Guido M. Breuer

Alte Sünden

Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

All die alten Kameraden
Altes Eisen
Alte Narben
Nach alter Mörder Sitte

Guido M. Breuer wurde 1967 in Düren geboren. Er wuchs in Düren und in der Nordeifel auf. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann und anschließendem Wirtschaftsstudium arbeitete er als selbstständiger Unternehmensberater und lebt heute als Autor in Bonn. Seine Tatorte finden sich vornehmlich in seiner Nordeifeler Heimat, den Tälern und Höhen von Nideggen bis Monschau. Dort ermittelt auch sein Lieblings-Protagonist Opa Bertold, der sich erstmals im Frühjahr 2009 mit All die alten Kameraden in das kriminalistische Geschehen der rauen Eifel einschaltete und 2014 bereits seinen fünften Fall zu lösen hat.

Guido M. Breuer

Alte Sünden

Originalausgabe

© 2014 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

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Umschlagillustration: Ralf Kramp

Redaktion: Nicola Härms, Rheinbach

Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm

Printed in Germany

Print-ISBN 978-3-95441-163-4

E-Book-ISBN 978-3-95441-176-4

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

»Schau dich im Spiegel an!
So sieht ein Sheriff-Stern aus,
an dem ein Besoffener hängt!«

El Dorado, USA 1966
Regie: Howard Hawks, Buch: Leigh Brackett (nach Harry Brown)

1. Kapitel

Zugegeben, ich bin Insasse einer Altenpflegeanstalt.

Lorenz Bertold sah zweifelnd auf den Satz, den er soeben geschrieben hatte. Irgendwie kannte er diese Formulierung, doch er hatte vergessen woher. Dann drückte er die Taste, auf der ein großer Pfeil nach links abgebildet war, und wartete, bis jener blinkende Strich auf dem Bildschirm nach und nach alle Buchstaben verschluckt hatte. Als wären sie nie da gewesen. Das waren sie aber nach wie vor. In seinem Kopf, in seiner Erinnerung. Zumindest für kurze Zeit. Aber sie hatten auf der weißen Fläche vor seinen Augen Platz gemacht für einen neuen ersten Satz.

Ich bin alt, und das ist auch gut so.

Wieder schwebte der Finger über der Löschtaste. Blieb in dieser Position, verharrte, zog sich sogar etwas zurück. Ob diese Zeile etwa Bestand haben könnte? Lorenz murmelte: »Der in Ehren ergraute Ermittler war unsicher wie nie. Kommissar Wollbrand kam sich nicht wie ein Schriftsteller vor. Eher wie ein Esel.«

Vielleicht war es nicht die rechte Zeit, einen Roman zu beginnen. Lorenz hatte eben erst zu Mittag gegessen und verspürte eine verdauungsbedingte Müdigkeit. Bei dem Gedanken, dass seine Enkeltochter Rita dies sicher als »Mampfstarre« bezeichnen würde, musste er grinsen. In diesem Zustand sollte man wirklich besser nicht versuchen, einen zündenden Start für einen Krimi zu erschaffen. Also schloss er das Dokument, verscheuchte mit einem Mausklick noch eine lästige Meldung vom Bildschirm und realisierte einen Moment später, dass das Programm ihn freundlicherweise aufgefordert hatte, vor dem Beenden den Text noch abzuspeichern. Was er natürlich nun nicht getan hatte.

»Blöde Schrottkiste«, knurrte der Alte und meinte damit weniger den Computer als vielmehr sich selbst. Er wusste, dass er nur einen einzigen Satz geschrieben und diesen nun im Datennirwana verloren hatte. Ärgerlicherweise waren ihm selbst diese wenigen Worte bereits wieder entfallen. Er versuchte sich damit zu trösten, dass seine Formulierung vermutlich nicht so gut gewesen war, dass sie vor dem Vergessen hätte bewahrt werden wollen, und trollte sich in Richtung seiner Schlafstatt. Das Verbrechen würde sicherlich noch ein Stündchen warten können.

2. Kapitel

Das Gesicht wirkte sehr alt, obwohl es einem Mann in den besten Jahren zu gehören schien. Die Augenhöhlen waren leer, der Mund unter den markanten Wangenknochen wie zu einem Schmerzensschrei geöffnet. Dieses Gesicht gehörte zu einem haarlosen Kopf, dessen dunkelbraune Haut durch sehr dicht gestochene Tätowierungen schwarz wirkte. Es fehlten an diesem Kopf nicht nur Nase und Ohren, sondern auch der ganze übrige Körper. Das schien die fünf Personen, die den Schädel fasziniert betrachteten, jedoch nicht zu stören. Tatsächlich wären sie sogar entsetzt gewesen, mehr als einen Kopf auf dem Tisch liegen zu sehen. Die einzige Frau unter den Anwesenden trat ganz nah an den Tisch heran, um die Tätowierungen auf den Wangen besser erkennen zu können. »Das ist ein Ekoi, nicht wahr?«, flüsterte sie ehrfurchtsvoll.

»Allerdings«, antwortete Wim van der Kriek. »Eines meiner schönsten Stücke derzeit, gar keine Frage. Nigeria, frühes 19. Jahrhundert.«

»Ist das ein – ein echter Menschenkopf?«, fragte einer der Männer.

