Es ist die Bemerkung gemacht worden, mein Hermippus, daß die Form des Dialogs, in welcher die alten Philosophen ihre Lehre meist darstellen, seitdem wenig in Anwendung gebracht ist, und wenn es versucht wurde, selten mit glücklichem Erfolg. Genaue und regelrechte Beweisführung, wie man sie jetzt von einer philosophischen Untersuchung erwartet, führt natürlicherweise auf die methodische und didaktische Form, in welcher man unmittelbar ohne Vorbereitung den Punkt, auf welchen man abzielt, darlegen und dann ohne Unterbrechungen dazu fortgehen kann die Beweise, worauf er ruht, beizubringen. Ein System in Form einer Unterredung zu überliefern, scheint wenig natürlich; wer in Dialogform schreibt, verfällt leicht, während er seiner Darstellung durch Abweichung von der direkten Schreibweise ein freieres Ansehen zu geben und den Schein des Verhältnisses von Verfasser und Leser zu vermeiden wünscht, dem noch größeren Übelstand, das Bild von Schulmeister und Schüler zu bieten. Oder wenn es ihm gelingt, das Gespräch durch Einführung einer Mannigfaltigkeit von Gesichtspunkten und durch Erhaltung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen den Unterrednern in dem natürlichen Tone der guten Gesellschaft durchzuführen, so verliert er oft so viel Zeit in den Vorbereitungen und Übergängen, daß der Leser durch alle Feinheiten des Dialogs für das Opfer an Ordnung, Kürze und Bestimmtheit sich kaum entschädigt glaubt.
Doch gibt es einige Gegenstände, für welche die dialogische Form besonders angemessen und der direkten und einfachen Darstellung vorzuziehen ist.
Ein Lehrstück, welches so auf der Hand liegt, daß Verschiedenheit der Meinung darüber kaum möglich ist, das jedoch zugleich so wichtig ist, daß es nicht zu oft eingeprägt werden kann, scheint eine solche Form der Behandlung zu erfordern, wo Neuheit in der Form über die Alltäglichkeit des Gegenstandes hinweghilft, wo die Lebhaftigkeit des Gesprächs die Lehre einprägt, und wo die Verschiedenheit der Beleuchtung seitens verschiedener Personen und Charaktere weder langweilig noch überflüssig erscheint.
Anderseits scheint eine philosophische Frage, welche so dunkel und ungewiß ist, daß menschliche Vernunft betreffs ihrer zu keiner bestimmten Entscheidung zu gelangen vermag, wenn anders überhaupt von ihr gehandelt werden muß, natürlicherweise auf die Form des Dialogs und der Unterhaltung hinzuführen. Vernünftige Menschen mögen die Freiheit abweichender Ansichten haben, wo niemand vernünftigerweise einseitig entschieden sein kann. Entgegengesetzte Meinungen gewähren auch ohne Entscheidung eine allgemeine Unterhaltung, und wenn der Gegenstand interessiert und bedeutend ist, führt uns das Buch gewissermaßen in Gesellschaft und vereinigt so die beiden größten und reinsten Freuden des menschlichen Lebens, Nachdenken und Geselligkeit.
Glücklicherweise finden sich alle diese Umstände vereinigt in der natürlichen Religion. Welche Wahrheit ist so offenbar, so gewiß, als das Dasein Gottes, das die unwissendsten Zeiten anerkannt, für welches die gebildetsten Geister gewetteifert haben, neue Zeugnisse und Beweise beizubringen? Welche Wahrheit ist so wichtig als diese, die die Unterlage aller unserer Hoffnungen, sie sicherste Grundlage der Moralität, die stärkste Stütze der Gesellschaft und das einzige Prinzip ist, das niemals einen Augenblick außer unsern Gedanken und Überlegungen sein sollte? Handelt man aber von dieser offenbaren und wichtigen Wahrheit, was für dunkle Fragen erheben sich mit Bezug auf die Natur dieses göttlichen Wesens, seine Eigenschaften, seine Entschließungen, den Plan seiner Vorsehung? Dieselben sind stets Gegenstand der Erörterungen der Menschen gewesen; die menschliche Vernunft ist mit Bezug auf sie zu keiner bestimmten Entscheidung gelangt. Aber so bedeutsam sind diese Fragen, daß wir der rastlosen Untersuchung derselben nicht Einhalt tun können, obgleich bisher nichts als Zweifel, Ungewißheit und Widerspruch das Ergebnis der sorgfältigsten Forschungen waren.
