Friedrich Hebbel: Judith. Eine Tragödie in fünf Akten
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Michelangelo Caravaggio, Judith und Holofernes, 1594
ISBN 978-3-8430-8115-3
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-9897-7 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-9899-1 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Hamburg (Hoffmann und Campe) 1841. Uraufführung am 6.7.1840 in Berlin.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Friedrich Hebbel: Werke. Herausgegeben von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher, Band 1–5, München: Hanser, 1963.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Die Anordnung der Szenen, die ich, der Raum-Ersparnis wegen, in dem gedruckten Manuskript nicht angeben konnte, habe ich den verehrlichen Bühnen-Direktionen überlassen zu dürfen geglaubt. Das Kostüm und anderes der Art vorzuschreiben, habe ich ebensowenig notwendig finden können; daß hier nur die freie orientalische Bekleidung und Dekorierung am Platz ist, und daß Assyrier und Ebräer durch ihre Tracht auf eine leicht in die Augen fallende Weise unterschieden werden müssen, versteht sich von selbst; im übrigen halte ich dafür, daß zu große Treue und Ängstlichkeit in solchen Dingen die Illusion eher stört, als befördert, indem die Aufmerksamkeit dadurch auf fremdartige Gegenstände geleitet und von der Hauptsache abgezogen wird. Besonders bei dem vorliegenden Drama mögte dies der Fall sein. Es ist keine von den Wachskerzen, welche die Poeten zuweilen anzünden, um irgend einen Vorgang, oder einen historischen Charakter, der ihnen dunkel scheint, um nichts und wieder nichts zu beleuchten. Die Poesie hat, der Geschichte gegenüber, eine andere Aufgabe, als die der Gräberverzierung und der Transfiguration; sie soll ihre Kraft nicht an Kupferstiche und Vignetten vergeuden, sie soll das Zeitliche nicht ewig machen, das uns völlig Abgestorbene nicht durch das Medium der Form in ein gespenstisches Leben zurück galvanisieren wollen. Nicht wegen ihrer Seufzer und ihres Jammers soll uns der Dichter die neronischen Menschenfackeln früherer Jahrhunderte, die ein grausamer Blitz des Schicksals in Brand steckte, vorführen; nur wegen des düsterroten Lichts, womit sie ein Labyrinth, in das sich auch unser Fuß hineinverirren könnte, erhellten. Das Faktum, daß ein verschlagenes Weib vor Zeiten einem Helden den Kopf abschlug, ließ mich gleichgültig, ja, es empörte mich in der Art, wie die Bibel es zum Teil erzählt. Aber ich wollte in Bezug auf den zwischen den Geschlechtern anhängigen großen Prozeß den Unterschied zwischen dem echten, ursprünglichen Handeln und dem bloßen Sich-Selbst-Herausfordern in einem Bilde zeichnen,[8] und jene alte Fabel, die ich fast vergessen hatte und die mir in der Münchner Galerie vor einem Gemälde des Giulio Romano einmal an einem trüben Novembermorgen wieder lebendig wurde, bot sich mir als Anlehnungspunkt dar. Auch reizte mich nebenbei im Holofernes die Darstellung einer jener ungeheuerlichen Individualitäten, die, weil die Zivilisation die Nabelschnur, wodurch sie mit der Natur zusammenhingen, noch nicht durchschnitten hatte, sich mit dem All fast noch als eins fühlten, und, aus einem dumpfen Polytheismus in die frevelhafteste Ausschweifung des Monotheismus stürzend, jeden ihrer Gedanken ihrem Selbst als Zuwachs vindizierten und alles, was sie ahnten, zu sein glaubten. Diese paar Bemerkungen über das, was ich beabsichtigte, schienen mir als Fingerzeige für die Aufführung nicht überflüssig, deshalb hielt ich sie nicht zurück. F.H.[9]
Judith.
Holofernes.
Hauptleute des Holofernes.
Kämmerer des Holofernes.
Gesandte von Lybien.
Gesandte von Mesopotamien.
Soldaten und Trabanten.
Mirza, die Magd Judiths.
Ephraim.
Die Ältesten von Bethulien.
Priester in Bethulien.
