KunstKrimis – ungelöste Fälle der Kunstgeschichte

Die Kunstgeschichte ist voller ungelöster Fälle: In dieser Reihe kurzweiliger (und wissenschaftlich fundierter) Geschichten zwischen Kunst und Forensik werden ausgewählte Arbeiten gründlich untersucht. Alle gesammelten Indizien (darunter Zitate von Zeitzeugen) können zusammen mit den Teilnehmern ausgewertet werden.

Die Projektreihe

Die KunstKrimis haben 2020 als Präsenz-Veranstaltungen begonnen und ähneln in diesem Format klassischeren Vorträgen mit Diskussion. Ab 2021 ermöglicht die digitale Erweiterung des Projekts durch multimediale Fernkurse und elektronische Manuskripte eine andere Qualität der Interaktion.
Im neuen Online-/Offline-Format können sich die Zuschauer auf Wunsch aktiv an der Ermittlung beteiligen, indem sie alle vorhandenen Beweise (Bilder, Texte usw.) im Vorfeld analysieren; am Kurstermin findet dann eine Kurzdarstellung aller Fakten durch die Moderatorin, ein ausgiebiger Austausch mit dem Publikum und die gemeinsame Auflösung des Falls statt. Vorbereitend zum Termin, an dem den Theorien der Teilnehmer größtmöglichen Platz gemacht wird, kann das komplette Beweismaterial in Form des vorliegenden, illustrierten eBooks (auch unabhängig vom Kurs) erworben und vorab gesichtet werden. Wer auf das optionale Manuskript verzichten möchte, kann mithilfe eines schriftlichen Informationsblatts die verschiedenen Indizien in einer Art Schnitzeljagd selbst sammeln.

• links: Sandro Botticelli: Weibliches Idealbildnis, Mischtechnik auf Holz (ca. 1480) SMF • rechts: Leonardo da Vinci: sog. Mona Lisa, Malerei auf Holz (ca. 1503-1519) RMN •

Eine Übersicht aller bisher verfügbaren KunstKrimi-Fälle und sämtlicher geplanten Termine nach dem aktuellsten Stand ist auf der Projektseite abrufbar: www.kunstco.de/krimi-gialli.html. Die Anmeldung zu jeder Veranstaltung erfolgt über die jeweils angegebenen Organisationen. Bitte beachten Sie bei Interesse für die Alten Meister weitere Projekte der Referentin zur italienischen Kunst: Renaissance in Florenz, Leonardo da Vinci, Raffael. Zum Thema von Judith und Holofernes erscheint übrigens noch ein eBook der Autorin.

Ein Blick hinter die Kulissen

Mit den KunstKrimis legt Dr. Donatella Chiancone-Schneider auf spielerische Art die Mittel der kunsthistorischen Forschung offen. Jede fundierte Recherche beginnt mit einer neuen oder noch unverbrauchten Frage, die mit verschiedenen bewährten Werkzeugen beantwortet werden soll. Bei der Kunst steht die Auseinandersetzung mit den Originalen oder wenigstens optimalen Reproduktionen der betroffenen Kunstwerke ganz klar im Vordergrund. Darüber hinaus kommt jede Menge seriöse Literatur in Frage: wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema (die sogenannte Sekundärliteratur: kunsthistorische, historische u.a. Sachbücher) und – wenn vorhanden – unbedingt Texte aus erster Hand (die sog. Quellen oder Primärliteratur: z.B. Schriften der Künstler selbst oder ihrer Zeitgenossen). Bei der Kunst- und Kulturgeschichte handelt es sich naturgemäß nicht um eine exakte Wissenschaft, sondern um eine geisteswissenschaftliche Angelegenheit, dennoch helfen manchmal Methoden aus den Naturwissenschaften z.B. bei der Bestimmung und Datierung von eingesetzten Materialien, was Rückschlüsse auf die Urheberschaft oder Entstehungszeit eines Werks erlauben kann.

• links: Leonardo da Vinci: sog. Mona Lisa, Malerei auf Holz (o.J.) RMN • mittig und rechts: Donatella Chiancone-Schneider: Reconstructing Mona Lisa, analoge Zeichnungen, digital bearbeitet (2020-2021) •

Diese akribische Recherche, die Spezialisten bezüglich einer eng umrissenen Frage mehrere Jahre (wenn nicht Jahrzehnte) beschäftigen kann, wird in der KunstKrimi-Reihe stark komprimiert, indem ein großer Teil der Vorarbeit vorausgesetzt wird und für jeden Fall nur wenige ausgewählte Dokumente präsentiert werden. Hier setzt die freiwillige Beteiligung der interessierten Kunst-Detektive an: Diese können die relevantesten Indizien dank der Publikationen aus diesem Projekt vorab studieren. Dazu zählen u.a. Aussagen der Künstler selbst und ihrer Zeitgenossen (welche als Zeugen behandelt werden) und sogar die Mittel der modernen Forensik, die manchmal zur Aufklärung eines Kunstwerks tatsächlich eingesetzt werden.
Historische und aktuelle Elemente werden also kombiniert, um möglichst tragfähige Lösungen zu formulieren. Manchmal kann auch so keine endgültige Aussage getroffen werden, weil entscheidende Indizien noch fehlen; da öffnet sich der Raum für Interpretationen, die mehr oder weniger begründet sein können. Ein wenig Intuition kann dabei helfen, wenn man sich konsequent einer wissenschaftlichen Methode bedient und Unsachliches bewusst vermeidet. Vielleicht wird bei solchen ungelösten Fällen irgendwann doch ein ergänzendes Puzzle-Stück noch auftauchen und den Stand der Kenntnisse vervollständigen. Solange werden wir uns im Rahmen des KunstKrimi-Projekts aufgrund der vorhandenen Indizien austauschen und vielleicht aufregende neue Erkenntnisse erlangen, die so in noch keinem Kunstgeschichtsbuch stehen.

