Maja von Vogel

Party des Grauens

Kosmos

Umschlagillustration von Natascha Römer-Osadtschij, Schwäbisch Gmünd

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-440-13832-8

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Adieu, du schöne Ferienzeit

»Ich fasse es nicht, dass morgen die Schule wieder losgeht!« Franzi seufzte. »Warum sind die Herbstferien eigentlich so kurz?«

Marie schüttelte bekümmert den Kopf. »Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass wir in den nächsten Wochen jede Menge Arbeiten schreiben. Darauf kann ich echt verzichten!«

Kim nickte. »Geht mir genauso. Wenn wir wenigstens einen neuen Fall hätten! Unser Detektivclub ist schon viel zu lange arbeitslos. Wir kommen noch völlig aus der Übung.«

»Keine Sorge.« Franzi grinste. »Verbrechen aufklären ist wie Fahrrad fahren, das verlernt man nicht.«

Die drei !!! hatten sich in Maries Zimmer versammelt, um den letzten Ferientag mit Kürbiskuchen und heißem Kakao gebührend zu begehen. Die Freundinnen hatten die letzten zwei Wochen in vollen Zügen genossen. Sie hatten Ausflüge ins Hallenbad und in den nahe gelegenen Freizeitpark Sugarland unternommen, einen Wellnesstag mit ausgiebigem Beautyprogramm sowie einen sehr gemütlichen DVD-Nachmittag mit all ihren Lieblingsserien bei Marie veranstaltet und natürlich stundenlang im Café Lomo gesessen, Kakao Spezial getrunken und über Gott und die Welt geredet.

Kim fühlte sich so erholt wie schon lange nicht mehr. Normalerweise war sie mit der Schule und dem Detektivclub ganz schön im Stress. Als Kopf der drei !!! war sie für das Detektivtagebuch zuständig, in das sie akribisch jedes Detail eines neuen Falles notierte. Außerdem kümmerte sie sich um die Internetrecherchen und das Beschaffen wichtiger Hintergrundinformationen.

Doch am meisten Energie hatte Kim in letzter Zeit die Trennung von ihrem Freund Michi gekostet. Die beiden waren sehr lange zusammen gewesen, hatten sich aber irgendwann in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Als Kim klar wurde, dass sie in komplett verschiedenen Welten lebten, hatte sie nach langem Zögern schließlich Schluss gemacht. Das hatte ihr fast das Herz gebrochen, doch nach unzähligen tränenreichen Nächten, quälenden Zweifeln und tröstenden Gesprächen mit ihren Freundinnen hatte Kim nun endlich das Gefühl, über die schmerzhafte Trennung hinweg zu sein.

»Wie läuft eigentlich eure Haussuche, Marie?«, erkundigte sich Franzi. »Habt ihr inzwischen etwas gefunden?«

Marie seufzte. »Schön wär’s! Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Sache so lange hinziehen würde. Eigentlich habe ich ja keine große Lust auf den Umzug, aber so langsam gehen mir die ständigen Besichtigungen ziemlich auf die Nerven.«

Marie bewohnte mit ihrem Vater ein luxuriöses Penthouse. Ihre Mutter war vor langer Zeit gestorben, weshalb Helmut Grevenbroich seine Tochter doppelt verwöhnte und, wann immer es ging, auf Händen trug. Er war ein berühmter Schauspieler, der jede Menge Geld verdiente, aber auch viel arbeiten musste. Seit einiger Zeit hatte er eine neue Lebensgefährtin, Tessa, die mit ihrer Tochter Lina nun auch im Penthouse wohnte. Marie, die anfangs gar nicht begeistert von dem neuen Familienzuwachs gewesen war, hatte sich inzwischen halbwegs mit Tessa arrangiert. Aber Lina war überhaupt nicht ihr Fall. Ständig gab es Streit zwischen den beiden Mädchen. Und weil das Penthouse für vier Personen zu klein war, hatte sich Maries Vater auf die Suche nach einem neuen Heim gemacht.

»Was ist denn mit der Villa, die ihr letzte Woche besichtigt habt?«, fragte Kim.

