Eine SAJ-Novelle
© 2016 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt
© Umschlaggestaltung Andrea Gunschera
ISBN eBook-mobi: 9783864436178
ISBN eBook-epub: 9783864436185
www.sieben-verlag.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Epilog
Julia Woods betrat das Gebäude der United Nations in New York über den eigens für die Special Agents of Justice geschaffenen geheimen Eingang.
Die Special Agents of Justice-Agentur agierte zwar immer noch hauptsächlich von Texas und Louisiana aus, aber seitdem sie zum internationalen Geheimdienst geworden waren, hatte man ihnen im UN-Gebäude einen kleinen Trakt für Büros und Besprechungsräume zur Verfügung gestellt.
Die SAJs waren ursprünglich eine geheime Organisation unter der Leitung von Corey Snyder gewesen, deren Zweck es gewesen war, im Notfall den Präsidenten oder ein anderes Staatsoberhaupt zu eliminieren. Doch durch die Zusammenarbeit mit CIA und NSA waren sie mehr und mehr zu deren Spielball geworden. Ein paar Dinge waren schiefgelaufen. Jetzt leitete Barrett Manor die Agentur. Sie waren nun der UN unterstellt.
Julia selbst war von einem der besten Agenten der SAJs – Lance Del Monte – rekrutiert und ausgebildet worden. Seit einem Jahr war sie eine vollwertige Agentin. Einige Aufträge hatte sie bereits erfolgreich abgeschlossen und sie war stolz darauf.
Ihre Eltern hatten immer gehofft, dass sie einen vernünftigen Beruf ergreifen würde, wie Lehrerin oder vielleicht sogar Anwältin. Doch das wäre ihr eindeutig zu langweilig gewesen.
Julia langweilte sich schnell. Wie auch jetzt. Sie wartete in einem der Vorzimmer. Irgendein Typ würde sie gleich zu sich bitten und ihr einen neuen Auftrag erteilen. Mehr wusste sie nicht.
Sie saß auf einer weichen Besuchercouch und hatte eine schöne Aussicht auf New York, denn die Couch stand direkt gegenüber der großen Fensterfront.
Die Sekretärin hatte gerade den Raum verlassen, und Julia saß allein im Zimmer. Es war das erste Mal, dass sie einen Auftrag direkt von einem der UN-SAJ- Mitarbeiter bekommen sollte. Bisher waren es Barrett Manor und Lance Del Monte gewesen, die sie beauftragt hatten. Julia war gespannt, was sie erwarten würde.
Wahrscheinlich würde sie gleich zu einem grauhaarigen, älteren Anzugträger gebeten, der, geschützt durch die Sekretärin, in einem der Büros seine Schreibtischarbeit erledigte.
Die Standuhr an der gegenüberliegenden Wand tickte unaufhörlich. Eine geschlagene Viertelstunde wartete sie nun schon. Sie hasste es zu warten. Man hatte ihr einen Termin um 12:00 Uhr gegeben, den sie eingehalten hatte, im Gegensatz zu dem Typen, der sich hinter der Tür verbarg. 12:15 Uhr. Na toll.
Gegen 12:30 Uhr kam die Sekretärin zurück und Julia saß immer noch auf der Couch. Die Frau lächelte entschuldigend und fragte erneut, ob sie etwas zu trinken haben wolle. Bedeutete das etwa, dass sie noch länger würde warten müssen? Julia verneinte und stand auf.
„Soll ich vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt wiederkommen?“ Sie konnte ihre Verärgerung nicht verbergen.
Verwundert sah die Sekretärin sie an. „Nein, aber sie werden noch eine halbe Stunde warten müssen. Mr. Wright ist noch in einer Sitzung.“
„Wie bitte? Warum bestellt er mich dann für 12:00 Uhr hier her?“
Wieder diese Verwunderung im Gesicht der Sekretärin. „Sie haben einen Termin um 13:00 Uhr.“
Jetzt war es an Julia, erstaunt zu sein. „Aber das kann nicht sein, ich habe noch die E-Mail, warten Sie.“
Sie rief besagte E-Mail auf ihrem Smartphone auf. Shit. Das war ihr ja noch nie passiert. Sie war wirklich eine Stunde zu früh. Zerknirscht entschuldigte sie sich und setzte sich wieder auf die Couch.
Warten war etwas, das Julia nicht drauf hatte. Sie war mit einigen Talenten gesegnet, aber eben nicht mit Geduld. Diese Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn leider saß sie um viertel nach eins immer noch auf dieser Couch. Die mitfühlenden Blicke und das Lächeln der Sekretärin machten es nicht besser.
