Hermann Bahr: Das Konzert. Lustspiel in drei Akten
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Paul Cezanne, Paar im Garten, 1873
ISBN 978-3-8430-8129-0
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8619-9267-7 (Broschiert)
ISBN 978-3-8619-9268-4 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
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Richard Strauss
in herzlicher Bewunderung und Verehrung
Venedig Lido, Pfingstsonntag 1909
Gustav Heink, Pianist
Marie, seine Frau
Dr. Franz Jura
Delfine, seine Frau
Eva Gerndl
Pollinger
Frau Pollinger
Fräulein Wehner
Fräulein Selma Meier
Miss Garden
Frau Claire Floderer
Frau Fanny Mell
Frau Dr. Kann
Salon bei Heink. In der linken Wand Türe zum Zimmer der Frau Marie, in der Mitte Türe zum Musikzimmer, in der rechten Wand Türe zum Vorzimmer. Bilder Gustav Heinks, eine Büste Gustav Heinks. Links Tisch mit Stühlen. An der Türe rechts ein Kamin, weiter nach vorn ein Wandsofa, vor diesem ein rundes Tischchen mit Stühlen. Überall Blumen in hohen schmalen Gläsern. Alles ist hell, behaglich und reich, von einer angenehmen ungesuchten Eleganz.
Auf dem Tische links: Sträuße von Tulpen, Narzissen und Flieder, eben hingelegt, dann ein Stoß von uneröffneten kleinen blaßblauen, gelben und rötlichen Briefen mit Monogrammen und ein Handkoffer in gelbem Leder, halb gepackt. Auf dem Tischchen rechts ein Stoß von uneröffneten kleinen Briefen.
Die Tür zum Musikzimmer steht auf; man erblickt einen großen schwarzen Steinway und an der Wand Lorbeerkränze mit großen Schleifen. Auch die Tür rechts steht auf.
HEINK dreiundvierzig Jahre; groß, auffällig schlank, was er durch seine Kleidung noch hervorzuheben sucht, und sehr jugendlich in seinen eiligen Bewegungen; pechschwarzes Haar in langen glatten Strähnen bis auf die Schultern; das unruhige Gesicht rasiert, sehr gescheit, mit einem Zug ins Spöttische, der seinen Ausdruck banaler Liebenswürdigkeit stört; es wäre der Kopf eines durchtriebenen Weltmannes oder Diplomaten, ohne die langen Haare, die ihm etwas gewerbsmäßig Künstlerisches geben; er ist weibisch kokett, besonders wenn er im Gespräch die müden, ein wenig verschlafenen Augen plötzlich aufreißt und nun visionär ins Weite starrt; er spricht mit einer affektierten Herzlichkeit, seine zärtliche Stimme hat etwas Bittendes, Streichelndes, doch vergißt er sich leicht und wenn er ungeduldig wird, ist sie hart und schreit; er trägt einen Automobilmantel; er ist im Musikzimmer rechts, noch unsichtbar, und kann sich der andrängenden Damen kaum erwehren. Glauben Sie mir, meine Damen! Ich bin untröstlich! Ein Versehen meines Sekretärs offenbar, das ich mir selbst noch gar nicht erklären kann, denn Sie können sich doch denken, meine verehrten Damen, daß ich – immer noch unsichtbar, bricht er, da er etwas sucht und nicht findet, plötzlich ab und ruft ungeduldig nach dem Vorzimmer hin Fräulein! Und gleich wieder in seinem sanften Ton zu den Damen Wie gesagt, ich bin untröstlich, ich konnte doch nicht denken, daß mein Sekretär – ich kann's auch noch gar nicht verstehen, er hatte den Auftrag, die Damen noch gestern sofort zu verständigen, und ich weiß gar nicht was – wieder in dem andern Ton, nach dem Vorzimmer rufend, noch heftiger, indem er, einen Pyjama über den Arm, ein Täschchen in der Hand, zur Tür des Musikzimmers schießend, einen Augenblick sichtbar wird, von den Damen begleitet Fräulein! Gleich verschwindet er wieder im Musikzimmer nach rechts und fährt mit sanft klagender Stimme fort Sie sehen mich untröstlich, meine Damen! In zwei Tagen bin ich ja freilich wieder zurück, aber Sie können sich denken, wie bang mir nach Ihnen sein wird, die zwei Tage! Wieder in dem anderen Ton, indem er wütend schreit Fräulein!
