Mathias Michalicki
Markus Schneider

Kostenrechnung in der Lean Produktion

Verschwendung ausweisen, Wertschöpfung ermitteln, Entscheidungen verbessern

Mit zahlreichen Abbildungen und Tabellen

Die Autoren:
Dr.-Ing. Mathias Michalicki
Prof. Dr. Markus Schneider

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Print-ISBN:        978-3-446-46568-8
E-Book-ISBN:   978-3-446-46592-3
ePub-ISBN:       978-3-446-46642-5

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort Dr. Mathias Michalicki

Vorwort Prof. Markus Schneider

Die Autoren

1 Einleitung

1.1 Startvorbereitungen

1.2 Dilemma zwischen klassischen Methoden und modernen Herausforderungen

1.3 Kostenrechnung für Ganzheitliche Produktionssysteme anpassen

1.4 Von der Forschung in die Praxis

2 Erweiterung von Lean Production hin zu Ganzheitlichen Produktionssystemen

2.1 Grundlagen Ganzheitlicher Produktionssysteme

2.1.1 Ganzheitliche Produktionssysteme: Ursprung und Entwicklung

2.1.2 Von Prinzipien und anschaulichen Darstellungen

2.1.3 Begriff mit hohem „Wert“

2.1.4 Verschwendung vermeiden als einer der beiden Lean-Grundpfeiler

2.1.5 Mehr Überblick mit der Wertstromperspektive

2.2 Kostenrechnung

2.2.1 Notwendiges Training: Grundbegriffe des Rechnungswesens

2.2.2 Aufgaben der Kostenrechnung

2.2.3 Ablauf der traditionellen Kostenrechnung

2.2.4 Lean Accounting und Accounting for Lean

2.3 Für wen geeignet? – Betrachteter Betriebstyp

3 Entwicklungsbedarf

3.1 Defizite bestehender Kostenrechnungssysteme in Ganzheitlichen Produktionssystemen

3.1.1 Annahmen und Prämissen traditioneller Kostenrechnungssysteme

3.1.2 Allgemeine Herausforderungen und Kritik an der traditionellen Kostenrechnung

3.1.3 Besondere Defizite bestehender Kostenrechnungssysteme in Ganzheitlichen Produktionssystemen

3.2 Anforderungen an ein Kostenrechnungssystem für Ganzheitliche Produktionssysteme

3.2.1 Wertstromebene berücksichtigen

3.2.2 Produktionssystem ganzheitlich betrachten

3.2.3 Kosten festlegen in Wertschöpfung und Nichtwertschöpfung

3.2.4 Kapitalflussorientierung

3.2.5 Einzelkostenrechnung zum Vermeiden von Kostenumlagen

3.2.6 Trennung in zweckneutrale Grundrechnungen und spezifische Auswertungsrechnungen

3.2.7 Kapazitätsbetrachtungen, um die Kostenentstehung zu berücksichtigen

3.3 Stand der Forschung und Kritik

3.3.1 Traditionelle Konzepte der Kostenrechnung

3.3.2 Prozessorientierte Konzepte der Kostenrechnung

3.3.3 Ansätze zur Wirtschaftlichkeitsbewertung von Produktionssystemen

3.3.4 Ansätze zur Kostenrechnung und quantitativen ­Bewertung von Maßnahmen in Ganzheitlichen Produktionssystemen

3.3.5 Zusammenfassung: Wie muss eine passende ­Kostenrechnung für Lean Unternehmen aussehen?

4 Handlungsempfehlungen: System der Kostenrechnung und Kostenanalyse für Ganzheitliche Produktionssysteme

4.1 Grundlegende Prinzipien

4.2 Kostenrechnung – allgemeiner Aufbau und Ablauf

4.3 Grunddaten

4.3.1 Bezugsobjektehierarchie

4.3.2 Kostenarten und Kostenverhaltenskategorien

4.3.3 Wertschöpfungskategorien

4.4 Grundrechnung der Kosten und Erlöse

4.5 Grundrechnung der Kapazitäten

4.5.1 Begriff Kapazität

4.5.2 Wertschöpfungsermittlung des Ressourceneinsatzes

4.5.3 Grundrechnung der Kapazitäten – Aufbau

4.6 Auswertungsrechnungen

4.6.1 Periodenbezogene Erfolgsrechnungen

4.6.2 Entscheidungsrechnungen

4.7 Vorgehensmodell zur praxisnahen Einführung

5 Anwendung und Evaluierung in der Praxis

5.1 Fallbeispiel 1: Planspiel in einer Muster- und Lernfabrik

5.1.1 Charakterisierung des Planspiels

5.1.2 Aufbau und Struktur

5.1.3 Bewertung mit klassischer Vollkostenrechnung

5.1.4 Bewertung mit der Kostenrechnung für Ganzheitliche Produktionssysteme

5.1.5 Fazit und Einsatzmöglichkeiten in der Aus- und Weiterbildung

5.2 Fallbeispiel 2: Praxiseinsatz im Unternehmen

5.2.1 Umgebung und Ausgangssituation

5.2.2 Grunddaten und Grundrechnung der Kosten

5.2.3 Grundrechnung der Kapazitäten

5.2.4 Beispiele für Auswertungsrechnungen

5.2.5 Bewertung, Herausforderungen und Fazit

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

Vorwort Dr. Mathias Michalicki

„Wenn Sie gegen die klassische Kostenrechnung und damit auf das Flaggschiff der deutschen Betriebswirtschaft schießen wollen, dann haben Sie hoffentlich genug starke Munition dabei!“, sagte 2014 ein BWL-Professor zu meinem Forschungsthema „Controlling for Lean“. Eine Herausforderung, die mich damals wie heute motiviert.

Vom Thema Lean bin ich hoch ansteckend infiziert. Mit größter Freude arbeite ich seit Jahren mit Unternehmen an deren nachhaltigem Kulturwandel in Richtung Lean. Entscheidend ist es letztlich Menschen aller Ebenen und Bereiche mitzunehmen, um einen wirklichen kontinuierlichen Verbesserungsprozess anzustoßen. Jedoch lassen sich „Zahlenmenschen“ (zu Recht) nur von Zahlen überzeugen. Und hier kommen wir zum Problem:

Den Konflikt zwischen klassischer Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung (HKs) und dem fluss- und wertstromorientierten Optimierungsbemühungen der Produktion erlebe ich in meiner Arbeit als Prozessplaner und Trainer nahezu täglich. Was die einen optimieren wollen (Verschwendung reduzieren), finden die anderen nicht in ihrem Zahlenwerk wieder. So entstehen Reibungsverluste, die bis zum völligen Erliegen der Lean Transformation im Unternehmen führen können.

