William Shakespeare, der Schwan von Stratford-upon-Avon, die Wonne des englischen Theaters, der Bühnenautor par Excellence, hat so ziemlich alles in seinem Werk thematisiert: historische und fiktive Geschichten, herzzerreissende Helden, urkomische Narren und die ultimativen Bösewichte, große Leidenschaften und kristallklaren Verstand, wahre und imaginäre Länder... und noch viel mehr. In einigen seiner Dramen übernehmen manche Figuren durch Verkleidung andere Rollen oder werden weitere Komödien und Tragödien in der Haupthandlung verschachtelt inszeniert: Das Theater im Theater verdoppelt die bespielten Ebenen, die Bühnenkunst reflektiert sich wie in einem Spiegel. Darüber hinaus haben an vielen Stellen auch Literatur und Musik ausdrücklich einen Platz. In diesem oft interdisziplinären Kontext wird nur die bildende Kunst kaum erwähnt.
Dass Shakespeare irgend etwas mit Malerei, Bildhauerei und Grafik zu tun haben sollte, ist also kein naheliegender Gedanke. Wenn wir aber die Perspektive wechseln, dann entdecken wir leicht, wie viel die bildende Kunst mit Shakespeare zu tun hat. Zu Lebzeiten war der Dramatiker zwar nicht so prominent wie seine Zeitgenossen Marlowe und Jonson, die heute ausserhalb von Fachkreisen fast vergessen sind; seine Werke wurden regelmäßig aufgeführt, hatten aber keine breite Zirkulation ausserhalb Londons und es gab keinen Bedarf nach Zusatzinformationen zum Autor. Erst Jahre nach seinem Tod stieg seine Popularität dermassen, dass die Nachfrage nach biografischen Informationen und dem Aussehen des Dichters zu einer entsprechenden Produktion im Königreich führte.
Es war freilich zu spät, um wahrhaftige Auskunft zu beiden Punkten zu bekommen, aber da es sich dabei weniger um wissenschaftliches Interesse als um einen irrationalen Personenkult handelte, wurden sowohl ausgeschmückte Texte als auch unglaubwürdige Portraits vom Publikum gierig aufgenommen. Die Shakespeare-Malerei war geboren! Einige Zeit, nachdem England von einer ersten Welle an posthumen Bildnissen des Barden überflutet worden war, entstand der Bedarf nach Illustrationen seiner Dramen. Die einschlägige Kunst wurde noch von Portraits der beliebtesten Interpreten ergänzt. Das sind im Wesentlichen die Bereiche, die im Folgenden beleuchtet werden.
In diesem ersten Teil werden die drei Gebiete der bildenden Kunst mit Shakespeare-Schwerpunkt exemplarisch präsentiert: Portraits des Autors, Illustrationen seiner Dramen und Bildnisse der Schauspieler, die seine Theaterstücke interpretierten.
Zum besseren Verständnis der Entwicklung von Malerei, Grafik und Bildhauerei mit diesem Inhalt wird die Geschichte des Erfolgs der entsprechenden Dramen chronologisch dargestellt und mit repräsentativen Bildern veranschaulicht.
Im zweiten Teil dieser Publikation wird anhand von ausgewählten Tragödien und Komödien detaillierter auf die zwei- und dreidimensionale Illustration von Shakespeares Werk eingegangen.
Zu Lebzeiten war William Shakespeare ein bekannter Theaterautor, aber nicht der berühmteste in ganz England. Seine erfolgreichsten Dramen zirkulierten teilweise als Raubkopie, waren aber noch nicht so gefragt, dass sie in offizieller Form parallel zu den ersten Aufführungen vollständig verlegt wurden. Ob der von manchen Kollegen beneidete und verspottete Schauspieler und Dichter jemals für ein Portrait posierte, ist noch nicht abschließend geklärt; nur für das Gemälde, nach dem folgendes Bildnis treu gestochen wurde, wird immer wieder eine Datierung noch vor seinem Tod vermutet.
Erst 1623, sieben Jahre nach Ableben des Autors aus Stratford-upon-Avon, erschien die allererste Ausgabe seiner gesammelten Werke: Mr. William Shakespeares Comedies, Histories, & Tragedies. Published according to the True Originall Copies. So wie die Texte im Vergleich mit der Bühnenfassung überarbeitet wurden, wurde vermutlich auch das Abbild des Urhebers modifiziert, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Das großformatige Buch mit allen seinen Theaterstücken war nämlich von einem posthum entstandenen Portrait geziert, das bis heute mit seiner ikonischen Kraft im kollektiven Bewusstsein für den Barden steht: Dabei handelte es sich um die einzige Illustration im ganzen Band.
