Paul Heyse

Anfang und Ende

Novelle

Paul Heyse

Anfang und Ende

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-10-5

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Anfang und Ende

(1857)

In der tie­fen Fens­ter­ni­sche des licht­er­hel­len Saals brann­te nur eine ein­zel­ne Ker­ze auf sil­ber­nem Leuch­ter, den eine ge­flü­gel­te Fi­gur mit bei­den Ar­men em­por­hielt. Der be­schei­de­ne Glanz wur­de noch ge­dämpft durch schat­ti­ge Ge­wäch­se mit brei­ten Blät­tern und den letz­ten Blü­ten des Jah­res, und eine schlan­ke Pal­me über­wölb­te zier­lich mit ih­ren leich­ten Zwei­gen den Ein­gang in die dämm­ri­ge Lau­be. Zwei Ses­sel stan­den dar­in trau­lich ein­an­der ge­gen­über. Aber der eine war leer. In dem an­dern ruh­te eine schlan­ke Frau­en­ge­stalt, das Haupt auf die Hand ge­stützt, die Au­gen ge­schlos­sen. Wer sie im Ver­dacht hat­te, dass sie sich aus der mun­tern Ge­sell­schaft in dies grü­ne Ver­steck zu­rück­ge­zo­gen habe, um nur de­sto mehr be­merkt und auf­ge­sucht zu wer­den, tat ihr Un­recht. Sie dach­te durch­aus nicht dar­an, wie zart das Hell­dun­kel der Pal­me über ihre schö­ne Stir­ne fiel, wie weich und mond­schein­haft der Schein der Ker­ze in den Rin­gen ih­res schwar­zen Haa­res spiel­te. Noch auch be­nutz­te sie, wäh­rend am an­dern Ende des Saals eine sanf­te Mäd­chen­stim­me zum Kla­vie­re sang, die ver­stoh­le­ne Ein­sam­keit dazu, Ge­dan­ken nach­zu­hän­gen, wie sie wohl in der Som­mer­blü­te des Le­bens hin­ter ge­schlos­se­nen Au­gen­li­dern ihr We­sen trei­ben. Denn, um es kurz zu sa­gen: die Mu­sik, der sie An­fangs mit hal­b­em Ohr ge­folgt war, hat­te sie end­lich wie ein mü­des Kind in Schlaf ver­senkt.

Auch er­wach­te sie nicht, als das Lied zu Ende war, die al­ten Herrn ihr auf­mun­tern­des Bra­vo rie­fen, der Stuhl am Kla­vier ge­rückt wur­de und die un­ter­bro­che­nen Ge­sprä­che mit neu­er Leb­haf­tig­keit durch den Saal schwirr­ten. Nie­mand kam, sie zu stö­ren. Denn sie war fremd in die­sem Krei­se, und über­dies lag ein Zug von ge­hal­te­nem Ernst auf ih­rem Ge­sicht, der neu­en Be­kannt­schaf­ten nicht ge­ra­de ent­ge­gen­kam. Es war ihr Schick­sal, für stolz zu gel­ten, und sie wuss­te es. Dass sie nichts tat, den ir­ri­gen Glau­ben zu zer­stö­ren, ent­sprang mehr aus Be­quem­lich­keit, als aus Ge­ring­schät­zung.

Eine be­kann­te Stim­me, die ih­ren Na­men nann­te, drang durch ih­ren Schlaf. Als sie ver­wirrt die Au­gen auf­schlug, stand der Haus­herr vor ihr, einen Frem­den an der Hand hal­tend, des­sen hohe Stirn an die Pal­men­zwei­ge stieß. Er­lau­ben Sie mir, Ihre Me­di­ta­ti­on zu stö­ren, Frau Eu­ge­nie? sag­te der Wirt lä­chelnd. Ich brin­ge Ih­nen mei­nen Freund und Vet­ter Va­len­tin, der seit ei­ni­gen Stun­den un­ser Gast und erst seit ei­ni­gen Wo­chen wie­der im deut­schen Va­ter­lan­de ist. Nun aber wer­den wir ihn fest­hal­ten, denk’ ich, und wer könn­te uns bes­ser da­bei un­ter­stüt­zen, als die deut­schen Frau­en? –

Er hat­te längst wie­der den Rücken ge­wandt, und die Bei­den ver­harr­ten noch ohne ein Wort der Be­grü­ßung ein­an­der ge­gen­über. Die Au­gen des Man­nes wa­ren auf die rote Rose im Haar der schö­nen Frau ge­senkt, und nur das Schwan­ken des Pal­men­zwei­ges ihm zu Häup­ten ver­riet, dass Blut in sei­nen Adern klopf­te. Eu­ge­ni­ens Ge­sicht sah ernst­haft zu ihm auf, wie man ei­nem Rät­sel nach­sinnt. Oder hat­te der Schlaf sei­nen Schlei­er noch nicht ganz von ih­ren Au­gen ge­nom­men? Wenn dies Be­geg­nen nur ein Traum war, so träum­te sie ihn frei­lich nicht zum ers­ten Mal. Aber ha­ben Träu­me die Macht, be­kann­te Züge zu ver­wan­deln, wie es die Jah­re tun, Lo­cken zu kür­zen und jene Fal­ten in die Stirn zu gra­ben, wel­che sie dort über den star­ken Brau­en des Man­nes im ers­ten Auf­blick er­kannt hat­te?

Je län­ger er sie auf sei­ne An­re­de war­ten ließ, de­sto rö­ter glüh­ten ihr die Wan­gen. Ein paar­mal öff­ne­te sie die Lip­pen, schwieg aber und senk­te die Au­gen. Ihr Fä­cher glitt auf den Tep­pich nie­der. Er ließ ihn lie­gen.