Bürger in Bethulien, darunter:
Ammon.
Hosea.
Ben.
Assad und sein Bruder.
Daniel, stumm und blind, gottbegeistert.
Samaja, Assads Freund.
Josua.
Delia, Weib des Samaja.
Achior, der Hauptmann der Moabiter.
Assyrische Priester.
Weiber, Kinder.
Samuel, ein uralter Greis, und sein Enkel.
Die Handlung ereignet sich vor und in der Stadt Bethulien.[10]
Das Lager des Holofernes. Vorn, zur rechten Hand, das Zelt des Feldhauptmanns. Zelte. Kriegsvolk und Getümmel. Den Hintergrund schließt ein Gebirge, worin eine Stadt sichtbar ist.
Der Feldhauptmann Holofernes tritt mit seinen Hauptleuten aus dem offnen Zelt hervor. Musik erschallt.
Er macht nach einer Weile ein Zeichen. Die Musik verstummt.
HOLOFERNES. Opfer!
OBERPRIESTER. Welchem Gott?
HOLOFERNES. Wem ward gestern geopfert?
OBERPRIESTER. Wir losten nach deinem Befehl, und das Los entschied für Baal.
HOLOFERNES. So ist Baal heut nicht hungrig. Bringt das Opfer einem, den ihr alle kennt, und doch nicht kennt!
OBERPRIESTER mit lauter Stimme. Holofernes befiehlt, daß wir einem Gott opfern sollen, den wir alle kennen und doch nicht kennen!
HOLOFERNES lachend. Das ist der Gott, den ich am meisten verehre.
Es wird geopfert.
HOLOFERNES. Trabant!
TRABANT. Was gebietet Holofernes?
HOLOFERNES. Wer unter meinen Kriegern sich über seinen Hauptmann zu beschweren hat, der tret hervor. Verkünd es!
TRABANT durch die Reihen der Soldaten gehend. Wer sich über seinen Hauptmann zu beschweren hat, der soll hervortreten. Holofernes will ihn hören.
EIN KRIEGER. Ich klage meinen Hauptmann an.
HOLOFERNES. Weshalb?
DER KRIEGER. Ich hatt mir im gestrigen Sturm eine Sklavin erbeutet, so schön, daß ich schüchtern vor ihr ward, und sie nicht anzurühren wagte. Der Hauptmann kommt gegen Abend, da ich abwesend bin, in mein Zelt, er sieht das Mägdlein, und haut sie nieder, da sie sich ihm widersetzt.
HOLOFERNES. Der angeklagte Hauptmann ist des Todes! Zu einem[11] Reisigen. Schnell. Aber auch der Kläger. Nimm ihn mit. Doch stirbt der Hauptmann zuerst.
DER KRIEGER. Du willst mich mit ihm töten lassen?
HOLOFERNES. Weil du mir zu keck bist. Um euch zu versuchen, ließ ich das Gebot ausgehen. Wollt ich deinesgleichen die Klage über eure Hauptleute gestatten: wer sicherte mich vor den Beschwerden der Hauptleute!
DER KRIEGER. Deinetwegen verschont ich das Mädchen; dir wollt ich sie zuführen.
HOLOFERNES. Wenn der Bettler eine Krone findet, so weiß er freilich, daß sie dem König gehört. Der König dankt ihm nicht lange, wenn er sie bringt. Doch, ich will dir deinen guten Willen lohnen, denn ich bin heut morgen gnädig. Du magst dich in meinem besten Wein betrinken, bevor man dich tötet. Fort!
Der Soldat wird von dem Reisigen abgeführt in den Hintergrund.
HOLOFERNES zu einem der Hauptleute. Laß die Kamele zäumen!
HAUPTMANN. Es ist bereits geschehen.
HOLOFERNES. Hatt ichs denn schon befohlen?
HAUPTMANN. Nein, aber ich durfte erwarten, daß dus gleich befehlen würdest.
HOLOFERNES. Wer bist du, daß du wagst, mir meine Gedanken aus dem Kopfe zu stehlen? Ich will es nicht, dies zudringliche, zuvorkommende Wesen. Mein Wille ist die Eins und euer Tun die Zwei, nicht umgekehrt. Merk dir das!