Mit dem hier vorliegenden Fachbuch ist es nun soweit: Endlich können sich der Lean Manager und der Controller wieder besser verstehen, in dem das Zahlenwerk zum Lean Produktionssystem passt. Verschwendung muss treffsicher erkannt und wie in klassischer Kostenrechnung verdeckt bzw. sogar gefördert werden.

Dieses Buch ist der Startschuss für völlig neue berufliche Herausforderungen. Die Industrie benötigt nicht nur das Wissen um ein modernes Kostenrechnungssystem für Lean Unternehmen, sondern auch eine Software und ein Entscheidungsassistenzsystem, um die Theorie in die Praxis zu überführen. Mit größtem Eifer arbeite ich derzeit mit meinen Kollegen Stefan Blöchl und Johannes Fürst an der Realisierung, um noch 2020 unsere Kunden mit einem Informationssystem Für Operative EXzellenz (IFOX) auszustatten. Eine spannende Lernreise steht uns damit bevor!

Mein Dank gilt besonders dem Co-Autor Prof. Dr. Markus Schneider. Ohne dich wäre das Buch nicht entstanden. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit dir und deinen erfolgreichen Gründungen, dem Technologiezentrum Produktions- und Logistiksysteme (TZ PULS) in Dingolfing sowie der PuLL Beratung GmbH.

Besten Dank auch an Dag Heidecker für die sprachliche Überarbeitung des Manuskriptes.

Dr. Mathias Michalicki, März 2020

Widmung

Ich widme dieses Buch meiner Frau Claudia. Deine Unterstützung in den letzten Jahren durch alle Höhen und Tiefen war für den Erfolg entscheidend. Ich freue mich nicht nur auf die beruflichen Schritte, sondern vor allem auf die vielen kommenden Erlebnisse mit dir und unserem Sohn Hannes.

Vorwort Prof. Markus Schneider

Meine Mission ist, Unternehmen dabei zu helfen weiterhin in einem Hochlohnland wie Deutschland wettbewerbsfähig zu produzieren. Ein wichtiges und in der Praxis eingehend erprobtes und akzeptiertes Hilfsmittel stellt hierzu Lean Production dar. Trotz aller Erfahrungen mit dieser Produktionsphilosophie habe ich immer wieder beobachtet und in eigenen Projekten erlebt, dass sehr viel Widerstand gegen die Einführung von Lean aus den Controllingabteilungen kommt. Die Controller und Kostenrechner können augenscheinlich die Wirkzusammenhänge mit ihrer Denkweise nicht gänzlich nachvollziehen und mit ihren Methoden nicht kostenrechnerisch bewerten. Spätestens wenn dann die klassische Kostenrechnung eine Erhöhung der Herstellkosten ausgeweist, bekommt der eine oder andere Entscheider „kalte Füße“ und schreckt vor einer Umsetzung der Lean Production zurück.

Natürlich hat mich interessiert, warum das so ist. Bei meinen Überlegungen und Recherchen bin ich bereits 2013 auf den Gedanken gekommen, die zeitliche Entstehungshistorie unserer heutigen Kostenrechnungsinstrumente zu betrachten. Die Erkenntnis dabei war, dass der Kern der heutigen Kostenrechnung, wie Grenzplankostenrechnung und Einzelkostenrechnung, in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden und somit logischerweise auf die Bewertung und Steuerung unseres über 100 Jahre alten Massenproduktionssystems ausgerichtet sind. Das Lean Production System ist viel später entstanden und wird bei uns erst seit den 80er und 90er Jahren eingesetzt. Die genannten Controlling- und Kostenrechnungsinstrumente können die in einem Lean Production System wichtigen Größen, wie bspw. Bestand und Durchlaufzeit nicht messen und schon gar nicht bewerten. Man muss objektiv betrachtet wohl zu dem Schluss kommen, dass im Controllingumfeld seit den 60er Jahren nichts substanziell Neues entwickelt wurde.

Diese Erkenntnis habe ich seit dieser Zeit auch in meinen Vorträgen, Büchern und Vorlesungen kundgetan, aber mir wurde immer wieder, durchaus auch verständlicherweise entgegnet, dass man ja über keine besseren Tools verfüge und die alten Instrumente daher weiterverwenden würde. Ich konnte den interessierten Controllern leider über Jahre keine besseren Methoden und Tools für Lean-Unternehmen zur Verfügung stellen.

Cash Flow Design (CFD) ist ein völlig neuartiger Ansatz für ein Controlling for Lean, der in diesem Buch beschrieben wird. Dieser Ansatz wurde maßgeblich von H. Dr. Mathias Michalicki im Rahmen seiner Promotion am Technologiezentrum PULS in Kooperation mit der Firma ebm papst entwickelt.

CFD richtet den Kapitalfluss am Wertstrom aus und ist in unseren ausgereiften Methodenbaukasten „CoMIC“ zur ganzheitlichen Optimierung von Produktions- und Logistikprozessen integriert. CoMIC setzt sich aus folgenden Bausteinen zusammen:

Co munication Flow Design (CoFD)

M aterial Flow Design (MFD)

I nformation Flow Design (IFD)

C apital Flow Design (CFD)

CoFD fokussiert das für einen Projekterfolg enorm wichtige Thema der Kommunikation. Es wird strukturiert eine Kommunikation zu und zwischen verschiedenen Ebenen des Kunden aufgebaut. Von zentraler Bedeutung ist die gemeinsame Vision, die Führungsmethode KATA und verschiedene Boards als Kommunikationswerkzeuge. Aktuell haben wir das Konzept des „Obeya“ („Großer Raum“) aus dem Toyota Produktentstehungsprozesses auf die Produktionsplanung und -steuerung übertragen und somit ein Referenzmodell für eine ganzheitliche „Kommunikationszentrale“ entwickelt. Besondere Hoffnungen setze ich hier in meinen Forschungsprojekten auf das Thema Künstliche Intelligenz, um bspw. die PPS-Systematik grundsätzlich weiterzuentwickeln.

