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1. Auflage

04/2019

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Im Mannsgraben 33

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ISBN 978-3-941956-84-1

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Zum Buch:

„Wenn es keine gemeinsame Vision gibt und wichtige Einblicke fehlen, werden die Menschen zugrunde gehen.“

frei nach Sprüche 29.18

Wie kann es passieren, dass man seine Wünsche erfüllt hat, zu den wohlhabensten Menschen gehört in einem wohlhabenden Land, und trotzdem nicht glücklich ist? Michel Bunt hat mit dreißig alles erreicht und läuft nun Gefahr alles zu verlieren.

Dies ist die Geschichte von Michel. Reich, satt und ganz allein begibt er sich auf die Suche nach einer achtlos verspielten Liebe in seiner Vergangenheit, und findet auf diesem Weg zu sich selbst, zur Wahrheit und einer besseren Zukunft.

In einer kurzweiligen Erzählung werden all die Dinge besprochen, die heute für die ganze Gesellschaft von dringlichster Bedeutung sind, aber so weit es geht, von den Medien und natürlich von uns selbst ignoriert werden.

Lassen Sie sich befreien durch Michel und seiner außergewöhnlichen Reise zu einem neuen Paradigma und ganz nebenbei zu sich selbst.

Kapitel 1
Mein Geburtstag

Man sagt, Alexander der Große habe geweint, als er die ganze Welt erobert hatte. Er habe geweint, weil ihm nun keine Ziele mehr blieben. Bei mir war es ähnlich, aber richtig bewusst wurde mir das erst an meinem dreißigsten Geburtstag. Der wurde natürlich groß gefeiert.

Und der wurde groß gefeiert, weil ich zu den Großen gehöre. Wenn man einmal dort angekommen ist, kann man sich nicht mehr hinter falscher Bescheidenheit verstecken und wenn man es trotzdem versucht, macht man sich nur lächerlich. Denn Neid kann man nicht vermeiden, erst recht nicht, wenn man ihn sich verdient hat. Doch daran hatte ich mich mittlerweile gewöhnt, deswegen musste ich nicht weinen.

Weinen musste ich, weil ich alles hatte und nichts war. Oder man könnte auch sagen, weil ich nur das war, was ich hatte. Und das spürte ich da zum ersten Mal ganz deutlich.

Nun, immerhin hatte ich viel. Und das war nicht immer so. Noch erinnere ich mich an die Zeiten, in denen ich nichts hatte. Und darum erinnere ich mich noch an die Zeit, in der mein Herz meinen Weg bestimmt hatte. Doch dieser Weg sollte mir nicht gefallen, denn meinem Herzen wollte ich nicht trauen. Damals wollte ich nur dem Stoff trauen, den man uns an der Universität lehrte und aus dem unsere Träume gestrickt waren: Wie macht man aus viel Geld noch mehr Geld?

Für einen heranwachsenden, hungrigen, jungen Mann – der ich nun mal war – ist die Welt zu komplex, um sie in nur wenigen Jahren studieren zu können. Daher hungerte ich nach einfachen Prinzipien, wie zum Beispiel die der Marktwirtschaft, nach klaren Regeln, an die man sich halten muss und die vertraglich definierten Vergütungen, die man bekommt, sobald man die Regeln eingehalten hat. Und die man bekommt, weil man keine dummen Fragen stellt.

Dumme Fragen waren nie meine Sache. Wieso sollte ich meinen Weg unnötigerweise beschweren? Dumme Fragen stellen, taten nur Leute, die nicht weiterkommen wollten. Leute, die zu faul zum Studieren waren. Leute, die an diesem System gescheitert waren, ja nur die stellten dumme Fragen.

Eine der dümmsten dieser dummen Fragen war die Frage nach dem Ursprung des Geldes. So eine Frage kann echt lästig werden, besonders dann, wenn man das Geld zum Sinn seiner Betätigung erhoben hat. Oder gar zur Bestätigung seiner selbst.

Damals glaubte ich wirklich noch: nur wer kein Geld hat, stellt dumme Fragen. Alle anderen sind froh, dass es das Geld gibt.