FRAU FANNY MELL klein, aufgeregt, schusselig; rennt aus dem Musikzimmer in den Salon, nach dem Vorzimmer rufend. Fräulein!
FRAU CLAIRE FLODERER blond, dick, tragisch; tritt aus dem Musikzimmer in die Tür, lehnt sich an und seufzt, Tränen in den Augen. O Gott! O Gott!
FRÄULEIN SELMA MEIER enthusiastisch, atemlos; folgt stürmisch der Frau Mell, nach dem Vorzimmer rufend. Fräulein!
FRAU FANNY MELL vor der Tür rechts, ins Vorzimmer rufend. Fräulein! Sie will ins Vorzimmer und prallt mit der eintretenden Eva Gerndl zusammen; vor dem großen Blumenstrauß, den diese vorstreckt, zurückschreckend Oh!
EVA neunzehn Jahre; sehr schlank, phantastisch, auf Schlange stilisiert, Klimtaugen, Klimtfrisur, überhaupt ganz Klimt; versucht auf alle Weise nervös zu schillern; ist immer aufgeregt und hat immer Verdacht; unter ihrer Maske sieht, wenn sie sich zuweilen vergißt, ein argloses liebes Wiener Gesicht mit großen verwunderten Augen kindisch hervor; zuerst erscheint ein ungeheurer Strauß von gelben Tulpen, den sie trägt, dann folgt sie selbst, erschrickt vor Frau Fanny Mell und fragt gleich sehr mißtrauisch. Was? Was ist denn? Was ist geschehen?
FRAU FANNY MELL mit einem Blick ins Musikzimmer zurück und dem Ausdruck des höchsten Entsetzens. Er verreist!
FRÄULEIN SELMA MEIER tritt zu Frau Fanny Mell. Er verreist!
FRAU CLAIRE FLODERER tragisch mit tiefer Stimme. Der Meister verreist! Kommt langsam vor.
EVA an dem Worte würgend, das ihr im Hals stecken bleibt. Ver – reist?
FRAU FANNY MELL rasch. Die Stunde fällt aus –
FRÄULEIN SELMA MEIER einfallend. Auch morgen und –
FRAU FANNY MELL einfallend. Er gibt ein Konzert –
FRÄULEIN SELMA MEIER dazwischensprechend. Der Sekretär hat uns abschreiben sollen –
FRAU FANNY MELL. Mir hat er nicht geschrieben –
FRÄULEIN SELMA MEIER. Mir auch nicht –
FRAU FANNY MELL zu Eva. Hat er Ihnen geschrieben?
EVA noch ganz starr. Mir? Mir?
FRAU CLAIRE FLODERER zu den anderen vortretend; tragisch. Der Meister verreist!
EVA atemlos. Kein Wort! Kein Wort! Aber da – da – ringt nach Luft.
HEINK im Musikzimmer, unsichtbar; ruft nach dem Vorzimmer. Fräulein!
EVA. Da steckt ein Geheimnis! Läßt mit einem kurzen Aufschrei den Strauß fallen, fährt mit der Hand ans Herz und sinkt auf das Wandsofa.
FRAU DOKTOR KANN kurz, stämmig, asthmatisch; mit einem Riesenhut und vielen Ringen; stürzt aus dem Musikzimmer vor. Fräulein!
FRAU FANNY MELL ins Vorzimmer rennend. Fräulein! Rechts ab.
FRÄULEIN SELMA MEIER der Frau Fanny Mell folgend. Fräulein! Rechts ab.
FRAU CLAIRE FLODERER will ins Vorzimmer, bleibt aber an der Tür rechts; seufzend. O Gott! O Gott!
FRAU DOKTOR KANN wackelt auf Eva zu. Die Stunde fällt aus, der Meister verreist!
EVA mit geschlossenen Augen, mit schwacher Stimme. Wasser! Wasser!
Liegt malerisch auf dem Wandsofa.
FRAU DOKTOR KANN zu Eva, gleichgültig fragend, ohne sich zu rühren. Was haben Sie denn?