MFD umfasst eine Top down Betrachtung des gesamten Kundenstandortes mit Hilfe der Wertstrommethode und eines softwarebasierten Materialflussplanungssystems, das wir Lean-kompatibel einsetzbar gemacht haben. Ergänzt wird dies durch eine Bottom up-Methodik, die den einzelnen Arbeitsplatz optimiert. Den besonderen Mehrwert für den Kunden bildet hier unsere ausgefeilte über viele Jahre methodisch entwickelte Vorgehensweise. Diese sind in meinem Buch „Lean Factory Design“ (Schneider 2016) beschrieben. In der Materialflussplanung bewegt mich aktuell besonders der Einsatz von kollaborativen Robotern und deckengestützten FTS, die ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten in Prozessen zulassen.

IFD fokussiert den immer wichtiger werdenden Bereich der Informationsflussgestaltung und stellt die Methoden und Werkzeuge zur Verfügung, um den Material- und Informationsfluss in einem Unternehmen zu synchronisieren. Dieser Bereich wird in meinem Buch „Lean und Industrie 4.0“ (Schneider 2019) beschrieben.

CFD rundet unseren Methodenbaukasten ab und schließt die wichtige Lücke, sodass wir Lean Unternehmen und den interessierten Controllern eine Lean-kompatible Kostenrechnungsmethodik an die Hand geben können.

Das Alleinstellungsmerkmal von CoMIC ist, dass alle vier Leistungsbereiche über EINE Methode, das Wertstromdesign, aufeinander ausgerichtet werden. Dies bietet enorme Vorteile bezüglich der Konsistenz der mit diesem Methodenbaukasten erarbeiteten Strategien und Maßnahmen – es ist alles aus einem Guss.

Ich würde mich sehr freuen, wenn mein ganzheitliches Optimierungskonzept Lean Factory Design, in das der Methodenbaukasten CoMIC u. a. integriert ist, weite Verbreitung finden und von vielen Unternehmen genutzt werden würde, um noch besser zu produzieren und weiter zu wachsen. Ich möchte allen Unternehmern in unserem Land für ihren Mut und ihr Engagement danken. Mit Lean Factory Design möchte ich einen Beitrag zu sicheren Arbeitsplätzen leisten.

Vielen Dank Mathias für die umfangreichen Ausarbeitungen und die vielen spannenden Diskussionen rund um die Zusammenhänge von Lean Denkweisen und der Kosten- und Investitionsrechnung. Mein weiterer Dank gilt H. Dag Heidecker für die Unterstützung bei der redaktionellen Überarbeitung der Texte.

Prof. Dr. Markus Schneider, März 2020

Widmung

Ich widme dieses Buch allen Unternehmern, die mit Ihrem Mut und Engagement Werte und Arbeitsplätze schaffen.

Die Autoren

Dr.-Ing. Mathias Michalicki

Derzeitige Tätigkeiten

Gründer von IFOX Systems (Information For Operational eXcellence), einem Software as a Service Anbieter von Controlling- und Informationssoftware für Lean Unternehmen

Managing Consultant in den Gebieten Controlling und Accounting for Lean sowie Produktions-, Logistik- und Materialflussoptimierung

Trainer und Coach für Lean Production, Lean Logistics und Lean Leadership.

Spezialgebiete

       Controlling und Kostenrechnung in Lean Unternehmen

       Lean Management

       Shopfloormanagement und Kennzahlen

       Materialfluss-, Produktions- und Logistikoptimierung

       Prozessoptimierung

Berufserfahrung

       Ausbildung von über 100 Lean Experten in Theorie und Praxis

       Umfangreiche Beratungserfahrung in den Bereichen Lean Production, Lean Logistics, Controlling for Lean und Fabrikplanung bei mehr als 25 mittelständischen und großen Unternehmen

       Mehr als 10 wissenschaftliche Veröffentlichungen und Buchbeiträge in deutscher und englischer Sprache

       Tätigkeit als Lehrbeauftragter im Modul Logistik und Fabrikplanung an der Hochschule Landshut

       Externe Promotion zum Dr.-Ing. zum Thema Kostenrechnung in Ganzheitlichen Produktionssystemen an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg

       Tätigkeit im Qualitäts- und Anlaufmanagement eines Automobilzulieferers im internationalen Umfeld

       Bachelor und Master of Engineering (Wirtschaftsingenieurwesen) mit Schwerpunkt Produktion und Logistik

Widmung

Ich widme dieses Buch allen Unternehmern, die mit Ihrem Mut und Engagement Werte und Arbeitsplätze schaffen.

Prof. Dr. Markus Schneider

Derzeitige Tätigkeit

       Professur für Logistik, Material- und Fertigungswirtschaft an der Hochschule Landshut – www.haw-landshut.de

       Leiter Technologiezentrum PULS (Produktions- und Logistiksysteme) – www.tz-puls.de

       Leiter der Lern- und Musterfabrik „Intelligente Produktionslogistik“ – www.tz-puls.de

       Geschäftsführender Gesellschafter PuLL Beratung GmbH – www.pull-beratung.de

       Prokurist und Gesellschafter der Technologiezentrum Dingolfing GmbH (An-Institut der Hochschule Landshut) – www.tzding.de

       Leiter KIP (Kompetenznetzwerk Intelligente Produktionslogistik) – www.tz-puls.de

       Spezialgebiete

       Lean Management

       Intelligente Produktionslogistik

       Materialfluss-, Produktions- und Logistikoptimierung

       Prozessoptimierung

       Fabrikplanung und Lean Factory Design

       Industrie 4.0, Digitale Produktion und Digitale Fabrik

Berufserfahrung

       Umfangreiche Beratungserfahrung in zahlreichen Unternehmen und verschiedenen Branchen und Schulung von über 3500 Teilnehmern rund um Lean in Produktion und Logistik, Aufbau und Einführung von Produktionssystemen und Fabrik- und Materialflussplanung (siehe www.pullberatung.de)

       Aufbau und Leitung des TZ PULS mit 2700 m2 und 6 Laboren

       Leitung mehrerer Forschungsprojekte (ca. 4,5 Mio.€ Drittmittel) zu den Themen Lean (Aufbau eines Referenzproduktionssystems für den Mittelstand/ Controlling for Lean, etc. ) und Industrie 4.0 (Einsatz eines Real Time Location Systems zur Digitalisierung von Bewegungsdaten und ortungsbasierten Produktionssteuerung) als Professor für Logistik, Fertigungs- und Materialwirtschaft

