Martina und Jörg Peters
Basistexte
Meiner
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eISBN (ePub) 978-3-7873-4101-6
eISBN (PDF) 978-3-7873-4100-9
2., überarbeitete Auflage
www.meiner.de
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Hinführung
Martina Peters, Jörg Peters
Der »Selber-denken«-Ansatz
Immanuel Kant
Der »Nach-denken«-Ansatz
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Der dialogisch-pragmatische Ansatz
Ekkehard Martens
Der bildungstheoretisch-identitätstheoretische Ansatz
Wulff D. Rehfus
Der transformative Ansatz
Johannes Rohbeck
Der dialektische Ansatz
Roland W. Henke
Der Sokratisch zentrierte Ansatz
Gisela Raupach-Strey
Der kulturtechnische Ansatz
Ekkehard Martens
Der literarische Ansatz
Johannes Rohbeck
Der kompetenzorientierte Ansatz
Anita Rösch
Der bildungstheoretische Ansatz
Volker Steenblock
Der kanonische Ansatz
Vanessa Albus
Der problemorientierte Ansatz
Markus Tiedemann
Der wissenschaftsorientierte Ansatz
Bettina Bussmann
Der experimentelle Ansatz
Markus Bohlmann
Der narrative Ansatz
René Torkler
Quellennachweise
Auswahlbibliographie
Praxis Philosophie & Ethik (2015 – 2021)
Thematische Schwerpunkte der Zeitschrift Ethik & Unterricht (1990 – 2018)
Thematische Schwerpunkte der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik (1979 – 2018)
Verzeichnis der Jahrbücher für Didaktik der Philosophie und Ethik (2010 – 2018)
Es ist erst zwei Jahre her, dass die Basistexte der Modernen Philosophiedidaktik erschienen sind. Wir waren als Herausgeber sehr überrascht, als der Meiner Verlag uns mitteilte, dass bereits eine zweite Auflage in Planung sei. Natürlich haben wir uns über diese Nachricht gefreut, weil sie zeigte, dass sowohl das Buch als auch unser Bemühen gut angenommen worden sind, alle gängigen philosophiedidaktischen Ansätze an einem Ort zu versammeln und dadurch eine Lücke im Rahmen der philosophiedidaktischen Publikationen zu schließen. Es war und ist unser Anliegen, dass Studierende, Referendarinnen und Referendare, aber auch Lehrerinnen und Lehrer sowie anderweitig philosophiedidaktisch Interessierte mit diesem Buch eine Orientierung über die Vielfalt der modernen philosophiedidaktischen Debatte erhalten.
Für diese zweite Auflage wurden zwei Änderungen vorgenommen: Der Aufsatz »Der experimentelle Ansatz« wurde mit Zustimmung des Autors Markus Bohlmann gegen eine ältere Version von ihm ausgetauscht, in der die Grundlagen des Ansatzes klarer und daher für (noch) Unkundige verständlicher dargelegt werden.
Der Beitrag von Maria Muck zum narrativen Ansatz wurde durch den von René Torkler eigens für diesen Band verfassten Beitrag ersetzt. Torkler macht in seinem Aufsatz deutlich, welche besondere Rolle insbesondere Literatur in den Prozessen ethischer Bildung haben kann. Darüber hinaus zeigt er, wie durch den Einsatz narrativer Medien ethische Bildung befördert werden kann.
Hünxe im Mai 2021
Martina und Jörg Peters
Philosophiedidaktik steht momentan hoch im Kurs. In letzter Zeit häufen sich in diesem Bereich Publikationen in einem Maße, dass es kaum mehr möglich ist, einen Überblick zu behalten. Aus diesem Grund wird mit dem vorliegenden Buch der Versuch unternommen, Orientierung zu bieten, indem eine Fokussierung auf die zentralen und aktuellen Ansätze der Philosophiedidaktik geboten wird.
Bis vor ein paar Jahren hatte man im Grunde nur die Möglichkeit, sich zwischen zwei philosophiedidaktischen Alternativen zu positionieren, denn die dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik von Ekkehard Martens und die bildungs- und identitätstheoretische Philosophiedidaktik von Wulff D. Rehfus beherrschten maßgeblich die Szenerie.1 Auch heute, (fast) vierzig Jahre nach dem Beginn der didaktischen Kontroverse kennen noch nahezu alle Lehramtsstudierenden des Faches Philosophie die sogenannte Martens-Rehfus-Debatte. In dieser Auseinandersetzung geht es schwerpunktmäßig um die Frage, was der Philosophieunterricht eigentlich leisten soll. Soll er Schülerinnen und Schüler zum (selber) Philosophieren animieren (Martens) oder soll in ihm das Erlernen von Philosophie (Rehfus) im Zentrum stehen?