HEINK kommt aus dem Musikzimmer, mit seinem Pyjama, dem Täschchen und einem Fußsack beladen, den ihm Miß Garden durchaus abnehmen will; sich dagegen wehrend, geziert, verschämt. Aber nein, nein! Was fällt Ihnen ein? Das geht doch nicht, mein Kind! Geht an den Tisch links.
MISS GARDEN Amerikanerin; sehr exotisch aufgedonnert; mit leisem Akzent; zerrt an dem Fußsack. O geben Sie doch, Meister! Geben Sie mir ihn! O es macht mich glücklich!
FRAU DOKTOR KANN wackelt auf Heink zu. Mir, Meister, mir!
EVA schlägt blinzelnd die Augen auf, und da man keine Notiz von ihr nimmt, erhebt sie sich und greift nach dem Tulpenstrauß.
HEINK sich wehrend; geziert, verschämt. Nein, Kinder, nein! Es geht doch wirklich nicht! Das ist für eure zarten Damenhände nichts!
FRAU DOKTOR KANN erwischt seinen Pyjama und hält ihn hoch.
MISS GARDEN reißt ihm den Fußsack weg, den sie an ihren Busen drückt.
HEINK zwischen Frau Doktor Kann und Miß Garden in der Mitte, das Täschchen in der Hand; schmerzlich vorwurfsvoll klagend. Nein, Kinder! Aber Kinder! Seid ihr toll?
FRAU CLAIRE FLODERER von der Tür rechts her hinter Heink tretend; langsam, mit tiefer Zärtlichkeit, bittend. Meister!
HEINK gleichgültig fragend, rasch. Ja, mein Kind?
FRAU CLAIRE FLODERER mit schwerer Innigkeit. Vertraun Sie mir das Täschchen an, Meister!
HEINK legt rasch die Hand schützend auf das Täschchen; wieder in jenem geziert verschämten und schmollenden Ton. Nein, Kinder, nun hört schon auf! Ihr wißt, daß ich das nicht mag, wenn ihr es so mit mir treibt! Es macht mich ganz befangen.
FRAU CLAIRE FLODERER tief traurig. Wird denn nur mir gar nichts gewährt?
HEINK sieht sie kokett an, lächelt und reicht ihr bezwungen das Täschchen. Wer könnte solchen Augen widerstehen? Klatscht in die Hände; in einem andern Ton, ungeduldig Nun macht aber rasch, daß endlich gepackt wird! Es ist die höchste Zeit. Ich versäume sonst wirklich noch mein – Konzert. Lustig Rasch, Kinder, rasch!
MISS GARDEN, FRAU DOKTOR KANN und FRAU CLAIRE FLODERER packen an dem Tische links den gelben Koffer.
EVA tritt zu Heink, der sie jetzt erst bemerkt, und reicht ihm die gelben Tulpen. Verehrter Meister!
HEINK affektiert überrascht, indem er die Tulpen nimmt. Ach die schönen, schönen Blumen! Danke schön! Und wissen Sie, Kind, daß das meine Lieblingsblumen sind?
EVA ein freudiges Erstaunen heuchelnd. Nein?
HEINK die Blumen streichelnd, kokett. Ja!
EVA. Wirklich, Meister?
HEINK. Klein Evchen errät doch meine geheimsten Gedanken!
EVA. Ich wünschte mir, der Meister erriete meine!
HEINK kokett. Nun?
EVA leise. Ich möchte mit. Sieht ihn frech an.
HEINK erschreckt, verwirrt; plötzlich in einem harten ungeduldigen Ton. Was denn, wie denn, wohin?
EVA frech. In das Konzert.
HEINK rasch. Welches – ärgerlich Ach so! Scharf Was fällt Ihnen ein!?
EVA frech. In das Konzert, das Sie geben. Ich weiß ja nicht wo. Aber warum denn nicht?
HEINK heftig. Nein. Ausgeschlossen, mein Kind! Wieder milder im Ton Daß es vielleicht noch heißt, ich schleppe den ganzen Troß meiner Schülerinnen mit! Das wäre so was für die Herren der Presse! Und dann, Kind, ist es auch gar kein öffentliches Konzert, sondern auf einem Schloß, nämlich bei der Gräfin – aber der Name ist ja gleich, ich will nicht, daß man ihn weiß, es sähe aus, als ob ich damit prahlen möchte, und Sie wissen, mein Kind, ich hasse nichts mehr, als was irgendwie nach Reklame schmeckt. Plötzlich wieder in einem sehr netten, schmeichelnden Ton Also seien Sie lieb und hüten Sie mein Geheimnis! Ja?