       Autor mehrerer Fachbücher (Logistikplanung in der Automobilindustrie 2008, Prozessmanagement & Ressourceneffizienz 2012, Lean Factory Design 2016, Lean und Industrie 4.0 2019, Industrie 4.0 (mit Prof. Arlt) 2019, zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge auf Konferenzen

       Aufbau und Leitung (bis 2016) des erfolgreichsten berufsbegleitenden Masters der Hochschule Landshut „Prozessmanagement & Ressourceneffizienz“

       Berufsbegleitende Promotion zum Thema "Logistikplanung in der Automobilindustrie". Entwicklung einer Planungsmethodik für die Logistik im Rahmen der Digitalen Fabrik und Konzeptionierung als Software. Die Arbeit bildet heute die Basis für die Logistiklösung im Rahmen der "Siemens PLM Software"

       Mehrjährige Tätigkeit als Logistikplaner für die Fahrzeugmodellreihe A3 bei der AUDI AG an der Schnittstelle zwischen Technischer Entwicklung, Montageplanung und Logistikplanung. Logistikvertreter im SE-Team

       Ausbildung zum Speditionskaufmann

1 Einleitung

Verantwortliche und Mitarbeiter im produktionstechnischen Umfeld begegnen auf ihrem beruflichen Weg wiederkehrend zwei Begriffen: der Massenproduktion nach Frederick Taylor und dessen Konzepten sowie dem Toyota-Produktionssystem. Die Empfehlungen von Taylor sind deutlich älter und beziehen sich in ihren Grundsätzen auf die Massenproduktion von Waren mit geteilten Arbeitsabläufen in Verkäufermärkten. Das Toyota-Produktionssystem zielt auf modernere Anforderungen. Ganzheitliche Produktionssysteme und Lean Production, Orientierung an den Bedürfnissen einer Käufermarktes sowie die Vermeidung von Verschwendung sollen hier bereits als erste Begriffe „zum Aufwärmen“ genannt werden. Das hier vorliegende Fachbuch verfolgt nicht das Ziel, die beiden genannten Verfahren erneut zu beschreiben – das haben bereits zahlreiche Experten in den letzten Jahrzehnten hervorragend gemacht. Vielmehr geht es um die bei beiden Verfahren zum Einsatz kommenden Kostenrechnungssysteme. Diese sind für das Controlling und Überprüfen der Ergebnisse für Unternehmen unabdingbar.

Bereits zum Taylorismus kamen auf die Produktion von Massenwaren zugeschnittene Kostenrechnungsverfahren zum Einsatz. Das wäre nun eigentlich auch beim Toyota-Produktionssystem zu erwarten, welches zahlreiche Unternehmensverantwortliche heute als das geeignetste Verfahren für die modernen Herausforderungen ansehen. Problematisch wird an dieser Stelle, dass die hierbei verwendeten Kostenrechnungsverfahren immer noch auf der Denkweise des Taylorismus aufbauen. Das ist einerseits wenig zeitgemäß und andererseits auch gefährlich, da beide Ansätze grundverschieden sind. Diesen Irrweg sehen zahlreiche Experten als einen der Stolpersteine, warum viele Einführungsversuche von Lean-Production-Prinzipien zum Scheitern verurteilt sind. Demzufolge gilt es, sowohl Begriffe als auch Vorgänge klar voneinander zu trennen bzw. eindeutig zu definieren.

Ab diesem Scheideweg kommt das hier vorliegende Fachbuch ins Spiel. Es klärt eindeutig die zur Anwendung kommenden Begriffe, zeigt Defizite vorhandener Kostenrechnungsverfahren auf und gibt wegweisende Vorschläge zur Abhilfe und Verbesserung. Leserinnen und Leser erhalten in logischer Abfolge und mit immer wieder unterhaltsamen Einlagen einen Reiseführer an die Hand, mit dem sie den teils steinigen und von zahlreichen Faktoren beeinflussten Pfad hin zu einer Lean Production mit einem geeigneten Kostenrechnungsverfahren erfolgreich beschreiten. Wer diesen Marathon meistert, dem winken am Ziel eine wandlungsfähige Fabrik und agile Produktionsabläufe für mehr Effizienz in den Abläufen, weniger Verschwendung in allen Bereichen und eine wachsende Profitabilität selbst im dynamischen globalen Wettbewerb.

FÜR SCHNELL-LESER – die Kapitel beschreiben folgende Themen:

1.      Motivation der Arbeit: Warum gibt es dieses Buch?

2.      Notwendiges Training: Grundlagen und Erläuterung der verwendeten Begriffe

3.      Wieso scheitern viele Projekte? Defizite vorhandener sowie Anforderungen an neue Kostenrechnungssysteme

4.      Neues schaffen: Beschreibung der Lösung

5.      In die Tat umsetzen: Anwendung bei einem Pilotprojekt in der betrieblichen Praxis

6.      Ziellinie erreicht? Zusammenfassung und Ausblick

1.1 Startvorbereitungen

Auch andere Wegbegleiter, aktuell noch oft aus dem englischsprachigen Raum, stießen bereits auf diese Problematik. BYRNE erkannte vor wenigen Jahren: „Standardkosten-Rechnungssysteme sind nicht kompatibel zu Lean. Sie sind gegensätzlich zu Lean, weil sie genau die Verhaltensweisen fördern und belohnen, welche man eliminieren möchte. In Wirklichkeit sehe ich die Standardkostenrechnung als das „Anti-Lean“ an. (übersetzt nach Byrne 2013, S. 116)

Das hilft uns bei der Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Zunächst folgt eine kurze Beschreibung, wie sich die Welt um uns herum einem permanenten Wandel unterzieht. Das hat Auswirkungen im privaten Umfeld ebenso wie im produzierenden Gewerbe. Beide „Welten“ hängen in hohem Maße voneinander ab. Das zwingt Produktionsunternehmen, wiederkehrend ihre Prozesse anzupassen, um im globalen Wettbewerb nach wie vor erfolgreich zu sein.

Aktuell ändert sich das Markt- und Produktionsumfeld für Industriebetriebe besonders dynamisch. Verantwortliche sind in immer kürzeren Zeitabständen gezwungen, ihr unternehmerisches Handeln den veränderten Rahmenbedingungen kontinuierlich anzupassen. Die wesentlichen Herausforderungen liegen dabei u. a. in

       dem steigenden Wettbewerbsdruck infolge der Globalisierung

       einem starken Verdrängungswettbewerb mit sinkenden Wechselbarrieren für die Kunden

       einem hohen Kostendruck durch Überangebote

       einem raschen sozialen und technologischen Wandel

       einer rasant steigenden Variantenvielfalt durch einen Individualisierungstrend

       kürzeren Produktlebenszyklen und

       erheblichen Nachfrageschwankungen (Spath 2003, S. 37; Bergmann, Crespo 2009, S. 5; Gerberich et al. 2006, S. 9 – 10).