Abgesehen von solchen isolierten Büstenbildnissen von Dramatikern erschöpfte sich die Beziehung zwischen bildender Kunst und Theater noch im fortgeschrittenen 17. Jahrhundert im Wesentlichen in der Gestaltung von Kulissen: Spezialisierte Kreative malten wechselbare Szenen mit Standard-Umgebungen (Palast, Wald usw.), die für verschiedene Stücke eingesetzt wurden. Was heute ziemlich primitiv und undifferenziert klingen muss, war im Spätbarock bereits eine Raffinesse und ein Fortschritt zu unserem heutigen Verständnis vom Theater, da es zu Shakespeares Zeit in England noch kein richtiges Bühnenbild gab und sehr viel der Phantasie der Zuschauer überlassen wurde.
Bereits kurze Zeit nach Beginn einer systematischen Verbreitung von Shakespeares Wort und Bild in zwei- und dreidimensionalen Würdigungen (s. hier oben die spätere Reproduktion einer frühen Skulptur) kam plötzlich eine Unterbrechung des gesamten Bühnenlebens: 1642 war der Bürgerkrieg in England ausgebrochen, der u.a. zur Schließung der Theater führte. Nach dem gescheiterten Republik-Experiment stellte König Charles II. 1660 den früheren Zustand der Nation weitgehend wieder her und ließ die Schauspielhäuser erneut öffnen. Die Restauration brachte gerade im Bereich des Dramas große Neuigkeiten, die die Welt auf den Brettern nachhaltig prägen würden: Neben den überfälligen, gemalten Szenen debütierten nun endlich auch die Schauspielerinnen – zunächst nur in den bis dahin von männlichen „Frauendarstellern” interpretierten weiblichen Figuren, später auch in Hosenrollen. Weitere Neuerungen des Theaters sollten eher vorläufigen Charakter haben, da sie der damaligen Mode und den Bedürfnissen einer umsichtiger gewordenen Monarchie entsprachen: jeweils die Adaption aller früheren, noch inszenierten Stücke ins konzertante Format mit Musik und Tanz (s. Purcells Oper The Fairy Queen, nach Shakespeares Mittsommernachtstraum) und die Einführung einer königlichen Lizenz zur Kontrolle der genehmigten Schauspielhäuser.
Trotz der destruktiven Konsequenzen dieser beiden Massnahmen auf die ursprüngliche Substanz erfreute sich Shakespeares Werk nun eines wachsenden Erfolgs und der Autor über eine verblüffende Würdigung als „Seele der Zeit” – einer Definition, der durch die häufige Überarbeitung der textlichen Vorlage im Sinne des wechselnden Geschmacks ein wenig nachgeholfen wurde. Tatsächlich passten seine Dramen mit der klassizistischen Ausrichtung des Restaurationstheaters nicht so gut zusammen, die u.a. die strenge Trennung von Tragödie und Komödie sowie eindeutige Zuordnungen der Figuren in Gute und Böse vorsah, die jeweils belohnt oder bestraft werden; gerade die unkonventionellen und psychologisch vielseitigen Helden und Heldinnen reizten aber die Schauspieler besonders zu virtuosen Interpretationen und fesselten schließlich das Publikum mit der Glaubwürdigkeit ihres Charakters und mit ihrer Unberechenbarkeit.
Vermehrte Shakespeare-Aufführungen (auch solche, die dem klassizistischen Diktat gebogen wurden) gingen mit einem spürbaren Einfluss auf andere Dichter einher und selbst die bildende Kunst empfing unter dem ansetzenden Kult neue Impulse. Zunächst entsprach die Gleichung Theater : Malerei immer noch lediglich der Bühnenbildgestaltung, die von qualifizierten Künstlern aus Italien und anderen Ländern des kontinentalen Europas meisterhaft übernommen wurde. Da diese Elemente eine immer größere Rolle spielten, sollten fixe Szenen im Laufe der Zeit von einem austauschbaren Repertoire eigens gestalteter Kulissen für jedes Stück abgelöst werden. Und mit den zunehmenden Inszenierungen von Shakespeare-Dramen ging der Bedarf von Abbildungen der immer vertrauteren Situationen einher.
In der Folge der Zunahme von einschlägigen Interpreten führte die Wende zum 18. Jahrhundert ausserdem zu einer neuen Gattung der Malerei, die diese Bühnenstars im Wettbewerb um die Gunst des Publikums und der Auftraggeber von ihren Konkurrenten deutlich abgrenzen sollte: dem Schauspieler-Portrait.