Marie winkte ab. »Die kannst du vergessen. Das Dach war undicht und in den Wänden saß der Schimmel. Wir sind rückwärts wieder rausgegangen. Aber wartet mal, ich zeig euch, was wir uns gestern angeschaut haben.« Marie nahm ihren Laptop vom Schreibtisch, klappte ihn auf und fuhr ihn hoch.

Kim hatte sich gerade ein zweites Stück Kürbiskuchen genommen, als die Tür aufgerissen wurde und Lina hereinstürmte.

»Hallo, Leute!«, rief Lina gut gelaunt und blieb mitten im Zimmer stehen. »Alles klar?« Sie hatte ihre rotblonden, schulterlangen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, was die rundliche Form ihres Gesichts unvorteilhaft betonte.

Marie warf ihr einen finsteren Blick zu. »Kannst du nicht anklopfen? Das hab ich dir doch schon tausendmal gesagt!«

»Sorry!« Lina grinste. »Hab ich glatt vergessen. Das ist übrigens Greta, eine Freundin von mir.« Sie zeigte auf ein zierliches Mädchen mit braunen, schulterlangen Haaren, das schüchtern an der Tür stehen geblieben war.

»Was wollt ihr?«, fragte Marie ziemlich unfreundlich.

»Nur mal gucken, was ihr so treibt.« Lina zeigte auf den Kuchen. »Den schafft ihr doch bestimmt nicht alleine, oder?«

»Finger weg!«, knurrte Marie. »Wenn ihr Hunger habt, holt euch gefälligst was aus der Küche.«

Greta warf einen Blick auf den Laptop, der vor Marie auf dem Boden stand, dann auf Kim und Franzi, die es sich zwischen Maries zahlreichen Kissen auf dem flauschigen Teppich bequem gemacht hatten.

»Haltet ihr gerade eine Clubsitzung ab?«, fragte sie interessiert.

»Nein«, antwortete Marie, ohne aufzusehen, während sie die Homepage eines örtlichen Immobilienmaklers aufrief. »Dies ist ein rein privates Treffen. Und jetzt verschwindet, wir hätten gern unsere Ruhe.«

Greta lief rot an. »Entschuldigung, ich wollte nicht stören. Aber ich dachte … also … ich hab gedacht …«

Marie seufzte. Jetzt hob sie doch den Kopf und sah Greta genervt an. »Was hast du gedacht?«

Greta räusperte sich. »Na ja … dass ich vielleicht ein Autogramm bekommen könnte. Das wäre echt toll, ich bin nämlich ein riesengroßer Fan von euch.«

»Ach so.« Marie wurde sofort freundlicher. »Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?« Sie kramte eine Visitenkarte aus ihrer Schreibtischschublade und setzte schwungvoll ihren Namen auf die Rückseite. Dann reichte sie sie an Franzi weiter, die ebenfalls unterschrieb.

Kim zögerte, als Franzi ihr die Karte in die Hand drückte. »Eigentlich geben wir keine Autogramme«, sagte sie. »Wir sind schließlich keine Stars oder so was.«

Kim gefiel es nicht, dass die drei !!! im Lauf der Zeit immer bekannter geworden waren. Sie hatte Angst, dass es für den Club irgendwann nicht mehr möglich sein würde, ungestört zu ermitteln.

»Könnt ihr nicht eine Ausnahme machen?«, bat Greta, während Lina mit gierigen Augen den Kürbiskuchen fixierte. Es fiel ihr sichtlich schwer, sich an Maries Verbot zu halten. »Ich verrate es auch niemandem, okay? Bitte!«

»Komm schon, Kim«, sagte Franzi. »Ein kleines Autogramm wird den Club nicht gleich ruinieren.«

Kim wollte keine Spielverderberin sein. Seufzend unterschrieb sie und reichte Linas Freundin die Visitenkarte. Greta nahm sie entgegen wie einen besonders wertvollen Gegenstand. Erst betrachtete sie mit leuchtenden Augen die drei Unterschriften, dann drehte sie die Karte um und las, was auf der Vorderseite stand:

»Wahnsinn, das ist einfach der Hammer!« Greta strahlte die drei !!! an. »Vielen, vielen Dank!«

»Kein Problem.« Marie winkte großzügig ab. »Bist du schon lange ein Fan von uns?«

Kim konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Im Gegensatz zu ihr genoss Marie es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie konnte manchmal eine richtige Diva sein. Von daher passte ihr Traum, später einmal eine berühmte Sängerin oder Schauspielerin zu werden, perfekt zu ihr.

