Johanna Schopenhauer

Reise durch

England und Schottland

Vollständige Ausgabe beider Teile

 

 

 

Johanna Schopenhauer: Reise durch England und Schottland. Vollständige Ausgabe beider Teile

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

David Cox, Handsworth Old Church, Birmingham, 1828

 

ISBN 978-3-8430-5193-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9769-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9770-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck in zwei Bänden bei F. A. Brockhaus, Leipzig, 1818. Hier nach der Ausgabe »Sämtliche Schriften in 24 Bänden«, Frankfurt am Main 1830/31. Zur besseren Lesbarkeit wurde die Rechtschreibung behutsam angepasst.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Vorwort zur dritten Auflage

Nicht minder anspruchslos als vor zwölf und sieben Jahren übergebe ich der Lesewelt diese dritte Auflage der beiden ersten Bande meiner Erinnerungen von früheren Reisen.

Einfachheit und Wahrheitsliebe waren ihr einziger bester Schmuck, und sind es geblieben; nur durch Verbesserungen des Stils und der Sprache, wo diese mir nötig schienen, habe ich nach Kräften gestrebt sie noch würdiger zu machen des Beifalls, der ihnen über meine Erwartung zu Teil ward.

Ich wiederhole die Bitte, dieses Buch nicht mit zu großen Ansprüchen zur Hand zu nehmen. Es enthält die einfachen Erzählungen einer Frau von dem, was sie in der Welt sah und beobachtete; sie wollen nur unterhalten, aber keinesweges gründlich belehren. Ich widme es vor allen den deutschen Frauen, denen es am leichtesten werden muß, meinen Sehpunkt zu treffen, und weiß gar wohl, daß nur die Art meiner Ansicht den Männern einiges Interesse für sie einflößen kann.

Weimar, 30. September 1825.

Johanna Schopenhauer

 

Durchflug durch Holland

Wir reisten von Bremen ab, und diese große, uralte Stadt ließ, trotz ihres altvaterischen Ansehns, ihrer mit unzähligen Erkern und Vorsprüngen verunzierten Häuser und ihrer engen Straßen, dennoch einen sehr freundlichen Eindruck bei uns zurück. Wir hatten bei ihren Bewohnern echte deutsche Sitte und jene wahre Höflichkeit gefunden, welche dem Reisenden so wohl tut, indem sie das Gefühl des Fremdseins gänzlich verbannt. Die Gegend rings um Bremen gehört nicht zu denen, welche die Natur vorzüglich begünstigte; aber der Fleiß und die Wohlhabenheit der Bewohner schmückt sie mit unzähligen großen und kleinen Landhäusern und Gärten, so daß doch das Ganze gefällig erscheint.

So wie wir uns aber weiter von jener berühmten Handelsstadt entfernten, gewann alles ein anderes Ansehen. Ewige schwarze Haide, kein Laub, keine Blume, kein singender Vogel, alles todt und öde wie das Chaos, ehe der Hauch des Lebens darüber wehte! Elende Dörfer, aus Lehmhütten bestehend, welche den Einsturz drohen, sogenannte Städte, die wir mit Verwunderung ansahen, weil wir gar nicht begriffen, wie man vernünftiger Weise auf den Einfall kommen könnte, darin zu leben, unterbrachen von Zeit zu Zeit die Öde rings umher. In diesem Lande müssen die vier Jahrszeiten ganz unbemerkt vorüberziehen, den Winter ausgenommen, der doch die Gefilde in Schnee kleidet; Frühling und Herbst haben keinen Einfluß auf diese unwirtbare Fläche, wo nichts gedeiht als Torfmoor und Heidekraut, welches sich immer gleich bleibt.