EVA heuchlerisch treuherzig. Ja, Meister.
HEINK. Klein Evchen wird mich doch nicht verraten? Ich kenne Klein Evchen doch! Und wenn es brav ist und schön zu schweigen weiß, dann –
EVA. Dann?
HEINK sieht sie kokett an. Tja! Wer weiß?
EVA. Darf ich dann ein anderes Mal vielleicht mit, ins – Konzert?
HEINK ganz nahe an ihrem Gesicht, kokett. Wer weiß?
EVA langsam. Auch in ein so ganz geheimes Konzert?
HEINK plötzlich ärgerlich, trocken. Mein liebes Kind, benutzen Sie lieber die paar Tage, um einmal tüchtig zu üben! Ihr Anschlag ist höchst mangelhaft. Das kommt aber davon, wenn man allerhand Torheiten im Kopfe hat. Ich kann schon auch einen Scherz verstehen. Aber die Kunst, mein Kind, die Kunst fordert den ganzen Menschen für sich! Er läßt sie stehen und wendet sich ab, zum Tische links hin; plötzlich in einem andern, weinerlichen Ton Aber nicht den Fußsack! Was treibt ihr denn, der Fußsack kommt doch nicht in den Koffer!
FRAU DOKTOR KANN, MISS GARDEN und FRAU CLAIRE FLODERER reißen alles wieder aus dem Koffer.
EVA blickt Heink einen Augenblick nach, stampft dann zornig mit dem Fuß auf und tritt an den Kamin rechts, wo sie trotzig bleibt.
FRÄULEIN WEHNER siebenundzwanzig Jahre; ängstlich, gehetzt; eine Automobilmütze bringend, atemlos durch die Tür rechts. Hier, Herr Professor, ist die –
FRAU FANNY MELL und FRÄULEIN SELMA MEIER hinter dem Fräulein Wehner, durch die Tür rechts und gleich zum Tische links.
HEINK als er die Stimme der Wehner hört, ohne sich nach ihr umzuwenden, an einem Koffer beschäftigt; ungeduldig klagend. Endlich, Fräulein! Wo stecken Sie denn, Fräulein? Ich will doch abreisen, Fräulein! Und Sie lassen mich ganz allein! Ich habe doch wirklich noch andere Dinge im Kopf!
FRÄULEIN WEHNER hält ihm die Mütze hin, atemlos. Ich habe die Mütze gesucht, Herr Professor!
HEINK ungeduldig ärgerlich. Ach ja die Mütze!
FRÄULEIN WEHNER. Sie hing im Garten auf dem Apfelbaum.
HEINK gereizt. Nun ja! Das hätten Sie sich auch denken können. Sieht sie vorwurfsvoll an und sagt in einem Ton tiefer Kränkung Fräulein, Fräulein!
FRÄULEIN WEHNER steht schuldbewußt; leise, flehentlich, zerknirscht. Verzeihen Sie, Herr Professor!
HEINK ungeduldig, weinerlich; auf den Koffer zeigend, den er nicht zubringt. Aber nun kommen Sie doch endlich und helfen uns! Während Fräulein Wehner an den Tisch stürzt Vorher aber sehen Sie noch nach, ob denn der Johann bereit ist! Es ist ja die höchste Zeit, Fräulein! Er soll gleich den Koffer holen! Während Fräulein Wehner vom Tische links an die Tür rechts stürzt Und Fräulein, Fräulein! Haben Sie denn meiner Frau gesagt –?
FRÄULEIN WEHNER an der Tür rechts. Gleich, Herr Professor! Rechts ab.
HEINK ruft ihr wütend nach. Nein, Fräulein! Hören Sie doch!
FRAU FANNY MELL zur Tür rechts stürzend. Fräulein!
MISS GARDEN sich an dem Koffer bemühend. Man muß stopfen. Dann geht es gut.
FRÄULEIN SELMA MEIER zur Tür rechts stürzend. Fräulein!
FRAU CLAIRE FLODERER mit tiefer Stimme. O Gott! O Gott!
