Heike Buchter
BLACK
ROCK
Eine heimliche Weltmacht
greift nach unserem Geld
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
There has never been an empire like BlackRock. No bank, no fund controls that much capital. BlackRock invests, analyzes, and advises major investors, finance ministries, and central banks. There is hardly a region of our planet where this "shadow bank" does not maintain a presence. One thing's for certain: BlackRock is not only transforming our financial system, its global power is calling the entire economic system into question. - the first book about the world's mightiest financial giant - shows the danger and threats that BlackRock poses - BlackRock's decisions have a direct effect on us every day - an indispensable book for anyone dealing with the world of finance, and, naturally, for any reader with a desire to know who is pulling the strings in the backgroundGeld. Macht. BlackRock. Noch nie hat es ein Imperium wie BlackRock gegeben. Mehr als sieben Billionen Dollar verwaltet der amerikanische Vermögensverwalter. Keine Bank, kein Fonds hat annähernd so viel Einfluss. Die New-York-Korrespondentin und Finanzexpertin Heike Buchter ist dem Unternehmen auf der Fährte: Wie konnte nahezu unbemerkt und unbehelligt von Politik und Regulierung in nur kurzer Zeit ein solcher Koloss entstehen? Welche Strategie verfolgt Unternehmenschef Larry Fink? Eines steht fest: Die Macht dieses Global Players stellt unser ganzes Wirtschaftssystem infrage. »Heike Buchter ist eine gut nachvollziehbare Darstellung der aktuellen Spielart des Kapitalismus gelungen.« SWR »Lebendig und verständlich führt Buchter durch das Weltreich von Blackrock« Handelsblatt
Vita
Heike Buchter berichtet seit 2001 von der Wall Street. Als New Yorker Korrespondentin für Die Zeit sagte sie ihrer Redaktion Anfang 2007 die Finanzkrise vorher. Und sie war 2015 die Erste, die BlackRock ins Scheinwerferlicht gerückt hat. 2019 veröffentlichte sie ihr Buch Ölbeben.
Für Max und Jens
Vielen Dank an Ina Lockhart für ihre Mitarbeit
Kapitel 1
BLACKROCK – DER MÄCHTIGSTE KONZERN, DEN KEINER KENNT
Mit Absicht unter dem Radar
BlackRocks Macht ist nur geliehen – es ist unser Geld
Kapitel 2
GESTATTEN, DER NEUE GROssEIGNER DER DEUTSCHLAND AG
Stiller Teilhaber am deutschen Alltag
Dick im deutschen Wohnungsmarkt …
… und auch bei Gewerbeimmobilien dabei: Sahnestückchen in Freising
Der unsichtbare Über-Investor: Ein Gespenst geht um
Kapitel 3
DER MANN HINTER DEM KOLOSS –EIN LOSER DER WALL STREET
Larry Finks Blitzkarriere im Reich der Bonds
CMO – die Wunderpapiere aus der Büchse der Pandora
Finks schicksalhafter Fehler und Fall
Blackstone oder: Der Anfang im Hinterzimmer
Damit kam der Fels ins Rollen: BlackRock
Acht Freunde müsst ihr sein: Das Gründungsteam
Der entscheidende Auftrag von Neutronen-Jack
Wachsen, wachsen, wachsen
Kapitel 4
DIE FINANZKRISE ODER AUCH: BLACKROCKS GRÖSSTER SEGEN
Planet der Affen: Fink als Überlebender
Der Schattenfinanzminister
Hinein in die Zirkel der Macht
Auf die grüne Insel: BlackRocks Sprung nach Europa
Formeln nach Athen tragen
Operation Solar: Brisante Rolle im Krisenherd
Zypern: Fortsetzung der griechischen Tragödie
Auf dem Zauberberg
Der Türöffner
Der Ritterschlag der EZB
Symbiose mit den Notenbankern
Kapitel 5
SCHATTENBANKEN: DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT
Der Ketzer: Hilfe, wir haben die Banken geschrumpft!
Was wirklich geschah
Ein Run on the Bank der neuen Art
Mutter aller Schattenbanken
Glänzende Gewinne mit Schulden
Die Könige der Heuschrecken
Die Goldmachertinktur
Gesellschaft der toten Giraffe
Das »gefährlichste Unternehmen der Welt«
Kapitel 6
ETF: DER SCHWANZ WACKELT BALD MIT DEM HUND
Schöne neue Derivatewelt
Der Prinz der iShares
Wetten auf ETFs – das »Ein-Pferd-Rennen«
Die große Bond-Blase
BlackRock in allen Winkeln des Markts
Wie akkurat sind Aktienkurse noch?
Kapitel 7
FINANZKAPITALISMUS 2.0
Ein Geldfürst für ein neues Zeitalter
Aufstand der Manager
Wie BlackRock der neue J. P. Morgan wurde
Shareholder-Value: Die andere 68er-Revolution
Keine bleibenden Werte
Kapitel 8
WIE BLACKROCK DIE DEUTSCHLAND AG LENKT
Die deutsche Version des Industriekapitalismus geht zu Ende
Im Griff der kalifornischen Sondereinheit
Informationen in der Einbahnstraße
Finanzsurrealismus: Kapitalismus ohne Kapitalisten
ETFs sind »schlimmer als Marxismus«
Der grüne Fink
Kapitel 9
ALADDIN – DER DSCHINN IN DER APFELPLANTAGE
Eins werden mit der Maschine
Cyborgs beherrschen die Märkte
Die Quants: Glauben an den Markt und die Modelle
Was ein Küchenmixer und Zinsprognosen gemeinsam haben
Wir Nutzer im Netz von Aladdin
Die Welt durch BlackRocks Brille
Kapitel 10
MACHTWECHSEL AN DER WALL STREET
Unsere Altersvorsorge: Der Heilige Gral der Wall Street
Monica Lewinsky: Retterin des Rentensystems
Deutschlands Riester-Renten-Experiment
Risiko? Was für ein Risiko?