Zwar hat sich seit dieser Debatte die auf die Unterrichtspraxis bezogene Philosophiedidaktik nicht grundlegend erneuert, aber immerhin hat sie sich seit der Zeit der Millenniumswende mannigfach erweitert. Ein nicht ganz unwesentlicher Grund für diese Ausweitung dürfte in der Einführung des Faches Praktische Philosophie in Nordrhein-Westfalen zu suchen sein. 1996 entschied sich das Bundesland, einen Schulversuch in einem philosophisch geprägten Fach in der Sekundarstufe I durchzuführen. Der Schulversuch begann 1997 und mündete 20032 in das reguläre Unterrichtsfach Praktische Philosophie.3 Mit der Einrichtung dieses Faches, das an allen Schulformen – mit Ausnahme der Primarstufe – nach demselben Kernlehrplan unterrichtet wird,4 war es auf einmal unumgänglich, neue Methoden für den philosophischen Unterricht mit Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis sechzehn Jahren zu entwickeln. Die altbekannten Arbeitsweisen waren nämlich nur auf Oberstufenschülerinnen und -schüler bzw. Studierende zugeschnitten.
Es wurde schnell evident, dass sich die neuen Methoden nicht nur für den Unterricht in der Sekundarstufe I eigneten, sondern auch Potenzial für den Unterricht in der Sekundarstufe II aufwiesen. Das auf einmal für beide Sekundarstufen stark erweiterte Methodenspektrum verlangte nach einer didaktischen Legitimation. Es galt zu begründen, inwieweit die modernen Vorgehensweisen einen Beitrag dazu leisteten, Kindern und Jugendlichen philosophisches Denken, aber auch philosophische Ideen, Konzepte oder Theorien näherzubringen. Aus der Auseinandersetzung mit diesen Fragen entstanden im Laufe der Zeit unterschiedliche didaktische Ansätze, die sich heute für einen zeitgemäßen Philosophieunterricht als unentbehrlich erweisen und folglich nicht mehr wegzudenken sind.
Die für diesen Band ausgewählten Aufsätze bzw. Auszüge aus Monographien sind allesamt – wie dem Titel des Buches zu entnehmen ist – Basistexte der modernen Philosophiedidaktik. Um das Konzept des Bandes zu verstehen, ist es sinnvoll, den Titel genau unter die Lupe zu nehmen und seine Bestandteile näher zu erläutern. Neben den Begriffen »modern«, »Philosophiedidaktik« und »Basistext« soll auch der Terminus »Ansatz« kurz umrissen werden, weil er für die Philosophiedidaktik eine wesentliche Rolle spielt.
»Modern« bezieht sich im vorliegenden Fall nicht auf das, was in der Philosophie unter Moderne verstanden wird, und damit auch nicht auf Aufklärung und Emanzipation.5 Vielmehr ist der Begriff ganz profan aufzufassen, denn er soll hier hauptsächlich den Zeitraum der philosophiedidaktischen Ansätze kennzeichnen, die im Anschluss an die Martens-Rehfus-Debatte bis heute publiziert worden sind. Wenn darauf hingewiesen wird, dass es sich bei den modernen Ansätzen der Philosophiedidaktik primär um jene handelt, die in den letzten dreißig Jahren erschienen sind, dann legt diese Formulierung schon nahe, dass auch Ausnahmen zu verzeichnen sind. Solche stellen zweifelsohne die grundlegenden philosophiedidaktischen Überlegungen dar, die Kant in seiner Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre, von 1765 – 1766 formuliert hat, sowie die Ausführungen Hegels in Über den Vortrag der Philosophie auf Gymnasien. Privatgutachten für den Königlich Bayrischen Oberschulrat Immanuel Niethammer! (1812). Verkürzt und vereinfacht formuliert kann man davon sprechen, dass Kant in seinem Entwurf eine induktive Vorgehensweise präferiert, während der von Hegel dargelegte Vorschlag deduktiv ausgerichtet ist.
Nahezu alle philosophiedidaktischen Ansätze (zumindest) seit Martens und Rehfus lassen sich schwerpunktmäßig auf die Theorien von Kant bzw. Hegel zurückführen oder beinhalten gar Elemente beider Lehren. Aus diesen Gründen müssen die Auffassungen der beiden deutschen Philosophen als Fundament für die Auseinandersetzung mit modernen philosophiedidaktischen Ansätzen auch in der heutigen Diskussion Berücksichtigung finden.
Es steht außer Frage, dass es sogar eine noch frühere Philosophiedidaktik gab, die in diesem Buch aber außen vor bleiben muss. Sie lässt sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen. So formuliert Volker Steenblock im Anschluss an Horst Rumpf, dass es sich bei dem platonischen Dialog Menon wohl um die »erste Lehrprobe der Welt«6 handeln dürfte. Platons Sprachrohr Sokrates nimmt im Anschluss an die Unterweisung reflektierend Bezug auf das gesamte Lehrgespräch, indem er es sowohl didaktisch einschätzt als auch kommentiert. Aber Platons Einfluss auf die Philosophiedidaktik ist verschwindend gering und spielt somit in der Diskussion um einen modernen Philosophieunterricht – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Das trifft auch für viele andere Philosophen wie beispielsweise Cicero, Quintilian, Thomas von Aquin, Vico, Descartes, Fichte, Schelling, Schlegel oder Schleiermacher7 zu, die sich alle der Kunst der Vermittlung von Philosophie gewidmet haben.