FRÄULEIN WEHNER rechts draußen rufend. Ja? Erscheint atemlos in der Tür rechts
HEINK verzweifelt, weinerlich. Vor allem rufen Sie doch meine Frau! Ich habe Sie doch gebeten, meine Frau zu rufen, Fräulein!
FRÄULEIN WEHNER stürzt von der Tür rechts zur Tür links. Ja, Herr Professor.
HEINK. Und geben Sie mir doch meine Mütze! Warum geben Sie mir denn meine Mütze nicht?
FRÄULEIN WEHNER die die ganze Zeit die Mütze in der Hand behalten hat; an der Tür links, fassungslos. Die Mütze? Die Mütze, Herr Professor?
FRAU FANNY MELL. Die Mütze, Fräulein!
FRÄULEIN SELMA MEIER. Die Mütze!
HEINK brüllend. Sie haben sie doch in der Hand!
FRÄULEIN WEHNER erschrickt. Ja, Herr Professor! Rennt von der Tür links an den Tisch und bringt die Mütze.
HEINK indem er die Mütze nimmt und aufsetzt. Vor allem aber meine Frau, Fräulein! Und den Johann haben Sie mir auch noch nicht gerufen! Und dann müssen Sie doch endlich den Koffer schließen!
FRÄULEIN WEHNER an der Tür links. Gleich, Herr Professor! Links ab.
HEINK klagend. Wenn ich nicht alles selber mache! Sie sehen, meine Damen! Ach ja, Kinder, es ist schwer, berühmt zu sein! Geht nach rechts, erblickt Eva und sagt zornig Und Sie könnten auch ein bißchen helfen, statt sich da malerisch an den Kamin hinzugießen! Mit Ihrer Faulheit, mein Kind, werden Sie nie was erreichen! Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen?
EVA zornig, ganz leise. Sie haben mich zu tief verletzt!
HEINK muß über ihr zorniges Gesicht lachen. Wie denn? Wann denn?
EVA. Glauben Sie, ich weiß nicht?
HEINK unruhig. Was?
EVA. Alles.
HEINK ungeduldig; Was denn?
EVA mit einer spöttischen Verbeugung. Viel Glück zum – Konzert, verehrter Meister!
HEINK unruhig, streng. Kind, ich bitte mir aus, daß Sie –
MISS GARDEN der es endlich gelungen ist, den Koffer zu schließen; triumphierend. Zu!
FRAU DOKTOR KANN triumphierend. Zu!
FRÄULEIN SELMA MEIER stürzt nach rechts auf Heink zu. Er ist zu! Meister, der Koffer ist zu!
EVA tritt wieder an den Kamin mit dem Rücken gegen die anderen.
FRAU FANNY MELL. Aber die Schlüssel?
MISS GARDEN und FRAU DOKTOR KANN tragen den Koffer zur Tür rechts. Ja, die Schlüssel?
HEINK in seinen Taschen suchend. Die Schlüssel?
MARIE zweiunddreißig Jahre; blond, klein, sehr zierlich; ihr Gesicht ist viel zu gescheit, um schön zu sein; ihr ganzes Wesen hat eine große Ruhe, der man nicht trauen darf; sie ist ganz unauffällig gekleidet, fast kokett einfach; durch die Tür links, die Fräulein Wehner, ihr folgend, hinter ihr schließt; als sie die Damen erblickt, nickt sie kurz und bleibt auf der linken Seite, links vom Tisch. Was ist, Gustl?
FRAU CLAIRE FLODERER zum Fräulein Wehner. Die Schlüssel, Fräulein! O Gott!
HEINK zu Marie gehend, indem er immer noch in allen Taschen nach den Schlüsseln sucht; eilig. Guten Morgen, Marie! Ich will dir nur sagen, daß ich – unterbricht sich, bleibt stehen und schreit wütend Ich habe die Schlüssel nicht! Fräulein, Fräulein!
FRÄULEIN WEHNER gleich hinter Marie durch die Tür links. Die Schlüssel müssen im Musikzimmer sein! Rennt durch die Tür in der Mitte nach dem Musikzimmer.
MISS GARDEN und FRAU DOKTOR KANN lassen den Koffer an der Tür rechts stehen und stürzen ins Musikzimmer. Im Musikzimmer!