Der größte Bankraub aller Zeiten
Und welche Rolle spielte BlackRock bei Cum-Ex?
Wie BlackRocks Supermom Washington gewann
Heimlicher unheimlicher Herrscher der Welt
Kalmar trifft schwarzen Schwan
Armes Mexiko fern von Gott, nah an den USA
Eingefrorene Datenwelt
Kapitel 11
ABER LARRY FINK IST NOCH NICHT FERTIG
GRAFIKEN
New York, Mai 2020. Nie war die City that never sleeps so still. Noch vor ein paar Wochen, bevor die Stadt täglich Hunderte Tote zu beklagen hatte und zum Epizentrum der Corona-Epidemie wurde, donnerten die Flugzeuge im Fünfminutentakt über die Stadt. Jetzt schauen die wenigen Passanten auf, wenn ein einsamer Flieger auf dem Weg nach JFK oder La Guardia Airport am Himmel kreuzt. Es ist noch nicht lange her, dass die New Yorker sich über die Millionen Besucher beklagten, die den Kopf im Nacken die Wolkenkratzer hinaufstarrten und dabei die Bürgersteige verstopften. Jetzt liegt der Times Square verlassen und die Theater des Broadway sind dunkel. An der Südspitze Manhattans steht der bronzene »Raging Bull«, der Bulle, der die unzähmbare Kraft des Kapitalismus darstellen soll, einsam auf seiner Verkehrsinsel. Die New Yorker Leitbörse, nicht weit davon, ist seit März geschlossen. Zum Handelsauftakt um 9:30 Uhr Ortszeit dürfen abwechselnd der Hausmeister oder der Haustechniker allein auf den Marmor-Balkon des menschenleeren Handelssaales treten und den wichtigsten Klingelknopf der Welt drücken. Der Handel an der 228 Jahre alten Institution geht weiter, jetzt aber nur noch elektronisch. Banken und Investmentunternehmen haben die Besetzung ihrer Handelsräume ausgedünnt, ihre Händler teilweise in Notfallstandorte verlegt oder sie gleich nach Hause geschickt. Dort haben sich die »Masters of the Universe«, denen sonst mindestens vier Bildschirme und ausgefeilte Kommunikationstechnologie zur Verfügung stehen, mit Verlängerungskabeln und Improvisationstalent so genannte »Rona Rigs« zusammengebastelt wie etwa der Händler, der seinen Laptop auf einem Bügelbrett installiert hat, oder jener Kollege im texanischen Homeoffice, der dem Ganzen mit Whiskeyflaschen und Rifles ein gewisses Lokalkolorit verpasst. Fast fällt es schwer, sich an die Zeit vor der Heimsuchung zu erinnern.
Da war sie ein Pflicht-Stopp auf der Liste von New-York-Touristen: die Wall Street. Da war der bereits heisere Reiseleiter, der mit einem Regenschirm fuchtelte und eine Gruppe Chinesen vor die neoklassizistische Fassade der Börse dirigierte. Dort sammelten sich kichernde Teenager aus dem Mittleren Westen Amerikas um ihren genervten Lehrer. Man hörte spanisch, japanisch und deutsch. Ständig wurden Handys und iPads gezückt, Selfies gepostet. Hier, so vermuteten die Besucher, hier also ist das Zentrum unseres Finanzsystems, hier ist die mächtigste Institution des Kapitalismus.
Sie irrten.
Die mächtigste Institution unseres Finanzsystems befindet sich sechs Kilometer weiter nördlich, fünf Stationen mit der grünen U-Bahn-Linie. Sie verbirgt sich in einem jener verglasten Bürotürme, wie sie längs der Straßenschluchten in New York zu Dutzenden in den Himmel ragen. Wer die Straße in Midtown Manhattan entlangeilt, muss genau hinsehen, um den Namen über den Drehtüren zu entdecken. BlackRock.
Der mächtigste Konzern der Welt.
Eine Institution, wie es sie nie zuvor gegeben hat.
BlackRock ist ein Vermögensverwalter. Aber das ist so, als wenn man sagen würde, Versailles sei ein Sommerhaus oder die Pyramiden ein Haufen Grabsteine. Keine Großbank, kein Versicherer hat diese Reichweite. Goldman Sachs, die Deutsche Bank, die Allianz – sie alle verblassen dagegen. Keine Regierung und keine Zentralbank hat diesen Einblick in die Wirtschaft. Aber vor allem: Niemand beherrscht so viel Kapital. BlackRock verwaltete bis zur Corona-Krise 7,4 Billionen Dollar in seinen Fonds. 80 Millionen Deutsche müssen zwei Jahr lang arbeiten, um diese Summe zu erwirtschaften. Und das ist längst nicht alles. Über die Analyse- und Handelsplattformen des Unternehmens fließen über 20 Billionen Dollar. Eine Zahl mit 13 Nullen. 20 000 000 000 000 Dollar (siehe Grafik 1). Damit laufen inzwischen über 5 Prozent aller Finanzwerte weltweit – Aktien, Anleihen, Devisen, Kreditbriefe, Derivate und Zertifikate – über die Systeme eines einzigen Unternehmens: BlackRock.
Von dem nichtssagenden Büroturm in Midtown Manhattan spinnt BlackRock seine Fäden über den ganzen Globus. Wie ein Krake hat der Finanzkonzern seine Tentakeln bis fast in den letzten Winkel der Welt ausgestreckt. In 100 Ländern sind die Amerikaner aktiv. Zu BlackRocks Netz gehören Büros in Bogota, in Brisbane, in Budapest, außerdem Niederlassungen in München, Melbourne und Montreal, in Kapstadt, Kuala Lumpur und Kopenhagen.