Vorrangiges Ziel eines Produktionsunternehmens ist ein effizienter und damit wirtschaftlicher Betrieb. Die genannten Punkte verschärfen zunehmend die klassischen Bedingungen, um diese Ziele zu erreichen (s. Bild 1.1).

Bild 1.1 Zielbeziehungen im Produktionsbetrieb (Pfeffer 2014, S. 5)

Die Wettbewerbssituation verlangt sowohl kurze Durchlaufzeiten als auch eine hohe Termintreue. Zunehmende Varianz und rascher Wandel sowie ein gesteigertes Bewusstsein für die Bedeutung von Kapitalfluss und Liquidität als Folge der Wirtschaftskrise 2008/2009 erfordern niedrige Umlaufbestände. Eine hohe Auslastung bei zunehmend dynamisch wechselnden Märkten lässt sich dabei nur durch flexible Organisationsstrukturen erreichen.

Das auf Frederick W. Taylor zurückgehende tayloristische Massenproduktionskonzept mit seinen vorwiegend intern ausgerichteten Managementansätzen wird diesen beschriebenen Entwicklungen nicht mehr gerecht. „Die Lösung für die aktuellen Herausforderungen kann aufgrund völlig veränderter Rahmenbedingungen nicht innerhalb der tayloristischen Konzepte liegen.“ (Spath 2003, S. 37). Im Anbietermarkt Taylors reichte ein auf betriebsinterne Effizienzsteigerung ausgerichtetes Produktionssystem aus (Betriebsziele). Die heutigen diversifizierten Kunden- und Marktbedürfnisse verlangen hingegen eine deutlich stärkere Ausrichtung nach außen (Marktziele). Das bedeutet den Wandel von einer intern ausgerichteten und angebotsorientierten Massenfertigung hin zu einer extern ausgerichteten und nachfrageorientierten Fertigung in kleinen Losen bei hoher Varianz.

Aktuelle Herausforderungen des Marktes lassen sich nur mit flexiblen wandlungsfähigen Unternehmensstrukturen begegnen.

Um den Wandel mitzugestalten und die Ziele eines Produktionsbetriebs angesichts der genannten Herausforderungen zu erreichen, führten zahlreiche Unternehmen seit den 1990er Jahren Ganzheitliche Produktionssysteme1 nach dem Vorbild Toyotas ein. Ganzheitliche Produktionssysteme umfassen Prinzipien, Methoden und Werkzeuge, um nicht wertschöpfende Kosten zu eliminieren oder zumindest entscheidend zu verringern. Sie stellen den anerkannten Stand der Wissenschaft und Praxis für die effiziente Gestaltung einer Produktion im beschriebenen Marktumfeld dar.

Damit Optimierungen nicht nur auf lokaler Ebene stattfinden, ist die Entwicklung eines aufeinander abgestimmten Gesamtsystems (Lean Enterprise) empfehlenswert.

Ganzheitliche Produktionssysteme sind weit verbreitet und allgemein anerkannt. Nichtsdestotrotz liegen die Ergebnisse einer Einführung in der Praxis häufig bezüglich Nachhaltigkeit und Höhe hinter den Erwartungen des Managements zurück. Oftmals bleiben durchgreifende Erfolge aus oder die Implementierung verläuft eher schleppend. Experten sehen eine Ursache darin, dass Lean nicht als umfassendes Managementsystem erkannt und umgesetzt wird. Um zu vermeiden, dass Optimierungen lediglich auf lokaler Ebene stattfinden, ist die Entwicklung eines aufeinander abgestimmten Gesamtsystems (Lean Enterprise) zu empfehlen (Dombrowski et al. 2015, S. 300). Die Beschränkung auf die Bereiche Produktion und Logistik reicht dabei (leider) nicht aus. Der entscheidende Wurf für tiefgreifende Verbesserungen bleibt hierbei meist aus, da ein Unternehmen mit allen direkten und indirekten Funktionen als System agiert. Für einen nachhaltigen und durchgreifenden Erfolg Ganzheitlicher Produktionssysteme ist daher auf mehreren Gebieten ein geeignetes Umfeld zu schaffen. Bild 1.2 zeigt die Elemente für eine erfolgreiche Lean-Transformation und deren Beziehungen (in Anlehnung an Grasso 2006, S. 10; Gerberich et al. 2006, S. 10; Grasso et al. 2015, S. 14).

Bild 1.2 Elemente und deren wechselseitige Beziehungen für eine erfolgreiche Lean-Transformation

Jede der aufgeführten Dimensionen in Bild 1.2 beeinflusst alle übrigen und wird ebenso von diesen beeinflusst. Zu folgenden Elementen existieren in der Forschung und Praxis bereits relevante Untersuchungen und Weiterentwicklungen:

       Unternehmenskultur (z. B. Kaizen, Toyota KATA (Rother 2013))

       Organisation (z. B. Managementprinzipien, Wertstromorientierung (Rother et al. 2004; Schneider 2016)

       Strategie und Führungssystem (z. B. Hoshin Kanri (Kudernatsch 2013)) sowie

       kundenorientierte Gestaltung von Technologien, Prozessen und Produkten (z. B. Target Costing (Weber, Schäffer 2011; Cunningham et al. 2003)).

Controlling und Kostenrechnung für Ganzheitliche Produktionssysteme hingegen stellen seit dem Aufkommen der Lean-Bewegung ein weitgehend unbeachtetes Feld dar.

Die Kostenrechnung ist eine wesentliche betriebswirtschaftliche Grundlage und muss sowohl den Anforderungen als auch der Philosophie des Produktionssystems entsprechen.