Auch die Philosophiedidaktik, die mit dem Aufkommen des modernen Gymnasiums im 19. Jahrhundert einsetzt, ist für den modernen Philosophieunterricht nur geschichtlich von Bedeutung. Bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts ist sie primär von der Frage um die Legitimation des Faches geprägt,8 denn zwischen 1816 und 1972 wird das Fach Philosophie immer wieder wegen Curriculumrevisionen aus dem Kanon der Schulfächer gestrichen oder wieder aufgenommen und ist daher nur diskontinuierlich, mal obligatorisch, mal fakultativ, vertreten.9 Nach dem zweiten Weltkrieg wird das Fach Philosophie an Gymnasien erneut eingeführt und kann in den sechziger Jahren in mehreren Bundesländern entweder als Pflichtfach oder Wahlpflichtfach belegt werden. Zu Beginn der siebziger Jahre, insbesondere im Zuge der Reform der gymnasialen Oberstufe, mehren sich die philosophiedidaktischen Ansätze, wobei vor allem die Frage, was – nicht wie – die Schülerinnen und Schüler inhaltlich lernen sollen, in den Blick genommen wird. So vertritt Rudolf Lassahn die Auffassung, dass im Philosophieunterricht nicht die klassischen kanonischen Texte behandelt werden sollen, sondern aktuelle gesellschaftliche und politische Fragen, die für Schülerinnen und Schüler besonders ansprechend seien.10 Wolfgang Deppe kritisiert Lassahns Ausführungen dahingehend, dass dem einseitigen Interesse der Schülerinnen und Schüler zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werde. Deppe hält ein bloßes Ausgerichtetsein auf aktuelle Probleme für ebenso falsch wie eine ausschließliche Betrachtung der Vergangenheit, wie dies etwa Heinrich Hahne vorschlagen hatte.11 Die Behandlung klassischer philosophischer Texte sei – so Deppe – allerdings insofern unumgänglich, als durch ihr Verständnis aktuelle Zusammenhänge erst in Gänze, d. h. in ihrer Kontinuität erschlossen werden können.12
Neben der Diskussion um den zu vermittelnden Unterrichtsstoff werden auch erste didaktische Überlegungen zur Vermittlung von Unterrichtsinhalten geäußert. So betrachtet Karl Püllen das Fach Philosophie nicht nur als reine »Denkschulung«,13 sondern auch als »Erlebnis«, »Einführung in das Problemdenken« und als »Hinführung zum Fachwissen«. Diese Auffassung mutet auf den ersten Blick modern an, wenn Püllen nicht ausführen würde, dass die anzustrebenden Ziele primär durch das Dozieren der Lehrenden und einen an das sokratische Vorgehen angelehnten fragend-entwickelnden Unterrichtsstil erreicht werden sollen.14 Die hier angeführten Beispiele veranschaulichen, dass die Didaktik der Philosophie vor der Martens-Rehfus-Debatte völlig anders akzentuiert und weit davon entfernt war, als »modern« bezeichnet werden zu können, auch wenn Lassahn schon die Vision vorschwebte, dass es sinnvoll wäre, mit dem Philosophieunterricht an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen: »Philosophie in der Schule wird nur dann eine Chance haben, wenn es ihr gelingt, einen Gegenstandsbereich zu bearbeiten, der für unser Leben notwendig ist, wo offene Fragen liegen, die sich unabweisbar einstellen«.15 Bis diese Vorstellung allerdings durchgängiges Prinzip und State of the Art wurde, sollten noch einige Jahrzehnte vergehen.
Um deutlich zu machen, was in diesem Band mit Philosophiedidaktik gemeint ist, ist es sinnvoll, sie vor dem Hintergrund der und in Abgrenzung zur Allgemeinen Didaktik zu betrachten.
Der Begriff Didaktik stammt von διδάσκειν ab und bezeichnet sowohl die Kunst des Unterrichtens, Unterweisens und Lehrens als auch die des Belehrt-Werdens, Lernens oder des Sich-Aneignens. Innerhalb der Didaktik gibt es in Bezug auf die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung zwei große Bereiche, die Allgemeine Didaktik und die Fachdidaktik. Die Allgemeine Didaktik gehört zu den zentralen Disziplinen der Pädagogik und wird sowohl universitär als auch in überfachlichen Seminaren in der zweiten Phase der Lehrerausbildung, dem Referendariat, behandelt. Die Fachdidaktik wird ebenfalls an den Universitäten, allerdings nicht in der Pädagogik, sondern in den für die Lehramtsausbildung vorgesehenen Fächern und in der an das Studium anschließenden fachlichen schulpraktischen Ausbildung vermittelt.