Und trotzdem, hier mitten auf meiner großen Geburtstagsfeier, es sind einhundertfünfzig Gäste gekommen, um mir zu huldigen, quälten mich plötzlich dumme Fragen. Wohl ausgelöst durch die Abwesenheit meiner Frau Jessica, jenes schöne, mir unerreichbare Wesen. Sie blieb zu Hause, bei unserem Sohn. Aber das war nicht der Grund, wieso sie nicht gekommen war. Und nun, während aus zig gut geölten Kehlen mir ein Ständchen vorgegrölt wurde, geisterten mir nicht nur dumme Fragen, sondern auch böse Ideen durch meinen Kopf. Und das lag nicht an dem Säufer-Singsang.

Die Geschenke waren wie immer dieselben. Aber dieses Mal war es besonders schlimm. Wenn ich ehrlich bin, beschenkt zu werden, macht mich nervös. Als Beschenkter steht man immer unter dem Druck, eine geeignete, freundliche Reaktion zeigen zu müssen. Auch wenn man nichts sagen will, aber die Augen sollten Freude und Überraschung widerspiegeln. Das kann anstrengend werden. Obwohl ich immer die Show der Dankbarkeit ganz gut beherrschte. Denn sonst wäre ich ja wohl nicht so weit gekommen.

Aber nun, und zum ersten Mal überhaupt, wünschte ich mir nichts sehnlicher als eine abgesägte Schrotflinte. So eine, wie man in den Filmen sieht, wenn jemand ausrastet. So eine, mit der man durch jede Eichentür durchkommt. So eine, die es geschafft hätte, ein Loch in Jessicas Mauer zu reißen, hinter der sie sich versteckt und hinter der sie nie rauskommt.

Wenn ich ehrlich bin, war diese Mauer von Anfang an da. Sie war nur damals noch nicht so groß. Oder ich noch nicht so klein. Ja, ich bin immer kleiner geworden. Rein innerlich. Damals hatte ich kein Geld und fühlte mich größer als heute, wo ich sehr viel Geld habe. Ob man sich groß fühlt, hat nichts mit Geld zu tun, sondern nur, ob man geliebt wird. Das wurde mir schlagartig bewusst, als der fünfte Mojito meine Kehle runterfloss.

Und ja … was nützt die schönste Frau, wenn sie einen nicht liebt? Was nützt das beste Mannes­alter, wenn man es nicht ausleben kann? Und was nützen mir meine Freunde, wenn sie mich nicht sehen? Und ausgerechnet mein bester und wohl einziger Freund, Tom, konnte heute nicht kommen. Der Blödmann musste irgendwo Nachtschicht schieben, weil er sein Leben lang ein Hungerlöhner geblieben ist. Und trotzdem war es mein bester Freund, einer noch von damals.

Den ganzen Abend blieb ich im Schatten, im Abseits, soff und grübelte, wie ich, Michel Bunt, ein Junge aus dem Tal, hierhin gekommen bin. Und zum ersten Mal fragte ich mich auch, was ich hier noch soll.

Meine Gäste hatten Spaß, besonders an den Mojitos, manche standen auf kolumbianische Frischmacher und konnten dementsprechend mehr trinken. Die Musik war laut. Ich stand abseits, schaute dem lustigen Treiben zu. Und hatte meinen Frieden damit, dass ich heute Abend der war, der am wenigsten Spaß hatte. Es kam auch den ganzen Abend niemand, der mich fragte, wie es mir geht. Ich wüsste auch nicht, wie ich reagiert hätte. Stattdessen kamen – gefühlte – tausend Leute auf mich zu, die alles »echt supi« fanden, mich rasch auf die Wange küssten, um sich dann über das Buffet oder auf die Tanzpiste zu stürzen.

Es war schon sehr spät, oder besser früh am Morgen. Ich wankte nochmal auf die Mojito-Bar zu, als auf einmal Siegenot auf mich zukam und mir direkt ins Gesicht schleuderte:

»Mann Michel, was hast du ein verdammtes Glück gehabt, dass du damals diese Braut aufgerissen hast! Schau, wo du angekommen bist! Glückwunsch! Und das schon alles mit dreißig! Du hast es echt geschafft!«

Das war eindeutig zu viel. Ich kotzte in einem prächtigen Schwall direkt auf und in Siegenots Peter-Pan-Schühchen. Siegenot war ein erfolgreicher Werbeclip-Regisseur und er mochte den extravaganten Auftritt. Heute trug er Stiefelchen, die nach oben wie ein Trichter aufgingen. Dazu eine sackartige, genderfreie Knickerbocker, die zum Glück schon am Knie aufhörte. So blieb wenigstens die Hose verschont.