»Nein und ja. Der Schädel ist aus Holz, jedoch mit Menschenhaut überzogen. Sehr selten. Die Ekoi oder Ejagham sind für ihre imposanten Kopfschmuckarbeiten bekannt, auch für Holzmasken. Diese wurden auch hin und wieder mit Haut überzogen, allerdings fast nie mit der eines Menschen. Hier wurde jedoch einem Mann die Gesichtshaut abgezogen und auf das Holz aufgebracht. Die Tätowierungen, die Sie sehen, waren schon vorher am lebenden Objekt vorhanden. Sehr selten, wie gesagt, und der Hintergrund ist nicht eindeutig geklärt.«

»Sie meinen, Sie wissen nicht, warum dieser Kopf mit Menschenhaut überzogen wurde?«, fragte ein weiterer Kunde, der zum ersten Mal in Wim van der Krieks Laden für Antiquitäten und exotische Kunst gekommen war und auch dies nur, weil seine Frau ihn dazu überredet hatte. Die beantwortete die Frage ihres Ehemannes nun anstelle des Kunsthändlers. »Das ist doch wohl klar, Herbert«, sagte sie. »Die Ekoi sind keineswegs als Kopfjäger und Kannibalen bekannt. Das wäre etwas ganz anderes, würde dieses Stück aus Südamerika stammen, von den ecuadorianischen Shuar beispielsweise, oder von den Dayak auf Borneo.«

»Sie kennen sich aus, gnädige Frau«, lächelte van der Kriek. »Tatsächlich spricht man den Ekoi ähnliche Riten zu, wenn auch längst nicht so verbreitet wie bei den von Ihnen richtig genannten Kulturen, wo die künstlerische Verarbeitung getöteter Feinde, insbesondere ihrer Köpfe, bis ins 20. Jahrhundert datiert.«

»Siehst du«, triumphierte die Frau und wandte sich kurz ihrem Mann zu, um sich dann sofort wieder dem Kopf zu widmen.

»Und nun bewundern Sie dieses gute Stück einmal in der angemessenen Beleuchtung, dann kommt es erst so richtig zur Geltung«, sagte der Kunsthändler und entzündete eine Fackel, die neben dem Tisch stand. Dann löschte er das elektrische Licht.

»Das ist ja unheimlich«, flüsterte die Frau und trat einen Schritt zurück. »Schaut euch das an! Es sieht fast so aus, als bewege sich das Gesicht. Als wolle er uns etwas mitteilen.«

»Das ist auch beabsichtigt.« Wim van der Kriek flüsterte nun auch. »Dieser Kopf dient vermutlich dazu, die Lebenden vor Gefahren aus dem Reich der Toten zu warnen. So bedrohlich er auch wirken mag, ist er doch ein Schutzfetisch.«

Die Frau wollte etwas erwidern, hielt jedoch erschrocken inne, als die Tür aufgestoßen wurde und mehrere Gestalten in den Raum drängten. Ein Schuss dröhnte, und sie wurde, von einem Projektil in den Leib getroffen, herumgewirbelt und zu Boden geschleudert. Weitere Schüsse streckten die beiden Männer nieder, die der Tür am nächsten gestanden hatten. Van der Kriek streckte seine Hände in die Höhe und rief aus: »Du? Was machst du mit diesen miesen Halsabschneidern hier in …« Weiter kam er nicht, denn der nächste Schuss zerfetzte seine Brust und warf ihn gegen die Wand, an der er leblos herabrutschte und eine blutige Spur hinterließ. Der letzte noch nicht getroffene Kunde sah fassungslos auf seine Frau, die sich am Boden wälzte, dann auf die anderen regungslos daliegenden Körper, und war gelähmt vor Angst. Er traute sich kaum, die Männer anzusehen, die dieses Blutbad in wenigen Sekunden angerichtet hatten.

Die Eindringlinge hielten großkalibrige Revolver in den Händen. Ihre Kleidung war auffällig, das bemerkte selbst der schreckstarre Mann. Sie trugen Hüte und lange Staubmäntel, die über ihre Jeans bis zu den Westernstiefeln hinunter reichten. Einer sagte mit rauer Stimme: »Chisum, was machen wir mit dem da?«

Der Angesprochene verzog einen Mundwinkel, als habe er etwas Anstößiges vernommen. Dann spuckte er auf den Boden und antwortete: »Du sollst nicht meinen Namen nennen.« Er sah dem zitternden Mann ruhig und kalt in die Augen, dann richtete er den Colt auf dessen Stirn aus. Sein Finger suchte sachte den Druckpunkt des Abzugs.

Der schrille Pfiff ließ den Alten hochschrecken. Er riss die Augen auf und sah zuerst auf den Wasserkessel, aus dessen Ventil heißer Dampf entwich, dann auf die Kaffeemühle, die er zwischen seinen Knien eingeklemmt hatte. Er musste wohl kurz eingenickt sein, nachdem er die Bohnen gemahlen hatte. Dass ihn der Schlaf nicht mitten in dieser Tätigkeit übermannt hatte, sah er an der mit frischem Pulver gefüllten Schublade der Mühle.