BlackRocks Vertreter gehen in Finanzministerien ein und aus. Sie beraten die Fed, die US-Notenbank, genauso wie die Europäische Zentralbank (EZB). Zu den Kunden zählen Kaliforniens CalPERS, mit 300 Milliarden Dollar der größte amerikanische Pensionsfonds, genauso wie die Abu Dhabi Investment Authority, der Staatsfonds des glitzernden Öl-Reichs von Dubai, und der Investmentarm von Singapur. BlackRocks Lobbyisten kneten die Regulierer in Washington, DC, und auch die in Brüssel. BlackRock ist Großaktionär bei JPMorgan Chase, Citigroup und Bank of America – den größten Banken der Welt. BlackRock ist zudem einer der führenden Aktionäre der Öl-Giganten ExxonMobil und Chevron. Und auch von Apple, McDonald’s und dem Schweizer Nestlé-Konzern. Die New Yorker sind auch längst die größten Eigentümer der Deutschland AG. Sie halten Anteile an jedem Dax-Unternehmen. Sie sind an Deutschlands größtem Baukonzern Hochtief genauso beteiligt wie an dessen kleinerem Rivalen Bilfinger. BlackRock hält Anteile am europäischen Luft- und Raumfahrtriesen Airbus und an Core Civic, dem führenden Betreiber privater Gefängnisse der USA.
BlackRock war ein führender Aktionär bei Monsanto, genauso wie am Bayer-Konzern, der den US-amerikanischen Gentechnikkonzern 2016 übernommen hat. Und auch an den Rüstungsriesen Raytheon, Lockheed Martin und General Dynamics, die alle an der Ausstattung von US-Drohnen und den dazugehörigen Raketen beteiligt sind (Stand: Februar 2020).
Die New Yorker haben sich Immobilien von Köln bis München gesichert. Bei Kleinanlegern ist iShares, der Anbieter der beliebten ETF-Fonds, bekannt und beliebt – kaum einer weiß, dass auch iShares zum BlackRock-Imperium gehört. 2019 erreichte das in iShares angelegte Kapital über 2 Billionen Dollar. Die iShares hätten Netto-Kapitalzuflüsse in Höhe von 185 Milliarden Dollar verzeichnet und einen weltweiten Marktanteil von 33 Prozent erreicht, bilanzierte das Unternehmen in einer Pressemitteilung. »Damit haben sich iShares als führende Anbieter von ETFs bestätigt.«
In mehr als 40 Ländern der Welt verwaltete BlackRock vor den Einbrüchen durch die Pandemie 2020 Privatkundengelder von jeweils mehr als 1 Milliarde Dollar.
Auch im Devisen- und Rohstoffgeschäft dreht BlackRock mit am Rad. Wenn Bergleute in Brasilien Eisenerz abbauen oder Arbeiter in Malis Goldminen schuften, dann profitieren am Ende BlackRocks Fonds.
Evy Hambro, Spross einer einflussreichen britischen Bankerfamilie, ist bei BlackRock seit über 22 Jahren für Rohstoffinvestments verantwortlich, unter anderem leitet er den BlackRock World Mining Trust Fonds. Hambros Co-Managerin wurde 2019 die Australierin Olivia Markham, die ihre Karriere beim australisch-britischen Minenkonglomerat BHP Billiton begann.
Wenn Hambro spricht, so berichtete einmal der Sydney Morning Herald, hören die CEOs und Aufsichtsräte der wichtigsten Rohstoffkonzerne der Welt nicht nur aufmerksam zu, sondern sie handeln auch.
Der Fonds hält große Aktienpakete an Markhams ehemaligem Arbeitgeber BHP Billiton, an dessen Rivalen Rio Tinto, dem Goldproduzenten Barrick sowie dem britisch-südafrikanischen Anglo-American-Konzern, der 40 Prozent der Platingewinnung beherrscht. Im Portfolio war zumindest zum 31. Dezember 2019 auch Vale, der Erzschürfer, der für den Dammbruch im Januar 2019 im brasilianischen Brumadinho verantwortlich ist, bei dem 270 Menschen ums Leben kamen. Eine interne Untersuchung ergab, dass das Unternehmen offenbar seit Jahren von Problemen mit dem Damm wusste.
In BlackRocks Fonds jedenfalls sind die Big-Mining-Companys und Rohstoffhersteller versammelt, die Riesen, die praktisch die gesamte Wirtschaft rund um den Globus mit Rohmaterial und Edelmetallen versorgen. »In einem Land, in dem große Minenbetreiber beschuldigt werden, die Regierung zu kontrollieren, ist es interessant zu sehen, welchen Einfluss Hambro ausübt«, heißt es in einem Porträt des BlackRock-Fondsmanagers im Sydney Morning Herald aus dem Jahr 2013. Und die australischen Zeitungsmacher fragen: Wer zieht die Fäden im Hintergrund?
Es gibt keinen größeren Konflikt auf der Welt, bei dem nicht auch die Interessen der New Yorker betroffen sind. Etwa Russlands Übergriff auf die Ukraine im Jahr 2014: Da fanden sich BlackRocks Interessen plötzlich eigentümlich auf der Linie Wladimir Putins. Zwar kritisierte Larry Fink den starken Mann von Moskau öffentlich. So erklärte er in einem Interview mit der Londoner Sunday Times im März 2014, Putin könne nicht derart »herumspielen«, wenn er westliches Kapital haben wolle. Fink verwies dabei auf den Einbruch, den die Moskauer Börse erlitt, weil ausländische Investoren ihr Kapital abzogen. »Die Kapitalmärkte haben Russland vernichtet«, sagte er damals. Das konnte man als Drohung verstehen, dass auch BlackRock sich aus Putins Russland zurückziehen würde.