Zwei Tage lang hatten wir Zeit genug, diesen und ähnlichen erbaulichen Betrachtungen nachzuhängen, und waren oft im Begriff mit Voltaire auszurufen: quel chien de pays! Trotz der vier Pferde vor unserem nicht schweren Wagen ging die Reise doch unerträglich langsam fort: denn die westphälischen Postillions jener Gegend können nicht reiten. Die unsrigen liefen gewöhnlich neben dem Wagen her, weil auf dem Bocke kein Platz für sie frei war. Wir bekamen deren auf jeder Station zwei, und ihre wunderlichen Sprünge, wenn die Pferde einmal ein wenig trabten, waren das Einzige, was uns belustigte; gewöhnlich ging einer von ihnen neben den Pferden her, während der andere auf dem Koffer sitzend die Luft mit Herz und Ohr zerreißenden Mißtönen aus seinem Posthorne erfüllte. Endlich auf der letzten Station in Westphalen gewannen die Dinge ein anderes Ansehen; alles sah hier schon holländisch aus. Wir fanden in unserem Wirt einen Herrn Bürgermeister mit einer ehrwürdigen, aus hundert Löckchen bestehenden Perücke, in dem reinlichen Zimmer ein holländisches Kamin, auf allen Tischen Teekannen, Teetassen und auch Quispeldorjes1 in zierlicher Ordnung aufgepflanzt, mit Decken von grünem Flor gegen Staub und Fliegen geschützt. Die Frau Wirtin präsentierte uns Feuerstübchen mit Torfkohlen angefüllt, und nahm uns auch hernach auf gut holländisch zwei Gulden ab, weil wir an ihrem Feuer in ihrem Topfe unsere eigne mitgebrachte Chocolade gekocht hatten.

Endlich passierten wir die holländische Grenze. Ein plötzlicherer Übergang läßt sich nicht denken. Vor wenig Stunden mußten wir uns durch eine Wüste langsam hinschleppen lassen, jetzt entzückten uns fruchtbares Land, angebaute Breiten voll hohen Getraides, hübsche Dörfer und Blütenbäume voll Nachtigallen. Die Städtchen und Flecken, durch die wir kamen, sahen alle so reinlich und lachend aus! Alle Häuser, Stackete, Türen und Fensterladen neu angemalt, als wären sie gestern erst fertig geworden! Wir freuten uns wie die Kinder über das lustige bunte Wesen und hofften, es wäre nun auf immer mit der schwarzen Haide vorbei; aber wir wußten nicht, welche Trübsale uns bevorstanden: es kam ganz anders als wir dachten.

Um zwei Uhr waren wir in Almeloo, einem Flecken oder Städtchen. Wir wollten weiter nach Deventer. Der Herr Postmeister, ein großer Politiker, schüttelte das weise, ebenfalls mit einer hundertlöckigen Perücke wohlversehene Haupt und meinte: das ginge nicht, weil Deventer, als eine Festung, regelmäßig Punkt zehn Uhr geschlossen würde. Wir rechneten ihm vor, daß man in acht Stunden wohl vier Meilen fahren könne; so ließ er uns denn unserm blinden Willen folgen, gab uns vier große prächtige Pferde, seinen Herrn Sohn zum Fuhrmann, seinen Segen obendrein, und fröhlich rollten wir dahin bis an das Tor. So wie wir aber aus dem Orte waren, ging es Schritt vor Schritt, Fuß vor Fuß weiter auf dem ebensten Wege von der Welt. Alle halbe Stunden wurde angehalten, um den Pferden allerhand Erfrischungen zu präsentieren. Wir baten, wir schalten, wir baten wieder, nichts half, unser Führer sah sich kaum nach uns um, es war als wären wir gar nicht da.

Endlich versuchten wir das letzte Mittel. Ein goldner Ducaten soll ja ein Talisman seyn, der jedes echt holländische Herz in süße Bewegung setzt; den glänzendsten, den wir nur finden konnten, ließen wir im Glanz der Abendsonne blinken und setzten ihn zum Preise unsers Eintreffens in Deventer vor Torschluß. Ein ganz klein wenig drehte der Unerbittliche den Kopf nach uns um und blinzte das Goldstück verstohlen an. Hat die Herrschaft so große Eile? fragte er; wir versicherten es ihm auf's lebhafteste. – Ich nicht – sagte er gelassen und fuhr so langsam weiter wie zuvor.

Endlich sahen wir in der Dämmerung die Türme von Deventer am Horizont sich erheben; wir hofften also doch zeitig genug einzutreffen, um uns einmal wieder in einem guten Gasthofe recht auszuruhen. Jetzt ward es dunkler, die Pferde tobten ein wenig, wir hofften lebhafter; mit einmal hielt der Wagen an der Tür einer einzeln liegenden Bauernkneipe, und unser Fuhrmann am Schlage bedeutete uns, wir müßten bis gegen Morgen hier bleiben; zugleich hörten wir aus der Ferne die Trommel zu uns herüberwirbeln, die den Torschluß von Deventer verkündigte. Zu sagen, daß wir uns gleich mit guter Art in dies Schicksal ergaben, wäre eine zu unwahre Behauptung. Doch wir ergaben uns, weil wir mußten. Nach besserer Überlegung beschlossen wir sogar bonne mine zu machen so viel wie möglich, und traten in die dunkle Tür der räucherigen Hütte.