„Mr. Wright müsste jeden Moment kommen, ich mache jetzt Mittagspause.“ Sie stand auf. „Er hat sicher nichts dagegen, wenn Sie in seinem Büro auf ihn warten.“ Sie öffnete die Tür in ihrem Rücken und bedeutete Julia einzutreten.
Seufzend setzte sich Julia auf einen der ledernen Sessel gegenüber des Schreibtisches. Das Büro war in dunklem Holz gehalten und mit diesen obligatorischen, wahrscheinlich sündhaft teuren, Ledersesseln ausgestattet. Alles schien alt und antik zu sein, bis auf die sechs Monitore auf dem Schreibtisch. Hätte nicht ein Rechner gereicht? Das Chaos von Papieren, verstreuten Stiften und gelben Klebezetteln passte auch nicht ins Bild. Neugierig wollte sie sich gerade über den Schreibtisch beugen und die Notizen auf den Zettelchen lesen, als die Tür hinter ihr mit Schwung geöffnet wurde und gegen die Wand prallte.
„Ups.“
Julia drehte sich um und wurde enttäuscht. Kein Mr. Wright. Der Typ, der den Raum betrat, hatte eine Baseballkappe auf, die er jetzt schwungvoll auf den Kleiderhaken an der Wand warf. Er konnte nicht viel älter als sie selbst sein, wahrscheinlich Ende zwanzig. Das war sicher Frederick Wrights Assistent. Super, wie lange sollte sie denn noch warten? Ihre Verärgerung nahm immer weiter zu.
„Hi.“
Er ließ sich auf dem Chefsessel nieder. Sein schwarzes T-Shirt war verknittert und trug die Aufschrift: „Pizza is my drug“.
Jeans und Chucks rundeten das Outfit ab. Ob es Mr. Wright recht war, dass sein Assistent einfach auf seinem Sessel Platz nahm?
„Hallo. Ich bin Julia Woods, Mr. Wright hat mich für 13:00 Uhr herbestellt.“
Überraschung war deutlich im Gesicht ihres Gegenübers zu lesen. Wusste er nichts davon? Kam Mr. Wright heute gar nicht mehr ins Büro?
Er lächelte sie an. Ihre Verärgerung nahm weiter zu. Er hatte ein hübsches Lächeln, das einen förmlich dazu zwang, ihn ebenfalls anzulächeln, und das wollte sie ganz und gar nicht tun.
„Es tut mir leid, dass du warten musstest.“
„So wie es aussieht, muss ich wohl noch länger warten.“ Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme Missbilligung ausdrückte. Was sollte denn dieser vertrauensvolle Umgangston? War der Typ immer so locker? Wie konnte er dann für ein hohes Tier der United Nations arbeiten?
Sein Lächeln wurde noch breiter. Es sah fast aus, als würde er gleich loslachen. Julia konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Warum eigentlich nicht? Er sah doch nicht wirklich gut aus, oder? Er war keiner dieser Muskel-Model-Typen. Eher schmächtig. Seine blonden Haare waren total durcheinander. Okay, hässlich war er nicht. Besonders nicht, wenn er sie so anlächelte. Ihr gefielen seine grauen Augen. Die waren echt cool, mit schwarzen Wimpern. Waren die blonden Haare nur gefärbt? War er in Wahrheit vielleicht schwarzhaarig? Jesus, worüber dachte sie hier bloß nach?
„Wann kommt er denn nun? Also, Mr. Wright. Ich meine, wann wird er hier erscheinen?“ Langsam war Julia soweit, einfach aufzustehen und zu gehen.
Der Typ legte den Kopf schief. „Er ist bereits erschienen, aber du kannst mich Rick nennen. Frederick oder Fred, finde ich furchtbar.“
Holy Shit. Sie spürte die Hitze auf ihrem Gesicht. Wahrscheinlich war eine Tomate blass gegen sie. Ihr erster Auftrag direkt von der UN, und sie machte sich zum Affen. Herzlichen Glückwunsch.
Wow, die Frau war echt der Hammer. Zumindest äußerlich. Ansonsten schien sie ein bisschen zickig zu sein, oder zumindest genervt. Naja, er war ja auch zu spät gekommen. Das war schon immer so gewesen, selbst zu Schulzeiten. Warum er Pünktlichkeit nicht hinbekam, würde wahrscheinlich immer ein Rätsel dieses Universums bleiben. Julia Woods war echt heiß. Lange braune Haare, lange Beine, die in diesem Business Rock richtig gut zur Geltung kamen. Er musste sich echt zusammenreißen, sie nicht die ganze Zeit anzustarren. Ihre grünbraunen Augen waren auch ein Hingucker und die Lippen erst mal. Leider schien sie ihn nicht leiden zu können. Aber das konnte man ja ändern.