Siegenot schaute stumm von oben hinab in seine nun mit Lachs, Bier und Mojito gefüllten Stiefelchen und traute sich nicht, sich zu bewegen. Ich war froh, dass er so ruhig geblieben war. Aber sein Blick verriet mir, dass wir niemals echte Freunde waren. Solche Leute kannte ich nur, seitdem ich Geld habe.

Im Reflex drückte ich ihm einen Hundert-Euro-Schein in die Hand, um den Schaden gut zu machen und damit das bitte unter uns blieb. Siegenot ließ den Schein in seiner Jacke verschwinden, so schnell konnte ich gar nicht gucken.

Auch er hatte mich den ganzen Abend lang nicht ein einziges Mal gefragt, was mit mir los ist oder wie es mir geht. Im tiefsten Inneren hatte ich meine diebische Freude als ich sah, wie Siegenot die beiden Fischkutter zur Toilette lotste und mit jedem Schritt ein bisschen Lachs verlor.

Jetzt war »echt supi« vorbei und ich habe ihm natürlich nicht geholfen, sich die Füße zu waschen.

So weit war es gekommen! Ich machte teure Partys für Leute, die ich nicht mochte und kotzte ihre Designerklamotten voll.

Erst sehr viel später erkannte ich, dass dieses peinliche Missgeschick so eine Art Markstein war und mein Leben von da an eine drastische, positive Wende nehmen sollte. Positiv nicht nur für mich, sondern für den ganzen Planeten.

Heute Nacht schon begann meine Reise – und auch die, wie alles, begann im Kopf. Sie setzte schleichend ein und führte mich zu nötigen Visionen, unbequemen Einblicken und einem neuen, besseren Paradigma.

All das durfte ich finden, dabei war ich nur auf der Suche nach ein bisschen Liebe.

Kapitel 2
Von Paula und Jessica

»Der Letzte macht das Licht aus!«, lallte ich der wilden Meute entgegen. Der Einzige, der es hörte, war Siegenot. Er stand direkt neben mir, mittlerweile barfuß. Wir verließen die Party und warteten auf meinen Fahrer. Und da war er schon. Leise rollte meine dunkle Limousine vor.

Das war doch klar, dass ich Siegenot nach Hause brachte. Wir hörten Radio. Das war mir recht, so brauchten wir nicht zu reden. In den frühen Morgenstunden ist das Radioprogramm gut. Und ich wunderte mich über all die Zuhörer, die so früh schon anriefen, um sich einen Song zu wünschen.

Siegenot gönnte sich noch ein Näschen Kokain und mir wurde nur vom Zugucken schlecht. Als dann Boy George »Do you really want to hurt me?« säuselte, hielt der Wagen an und ich war Siegenot endlich los.

Danach verließen wir die Innenstadt und fuhren raus aufs Land. Eine halbe Stunde Fahrt lag noch vor mir. Ich fläzte mich melancholisch auf dem breiten Rücksitz, trank noch ein frisches Altbier aus meiner Heimat, das ich immer im Kühlfach hatte, und hörte, wie im Radio ein Mann sich für seine geliebte Paula als Liebesgruß das Lied I BELIEVE IN YOU von Talk Talk wünschte.

Ich war wie vom Schlag getroffen! Auch ich hatte eine Freundin, die Paula hieß. Und genau dieses Lied war auch unser Lieblingslied! Es war so sanft, von feinem Rhythmus und unterlegt mit der tief gläubigen, fast euphorischen Stimme von Mark Hollis. Zum Bumsen gibt es kein besseres, kein sinnlicheres Album als SPIRIT OF EDEN.

I BELIEVE IN YOU war perfekt zum Kuscheln. Richtig zur Sache ging es dann bei THE RAINBOW mit seinen dreiundzwanzig Minuten. Bei Paula und mir lief das Stück auf Repeat. Wir hatten uns selig gevögelt, von Regenbogen zu Regenbogen das Nirvana gemeinsam durchtanzt. Das waren noch Zeiten!

Oh Mann, Paula! Was machst du heute? Wo treibst du dich wohl rum? Mich überwältigten alte Erinnerungen. Lang ist es her. Damals in Grainau, dort lernte ich sie kennen. Das war wohl die schönste Zeit meines Lebens.

Zu verdanken habe ich diese Zeit meinem Freund Tom. Tom und ich waren von früh an Schulkameraden, er wohnte wie ich am untersten Rand der Südstadt, dort wo Nachkriegsbauten und Wohnbaracken auf die ersten noblen Villen stoßen. Genau an jener Grenze wurde ich groß, und natürlich schaute ich immer nur den Berg hoch, dort wo die Häuser immer größer und schöner wurden, dort wo Tom und seine Eltern wohnten.

