Geheimnis der alten Villa
Kosmos
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© 2013 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
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ISBN: 978-3-440-13677-5
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Katastrophenalarm und Cake-Pops
Marie lag entspannt auf ihrem Schlafsofa. Sie hatte sich mehrere Kissen in den Rücken gestopft und eine kuschelige Wolldecke über die Beine gelegt. Draußen klatschte der Regen gegen die Fenster und ein heftiger Wind ließ die Baumwipfel im Garten hin und her schwanken. Für Mai war es eindeutig zu kalt. Darum hatte Marie beschlossen, heute zu Hause zu bleiben und es sich in ihrem Zimmer gemütlich zu machen. Auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Sofa standen ein dampfendes Glas Chai-Tee Latte und eine Schale mit Nussplätzchen. Der Sound der neuen Boyzzzz-CD drang leise aus den Boxen der Stereoanlage und auf der Fensterbank brannte ein Räucherstäbchen, das einen intensiven Duft nach Pinienwäldern verbreitete.
Der Geruch rief in Marie Erinnerungen an die Reise nach Spanien wach, die sie mit ihren Freundinnen Kim und Franzi in den Osterferien unternommen hatte. Sie hatten einen Sprachkurs in dem wunderschönen Städtchen Cuenca gemacht und waren ganz nebenbei in einen spannenden Fall verwickelt worden. Als Die drei !!! gingen Kim, Franzi und Marie regelmäßig auf Verbrecherjagd und hatten bisher noch jeden Fall gelöst.
Marie griff nach ihrem iPad, um sich die Urlaubsfotos noch einmal anzuschauen. Ein Bild nach dem anderen erschien in leuchtenden Farben auf dem Display und Marie versank in Erinnerungen …
Plötzlich gellte ein spitzer Schrei durch das Haus. Marie zuckte zusammen. Lina! Es klang, als wäre sie direkt nebenan im Badezimmer. Sofort meldete sich Maries Detektivinstinkt. War ihrer Stiefschwester etwas passiert? Ein Unfall? Eine Entführung? Oder ein Mordversuch unter der Dusche wie in dem Film Psycho? Marie hatte sich den alten Klassiker erst vor Kurzem auf DVD angesehen und bekam eine Gänsehaut, als sie an das gezückte Messer und die Blutspritzer in der Badewanne dachte. Sie warf das iPad aufs Bett und sprang auf.
»Keine Angst, Lina, ich komme!« Marie stürmte ins Bad und blieb wie angewurzelt stehen. Fassungslos starrte sie auf die Szene, die sich ihr darbot. Lina war nicht verunglückt. Sie wurde auch nicht entführt oder ermordet. Stattdessen stand sie mitten in einer Wasserfontäne, die aus dem abgebrochenen Wasserhahn am Waschbecken schoss. Es sah aus wie ein riesiger Springbrunnen. Lina war klitschnass und schnappte nach Luft.
Marie konnte nicht anders, sie prustete los.
»Hilf mir lieber, du blöde Kuh!«, kreischte Lina wütend.
Doch da eilte auch schon Helmut Grevenbroich, Maries Vater, herbei, dicht gefolgt von seiner Lebensgefährtin Tessa, der Mutter von Lina.
»Was ist denn hier los?«, rief Tessa entsetzt.
Herr Grevenbroich blieb ganz ruhig. »Wir müssen den Haupthahn im Keller zudrehen.« Er spurtete die Treppe hinunter und kurze Zeit später versiegte die Fontäne.
»So ein Mist, ich hatte mir gerade die Haare geföhnt«, jammerte Lina. Ihre rotblonden Haare klebten klitschnass am Kopf, wodurch ihr rundliches Gesicht unvorteilhaft betont wurde.