Die Allgemeine Didaktik beschäftigt sich nach Hilbert Meyer und Werner Jank mit der Frage, »wer was, wann, mit wem, wo, wie, womit, warum und wozu lernen soll«.16 Bei der Beantwortung dieser Frage folgen sie ihrem akademischen Mentor Herwig Blankertz, dem es um die Begründung didaktischer Modelle geht. Wie er verstehen die beiden Pädagogen unter didaktischen Modellen ein »auf Vollständigkeit zielendes Theoriegebäude zur Analyse und Planung didaktischen Handelns in schulischen und nichtschulischen Lehr- und Lernsituationen«.17
Die Fachdidaktik unterscheidet sich von der Allgemeinen Didaktik dadurch, dass sie sich nicht mit den generellen Fragen auseinandersetzt, sondern sich der Vermittlung und dem Erwerb spezifischer Kompetenzen und fachlicher Inhalte zuwendet.18
Die Didaktik in den deutschsprachigen Ländern ist primär auf Schulfächer ausgerichtet, so dass jedes Fach seine eigene Didaktik hat: Es gibt beispielsweise eine Didaktik der Chemie, des Englischen oder der Philosophie. Darüber hinaus existieren noch sogenannte Bereichsdidaktiken, die mehrere Fächer in einer gemeinsamen Didaktik zusammenfassen, wie dies beispielsweise bei der Didaktik der Naturwissenschaften (Chemie, Biologie und Physik) oder in der Fremdsprachendidaktik der Fall ist. Auch wenn dies lange Zeit anders war, so erheben sich heutzutage viele Fachdidaktiken über eine rein fachmethodische Forschung. Sie stellen eigene Teildisziplinen der Fachwissenschaft dar und sind nicht zuletzt wegen ihrer eigenen Forschungsgebiete eine ernst zu nehmende Größe. Fachdidaktiken konzentrieren sich nicht allein auf das Unterrichten von Inhalten ihres Faches, sondern widmen sich beispielsweise auch der Erforschung von fachbezogenen gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen u.v.m.
Eine Expansion des zu erforschenden fachdidaktischen Spektrums lässt sich auch im Bereich der Philosophiedidaktik konstatieren. Stand noch vor wenigen Jahren primär die Unterrichtspraxis im Vordergrund der Diskussion, so ist diese Domäne nur noch eine – wenngleich immer noch vorrangige – Sektion der philosophiedidaktischen Auseinandersetzung, die – je nach Sichtweise – derzeit aus drei bzw. vier Säulen besteht. Bei den Säulen handelt es sich um: 1. Philosophische Bildungsforschung, 2. Interdisziplinäre Zugänge, 3. Philosophie und Unterrichtspraxis und – mit besonderem Blick auf Österreich19 – 4. Philosophie und Psychologie.20
Wenn im Folgenden von Didaktik der Philosophie bzw. Philosophiedidaktik die Rede ist, dann ist grundsätzlich die dritte Säule der Philosophiedidaktik, nämlich die Vermittlung von philosophischen Inhalten im Unterricht an Schulen (Unterrichtspraxis), gemeint. In Anlehnung an Jonas Pfister wird auch hier die Auffassung vertreten, die Aufgaben der Allgemeinen Didaktik und der philosophischen Fachdidaktik seien im normativen Bereich identisch. Dementsprechend ist es Aufgabe der Philosophiedidaktik, sich in Bezug auf den schulischen Unterricht insbesondere um folgende Fragen zu kümmern: 1. Wozu soll Philosophie gelehrt und gelernt werden? (Frage nach der Legitimation des Faches Philosophie); 2. Was soll gelehrt und gelernt werden? (Frage nach der Bestimmung von Inhalten); 3. Wie soll gelehrt und gelernt werden? (Frage nach der Methodik und Gestaltung von Philosophie-Unterricht) und 4. Wie soll geprüft werden, ob das Gelehrte gelernt wurde? (Frage nach der Überprüfbarkeit von philosophischen Erkenntnissen).21
In der schulischen Philosophiedidaktik sind die beiden Begriffe Basistext und Ansatz eng miteinander verknüpft. Bildungssprachlich versteht man unter einem Basistext einen Text, der die Grundlage für eine bestimmte Auffassung oder Richtung bildet, auf die man sich stützen oder auf die man weiter aufbauen kann. In Sinne dieser Bestimmung spiegeln die vorliegenden Texte allesamt das derzeitige Fundament der philosophischen Fachdidaktik wider, nach der – zumindest in Deutschland – das Fach Philosophie an Schulen unterrichtet wird. So können auf dieser Basis sowohl der eigene Unterricht legitimiert als auch unterrichtliche Konzeptionen weiter auf- bzw. ausgebaut werden. Die Umsetzung von Konzeptionen und damit verbunden auch die Legitimation des eigenen Unterrichts können aber nur dann erfolgreich gelingen, wenn die Basis keinen modellhaften Charakter besitzt, sondern sich als Ansatz erweist.
Anders als beispielsweise bei Roger Hofer wird hier ein Unterschied zwischen einem Modell und einem Ansatz zugrunde gelegt.22 Dieser besteht darin, dass ein Modell in sich abgeschlossen, unveränderbar und statisch ist, während sich ein Ansatz als flexibel, erweiter- und sogar veränderbar darstellt.