Greta, die jetzt gar nicht mehr schüchtern wirkte, nickte eifrig. »Ja, ich finde euch schon toll, seit ich zum ersten Mal einen Artikel über Die drei !!! in der Zeitung gelesen habe. Wie viele Fälle habt ihr eigentlich inzwischen gelöst?«

»Eine ganze Menge«, antwortete Franzi.

Marie warf ihre langen, blonden Haare zurück. »Den letzten Fall haben wir vor einer Weile in Hamburg übernommen. Es ging um Musikdiebstahl, das war ganz schön aufregend. Aber wir haben auch schon in Berlin, Paris und sogar an der Côte d’Azur ermittelt.«

Greta hörte mit offenem Mund zu. »Echt? Wahnsinn! Ich wusste gar nicht, dass ihr sogar international tätig seid.«

»Na ja, bisher waren es nur ein paar Einzelfälle«, schwächte Kim ab. »Und du bist Linas Freundin?«, fragte sie, um endlich das Thema zu wechseln.

Greta nickte. »Wir gehen in dieselbe Klasse. Als ich hörte, dass Lina mit einem Mitglied des berühmten Clubs Die drei !!! zusammenwohnt, konnte ich es kaum glauben. Ich musste einfach herkommen und euch mit eigenen Augen sehen.«

»Das ist hoffentlich nicht der einzige Grund gewesen, weshalb du mich besuchen wolltest, oder?«, fragte Lina etwas beleidigt.

»Nein, natürlich nicht!« Greta lächelte Lina beschwichtigend zu.

»Hier ist es!« Marie hatte sich inzwischen wieder an ihren Computer gesetzt und das richtige Immobilienangebot im Internet gefunden. Sie drehte den Laptop zu Kim und Franzi. Auch Greta und Lina starrten neugierig auf den Bildschirm. »Das ist das Haus, das wir gestern besichtigt haben.«

»Scheint doch gar nicht so schlecht zu sein.« Kim klickte alle Fotos einmal durch. »Ein richtig nettes, kleines Häuschen.«

Marie schnaufte empört. »Genau! Ein nettes, winzig kleines Häuschen! Hast du den Balkon gesehen? Da kann man ja kaum zu dritt drauf sitzen. Außerdem hat das Haus weder Pool noch Sauna.«

Franzi zuckte mit den Schultern. »Na und? Dann gehst du eben ins Schwimmbad.«

Aber Marie war nicht zu stoppen. »Das Zimmer, das ich bekommen würde, ist auch viel zu klein. Da passt nicht mal mein Kleiderschrank rein.« Sie zeigte auf ihren riesigen, weißen Schrank mit den großen Schiebetüren, der die gesamte Breite ihres Zimmers einnahm und ihre ausgesprochen gut sortierte Garderobe enthielt. »Aber das Schlimmste wäre: Ich müsste mir ein Bad mit Lina teilen! Könnt ihr euch das vorstellen? Dabei hat Papa mir ausdrücklich ein eigenes Badezimmer versprochen, wenn wir umziehen!«

Kim warf Franzi einen amüsierten Blick zu. Sie kannten solche Tiraden bereits. Marie war es gewohnt, immer alles zu bekommen, was sie wollte. Sie hatte einen ausgeprägten Hang zum Luxus, war andererseits aber auch sehr großzügig und teilte das viele Taschengeld, das sie von ihrem Vater bekam, ohne mit der Wimper zu zucken, mit ihren Freundinnen.