»Kommissar Wollbrand war froh, immerhin nur halb senil zu sein«, murmelte Lorenz und stand auf. Früher war ihm das Pfeifen eines Wasserkessels lauter und nerviger vorgekommen, vermutlich eine Folge des sich verschlechternden Gehörs. Er legte die Mühle ab, stand auf und ging zum Herd, um den Kessel von der Platte zu nehmen und diese abzudrehen. Er sah auf die Uhr. Kaffeezeit. Jeden Moment würde seine Enkeltochter Rita mit Kuchen auftauchen.

»Wim?«

Der Ruf ließ die Männer aufhorchen. Einem Wink ihres Anführers folgend, verließen sie den Laden durch den Hintereingang. Sie waren kaum verschwunden, als ein weiterer Besucher den Ausstellungsraum betrat. Mit einem Blick, der zwar Überraschung, keineswegs jedoch Schrecken zeigte, nahm er die Szenerie in sich auf. Er sah im Schein der lodernden Fackel die Leichen und das Blut, dann den Schädel, der ihn finster ansah und ihm eine Warnung zukommen ließ, von der Deogratius Mbumba wusste, dass sie zu spät kam. So wie er offensichtlich zu spät gekommen war. Ein zweiter Blick wies ihm den Weg zu der Frau, die in ihrem Blut lag und deren zuckende Finger ihm zeigten, dass noch Leben in ihr war. Er stellte seinen großen, prall gefüllten Rucksack an einer Stelle ab, die nicht blutbesudelt war, und kniete neben der Frau nieder. Er legte die Schusswunde frei, betrachtete diese eingehend, und in wenigen Sekunden hatte er ihr dann aus dem Stoff ihrer Bluse einen Verband angelegt, der die Blutung eindämmte. Als er die Frau, die nun laut zu stöhnen begann und stoßweise hektisch atmete, vorsichtig in eine angenehmere Lage befördert hatte, zog er ein Mobiltelefon aus der Tasche, wählte den Notruf und sprach ruhig einige Worte. Seine dunkle, kehlige Stimme schien die Verletzte zu beruhigen. Sie sah Deogratius Mbumba aus weit aufgerissenen Augen an und beobachtete, wie er zu seinem Rucksack ging, diesem einen Gegenstand entnahm und damit zu ihr zurückkehrte. In seiner Rechten hielt er eine Holzfigur, in die etliche Nägel getrieben worden waren. Seine linke Hand benetzte er mit dem Blut der Frau, welches auf dem Boden eine große Lache gebildet hatte, und verstrich es auf der Figur. Dabei formten seine Lippen Worte, die für die Verletzte seltsam fremd klangen und die doch ihre Todesangst und die Schmerzen in einen milden Schleier hüllten, der ihr Herz leichter werden und sie in eine gnädige Ohnmacht fallen ließ. Sie nahm nicht mehr wahr, wie er ihre Vitalfunktionen überwachte und nicht von ihrer Seite wich, bis erneut jemand eilig in den Raum stürmte und Deogratius Mbumba unsanft von ihr wegriss.

3. Kapitel

Lorenz hatte sich gerade entschlossen, den ersten Kaffee alleine zu trinken, als es an seiner Tür klopfte. Er stellte die Tasse ab und schlurfte zur Tür. Er öffnete jedoch nicht gleich, sondern wartete noch ein paar Sekunden ab, ob sich das Anklopfen wiederholen würde. Ritas Stimme klang belustigt, als sie durch die geschlossene Tür sagte: »Opa, ich weiß, dass du nur darauf wartest, dass ich noch mal anklopfe. Den Gefallen tu ich dir aber nicht, sonst konterst du wieder damit, dass ich dich nicht für schwerhörig halten soll.«

Lorenz öffnete nun missmutig die Tür. »Du kannst einem alten Mann aber auch jeden Spaß verderben.« Dann grinste er, trat einen Schritt zurück, damit seine Enkeltochter eintreten konnte, und öffnete die Arme. »Nun komm mal zu mir herab und umärmel deinen Opa nett, du langes Elend.«

Rita, die in einer Hand einen Blumenstrauß und in der anderen eine offenbar von einer Konditorei stammende Tüte balancierte, beugte ihre schlanken einhundertfünfundachtzig Zentimeter hinunter und deutete eine Umarmung an. Dann küsste sie Lorenz auf den weißen Strubbelbart. »Opa, kann es sein, dass du kleiner geworden bist?«

Lorenz brummte etwas, was sich anhörte wie der Kommentar eines pensionierten, in Ungnade gefallenen Kommissars. Dann entgegnete er: »Ach wo, erstens bin ich auf Socken, und du trägst Schuhe mit Absätzen. Und zweitens bekomme ich O-Beine, das verkürzt meinen Leib optisch.«

Rita trat in das Zimmer und stellte den mitgebrachten Kuchen ab. »Opa, du bist verrückt. In deinem Alter bekommt man doch keine O-Beine mehr!«

»Aber ja – oh wohl doch«, meinte Lorenz. »Ich bin sicher, das kommt von der Ernährungsumstellung, die mir Bärbel verordnet hat. Ich soll kein Fleisch mehr essen, nur noch vegetaristisch, da kriegt selbst ein alter arbeitsloser Esel noch krumme Knochen.«

