Frank Uekötter
Im Strudel
Eine Umweltgeschichte der modernen Welt
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Vor 500 Jahren war der Eukalyptus ein in Australien heimischer Baum, der Dodo lebte friedlich auf einer Insel im indischen Ozean und Holz war das wichtigste Brennmaterial. Heute gibt es rund um den Globus Eukalyptusplantagen, der Dodo ist ausgestorben und die Welt verbraucht jeden Tag 95 Millionen Barrel Erdöl. Menschen und Materialien sind in nie gekanntem Umfang in Bewegung, die ökologischen Folgen unseres Lebensstils sind Schlüsselthemen der Weltpolitik. Doch nur wenigen Menschen ist klar, in welchem Ausmaß unser Reden und Handeln über Umweltfragen von der Vergangenheit geprägt ist. Die Krise der Gegenwart – Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben – versteht man aber erst dann wirklich, wenn man sie als Ergebnis einer langen, wechselvollen Geschichte begreift. Frank Uekötter verfolgt in dieser Umweltgeschichte der Moderne, wie sich ökologische Verwerfungen und Konflikte im Laufe der Jahrhunderte entwickelten. Er zeigt zudem die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren hinter den weltweiten Weichenstellungen auf, die von den reichen Gesellschaften des Westens geprägt wurden.
Vita
Frank Uekötter lehrt seit 2013 Geschichte und geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in Großbritannien. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur deutschen und internationalen Umweltgeschichte. Bei Campus erschien 2011 sein Buch »Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert«.
Prolog: Eine neue Geschichte für ein junges Jahrhundert
Wege durch das Buch
Teil 1: Grundbedürfnisse
Einleitung
Potosí — Reich an Metallen
Im Untergrund
Boomtowns
Hinterlassenschaften
Zucker — Die neue Landwirtschaft
Kleine Inseln, globale Netzwerke
Machtspiele
Das süße Leben
Der Canal du Midi — Die neue Mobilität
Transportfragen
Verbunden
In Bewegung
Nachhaltige Forstwirtschaft — Bäume und Mächte
Einen Wald besitzen
Eine Art Schadensabwicklung
Bäume ohne Förster
Abwracken in Chittagong — Überbleibsel
Resteverwertung
Das Müllgeschäft
Gewissensbisse
Teil 2: Aneignungen
Einleitung
Landbesitz — Ein Recht auf Land
Ordnung im Land
Agrarreformen
Allen Zweifeln zum Trotz
Die Brotfrucht — Entscheidungen über das Essen
Auf der Suche nach Innovationen
Nummernspiele
Raubtierfütterung
Guano — Das Geschäft mit der Bodenfruchtbarkeit
Fäkalien als Handelsgut
Farmers’ Little Helpers
Erschöpfungssymptome
Walfang — Maritime Ressourcen
Die Jagd nach Profit
Margarine aus dem Meer
Am Ende der Jagd
United Fruit — Großunternehmen
Vertikale Integration
Unruhe im Land
Mehr als ein Krake
Teil 3: Unumkehrbar
Einleitung
Der Dodo — Das Sterben der Arten
Naturgeschichte
Das sechste Mal
Vom Bewahren der Biodiversität
Der Baumwollkapselkäfer — Die Nemesis der Monokultur
King Cotton
Eine Frage der Größe
Kein Weg zurück
Providence Canyon — Erodierende Böden
Neuland
Die Retter des Landes
Wen kümmert Bodenerosion wirklich?
