literarisch politisch künstlerisch
Skulpturen
Briefe
Danksagung
Die Herausgeber danken dem Dietz Verlag Berlin für die Genehmigung zur Veröffentlichung der Briefe von Rosa Luxemburg und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin für die Genehmigung zur Veröffentlichung einzelner historischer Fotos. Für die Veröffentlichung historischer Fotos, die uns aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt wurden, danken wir.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Impressum:
Dieses E-Book ist eine erweiterte und komplett überarbeitete Ausgabe des
Printbuches »Einblicke«, erschienen 2012 Karin Kramer Verlag Berlin
Copyright © artesinex eBook publishing, Berlin (Germany), März 2019
Herausgegeben von: Rengha Rodewill und Micaela Porcelli
Textbearbeitung: Rengha Rodewill www.rengha-rodewill.com
Idee und künstlerische Gesamtkonzeption: Rengha Rodewill
Grafik: Shaya Schwartz
Titelgestaltung: © Rengha Rodewill
Fotografien: Rengha Rodewill © VG Bild-Kunst Bonn, 2019
Briefauswahl/Lektorat: Micaela Porcelli
© artesinex eBook publishing
Stuhmer Allee 1a
D-14055 Berlin
www.artesinex.com
eISBN: 978-3-9820572-5-5
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Die Autorin und Fotografin
Ingeborg Hunzinger
Funkwerk Köpenick
Frauenprotest in der Rosenstraße
Skulpturen in Berlin
Köpenicker Blutwoche
Rosa Luxemburg
Leo Jogiches
Kostja Zetkin
Konstantin Zetkin
Clara Zetkin
Mathilde Jacob
Luise Kautsky
Sophie Liebknecht
Karl Liebknecht
Bücher
Rengha Rodewill verschafft sich interessante, fotografische Einblicke in das Leben der bedeutenden jüdischen Berliner Bildhauerin Ingeborg Hunzinger. Zahlreiche Fotografien von 2008 aus ihrem persönlichen Lebens- und Arbeitsbereich und dem berühmten Freiluftatelier sind zu sehen. Rodewill dokumentiert außerdem wichtige Skulpturen im Berliner Stadtraum, die von der Künstlerin erschaffen wurden. Hunzingers bedeutendstes Werk ist der „Block der Frauen“ in der Berliner Rosenstraße. Das Denkmal erinnert an den Aufstand der „Berliner Frauen 1943“ – der „Rosenstraßen-Protest“. Auf der Rosenstraße verlangten sie in Sprechchören: „Gebt uns unsere Männer wieder!“. Ein biografischer Text führt den Leser in das unruhige Leben von Beginn der Kindheit, in einem wohlhabenden arisch-jüdischen Elternhaus, bis hin zur Kommunistin. Hunzinger zählt mit zu der prägendsten und anerkanntesten Bildhauerin Berlins. Die Krönung ihres Lebenswerkes war die Arbeit an einer lebensgroßen Skulptur von Rosa Luxemburg, die sie sehr verehrte. Dieses Werk konnte sie nicht mehr vollenden, im Alter von 94 Jahren verstarb Ingeborg Hunzinger am 19. Juli 2009 in Berlin.
Rosa Luxemburg gewährt literarische Einblicke in ihren emotionalen Liebesbriefen an Leo Jogiches, dem Mitbegründer der KPD, sowie an ihren jungen Geliebten Kostja Zetkin. Ihre Briefe sind zartfühlend und dann wieder rebellisch; wir erleben die politische Kämpferin außerhalb der Klassenkämpfe in ihrer widerspruchsvollen Privatsphäre. Die Inhalte sind nicht nur schöne Worte und liebe Botschaften, sondern gleichzeitig Betrachtungen über politische Ereignisse, sowie unvermittelte Analysen der gegenseitigen Gefühle und Kritik am Verhalten der Geliebten. Zahlreiche Briefe schrieb Rosa Luxemburg auch an Clara Zetkin, Luise Kautsky, Mathilde Jacob und Sophie Liebknecht; diese geben die bedingungslose Vertrautheit zu den ihr nahestehenden Freundinnen wieder.