Das Controlling besitzt als Kommunikationsmittel und Steuerungsinstrument eine hohe Bedeutung. Demzufolge ist dringend zu empfehlen, ein sorgfältig gestaltetes System zu erstellen, das die Lean-Strategie unterstützt und nicht etwa ein Hindernis darstellt. Die Kostenrechnung gilt als wesentliche Grundlage betriebswirtschaftlichen Denkens und Handelns. Sie muss sowohl den Anforderungen als auch der Philosophie des Produktionssystems entsprechen, damit sie sich als verhaltenssteuerndes und zielführendes Instrument einsetzen lässt. Das Kostenrechnungssystem kann die Unternehmenskultur ganz entscheidend beeinflussen. Daher ist eine Anpassung sowohl an die Unternehmensstrategie als auch an das Produktionssystem ganz besonders wichtig. Infolgedessen macht es Sinn, die Kostenrechnung als ein dem Produktionssystem untergeordnetes und unterstützendes System zu betrachten. Insbesondere im japanischen Management, der Quelle der Lean Production, wird das Controlling als interner Dienstleister der Produktion und nicht als dessen „Lehrmeister“ gesehen (Hutchinson, Liao 2009, S. 33; Ahlstroem, Karlsson 1996, S. 54).

Die Kostenrechnung beeinflusst den langfristigen und durchgreifenden Erfolg Ganzheitlicher Produktionssysteme. Verantwortliche sind also bestens beraten, ein entsprechend geeignetes System der Kostenrechnung und Kostenanalyse für Steuerungs-, Planungs- und Kontrollzwecke zu entwickeln (vgl. Fullerton et al. 2013, S. 67). Die hier vorliegende Publikation nimmt bewusst eine ingenieurwissenschaftliche Perspektive ein. Ziel ist, die deutlichen Veränderungen auf dem Gebiet der Produktionssysteme in die Unterstützungsfunktion des Controllings zu übertragen und so ein effektives Umdenken zu erzielen.

Das japanische Management sieht das Controlling als internen Dienstleister der Produktion – und nicht als dessen „Lehrmeister“.

1.2 Dilemma zwischen klassischen Methoden und modernen Herausforderungen

Zum ursprünglichen Kern des Controllings in Unternehmen gehört die „Rationalitätssicherung“ der Führung. Rationalitätssicherung bedeutet in diesem Zusammenhang, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Realisierung der Führungshandlungen den antizipierten Zweck-Mittel-Beziehungen entspricht (Konzeption nach Weber, Schäffer 2011, S. 26). Auch Manager sind nur Menschen: Sie verfolgen mit individuell begrenzten kognitiven Fähigkeiten eigenständige Ziele.

Rationalität wird oft als Effizienz von Handlungen (Zweckrationalität) gesehen und hängt damit unter anderem direkt vom Stand des Wissens ab (Weber, Schäffer 2011, S. 45 – 46). Diese Controllingkonzeption nach Weber verdeutlicht den Bedarf, klassische Controllinginstrumente zu überprüfen und anzupassen. Das gilt in besonderem Maße auch für die Kostenrechnung, die in Ganzheitlichen Produktionssystemen zum Einsatz kommen soll. Haben Verantwortliche entschieden, Lean-Methoden einzuführen, gilt es die Rationalität von Handlungen anders zu betrachten. Um die Rationalität der Führung sicherzustellen, müssen die verwendeten Instrumente angepasst werden. Nur so kann das Controlling den Unternehmenswandel aktiv mitgestalten und die gemeinsame Ausrichtung der Organisation bezüglich veränderter Ziele gewährleisten (vgl. Biel 1995, S. 73).

Zahlreiche Betriebe sehen die klassische Kostenrechnung als „heilige Kuh“, die lieber unangetastet bleibt.

Wie so oft weicht die Praxis hier von der Theorie deutlich ab: Trotz erheblicher Veränderungen durch die Einführung Ganzheitlicher Produktionssysteme kommen die klassischen Kostenrechnungsinstrumente2 weitgehend unverändert zum Einsatz und gefährdet so die Rationalitätssicherung der Führung (Weber, Schäffer 2016, S. 165 – 166; Rao, Bargerstock 2011, S. 49). Konzeptionell hat sich die Kostenrechnung nur begrenzt gewandelt. Die Basisstruktur mit den entsprechenden zugrundeliegenden Annahmen basiert auf ihrer rund 100 Jahre alten Entwicklung zur Unterstützung tayloristischer Massenproduktionskonzepte in Verkäufermärkten (vgl. Schneider 2016, S. 54; Darlington 2016, S. 3).

Goldratt bezeichnet die klassische Kostenrechnung als „heilige Kuh“ innerhalb zahlreicher Betriebe, die in einer veränderten Unternehmensrealität oft zu wenig hinterfragt wird (Goldratt, Cox 2013, S. 6).

Eine große Anzahl an Autoren beschreibt die klassische Kostenrechnung als teilweise völlig ungeeignet für den Einsatz in Ganzheitlichen Produktionssystemen. Da elementare Anpassungen bei der Kostenrechnung fehlen, bleiben die entscheidenden Erfolge durch Fehlsteuerungen oftmals aus. Eine detaillierte Analyse von Defiziten klassischer Kostenrechnung in Ganzheitlichen Produktionssystemen erfolgt in Abschnitt 3.1.

Sogar Ford und General Motors stuften erste Lean-Einführungen aufgrund unangepasster Kostenrechnungssysteme als Fehltritt ein.

Der bereits zu Beginn dieses Buches zitierte Byrne beschreibt die fehlende Anpassung des Kostenrechnungs- und Controllingsystems als einen der größten Fehler bei der Einführung von Lean (Byrne 2013, S. 115 – 116). Finden klassische, auf den Thesen Taylors beruhende Kostenrechnungssysteme weiterhin Verwendung, führt dies in vielen Fällen in der Praxis zum vollständigen Versagen der Initiative und zur Abkehr von den Prinzipien schlanker Produktion (vgl. Gracanin et al. 2014, S. 1226; Sobczyk, Koch 2008, S. 151; DeLuzio 2006, S. 89). Selbst die Unternehmen Ford und General Motors stuften erste Lean-Einführungen aufgrund unangepasster Kostenrechnungssysteme als Fehltritt ein (Schunter, Zirkler 2007, S. 89 – 90).

Studien belegen, dass zahlreiche Betriebe bei der Einführung von Lean die Notwendigkeit zur Anpassung der internen Kostenrechnungssysteme erkennen (vgl. Myrelid, Olhager 2015, S. 403; Fullerton et al. 2013, S. 66). Dabei werden die Konflikte zwischen den Aussagen der Kostenrechnung und den Prinzipien Ganzheitlicher Produktionssysteme häufig bereits in frühen Implementierungsphasen offensichtlich. Bild 1.3 verdeutlicht anhand zahlreicher Beispiele, welche Konflikte die Standardkostenrechnung mit den Zielen Ganzheitlicher Produktionssysteme auslösen kann.