BlackRock blieb jedoch trotz der Vorgänge in der Ukraine in dem Land weiter engagiert. Laut einer Beschreibung für den BlackRock Emerging Europe Fund zählten zu dessen zehn größten Investments (zum 31. März 2020) unter anderem der führende russische Energiekonzern Gazprom sowie die Nummer zwei Lukoil, desweiteren Tatneft, zu Sowjetzeiten von Moskaus Ölministerium gegründet. Das Unternehmen fördert unter anderem im vom Bürgerkrieg verwüsteten Syrien.
Auch auf der Liste der Top-Investments: die Sberbank, die zu 50 Prozent der russischen Zentralbank gehört. Der Fonds war bis zum März 2020 – sechs Jahre nach Putins Invasion der Krim – mit knapp 60 Prozent seines Anlagekapitals in Russland investiert. BlackRock gehörte auch zu den Investmentpartnern des staatlichen Russian Direct Investment Fund. Gemeinsam mit dem staatlich initiierten Fonds investierte BlackRock unter anderem 50 Millionen Dollar in »Mutter & Kind«, eine private Klinikkette.
2015 geriet RDIF in die Schlagzeilen, nachdem der Fonds dem Chemieriesen Sibur einen 1,75-Milliarden-Dollar-Kredit zukommen ließ, zu Zinsen, die laut einem Bericht von Reuters unter den damals marktüblichen lagen. Einer der führenden Einzelaktionäre von Sibur war zu dem Zeitpunkt Gennadi Timtschenko, der zum engeren Kreis um Putin gehört und gegen den die USA Sanktionen verhängt hat. Der Sohn eines weiteren Putin-Vertrauten, Kirill Schamalov, gehörte ebenfalls zu den Sibur-Eignern. Shamalov Junior ist nach Informationen sowohl westlicher als auch russischer Medien der Mann, den Wladimir Putins jüngere Tochter 2013 heiratete.
Oder nehmen wir Saudi Arabien. Am 2. Oktober 2018 betrat Jamal Kashoggi die saudische Botschaft in Istambul. Der saudische Staatsbürger, Journalist und langjähriger Kritiker des Herrscherhauses, lebte schon lange im US-Exil. Bei der Botschaft wollte er Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit mit einer Türkin abholen. Er wurde von saudischen Agenten auf bestialische Weise ermordet. Eine Untersuchung der Vereinten Nationen kam später zu dem Schluss, Kashoggi sei Opfer einer »bewussten und geplanten Exekution geworden, einer außergerichtlichen Tötung, für die der Staat Saudi Arabien verantwortlich« sei. Riad bestreitet bis heute, dass die Tat von offizieller Seite oder gar vom Kronprinzen Mohamed bin Salman, genannt MBS, angeordnet worden war. Zunächst gaben sich die CEOs westlicher Konzerne zutiefst geschockt und ein Investmentgipfel, zu dem MBS das Who is who der internationalen Finanz- und Geschäftswelt geladen hatte, wurde ein Flop. Auch BlackRock-Boss Larry Fink blieb dem Treffen fern.
Doch schon knapp sieben Monate später führte er mit dem saudischen Finanzminister zusammen eine Paneldiskussion in Riad. Nur weil ein Ort in der Presse kritisiert werde, bedeute das nicht, dass man ihn meiden müsse, so erklärte Fink den Reportern von CNBC, die ihn dort befragten. Oft seien es genau die Orte, an denen man investieren müsse. »Weil wir über die Dinge schweigen, die wir am meisten fürchten«, fügte er hinzu, was auch immer das bedeuten mochte. Auch lobte er, das Land habe »ziemlich beindruckende« Fortschritte gemacht. Tags zuvor hatte das Regime 37 angebliche Terroristen exekutiert. Inzwischen hat BlackRock eine Niederlassung in Riad. Und als Saudi Aramco, der staatliche Ölkonzern und MBS wichtigster Wirtschaftspfeiler, ebenfalls im April 2019 Anleihen in Höhe von 12 Milliarden Dollar ausgab, gehörte BlackRock mit zu den wichtigsten Investoren.
Fest steht: Es gibt kaum eine wichtige Transaktion in der Wirtschaft, bei der die New Yorker Herren des Geldes nicht zumindest informiert sind.
Und doch kennen den Giganten nur sehr aufmerksame Leser der Finanzseiten. Larry Fink, Gründer und CEO von BlackRock, ist nur wenigen außerhalb der Wall Street ein Begriff. Trotz der ungeheuren Größe und des nie dagewesenen Einflusses haben es die New Yorker geschafft, weitgehend unter dem öffentlichen Radar zu bleiben. Das ist Absicht.
Die Investmentbank Goldman Sachs hat sich für 2,1 Milliarden Dollar vom Stararchitekten Henry Cobb einen Palast mit Blick auf den Hudson hinklotzen lassen. Bank of America residiert in einem 55 Stockwerke hohen Turm mit allen Raffinessen moderner Technologie nahe dem Times Square in Manhattan.
BlackRock hat auf einen eigenen protzigen Repräsentationsbau verzichtet. (Das Unternehmen plant 2023 umzuziehen, doch davon später mehr.)
Wer das New Yorker Hauptquartier betritt, findet im öffentlich zugänglichen Foyer einen Starbucks-Coffeeshop und einen Zeitungsladen, der auch Lotterielose und Kaugummis verkauft. Hinter Bambusbüschen plätschert dezent ein Kunstwasserfall. Männer in dunklen Anzügen, deren unauffällig auffälliges Auftreten sie klar als Sicherheitsleute outet, beäugen misstrauisch die Obdachlosen, die sich an den Tischen neben dem Café niedergelassen haben.
Hinweise auf BlackRocks globale Bedeutung finden sich auch im zweiten Stock nicht. Dort teilt man sich den Empfang mit der Investmentbank Evercore. Einziger Luxus ist ein Topf mit einer weißen Orchidee, die auf der BlackRock-Seite steht. Keine Kunst, kein Marmor, mit dem andere Finanzgiganten ihre Besucher zu beeindrucken suchen.