Konstantin (Kostja) Zetkins weitere Lebensspuren mit seiner Frau Gertrude Bardenhewer werden in erstmals veröffentlichten Fotografien gezeigt. Das besondere Bildmaterial umfasst die Jahre in USA, Frankreich und Kanada.
Rengha Rodewill geboren in Hagen/Westfalen, arbeitet als Fotografin, Autorin, Malerin und Publizistin. Seit vielen Jahren ist auch die Kamera ihr Ausdrucksmittel. Rodewill denkt konzeptionell und in größeren Zusammenhängen, sie denkt über das Kamerabild hinaus. Begleitende Texte sind von Beginn an Teil der fotografischen Recherche. Rengha Rodewills Bildsprache ist ein Miteinander von Bild, Konzept und Botschaft. Ihr Stil ist es, sich auf keinen Stil festzulegen, sondern ihrer Kreativität Ausdruck zu geben. Die Aufnahmen sind nicht inszeniert, sondern der nie wiederkehrenden Situation entliehen.
Buchveröffentlichungen: »Zwischenspiel – Fotografie-Lyrik« mit Eva Strittmatter (Plöttner Verlag 2010), »Einblicke« Die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger mit Briefen von Rosa Luxemburg (Karin Kramer Verlag 2012), »Bautzen II« Fotodokumentation (Vergangenheitsverlag 2013), »Hoheneck – Das DDR-Frauenzuchthaus« Fotodokumentation (Vergangenheitsverlag 2014), » -ky‘s Berliner Jugend – Erinnerungen in Wort und Bild« mit Horst Bosetzky (Vergangenheitsverlag 2014), »Angelika Schrobsdorff – Leben ohne Heimat«, Biografie (be.bra Verlag 2017).
Bildhauerin · Jüdin · Kommunistin · Querkopf
Mein Vater war Professor und icke kloppe Steine
Die Figuren Ingeborg Hunzingers stehen nur selten für sich allein, sondern erzählen Geschichten vom Leben, von den Menschen und von der Arbeit. Dieses illustratorische Element ist besonders den Werken eigen, die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts auf bewegende Weise abbilden. Für die Künstlerin, die den größten Teil ihres Lebens in der DDR verbrachte, spielte aber auch die politische Dimension stets eine große Rolle. Das war in ihrem Fall, nach den Erfahrungen im Dritten Reich, vor allem der Sozialismus und, eng damit verbunden, das Leben der Menschen in den Fabriken. Sie selbst sagte manchmal, dass Michelangelo künstlerisch ihr Vorbild gewesen sei, Kenner ihrer Kunst verweisen darüber hinaus auf ihre Lehrer wie Gustav Seitz, Ludwig Kasper oder Fritz Cremer. Ungeachtet der zeitweise sehr realistischen Darstellungsweise zeigen ihre Werke nicht selten den gleichen Eigensinn und die gleiche trotzige Sperrigkeit, die man auch dem Wesen der Künstlerin zuschrieb. Eigensinnigkeit und Unbedingtheit, sobald sie eine Sache für sich als richtig erkannte, müssen sie schon als junges Mädchen ausgezeichnet haben. Als sie in den dreißiger Jahren mit ihren Eltern in einem gutbürgerlichen Teil Berlins am Fürsten Platz (Abb.), im reichen Westend lebte, kam ihr beim Anblick armer Leute zum ersten Mal die eigene Wohlhabenheit