»Du sollst Vegetarier werden? Kein Speck mehr zum Frühstücksei? Keine Steaks und Frikadellen? Kaum vorstellbar!«

»Eben«, brummte der Alte. »Aber ich gebe zu, der Vorschlag kam von unserer Frau Doktor Zyankali, und Bärbel unterstützt das. Sie macht ja schon ewig auf spirituell und tierlieb, sie tötet nur Pflanzen, um sich am Leben zu halten. Sie isst noch nicht mal so was anderes vom Tier, Ei oder Quark!«

»Dann ist sie ja sogar Veganerin«, staunte Rita. »Aber schau sie dir an, wie fit und jugendlich sie wirkt. Kann dir doch also eigentlich auch nur guttun, nicht wahr?«

»Ich wusste, dass du das sagst. Was hast du denn für einen Kuchen mitgebracht?«

»Käsesahne und Windbeutel mit Kirschen. Das magst du doch so gerne, altes Leckermaul.«

»Genau«, bestätigte Lorenz. »Veganer müssen sich selbst das verkneifen. Und Bärbel sieht nur deshalb so jugendlich aus, weil sie ja auch noch jung ist. Die ist doch kaum über siebzig! Da hat man gut lachen mit dem frischen Gesicht!«

»Ach Opa«, lachte Rita. »Du willst doch, dass ich dich ernst nehme. Dann gib mir doch bitte auch die Gelegenheit dazu!«

Der Alte schüttelte den Kopf, während er den Kuchen enthüllte. »Der Spruch ist für unsere allseits beliebte Heimleiterin reserviert. Die wirst du doch wohl nicht kopieren wollen?«

»Ich hatte den Anflug, das gebe ich zu. Aber hier riecht es nach frisch aufgebrühtem Kaffee, willst du mir keinen anbieten?«

»Aber natürlich, mein Herz«, sagte Lorenz und machte sich daran, den kleinen Tisch fertig zu decken. »Ich habe ja jetzt eine neue Pantryküche – das Wort habe ich gelernt, bin ganz stolz drauf – und kann jetzt autark und zu jeder Zeit was kochen.«

»Und – was kochst du so außer Kaffee?«, fragte Rita, während sie eine Vase für die Blumen suchte.

»So weit bin ich noch nicht. Außerdem, was macht das Essenkochen denn für einen Sinn, wenn man kein Fleisch verwenden darf? Das ist doch wie braten ohne Pfanne – die ich übrigens auch noch nicht habe.«

»Dann lass es erst einmal beim Kaffee bewenden, Opa«, meinte Rita und verteilte die Blumen in zwei leere Weinflaschen, da sie keine Vase finden konnte. »Hat es hier eine Feier gegeben?«

»Gestern, nein, vorgestern Abend waren Bärbel, Gustav und sein Galan, der Herr Groschen, bei mir. Da haben wir was ausgetrunken.«

»Groschen? Du meinst Alexander Grosjean? Sind Gustav und er wieder zusammengekommen?«

»Die beiden geben sich die größte Mühe, ein Paar zu mimen.«

»Opa!« Rita schüttelte den Kopf. »Hast du dich immer noch nicht damit abgefunden, dass Männer auch Männer lieben können!«

»Das muss ich ja wohl«, brummte Lorenz. »Und es hat ja auch was Gutes: So lässt Gustav wenigstens die Finger von Bärbel.«

»Soso, du hast dich also endlich dazu durchgerungen, ein Auge auf Bärbel zu werfen. Würde mich freuen. Ich finde sie so lieb.«

»Jaja«, meinte Lorenz und goss Kaffee ein. »Nun lass uns essen. Ich liebe vor allem süße Sahneschnitten vom Konditor.« Dann fügte er hinzu: »Ach, willst du vielleicht ein Eierlikörchen dazu?«

»Nein danke«, antwortete Rita. »Das Zeug mochte ich noch nie. Aber davon abgesehen werde ich eine ganze Zeit lang überhaupt keinen Alkohol trinken.«

»Doch nicht wegen deiner neuen Position in der Mordkommission?«

»Aber nein, wo denkst du hin? Da trinken doch alle. Aber denk mal scharf nach, du alte Spürnase. Was wäre denn ein wirklich guter Grund, ein paar Monate völlig auf Alkohol zu verzichten?«

Lorenz sprang auf und raufte sich den Bart, wobei er etwas Sahne darin verteilte. »Nein!«

»Doch!«

Rita hatte ihren Großvater noch nie tanzen sehen, erst recht nicht auf Socken und mit einem Stück Sahnetorte im Mund. Er gab die ungewohnte Einlage dann auch schnell wieder auf, um sie zu umarmen. »Ich freu mich so! Weiß dein Vater, der mein Sohn ist, es schon? Und was sagt der Kindsvater dazu? Es ist doch dieser riesengroße Kommissar?«

»Natürlich ist es Paul, wer denn sonst, Opa? Und nein, Papa weiß es noch nicht. Wollte es dir als Erstem sagen – nach Paul natürlich.«