Diese Bemerkung zu machen hatte ich kürzlich Gelegenheit, als ich wie gewöhnlich einen Teil des Sommers bei Cleanthes zubrachte und seinen Unterhaltungen mit Philo und Demea beiwohnte, von denen ich Euch kürzlich eine unvollkommene Nachricht gab. Wie Ihr mir damals sagtet, war Eure Wißbegierde so erregt, daß ich nun mich genötigt sehe, in eine genauere Einzeldarstellung ihrer Erörterung einzutreten und die verschiedenen Systeme zu entwickeln, welche sie mit Bezug auf einen so delikaten Gegenstand, als natürliche Religion ist, vorbrachten. Der bemerkenswerte Gegensatz ihrer Charaktere steigerte Eure Erwartungen, indem Ihr die besonnene philosophische Denkweise des Cleanthes zusammenhieltet mit dem rücksichtslosen Skeptizismus Philos und der starren unbeugsamen Rechtgläubigkeit Demeas. Meine Jugend schrieb mir bei diesen Unterredungen die Rolle des schweigsamen Zuhörers vor, und die Lernbegierde, welche dem frühen Lebensalter natürlich ist, hat die ganze Folge und Verbindung ihrer Beweisführungen so tief in mein Gedächtnis eingeprägt, daß ich hoffen darf, in meinem Bericht keinen irgend erheblichen Teil derselben zu übergehen oder zu verwirren.
Wenn so viele Schwierigkeiten dem Beweis a posteriori anhangen, sagte Demea, täten wir dann nicht besser uns an den einfachen und scharfsinnigen Beweis a priori zu halten, welcher eine untrügliche Demonstration bietet und alle Zweifel und Schwierigkeiten abschneidet? Durch diesen Beweis können wir dazu die Unendlichkeit der göttlichen Attribute dartun, welche, fürchte ich, niemals durch einen andern Beweis völlig sicher begründet werden kann. Denn wie kann eine Wirkung, welche endlich ist oder doch, was unsere Erkenntnis anlangt, sein kann, wie kann eine solche Wirkung eine unendliche Ursache beweisen? Ferner ist es sehr schwer, wenn nicht ganz unmöglich, die Einheit der göttlichen Natur lediglich aus der Betrachtung der Werke der Natur abzuleiten; die Einheitlichkeit des Planes allein, wenn man sie auch zugesteht, gibt uns keine Gewißheit dieser Eigenschaft. Wohingegen der Beweis a priori – –
Ihr scheint zu folgern, Demea, unterbrach ihn Cleanthes, als ob diese Vorteile und Annehmlichkeiten des abstrakten Beweises seine Sicherheit völlig dartun. Aber nach meiner Meinung ist es angemessen, zuerst zu bestimmen, auf welchen Beweis dieser Art Ihr Euch stützen wollt; hernach werden wir besser aus ihm selbst als aus seinen nützlichen Folgen zu bestimmen versuchen, welchen Wert wir ihm beizumessen haben.