zu Bewusstsein. Die Eltern schickten Ingeborg auf eine Oberrealschule, auf das Herder-Gymnasium (Abb.) in der Westendallee, wo sie Abitur machte. Sie war eine gute Schülerin, zu ihren Lieblingsfächern zählten schon damals das Malen, Zeichnen und Modellieren. In der Schule waren viele Kinder aus wohlhabenden Westender Familien, mit großen Häusern, Dienstmädchen, Köchin und Chauffeur, auch jüdische Mädchen befanden sich darunter. Aber statt sich zu Hause die Augen über die Ungerechtigkeit der Welt auszuweinen, mündete das Mitleid der jungen Ingeborg in praktisches Tun: Sie plünderte die elterliche Wohnung, nahm alles was ihr entbehrlich und zu üppig erschien und spendete es der Wohlfahrt. Zum ersten Mal sah sie beim Verteilen tiefstes menschliches Elend und eine Szenerie, die sich damals seit den Milieuzeichnungen Heinrich Zilles noch kaum gewandelt haben dürfte. In einem Raum wohnten 13 Menschen, ohne Möbel, ein großes Bett in dem sie abwechselnd schliefen, an der Wand hing die Kleidung an Nägeln. Viel später berichtet sie von der Erschütterung und dem inneren Wandel, der dadurch bei ihr ausgelöst wurde. Es verwundert nicht, dass dieses zutiefst schockierte Mädchen aus gutem Hause nach solchen Erlebnissen offen war für weltanschauliche Fragen, dass sie nach Erklärungen suchte und nach Wegen, das soziale Elend zu lindern. Zunächst hatte sie auf die übliche, wohltätige Art der Bessergestellten reagiert, begann, sich um vernachlässigte Kinder zu kümmern, fütterte sie mit Leckerbissen und spielte mit ihnen. Ob sie mit solchen karitativen Übungen tatsächlich etwa die Gesellschaft ändern könnte, wurde sie eines Tages provozierend von einem sympathischen jungen Mann gefragt. Dass diese Kardinalfrage genügte, ihr ganzes Leben umzuwerfen, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Charakter der jungen Frau. Es zeigt, mit welcher Unbedingtheit sie einmal Erkanntes in die Tat umsetzte und dabei rücksichtslos alte Konventionen und Denkweisen hinter sich ließ. Der Mann, der das bei ihr bewirkte, hieß Ernst Jablonski (1913–1988). Jablonski war Jude, Kommunist und schon als 16-jähriger Mitglied der „Bündischen Jugend“, einer Vorfeldorganisation der KPD, wo er schließlich deren Reichsleiter wurde. Er wohnte in Westend, eine Straße weiter und wurde Ingeborgs erster Freund. Er gab ihr marxistische Literatur, und sie folgte ihm begeistert in die marxistische Arbeiterschulung und lebte mit ihm und Gleichgesinnten in Zeltlagern, wenn sie über Land fuhren, um Propagandamaterial zu verteilen. Ernst Jablonski wurde der „Marxistenpapst von Westend“ genannt. Später, als er 1933 verschwand und nach Paris emigrierte, erhielt er in der Résistance den Decknamen „Ernest Jouhy“, den er nach 1944 auch beibehielt. Auf einem Kongress sahen sich Ingeborg und Ernst viele Jahre später einmal wieder.