»Wir haben nur ein einziges Bad zu Hause«, sagte Kim. »Das muss ich mir mit meinen Eltern und mit Ben und Lukas teilen.«

Marie schüttelte fassungslos den Kopf. »Es war mir schon immer ein Rätsel, wie das funktioniert. Wie schaffst du es bloß, morgens rechtzeitig in der Schule zu sein?«

Kim grinste. »Ich stehe einfach früher auf. Außerdem brauche ich morgens nicht besonders lange im Bad.«

Im Gegensatz zu Marie schminkte sich Kim kaum. Ihre kurzen braunen Haare stylte sie nur mit ein wenig Gel und ihr Kleidermotto lautete: Hauptsache, bequem! Am liebsten trug sie ihre alten Jeans, einen gemütlichen Pullover und Turnschuhe.

»Dieses Haus ist auf jeden Fall völlig inakzeptabel«, stellte Marie abschließend fest und klappte schwungvoll das Notebook zu.

»Also, mir hat es gefallen«, sagte Lina. »Der Garten ist toll. Zwischen den Apfelbäumen könnte man prima eine Hängematte aufhängen. Und so schlimm ist es ja wohl nicht, sich mit mir ein Bad zu teilen.« Sie klang etwas beleidigt.

Marie verdrehte die Augen. »Was weißt du denn schon? Du hast doch keine Ahnung, worauf es ankommt!«

»Mama und Helmut fanden das Haus auch gut«, verteidigte sich Lina. »Sie wollen es sich sogar noch ein zweites Mal ansehen.«

»Ehrlich?«, fragte Franzi.

Marie nickte. »Ja, leider. Ich konnte sie nicht davon abbringen, einen zweiten Besichtigungstermin mit dem Makler zu vereinbaren. Völlig überflüssig, wenn ihr mich fragt. Ich kann nur hoffen, dass inzwischen jemand anders diese Bruchbude kauft.«

»Ich fände es toll, wenn wir das Haus nehmen würden«, verkündete Lina.

Jetzt reichte es Marie. »Raus mit euch! Wir wollen uns in Ruhe weiter unterhalten.«

»Das ist gemein!« Lina schob schmollend die Unterlippe vor wie ein kleines Kind.

Greta griff nach ihrem Arm. »Komm, wir gehen.« Sie zog Lina aus dem Zimmer, die einen letzten bedauernden Blick auf den Kürbiskuchen warf.

»Und vielen Dank noch mal für das Autogramm!«, sagte Greta zum Abschied zu den drei !!!, bevor sie leise die Tür hinter sich zuzog.

Marie stöhnte. »Na endlich! Lina raubt mir echt den allerletzten Nerv.«

»Hauptsache, du gehst ihr nicht irgendwann an die Gurgel.« Franzi grinste. »Ich würde nur sehr ungern gegen dich ermitteln müssen.«

»Der Fall der erwürgten Nervensäge.« Kim lachte. »Das wäre doch mal etwas völlig Neues.«

»Wenn Lina so weitermacht, kann ich für nichts garantieren.« Marie schenkte ihren Freundinnen heißen Kakao nach. »Aber lasst uns lieber von erfreulicheren Dingen reden.« Sie nahm einen Zettel vom Schreibtisch und hielt ihn hoch. »Was haltet ihr davon? Hab ich gestern im Jugendzentrum entdeckt.«

Kim las den Flyer, der knallig orange leuchtete und sofort ins Auge fiel:

ACHTUNG!

Wer hat Lust, bei der Organisation der großen

HALLOWEENPARTY

mitzuhelfen? Freiwillige vor!

Meldet euch im Jugendzentrum, wir freuen uns auf euch!

»Cool!« Franzis Gesicht hellte sich auf. »Endlich mal wieder eine Party mit Verkleidung!«

»Was meint ihr, sollen wir uns melden?«, fragte Marie. »Könnte doch ganz lustig werden, oder?«

»Ich bin dabei!« Kim trank einen großen Schluck Kakao. »Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Ein Lichtblick in der öden, düsteren Leere des Herbstes.«

Franzi grinste. »Man merkt, dass du Schriftstellerin bist. Irgendwann schaffst du garantiert den großen Durchbruch.«

Kim verzog das Gesicht. »Dazu müsste ich erst mal einen Text fertig bekommen.« Kim schrieb ab und zu Kriminalgeschichten, die allerdings wegen ihrer knapp bemessenen Freizeit meist unvollendet blieben.