Bild 1.3 Zielkonflikte zwischen Standardkostenrechnung (grau hinterlegt) und Ganzheitlichen Produktionssystemen (blau hinterlegt) (in Anlehnung an Smith 2000, S. 25)

Zwei typische Szenarien aus der Praxis verdeutlichen exemplarisch die in Bild 1.3 dargestellten Zielkonflikte (Smith 2000, S. 23; Schunter, Zirkler 2007, S. 27 – 28):

       Große Lose vs. kleine Lose: Klassische Kostenrechnungsmodelle weisen niedrigste Stückkosten bei maximal produktiver Auslastung aller Ressourcen aus. Die Folgen sind unter anderem große Produktionslose, die zu Beständen an sowohl fertigen als auch unfertigen Erzeugnissen führen und die Durchlaufzeiten erhöhen. Dies steht nicht im Einklang mit der Philosophie Ganzheitlicher Produktionssysteme, die einen kontinuierlichen Materialfluss und kurze Durchlaufzeiten anstrebt.

       Make-to-stock vs. Make-to-order: Die klassische Kostenrechnung motiviert für einen Bestandsaufbau, da unverkauften Erzeugnissen ein Teil der Perioden-Fixkosten zugerechnet wird (zur detaillierten Erläuterung s. Abschnitt 3.1.3). Übertragen auf die grundlegenden Fertigungsprinzipien wird so eine prognoseorientierte Produktion auf Lager (make-to-stock) bei voller Auslastung gefördert, um Stückkosten zu minimieren. Im Gegensatz dazu betrachtet das Lean Management Bestände als Verschwendung, da sie die Flexibilität für marktseitige Veränderungen reduzieren, Kapital binden und Durchlaufzeiten erhöhen. Anzustreben ist daher tendenziell eine nachfragebasierte Auftragsfertigung (make-to-order).

Bereits in der Theorie sind also die Widersprüche zwischen klassischer Kostenrechnung und Ganzheitlichen Produktionssystemen offensichtlich. Kommt jetzt noch die bereits vorne angedeutete fehlende Anpassung hinzu, folgt logischerweise die oft zu beobachtende geringe Veränderungsgeschwindigkeit bzw. sogar das Stoppen der Lean-Projekte in der Praxis. Viele der aufgezeigten Konflikte entstehen durch unterschiedliche Ansichten über das Wirtschaftlichkeitsprinzip, das die Basis der Produktionstheorie darstellt. Die Maximierung der Wirtschaftlichkeit lässt sich dabei durch zwei Kernprinzipien erreichen (Günther, Tempelmeier 2009, S. 3 – 4):

       Maximumprinzip: Erreichen eines maximal wertmäßigen Produktionsergebnisses mit einem gegebenen Wert von Inputgütern.

       Minimumprinzip: Erzielen eines vorgegebenen wertmäßigen Produktionsergebnisses mit minimalen Inputwerten.

Das Maximumprinzip war zu Zeiten von Ford und Taylor in den damaligen Anbietermärkten Garant für die Maximierung der Wirtschaftlichkeit und stetiges Wachstum. Klassische Kostenrechnungssysteme entsprechen dem Maximumprinzip, indem sie maximale Auslastung und große Lose fördern. Im Gegensatz dazu verfolgen Ganzheitliche Produktionssysteme das Ziel, die Wirtschaftlichkeit insbesondere durch das Vermeiden von Verschwendung zu steigern (vgl. Ohno 2013, S. 28). Dazu ist ein minimaler Gesamtressourceneinsatz anzustreben, um den Kundenbedarf zu erfüllen. Diese dem heutigen Käufermarkt angemessenere Sichtweise entspricht dem Minimumprinzip. Traditionelle Kostenrechnungssysteme hingegen sind nicht zur Unterstützung des Minimumprinzips entwickelt worden.

Klassische Kostenrechnungssysteme fördern eine maximale Auslastung und große Lose. Ganzheitliche Produktionssysteme hingegen sollen die Wirtschaftlichkeit insbesondere durch das Vermeiden von Verschwendung steigern.

Eine Lösung der beschriebenen Problematik fehlt bisher weitgehend. Trotz punktueller Entwicklungen existiert in Wissenschaft und Praxis keine klare Meinung darüber, wie ein System der Kostenrechnung und Kostenanalyse für Ganzheitliche Produktionssysteme gestaltet sein muss.

Johnson empfiehlt, die interne Kostenrechnung bei der Einführung von Lean zu stoppen.

Besonders erwähnenswert an dieser Stelle ist auch die extreme Ansicht von Johnson zu Kostenrechnungssystemen in Lean-Unternehmen. Johnson, Co-Entwickler des Activity Based Costing (dem Vorläufer der deutschen Prozesskostenrechnung) und langjähriger Forscher auf dem Gebiet des Toyota-Produktionssystems, lehnt jeglichen Einsatz von Kostenrechnungssystemen zu internen Steuerungszwecken ab. Er vertritt die Ansicht, dass Kostenwerte lediglich Ergebnisgrößen sind und stets nur beschreibenden Charakter haben. Eine Erklärung oder Steuerung von Systemen mit komplexen Beziehungen sei daher mit keinem Kostenrechnungssystem möglich (Johnson 2005, 2006b, 2007). Er empfiehlt daher, die interne Kostenrechnung bei der Einführung von Lean zu stoppen (Johnson 2006a). Dies entspricht der Ansicht von Ohno, dem „Vater“ des Toyota-Produktionssystems. Seiner Auffassung nach, sollen Kosten nicht kalkuliert, sondern reduziert werden (zitiert nach Bicheno, Holweg 2016, S. 295). Diese radikale Sichtweise scheint jedoch in der Praxis insbesondere in frühen Phasen der Lean-Einführung nicht haltbar zu sein. Das Management benötigt geeignete Unterstützungsfunktionen, um die Rationalität seiner Handlungen sicherzustellen. Die Kostenrechnung kommt darüber hinaus für vielfältige weitere Zwecke zum Einsatz. Infolgedessen ist eine vollständige Abkehr von der Kostenrechnung als wenig realistisch zu erachten.