Nun war Ingeborg Franck Jungkommunistin, eine jüdische noch dazu, und der Vater zeigte sich entsetzt, obwohl der Chemie Professor Hans Heinrich Franck (1988–1961) seit 1917 SPD-Mitglied war. Den vier Kindern, Ingeborg hatte noch eine Schwester Gisela und die Brüder Michael und Peter, billigte er zwar das selbstständige Denken zu, aber die Zeiten waren gefährlich für politisches Außenseitertum, zumal in einer Familie, die bereits mit einer jüdischen Ehefrau und Mutter belastet war. Franck war Spezialist für Silikatforschung und wichtig für die Nazis – das schützte ihre jüdische Mutter. Wie begründet seine Sorgen zusätzlich waren, zeigte sich am Schicksal des älteren Bruders Peter (1913–1988). Der junge Mann war Mitglied der „Roten Studentengruppe (RSG)“, die sich 1931 gründete. Den Auftakt bildeten Unruhen und eine Kette von andauernden Störungen und Krawallen auf dem Universitätsgelände der Humboldt-Universität. Der Bruder wurde mehrfach verhaftet und verbrachte einige Zeit im KZ Oranienburg. Da er gesucht wurde, emigrierte er später über Bayern in die Schweiz, wo er einige Zeit studierte und wanderte dann schließlich nach Amerika aus. Die jüdischen Verwandten und der Bruder ihrer Mutter verließen rechtzeitig Deutschland, sie emigrierten nach England und Amerika. Die jüdische Großmutter verstarb noch vor Abtransport der Juden aus Berlin. 1937 bzw. 1939 wurde Hans Heinrich Franck (Abb. mit Ehefrau v.r., in der Akademie der Wissenschaften 1948) wegen „jüdischer Versippung“ und „politischer Unzuverlässigkeit“ aus allen Ämtern entlassen. Trotz Drängens der nationalsozialistischen Regierung ließ sich Franck von seiner jüdischen Frau Lotte Sarah geb. Steinitz (1891–1984) nicht scheiden. Die Zeit bis 1945 verbrachte er in ständiger Angst um die Familie in einem Forschungslabor der Deutschen Tafelglas AG. Nach dem Abitur begann Ingeborg 1935 bis 1936 ein Studium an der „Vereinigte Staatsschule für freie und angewandte Kunst“ in Berlin-Charlottenburg der späteren „Universität der Künste Berlin“. Die Mappe mit den vielen Zeichnungen und Aquarellen zeigte sie später ihrem Großvater, dem Maler Philipp Franck, der stellte sie daraufhin dem damaligen Direktor der Kunst- und Gewerbeschule für Zeichenlehrer Ausbildung vor. Ingeborg wurde ein großes Talent bescheinigt, ohne Aufnahmeprüfung konnte sie sofort in die 2. Semesterklasse aufgenommen werden. Sie wollte aber keine Zeichenlehrerin oder Malerin werden, sondern Bildhauerei studieren, was Frauen aber nicht gestattet war. Man ermöglichte ihr, dass sie tageweise in die höhere Malereiklasse ging und dazu die Bildhauerklasse von Professor Alfred Vocke besuchen konnte. Philipp Franck (1860–1944), der impressionistische Maler, war Mitbegründer der Berliner Secession neben Max Liebermann und Walter Leistikow. Ab 1912 wurde Franck für drei Jahre als kommissarischer Direktor der „Königlichen Kunstschule zu Berlin“ berufen, wo er die Ausbildung von Zeichenlehrern leitete. 1915 bis 1930 wurde ihm offiziell die Leitung der Direktion der späteren „Staatlichen Kunstschule Berlin“ übertragen. Die Großeltern Franck wohnten seit 1911 in der „Sommervillenkolonie Alsen“ am Kleinen Wannsee, in der Hohenzollernstraße 7 (Abb.) in einem schönen Haus mit Garten. Ingeborg und ihren Geschwistern waren Wannsee sehr wichtig, auch liebten sie ihre Großeltern. Großvater Franck mochte Ingeborg sehr und war von ihrem Talent überzeugt, die künstlerischen Weichen wurden durch ihn damals gestellt. Oft betrachteten sie gemeinsam seine Aquarelle, Zeichnungen und Gemälde, die Ingeborg faszinierten. Der rigorose Druck der nationalsozialistischen Rassengesetze erzwang jedoch, den Abbruch der Ausbildung für Ingeborg an der Akademie nach zwei Jahren. Daraufhin verlässt sie Berlin und weicht nach Franken aus, um ganz auf die Bildhauerei umzusteigen. Bei dem Würzburger Bildhauer Helmut Weber begann sie 1936 eine streng handwerkliche Steinmetzlehre, die sie 1938 mit bestandener Gesellenprüfung abschloss. Weber, ein Bildhauerurgestein, energisch und willensstark, arbeitete überwiegend im fränkischen Muschelkalk. Dieser Stein wurde für die Künstlerin bevorzugt bearbeitet, in der Nähe von Kirchheim wurde er abgebaut. Später brachte sie Käthe Kollwitz im Atelierhaus von Ludwig Kasper, die Vorzüge des Muschelkalks nahe und beriet sie in Steinen.