»Du bist ein Goldherz. Das Kind wird wohl ein Riese werden, bei diesen Eltern. Bevor es in die Schule kommt, wird es dem Uropa wahrscheinlich schon über den Kopf spucken können.«

»Ich hoffe, so etwas wird es nicht wagen«, entgegnete Rita. »Und ich hoffe doch sehr, du wagst es nicht, mit deinem Urenkel auf Verbrecherjagd zu gehen, bevor er in die Schule kommt.«

»Das kann ich nicht versprechen«, grinste Lorenz. »Machst du denn jetzt noch weiter in der Mordkommission?«

»Opa, ich bin doch nicht krank, und ich habe noch nicht mal ’nen Bauch. Natürlich werde ich noch einige Monate arbeiten. Aber ich sage es meinem Dienstherrn noch nicht, sonst muss ich vorzeitig in den Innendienst abtauchen. Also nicht öffentlich rumposaunen.«

»Hmpf«, machte Lorenz. »Wenn man den ungeborenen Kindern Mozart vorspielt, damit sie glücklich und kreativ werden, was geschieht dann mit einem Kind, das sich ständig Verhöre von Mordverdächtigen anhören muss und auf blutige Tatorte mitgeschleppt wird?«

»Du bist doch nur neidisch«, versetzte Rita. Dann griff sie in ihre Tasche, wo ihr Mobiltelefon brummend einen Anruf meldete. »Wenn man vom Teufel spricht«, murmelte sie und nahm das Gespräch an.

Lorenz lauschte angestrengt, was der Anrufer zu sagen hatte, konnte jedoch nur die anwesende Hälfte des Gespräches aufnehmen.

»Bertold hier … ja … was du nicht sagst! … bin unterwegs!« Rita stand auf. »Tut mir leid, Opa. Es ruft tatsächlich die Pflicht. Und ein Tatort.«

»Wo denn? Was ist passiert?« Lorenz’ Augen blitzten.

»Oh nein! Ich sage dir gar nichts.«

»Verrate wenigstens, wer angerufen hat.«

»Na schön. Das war die Kollegin Ella Kock.«

»Ella Kock? Dann ist es nicht Köln? Logisch, wenn die Kripo Düren dich anruft, gibt es einen Tatort hier in der Gegend, aber du wirst hinzugezogen, weil …?«

»Guter Versuch, Opa«, sagte Rita. »Ich sehe schon, ich darf dir nicht noch einen winzigen weiteren Informationsschnipsel geben, sonst bist du schon wieder mittendrin in deinen Ermittlungen. Lass Kommissar Wollbrand mal die Kaffeepause weitermachen.«

Lorenz tat beleidigt. Er murmelte: »Der in Ehren ergraute Ermittler fühlte sich nicht nur zurückgesetzt, er war es auch. Die schöne Kommissarin würde schon sehen, was sie davon hatte, ihn nicht in den Fall einzubeziehen.«

Rita Bertold gab ihrem Opa einen Kuss und verließ eilig sein Zimmer. In der Tür winkte sie ihm noch einmal lächelnd zu und verschwand dann.

Lorenz rief ihr noch hinterher: »Pass auf dich … ich meine … auf euch auf, und grüß mir diese schräge Walküre von der Krippo!«

Ein lautes Lachen schallte als Antwort durch den Gang, und Lorenz wusste, dass ein neues Abenteuer begonnen hatte. Er schloss die Tür, schlurfte zum anderen Ende des Raums und sah aus dem Fenster. Die milde Frühsommersonne strahlte über dem grünen Wald und den Wiesen, glänzte auf den metallenen Gipfelkreuzen der roten Felsen und ließ die Sandsteintürme lange Schattenfinger auf die Wipfel der dicht stehenden Bäume werfen. Der Alte atmete tief ein, spürte das Leben in sich und fand das alles sehr schön. Und dabei fragte er sich, ob er damit hauptsächlich einen neuen Kriminalfall meinte oder seine geliebte Nordeifel. Vermutlich, so dachte Lorenz, hatte er seine Freude daran, dass beides so gut zusammenpasste.

4. Kapitel

Da ist ja meine Prinzessin!«

»Ich freu mich auch, dich zu sehen, Ella.«

Rita gab der Kriminalhauptkommissarin Ella Kock die Hand, die diese mit dem Druck eines Hufschmieds schüttelte. »Siehst gut aus, Rita«, sagte sie ungewohnt freundlich und leise.

»Danke, du auch«, antwortete Rita Bertold und meinte das sogar ernst. »Siehst irgendwie verändert aus. Hast du was mit deinen Haaren gemacht?«

Ella Kock grinste schief. »Versuche, sie ein bisschen wachsen zu lassen. Nervt ganz schön, aber meinem aktuellen Liebchen gefällt’s. Mal sehen, ob ich das durchhalte.«

Rita wusste nur zu gut, wie wenig ihre Kollegin auf ein gepflegtes weibliches Äußeres gab und wie sehr sie es mochte, innerhalb weniger Minuten ausgehfertig zu sein, vertiefte das Thema jedoch nicht weiter. »Ella, was mache ich hier?«

Sie standen in der gar nicht mal so hübschen Fußgängerzone der Dürener Innenstadt vor einem Geschäft, dessen Schaufenster voller Skulpturen war und das etwas Exotisches ausstrahlte.