Er lebte den Berg nur hundert Meter weiter höher als meine Familie und in einem deutlich besseren Haus. Diese Hackordnung ist so alt wie die Industrialisierung. Die Wohlhabenderen entkamen dem engen, stickigen Tal und flüchteten sich auf die anliegenden, grünen Hügel.

Ja, ich weiß, ich schweife ab, von Paula war die Rede, aber Tom ist wichtig, denn Paula hätte ich ohne ihn nie kennengelernt.

Das Loch, in dem ich aufwuchs, war ein solider Boden um darauf anzufangen, aber mir war klar, ich muss weiter. Tom hingegen, so schien mir, ruhte sich auf seine bessere Geburt aus. Seine Nase war von Anfang an über dem Smog dieser Stadt. Er hatte nie den Drang gespürt, weiter nach oben zu kommen, wie ich. Er kannte nur den Drang ehrlich zu bleiben und sich selbst treu. Und dafür liebe ich ihn. Und manchmal bewundere ich ihn dafür.

Auch wenn in Wuppertal hundert Meter viel sind, um zwischen wohlhabend und kleinbürgerlich zu unterscheiden, so ist es nur ein winziger Nano­meter, wenn man dann später die Welt gesehen hat und erkennt, welche Straßen, Ideen und andere kleine Jungs mit viel Fantasie und Mut es sonst noch so überall gab und gibt. Da ging es dann vielleicht nicht immer so lustig zu, so wie es bei uns war. So gesehen können wir beide froh sein, hier im Tal aufgewachsen zu sein. Da machten die hundert Meter und ein etwas besseres Haus keinen Unterschied.

Aber richtig zusammen fanden Tom und ich erst auf den vielen Ski-Freizeiten, die der Skiverband NRW veranstaltete. Das waren für uns Jugend­liche tolle Reisen für ein kleines Budget. Jedes Jahr nahm ich daran teil, jedes Jahr war Tom dabei. Skilaufen war unsere große Leidenschaft.

Nach dem Abitur bekam Tom eine Lehrstelle als Hotelkaufmann bei seinem Onkel, der Direktor des renommierten Eibseehotels war. Das ist ein großes Hotel direkt am Eibsee in Grainau, am Fuße der Zugspitze, und in der Nähe eins der begehrtesten Skigebiete Deutschlands.

Als wäre es gestern, ich sehe es noch, wie Tom mir seine Pläne für »nach dem Abi« erzählte und mir lief nur das Wasser im Munde zusammen. Ich wollte mit. Eine Lehre als Hotelkaufmann kann nie schaden, dachte ich. Aber zwei Jahre Skilaufen wollte ich mir unter keinen Umständen entgehen lassen. Ich musste meine Bewerbungsmappe zusammenstellen, ein Telefonat und ich war dabei. Vitamin B ist eben alles.

Ich war so froh, dem kleinbürgerlichen Muff meines Elternhauses endlich entkommen zu können. Und seitdem habe ich mit meinen Eltern recht wenig Kontakt. Ich war Einzelkind und fühlte mich in ihrem Haus die ganze Zeit wie ein Adoptiv-Sohn. Vielleicht war ich ja einer, aber man hatte es mir nie gesagt. Es wurde sowieso in diesem Hause nie viel gesprochen. Meine Eltern und ich hatten wirklich nichts gemeinsam. Weder das Aussehen, noch die Ansichten. Und was soll ich heute mit ihnen, wo ich mehr in einem Monat verdiene als mein Vater in einem Jahr. Jetzt haben wir erst recht nichts mehr gemeinsam.

Wie gut, dass ich von früh auf Tom hatte, er war nicht nur ein super Freund, sondern nach der Schule und am Wochenende hingen wir meistens bei ihm zu Hause rum, und seine Eltern waren einfach nur prima. Die Mutter sang an der Oper und der Vater war ehemaliger Box-Profi. Da war immer was los! Viele Freunde hatten die auch. Das war eine schöne Zeit. Zu gerne erinnere ich mich an die Grillfeste in ihrem Garten. Die hatten sogar eine Tischtennis-Platte.

Und meine Eltern, was hatten die? Zu graue Tapeten und eine zu große Steinmännchen-Sammlung. Im Wald Steine sammeln, die bunt bemalen und daraus Figuren kleben, das war die große Leidenschaft von meinem Vater. Immerhin was Kreatives.