»Wenigstens brauchst du heute nicht mehr zu duschen.« Marie grinste, doch dann wurde sie ernst. »Und jetzt kannst du mir vielleicht mal erklären, was du in meinem Badezimmer zu suchen hast!«
Lina lief rot an. »Äh … ich … na ja … ich wollte mir bloß deinen Lockenstab ausleihen, sonst nichts.«
»Sonst nichts?« Marie stemmte empört die Hände in die Hüften. »Du weißt ganz genau, dass du die Finger von meinen Sachen lassen sollst! Jetzt hast du mein Bad komplett verwüstet – vielen Dank auch!«
Das kleine Bad neben Maries Zimmer gehörte ihr allein und war ihr ganzer Stolz. Sie hatte es mit Kerzen, Muscheln und kleinen Holzfischen liebevoll dekoriert. Hier verbrachte sie Stunden, um sich zu schminken, zu stylen oder ungestört in der Badewanne zu liegen und sich mit einer erfrischenden Gesichtsmaske zu verwöhnen. Doch jetzt stand das Wasser knöcheltief auf den edlen anthrazitfarbenen Fliesen. Mehrere kleine Holzfische dümpelten traurig im Wasser herum.
Lina schob trotzig die Unterlippe vor. »Was kann ich dafür, dass der Wasserhahn einfach abbricht? Ich wollte mir nur schnell die Hände waschen …«
Marie setzte zu einer empörten Antwort an, als ihr Vater aus dem Keller zurückkam. »Reg dich nicht auf, Prinzessin«, beruhigte er seine Tochter. »Ich sage gleich dem Klempner Bescheid, bis heute Abend ist der Schaden bestimmt behoben.«
»Na hoffentlich«, murmelte Marie. »Ich wollte nachher nämlich noch ein Entspannungsbad nehmen.« Dass ihr Vater ihren alten Kosenamen benutzte, besänftigte sie wieder etwas. Seit Herr Grevenbroich mit Tessa zusammen war, hatte sich in Maries Leben einiges geändert. Früher hatte sie ihren Vater ganz für sich allein gehabt, nun musste sie ihn mit Tessa und Lina teilen. Das fiel ihr nicht leicht, zumal sie und ihr Vater sich durch den frühen Tod von Maries Mutter sehr nahestanden.
Vor einer Weile hatte die Patchworkfamilie eine alte, schlossähnliche Villa im Ostviertel bezogen. Marie bewohnte ein wunderschönes, geräumiges Erkerzimmer mit Balkon, in dem sie sich rundum wohlfühlte. Mit Tessa verstand sie sich inzwischen ganz gut. Wenn nur Lina nicht gewesen wäre! Ihre jüngere Stiefschwester konnte manchmal furchtbar nerven …
Tessa seufzte. »Wie ärgerlich, dass wir ausgerechnet heute die Handwerker im Haus haben. Ich wollte mich eigentlich noch ein bisschen hinlegen. Ich bin schrecklich müde.« Sie strich über den Bauch, der sich sanft unter ihrem weiten Shirt wölbte. Tessa war schwanger und würde im Herbst ein Baby bekommen. Marie wusste noch nicht so richtig, was sie davon halten sollte. Einerseits freute sie sich auf das neue Geschwisterchen, andererseits würde ihr Vater dann bestimmt noch weniger Zeit für sie haben …
»Mach dir keine Sorgen, Liebling, ich kümmere mich um alles.« Herr Grevenbroich legte seiner Lebensgefährtin liebevoll den Arm um die Schulter und führte sie zum Schlafzimmer. »Ruh dich aus, du solltest dich in deinem Zustand auf keinen Fall überanstrengen.«
»Ich bin wirklich froh, dass wir diese Woche drehfrei haben. Ich könnte den ganzen Tag schlafen«, hörte Marie Tessa sagen, bevor sie im Schlafzimmer verschwand.
Tessa und Herr Grevenbroich arbeiteten in der Filmbranche. Tessa war Kamerafrau und Maries Vater ein angesehener Schauspieler. Er war einem breiten Fernsehpublikum durch seine Rolle als Kommissar Brockmeier in der Vorabendserie Vorstadtwache bekannt geworden, spielte aber auch in anderen Fernsehfilmen mit. Durch seinen Job war er viel unterwegs, doch seit Tessa schwanger war, versuchte er, häufiger zu Hause zu sein oder zumindest in der Stadt zu drehen.
Herr Grevenbroich schloss leise die Schlafzimmertür. »Ich rufe jetzt den Klempner an. Ihr wischt bitte das Wasser im Bad auf.« Eilig lief er ins Erdgeschoss.
»Also, ich muss mich erst mal umziehen«, erklärte Lina. »Sonst erkälte ich mich. Das Aufwischen schaffst du doch auch alleine, oder?« Sie huschte an Marie vorbei in ihr Zimmer.