Wir halten als Zwischenerkenntnis fest: In der industriellen Praxis ist das Ignorieren von Controlling und Kostenrechnung weder möglich noch zielführend. Demnach bleibt als logische Konsequenz lediglich die Möglichkeit, das Kostenrechnungssystem anzupassen, damit es seine Unterstützungsfunktion in Ganzheitlichen Produktionssystemen erfüllt. Nur so kann eine nachhaltige und durchgreifend erfolgreiche Lean-Einführung stattfinden. Die in diesem Fachbuch zugrunde liegende Problemstellung lässt sich somit wie folgt zusammenfassen:

       Klassische Kostenrechnungssysteme stehen teilweise in unvereinbarem Widerspruch zur Philosophie Ganzheitlicher Produktionssysteme.

       In der Unternehmenspraxis führt dies zu Unsicherheiten über den Erfolg Ganzheitlicher Produktionssysteme bis hin zum Abbruch der Einführung.

       Offene Fragen können diese Unsicherheit weiter verstärken: Sind die gewünschten Vorteile durch die Einführung des Ganzheitlichen Produktionssystems real gar nicht gegebenen oder liegt es lediglich daran, dass der Nutzen wegen eines unpassenden Bewertungssystems nicht darstellbar ist?

       Grundlegende Voraussetzung für den Erfolg ist, das Kostenrechnungssystem für den Einsatz in Ganzheitlichen Produktionssystemen anzupassen.

1.3 Kostenrechnung für Ganzheitliche Produktionssysteme anpassen

Vorrangiges Ziel dieser Fachpublikation ist die erstmalige Entwicklung eines geeigneten Systems der Kostenrechnung und -analyse für Ganzheitliche Produktionssysteme. Der Fokus liegt dabei insbesondere auch auf den unternehmensinternen Aufgaben der Kostenrechnung wie Planung und Kontrolle. Extern orientierte Dokumentationsaufgaben (z. B. Herstellkostenrechnungen im Rahmen der Bilanzierung) bleiben dabei unberücksichtigt. Von zentraler Bedeutung ist, die Konformität des Kostenrechnungssystems zu den Spezifika Ganzheitlicher Produktionssysteme sicherzustellen. Als Teilziel sind hierfür die Anforderungen an ein Kostenrechnungssystem für Ganzheitliche Produktionssysteme aus Theorie und Praxis zu erheben. Generell ist auf die Wirtschaftlichkeit, Flexibilität, Schnelligkeit und Handhabbarkeit des zu entwickelnden Kostenrechnungssystems zu achten.

Aufgrund der hohen Praxisrelevanz der Problemstellung und der nach wie vor weiten Verbreitung klassischer Kostenrechnungssysteme ist die erstmalige und detaillierte Erarbeitung von Defiziten klassischer Kostenrechnung in Ganzheitlichen Produktionssystemen und deren Ursachen ein wesentliches Teilziel der Arbeit. Ein Verständnis für die Defizite und Probleme bildet in der Praxis die notwendige Grundlage für die Implementierung neuer Systeme.

Ziel dieser Fachpublikation ist, erstmalig eine geeignete Kostenrechnung für Ganzheitliche Produktionssysteme zu entwickeln

Unter dem Begriff „Kostenrechnung“ wird vor allem die Gestaltung einer geeigneten Erfassung monetärer Informationen in Ganzheitlichen Produktionssystemen verstanden: Es geht um die zweckneutrale Erfassung von Grunddaten in einer Grundrechnung der Kosten und Erlöse. Die Kostenanalyse verarbeitet die Daten in Form von spezifischen Auswertungsrechnungen auf Basis der Grundrechnungen. Hierfür erfolgt zum besseren Verständnis zunächst eine Beschreibung des Aufbaus und Ablaufs von Kostenrechnungssystemen. Anschließend ist ein Vorgehensmodell für die Einführung in enger Kooperation mit der Praxis zu entwickeln und dessen Anwendbarkeit zu evaluieren.

Vorrangig gilt es, die folgenden praxisrelevanten Fragen zu beantworten:

1.      Welche Anforderungen bestehen an ein geeignetes System der Kostenrechnung und Kostenanalyse in Ganzheitlichen Produktionssystemen?

2.      Sind aktuell bestehende Systeme und Verfahren der Kostenrechnung geeignet für die Rechnungszwecke der Planung, Kontrolle und Verhaltenssteuerung in Ganzheitlichen Produktionssystemen?

3.      Wie gestaltet sich ein künftiges System der Kostenrechnung (Grundrechnungen) und Kostenanalyse (Auswertungsrechnungen) für die Rechnungszwecke der Planung, Kontrolle und Verhaltenssteuerung in Ganzheitlichen Produktionssystemen?

1.4 Von der Forschung in die Praxis

Die in diesem Fachbuch zum Einsatz kommende methodische Vorgehensweise startet mit einer praxisrelevanten Problemstellung. Im Hauptteil ist sie auf die Erfassung und Untersuchung des relevanten Anwendungszusammenhangs ausgerichtet. Die Methodik endet mit der Anwendung und Evaluierung der Ergebnisse in der Praxis (s. Bild 1.4).

Kapitel 1 beschreibt allgemein die praxisrelevante Problemstellung bzw. Motivation der Arbeit.

Die zum Verständnis notwendigen Grundlagen und Begrifflichkeiten bezüglich Ganzheitlicher Produktionssysteme und Kostenrechnung erläutert Kapitel 2.

Das Kapitel 3 widmet sich dem Beantworten der oben genannten Fragen 1 und 2.

Die Beschreibung des neu entwickelten Systems der Kostenrechnung und -analyse für Ganzheitliche Produktionssysteme übernimmt Kapitel 4.

Die Anwendung des entwickelten Ansatzes beschreibt Kapitel 5.

In Kapitel 6 erfolgen eine Zusammenfassung der Arbeit und der Ausblick auf weiterführende mögliche Aktivitäten.

Bild 1.4 Methodische Vorgehensweise und Aufbau der in diesem Fachbuch beschriebenen Arbeit


1 Englisch: Lean Production System. Die Begriffe Lean Production und Ganzheitliche Produktion werden im Rahmen der Arbeit synonym verwendet. Aufgrund des feststehenden Ausdrucks wird der Begriff „Ganzheitliches Produk­tionssystem“ mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben.

2 Eine Definition klassischer bzw. traditioneller Kostenrechnungssysteme erfolgt in Abschnitt 3.1.

2 Erweiterung von Lean Production hin zu Ganzheitlichen Produktionssystemen