Noch einmal kehrte Ingeborg Franck nach Berlin zurück, um im Atelier von Professor Gerhard Marcks zu arbeiten. Marcks brachte die junge Bildhauerin in das große Atelierhaus zu Professor Ludwig Kasper in die Klosterstraße 75 nach Berlin-Mitte. In der legendären „Berliner Ateliergemeinschaft Klosterstraße“, die von 1933 bis 1945 bestand, wurde sie Kaspers Meisterschülerin und befreundete sich mit Käthe Kollwitz, die ebenfalls hier arbeitete, von ihr bekam sie viele Anregungen, vor allem was die Kunst im Klassenkampf betraf. Es war ein gegenseitiges Lernen und eine künstlerische Befruchtung. Künstler konnten mit Zustimmung des „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ Ateliers anmieten. Der Gemeinschaft gehörten eine „Generation junger Künstler“ an, abgesehen von Käthe Kollwitz, die schon älter war. Von 1938 bis 1939 arbeitete Ingeborg Franck in der Klosterstraße, bis ihr die „Reichskunstkammer“ (Reichskammer der bildenden Künste), das weitere Studium untersagte, sie erhielt Berufsverbot. Ingeborg, hatte nicht nur eine jüdische Mutter, sondern sie war auch seit dem 17. Lebensjahr Mitglied der „Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD)“. In den NS Studentenbund wollte sie nicht eintreten, sie hörte auf zu studieren. Künstlerisch arbeiten durfte man in jenen Jahren nur mit Erlaubnis der „Reichskulturkammer (RKK)“. Da sie Kommunistin und Jüdin war, erhielt sie den Bescheid: „Fräulein Ingeborg Franck ist nicht würdig, dem deutschen Volke Kultur zu bringen“. Danach kam eine letzte kreative Atempause, denn im nationalsozialistischen Deutschland wurde es immer schwieriger für die junge Kommunistin mit einer jüdischen Mutter. Es folgten unruhige Zeiten für Ingeborg Franck. Es war vorauszusehen, dass sie nicht mehr lange in Deutschland bleiben konnte, spontan packte sie einen Koffer, setzte sich in den Zug und fuhr Richtung Italien, bis nach Venedig. Nur kurze Zeit blieb sie in der Lagunenstadt, da sie nach Florenz wollte. Sie hatte die Anlaufadresse der „Villa Romana“, dem deutschen Künstlerhaus in Florenz, in der sich auch die Künstler der „Entarteten Kunst“ trafen. In der „Villa Romana“ in Florenz lernte sie den Stipendiaten und Maler Helmut Ruhmer (1907–1945) aus Halle kennen, den Preisträger von 1938. In dieser Zeit wurde Ruhmer die ganz große Liebe von Ingeborg Franck. Von 1940 bis 1941 war er Stipendiat der „Villa Massimo“ in Rom und durch diesen glücklichen Umstand konnte Ruhmer noch zwei weitere Jahre in Italien bleiben.