Betrachtet man etwa das von Crick und Watson erstellte Modell der DNA-Struktur, so zeigt sich, dass die beiden Molekularbiologen an ihrem Modell so lange Veränderungen vornahmen, bis es schlüssig in Form einer Doppelhelix vorlag. Die Struktur des Modells wurde – weil es sich sozusagen um die Abbildung von Wirklichkeit handelt – seitdem nicht mehr verändert.23 Vergleicht man analog dazu z. B. das Bonbon-Modell von Rolf Sistermann, so erweist sich auch dieses Modell als in sich kohärent und festgelegt: Es hat sich in der Unterrichtspraxis bewährt, weil nach ihm sowohl einzelne Unterrichtsstunden als auch Unterrichtsreihen sinnvoll strukturiert bzw. phasiert werden können. Die methodischen Ausführungen, die Sistermann in Bezug auf das Bonbon-Modell publiziert hat, machen deutlich, dass es keine Veränderung der unterrichtlichen Struktur geben kann, sondern diese Struktur vielmehr prinzipiell dem Modell unterliegt.24 Ein Modell kann also unter anderem dazu verwendet werden, die Wirklichkeit abzubilden, wie dies Crick und Watson mit ihrem DNA-Modell getan haben. Es kann aber auch dazu benutzt werden, wünschenswerte Strukturen für die Unterrichtspraxis bereitzustellen. Ein Modell bleibt, wie Markus Tiedemann herausstellt, somit immer »idealtypisch«,25 was zur Folge hat, dass es aus seinem engen Korsett nicht entfliehen kann und damit statisch bleibt.
Ein Ansatz dagegen muss immer wieder neu überdacht werden. Fachdidaktikerinnen und -didaktiker veröffentlichen ihre Überlegungen nicht nur einmal,26 sondern entwickeln ihre Theorien ständig weiter, stellen sie immer wieder auf den Prüfstand und überarbeiteten sie, um eventuelle Fehler zu eliminieren, um Verbesserungen vorzunehmen oder um neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzuarbeiten. Insofern steht ein Ansatz im philosophiedidaktischen Sinn den oben angeführten Modellen der Allgemeinen Didaktik entgegen.
Zum Schluss sei noch ein Blick auf die Überschriften der einzelnen Beiträge und auf die Auswahl der Texte geworfen.
Wenn die Beiträge dieses Buches plakativ als ***-Ansatz gekennzeichnet sind, so bedeutet dies nicht, dass dort ausschließlich der angekündigte Ansatz vorgestellt wird. Die Überschriften bringen lediglich das jeweilige Kernanliegen zum Ausdruck. Da im Bereich der Philosophiedidaktik Ansätze aber in aller Regel Mischformen darstellen, lassen sich in den meisten Anteile verschiedener Ansätze finden.
Einige Leserinnen und Leser mögen in diesem Buch den einen oder anderen philosophiedidaktischen Beitrag vermissen, auch wenn nahezu alle didaktischen Ansätze der letzten drei Jahrzehnte vertreten sind. Andere wiederum werden sich fragen, warum bestimmte Texte in diesen Band aufgenommen worden sind. Die Gründe – sowohl für die eine als auch für die andere Frage – sind vielfältig:
Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass die Beiträge in zeitlich chronologischer Abfolge angeordnet sind. Alle anderen Varianten einer Zusammenstelllung hätten große Probleme verursacht (beispielsweise die Frage nach der Gewichtung der Texte im Hinblick auf deren Bedeutung oder Aktualität), die sich durch diese Entscheidung vermeiden ließen.
Alle Unterweisung der Jugend hat dieses Beschwerliche an sich, dass man genötigt ist, mit der Einsicht den Jahren vorzueilen, und, ohne die Reife des Verstandes abzuwarten, solche Erkenntnisse erteilen soll, die nach der natürlichen Ordnung nur von einer geübteren und versuchten Vernunft könnten begriffen werden. Daher entspringen die ewige Vorurtheile der Schulen, welche hartnäckichter und öfters abgeschmackter sind als die gemeinen, und die frühkluge Geschwätzigkeit junger Denker, die blinder ist, als irgend ein anderer Eigendünkel und unheilbarer als die Unwissenheit. Gleichwohl ist diese Beschwerlichkeit nicht gänzlich zu vermeiden, weil in dem Zeitalter einer sehr ausgeschmückten bürgerlichen Verfassung die feinere Einsichten zu den Mitteln des Fortkommens gehören, und Bedürfnisse werden, die ihrer Natur nach eigentlich nur zur Zierde des Lebens und gleichsam zum Entbehrlich-Schönen desselben gezählt werden sollten. Indessen ist es möglich, den öffentlichen Unterricht auch in diesem Stücke nach der Natur mehr zu bequemen, wo nicht mit ihr gänzlich einstimmig zu machen. Denn da der natürliche Fortschritt der menschlichen Erkenntnis dieser ist, dass sich zuerst der Verstand ausbildet, indem er durch Erfahrung zu anschauenden Urtheilen und durch diese zu Begriffen gelangt, dass darauf diese Begriffe in Verhältnis mit ihren Gründen und Folgen durch Vernunft und endlich in einem wohlgeordneten Ganzen vermittelst der Wissenschaft erkannt werden, so wird die Unterweisung eben denselben Weg zu nehmen haben. Von einem Lehrer wird also erwartet, dass er an seinem Zuhörer erstlich den verständigen, dann den vernünftigen Mann, und endlich den Gelehrten bilde. Ein solches Verfahren hat den Vortheil, dass, wenn der Lehrling gleich niemals zu der letzten Stufe gelangen sollte, wie es gemeiniglich geschieht, er dennoch durch die Unterweisung gewonnen hat, und, wo nicht vor die Schule, doch vor das Leben geübter und klüger geworden.