Der Beweis, erwiderte Demea, worauf ich mich stützen will, ist der gewöhnliche. Alles, was ist, muß eine Ursache oder einen Grund seines Daseins haben, da es unmöglich ist, daß etwas sich selbst hervorbringt, oder selbst die Ursache seines Daseins sei. Wir müssen also im Aufsteigen von Wirkungen zu Ursachen entweder eine unendliche Reihenfolge, ohne letzte Ursache überhaupt, immer weiter verfolgen oder müssen zuletzt zu einer letzten Ursache unsere Zuflucht nehmen, welche notwendig existiert. Daß nun die erste Annahme absurd ist, kann so bewiesen werden. In der unendlichen Kette oder Folge von Ursachen und Wirkungen ist die Existenz jeder einzelnen Wirkung durch die Kraft und Wirksamkeit der Ursache bestimmt, welche unmittelbar vorhergeht; dagegen ist die ganze ewige Kette oder Reihenfolge zusammengenommen durch nichts bestimmt oder verursacht; und doch ist offenbar, daß sie eine Ursache oder einen Grund erfordert, so sehr als ein einzelnes Wirkliches, welches in der Zeit anhebt zu sein. Die Frage: warum existiert diese bestimmte Reihenfolge von Ursachen von Ewigkeit her und nicht eine andere oder überhaupt gar keine? hat einen vernünftigen Sinn. Gibt es kein notwendig-existierendes Wesen, so ist jede beliebige Annahme gleich möglich, und es ist nicht mehr widersprechend, daß nichts von Ewigkeit existiert habe, als daß gerade diese Reihenfolge von Ursachen, welche das Universum ausmacht, existiert. Was war es denn, das entschied, daß etwas existiere, nicht nichts und das dieser einzelnen Möglichkeit mit Ausschluß aller übrigen Wirklichkeit verlieh? Äußere Ursachen gibt es nicht, nach der Voraussetzung. Zufall ist ein Wort ohne Sinn. War es das Nichts? Aber das kann nichts hervorbringen. Deshalb müssen wir auf ein notwendig-existierendes Wesen zurückgehen, welches den Grund seines Daseins in sich selbst trägt, und dessen Nichtdasein nicht ohne ausdrücklichen Widerspruch angenommen werden kann. Folglich gibt es ein solches Wesen, d.h. es gibt einen Gott.
Ich will es nicht Philo überlassen, sagte Cleanthes (obgleich ich weiß, daß Einwendungen machen sein größtes Vergnügen ist), die Schwäche dieses metaphysischen Schlusses aufzuweisen. Seine Unbegründetheit scheint mir so auf der Hand liegend, und seine Bedeutungslosigkeit für die Sache wahrer Frömmigkeit und Religion so vollständig, daß ich selber versuchen will, ihn als Fehlschluß nachzuweisen.
Ich beginne mit der Bemerkung, daß in dem Unterfangen, Tatsachen zu demonstrieren oder durch Beweise a priori zu begründen, eine offenbare Absurdität liegt. Demonstrierbar ist nichts, ohne daß sein Gegenteil einen Widerspruch enthält. Nichts, was klar vorgestellt werden kann, enthält einen Widerspruch. Alles was wir als seiend vorstellen, können wir auch als nichtseiend vorstellen. Also gibt es kein Ding, dessen Nichtsein einen Widerspruch einschließt. Folglich gibt es kein Ding, dessen Dasein demonstriert werden kann. Ich stelle diesen Beweis als völlig entscheidend hin und bin willens, in dieser ganzen Streitfrage dabei stehen zu bleiben.
Es wird gesagt, die Gottheit sei ein notwendig-existierendes Wesen, und diese Notwendigkeit ihrer Existenz sucht man durch die Behauptung zu begründen, daß, wenn wir ihre ganze Wesenheit oder Natur kannten, wir die Unmöglichkeit ihrer Nichtexistenz ebenso einsehen würden, wie die des Satzes, daß zweimal zwei nicht vier sei. Aber es ist einleuchtend, daß dies nie der Fall sein kann, so lange unser Vermögen dasselbe bleibt wie jetzt. Es wird uns jederzeit möglich sein, die Nichtexistenz von etwas vorzustellen, das wir früher als existierend vorstellten; der Geist kann niemals in die Notwendigkeit kommen, anzunehmen, daß ein Ding stets im Dasein verharre, wie er in der Notwendigkeit ist, stets vorzustellen, zweimal zwei sei vier. Die Worte »notwendige Existenz« haben daher keinen Sinn, oder, was dasselbe ist, keinen in sich widerspruchslosen.