Marie hob ihre Tasse. »Auf das beste Halloween aller Zeiten!«

»Auf die beste Party aller Zeiten!«, rief Franzi.

Drei Kakaotassen stießen klirrend gegeneinander. Damit war die Sache beschlossen.

Wie plant man eine Party?

Als Kim zwei Tage später das Jugendzentrum betrat, waren Marie und Franzi schon da. Sie hatten es sich auf den abgewetzten Sesseln im Aufenthaltsraum bequem gemacht und warteten mit einigen anderen Jugendlichen auf den Beginn des ersten Partyplanungstreffens.

»Ich habe tolle Neuigkeiten!«, platzte Marie heraus, kaum dass Kim ihre Jacke ausgezogen und sich zu ihren Freundinnen gesetzt hatte. »Dieses blöde Haus, das viel zu klein für uns war, ist an jemand anderen verkauft worden!«

»Glück gehabt!« Franzi grinste. »Dann musst du dir doch kein Bad mit Lina teilen. Was sagt denn dein Vater dazu?«

»Papa war stinksauer«, berichtete Marie. »Der Makler hat einfach behauptet, mein Vater habe den zweiten Besichtigungstermin absagen lassen. Darum hat er einem anderen Interessenten den Zuschlag gegeben. Dabei hatte Papa den Termin überhaupt nicht abgesagt!«

Kim schüttelte den Kopf. »Ganz schön dreist!« Sie nahm sich ein Bonbon aus der Schale, die vor ihr auf dem Tisch stand, wickelte es aus und steckte es sich in den Mund. Himbeer-Sahne, lecker! Süßigkeiten konnte Kim einfach nicht widerstehen, eine Schwäche, die sie sich immer mal wieder abzugewöhnen versuchte – bisher allerdings ohne Erfolg.

»Mich wundert das gar nicht.« Marie griff ebenfalls nach einem Bonbon. »Mir war dieser Makler von Anfang an unsympathisch. Am Wochenende sehen wir uns ein paar Villen im Ostviertel an, ich bin schon gespannt!«

Kim musterte Marie. Sie trug eine weiße Leggings, die eigentlich etwas zu dünn für die Jahreszeit war, halbhohe Stiefel mit Pelzbesatz und ein eisgraues Strickkleid mit aufgestickten Blumen.

»Sag mal, hast du heute noch was vor?«, erkundigte sich Kim, während sie an ihrem Bonbon lutschte.

Ein Lächeln legte sich auf Maries Lippen. »Wieso?«

»Du siehst irgendwie so aus.« Kim grinste. »Für einen stinknormalen Nachmittag im Jugendzentrum hättest du dich jedenfalls nicht so chic machen müssen.«

»Na ja … ich bin nachher tatsächlich noch verabredet«, gab Marie zu. »Holger und ich wollen ins Kino gehen.«

»Du triffst dich schon wieder mit Holger?« Franzi zog beide Augenbrauen hoch. »Ihr seht euch ganz schön oft in letzter Zeit, oder?«

Holger, Maries Exfreund, wohnte in Billershausen, einem kleinen Dorf in einigen Kilometern Entfernung. Die beiden waren ein glückliches Paar gewesen, bis die Fernbeziehung sie langsam, aber sicher zermürbt und schließlich zu ihrer Trennung geführt hatte.

»Na und? Wir verstehen uns eben immer noch total gut«, verteidigte sich Marie.

»Ist doch prima.« Kim zwinkerte ihrer Freundin zu. »Vielleicht hat eure Beziehung ja doch noch eine Chance.«

Marie seufzte. »Keine Ahnung. Und im Moment ist es mir auch egal. Ich habe beschlossen, unsere Treffen einfach zu genießen. Es kommt ja sowieso anders, als man denkt.«

»Stimmt.« Franzi nickte zum Eingang hinüber. »Seht mal, wer da ist!«

Kim schaute zur Tür, durch die gerade Lina und Greta in den Aufenthaltsraum spazierten.