„Also, ich denke, du weißt, warum du hier bist.“
„Mein nächster Auftrag als Special Agent of Justice.“
Sie musste gut in ihrem Job sein. Was er gehört hatte, war nur positiv. Sie war erst seit einem Jahr dabei und vorher musste sie diese harte Ausbildung absolviert haben. Das konnte er nur bewundern. Er selbst war erst seit einigen Wochen ein Special Agent of Justice, aber einer mit diesem Sonderstatus, da er ursprünglich im Sicherheitsdienst der UN gearbeitet hatte. Rick hatte nie ein hartes Trainingsprogramm durchlaufen. Er war der Computerfreak beim Sicherheitsdienst der UN gewesen. Computerfreak war er immer noch, aber er sollte auch Außenaufträge machen und SAJs einteilen. Ziemlich viel Verantwortung, aber dieser Barrett Manor traute ihm das zu. Dann sollte er sich das auch zutrauen.
„Und?“
Oh Shit, er hatte sie wohl zu lange nur angestarrt. Mann, er musste sich echt zusammenreißen.
„Also es ist Folgendes …“
„Gibt es kein Dossier?“, unterbrach sie ihn.
„Dossier?“
„Das ist so üblich.“
„Ach so, nee ich habe kein Dossier für dich gemacht. Ich habe alles in meinem Kopf.“ Das hatte er wirklich. Er war nicht nur am PC ein Genie, er hatte auch ein verdammt gutes Gedächtnis.
„Schön, dass Sie, also du, alles im Kopf hast, aber das wird mein Auftrag. Ich möchte das übliche Briefing bekommen, inklusive eines Dossiers.“
Oha, sie war echt genervt von ihm. Gar nicht gut. Also sagte er es geradeheraus: „Du brauchst kein Dossier, du kannst auf meinen Kopf zurückgreifen, sozusagen. Wir arbeiten nämlich zusammen an diesem Außenauftrag.“
Begeisterung sah anders aus. Julia stand auf. „Nein, in dem Fall lehne ich den Auftrag ab.“
Das hatte sie noch nie getan. Julia verstand sich selbst nicht. Dieser Frederick Wright hatte ihr doch im Grunde gar nichts getan. Warum machte es sie so wütend, dass sie mit ihm zusammenarbeiten sollte? Dieses ganze Treffen war von Anfang an schiefgelaufen. Wenn sie mit ihm diesen Auftrag erfüllte, dann wäre er sicher sowas wie ihr Vorgesetzter. Ein Jeanstyp mit Baseballkappe? Das ging ja wohl gar nicht.
Für eine Sekunde bereute sie, ihn so angefahren zu haben. Denn für einen Moment flackerten seine grauen Augen überrascht und verletzt auf. Es war gar nicht ihre Art, andere Menschen vor den Kopf zu stoßen. Aber ein Partner? Bei einem ihrer Aufträge? Das kam nicht in Frage und schon mal gar nicht, wenn dieser Partner einer wie dieser Rick sein sollte. Himmel, sie war ungerecht, er war nett zu ihr, und sie kannte ihn nicht, aber er war der Typ von Mann, den sie grundsätzlich mied. Diese Locker-vom-Hocker-Typen, mit denen hatte sie so ihre Erfahrungen gemacht.
„Ich habe im letzten Jahr bewiesen, dass ich so gut wie jeder andere SAJ bin und nicht auf einen Partner angewiesen bin.“ Sie wollte einfach gehen. Vielleicht würde Barrett das verstehen und ihr helfen, einen anderen Auftrag zu bekommen.
„Warte doch mal!“
Sie hatte sich bereits zur Tür gewandt. Doch da war etwas in seiner Stimme, es war nicht direkt ein Flehen, aber irgendwie brachte sie dieser Ton dazu, sich doch noch einmal umzudrehen. „Was denn?“
„An deinen Fähigkeiten zweifelt niemand. Es geht um mich. Das wird mein erster Außenauftrag. Ich soll von dir was lernen.“
Rick war so entwaffnend ehrlich. Es schien ihm auch nichts auszumachen, so etwas vor ihr zuzugeben. Sie musste ihn doch kurz bewundern. Sie selbst hätte so was nicht gekonnt.