Marie starrte sprachlos auf die nasse Spur, die Lina auf dem glänzenden Parkett hinterlassen hatte. Wie dreist war das denn? Erst wollte sie hinter ihrer Stiefschwester herstürmen und sie zur Rede stellen, aber dann zuckte sie nur mit den Schultern. Für einen weiteren Streit mit Lina war sie heute nicht in der richtigen Stimmung. Außerdem wollte sie so schnell wie möglich zurück zu ihrem Chai Latte, den Nussplätzchen und den Urlaubsfotos. Seufzend machte sich Marie auf den Weg nach unten, um den Wischmopp zu holen.
Zwei Tage später saß Marie im Lotussitz auf ihrer Yogamatte. Ihr Rücken war gerade, ihre Augen geschlossen. Sie versuchte, ihren Kopf zu leeren und eins mit dem kosmischen Bewusstsein zu werden. Allmählich kam ihr Geist zur Ruhe. Sie spürte, wie sich eine angenehme Leere in ihr ausbreitete …
KLONG! KLONG! KLONG!
Laute Hammerschläge rissen Marie aus ihrer Meditation. Seufzend öffnete sie die Augen und starrte auf die Zimmerwand, hinter der die Handwerker nun schon seit zwei Tagen arbeiteten. Leider hatte sich Herrn Grevenbroichs Hoffnung auf eine zügige Behebung des Schadens nicht bestätigt. Den Wasserhahn hatte der Klempner vorgestern zwar schnell ausgetauscht, dabei jedoch Lochfraß an einem Wasserrohr festgestellt. Nun musste das Rohr ausgetauscht werden und so lange konnte Marie ihr Bad nicht benutzen. Als wäre das nicht schon ärgerlich genug, machten die Handwerker auch noch furchtbaren Krach, der im ganzen Haus zu hören war.
Die Hammerschläge verstummten, dafür setzte das Kreischen einer Bohrmaschine ein. Marie verzog das Gesicht. Sie überlegte gerade, ob sie ihre Meditation mit Ohrstöpseln fortsetzen sollte, da klingelte es dreimal hintereinander an der Haustür. Auch das noch! Leise vor sich hin schimpfend erhob sich Marie von ihrer Yogamatte und lief nach unten. Wahrscheinlich war das schon wieder so ein nerviger Handwerker. Aber musste der gleich Sturm klingeln? Ärgerlich riss Marie die Haustür auf.
»Überraschung!«, schallte es ihr entgegen.
Marie sah in die strahlenden Gesichter von Kim und Franzi. »Was macht ihr denn hier?«, fragte sie verdutzt.
»Da staunst du, was?« Franzi kicherte gut gelaunt.
»Wir wollten dich mit einem spontanen Besuch überraschen«, fügte Kim erklärend hinzu. Sie hielt einen großen Korb hoch. »Es gibt selbst gemachte Cake-Pops. Wir stören doch nicht, oder?«
»Quatsch!« Marie machte einen Schritt zur Seite, um ihre Freundinnen hereinzulassen. »Meine Meditation kann ich bei dem Lärm sowieso vergessen.«
»Wie lange brauchen die Handwerker denn noch?«, erkundigte sich Franzi auf dem Weg nach oben.
Marie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Tessa ist auch schon völlig genervt. Sie hat diese Woche drehfrei und wollte sich eigentlich ausruhen, aber daraus wird wohl nichts.«
In ihrem Zimmer rollte Marie die Yogamatte zusammen und verteilte ein paar Kissen auf dem flauschigen, türkisfarbenen Teppich. Ihre Freundinnen ließen sich auf dem Boden nieder und Kim packte vorsichtig die Cake-Pops aus. Die Mini-Kuchen am Stiel hatten unterschiedliche Formen und Farben und sahen sehr verlockend aus.
»Möchtet ihr Yogi-Tee zum Kuchen?«, fragte Marie. »Ich hab gerade welchen gekocht.« Sie holte drei zierliche Porzellantassen aus dem Schrank und schenkte den Tee ein, der in einer Warmhaltekanne auf dem Schreibtisch stand. Schnell zündete sie noch die beiden Kerzen auf der Fensterbank an und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer auf ein großes Kissen plumpsen.