Wenn man diese Methode umkehrt, so erschnappet der Schüler eine Art von Vernunft, ehe noch der Verstand an ihm ausgebildet wurde, und trägt erborgte Wissenschaft, die an ihm gleichsam nur geklebt und nicht gewachsen ist, wobei seine Gemütsfähigkeit noch so unfruchtbar wie jemals, aber zugleich durch den Wahn von Weisheit viel verderbter geworden ist. Dieses ist die Ursache, weswegen man nicht selten Gelehrte (eigentlich Studirte) antrifft, die wenig Verstand zeigen, und warum die Akademien mehr abgeschmackte Köpfe in die Welt schicken als irgendein anderer Stand des gemeinen Wesens.
Die Regel des Verhaltens also ist diese: zuvörderst den Verstand zu zeitigen und seinen Wachstum zu beschleunigen, indem man ihn in Erfahrungsurtheilen übt und auf dasjenige achtsam macht, was ihm die verglichene Empfindungen seiner Sinne lehren können. Von diesen Urtheilen oder Begriffen soll er zu den höheren und entlegnern keinen kühnen Schwung unternehmen, sondern dahin durch den natürlichen und gebähnten Fußsteig der niedrigern Begriffe gelangen, die ihn allgemach weiter führen; alles aber derjenigen Verstandesfähigkeit gemäß, welche die vorhergehende Übung in ihm notwendig hat hervorbringen müssen, und nicht nach derjenigen, die der Lehrer an sich selbst wahrnimmt, oder wahrzunehmen glaubt, und die er auch bei seinem Zuhörer fälschlich voraussetzt. Kurz, er soll nicht Gedanken, sondern denken lernen; man soll ihn nicht tragen, sondern leiten, wenn man will, dass er in Zukunft von sich selbst zu gehen geschickt sein soll.
Eine solche Lehrart erfordert die der Weltweisheit eigene Natur. Da diese aber eigentlich nur eine Beschäftigung für das Mannesalter ist, so ist kein Wunder, dass sich Schwierigkeiten hervortun, wenn man sie der ungeübteren Jugendfähigkeit bequemen will. Der den Schulunterweisungen entlassene Jüngling war gewohnt zu lernen. Nunmehro denkt er, er werde Philosophie lernen, welches aber unmöglich ist, denn er soll jetzt philosophieren lernen. Ich will mich deutlicher erklären. Alle Wissenschaften, die man im eigentlichen Verstande lernen kann, lassen sich auf zwei Gattungen bringen: die historische und mathematische. Zu den erstern gehören, außer der eigentlichen Geschichte, auch die Naturbeschreibung, Sprachkunde, das positive Recht etc. etc. Da nun in allem, was historisch ist, eigene Erfahrung oder fremder Zeugnis, in dem aber, was mathematisch ist, die Augenscheinlichkeit der Begriffe und die Unfehlbarkeit der Demonstration etwas ausmachen, was in der Tat gegeben und mithin vorrätig und gleichsam nur aufzunehmen ist: so ist es in beiden möglich zu lernen, d. i. entweder in das Gedächtnis, oder den Verstand dasjenige einzudrücken, was als eine schon fertige Disziplin uns vorgelegt werden kann. Um also auch Philosophie zu lernen, müsste allererst eine wirklich vorhanden sein. Man müsste ein Buch vorzeigen und sagen können: sehet, hier ist Weisheit und zuverlässige Einsicht; lernet es verstehen und fassen, bauet künftighin darauf, so seid ihr Philosophen: bis man mir nun ein solches Buch der Weltweisheit zeigen wird, worauf ich mich berufen kann, wie etwa auf den Polyb, um einen Umstand der Geschichte, oder auf den Euklides, um einen Satz der Größenlehre zu erläutern: so erlaube man mir zu sagen: dass man des Zutrauens des gemeinen Wesens missbrauche, wenn man, anstatt die Verstandesfähigkeit der anvertrauten Jugend zu erweitern, und sie zur künftig reifern eigenen Einsicht auszubilden, sie mit einer, dem Vorgeben nach, schon fertigen Weltweisheit hintergeht, die ihnen zu gute von andern ausgedacht wäre, woraus ein Blendwerk von Wissenschaft entspringt, das nur an einem gewissen Orte und unter gewissen Leuten für ächte Münze gilt, allerwärts sonst aber verrufen ist. Die eigenthümliche Methode des Unterrichts in der Weltweisheit ist zetetisch, wie sie einige Alte nannten (von ζητειν), d. i. forschend und wird nur bei schon geübterer Vernunft in verschiedenen Stücken dogmatisch, d. i. entschieden. Auch soll der philosophische Verfasser, den man etwa bei der Unterweisung zum Grunde legt, nicht wie das Urbild des Urtheils, sondern nur als eine Veranlassung, selbst über ihn, ja so gar wider ihn zu urtheilen, angesehen werden, und die Methode, selbst nachzudenken und zu schließen, ist es, deren Fertigkeit der Lehrling eigentlich sucht, die ihm auch nur allein nützlich sein kann, und wovon die etwa zugleich erworbene entschiedene Einsichten als zufällige Folgen angesehen werden müssen, zu deren reichem Überflusse er nur die fruchtbare Wurzel in sich zu pflanzen hat.