Bufo marinus — Einwanderungsfragen
Es war einmal eine gute Idee
Invasiv
Metamorphosen
Saudi-Arabien — Die Ressourcen der Staaten
Der größte Preis
Der richtige Preis
Der Preis des Öls
Teil 4: Die Macht der Technik
Einleitung
Smog in London — Im Zeitalter der Kohle
Großstadtprobleme
Der Staat in Aktion
Prioritäten
WC — Die Technologie der Hygiene
Sauberkeit
Systemfragen
Der Dreck der Städte
Die Schlachthöfe von Chicago — Fleisch als Industrieprodukt
Warenkette mit Tieren
Kettenreaktionen
Konsumenten in Ketten
Stickstoffdünger — Ackern mit Chemie
Das Trägheitsmoment der Technik
Viel hilft viel
Stoffkreisläufe
Die Klimaanlage — Die Atmosphäre kontrollieren
Klima als Manipulationsobjekt
Versiegelt
Körperliche Bedürfnisse
Zwischenspiel: Opium
Teil 5: Umbrüche
Einleitung
Cholera — Die Natur der Krankheit
Angst vor dem Kollaps
Suche nach Kontrolle
Krankheitswelten
Baedeker — Ratgeber für die Reise
Bücher für eine neue Zeit
Alle Macht den Büchern
Massen auf Reisen
Gandhi und das Salz — Die Welt verändern
Promis
Die Macht der Ideen
Alternative Projekte
Ein Treffen in Tokio — Internationale Konventionen
Diskussionen und Resolutionen
Buzzwords
Ernsthafte Versprechen
Das Erdbeben von Tangshan — Die Natur der Katastrophe
Erschütterungen
Im Krisenmodus
Die menschliche Dimension
Teil 6: Die letzten Reserven
Einleitung
Der Kruger-Nationalpark — Natur im Reservat
Die beste Idee
Im Zeitalter der Territorialität
Eine Form von Apartheid
Der Eukalyptusbaum — Das beste Holz
Wachstumsraten
Botanischer Austausch
Kampf der Giganten
Hybridmais — Die Macht der Züchtung
Das Manhattan-Projekt der Landwirtschaft
Rechtstitel
Geschäftsmodelle
Der Assuan-Staudamm — Die Kontrolle des Wassers
57 985 Shades of Grey
Hydraulische Macht
Pfadabhängigkeiten
Der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum — Die Erfahrung der Dependenz
Im Traum
In der Theorie
Mythenpflege
Teil 7: Das Katastrophenzeitalter
Einleitung
Holodomor — Hunger und Politik
Sowjetische Landwirtschaft
Der Hunger der Moderne
Schuldfragen
Die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe — Ein Kampf um Land
Marschbereit
Lebensraum
Entwicklung planen
Chemurgie — Die Geburt des Biokraftstoffs
Priester einer neuen Zeit
Märkte machen
Essen im Tank
Autobahn — Der Endsieg des Automobilismus
Kampf um die Straße
Eine Frage der Freiheit
Sackgassen
Die Kiefernwurzeln-Kampagne — Der totale Krieg
Nationale Mobilmachung
Mobilisierung der Wissenschaft
Landschaften des Krieges
Teil 8: Die Große Sklerose
Einleitung
Das Käfighuhn — Das industrialisierte Tier
Geschäftsideen
Der Preis der Freiheit
Befreiungsbewegungen
Glücklicher Drache Nr. 5 — Atome ohne Grenzen
Globale Kontamination
Nukleare Pläne
In der Luft
DDT — Aus einem Buch lernen
Wundermittel
Eine Frage der Demut
Verbannt in alle Ewigkeit
Torrey Canyon — Das Scheitern der Technik
Die Welt war Zeuge
Lernen aus der Katastrophe
Begrenzte Sichtbarkeit
Die Plastiktüte — Flüchtiger Konsum
Material der Moderne
Konsumentscheidungen
Dissipationen
Leben und Überleben im Strudel. Eine Schlussbemerkung
Die Große Externalisierung
Das Große Aussieben
Ein Patchwork namens Moderne
Historiographisches Nachwort I: Vom Vermessen eines Strudels
Umweltgeschichte auf einem komplizierten Planeten
Der Strom der Geschichte
Lernkurven: Die Erfahrung der Moderne
Kumulative Verstrickungen
Auf dem Weg zu einer Sozialgeschichte des ökologischen Lernens
Die Geschichte und ihre Öffentlichkeiten: Für eine ökologische Erinnerungskultur
Erinnerungsforschung ohne Grenzen
Ein Vorschlag zur Lektüre
Historiographisches Nachwort II: Die Qual der Wahl
Am Ende einer Odyssee
Anhang
Anmerkungen
Potosí: Reich an Metallen
Zucker: Die neue Landwirtschaft