»Lasst es euch schmecken!« Kim reichte den Teller mit den Cake-Pops herum.
Marie nahm sich einen mit Puderzucker bestäubten Mini-Gugelhupf und biss hinein. »Hm, superlecker!«, nuschelte sie.
»Danke!« Kim freute sich sichtlich über das Lob. »Ich hab mir ein paar Rezepte aus dem Internet ausgedruckt und einfach losgelegt. Hat richtig Spaß gemacht!«
Während Marie an ihrem Gugelhupf knabberte, hob sich ihre Stimmung beträchtlich. Die Handwerker schienen gerade Pause zu machen, denn es hatte sich eine himmlische Stille über die Villa gelegt. »Was macht die Liebe, Mädels?«, erkundigte sich Marie gut gelaunt.
Franzi verzog das Gesicht. »Können wir nicht über etwas anderes reden?«
»Wieso?« Kim lutschte hingebungsvoll an einem Mini-Kuchen mit bunten Streuseln. »Hast du Stress mit Felipe?«
Franzi war seit einiger Zeit mit dem temperamentvollen Felipe zusammen, einem Halbmexikaner, der mit seiner Mutter Juana im Freizeitpark Sugarland bei Billershausen lebte. Da auch Franzi ziemlich aufbrausend sein konnte, krachte es in regelmäßigen Abständen heftig zwischen den beiden. Bisher hatten sie sich aber jedes Mal wieder versöhnt.
Franzi seufzte. »Irgendwie ist bei uns der Wurm drin, seit wir aus Spanien zurück sind. Felipe ist manchmal so merkwürdig wortkarg und abwesend. Als ich ihn vor einer Weile nach seiner Schulzeit in Mexiko gefragt habe, hat er total einsilbig geantwortet. Ob er immer noch sauer auf mich ist, weil ich ihm nicht vertraut habe?«
Franzi und Felipe hatten in Spanien eine heftige Krise gehabt, weil Franzi eifersüchtig auf eine alte Schulfreundin von Felipe gewesen war, die sie gemeinsam in Madrid besucht hatten. Zum Glück hatten sie sich am Ende des Urlaubs wieder vertragen.
»Unsinn!« Marie schüttelte heftig den Kopf. »Das ist doch Schnee von gestern. Vielleicht hatte er einfach einen schlechten Tag.«
»Oder er war gestresst von der Arbeit im Restaurant«, sagte Kim. Felipe half häufig im Restaurant seiner Mutter aus. Darum konnten er und Franzi sich auch nicht so oft sehen, wie sie es gerne gewollt hätten.
»Es gibt tausend Gründe für sein Verhalten.« Marie lächelte Franzi beruhigend zu. »Mach dir nicht so viele Gedanken.«
Franzi seufzte. »Das sagt sich so leicht …« Sie trank einen Schluck Yogi-Tee, bevor sie das Thema wechselte. »Wann zieht Holger denn nun endlich ins Ostviertel?«
»Am Samstag!« Marie strahlte. »Seine Mutter tritt nächste Woche ihre Stelle als Haushälterin an. Und stellt euch vor: Die Familie, bei der sie arbeiten wird, wohnt in einer großen Villa nur zwei Straßen von uns entfernt! Holger, seine Geschwister und seine Mutter ziehen in das ehemalige Dienstbotenhaus.«
»Das ist ja toll!«, rief Kim begeistert. »Dann kannst du Holger treffen, wann immer du möchtest.«
Marie nickte versonnen und versuchte das Hämmern zu ignorieren, das nebenan wieder eingesetzt hatte. Wer hätte gedacht, dass Holger und sie sich noch einmal so nahekommen würden? Räumlich gesehen zumindest. Holger wohnte wie Felipe in Billershausen. Als Marie und Holger vor langer Zeit ein Paar gewesen waren, hatte sie sehr unter der Entfernung gelitten, an der ihre Beziehung letztendlich auch gescheitert war. Jetzt waren sie nur noch gute Freunde. Oder? Manchmal war Marie sich da selbst nicht so sicher …
»Wie fühlst du dich bei dem Gedanken, dass Holger bald direkt um die Ecke wohnt?«, wollte Franzi wissen. »Das muss doch ziemlich ungewohnt sein.«
Ehe Marie antworten konnte, gab es einen lauten Knall. Steine brachen aus der Zimmerwand, Staub wirbelte auf und Putz rieselte von der Decke. Kim verschluckte sich vor Schreck an ihrem Cake-Pop und Franzi schrie auf. Marie war wie erstarrt. Was hatte das zu bedeuten? Stürzte die alte Villa etwa ein?