Vergleicht man hiermit das davon so sehr abweichende gemeine Verfahren, so lässt sich verschiedenes begreifen, was sonst befremdlich in die Augen fällt. Als z. E. warum es keine Art Gelehrsamkeit vom Handwerke giebt, darin so viele Meister angetroffen werden, als in der Philosophie, und, da viele von denen, welche Geschichte, Rechtsgelahrtheit, Mathematik u. d. m. gelernt haben, sich selbst bescheiden, dass sie gleichwohl noch nicht gnug gelernt hatten, um solche wiederum zu lehren: warum andererseits selten einer ist, der sich nicht in allem Ernste einbilden sollte, dass außer seiner übrigen Beschäftigung es ihm ganz möglich wäre etwa Logik, Moral u.d.g. vorzutragen, wenn er sich mit solchen Kleinigkeiten bemengen wollte. Die Ursache ist, weil in jenen Wissenschaften ein gemeinschaftlicher Maßstab da ist, in dieser aber ein jeder seinen eigenen hat. Imgleichen wird man deutlich einsehen, dass es der Philosophie sehr unnatürlich sei, eine Brotkunst zu sein, indem es ihrer wesentlichen Beschaffenheit widerstreitet, sich dem Wahne der Nachfrage und dem Gesetze der Mode zu bequemen, und dass nur die Notdurft, deren Gewalt noch über die Philosophie ist, sie nötigen kann, sich in die Form des gemeinen Beifalls zu schmiegen.
Im Allgemeinen unterscheidet man [ein] philosophisches System mit seinen besondern Scientien und das Philosophiren selbst. Nach der modernen Sucht, besonders der Pädagogik, soll man nicht sowohl in dem Inhalt der Philosophie unterrichtet werden, als daß man ohne Inhalt philosophiren lernen soll; das heißt ungefähr: man soll reisen und immer reisen, ohne die Städte, Flüsse, Länder, Menschen u.s. f. kennen zu lernen.
Vor’s Erste, indem man eine Stadt kennen lernt, und dann zu einem Flusse, andern Stadt u. s. f. kommt, lernt man ohnehin bei dieser Gelegenheit reisen, und man lernt es nicht nur, sondern reist schon wirklich. So, indem man den Inhalt der Philosophie kennen lernt, lernt man nicht nur das Philosophiren, sondern philosophirt auch schon wirklich. Auch wäre der Zweck des Reisenlernens selbst nur, jene Städte u. s. f., den Inhalt kennen zu lernen.
Zweitens enthält die Philosophie die höchsten vernünftigen Gedanken über die wesentlichen Gegenstände, enthält das Allgemeine und Wahre derselben; es ist von großer Wichtigkeit, mit diesem Inhalt bekannt zu werden, und diese Gedanken in den Kopf zu bekommen. Das traurige, bloß formelle Verhalten, das perennirende inhaltslose Suchen und Herumtreiben, das unsystematische Raisonniren oder Spekuliren hat das Gehaltleere, das Gedankenleere der Köpfe zur Folge, daß sie nichts können. […] Das unsystematische Philosophiren ist ein zufälliges, fragmentarisches Denken, und gerade die Konsequenz ist die formelle Seele zu dem wahren Inhalt.