Nachdem Shakespeares Dramen inzwischen einen festen Platz im englischen Theaterkalender hatten, war die Zeit für eine repräsentative, zweite Edition seiner gesammelten Werke reif. Nicholas Rowe sorgte 1709 dafür, dass diese durch die sprachlich aktualisierte Textvorlage, eine einführende Biografie und vor allem erste Abbildungen erweiterte Auflage dem steigenden Ruf des illustren Kinds von Stratford-upon-Avon gerecht wurde. So sehr die von Rowe mit viel Begeisterung verfasste Vita der historischen Persönlichkeit zwecks Verherrlichung sicherlich einiges dazu dichtete, das zwangsläufig die Vorlage späterer Mystifizierungen bildete, sind die erstmaligen Illustrationen zu den abgedruckten Stücken aus heutiger Sicht doch hilfreich.
Diese bieten nämlich – trotz aller künstlerischen Freiheit bei der Gestaltung z.B. von besonders spektakulären Ereignissen wie Seestürmen und Geistervisionen – eine gewisse Orientierung auf der Suche nach den damaligen Gepflogenheiten bei der Inszenierung von Shakespeares Werk. Selbst wenn keine dokumentarische Treue bei der Abbildung von Requisiten und Kulissen unbedingt zu erwarten ist, könnten die akkuraten Zeichnungen von François Boitard wenigstens gängige Pointe, Kostüme und Posen zuverlässig spiegeln, da diese Elemente als mögliche Schnittmenge zwischen dem gespielten und dem gedruckten Theater den visuellen Erwartungen des damaligen Publikums entsprechen dürften. Anhand solcher Illustrationen kann man sich z.B. davon überzeugen, dass Shakespeare im 18. Jahrhundert grundsätzlich in damals moderner Kleidung und mit gepuderten Perücken gespielt wurde.
In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Nachfrage nach allem, was Shakespeare betraf, exponentiell: Seine Werke machten sich im Theaterprogramm immer breiter und bildeten in den 1730ern ein ganzes Viertel der Aufführungen in London (dabei waren ab dem Theatre Licensing Act von 1737 nur zwei Schauspielhäuser offen: Drury Lane und Covent Garden), gleichzeitig wurden sie vermehrt – erstmals auch in günstigeren Editionen – abgedruckt. Weitere Vorworte machen mit ihrem Lob dem späteren Leser klar, was in jener Zeit an dem Dichter besonders geschätzt wurde: Der Stratforder verkörperte inzwischen den „authentischen” englischen Geist (Natürlichkeit, Anstand, Modernität, Vielfalt) im Gegensatz zur als fremd empfundenen französischen Natur (die von diesen Autoren mit Künstlichkeit, Abhängigkeit von der Antike, zu strenge Regeln und Einfalt assoziiert wurde).
Abgesehen von nationalistischen Interpretationen wurden andere Qualitäten von Shakespeare dazu genutzt, die königliche Zensur zu umgehen: Sein vielschichtiges Theater wurde in Ermangelung guter zeitgenössischer Stücke mitunter zur politischen Satire eingesetzt, indem vergleichbare Situationen als Anspielungen an die Aktualität serviert wurden – was übrigens bereits vom Autor selbst ursprünglich getan worden war. Im frühen 18. Jahrhundert spielte das Gesehene jedoch eine größere Rolle als das Gesprochene, so dass dem visuellen Spektakel mehr Aufmerksamkeit als dem zugrunde liegenden Text eingeräumt wurde. Die vermehrten illustrierten Ausgaben der Werke Shakespeares bildeten inzwischen nicht nur einen mehr oder weniger freien Reflex der Inszenierungen, sondern wurden ihrerseits gerne als Vorlage für neue Bühnenideen genommen, so dass eine fruchtbare, gegenseitige Beeinflussung zwischen beiden Welten begann.
Dem Kult um Shakespeare gab einen sehr kräftigen Impuls der Schauspieler, Regisseur und Manager David Garrick um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Ex-Kauffmann aus Hereford, der erst im zweiten Anlauf eine Bühnenkarriere einschlug, kam in den frühen 1740ern nach London und mischte die englische Theaterszene ordentlich auf.
Mit seiner revolutionären Interpretation von Richard III. erfand er die Schauspielkunst neu. Nach der gekünstelten und vergleichsweise statischen Deklamation des Barocks musste seine dynamische und ausdrucksstarke Art vorzutragen für das damalige Publikum extrem natürlich – und damit besonders kongenial zur damals propagierten Essenz des Barden – wirken. Erste Schritte in dieser Richtung hatte zwar bereits sein Kollege Charles Macklin mit seinem legendären Shylock aus dem Kaufmann von Venedig vollführt, es war aber Garrick, der aus guten Gründen einen größeren und nachhaltigeren Eindruck hinterließ.