Ein rätselhafter Fund
Zum Glück war die Villa stabil gebaut. Sie hatte in ihrer über hundertjährigen Geschichte schon ganz andere Katastrophen überstanden. Als sich der Staub legte, stand sie noch genauso fest auf ihrem Fundament wie vorher. Doch in Maries Zimmerwand prangte ein Loch, direkt über der Fußleiste. Ein schmutziges Gesicht schaute hindurch. Der Klempnerlehrling!
»’tschuldigung«, nuschelte er. »Hab ich euch erschreckt?«
Marie gewann ihre Fassung als Erste wieder. »Mitnichten«, behauptete sie würdevoll und wischte sich den Staub aus dem Gesicht. »Wir sind Detektivinnen und lassen uns nicht so leicht erschrecken.«
Jetzt tauchte der Chef in Maries Zimmertür auf. »Tut mir leid, aber wir müssen jetzt hier weiterarbeiten. Die defekte Wasserleitung läuft leider durch dein Zimmer.«
Marie stöhnte. »Das darf doch nicht wahr sein! Haben Sie das mit meinem Vater abgesprochen?«
»Unsere Anweisung lautet, die defekte Leitung auszutauschen«, erklärte der Klempner nun ebenfalls leicht genervt. »Und genau das tun wir.«
»Komm, wir helfen dir schnell beim Aufräumen«, bot Kim an und erhob sich. Auch Franzi stand auf. Eilig räumten sie die Kissen in den Schrank und das Geschirr auf ein Tablett.
Marie rollte den flauschigen Teppich zusammen und schob ihn unter das Schlafsofa. Dann sah sie sich noch einmal in ihrem gemütlichen Zimmer um, aus dem sie nun vertrieben werden sollte.
»Keine Sorge, wir kleben alles ab«, beruhigte sie der Handwerker. »In ein paar Tagen ist der Spuk vorbei.« Er verschwand wieder ins Badezimmer.
»Hoffentlich!«, murmelte Marie. »Dann werde ich wohl so lange im Gästezimmer schlafen müssen.« Sie wollte nach dem Tablett mit dem Geschirr greifen, da stieß Franzi einen leisen Pfiff aus.
»Seht euch das an!« Sie begutachtete gerade das Loch in der Wand. »Hier sind lauter alte Tapetenschichten.«
»Ehrlich?« Marie ließ das Tablett stehen und kniete sich vor das Loch. »Tatsächlich!« Sie zog ein Stück ihrer cremefarbenen Raufasertapete zur Seite. Dahinter kamen mehrere ältere Tapetenschichten zum Vorschein.
»Das sieht ja witzig aus!« Kim zeigte auf ein Stück Tapete, das früher einmal blau gewesen sein musste. Die Farbe war stark verblichen, aber das verschlungene Muster aus verschiedenfarbigen Blümchen war noch gut zu erkennen.
Franzi kicherte. »Das Muster ist so alt, dass es fast schon wieder cool ist.« Plötzlich stutze sie. »Nanu, hier steckt was!« Franzi zerrte an der Tapete, bis sie nachgab und sich noch weiter von der Wand löste. Triumphierend zog sie ein gefaltetes Papier zwischen zwei alten Tapetenschichten hervor.
Marie runzelte die Stirn. »Was ist das?«
Franzi zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ein Liebesbrief vielleicht?« Sie kicherte nervös.
»Zeig mal her.« Marie griff nach dem Blatt, doch bevor sie es näher begutachten kommt, kam der Klempner mit seinem Lehrling herein. Schnell ließ Marie das Papier in ihrer Hosentasche verschwinden. »Wir sind schon weg«, versicherte sie überfreundlich und beeilte sich, mit dem Tee-Tablett das Zimmer zu verlassen.