»Hier hat’s ’ne Riesensauerei gegeben. Das solltest du dir zuerst einmal ansehen, bevor wir weiterreden.«

Rita folgte Ella in den Laden. Sie durchquerten den Verkaufsraum und gelangten in ein Zimmer, in dem reger Betrieb herrschte. Rita war der Anblick eines Tatortes, in dem die kriminaltechnischen Untersuchungen in vollem Gange waren, sehr vertraut. Vier Leichen und eine Unmenge von Blutspuren sah sie jedoch auch nicht jeden Tag.

»Herzlichen Glückwunsch«, bemerkte sie so trocken, wie sich ihr Mund gerade anfühlte. »Riesensauerei trifft es ziemlich gut.«

Sie blieben im Eingang stehen, um die Arbeiten in dem engen Raum nicht zu stören.

Ella sagte: »Alle Opfer weisen Schussverletzungen auf, großkalibrige Waffen, es gibt noch ein fünftes Opfer, das gerade schwer verletzt im Krankenhaus behandelt wird. Anwohner haben Schüsse gehört, jemand will eine Gruppe von Männern gesehen haben, die als Wildwest-Revolverhelden verkleidet hier eingetreten sind. Keine vernünftige Beschreibung, nach den Schüssen sind die Männer vermutlich durch den Hintereingang verschwunden. Wir konnten jedoch einen Verdächtigen hier am Tatort kaschen.«

»Wie? Die Täter verschwinden, aber einer bleibt zurück und lässt sich festnehmen?«

»Ja, aber der war nicht als Cowboy verkleidet, sondern als Neger.«

»Wie bitte?«

Ella grinste. »Ich weiß, das darf man ja nicht mehr sagen. Stimmt auch gar nicht, dass er verkleidet ist, denn der Kerl ist wirklich ein Neger. Ist heute Morgen in Köln aus einem Flieger gestiegen, der aus Afrika kam.«

»Und – hat er die Tat gestanden?«

»Nicht die Bohne. Er war gerade dabei, an der einzigen Überlebenden dieses Massakers irgendeine Voodoo-Scheiße abzuziehen. Und gesagt hat er uns noch gar nix. Aber er hatte was in seinem Rucksack, weswegen ich dich dabeihaben wollte.«

»Da bin ich aber gespannt. Was ist es?«

Ella Kock holte ein Plastiktütchen aus ihrer Tasche und reichte es Rita. Durch die Folie hindurch konnte die Kommissarin erkennen, dass es sich um einen Zeitungsausschnitt des Kölner Stadtanzeiger handelte. Als sie erkannte, worum es in dem Artikel ging, musste sie tief seufzen.

»Liebchen, das war auch meine erste Reaktion«, grinste Ella Kock. »Irgendwie habe ich ja nur auf so einen Quatsch gewartet, nach dem letzten Zusammentreffen mit deinem verrückten Opa.«

Rita schüttelte müde den Kopf und las die Schlagzeile des Artikels: »Eifeler Krimi-Opa bringt den Paten vom Rursee hinter Gitter.«

»Das war vor meiner Zeit«, kommentierte Ella. »Der Ausschnitt entstammt einer Ausgabe der Dürener Zeitung. Warum hat ein Afrikaner, der kurz nach seiner Landung in einen Mord verwickelt wird, einen drei Jahre alten Bericht über deinen Opa dabei?«

»Du wirst sicher nicht sonderlich enttäuscht oder überrascht sein, dass ich nicht die allergeringste Ahnung habe«, antwortete Rita. »Der Pate vom Rursee heißt Wladimir Slotin, er sitzt, soweit ich weiß, seit dieser Geschichte ein. Es stimmt, mein Opa hat dazu beigetragen, diesen Kerl hinter Gitter zu bringen, auf eine Art und Weise, die mich ganz schön Nerven gekostet hat. Aber mir sind keine Verbindungen dieses Slotin zu Afrika bekannt.«

»Prinzessin, du denkst schon wieder drei Schritte zu weit«, grinste Ella. »Fürs Erste wäre ich schon froh zu erfahren, warum sich ein Neger für Opa Bertold interessiert. Immer dran denken: Das ist und bleibt mein Fall. Aber bevor ich die Sache und deinen verrückten Opa angehe, wollte ich dich hinzuziehen. Denke, das ist okay?«

»Kann ich den Mann sprechen?«

»Natürlich, ich bitte sogar darum. Wollte dir nur den Tatort zeigen, bevor wir uns den Schwatten gemeinsam vorknöpfen. Der Laden hier sagt dir nichts? Vielleicht ein Bekannter deines Opas? Er gehört einem Holländer namens Wim van der Kriek, der auch unter den Toten ist. Kunst aus aller Welt, auch Afrika, aber nicht nur, ich hab keine Ahnung davon. Alles viel zu teuer für ’ne unvermögende Kripomaus wie mich. Alter Schmuck, Holzmasken, auch so’n okkultes Zeugs, wie es der Verdächtige dabeihatte. Ich zeig’s dir.«

Rita musste bei der Bezeichnung »Kripomaus«, die die Kock sich selbst zugedacht hatte, kurz auflachen, sagte aber nichts dazu. Sie traten an einen Tisch, auf dem der beschriebene Gegenstand lag. Es handelte sich um eine Holzpuppe, etwa dreißig Zentimeter groß, bei der der Kopf die Hälfte des Volumens ausmachte. Das Auffälligste an der Figur waren die vielen Nägel, die rostig und krumm in dem Holz staken, und das augenscheinlich frische Blut, das überall an der Puppe klebte.