Ferner aber, warum sollte nicht nach dieser vorgeblichen Bedeutung von Notwendigkeit das materielle Universum das notwendig-existierende Wesen sein? Wir können nicht behaupten, alle Eigenschaften der Materie zu kennen und so viel unsere Einsicht anlangt, mag sie Eigenschaften enthalten, welche, wenn erkannt, ihre Nichtexistenz als einen ebenso großen Widerspruch erscheinen lassen würden, als daß zweimal zwei fünf sind. Ich finde nur ein Argument benutzt zu beweisen, daß die materielle Welt nicht das notwendig-existierende Wesen ist, und dies Argument ist aus der Zufälligkeit der Welt, sowohl ihrer Materie als Form, abgeleitet. »Von jedem Teilchen der Materie,« wird gesagt6, »kann vorgestellt werden, daß es vernichtet und von jeder Form, daß sie verändert werde. Solche Vernichtung oder Veränderung ist daher nicht unmöglich.« Es scheint aber eine große Voreingenommenheit nicht zu merken, daß dasselbe Argument gleicherweise auf die Gottheit sich erstreckt, soweit wir von ihr eine Vorstellung haben, und daß der Geist wenigstens sich einbilden kann, sie sei nichtseiend oder ihre Eigenschaften seien verändert. Es müßten unbekannte, unvorstellbare Eigenschaften sein, welche ihr Nichtsein als unmöglich oder ihre Eigenschaften als unveränderlich erscheinen lassen; und es kann kein Grund angegeben werden, warum diese Eigenschaften nicht der Materie zukommen sollten. Da sie völlig unbekannt und unvorstellbar sind, kann ihre Unverträglichkeit mit derselben nicht bewiesen werden.
Nehmt dazu, daß es absurd erscheint, in Verfolgung einer ewigen Reihenfolge von Wirklichkeiten nach einer allgemeinen Ursache oder einem ersten Urheber zu fragen. Wie kann etwas, das von Ewigkeit existiert, eine Ursache haben, wenn doch dieses Verhältnis Priorität in der Zeit und einen Anfang des Daseins einschließt?
In einer solchen Kette oder Aufeinanderfolge von Gegenständen wird ferner jedes Glied verursacht durch das Vorangehende und verursacht das Folgende. Wo ist denn die Schwierigkeit? Aber das Ganze, sagt Ihr, bedarf einer Ursache. Ich antworte, daß die Vereinigung dieser Teile in ein Ganzes, gleichwie die Vereinigung mehrerer verschiedener Grafschaften in ein Königtum oder verschiedener Glieder in eine Körperschaft lediglich durch eine willkürliche Handlung des Geisteszustande gebracht wird und keinen Einfluß auf die Natur der Dinge hat. Wenn ich Euch die einzelnen Ursachen eines jeden einzelnen in einer Verbindung von zwanzig materiellen Teilen zeigte, so würde ich es sehr unvernünftig finden, wolltet Ihr mich hernach fragen, was die Ursache der Gesamtheit sei? Sie ist hinlänglich angezeigt in der Anzeige der Ursache aller Teile.