Der falsche Caravaggio

Blut fließt reichlich in diesem Krimi, aber es geht nicht darum, den Mörder zu finden, sondern den Maler… oder war es eine Malerin? Diesmal beschäftigen wir uns mit der umstrittenen Zuschreibung eines Kunstwerks an Caravaggio und verfolgen dieses wundersam wieder aufgetauchte Gemälde über mehrere Stationen von dessen Entstehung bis zu einer merkwürdigen Auktion, nach der sich dessen Spuren erneut verlieren.

Judith und Holofernes auf Messers Schneide

Toulouse, 2014: im Dachboden eines Landhauses wird bei Renovierungsarbeiten ein altes Gemälde in einer Art Doppelwand entdeckt. Erste Spezialisten erkennen die identische Komposition einer seit Jahrzehnten bekannten Kopie von Louis Finson nach Caravaggio (Judith und Holofernes, Sammlung der Banca Intesa Sanpaolo, Palazzo Zevallos, Neapel) und schreiben das „neue” Werk aufgrund der höheren Qualität dem Meister zu. Um die überraschende Auffindung des potenziellen verlorenen Originals zu bestätigen, das vorläufig auf über 1o0 Millionen Euro geschätzt wird, werden entsprechende Reinigungsarbeiten und wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Die Leinwand hat übrigens kurz nach dem Sensationsfund Besitzer gewechselt und gehört nun Eric Turquin, einem französischen Experten und Gutachter mit vierziegjähriger Erfahrung im internationalen Auktionswesen, der sofort die Echtheit des Kunstwerks verbreite und dieses in Zusammenarbeit mit der Toulouser Firma Labarbe weiterverkaufen möchte. Erst 2016 wird die Leinwand der Öffentlichkeit vorgestellt: Inzwischen hat das Musée du Louvre mit Vorbehalt Interesse bekundet, das Gemälde zu erwerben, und der französische Staat Vorzugsrecht beansprucht und eine 30-monatige Ausfuhrsperre über den „nationale Schatz” verhängt.

• Caravaggio/Umkreis (zugeschrieben): Judith und Holofernes, Malerei auf Leinwand (um 1607) Privatbesitz, Foto: Copyright Eric Turquin •

In der Zwischenzeit besprechen Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Kunsthändler und weitere Caravaggio-Interessierte die Angelegenheit ausgiebig in Artikeln, Interviews, Essays und Fachtagungen; dabei zeichnen sich ab sofort drei Lager ab: überzeugte Zuschreibungen an den Meister, ambivalente Äußerungen und differenzierte Ablehnungen der Echtheit des Gemäldes. Zwischen 2018-2019 wird dieses einer weiteren Restaurierung und einer ausführlichen Untersuchung mittels bildgebender Verfahren unterzogen: Das ganze Arsenal der modernen Kunstforensik wird bemüht, von der Makro-, Röntgen- und Ultraviolettfotografie über die Infrarot-Reflektographie bis zur Röntgen-Fluoreszenz. Nach Ablauf der zweieinhalbjährigen Bedenkzeit und zahlreichen kunstkritischen Einschätzungen mit widersprüchlichen Ergebnissen nimmt das Pariser Museum Abstand vom ursprünglichen Vorhaben und wird das Gemälde zum Verkauf auch ins Ausland freigegeben.

• Caravaggio: Die Musiker, Öl auf Leinwand (1597) MMA  •

Die von einer opulenten Werbung vorbereiteten und von einer internationalen Ausstellungstournee eingeführte Auktion (Schätzwert: 150 Millionen Dollar) wird sehr kurzfristig vor dem geplanten Termin (27.6.2019) abgesagt und das Kunstwerk wird von einem unbekannten Sammler (am 25.6.2019) erworben, der dem Auktionshaus Labarbe ein „unwiderstehliches Angebot” oberhalb des Startwerts von 30 Millionen Euro unterbreitet habe. Die Identität des Privatkäufers (nicht aber die vereinbarte Summe) wird erst in den folgenden Tagen verraten: Es handelt sich um J. Tomilson Hill, Millionär, früheren stellvertretenden Vorsitzenden einer Vermögensverwaltungsfirma, Kunstsammler, Inhaber eines eigenen Museums und Mitglied des Vorstands des Metropolitan Museum of Art, weswegen prompt darüber spekuliert wird, dass die New Yorker Institution eventuell das Werk übernehmen wolle, da sie ohnehin bereits drei eigenhändige Arbeiten von Caravaggio besitzt. Nur, dass man im Fall des wiederentdeckten Gemäldes immer noch nicht weiß, ob das ein Original ist...

Übersicht der Indizien

Vorbereitend auf die Auflösung des Caravaggio-Falls im Rahmen eines Präsenz- oder Online-Termins (mehr Infos hier