»Wir gehen davon aus, dass das Blut von der verletzten Person stammt, mit der dieser Neger zugange war, als die Kollegen eintrafen. Es sah so aus, als hätte er die Puppe damit beschmiert.«

»Ein Ritual«, murmelte Rita. »Wir wären sicherlich schon ein Stück weiter, wenn wir den Sinn dieser Figur und des Rituals kennen würden.«

»Der Schwatte, der merkwürdigerweise gar nicht schwarz ist, hat uns aber noch nix dazu gesagt. Und hier ist keiner übrig geblieben, der was davon verstünde«, entgegnete Ella. »Wir suchen derzeit nach Familienangehörigen oder Angestellten des Ladenbesitzers.«

»Und wir sollten wirklich sofort mit dem Verdächtigen sprechen«, meinte Rita. »Woher stammt er denn genau? Wir werden wohl einen Dolmetscher brauchen.«

»Der Mann heißt Deogratius Mbumba und kommt aus dem Kongo. Hab schon recherchiert, dort spricht man Französisch und Swahili und Hunderte Stammesdialekte.«

»Ein Mann aus dem Kongo, der nach Deutschland reist, wird also vermutlich Französisch sprechen. Das macht es einfacher.«

»Wenn er denn überhaupt den Mund aufmacht«, meinte Ella.

Rita betrachtete nachdenklich die blutige Figur und den Raum, dessen Fußboden, Decke und alle Wände mit Blut besudelt waren. »Wir werden sehen. Lass uns gehen.«

Wenig später parkte Ella Kock ihren Dienstwagen auf dem Parkplatz der Polizeiwache Düren. Während sie in das Gebäude gingen, schoss Rita ein Gedanke durch den Kopf, der sie zu der Frage veranlasste: »Ach übrigens, was meintest du eben eigentlich damit, dass dieser Mbumba gar kein richtiger Schwarzer ist?«

»Schätzchen, den Spaß will ich mir und auch dir nicht verderben«, antwortete Ella. »Schau ihn dir einfach an. Mehr als das, was du dann siehst, weiß ich auch nicht.«

Die beiden gingen in das Büro von Ella Kock, wo diese anordnete, ihr den in Untersuchungshaft einsitzenden Deogratius Mbumba zu bringen. Sie mussten nicht lange warten. Begleitet von zwei Beamten trat Mbumba ein. Gelassen und freundlich lächelnd setzte er sich auf den ihm dargebotenen Stuhl. Rita wies auf seine Handschellen, die daraufhin von einem seiner Begleiter entfernt wurden. Auch dies begleitete Mbumba mit einem Lächeln. Rita betrachtete den Mann staunend und strengte sich sehr an, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Doch nun, da sie darüber nachdachte, war sie sich sicher, dass der Mann es gewohnt sein musste, seine Mitmenschen in Erstaunen zu versetzen. Rita sah ihn genau an. Alles an ihm wirkte typisch für einen Afrikaner, wie man sich eben einen solchen vorstellte. Er war von stämmiger Figur, aber nicht dick, hatte eine breite Nase, volle Lippen und kurzes, krauses Haar. Deogratius Mbumba wäre ein typischer Schwarzer gewesen – wenn ihn denn auch eine dunkle Hautfarbe ausgezeichnet hätte. Doch seine Haut war so hell wie die der beiden Kommissarinnen, und sein Haar war strahlend weiß, einerseits sicherlich aufgrund seines Alters, denn Mbumba war kein junger Mann mehr, andererseits aber sah es aus, als sei er in jüngeren Jahren hellblond gewesen.

Ella hielt ihm den Zeitungsausschnitt, den sie in seinen Sachen gefunden hatte, vors Gesicht. »Warum hatten Sie dies hier bei sich, Herr Mbumba?«, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten, die dann auch nicht kam.

Rita versuchte es anders: »Parlez-vous français, Monsieur?«

Mbumba lächelte sie an, antwortete aber weiterhin nicht.

»Do you speak english?« Wieder erntete Rita nur ein freundliches Lächeln.

Einer der Beamten, die hinter dem Afrikaner standen, meinte: »Frau Bertold, wir sollten einen Dolmetscher hinzuziehen. Irgendetwas muss der Mann doch verstehen!«

Als Deogratius Mbumba ihren Namen vernahm, veränderte sich seine Mimik. Er sah Rita mit großen Augen an, dann sagte er mit einer dunklen, samtenen Stimme sehr konzentriert und langsam: »Sie sind die Tochter von Babu Bertold?«

»Ach, Sie sprechen Deutsch?«

»Ja«, lächelte Mbumba und sah Rita weiter unverwandt an, ohne jedoch der kurzen Antwort weitere Erläuterungen folgen zu lassen.