Obgleich die von Euch vorgetragenen Gründe, Cleanthes, mich wohl dessen überheben möchten, sagte Philo, weitere Schwierigkeiten anzuzeigen, so kann ich doch nicht umhin, noch einen andern Gesichtspunkt zur Geltung zu bringen. Arithmetiker haben bemerkt, daß die Produkte von 9 allemal wieder 9 oder ein kleineres Produkt von 9 ergeben, wenn man alle Ziffern, aus denen das erste Produkt zusammengesetzt ist, addiert. So wird aus 18, 27, 36, welche Produkte von 9 sind, durch Addition von 1 und 8, 2 und 7, 3 und 6, 9. Ebenso ist 369 ein Produkt von 9, und wenn man 3, 6 und 9 addiert, hat man 18, ein kleineres Produkt von 9.7 Ein oberflächlicher Beobachter könnte eine so wunderbare Regelmäßigkeit als die Wirkung des Zufalls oder der Absicht anstaunen, ein geschickter Algebraist schließt unmittelbar, daß sie das Werk der Notwendigkeit sei und beweist, daß sie aus der Natur dieser Zahlen entspringen muß. Ist es nicht annehmbar, frage ich, daß die ganze Einrichtung dieses Universums durch eine gleiche Notwendigkeit beherrscht wird, obgleich keine menschliche Algebra den Schlüssel geben kann, welcher die Schwierigkeit löst? Und möchte es nicht geschehen, daß wir, könnten wir in das innere Wesen der Körper eindringen, statt die Ordnung der natürlichen Dinge anzustaunen, deutlich sähen, warum es absolut unmöglich war, daß sie eine andere Ordnung annähmen? So gefährlich ist es, die Vorstellung von Notwendigkeit in die vorliegende Frage einzuführen, und so natürlich gibt sie eine der religiösen Hypothese direkt entgegengesetzte Folgerung an die Hand!
Doch lassen wir alle diese Abstraktionen, fuhr Philo fort, und schränken wir uns auf näherliegende Gesichtspunkte ein. Ich wage die Bemerkung hinzuzufügen, daß der Beweis a priori selten sehr überzeugend gefunden worden ist, ausgenommen von metaphysischen Köpfen, welche sich an abstrakte Argumentation gewöhnt und diese Denkweise von der Mathematik, wo sie fanden, daß der Verstand oft durch Dunkelheit zu Wahrheiten, die dem ersten Anschein entgegen sind, führt, auf Gegenstände übertragen haben, wo sie keinen Platz haben sollte. Andere Leute, selbst von gutem Verstand und von Vorliebe für die Religion, empfinden stets einigen Mangel in solchen Beweisen, obgleich sie vielleicht nicht imstande sind, deutlich anzugeben, worin er liegt. Ein sicherer Beweis, daß die Menschen ihre Religion stets aus anderen Quellen, als diese Art von Beweisführung, abgeleitet haben und ableiten werden.
Fußnoten
6 Dr. Clarke.
7 République des Lettres, Août 1685.
Meine Ansicht ist, ich gestehe es, sagte Demea, daß jeder Mensch in gewisser Weise die Wahrheit der Religion in seiner eigenen Brust fühlt und mehr durch ein Bewußtsein seiner Schwäche und seines Elends als durch Schlüsse dahin gebracht wird, den Schutz des Wesens zu suchen, von dem er und die ganze Natur abhängig ist. So erfüllt von Angst oder Langeweile sind auch die besten Lebensumstände, daß die Zukunft der Gegenstand aller unserer Hoffnungen und Befürchtungen ist. Unaufhörlich blicken wir in die Zukunft und suchen durch Bitten, Anbetung, und Opfer die unbekannten Mächte uns günstig zu stimmen, welche nach unserer Erfahrung so sehr die Macht haben uns niederzudrücken und zu zerschmettern. Unglückselige Geschöpfe, die wir sind! Was für Zuflucht hätten wir unter den unzähligen Übeln des Lebens, böte uns die Religion nicht einige Ersatzmittel, und sänftigte die Schrecken, von denen wir unaufhörlich umgetrieben und gemartert werden.