Der Canal du Midi: Die neue Mobilität
Nachhaltige Forstwirtschaft: Bäume und Mächte
Abwracken in Chittagong: Überbleibsel
Einleitung zu Teil 2
Landbesitz: Ein Recht auf Land
Die Brotfrucht: Entscheidungen über das Essen
Guano: Das Geschäft mit der Bodenfruchtbarkeit
Walfang: Maritime Ressourcen
United Fruit: Großunternehmen
Einleitung zu Teil 3
Der Dodo: Das Sterben der Arten
Der Baumwollkapselkäfer: Die Nemesis der Monokultur
Providence Canyon: Erodierende Böden
Bufo marinus: Einwanderungsfragen
Saudi-Arabien: Die Ressourcen der Staaten
Einleitung zu Teil 4
Smog in London: Im Zeitalter der Kohle
WC: Die Technologie der Hygiene
Die Schlachthöfe von Chicago: Fleisch als Industrieprodukt
Stickstoffdünger: Ackern mit Chemie
Die Klimaanlage: Die Atmosphäre kontrollieren
Zwischenspiel: Opium
Einleitung zu Teil 5
Cholera: Die Natur der Krankheit
Baedeker: Ratgeber für die Reise
Gandhi und das Salz: Die Welt verändern
Ein Treffen in Tokio: Internationale Konventionen
Das Erdbeben von Tangshan: Die Natur der Katastrophe
Einleitung zu Teil 6
Der Kruger-Nationalpark: Natur im Reservat
Der Eukalyptusbaum: Das beste Holz
Hybridmais: Die Macht der Züchtung
Der Assuan-Staudamm: Die Kontrolle des Wassers
Der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum: Die Erfahrung der Dependenz
Einleitung zu Teil 7
Holodomor: Hunger und Politik
Die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe: Ein Kampf um Land
Chemurgie: Die Geburt des Biokraftstoffs
Autobahn: Der Endsieg des Automobilismus
Die Kiefernwurzeln-Kampagne: Der totale Krieg
Einleitung zu Teil 8
Das Käfighuhn: Das industrialisierte Tier
Glücklicher Drache Nr. 5: Atome ohne Grenzen
DDT: Aus einem Buch lernen
Torrey Canyon: Das Scheitern der Technik
Die Plastiktüte: Flüchtiger Konsum
Leben und Überleben im Strudel. Eine Schlussbemerkung
Historiographisches Nachwort I: Vom Vermessen eines Strudels
Historiographisches Nachwort II: Die Qual der Wahl
Bildquellenverzeichnis
Register
»If you know exactly what you are going to do, what is the point of doing it?«
Pablo Picasso
Geschichtsschreibung spiegelt stets die Erfahrungen ihrer Zeit, und Synthesen werden in besonderem Maße vom Strom der Ereignisse beeinflusst. Zu den Erfahrungen, die das vorliegende Buch geprägt haben, gehört zum Ersten ein Bündel von Entwicklungen, das heute üblicherweise als Globalisierung bezeichnet wird. Ein welthistorisches Projekt bedarf keiner langen Begründung in einer Zeit, in der die Welt intensiver und auf ganz unterschiedliche Weisen vernetzt ist als je zuvor. Glücklicherweise gab es in den vergangenen 20 Jahren auch einen Boom einschlägiger Forschungen und besonders einen Aufschwung wissenschaftlicher Studien, die sich mit Umweltproblemen jenseits der westlichen Welt beschäftigen. Die Zeiten sind vorbei, in denen eine Weltgeschichte von Europa oder Nordamerika ausgehen musste, weil der Stand der Forschung nichts anderes erlaubte.
Zum Zweiten haben wir in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, dass der Zustand unseres Planeten Anlass zu großer Sorge gibt. Es fehlt nicht an Erfolgen bei bestimmten Themen und an bestimmten Orten, aber die Gesamttendenz im Wechselspiel zwischen den Menschen und ihren natürlichen Umwelten ist offenkundig negativ. Anthropogener Klimawandel, Verlust biologischer Vielfalt, Verschmutzung, Ressourcenprobleme – wir kennen den ökologischen Preis der globalen Modernität in großer Detailfülle und mit mehr Gewissheit als jemals zuvor. Wir wissen auch, dass sich die Probleme auf absehbare Zeit nicht von selbst lösen werden. Jeder weiß, dass ökologische Herausforderungen zu den Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts gehören.