HAUPTMANN. Verzeihung! Geht ab.
HOLOFERNES allein. Das ist die Kunst, sich nicht auslernen zu lassen, ewig ein Geheimnis zu bleiben! Das Wasser versteht diese Kunst nicht; man setzte dem Meer einen Damm und grub dem Fluß ein Bett. Das Feuer versteht sie auch nicht, es ist so weit herunter gekommen, daß die Küchenjungen seine Natur erforscht haben, und nun muß es jedem Lump den Kohl gar machen. Nicht einmal die Sonne versteht sie, man hat ihr ihre Bahnen abgelauscht, und Schuster und Schneider messen nach ihrem Schatten die Zeit ab. Aber ich versteh sie. Da lauern sie um mich herum und gucken in die Ritzen und Spalten meiner Seele hinein und suchen aus jedem Wort meines Mundes einen Dietrich für meine Herzenskammer zu schmieden. Doch mein[12] Heute paßt nie zum Gestern, ich bin keiner von den Toren, die in feiger Eitelkeit vor sich selbst niederfallen und einen Tag immer zum Narren des andern machen, ich hacke den heutigen Holofernes lustig in Stücke und geb ihn dem Holofernes von morgen zu essen; ich sehe im Leben nicht ein bloßes langweiliges Füttern, sondern ein stetes Um- und Wiedergebären des Daseins; ja es kommt mir unter all dem blöden Volk zuweilen vor, als ob ich allein da bin, als ob sie nur dadurch zum Gefühl ihrer selbst kommen können, daß ich ihnen Arm und Bein abhaue. Sie merkens auch mehr und mehr, aber statt nun näher zu mir heranzutreten und an mir hinaufzuklettern, ziehn sie sich armselig von mir zurück und fliehn mich, wie der Hase das Feuer, das ihm den Bart versengen könnte. Hätt ich doch nur einen Feind, nur einen, der mir gegenüberzutreten wagte! Ich wollt ihn küssen, ich wollte, wenn ich ihn nach heißem Kampf in den Staub geworfen hätte, mich auf ihn stürzen und mit ihm sterben! Nebucad Necar ist leider nichts als eine hochmütige Zahl, die sich dadurch die Zeit vertreibt, daß sie sich ewig mit sich selbst multipliziert. Wenn ich mich und Assyrien abziehe, so bleibt nichts übrig, als eine mit Fett ausgestopfte Menschenhaut. Ich will ihm die Welt unterwerfen, und wenn er sie hat, will ich sie ihm wieder abnehmen!
EIN HAUPTMANN. Von unserm großen König trifft soeben ein Bote ein.
HOLOFERNES. Führe ihn augenblicklich zu mir. Für sich. Nacken, bist du noch gelenkig genug, dich zu beugen? Nebucad Necar sorgt dafür, daß dus nicht verlernest.
BOTE. Nebucad Necar, vor dem die Erde sich krümmt und dem Macht und Herrschaft gegeben ist vom Aufgang bis zum Niedergang, entbietet seinem Feldhauptmann Holofernes den Gruß der Gewalt.
HOLOFERNES. In Demut harr ich seiner Befehle.
BOTE. Nebucad Necar will nicht, daß fernerhin andre Götter verehrt werden neben ihm.
HOLOFERNES stolz. Wahrscheinlich hat er diesen Entschluß gefaßt, als er die Nachricht von meinen neuesten Siegen empfing.
BOTE. Nebucad Necar gebietet, daß man ihm allein opfern und[13] die Altäre und Tempel der andern Götter mit Feuer und Flamme vertilgen soll.
HOLOFERNES für sich. Einer, statt so vieler, das ist ja recht bequem! Niemand aber hats bequemer, als der König selbst. Er nimmt seinen blanken Helm in die Hand und verrichtet seine Andacht vor seinem eigenen Bilde. Nur vor Bauchgrimmen muß er sich hüten, damit er nicht Gesichter schneide und sich selbst erschrecke. Laut. Nebucad Necar hat gewiß im letzten Monat kein Zahnweh mehr gehabt?
BOTE. Wir danken den Göttern dafür.