In der Tat, ich bin überzeugt, sagte Philo, daß die beste und in Wahrheit einzige Art, jedermann zu einem gebührenden Sinn für Religion zu bringen, zutreffende Darstellungen des Elends und der Verderbtheit der Menschen sind. Und zu diesem Ende ist Beredtsamkeit und starke Einbildungskraft mehr erforderlich, als Folgern und Beweisen. Denn ist es notwendig zu beweisen, was jeder in sich selbst fühlt? Es ist bloß notwendig, das Gefühl dafür, wenn möglich, inniger und lebhafter zu machen.
Die Menge, erwiderte Demea, ist in der Tat hinlänglich von dieser großen und trübseligen Wahrheit überzeugt. Das Elend des Lebens, das Unglück des Menschen, die allgemeine Verderbtheit unserer Natur, der nie befriedigende Genuß von Vergnügungen, Reichtümern, Ehren, solche Reden sind fast sprichwörtlich in allen Sprachen. Und wer kann zweifeln an dem, was alle Menschen aus eigenem unmittelbarem Gefühl und Erfahren kundgeben?
In diesem Punkt, sagte Philo, sind die Gelehrten und die Menge in vollkommener Übereinstimmung, und in allen Schriften, heiligen und profanen, wird der Gemeinplatz des menschlichen Elends mit der leidenschaftlichen Beredtsamkeit, welche Angst und Trübsinn eingeben, behandelt. Die Dichter, welche aus ihrem Gefühl ohne System reden, und deren Zeugnis deshalb um so mehr Gewicht hat, fließen über von Bildern dieser Art. Von Homer herab bis auf Dr. Young ist es dem begeisterten Geschlecht nie entgangen, daß keine andere Darstellung der Dinge dem Gefühl und der Beobachtung jedes Menschenkindes zusagen würde.
Was Autoritäten anlangt, erwiderte Demea, so braucht Ihr nicht danach zu suchen. Seht Euch um hier in der Bibliothek des Cleanthes. Ich wage zu behaupten, daß mit Ausnahme der Schriftsteller über besondere Wissenschaften, wie Chemie oder Botanik, welche keinen Anlaß haben von dem menschlichen Leben zu handeln, kaum einer unter diesen unzähligen Schriftstellern ist, dem nicht das Gefühl des menschlichen Elends in einer oder der andern Stelle eine Klage oder ein Eingeständnis entrissen hätte. Wenigstens ist die Wahrscheinlichkeit durchaus auf dieser Seite, und kein Schriftsteller, soweit ich mich erinnere, ist je so weit gegangen, es zu leugnen.
Verzeiht mir, sagte Philo, Leibniz hat es geleugnet und ist vielleicht der erste8, der eine so kühne und paradoxe Meinung wagte, wenigstens der erste, der sie zu einem wesentlichen Teil seines philosophischen Systems machte.
Und hätte er nicht eben hieraus, erwiderte Demea, daß er der erste war, die Überzeugung ihrer Irrtümlichkeit gewinnen müssen? Denn ist dies ein Gegenstand, wo Philosophen Entdeckungen zu machen erwarten dürfen, dazu in einer so späten Zeit? Kann ein einzelner hoffen, durch einfache Leugnung (denn die Sache läßt ein Beweisverfahren kaum zu) das vereinte, auf Empfindung und Selbstbewußtsein gestützte einmütige Zeugnis des Menschengeschlechts zu er drücken?
Und wie sollte der Mensch, fügte er hinzu, eine Ausnahme von dem Lose aller andern Tiere in Anspruch nehmen dürfen? Die ganze Erde, glaubt mir es, Philo, ist verflucht und unrein. Ein beständiger Krieg ist entbrannt zwischen allen lebenden Geschöpfen. Not, Hunger, Entbehrung stacheln die Starken und Mutigen an; Furcht, Angst, Schrecken treiben die Schwachen und Kraftlosen um. Der erste Eintritt ins Leben ist Angst für das Neugeborene und seine gequälte Mutter; Schwäche, Ohnmacht, Unglück begleiten jede Stufe des Lebens, und es endet zuletzt in Schrecken und Todeskampf.