„Ach, und vielleicht kann ich dir auch was beibringen. Barrett sagte, dass dir ein paar PC-Kenntnisse nicht schaden könnten.“
Okay, die Bewunderung war dahin. Was bildete er sich ein? Sie konnte gut mit Computern umgehen, sie wusste, wo man die Dinger ein- und ausschaltete. Das reichte doch wohl, oder?
Julia überlegte. Sie wollte keinen Partner. Aber konnte sie den Auftrag ablehnen? Nicht, dass das ernsthafte Konsequenzen für ihre Karriere hatte. Denn wenn ihr etwas wichtig war, dann die berufliche Laufbahn.
„Setzt du dich wieder? Bitte.“
Das Bitte brachte sie dazu, wieder zurückzugehen. Höflichkeit war etwas, das man nicht ignorieren durfte. So war sie erzogen worden. Auch wenn sie sich selbst heute nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte, in punkto Höflichkeit.
„Also, was ist das jetzt für ein Auftrag?“, fragte sie, nachdem sie wieder auf dem Besucherstuhl Platz genommen hatte.
Rick setzte sich ebenfalls wieder und fuhr sich mit den Fingern durch das dichte blonde Haar. Es war ein bisschen zu lang und stand nach dieser Aktion noch mehr ab. Irgendwie sah er aus, als sei er gerade aus dem Bett gestiegen. Doch auf eine angenehme, liebevolle, vielleicht sogar erotische Weise.
Ach du Scheiße!
Was hatte sie denn da jetzt gedacht? Erotisch? Nein, das war er bestimmt nicht. Viel zu schmächtig und überhaupt nicht ihr Typ. Basta. Daran änderten auch die grauen Augen nichts, in die sie dummerweise immer wieder schauen musste. Sie leuchteten wie graue Diamanten.
„Also, das Ding, das wir durchziehen sollen, ist ziemlich heikel und natürlich wichtig.“
Fast musste sie lächeln, konnte sich aber im letzten Moment noch davon abhalten. Das hörte sich nicht wie ein SAJ-Auftrag an, sondern eher nach einem kriminellen Coup.
„Vielleicht hast du mitbekommen, dass unser Präsident sich mit einigen hochrangigen Regierungsmitgliedern aus dem Mittleren Osten trifft. Also dieser ganzen Scheich-Fraktion. Du weißt schon, von Dubai bis Qatar und so weiter.“
„Ja, natürlich habe ich das mitbekommen.“ Es war ihr Job, über diese Dinge informiert zu sein.
„Einer von den fünf Typen, die unser Präsident empfängt, ist wohl nicht ganz sauber.“
„Geht das etwas genauer? Und vielleicht nicht in diesem Verbrecherjargon?“ Dieser Typ war echt unglaublich.
„Oh, ich vergaß, Süße, du bist die Tochter eines Senators und hast in Yale studiert.“ Er schien ihr nicht böse zu sein, ganz im Gegenteil, sein Lächeln konnte einen echt aus den Schuhen hauen, was Julia noch mehr aus der Fassung brachte. Eine Zusammenarbeit mit Rick konnte nur in die Hose gehen.
„Wo ich studiert habe, tut hier nichts zur Sache.“ Irgendwie hätte sie gern gewusst, wo Rick studiert hatte. Nein, so ein Blödsinn, das interessierte sie überhaupt nicht.
„Was hältst du davon, wenn ich dich zum Essen einlade, und wir bequatschen dann alles? Ich hab echt `nen mördermäßigen Hunger.“
Julia stand auf. „Na schön. Wo gehen wir hin?“
„Äh, ich dachte wir bestellen Pizza?“ Er deutete lächelnd auf sein T-Shirt, dann fing er an zu lachen. „Erwischt. Natürlich bin ich in der Lage, mich in der Welt da draußen zurechtzufinden und dich in ein vernünftiges Restaurant auszuführen.“ Er schnappte sich seine Baseballkappe vom Haken und lief los. Julia konnte nur mit dem Kopf schütteln. Er würde sie in den Wahnsinn treiben. So viel war sicher.
Das „Restaurant“ entpuppte sich dann doch eher als eine Imbissbude. Wobei es ziemlich voll war und einige Anzugträger sich darin rumtrieben. Es schien also ein beliebter Treffpunkt für Bürohengste zu sein. Julia sah sich um. Es gab keinen freien Platz. Ein älterer Herr mit einer Küchenschürze kam auf sie zu.