Als ich auszog, sagte ich: »Hey Vadder, wenn mein Zimmer leer wird, hast du ja mehr Platz für deine Sammlung!«

Und ich merkte sofort, wie er sich freute.

Tom und ich reisten mit der Eisenbahn gemeinsam nach Grainau, das direkt hinter Garmisch-Partenkirchen liegt. Dort wurden wir abgeholt, es ging dann noch ein paar Kilometer weiter bis zum Eibsee. Direkt am Ufer befindet sich ein großes, stolzes Gebäude, das Hotel und im Hintergrund die Berge. Vielleicht einer der schönsten Orte auf der ganzen Welt. Und hier mussten wir, nein: hier durften wir zwei Jahre bleiben.

Wir lebten in dem Hotel im Seitenflügel mit all den anderen Azubis, Küchengehilfen, Zimmermädchen, Kellnern und Putzfrauen. Ich teilte mit Tom das Zimmer. Wir waren eine kleine, funktionierende Gemeinschaft unter strenger aber gütiger Aufsicht von Toms Onkel. Und die Arbeit war abwechslungsreich, und es gab jede Menge vornehmes Publikum. Das interessierte mich nämlich ganz besonders. Denn so wie die wollte ich auch sein.

So ein Hotelbetrieb ist eine extrem spannende und lebendige Angelegenheit. Man sieht viel, man hört viel, man lernt viel. Besonders diskret zu lächeln und die Klappe zu halten. Und das tat ich gerne, denn ich freute mich schon auf den Abend, an dem ich vor dem Einschlafen Tom das neuste Skandälchen erzählen würde. Irgendeins gab es ja immer, besonders mit den Neureichen.

Das Einzige, was mir nicht gefiel, war, dass ich immerzu nur dienen musste. Das störte mich zutiefst, denn zum Dienen wurde ich nicht geboren. Und mit Dienen meine ich nicht den Job, den wir machten, sondern die Haltung, die man uns abverlangte. Manchmal fragte ich mich, ob das eine Lehre zum Hotelkaufmann oder eine Ausbildung zum Butler war.

Sonst war es eine unbeschwerte Zeit. Tom und ich waren ein tolles Team. Natürlich haben wir hart gearbeitet, wenn nicht, hätten wir Toms Onkel vorgeführt. Und das ging gar nicht.

Tom und ich hatten viel gelernt, aber keiner von uns ist in der Hotelbranche geblieben. Tom träumt ja heute noch immer von einer Karriere als Musiker, und ich ging nochmal zur Uni, nochmal nachlegen, ich wollte im Prinzip nur eins: reich werden und mich dann auch bedienen lassen in feinen Häusern an den schönsten Locations, dazu eine schöne Frau und ein schönes Auto.

Grundsätzlich stehe ich auf eine Mischung aus sportlich und elegant, das Objekt meiner Begierde sollte gut aussehen und sich gut anfühlen. Das zu erstreben war für mich immer Sinn des Lebens, oder anders: das Leben was ich auch haben wollte. Und ausgerechnet hier, wo der Glanz mich am meisten blendete, tauchte Paula auf.

Oh Paula! Heute mit Abstand weiß ich, dass sie die Antithese zu der ganzen stocksteifen Hotelwelt war. Das, was mich damals an ihr so faszinierte, war vermutlich unbewusst mit der Grund, weswegen ich sie dann später leider aus den Augen verloren hatte: sie war einfach zu frei, zu wild, zu spontan. Oder man könnte auch sagen, nicht fein genug.

Trotz ihrer Intelligenz merkte man ihr ihre einfache Herkunft an. Die Eltern waren geschieden. Die Mutter war nach München gezogen, Paula wuchs bei ihrem Vater auf, der war für die Rei­nigung der Bahnhofstoiletten zuständig.

Irgendwann erfuhr ich, dass kleine freche Kinder ihn gehässigerweise »Papa Pipi« riefen. Aber ich mochte ihn. Er strahlte so eine zufriedene Ruhe aus, und außerdem war er ein super Koch. Bei Michel Kovovics, Papa Pipi hieß auch Michel, genau wie ich, da habe ich immer gerne gegessen. Bei ihm war das Essen sogar besser als im Hotel. Manchmal ist das Leben ungerecht, wäre der Mann Koch geworden, wäre es besser für alle gewesen.