Die Jungs von BlackRock haben es allerdings auch gar nicht nötig, durch protziges Imponiergehabe zu punkten. Vor ihnen fürchtet sich die Wall Street. Denn Larry Fink und seine Jungs können darüber entscheiden, wer als Investmentbanker Karriere macht und wer sein weiteres Berufsleben als Erbsenzähler irgendwo in den Hinterzimmern der Finanzbranche fristen muss. Denn BlackRock ist nicht nur dank der Aktienanteile, die der Vermögensverwalter hält, Miteigentümer bei den großen Finanzinstituten, sondern auch der Kunde Nummer eins für die Banker. »Wenn BlackRock aus irgendeinem Grund keine Deals mehr mit Goldman Sachs machen wollte, dann wäre das ein Problem – für Goldman«, sagt ein Veteran der Wall Street, der wie so viele in der Branche nur redet, wenn sein Name nirgendwo auftaucht. Ein anderer Informant zieht seine Äußerung plötzlich zurück. Er habe möglicherweise ein Angebot, bei BlackRock anzufangen. Deswegen wäre es ihm gar nicht recht, öffentlich über deren Geschäftsgebaren zu sprechen. Eigentlich will er gar nicht mehr über BlackRock sprechen. Auf die Frage, was denn der in Aussicht gestellte Job bei BlackRock sei, sagt der gestandene Banker: »Egal, was Larry mir bietet, und wenn ich in der Cafeteria den Boden schrubben muss.«
Bei Cocktail-Empfängen antworten Investmentbanker auf Fragen nach BlackRock mit vielsagenden Blicken und dem Spruch, da gäbe es viel zu erzählen, aber man wolle das lieber nicht nach draußen tragen. Was sie nicht sagen, aber wohl denken: Ich habe eine unbezahlte Vorstadtvilla, Kinder auf der Privatschule, eine teure Freundin und eine noch teurere Exfrau. Hunderte Millionen Dollar erhalten die Banken und Brokerhäuser von BlackRock jedes Jahr. Wer will es sich verscherzen mit so einem wichtigen Brötchengeber?
Bei all seiner Macht ist BlackRock ein Emporkömmling. Die Geschichte von JPMorgan Chase, der größten amerikanischen Bank, reicht zurück auf Finanzlegende John Pierpont Morgan und bis ins Jahr 1895. Citigroups Vorläufer wurde 1812 gegründet und finanzierte später den Panamakanal. Die Bank of New York Mellon, eine der wichtigsten globalen Treuhänderbanken, kann sogar auf Gründervater Alexander Hamilton verweisen, den ersten Finanzminister der damals jungen Nation und Erfinder des amerikanischen Kapitalismus. Fink hat sein Imperium dagegen in etwas mehr als drei Jahrzehnten zusammengezimmert. Ein Start-up, gegründet buchstäblich im Hinterzimmer der Private-Equity-Gesellschaft Blackstone. Von deren Gründern Stephen Schwarzman und Pete Peterson erhielt Larry Fink 1988 eine Kreditlinie von 5 Millionen Dollar und eine Telefonleitung – Kleingeld nach Wall-Street-Maßstäben. Aus der Klitsche entstand BlackRock. Ein Erfolg, der Fink selbst bei den abgebrühtesten Wall-Street-Bossen den Status eines absoluten Top-Dogs gibt. Er selbst sieht das offenbar genauso. Von der CNBC-Reporterin Becky Quick 2010 befragt, was sein schlimmster Fehlgriff gewesen sei, gab Fink zur Antwort, nach seinem Abgang bei First Boston »nicht das Selbstvertrauen gehabt zu haben, eine eigene Investmentfirma für Risikomanagement aufzumachen«. Stattdessen habe er sich an Schwarzman und Peterson gewandt. »Die glaubten mehr an mich als ich selbst. Sie trafen die richtige Investmententscheidung, ich nicht.« Genau, so witzelte die Wall-Street-Klatschwebseite Dealbreaker daraufhin, Schwarzman und Peterson trafen die richtige Entscheidung, weil sie das Genie von Fink erkannten. Fink selbst dagegen habe den »goldenen Gott nicht erkannt, der ihm im Spiegel entgegensah«.
Und doch: BlackRocks Macht ist eine geliehene Macht: Sie speist sich aus unserem Geld, dem Geld von Kleinsparern, Pensionären, den Finanzabteilungen von Unternehmen, den Prämien von Versicherungsnehmern und den Beiträgen privater Rentenversicherter, aus den Spenden für wohltätige Zwecke und den Abgaben von Steuerzahlern. OPM – damit spielt die Wall Street am liebsten. Im Klartext: OPM oder Other People’s Money. Dieses Geld fließt in immer größere Pools. Nicht nur BlackRock profitiert davon. Bis 2025, so eine Studie der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers, werden Vermögensverwalter weltweit über 145 Billionen Dollar in ihren Konten angesammelt haben. Das ist 25-mal so viel wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt (3,8 Billionen Dollar 2019 laut IWF). Geld, das vor allem aus den USA und Europa kommen wird, aber zunehmend auch aus Asien, Afrika und dem Mittleren Osten. (Die Studie wurde vor der Pandemie und der Ölkrise veröffentlicht.) Larry Fink und seine Geldeinsammler wollen sicherstellen, dass das meiste davon in ihren Konzern fließt.
2014 gab Fink ein ehrgeiziges Ziel an seine Mitarbeiter aus: BlackRock solle jedes Jahr um weitere 5 Prozent wachsen.