Rita sprach weiter: »Sie meinen sicher Opa Bertold. Das ist nicht mein Vater, sondern mein Großvater. Kennen Sie ihn?«

»Nicht so gut wie Sie, bibi.«

Ella Kock schnaubte: »Bibi, babu, was ist denn das? Sprechen Sie doch vernünftig mit uns, Sie können doch offenbar verdammt gut unsere Sprache!«

Mbumba antwortete, ohne Ella anzusehen: »Kiboko ist wütend. Ndoki kann nichts dafür. Ndoki spricht Sprache aus einer anderen Welt, selbst auf Deutsch. Übersetzung für Kiboko ist unmöglich.«

»Was bedeutet das?«, fragte Rita. »Ndoki?«

»Das ist mein – wie sagt man – Profession. In Ihrer Sprache ist das so etwas wie Zauberer, Medizinmann, ich weiß nicht genau. Gibt kein Wort dafür außer Ndoki.«

»Quacksalber, Scharlatan, Voodoo-Priester«, bellte Ella.

Der Mann wandelte sein Lächeln in ein Grinsen. »Kiboko schnaubt und zeigt Gebiss, bevor es angreift. Gefährlich.«

»Was immer ein Kiboko ist, lassen wir das mal, und sprechen Sie bitte weiter. Woher können Sie so gut Deutsch?«, fragte Rita.

Mbumba antwortete bereitwillig: »Habe Medizin studiert in Deutschland und USA. Ist schon lange her, verzeihen Sie. Arbeite in meiner Heimat schon lange wieder.«

»Und nun sind Sie nach Deutschland geflogen, um meinen Großvater zu treffen?«

»Auch.«

»Und um ein paar Leute umzubringen?«, fügte Ella hinzu.

Der Afrikaner schüttelte den Kopf. »Ich bin Heiler, töte nicht.«

»Das behaupten Sie!«

»Ich sage, was ist. Sie behaupten.«

Ella Kock winkte resignierend ab.

Rita sprach weiter: »Was wollen Sie denn von meinem Großvater? Haben Sie ihn schon einmal getroffen?«

»Ich traf ihn noch nicht. Hoffe aber Babu Bertold zu sehen bald.«

»Aber Sie gingen zuerst, nachdem Sie in Köln gelandet sind, zu einem Kunsthändler in Düren. Und der wurde nebst weiteren Menschen ermordet, und dort traf man Sie an. Was wollten Sie bei van der Kriek?«

»Helfen. Retten. Kam zu spät. Für Frau vielleicht nicht.«

»Sie behaupten also, den Überfall nicht begangen zu haben. Aber Sie wussten, dass dort etwas Schlimmes passieren würde?«

»Babu Bertold weiß um das Böse. Er kennt den Paten.« Mbumba wies auf den Zeitungsausschnitt.

Rita hakte nach: »Sie meinen Wladimir Slotin. Ist der etwa für den Überfall verantwortlich?«

Mbumba zuckte mit den Achseln. »Ndoki sieht manches, nicht alles. Babu Bertold weiß vielleicht mehr.«

»Lassen wir den guten Babu mal aus dem Spiel«, meinte Rita. »Wir sind hier für das Böse zuständig, nicht mein Babu. Und es wäre sehr gut, wenn Sie uns sagen würden, warum Sie von dem Überfall auf das Kunstgeschäft wussten.«

»Ich bin kein Polizist«, antwortete Deogratius Mbumba. »Und ich denke nicht wie Polizei, handle nicht wie Polizei. Bin Ndoki. Ahne Dinge, spüre Böses, helfe.«

»Und Sie sitzen da irgendwo im Kongo, spüren etwas Böses, haben einen Artikel über meinen Großvater gelesen, setzen sich in den Flieger und kommen gerade dann in van der Krieks Laden, als er dort erschossen wird.«

»Stimmt. Sie sagen das richtig, aus Ihrer Sicht.«

Jetzt war es Rita, die eine resignierende Geste machte. »Wenn mir hier jemand so etwas erzählt, dann sage ich ihm, er verarscht mich. Verstehen Sie das?«

Jetzt lachte Mbumba laut auf. »Ich erinnere mich gut an dieses Wort. Ist lustig, nicht wahr?«

»Kommt drauf an. Nicht für den, der verarscht wird«, versetzte Rita. »Sagen wir es anders: Sie lügen uns an. Ich meine, Sie sagen uns nicht alles, was Sie wissen, obwohl wir Sie danach fragen. Das ist ebenfalls eine Lüge, steht bestimmt auch im kongolesischen Handbuch der Zauberlehrlinge.«

Mbumba wurde wieder ernst. »Ich sage, was ich kann.«

Ella stand auf. »Boah ey, ich kann nicht mehr. Rita, du kannst gut mit dem Kerl, versuch’s weiter. Ich geh erst mal pinkeln!« Sie verließ den Raum, wobei sie sich heftig mit einem Finger an die Schläfe tippte.

Der Verhörte sah ihr lächelnd nach.

Rita fragte ihn: »Sagen Sie mal, was bedeutet eigentlich Kiboko?«