Keiner dieser beiden Aspekte ist grundsätzlich neu. Das Gewicht der ökologischen Krise und die globale Vernetzung der Probleme haben Umwelthistoriker seit den 1970er Jahren beschäftigt und angetrieben. Sie haben auch in Joachim Radkaus Natur und Macht und John McNeills Something New under the Sun ihren Niederschlag gefunden, den beiden großen Weltumweltgeschichten, die passenderweise im Jahr 2000 zum Beginn eines neuen Jahrtausends erschienen. Ich bin dieser Tradition zu großem Dank verpflichtet – zweifellos mehr, als die Fußnoten dokumentieren –, aber dieses Buch geht noch von einer dritten Erfahrung aus, die einen Bruch mit einem wesentlichen Teil der bisherigen Forschung markiert. Ökologische Herausforderungen sehen im 21. Jahrhundert anders aus als die Probleme, über die frühere Generationen von Forschern und Aktivisten schrieben.
Als sich die heutige Umweltbewegung in den 1970er Jahren konstituierte und Wissenschaftler sich neu orientierten (darunter mit professionstypischer Verspätung auch die Historiker), standen meist die unbeabsichtigten Folgen des technisch-industriellen Fortschritts im Mittelpunkt. Das muss man den Zeitgenossen nicht rückblickend zum Vorwurf machen. Ich habe selbst in den 1990er Jahren meine Doktorarbeit über ein solches Folgeproblem – die Luftverschmutzung in deutschen und amerikanischen Städten – geschrieben. Aber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte und speziell der Art und Weise, wie sich klassische Umweltprobleme mit Ernährungs- und Ressourcenkrisen verquickt haben, scheint es geboten, ökologische Themen als Teil des Gesamtprozesses der Ressourcenallokation in seiner ganzen Komplexität zu diskutieren. Das ist kein ganz neuer Gedanke. Es ist eine Rückkehr zu einem breiteren Verständnis von Umweltgeschichte, das sich in umwelthistorischen Darstellungen avant la lettre wie etwa Fernand Braudels Werk über das Mittelmeer und die mediterrane Welt zur Zeit Philipps II. niedergeschlagen hat, in dem Braudel im weiten Ausgriff auch die natürliche Umwelt in den Blick nahm. In diesem Buch geht es um viel mehr als um Nebenfolgen. Es geht um das Leben und Überleben auf einem kleinen und ziemlich komplizierten Planeten.
Ökologische Herausforderungen sind im neuen Jahrtausend nicht nur größer, sondern auch schwerer zu verstehen als in früheren Zeiten. Akteure, Nationalstaaten, Prioritäten, sogar die Definition von Problemen – Kategorien, die vor einer Generation noch selbstverständlich waren, sind heute unscharf und Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es gibt im globalen 21. Jahrhundert augenscheinlich keinen Weg zurück zu einem gemeinsamen Verständnis ökologischer Herausforderungen. Mehr noch: Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass die Vorstellung eines weltumspannenden Konsenses stets mehr Wunsch als Realität war – und dass sich dahinter eine kulturelle Hegemonie des Westens verbarg, die inzwischen unwiederbringlich der Vergangenheit angehört. In einem globalen Zeitalter müssen wir eine Umweltgeschichte der modernen Welt gleichermaßen vom Standpunkt des industrialisierten Westens und des Globalen Südens schreiben, des Politikers und des Konsumenten, des Experten und des Laien, des Stadtbewohners und des Landwirts und so weiter.
All dies bedeutet, dass eine Umweltgeschichte der modernen Welt im 21. Jahrhundert sowohl dringlicher wie auch komplizierter ist als je zuvor. Manche Autoren haben – nicht zuletzt unter dem Einfluss der Anthropozän-These – den Versuch unternommen, diese Komplexität unter Rückgriff auf die vermeintlich unerschütterlichen Ergebnisse der Naturwissenschaften zu umgehen und Kategorien einfach zu setzen, aber ein solches Unterfangen ist letztlich zum Scheitern verurteilt: Es gibt in unserer Zeit keinen archimedischen Punkt mehr. Dieses Buch verfolgt deshalb einen anderen Weg, indem es die Komplexität selbst zum Gegenstand der historischen Analyse erhebt. Es verfolgt, wie sich Ambivalenzen, Verwerfungen und Konflikte im Laufe der Zeit entwickelten und wie diese jeweils in materiellen Interessen, Artefakten, Machtbeziehungen, Institutionen und kulturellen Topoi verankert waren. Komplexität fiel nicht einfach vom Himmel. Sie entstand in konkreten Zusammenhängen mit realen Menschen auf eine Weise, die man historisch und vielleicht auch nur historisch verstehen kann.