Heute ist sein Laden mit über 7 Billionen der absolute Branchenprimus. Die Allianz, immerhin Deutschlands größter Finanzkonzern, ist mit 2 Billionen weit abgeschlagen. Es ist unser Geld, und doch wissen nur Eingeweihte, wohin es fließt, was es bewegt, wen es bezahlt. Die Wall Street, zynisch und abgebrüht wie die Jungs dort sind, unterscheidet »smart money« und »dumb money« – Letzteres sind allzu oft die normalen Anleger. Es gibt einen Grund, warum sich die Bezeichnungen so eingebürgert haben. Wir geben unser Erspartes BlackRock und Co. gegen das Versprechen von Rendite und Sicherheit. Ohne wirklich nachzufragen, was damit geschieht. Abgeschreckt von einem Finanzsystem, das zu kompliziert und vielleicht auch zu langweilig erscheint, um sich als Normalbürger zu bemühen, die Vorgänge wirklich zu verstehen. Und bei den Machern besteht keine Veranlassung, uns zu informieren.
Und so weiß kaum jemand, was genau mit den Geldströmen passiert. Noch brisanter ist, dass niemand weiß, welche Risiken ein solcher Berg an Kapital birgt. Weder Finanzexperten an den Universitäten noch Regulierungsbeamte in ihren Amtsstuben. Politiker schon gar nicht. Finks Argument lautet deswegen auch: Wenn man es nicht erkennen kann, dann gibt es eben auch kein Risiko. Doch in der Geschichte hat sich gezeigt: Die wirklich gefährlichen Risiken sind die, die man nicht absehen kann. Gefahren, die man sich nicht einmal vorstellen kann. »T. B. D.« im Jargon der Risikomanager, das steht für »There Be Dragons« – jenseits der normalen Wahrscheinlichkeiten lauern Drachen.
Die Geschichte BlackRocks ist die Geschichte eines Machtwechsels an der Wall Street. Es ist die Geschichte eines brillanten Puzzle-Spielers. Es ist die Geschichte eines Mannes, den eine Demütigung dazu treibt, den größten Koloss der Finanzgeschichte zu bauen.
Es ist eine Geschichte, in der wir die unwissentlichen Mitspieler waren. Bis jetzt.
Das Landschloss im Hessischen teilt das Schicksal vieler alter Adelssitze, es ist heute, wie es so schön heißt, ein Hotel und Tagungszentrum. In den holzgetäfelten Galerien haben sich Gruppen von Anzugträgern zusammengefunden. Sie nippen an Espressos und »networken«, was das Zeug hält. Schilder weisen auf die Veranstaltungen des Tages hin. Es geht um Themen wie »Europa, mehr als die Summe seiner Teile« oder »Investieren im Niedrigzinsumfeld«. Im Publikum sind in der Mehrheit Vertreter von kleineren und mittleren Banken und Sparkassen, die aus ganz Deutschland angereist sind. Referate von Professoren sorgen für die nötige Gravitas. Für Fondsanbieter sind solche Veranstaltungen das, was Verbrauchermessen für die Verkäufer von Gemüsehobeln sind.
Dort gilt es, Werbung zu machen für sich und seine Produkte. Der Vertreter von BlackRock ist Brite und er lässt wenig Zweifel daran, dass er sich in der Provinz wähnt. »Als Erstes werden Sie ja feststellen, dass ich Englisch rede«, begrüßt er einen verdatterten Teilnehmer. »Es gibt keine sichere Rendite«, schärft der BlackRock-Vertreter seinen Zuhörern ein. Umso wichtiger, so lässt er durchblicken, dass man einen weltläufigen starken Partner hat. BlackRock sei ja bekanntermaßen der größte Vermögensverwalter. Der Mann aus London klärt die Runde über die Überlegenheit von »Multi-Asset-Managern« auf, Fondsmanagern, die nicht auf Aktien oder Anleihen festgelegt sind, sondern das Geld ihrer Anleger in verschiedene Werte stecken – je nachdem, was ihnen attraktiv erscheint. Er selbst ist auch einer dieser Tausendsassas der Finanzwelt. Der BlackRock-Mann ist routiniert. Dass keine einzige Frage von den Banken- und Sparkassenvertretern kommt, scheint ihn nicht zu stören. Er hat eine klare Botschaft: Die Welt da draußen ist komplex, voller Risiken. BlackRock ist groß und effizient. Als er fertig ist, bedanken sich alle Teilnehmer artig.
Später am Abend bei Grauburgunder und Seehecht-Häppchen – man ist unter sich – macht einer der deutschen Anlageberater seinem Unmut Luft. BlackRock habe Deutschland ja quasi übernommen. »Schauen Sie, der Dax, der MDax – wenn BlackRock da mal aussteigt, dann pffft«, sagt er und zeichnet mit der Hand eine steile Abwärtskurve in die Luft. Wohin man schaue im Land, überall stecke mittlerweile BlackRock drin.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben Deutschlands wichtigste Unternehmen einen neuen Großeigentümer bekommen. Längst sind die Dax-Unternehmen fest in ausländischer Hand. Der Anteil der ausländischen Investoren liegt inzwischen bei 85 Prozent des Streubesitzes, wie der Deutsche Investor-Relations-Verband DIRK gemeinsam mit den US-amerikanischen Marktforschern von IHS Markit in einer Studie vom Sommer 2019 wie schon in den Vorjahren erneut errechnete. Über ein Drittel des Streubesitzes halten dabei nordamerikanische Fonds. Deutschen Anlegern – privaten und institutionellen – gehören gerade noch 15 Prozent. An sich freue man sich über das Interesse der ausländischen Investoren an den deutschen Schwergewichten, versichert Norbert Kuhn vom Deutschen Aktieninstitut, dem Interessenverband kapitalmarktorientierter Unternehmen, aber er bedauert: »Der ganze Erfolg unserer Dax-Unternehmen in den vergangenen Jahren ist weitgehend an den deutschen Anlegern vorbeigegangen.«
BlackRock ist der größte Investor im Dax, dem Aktienindex der 30 größten börsennotierten deutschen Unternehmen. Über verschiedene Fonds sind die New Yorker der genannten Studie zufolge mit knapp über 66 Milliarden Dollar an den Dax-Unternehmen beteiligt. Damit ist BlackRock klar die Nummer eins.
