir als richtig für unsere Kinder sehen, vielleicht ähnlich gut begründbar sein wie die fast schon unumstößliche Überzeugung, dass bei Frauen die Achselhaare rasiert gehören?
Kapitel 2, 3, 17, 18
Eine kleine
Bedienungsanleitung
Die hier behandelten Themen brennen sowohl Eltern als auch Erziehern unter den Nägeln. Ein Teil davon ist eher praktischer Natur – diese Themen begegnen uns Tag für Tag im Erziehungsalltag: das Stillen, das Beifüttern, das Schlafen, das Trotzen, usw. Diese, an einem unmittelbaren Brennpunkt der Entwicklung ansetzenden Themen bilden den Anfangsteil eines jeden Kapitels.
Davon abgesetzt enthält jedes Kapitel einen – meist kürzeren – zweiten Teil Einblick und Ausblick. Diese Abschnitte greifen einzelne Motive aus dem Anfangsteil des jeweiligen Kapitels auf und beleuchten deren Hintergrund. Diese eher erklärenden Teile geben einen Einblick in spannende Theorien oder führen durch kontroverse Diskussionen. Oder sie geben Anregungen zum Weiterdenken – einen Ausblick eben.
Dieses Buch verarbeitet Fakten aus Dutzenden von Büchern und Hunderten von wissenschaftlichen Artikeln – und soll sich trotzdem wie eine packende Geschichte über die Entwicklung unserer Kinder lesen. Damit der rote Faden nicht ausfranst, sind manche Details aus den Kapiteln ausgelagert:
Ein Wort zur begleitenden Webseite: Bücher stoßen Diskussionen an. Sie machen Appetit aufs Weiterlesen und sie geben dem Leser das Faktenwissen, um aktuelle Diskussionen zu verfolgen. Dies – und vieles mehr – will www.kinder-verstehen.de bieten. Besuchen Sie die Seite, verfolgen Sie, was sich rund um das Thema Entwicklung aus Sicht der Evolution tut. Und schicken Sie mir eine E-Mail, wenn Sie Anregungen, Fragen oder Kritik haben:
Herbert.Renz-Polster@kinder-verstehen.de
Kapitel 1
Wie Kinder essen lernen
In einem sind sich Eltern einig: Wenn es ums Essen geht, sind kleine Kinder komplett unvernünftig. Sie bevorzugen ungesunde Nahrungsmittel, von Schokoriegel bis Pommes frites. Und um Gemüse und Obst, ja, selbst um die Soße zu den Spaghetti machen sie einen verdammt großen Bogen.
Vom Standpunkt der Evolution aus betrachtet ist das ein ziemlich auffälliges Verhalten. Denn Essen war über 99 Prozent der menschlichen Geschichte nicht gerade im Überfluss vorhanden. Kinder sollten eigentlich das essen, was ihnen vor den Mund gehalten wird, oder?
Dieses Kapitel gibt eine klare Antwort auf diese Frage, und sie heißt: Nein. Die geschmacklichen Eskapaden sind von der Natur vorgesehen! Aber was steckt dahinter? Warum mögen kleine Kinder keinen Brokkoli? Wie entwickeln sich die kindlichen Geschmacksvorlieben? Warum finden südamerikanische Eingeborenenkinder gebratene Vogelspinnen oder Erdmaden lecker, bayerische Kinder dafür Weißwürste und Knödel? Und wodurch lernen sie schließlich doch, dass Gemüse sie nicht umbringt und vielleicht sogar lecker schmeckt?