Eine solche Geschichte bietet mehr Überraschungen und auch mehr Irritationen als vergleichbare Darstellungen, aber sie hat nicht nur historiographische Meriten. Wir gewinnen auf diesem Weg auch einen neuen Blick auf die ökologische Debatte der Gegenwart. Wenigen Menschen ist klar, in welchem Ausmaß unser Reden und Handeln über Umweltfragen von der Vergangenheit geprägt ist: Was auf den ersten Blick ein geschichtsfreier Raum zu sein scheint, in dem sich Politiker und Naturwissenschaftler nach Lust und Laune austoben können, ist in Wirklichkeit ein Feld voller historischer Traditionen, die vor allem deshalb wirkmächtig sind, weil sie nur selten als solche erkannt werden. Dabei ist von vornherein zu betonen, dass die Vielfalt der Sichtweisen nicht auf ein postmodernes anything goes hinausläuft. Tatsächlich läuft es auf das genaue Gegenteil hinaus. In einem Zeitalter, in dem sich ganz verschiedene, zum Teil jahrhundertealte Traditionen zu einem globalen Netz versponnen haben, das fest in Technologien, Materialitäten, politischen Entscheidungen und kulturellen Deutungsmustern verwurzelt ist, gibt es nicht mehr viele Dinge, die einfach »gehen«.
Die methodischen Prämissen dieses Buches werden in einem historiographischen Nachwort vertieft, das den Freunden der Geschichtstheorie eine Menge Futter bieten wird. Hier mag die Feststellung genügen, dass es sich um eine neue Art von Geschichtsschreibung handelt, in dem sich Menschen und andere historische Akteure in einem mächtigen Strom der Geschichte wiederfinden – genauer gesagt einem Strudel –, der gängige Vorstellungen von Kausalität und Handlungsmacht fraglich werden lässt. In diesem Buch ist die Umweltgeschichte moderner Gesellschaften auch ein Prozess, in dem Menschen immer wieder an Grenzen gerieten: materiell, technisch, institutionell, kulturell. Wenn man die Moderne als gigantischen Strudel versteht, der gleichermaßen Menschen, Massen, Technologien und Umwelten umfasst, entsteht eine neue, dynamische Form der Geschichtsschreibung, vor allem dann, wenn man diesen Strudel nicht nur aus der Vogelperspektive betrachtet. Für jene, die im Strudel gefangen sind, geht es darum, wie die Dinge in Bewegung kommen, wie sich Wesen und Formen der Dinge verändern, wie sich plötzlich neue Arrangements ergeben und wie Menschen der Macht der Naturgewalten ausgesetzt sind oder sich jedenfalls so fühlen. Die folgenden Seiten führen den Leser deshalb mehr als einmal auf eine ziemlich turbulente Reise, und das mit voller Absicht. Dieses Buch entstand auch aus einer Unzufriedenheit mit Weltgeschichten, die einen Geist von Ordnung verströmen.
Dieses Buch ist deshalb ein subversives Projekt. Es fordert sogar die Grundordnung jedes Buches heraus: die Kapitelstruktur. Das Inhaltsverzeichnis enthält eine Reihenfolge der Kapitel, aber das ist eigentlich nur ein Tribut an die legitimen Wünsche der Druckerei, die wissen wollte, wie die Seiten vor dem Binden sortiert werden sollten. Jeder Leser ist hiermit aufgefordert, die vorgegebene Struktur zu unterwandern und einem der folgenden Wege durch das Buch zu folgen. Diese Wege betonen unterschiedliche Gesichtspunkte, Herausforderungen, Themen oder Naturräume und geben dem Leser damit die Möglichkeit, im Lichte der eigenen Interessen zu lesen. Bei aller Vielfalt der Themen, Orte, Zeiten und Perspektiven vermitteln sämtliche Kapitel einen Eindruck von der Dynamik, den Wechselwirkungen und den zahlreichen reversiblen und irreversiblen Entscheidungen, die Menschen getroffen haben, während der Strom der modernen Geschichte sich in einen Strudel verwandelte. Die Erfahrungen der Menschen im Strudel sind nie homogen gewesen und werden das auch nie sein. Das Gleiche sollte für die Erfahrungen der Leser dieses Buches gelten.