Nehmen wir einen Tag bei der Familie Normalverbraucher. Am Frühstückstisch fragt sie ihn: »Magst du noch etwas Nespresso?« Der Koffeintrunk kommt aus dem Hause Nestlé und BlackRock ist einer der größten Anteilseigner des Schweizer Multis. Die Sana-Margarine, die der Vater auf sein Brötchen streicht, kommt von Walter Rau. Der einstige Familienbetrieb aus dem Teutoburger Wald wurde 2008 von dem Protein-Multi Bunge übernommen. Mit über 4 Prozent (Februar 2020) gehörte BlackRock zu den Top-Ten-Großaktionären von Bunge. Der Sohn löffelt derweilen seine Kellogg’s Cornflakes – der Anteil BlackRocks an dem amerikanischen Cerealienbäcker betrug am 31.12.2019 immerhin 7 Prozent. Die Tochter streicht ihre mithilfe von Elnett-Satin-extra-starker-Halt-Hairspray frisch frisierten Haare aus dem Gesicht – ein Produkt des französischen L’ORÉAL-Konzerns. Die Pariser verkaufen nach eigenen Angaben weltweit rund 50 Produkte pro Sekunde – und BlackRock profitiert als einer der zehn wichtigsten Anteilseignern mit. Unter dem Tisch kaut die Katze an ihrer Ration Hills Pet. Der Tiernahrungshersteller gehört zu Colgate-Palmolive. Auch bei dem Konsumgütermulti ist BlackRock auf den vorderen Plätzen der Großaktionäre.
Das Spielchen lässt sich beliebig fortsetzen, etwa im Badezimmer: Nivea-Creme und Tempo-Taschentücher? Am Hersteller Beiersdorf sind die New Yorker genauso beteiligt wie an dem niederländischen Unilever-Konzern, der unter anderem Deodorants wie Rexona und Axe herstellt. Fußpilz? Das Mittel Lamisil kommt von Novartis, auch bei dem Schweizer Pharmariesen ist BlackRock prominenter Anleger. Der Boss-Anzug des Vaters? Laut einer Meldung aus Januar 2020 ist BlackRock mit 3,23 Prozent an den schwäbischen Modemachern beteiligt. Der 3er-BMW, mit dem er zur Arbeit spurtet: Um die 3 Prozent BlackRock-Beteiligung laut Meldung an die deutsche Aufsicht im Januar 2020. Die rote Ampel, die ihn ausbremst, ist von Siemens, auch da steckt BlackRock mit 5 Prozent drin und ist damit der größte Einzelaktionär (Meldung vom Januar 2020). Und der Smart, den seine Frau fährt, wird von der Konkurrenz in Stuttgart gefertigt. Auch bei Daimler gehört BlackRock mit 4,5 Prozent zu den führenden Aktionären. Die Fußballtreter des Sohnes von Adidas – BlackRock ist mit sechs Prozent (Januar 2020) an Bord bei den Herzogenaurachern. Sitzt die Tochter nach den Hausaufgaben (oder statt der Hausaufgaben) vor dem Fernseher und schaut Germany’s Next Topmodel auf ProSieben, dann ist, zumindest als Aktionär, BlackRock im Hintergrund dabei (3,57 Prozent, Januar 2020).
Ob Medien, Chemie, Energie, Banken oder Versicherungen – es gibt nur wenige Branchen in Deutschland, in denen sich BlackRocks Netz der Beteiligungen nicht finden lässt. Mal laufen diese über Töchter wie die BlackRock Holdco 2, mit Sitz im amerikanischen Briefkastenfirmen-Paradies Wilmington im Bundesstaat Delaware, oder über die BR Jersey International Holding LP mit Sitz in St. Helier, auf der als Steueroase bekannten Kanalinsel Jersey. Solche Konstrukte, von ausgebufften Steueranwälten ersonnen, sind in der internationalen Finanzwelt gang und gäbe und keineswegs geheim. Sie gehören inzwischen so zur normalen Geschäftspraxis, dass BlackRocks Kunden geradezu entsetzt wären, wenn der Vermögensverwalter auf diese Schachtelei verzichten würde. Auf Anfrage erklärt BlackRock, die Firmen befänden sich in den Steueroasen, weil dort die »örtlichen Gesetze und juristische Infrastruktur gut entwickelt und flexibel genug seien, um unseren geschäftlichen Anforderungen zu genügen.« Im Übrigen zahle man die anfallenden Steuern der europäischen Geschäfte im jeweiligen europäischen Land, egal welche Firmen dazwischengeschaltet seien.
Um die Eigentumsverhältnisse transparenter zu machen, schreibt die deutsche Finanzaufsicht Bafin vor, dass Großinvestoren, deren Anteil an den Stimmrechten gewisse Schwellen überschreitet, dieses öffentlich melden müssen. Diese Pflichtmeldungen sind aber nur eine Momentaufnahme – unter Insidern ist es ein offenes Geheimnis, dass Investoren oft weit höhere Anteile halten. »Gemeldet wird zum Beispiel das Überschreiten der Fünf-Prozent-Schwelle, danach kann der Investor bis zu 10 Prozent noch weiter zukaufen«, berichtet ein Fachmann eines Dienstleisters, der solche Daten analysiert. Erst beim Überschreiten der Zehn-Prozent-Grenze muss der Investor dieses wieder an die Bafin melden.