„Rick!“ Der Mann stoppte sofort, als er Julia sah. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. „Na, wer ist denn das hübsche Mädchen, das du da bei dir hast? Ich wusste nicht, dass du heute in Begleitung kommst. Warum hast du nichts gesagt?“
Der Mann hatte einen italienischen Akzent und sah auch wie ein grauhaariger Italiener aus. Na ja, so zumindest stellte sie sich ältere Italiener vor. Klein, mit einem großen Bauch vom guten Essen, dunklen kleinen Augen und diesem schwarzen, noch nicht ergrauten Schnauzbart.
„Das ist Julia, eine Freundin.“
Ach, sie war bereits eine Freundin? Rick schien ja schnell Freundschaften zu schließen. Der Italiener griff mit seiner fleischigen Hand nach ihrer. Dann drückte er sie auf einmal an sich. Überrascht ließ sie es geschehen, was hätte sie auch sonst tun sollen? Ihn hier mit ihren Kampfsportfähigkeiten außer Gefecht zu setzen, kam wohl eher nicht in Frage.
„Ich bin Vittorio, mir gehört die Trattoria. Setzt euch, setzt euch. Ich mache euch ein schönes Essen zurecht.“
Aha, keine Speisekarte. Vielleicht sollte er lieber vorher fragen, ob sie irgendwelche Allergien hatte.
Rick grinste nur, als sie sich setzten. „Na ja, er ist manchmal ein bisschen überschwänglich.“
„Das ist offensichtlich. Du kommst also öfter her?“
„Täglich.“
Julia konnte nicht verhindern, dass ihre Augen größer wurden. Sie konnte sich nicht vorstellen, jeden Tag Pizza oder Pasta zu essen. Obwohl, vielleicht gab es hier auch gesunde Salate.
„Findest du es richtig, dass wir unseren Auftrag an so einem öffentlichen Ort besprechen?“ Die Frage war ihr wichtig, doch sie merkte selbst, dass sie tadelnd, geradezu oberlehrerhaft klang. Doch auch das schien Rick nicht zu stören. Er grinste nur unverschämt.
„Immer noch besser als in der UN. Mein Büro ist mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet, wie die meisten Räume dort.“
„Oh.“ Das hatte sie wirklich nicht gewusst. „Aber die Leute, die uns abhören, sind doch auf unserer Seite.“
„Sicher. Aber man weiß ja nie, oder?“
Vittorio persönlich brachte ihnen eine große Karaffe Rotwein und eine Flasche Wasser. Mit einem Zwinkern in ihre Richtung verschwand er wieder.
„Rotwein?“
„Vittorio sagt immer, dass der zu einem guten Essen dazugehört.“
Rick füllte ihre Gläser. Julia ließ es geschehen, nippte aber nur an ihrem Wasser. Das mit dem guten Essen würde sie erst noch überprüfen müssen.
„Auch wenn du es versuchst zu vermeiden, du hast einen richtig geilen Südstaatenakzent.“
Sie starrte ihn an. Seit Jahren arbeitete sie daran, den abzulegen. Sie hasste diesen Akzent.
„Sorry, wenn ich dir damit zu nahe getreten bin. Texas, richtig?“
„Ja. Aber das wusstest du doch sicher schon, wahrscheinlich hast du eine Akte über mich im Kopf.“
Verwundert sah er sie an. „Nein, niemand hat mir eine Akte gegeben. Ich habe einfach Barrett gefragt. Der Typ ist echt cool. Er hat mir auch nur gesagt, dass du die Tochter von Senator Lester Woods bist und in Yale studiert hast. Mehr war nicht aus ihm rauszubekommen, obwohl ich ihn mit tausend Fragen gelöchert habe.“
Ehe sie etwas darauf erwidern konnte, kam Vittorio mit Brot und Olivenöl zurück. Das Brot war frisch gebacken, es duftete köstlich. Ihr lief tatsächlich das Wasser im Mund zusammen.
Rick nahm sich ein Stück Brot und tunkte es in das kleine Schüsselchen mit dem Öl. Kauend meinte er: „Sorry, ich glaube, ich rede ein bisschen viel.“
Jetzt sah er verlegen auf die Tischdecke. Irgendwie süß. Nein, überhaupt nicht süß, furchtbar. Sie musste es furchtbar finden, aber es fiel ihr schwer. Sie würde ihn doch nicht etwa am Ende sympathisch finden und ihn mögen?
„Ich bin ein bisschen nervös.“