Normalerweise weiß man bei einem Umweltbuch nach ein paar Seiten, wer die Guten und wer die Bösen sind. Solche Gewissheiten bietet dieser Band genauso wenig wie eines der gängigen Horrorszenarien. Die Apokalypse dominiert die ökologische Imagination in westlichen Gesellschaften, aber das wahrscheinlichere Szenario ist, dass sich zahlreiche kleine und mittelgroße Probleme in den kommenden Jahrzehnten wechselseitig aufschaukeln werden. Ohnehin zerfließt im Folgenden auch die Grenze zwischen Problemen und Lösungen, denn einige unserer größten Erfolge sind mit hartnäckigen Herausforderungen aufs Engste verbunden. In diesem Buch ist das »Projekt der Moderne« das kumulative Ergebnis ganz unterschiedlicher Bauunternehmen mit verschiedenen Plänen, die nicht unbedingt voneinander wussten. Viele Lernkurven führten von der Euphorie zur Aporie, und sie haben uns mit Unsicherheiten und ungelösten Spannungen zurückgelassen, die wir auf eigenes Risiko ignorieren.
All das bedeutet gewiss nicht, dass wir nun ökologisch gesehen in einer Welt jenseits von Gut und Böse leben. Ganz im Gegenteil tritt die Notwendigkeit ethischer Reflexion in den folgenden Seiten eher noch stärker hervor. Es gibt mehr als einen Weg, in einem Strudel über Wasser zu bleiben, aber es ist selten eine gute Idee, sich einfach treiben zu lassen. Es geht eher darum, dass wir heute aus schmerzlicher Erfahrung wissen, dass es von guten Absichten zu guten Ergebnissen ein langer Weg ist. Dieses Buch ist eine Weltgeschichte für ein Zeitalter, in dem die Dinge irgendwie nicht zusammenfinden – in dem wir wissen, was kommt, in dem wir über jede Menge Erfahrung und technische und andere Mittel verfügen, aber irgendwie nicht die Kurve kriegen. Das bedeutet nicht, dass uns der Strudel unweigerlich verschlingen wird. Aber wir werden es nicht schaffen, uns mit der Dynamik der modernen Welt zu arrangieren, wenn wir uns nicht mit dem Weg oder vielmehr den vielen Wegen auseinandersetzen, die uns zu diesem Punkt gebracht haben.
Der Weg der Landwirtschaft: Zucker, Landbesitz, die Brotfrucht, Guano, United Fruit, der Baumwollkapselkäfer, Providence Canyon, Bufo marinus, die Schlachthöfe von Chicago, Stickstoffdünger, Opium, Hybridmais, der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum, Holodomor, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, Chemurgie, das Käfighuhn, DDT.
Der Weg der Industrie: Potosí, Abwracken in Chittagong, Guano, Walfang, United Fruit, Saudi-Arabien, Smog in London, die Schlachthöfe von Chicago, Stickstoffdünger, die Klimaanlage, Hybridmais, der Assuan-Staudamm, Chemurgie, die Kiefernwurzeln-Kampagne, das Käfighuhn, Glücklicher Drache Nr. 5, DDT, Torrey Canyon, die Plastiktüte.
Der Waldweg: Nachhaltige Forstwirtschaft, die Brotfrucht, der Kruger-Nationalpark, der Eukalyptusbaum, der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum, die Kiefernwurzeln-Kampagne.
Der Weg des Bergbaus: Potosí, Guano, Saudi-Arabien, Smog in London.
Der Weg der Tiere: Guano, Walfang, der Dodo, der Baumwollkapselkäfer, Bufo marinus, die Schlachthöfe von Chicago, der Kruger-Nationalpark, das Käfighuhn, DDT.
Der Weg der Infrastrukturen: Der Canal du Midi, WC, die Schlachthöfe von Chicago, die Klimaanlage, Cholera, der Assuan-Staudamm, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, Autobahn, Torrey Canyon.
Der Weg der Energie: Zucker, Nachhaltige Forstwirtschaft, die Brotfrucht, Walfang, Saudi-Arabien, Smog in London, Stickstoffdünger, die Klimaanlage, Opium, der Assuan-Staudamm, Chemurgie, Autobahn, die Kiefernwurzeln-Kampagne, Glücklicher Drache Nr. 5, Torrey Canyon, die Plastiktüte.
Der Weg der Verschmutzung: Potosí, Abwracken in Chittagong, Smog in London, WC, Stickstoffdünger, Cholera, ein Treffen in Tokio, Glücklicher Drache Nr. 5, DDT, Torrey Canyon, die Plastiktüte.