Allerdings geriet BlackRock mit der Bafin wegen der Pflichtmeldungen aneinander. Die Vorschriften sind sogar für Profis schwierig zu verstehen. Viele Investoren, auch namhafte, scheiterten am Stimmrechtsregime, räumt selbst ein Bafin-Mitarbeiter ein. Jedoch sei BlackRock in »quantitativer Hinsicht bisher ziemlich einzigartig«. Das erklärt sicher auch, warum der Prüfungsprozess der Behörde sich über ein Jahr hinzog und im Frühjahr 2015 mit einem Bußgeld in Höhe von 3,25 Millionen Euro endete – die »höchste bislang verhängte Geldbuße«, wie es in der Pressemitteilung der Bafin heißt. Im Herbst 2014 erklärte BlackRock öffentlich, in Abstimmung mit der Bafin, die Pflichtmeldungen bei 48 Unternehmen zu korrigieren. Aus diesen Meldungen ergab sich ein aufschlussreicher Schnappschuss des BlackRock-Engagements in der deutschen Wirtschaft. Neben den bereits genannten Unternehmen sind da Beteiligungen an den Energieversorgern RWE und E.on, an der Lufthansa, der Deutschen Telekom, der Deutschen Post. An Bayer und BASF. Am niedersächsischen Reifenhersteller Continental. Am Waldorfer Software-Riesen SAP. An der Deutschen Bank, der Allianz und der Münchner Rück – dem verbliebenen Kern der deutschen Finanzindustrie. (Offensichtlich hat man bei BlackRock die Stimmrechtsmeldungen noch immer nicht ganz im Griff. Im April 2020 verhängte die Bafin wegen erneuter Unstimmigkeiten ein weiteres Bußgeld von 740 000 Euro.)
Auch im Nachbarland Schweiz ist BlackRock der Großaktionär Nummer eins, wie eine Analyse des Schweizer Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2019 zeigt. Neben Nestlé halten die New Yorker Anteile – meist sind es um die 3 Prozent – am Winterthurer Industriekonzern Sulzer, dem Versicherer Swiss Life, den Großbanken UBS und Credit Suisse sowie dem Schokoladenhersteller Lindt & Sprüngli AG. BlackRock sei der »schwarze Fels« in der Brandung des Schweizer Aktienindex SMI, formuliert es blumig die Neue Zürcher Zeitung.
Die Höhe der Anteile, die BlackRock jeweils hält, schwankt allerdings – das kann sich täglich ändern und tut es manchmal auch. Allein am 3.12.2019 meldeten gleich vier Unternehmen – Morphosys, Wirecard, Münchner Rück und Daimler – eine Änderung bei der Zahl der Stimmrechtsanteile von BlackRock. In dem Fall waren es bei Morphosys, einem deutschen Biotechnikunternehmen, und dem im Juni 2020 Konkurs gegangenen Fintech-Anbieter Wirecard sowie der Münchner Rück jeweils eine Anhebung um weniger als einen Prozentpunkt. Bei Daimler verringerte sich der Anteil ebenfalls nur hinter dem Komma (Quelle DGAP.de). Hinter dem Auf- und Ab steckt in den seltensten Fällen eine Strategie. Denn BlackRock agiert als Mittelsmann – als Vermögensverwalter sammelt das Unternehmen Geld von Anlegern ein und legt es für sie an. Bei einem kleineren Teil entscheiden »aktive« Fondsmanager, in welche Aktien sie das ihnen anvertraute Geld stecken wollen. Doch der größte Teil der Anlagegelder bei BlackRock fließt in Fonds, die Aktienindizes nachbilden, wie etwa den Dax. Ein solcher »passiver« Dax-Fonds enthält dann gezwungenermaßen Aktien aller 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex. Es gibt in dem Fall keinen Fondsmanager, der sich für oder gegen eine Aktie entscheidet. Und wenn BlackRocks Kunden ihre Fondsanteile verkaufen, dann reduzieren sich auch die Dax-Aktien, die BlackRock hält. Umgekehrt steigt das BlackRock-Engagement, wenn die Anleger frisches Geld in die Indexfonds fließen lassen. Bei den meisten großen Aktienindexfonds, wie etwa dem Dax, bleiben die Anteile recht stabil.
Dass BlackRock die Zuflüsse nicht steuern kann, heißt jedoch nicht, dass BlackRock keinen Einfluss auf die Unternehmen hätte. Im Gegenteil. Gerade, weil BlackRock durch die Bindung an den Index gezwungen ist, Anteile am Unternehmen zu halten, gehören die New Yorker zu den langfristig engagierten Aktionären. Aktionäre, deren Interessen der Vorstand besser berücksichtigt und die er besser nicht gegen sich aufbringt.
Auf den ersten Blick wirken Anteile von 3 oder 5 Prozent, die BlackRock typischerweise hält, nicht hoch. Was sind schon 61 365 875 Stimmrechte von 1 069 837 447 stimmberechtigten Aktien insgesamt? (Das war der von BlackRock gemeldete Anteil von 5,74 Prozent an Daimler an jenem Bafin-Vergleichsstichtag 2014.) Eine ganze Menge, wenn der Großteil der anderen Aktionäre weit weniger Stimmen auf sich vereinigen kann. Erfinden wir ein Start-up, das Gummi-Entchen herstellt. Das Eigentum ist in 20 Anteilscheine aufgeteilt. Sie gehören 17 Anteilseignern. 16 haben jeweils nur einen Anteil, die restlichen 4 gehören einem gewissen BR. Auch wenn BR mit 4 Anteilscheinen keineswegs die Mehrheit hat, ja nicht einmal ein Viertel, hat er doch mehr Scheine als jeder andere der restlichen Eigentümer. Angenommen BR möchte gerne, dass die Entchen schwarz gefärbt werden statt quietschgelb. Es steht zu vermuten, dass der Gummi-Entchen-Gründer zumindest über den Farbwechsel nachdenken wird.