FRAU FANNY MELL und FRÄULEIN SELMA MEIER stürzen ins Musikzimmer.
FRAU CLAIRE FLODERER folgt ihnen mit langsamen tragischen Schritten ins Musikzimmer.
HEINK ins Musikzimmer rufend; ärgerlich klagend. Und, Fräulein, ist denn nun der Johann so weit? Mit einer halben Wendung zu Eva; ungeduldig, kurz Ach, Frau Eva, Sie sind wohl so lieb, rasch einmal nach dem Johann zu sehen! Ja?
EVA ärgert sich; verheißt es und nickt kurz; rechts ab.
HEINK geht zu Marie nach links; im Gespräch mit ihr hat sein Ton bisweilen eine Schüchternheit oder Verlegenheit, die ihm sonst fremd ist. Ich will dir nur geschwind Adieu sagen, Marie! Denn denk dir, ich muß auf ein paar Tage fort, das hat sich plötzlich so gemacht, eben jetzt erst, heute früh, nämlich, aber verlegen auflachend wir brauchen ja nicht feierlich zu werden, in zwei, drei Tagen bin ich wieder zurück, es wird mir ganz gut tun, einmal ein bißchen herauszukommen, es handelt sich nämlich um ein Konzert, übrigens ohne Bedeutung, die Hauptsache ist mir, ein bißchen frische Luft zu schöpfen, und so nebenher will ich, weil sich gerade die Gelegenheit ergibt, nicht wahr, du begreifst –
MARIE mit unverhohlenem Spott. Ich habe mir gleich gedacht, daß es sich um ein Konzert handeln wird.
HEINK durch ihren Ton betroffen; beleidigt. Marie! Sieht sie an und muß lachen; lustig Aber du hast recht, es ist ja zu dumm, ich werde dich doch nicht anlügen! Du verrätst mich ja nicht, ich muß das nur vor mit einer Gebärde nach dem Musikzimmer, vor meinen Gänsen sagen, denn, Marie, glaub mir, sie sind fürchterlich, es geht nicht mehr, ich muß wieder einmal ein paar Tage heraus, ich will in die Hütte hinauf, ein paar Tage im Wald liegen und den Vögeln zuhören, ich halt's nicht mehr aus und der Frühling ist ja da, da packt's mich immer wieder und ich hab' mir's doch ehrlich verdient, die zwei, drei Tage, nicht?
MARIE. Du hast dir's ehrlich verdient! Und es ist sehr lieb von dir, daß du mich nicht anlügst.
HEINK sieht sie zweifelnd an, ob sie das ernst meint. Nicht wahr? Rasch weitersprechend Und du wirst ja den Gänsen nichts verraten, die brauchen das nicht zu wissen, da wird nur gleich wieder getratscht. In einem lebhaften Ton Du kennst die Leute, da heißt's gleich, man ist müd, man ist krank, was weiß ich, gar in meinem Alter, sie rechnen mir ja so schon immer meine Jahre vor! Wer über zwanzig ist, wird doch in der Musik heute gleich als Patriarch behandelt! Also du verstehst, daß ich es da vorziehe zu sagen, es handle sich um ein Konzert, es ist wirklich gescheiter! Lachend Und du wirst mich ja nicht verraten!
MARIE. Nein, ich verrate dich nicht. Du weißt doch, daß ich schweigen kann. Nicht?
HEINK. Wenn du dir nur den ironischen Ton abgewöhnen könntest! Du sagst die nettesten Sachen oft so, daß es unheimlich ist.
MARIE tut erstaunt. Ich?
HEINK unsicher. Oder bilde ich mir das ein? Rasch darüber wegsprechend Es ist ja möglich, ich bin wieder einmal mit meinen Nerven so fertig, Gott, du mußt nur denken, der Winter war arg, erst die große Tournee, dann hier von Gesellschaft zu Gesellschaft und tagüber die Gänse! Ich bitte dich, beschwichtige mir die Gänse, sonst wirft sich noch eine vor mein Automobil!
MARIE. Mein lieber Gustl, wie soll ich das? Du weißt doch, sie hassen mich alle.
HEINK. Warum denn?
MARIE. Sie denken wohl, ich nehme dich ihnen weg. Es ist mit Gefahr verbunden, deine Frau zu sein.