Der koloniale Weg: Potosí, Zucker, Nachhaltige Forstwirtschaft, Abwracken in Chittagong, Landbesitz, die Brotfrucht, Guano, Walfang, United Fruit, der Dodo, der Baumwollkapselkäfer, Bufo marinus, Saudi-Arabien, Opium, Gandhi und das Salz, ein Treffen in Tokio, der Kruger-Nationalpark, der Eukalyptusbaum, der Assuan-Staudamm, der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum, Holodomor, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, DDT, Torrey Canyon, die Plastiktüte.
Der Wasserweg: Der Canal du Midi, Abwracken in Chittagong, Guano, Walfang, WC, Cholera, der Assuan-Staudamm, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, Torrey Canyon, die Plastiktüte.
Der Weg der Chemie: Potosí, Guano, Walfang, Stickstoffdünger, Opium, Chemurgie, die Kiefernwurzeln-Kampagne, DDT, die Plastiktüte.
Botanischer Austausch: Zucker, die Brotfrucht, der Baumwollkapselkäfer, Bufo marinus, der Eukalyptusbaum, Hybridmais.
Von der Bildung der Staaten: Potosí, Zucker, der Canal du Midi, Nachhaltige Forstwirtschaft, Landbesitz, Walfang, United Fruit, Saudi-Arabien, Smog in London, Opium, Gandhi und das Salz, ein Treffen in Tokio, das Erdbeben von Tangshan, der Kruger-Nationalpark, der Assuan-Staudamm, der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum, Holodomor, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, Chemurgie, Autobahn, die Kiefernwurzeln-Kampagne, das Käfighuhn, Glücklicher Drache Nr. 5, DDT, Torrey Canyon.
Der Weg der Professionen: Nachhaltige Forstwirtschaft, die Brotfrucht, Guano, der Dodo, der Baumwollkapselkäfer, Providence Canyon, Bufo marinus, Stickstoffdünger, die Klimaanlage, Cholera, Baedeker, der Eukalyptusbaum, Hybridmais, der Assuan-Staudamm, Chemurgie, DDT, Torrey Canyon.
Grundlagen der Volkswirtschaftslehre: Potosí, Zucker, der Canal du Midi, Abwracken in Chittagong, Walfang, United Fruit, Saudi-Arabien, die Schlachthöfe von Chicago, der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum, das Käfighuhn.
Entwicklungspfade: Der Canal du Midi, Guano, United Fruit, Saudi-Arabien, der Eukalyptusbaum, Hybridmais, der Assuan-Staudamm, der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, DDT.
Der Weg der Fleischfresser: Guano, Walfang, der Dodo, Bufo marinus, die Schlachthöfe von Chicago, Gandhi und das Salz, das Käfighuhn.
Der Katastrophenweg: Der Baumwollkapselkäfer, Providence Canyon, Bufo marinus, Smog in London, Cholera, das Erdbeben von Tangshan, Holodomor, Glücklicher Drache Nr. 5.
Der Weg des Krieges: Potosí, Zucker, der Canal du Midi, Walfang, United Fruit, der Baumwollkapselkäfer, Stickstoffdünger, Opium, Cholera, das Erdbeben von Tangshan, Holodomor, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, Autobahn, die Kiefernwurzeln-Kampagne, Glücklicher Drache Nr. 5, DDT.
Der Weg der Mobilität: Der Canal du Midi, Walfang, Bufo marinus, WC, die Schlachthöfe von Chicago, Cholera, Baedeker, der Assuan-Staudamm, Chemurgie, Autobahn, die Kiefernwurzeln-Kampagne, Torrey Canyon, die Plastiktüte.
Der Weg in die moderne Stadt: Potosí, Abwracken in Chittagong, Smog in London, WC, die Schlachthöfe von Chicago, die Klimaanlage, Cholera, Baedeker, das Erdbeben von Tangshan, der Assuan-Staudamm, Autobahn.
Der Weg der großen Männer: Der Canal du Midi, Nachhaltige Forstwirtschaft, die Brotfrucht, United Fruit, Stickstoffdünger, Baedeker, Gandhi und das Salz, ein Treffen in Tokio, Hybridmais, der Assuan-Staudamm, Holodomor, die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, Chemurgie, Autobahn, das Käfighuhn, DDT.