Kurze Zeit später saßen die drei !!! im Wintergarten auf dem gemütlichen Lounge-Sofa und untersuchten den geheimnisvollen Fund. Marie hatte das Papierstück für alle gut sichtbar auf dem Glastisch ausgebreitet.
»Also, ein Liebesbrief ist das nicht«, stellte sie fest.
»Nein«, bestätigte Kim. »Sieht eher aus … wie eine Karte!«
»Eine Schatzkarte?«, fragte Franzi aufgeregt.
»Schwer zu sagen …« Marie fuhr nachdenklich mit dem Finger die Linien nach, die das Papier überzogen. Es waren auch verblichene Kreise und ein großes Quadrat zu erkennen.
Kim beugte sich über das Blatt. »Schade, dass ich meine Lupe nicht dabeihabe«, ärgerte sie sich. »Die Karte muss auf jeden Fall ziemlich alt sein, sonst hätte sie nicht unter einer der hinteren Tapetenschichten gesteckt.« Sie drehte die Seite um. Auf der Rückseite befanden sich handschriftliche Notizen. Kim runzelte die Stirn. »Könnt ihr das lesen?«
Marie schüttelte den Kopf. »Sieht aus wie eine Geheimschrift.«
»Eins ist jedenfalls klar.« Kim richtete sich auf. »Die Karte ist unvollständig!« Sie zeigte auf die Wörter, die am Seitenrand plötzlich abbrachen. »Jemand hat den anderen Teil der Karte abgeschnitten.«
»Aber warum?«, fragte Franzi.
»Keine Ahnung!« Kim fuhr sich ratlos durch ihre kurzen, dunklen Haare. Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Wisst ihr, was das heißt? Wir haben endlich einen neuen Fall!«
»Das Geheimnis der alten Villa«, sagte Franzi mit düsterer Stimme. »Wir werden es lösen, so wahr wir die drei !!! sind.«
»Und dafür brauchen wir jede Menge Power.« Kim streckte den rechten Arm aus.
Marie und Franzi machten es ihr nach und alle drei legten die Hände übereinander.
»Die drei !!!«, sprachen Kim, Franzi und Marie feierlich im Chor.
Kim sagte »Eins«, Marie »Zwei« und Franzi »Drei«.
Zum Schluss rissen sie gleichzeitig die Hände in die Luft und riefen: »Power!!!«
Marie war dieses Ritual mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Die drei !!! benutzten es immer, wenn sie viel Energie brauchten, zum Beispiel zu Beginn neuer Ermittlungen.
»Was macht ihr da?« Lina hatte den Wintergarten betreten und musterte die drei !!! neugierig.
»Nichts«, behauptete Marie schnell.
Aber Lina ließ sich nicht beirren. »Habt ihr einen neuen Fall? Worum geht es denn diesmal?«
»Das geht dich gar nichts an«, sagte Marie. »Lass uns ins Ruhe, wir haben zu tun.«
»Was ist das?« Lina kam neugierig näher und betrachtete äußerst interessiert die Karte auf dem Glastisch.
Marie faltete das Papierstück rasch zusammen. »Zum letzten Mal: Verzieh dich! Dies ist eine geheime Clubsitzung, auf der du nichts zu suchen hast, kapiert?«
Lina machte ein beleidigtes Gesicht. »Schrei mich nicht so an! Der Wintergarten ist für alle da. Wenn ihr geheime Sitzungen abhalten wollt, könnt ihr ja in dein Zimmer gehen.«
Marie musste sich zusammenreißen, um Lina nicht an die Gurgel zu gehen. »Nein, das können wir nicht«, zischte sie mühsam beherrscht. »In meinem Zimmer arbeiten die Handwerker. Und das ist ganz allein deine Schuld!«
»Meine Schuld?« Lina riss die Augen auf. »Was kann ich denn für den Lochfraß?« Ihre Miene war die eines Unschuldsengels. Sie schlenderte noch einmal betont langsam durch den Wintergarten, bevor sie endlich das Feld räumte.
Marie seufzte. »Manchmal frage ich mich, ob es wirklich so toll sein wird, zwei jüngere Geschwister zu haben. Eigentlich ist Lina alleine schon nervig genug …«
»Wisst ihr schon, was es wird?«, erkundigte sich Kim. »Junge oder Mädchen?«