»Hallo!«, rief Lina fröhlich in die Runde. »Findet hier das Treffen des Partyteams statt? Wir wollen auch mitmachen!«

»Oh nein!« Marie rutschte tiefer in ihren Sessel. »Was haben die denn hier verloren?«

»Bestimmt hat Lina den Flyer auf deinem Schreibtisch gesehen«, kombinierte Kim. »Er war ja ziemlich auffällig.«

»Nicht mal hier hab ich Ruhe vor der Nervensäge!«, schimpfte Marie. »Jetzt müssen wir uns die ganze Zeit Linas Geplapper anhören.«

»Immer hereinspaziert!«, rief ein Junge, der eine tief sitzende Jeans und eine schwarze Wollmütze mit Totenkopfemblem trug. »Je mehr Mädels, desto besser! Stimmt’s, Marlon?«

Sein Kumpel, ein schlaksiger, blonder Typ in Turnschuhen und Trainingsjacke, grinste. »Na klar! Wie heißt ihr zwei Hübschen denn?«

Lina lächelte geschmeichelt und plapperte sofort drauflos.

»Ich wusste gar nicht, dass Lina auf Skater steht.« Marie schüttelte verwundert den Kopf.

»Ich kenne die beiden.« Franzi musterte die Jungs unauffällig. »Sie heißen Marlon und Tjalf und hängen manchmal im Skatepark herum. Benni und ich sind ihnen ein paar Mal dort begegnet. Die beiden legen sich mit jedem an, haben aber selbst nicht besonders viel drauf.«

»Große Klappe, nichts dahinter«, fasste Kim zusammen. »Wie geht’s Benni eigentlich? Ich hab ihn lange nicht mehr gesehen.«

»Ich auch nicht«, sagte Franzi. »In letzter Zeit war ich so beschäftigt, dass ich kaum Zeit zum Skaten hatte.«

Franzi und Benni waren schon ewig befreundet. Zwischendurch waren sie sogar mal ein Paar gewesen, aber das hatte nicht lange funktioniert. Darum waren sie schließlich wieder zu ihrer alten Freundschaft zurückgekehrt.

Marie grinste. »Kann es sein, dass du hauptsächlich mit Felipe beschäftigt warst?«

Bei der Erwähnung von Felipes Namen begann Franzi augenblicklich zu strahlen. »Schon möglich. Ich glaube, ich war noch nie so verliebt. Manchmal kann ich es immer noch nicht fassen, dass wir tatsächlich zusammen sind.« Ein Schatten huschte über Franzis Gesicht. »Leider können wir uns jetzt nicht mehr so oft sehen.«

»Wieso denn nicht?«, fragte Kim.

Franzi seufzte. »Felipe hilft seiner Mutter jeden Tag im Restaurant. Und nun muss er sich auch noch um seine Großmutter kümmern, die gerade aus Mexiko zu Besuch ist.«

Felipe war Halbmexikaner. Vor ein paar Monaten war er mit seiner Mutter Juana und seinem Onkel Miguel el Mago nach Deutschland gekommen, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Juana hatte im Freizeitpark Sugarland ein mexikanisches Restaurant eröffnet, während Mago die Besucher mit seiner Zaubershow begeisterte.

»Wie ist Felipes Oma denn so?«, erkundigte sich Kim.

Franzi grinste. »Ein bisschen verrückt. Sie heißt Rosita, hat schwarze Augen und einen Blick, der durch und durch geht. Außerdem trägt sie eine Kette mit einem Totenkopfanhänger um den Hals.«

»Nicht zu fassen!« Marie machte ein entsetztes Gesicht. »Dabei sind Totenköpfe doch schon längst wieder out. Auch wenn manche Leute das leider immer noch nicht begriffen haben …« Sie warf einen vielsagenden Blick zu Tjalf hinüber, der sich gerade genervt unter seiner Totenkopfmütze kratzte, während Lina immer noch quasselte wie ein Wasserfall.

»Ich glaube nicht, dass Rosita den Totenkopf als modisches Accessoire trägt«, sagte Franzi. »Das ist eher was Religiöses. Ganz ehrlich, die Frau ist mir irgendwie unheimlich.«