HOLOFERNES. Du willst sagen, ihm selbst.
BOTE. Nebucad Necar gebietet, daß man ihm jeden Morgen bei Sonnen-Aufgang ein Opfer darbringen soll.
HOLOFERNES. Heute ists leider schon zu spät; wir wollen seiner bei Sonnen-Untergang gedenken!
BOTE. Nebucad Necar gebietet endlich noch dir, Holofernes, daß du dich schonen und dein Leben nicht jedem Unfall preisgeben sollst.
HOLOFERNES. Ja, Freund, wenn die Schwerter ohne die Männer nur etwas Erkleckliches ausrichten könnten. Und dann – sieh, ich greife mein Leben durch nichts so sehr an, als durch Trinken auf des Königs Gesundheit, und das kann ich doch unmöglich einstellen.
BOTE. Nebucad Necar sagte, keiner seiner Diener könne dich ersetzen, und er habe noch viel für dich zu tun.
HOLOFERNES. Gut, ich werde mich selbst lieben, weil mein König es befiehlt. Ich küsse den Schemel seiner Füße.
Bote ab.
HOLOFERNES. Trabant!
TRABANT. Was gebietet Holofernes?
HOLOFERNES. Es ist kein Gott außer Nebucad Necar. Verkünd es.
TRABANT geht durch die Reihen der Soldaten. Es ist kein Gott außer Nebucad Necar.
Ein Oberpriester geht vorüber.
HOLOFERNES. Priester, du hast gehört, was ich ausrufen ließ?
PRIESTER. Ja.
HOLOFERNES. So gehe hin und zertrümmre den Baal, den wir mit uns schleppen. Ich schenke dir das Holz.[14]
PRIESTER. Wie kann ich zertrümmern, was ich angebetet habe?
HOLOFERNES. Baal mag sich wehren. Eins von beidem: Du zertrümmerst den Gott, oder du hängst dich auf.
PRIESTER. Ich zertrümmre. Für sich. Baal trägt goldene Armbänder.
HOLOFERNES allein. Verflucht sei Nebucad Necar! Verflucht sei er, weil er einen großen Gedanken hatte, einen Gedanken, den er nicht zu Ehren bringen, den er nur verhunzen und lächerlich machen kann! Wohl fühlt ichs längst: die Menschheit hat nur den einen großen Zweck, einen Gott aus sich zu gebären; und der Gott, den sie gebiert, wie will er zeigen, daß ers ist, als dadurch, daß er sich ihr zum ewigen Kampf gegenüber stellt, daß er all die törigten Regungen des Mitleids, des Schauderns vor sich selbst, des Zurückschwindelns vor seiner ungeheuren Aufgabe unterdrückt, daß er sie zu Staub zermalmt, und ihr noch in der Todesstunde den Jubelruf abzwingt? – Nebucad Necar weiß sichs leichter zu machen. Der Ausrufer muß ihn zum Gott stempeln, und ich soll der Welt den Beweis liefern, daß ers sei!
Der Oberpriester geht vorüber.
HOLOFERNES. Ist Baal Zertrümmert?
PRIESTER. Er lodert in Flammen; mög ers vergeben.
HOLOFERNES. Es ist kein Gott, als Nebucad Necar. Dir befehl ich, die Gründe dafür aufzufinden. Jeden Grund bezahl ich mit einer Unze Goldes und drei Tage hast du Zeit.
PRIESTER. Ich hoffe, dem Befehl zu genügen. Ab.
EIN HAUPTMANN. Gesandte eines Königs bitten um Gehör.
HOLOFERNES. Welches Königs?
HAUPTMANN. Verzeih. Man kann die Namen all der Könige, die sich vor dir demütigen, unmöglich behalten.
HOLOFERNES wirft ihm eine goldene Kette zu. Die erste Unmöglichkeit, die mir gefällt. Führe sie vor.
GESANDTE werfen sich zu Boden. So wird der König von Lybien sich vor dir in den Staub werfen, wenn du ihm die Gnade erzeigst, in seiner Hauptstadt einzuziehn.
HOLOFERNES. Warum kamt ihr nicht schon gestern, warum nicht vorgestern?
GESANDTE. Herr![15]