Frau Eu­ge­nie, sag­te er end­lich, – er­lau­ben Sie auch mir, Sie so zu nen­nen. Ich tre­te eben erst ins Haus und habe es wahr­lich ver­säumt, mei­nen Gast­freund nach dem Na­men Ihres Ge­mahls zu fra­gen. Wie wun­der­bar trifft man sich im Le­ben wie­der! Ich muss über mei­ne Ah­nungs­lo­sig­keit stau­nen, dass mir dies Wie­der­se­hen durch kein Vor­zei­chen des Him­mels oder der Erde an­ge­kün­digt wor­den ist.

Eine be­son­de­re Ver­an­las­sung hat mich hie­her ge­führt, er­wi­der­te sie rasch. Ich will mei­nen Sohn in eine Schu­le brin­gen, und man sag­te mir, dass er in die­ser Stadt am bes­ten auf­ge­ho­ben sein wür­de. Die vo­ri­ge Nacht habe ich im Post­wa­gen völ­lig ohne Schlaf zu­ge­bracht, und ich darf Ih­nen wohl ge­ste­hen, dass eben, als Sie ka­men, die schwa­che Na­tur ge­gen alle Schick­lich­keit das Ver­säum­te nach­zu­ho­len im Be­griff war. Ich sage es Ih­nen, weil es einen al­ten Freund be­frem­den muss, so zer­streut und we­nig herz­lich be­grüßt wor­den zu sein.

Sie bot ihm jetzt die Hand. Ich dan­ke Ih­nen, ver­setz­te er, und sein We­sen hell­te sich auf, ich dan­ke Ih­nen, dass sie mir mein ge­rin­ges An­recht auf Ihre Freund­schaft be­wahrt ha­ben. Fah­ren Sie nun fort, mich auf dem al­ten Fuß zu be­han­deln, und ge­nie­ßen Sie wei­ter die Ruhe, die ich Ih­nen lei­der ge­stört habe. Ich wer­de sor­gen, dass Nie­mand wie­der in die­se Lau­be ein­drin­ge, und, wenn Sie es wün­schen, selbst am Ein­gang bei der Pal­me Wa­che ste­hen.

Sie lach­te. Nein, sprach sie, so ist es nicht ge­meint. Nur für das Ge­spräch mit wild­frem­den Men­schen bin ich zu müde. Wenn Sie mit mei­nem gu­ten Wil­len vor­lieb neh­men wol­len, so set­zen Sie sich zu mir und er­zäh­len mir, wie es Ih­nen geht und er­gan­gen ist.

Sie wer­den am bes­ten selbst ur­tei­len, wie es mir er­gan­gen sein muss, wenn ich Ih­nen im tiefs­ten Ge­heim­nis ver­traue, wie es mir in die­sem Au­gen­bli­cke geht. Mein Freund hat mich zu sich ein­ge­la­den, um mich auf ir­gend eine Art zu ver­hei­ra­ten. Was sa­gen Sie dazu? Er hält es für sei­ne Pf­licht. Wie weit muss es mit ei­nem Men­schen ge­kom­men sein, des­sen Freun­de es für ihre Pf­licht hal­ten, ihn un­schäd­lich zu ma­chen!

Sie er­schre­cken mich, er­wi­der­te sie lä­chelnd. Als ich Sie kann­te, wa­ren Sie, wenn auch im­mer­hin nicht ganz un­ge­fähr­lich, doch weit da­von ent­fernt, so viel Un­heil an­zu­stif­ten, dass man im In­ter­es­se der öf­fent­li­chen Si­cher­heit nö­tig ge­habt hät­te, Sie in Fes­seln zu le­gen.

Sie spot­ten, Frau Eu­ge­nie. O die­se Ihre Kunst, wie wohl­be­kannt ist sie mir! Aber dies­mal tref­fen mich Ihre Pfei­le nicht. Für Nie­mand fürch­tet mein ed­ler Vet­ter Un­heil von mir, als für mich selbst. Er ist des Glau­bens, wenn ich fort­füh­re, auf dem al­ten Raub­schloss, das ich mir ge­kauft, ein­sam zu hau­sen, Gril­len zu fan­gen und Ha­sen zu ja­gen und der Land­wirt­schaft mei­ner Bau­ern mit Re­zep­ten auf­zu­hel­fen, von de­nen ich selbst nichts ver­ste­he, so wür­de das Rest­chen ge­sun­der Ver­nunft, das er so gü­tig ist bei mir vor­aus­zu­set­zen, ei­nes schö­nen Ta­ges in Rauch auf­ge­gan­gen sein. Sie se­hen, er denkt mich ho­möo­pa­thisch zu be­han­deln, eine Tor­heit durch die an­de­re zu hei­len. Vi­el­leicht hat er Recht, und wenn man be­wie­sen hat, dass man selbst nicht im Stan­de ist, sein Le­ben ver­nünf­tig ein­zu­rich­ten, muss man ja wohl dank­bar still­hal­ten, wenn sich ein gu­ter Freund die Mühe gibt. Zu­wei­len den­ke ich frei­lich, dass es zu spät sein möch­te.

Zu spät? Ich kann nach­rech­nen. Vier­zehn Jah­re ist es, dass wir uns nicht ge­se­hen. Wenn Sie sich da­mals nicht jün­ger mach­ten, als Sie wa­ren, so hal­ten Sie jetzt kaum an den Jah­ren, die man die bes­ten nennt.

Ich mich jün­ger ma­chen? Lie­ber Him­mel, eher das Um­ge­kehr­te wäre in mei­nem In­ter­es­se ge­we­sen. Woran er­in­nern Sie mich, Eu­ge­nie!

Und ist sie schön, jung, lie­bens­wür­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­