HEINK lachend. Du bist aber ganz tapfer.
MARIE in ihr Schicksal ergeben. Man lernt es mit der Zeit.
JOHANN Heinks Chauffeur; durch die Tür rechts; nimmt den Koffer.
EVA mit Johann durch die Tür rechts; tritt zum Kamin.
HEINK Johann erblickend. Na endlich, Johann! Sind wir so weit?
JOHANN. Jawohl, Herr Professor!
Mit dem Koffer rechts ab
HEINK. Es ist auch die höchste Zeit! Indem er Marie die Hand reicht Also laß' dirs gut gehen, in zwei Tagen bin ich ja wieder bei dir! Küßt ihr die Hand.
FRAU CLAIRE FLODERER kommt aus dem Musikzimmer.
MARIE. Strenge dich nur nicht zu sehr an!
HEINK durch ihren Ton verwirrt. Ach du! Du machst dich immer lustig über mich!
MARIE die Besorgte spielend. Nun, so ein Konzert –!
HEINK umarmt sie stürmisch. Adieu, adieu! Küßt sie Adieu!
FRAU CLAIRE FLODERER da sie Heink Marie küssen sieht; tragisch. O Gott!
FRÄULEIN WEHNER, MISS GARDEN, FRAU FANNY MELL, FRAU DOKTOR KANN und FRÄULEIN SELMA MEIER im Musikzimmer durcheinanderschreiend. Da sind sie! Die Schlüssel sind gefunden! Gefunden, gefunden! Geben Sie mir! Lassen Sie mich! Stürzen, durcheinander drängend und schreiend, aus dem Musikzimmer vor, Fräulein Wehner mit den Schlüsseln an der Spitze, Miß Garden als die Letzte.
HEINK die Flucht vor ihnen ergreifend, die Automobilbrille aufsetzend. Jetzt aber nur schnell, Gott steh mir bei! Winkt seiner Frau noch einmal mit der Hand und rennt zur Tür rechts. Adieu, adieu! Und den Fußsack, Fräulein! Vergessen Sie den Fußsack nicht! In drei Tagen, Kinder, bin ich ja wieder zurück! Haben Sie das Täschchen, Fräulein? Und haltet mir die Daumen, Kinder, für mein Konzert! Rechts ab; man hört ihn noch draußen rufen Und fleißig üben, Kinder, immer fleißig üben! Denkt an mich und übt! Fräulein, ich habe die Blumen vergessen! Die Blumen, die Blumen müssen mit! Und die Briefe, meine Briefe! Nur fleißig üben! Immer fleißig üben, Kinder! Seine Stimme verhallt draußen, man hört das Automobil pusten.
MARIE lächelnd, langsam links ab.
FRÄULEIN WEHNER, FRAU FANNY MELL, FRAU DOKTOR KANN und FRÄULEIN SELMA MEIER drängen hinter Heink hinaus, rechts ab; man hört sie draußen schreien. Die Blumen, um Gotteswillen, die Blumen!
MISS GARDEN eben an der Tür rechts, wendet sich noch einmal um und will die Blumen und die Briefe vom Tische holen.
FRAU CLAIRE FLODERER kommt ihr zuvor, stürzt an den Tisch, rafft alle Blumen und die Briefe zusammen und trägt sie feierlich hinaus, mit einem drohenden Blick Miß Garden messend.
MISS GARDEN voll Haß und Zorn. O diese gräßliche Person! Ich hasse sie!
FRÄULEIN SELMA MEIER kommt durch die Tür rechts zurück; atemlos. Die Blumen! Er hat die Blumen vergessen!
FRAU CLAIRE FLODERER die Blumen fest an ihren Busen drückend; feierlich, mit schwerer Stimme. Ich habe seine Blumen. Rechts ab.
FRÄULEIN SELMA MEIER steht enttäuscht und unglücklich an der Tür rechts und läßt Frau Floderer vorüber.
EVA tritt rasch auf Miß Garden zu; scharf. Ich muß mit Ihnen sprechen! Sie sind ja noch die Gescheiteste.
MISS GARDEN erstaunt. O ja.
EVA zur Tür rechts hin rufend. Selma!
FRÄULEIN SELMA MEIER auffahrend. Ja? Kommt zu Eva.