Ingeborg Franck beschloss 1942 nach Sizilien aufzubrechen, wo sie Zuflucht in einer Familie eines einheimischen Malers fand. In der Provinz „Caltanissetta“ ließ sie sich nieder. Helmut Ruhmer folgte ihr später. Die Zeit auf der Insel war bald vorbei, im letzten Moment verließen Ingeborg Franck und Helmut Ruhmer Sizilien und fuhren nach Florenz zurück. Im Juli 1943 begann die alliierte Invasion, mit der Codebezeichnung „Operation Husky“, es war der Auftakt des „Italienfeldzugs im Zweiten Weltkrieg“. Ende 1942 verlassen sie aus politischen Gründen endgültig Italien, sie gehen nach Deutschland zurück. Als Ingeborg Franck in Berlin ankam, ist ihr Vater nicht begeistert. Er fragte, warum sie zurückgekommen sei, sie gefährde ihre jüdische Mutter. Sie ist über die Reaktion ihres Vaters entsetzt und erschüttert. Nach dieser Niederlage und Enttäuschung verlässt sie ihr Zuhause und geht mit Helmut Ruhmer in den Südschwarzwald, dort wurden sie sesshaft. 1943 und 1944 werden ihre gemeinsamen Kinder geboren, eine Tochter und ein Sohn. Eine Heirat mit Helmut Ruhmer ist auf Grund der Rassengesetze nicht möglich. Ruhmer konnte aber nicht bei den Kindern und Ingeborg bleiben, da er kurz vor Kriegsende in Konstanz eingezogen wurde. Noch in den letzten Kriegstagen schickte man ihn an die Ostfront, schwer verwundet stirbt er drei Tage später am 19. Februar 1945 auf dem Krankentransport Abt.1/561 zum Hauptverbandplatz (H.V.P.) Glatz in Niederschlesien, dem heutigen polnischen Kłodzko. Die Zeichnungen von Helmut Ruhmer bildeten die Grundlage seiner Malkunst wie seine Kreidezeichnung Selbstporträt (Abb.). Die von ihm souverän ausgeführten Linien stellten die Varianten der Details der Kompositionen seiner Gemälde dar. Ruhmer verfolgte eine stark an Hans von Marées orientierte neo-idealistische Malerei. In Italien entstand das Ölbild Auf Ischia (Abb.). Eins der bedeutenden Werke Ruhmers ist Brustbild einer Frau mit Lorbeerkranz 1939 (Abb.). Ingeborg Franck und die Kinder blieben nach Ruhmers Tod im Hotzenwald. Durch Glück bekam sie ein Haus zugewiesen mit einer Werkstatt, in der gearbeitet werden konnte. Mit Keramikarbeiten verdiente sie Geld zum Lebensunterhalt. Da sie in Berlin auch das Töpfern erlernte, kam ihr diese Ausbildung zugute. Im Schwarzwald fühlte sie sich wohl, bis sie bemerkte, dass die Bewohner sie plötzlich abweisend behandelten. 1946 gründeten viele Intellektuelle in Konstanz eine Filiale der „Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD)“ und Ingeborg engagierte sich wieder politisch. Es wird bekannt, dass die Künstlerin eine Kommunistin ist, von da an wurde sie nur noch der „Rote Fuchs“ genannt und gemieden.
Die Situation wurde für Ingeborg Franck zunehmend belastender. Sie lernte in dieser Zeit bei ihren Parteitätigkeiten einen Mann im Hotzenwald kennen und lieben, Adolf Hunzinger (1899–1979), einen Schlosser mit praktischem Sinn, Spanienkämpfer und Überlebender, er ist Kommunist, Parteimitglied und kein Intellektueller. Da sie es für zwecklos ansah, noch länger im Schwarzwald zu bleiben, kehrte sie Ende des Jahres 1949 mit ihren Kindern allein nach Berlin zurück. Es kam für die idealistische Kommunistin als Wohnort nur die neu gegründete DDR, der sowjetischer Sektor in Frage; also Ost-Berlin. Sie erhielt zunächst eine große Wohnung in Oberschöneweide und bekam gleichzeitig eine Assistentenstelle an der „Kunsthochschule Berlin-Weißensee“.
Rahnsdorf Fürstenwalder Allee 12 (Abb.)