Drittens. Das Verfahren im Bekanntwerden mit einer inhaltsvollen Philosophie ist nun kein anderes als das Lernen. Die Philosophie muß gelehrt und gelernt werden, so gut, als jede andere Wissenschaft. Der unglückselige Pruritus, zum Selbstdenken und eigenen Produciren zu erziehen, hat diese Wahrheit in Schatten gestellt; – als ob, wenn ich, was Substanz, Ursache, oder was es sey, lerne, – ich nicht selbst dächte, als ob ich diese Bestimmungen nicht selbst in meinem Denken producirte, sondern dieselben als Steine in dasselbe geworfen würden; – als ob ferner, indem ich ihre Wahrheit, die Beweise ihrer synthetischen Beziehungen, oder ihr dialektisches Uebergehen einsehe, nicht selbst diese Einsicht erhielte, nicht selbst von diesen Wahrheiten mich überzeugte, – als ob, wenn ich mit dem pythagoräischen Lehrsatz und seinem Beweise bekannt geworden bin, nicht ich selbst diesen Satz wüßte und seine Wahrheit bewiese. So sehr an und für sich das philosophische Studium Selbstthun ist, eben so sehr ist es ein Lernen; – das Lernen einer bereits vorhandenen, ausgebildeten, Wissenschaft. Diese ist ein Schatz von erworbenem, herausbereitetem, gebildetem Inhalt; dieses vorhandene Erbgut soll vom Einzelnen erworben, d. h. gelernt werden. Der Lehrer besitzt ihn; er denkt ihn vor, die Schüler denken ihn nach. Die philosophischen Scientien enthalten von ihren Gegenständen die allgemeinen wahren Gedanken; sie sind das resultirende Erzeugniß der Arbeit der denkenden Genie’s aller Zeiten; diese wahren Gedanken übertreffen das, was ein ungebildeter junger Mensch mit seinem Denken herausbringt, um eben so viel, als jene Masse von genialischer Arbeit die Bemühung eines solchen jungen Menschen übertrifft. Das originelle, eigenthümliche Vorstellen der Jugend über die wesentlichen Gegenstände ist Theils noch ganz dürftig und leer, Theils aber in seinem unendlich größern Theile Meinung, Wahn, Halbheit, Schiefheit, Unbestimmtheit. Durch das Lernen tritt an die Stelle von diesem Wähnen die Wahrheit. Wenn einmal der Kopf voll Gedanken ist, dann erst hat er die Möglichkeit selbst die Wissenschaft weiter zu bringen und eine wahrhafte Eigenthümlichkeit in ihr zu gewinnen; darum aber ist es in öffentlichen Unterrichtsanstalten, vollends in Gymnasien, nicht zu thun, sondern das philosophische Studium ist wesentlich auf diesen Gesichtspunkt zu richten, daß dadurch etwas gelernt, die Unwissenheit verjagt, der leere Kopf mit Gedanken und Gehalt erfüllt, und jene natürliche Eigenthümlichkeit des Denkens, d. h. die Zufälligkeit, Willkür, Besonderheit des Meinens vertrieben werde. […]
Der Jugend muß zuerst das Sehen und Hören vergehen, sie muß vom konkreten Vorstellen abgezogen, in die innere Nacht der Seele zurückgezogen werden, auf diesem Boden sehen, Bestimmungen festhalten und unterscheiden lernen. […]
Man kann nämlich entweder vom Sinnlichen, Konkreten anfangen wollen, und dieses zum Abstrakten durch Analyse heraus und hinaufpräpariren, so, – wie es scheint, – den naturgemäßen Gang nehmen, wie auch so vom Leichtern zum Schwerern aufsteigen. Oder aber man kann gleich vom Abstrakten selbst beginnen, und dasselbe an und für sich nehmen, lehren und verständlich machen. Erstlich, was die Vergleichung beider Wege betrifft, so ist der erste gewiß naturgemäßer, aber darum der unwissenschaftliche Weg. Obwohl es naturgemäßer ist, daß eine das Runde ungefähr enthaltende Scheibe aus einem Baum stamme, durch Abstreifen der ungleichen, herausstehenden Stückchen nach und nach abgerundet worden sey, so verfährt doch der Geometer nicht so, sondern er macht mit dem Zirkel oder der freien Hand gleich einen genauen abstrakten Kreis. Es ist der Sache gemäß, weil das Reine, das Höhere, das Wahrhafte natura prius ist, mit ihm in der Wissenschaft auch anzufangen; denn sie ist das Verkehrte des bloß naturgemäßen, d. h. ungeistigen Vorstellens; wahrhaft ist jenes das Erste und die Wissenschaft soll thun, wie es wahrhaft ist. – Zweitens ist es ein völliger Irrthum, jenen naturgemäßen, beim konkreten Sinnlichen anfangenden und zum Gedanken fortgehenden Weg für den leichtern zu halten. Er ist im Gegentheil der schwerere; wie es leichter ist, die Elemente der Tonsprache, die einzelnen Buchstaben, auszusprechen und zu lesen, als ganze Worte. – Weil das Abstrakte das Einfachere ist, ist es leichter aufzufassen. Das konkrete sinnliche Beiwesen ist ohnehin wegzustreifen; es ist daher überflüssig, es vorher dazu zu nehmen, da es wieder weggeschafft werden muß, und es wirkt nur zerstreuend. Das Abstrakte ist als solches verständlich genug, so viel nöthig ist; der rechte Verstand soll ja überdieß erst durch die Philosophie hineinkommen. Es ist darum zu thun, die Gedanken von dem Universum in den Kopf zu bekommen; die Gedanken aber sind überhaupt das Abstrakte. […]
Hält man sich nun bloß an die abstrakte Form des philosophischen Inhalts, so hat man eine (sogenannte) verständige Philosophie; und indem es auf dem Gymnasium um Einleitung und Stoff zu thun ist, so ist jener verständige Inhalt, jene systematische Masse abstrakter gehaltvoller Begriffe, unmittelbar das Philosophische als Stoff, und ist Einleitung, weil der Stoff überhaupt für ein wirkliches, erscheinendes Denken das Erste ist. Diese erste Stufe scheint daher das Vorherrschende in der Gymnasial-Sphäre seyn zu müssen.