Beachtet ferner, sagte Philo, die erstaunliche Kunst der Natur, das Leben jedes lebenden Wesens zu verbittern. Die Stärkeren machen Jagd auf die Schwächeren und halten sie in beständiger Angst und Furcht. Die Schwächeren ihrerseits stellen oft den Stärkeren nach und belästigen sie ohne Aufhören. Seht auf die unzähligen Arten von Insekten, welche entweder auf dem Körper jedes Tieres sich aufhalten, oder ihn umschwärmend ihre Stachel in ihn einbohren. Diese Insekten haben in sich andere noch kleinere, von denen sie gequält werden. Und so ist jedes Tier von allen Seiten, vorn und hinten, oben und unten, umgeben von Feinden, welche unaufhörlich sein Elend und seine Zerstörung suchen.
Allein der Mensch, sagte Demea, scheint zum Teil eine Ausnahme von dieser Regel zu sein. Denn durch Vereinigung in Gesellschaften wird er leicht Herr über Löwen, Tiger und Bären, deren größere Stärke und Schnelligkeit sie von Natur instand setzte, ihn zu ihrer Beute zu machen.
Im Gegenteil, rief Philo, hier ist es, wo die einförmige und gleichartige Verfahrungsweise der Natur am deutlichsten zutage tritt. Der Mensch, es ist wahr, kann durch Vereinigung alle seine wirklichen Feinde überwinden und sich zum Herrn der ganzen tierischen Schöpfung machen; aber schafft er sich nicht alsbald eingebildete Feinde, die Dämonen seiner Phantasie, welche ihn mit abergläubischen Schrecken heimsuchen und jeden Genuß des Lebens versengen? Sein Vergnügen, bildet er sich ein, ist in ihren Augen ein Verbrechen; seine Nahrung und Ruhe bewirkt bei ihnen Argwohn und Ärgernis; sein Schlaf selbst gibt seiner ängstlichen Furcht neue Gegenstände; und sogar der Tod, seine Zuflucht vor allem andern Übel, verschafft ihm nur das Entsetzen vor endloser und unaussprechlicher Pein. Der Wolf schreckt die furchtsame Herde nicht mehr, als Aberglaube die beängstete Brust elender Sterblicher.
Bedenkt ferner, Demea, wie eben die Gesellschaft, wodurch wir die wilden Tiere, unsere natürlichen Feinde, überwinden, uns neue Feinde schafft. Welches Leid und Elend verursacht sie uns! Der Mensch ist der größte Feind des Menschen. Unterdrückung, Ungerechtigkeit. Verachtung, Schmach, Gewalttat, Aufruhr, Krieg, Verleumdung, Verrat, Betrug, dadurch quälen sie einander, und bald würden sie die Gesellschaft, welche sie gebildet haben, auflösen, wäre nicht die Furcht vor noch größeren Übeln, welche ihre Trennung begleiten müßten.
Obwohl diese Angriffe von außen, sagte Demea, von Tieren, von Menschen, von allen Elementen, die uns anfallen, ein schreckliches Verzeichnis von Leiden bilden, so sind sie doch nichts im Vergleich mit denen, die in uns selbst entstehen, von der übelgemischten Beschaffenheit unseres Geistes und Leibes. Wie viele unterliegen der abzehrenden Qual von Krankheiten. Hört die pathetische Aufzählung des großen Dichters:
Geschwür und Nierensteine, Magengicht,
Beseßnes Rasen und des Tiefsinns Stieren,
Mondsücht’ge Tollheit, peinigende Dörrsucht,
Schwindsucht und Pest, weites Verderben breitend.
Ein gräßlich Wälzen, Stöhnen; Todesangst
Von Lager treibt zu Lager ruhelos.
Zu Häupten seiner Beute schwingt der Tod
Den Speer, doch zögert er, ob man ihn gleich
Anruft als höchstes Gut und letzte Hoffnung.9