Da standen wir in einer dunkeln Bauernstube. Ein von Zeit zu Zeit hellaufloderndes Kaminfeuer und eine Tranlampe verbreiteten ein seltsames flackerndes Licht auf ein Dutzend Bauern, welche an verschiedenen runden Tischen saßen und Spülwasser tranken, welches man hier zu Lande Kaffee nennt. Große messingne Kannen, rundum mit Hähnchen versehen, zum möglichst bequemen Auszapfen dieser Panacee und winzig kleine delfter Tassen standen vor ihnen. Alle hatten schwarze lange, zugeknöpfte Röcke an und platte dreieckige Filzdeckel auf den Köpfen, deren mittlere Spitze vorn hoch in die Höhe stand. Stumm saßen sie da, kein Laut ertönte, sie waren so ganz in Phlegma versunken, so ganz ohne Leben, Bewegung und Neugierde, daß kaum einer bei unserm nicht geräuschlosen Eintritt den Kopf ein wenig nach uns wandte. Lange standen wir da und betrachteten, nicht ohne Vergnügen, diese sonderbare Gruppe in der halbdunkeln, wunderbaren Beleuchtung. Wir sahen hier mit einem Male die Meisterwerke niederländischer Maler, der Teniers, Ostade, de Steen und anderer, ins wirkliche Leben treten. Alles umher, die Bauernstube, die glänzend gescheuerten Kessel und kupferne Geschirre an den Wänden, und auf dem Kaminsimse, alles war, wie wir es unzählige Mal in Gemälden bewundert hatten. Hier auf den eigentümlichen Grund und Boden jener unsterblichen Meister muß man treten, um ihre unaussprechliche Wahrheit und Treue zu fühlen, und zu bewundern, wie sie Zug für Zug der Natur folgten, ohne zur Caricatur her abzusinken.

Endlich fingen wir an nach dem Wirte zu fragen. Keiner der Automaten rührte sich, keiner antwortete; einer endlich erbarmte sich unser und zeigte mit dem Finger auf eine Seitentür, jedoch ohne sich mehr dabei in Bewegung zu setzen, als eben nötig war. Wir folgten dem Winke und traten in ein zweites, dem vorigen ähnliches Zimmer, in welchem sich niemand befand. So wie in Schiffskajüten, waren in einer ziemlichen Höhe vom Fußboden einige Betten an den Wänden angebracht; nur die enge Öffnung, durch welche man hineinkriecht, verriet ihr Daseyn, eine kleine Gardine von buntem großblumigen Kattun hing davor. Wir fingen jetzt an unsere Situation wahrhaft komisch zu finden, indessen allmählich gewann die Sache eine bessere Gestalt. Die alte Wirtin kam endlich herbeigeschlichen; bald loderte ein freundlicheres Feuer im Kamin; wir erhellten das Zimmer mit den Wachslichtern aus den Wagenlaternen; das Wasser brauste häuslich im siedenden Kessel; wir setzten uns zum Teetisch vor den Kamin und suchten mit Lesen, Plaudern und sonst so gut wir konnten die Zeit erträglich hinzubringen.

Allmählich aber wurde es um uns lebendig, die Stummen aus dem Nebenzimmer traten herein; wir glaubten, die Flöte, welche einer von unserer Gesellschaft eben geblasen hatte, habe sie herbeigelockt, und fingen schon an unsern Musiker als einen zweiten Orpheus zu ehren, der selbst Steine in Bewegung setzen könne; da sahen wir aber mit Erstaunen, wie unsere Holländer, ohne sich im mindesten zu genieren, anfingen ihre Nachttoilette zu machen und sich immer drei und drei in ein Bette zur Ruhe zu begeben.

Das war uns denn doch zu viel; anfangen konnten wir mit diesen Leuten nichts, das wußten wir schon aus Erfahrung; uns blieb also nur ein weiser Rückzug in das so eben von ihnen verlassene Zimmer, wo wir denn bald ihr melodisches Schnarchen hörten, welches alle Flöten der Welt übertönt hätte. Endlich erfreute uns der anbrechende Tag und die Nachricht, daß angespannt sey; froh stiegen wir in den Wagen, schlichen noch eine Stunde langsam weiter und erreichten endlich Deventer, wo wir uns von der Ermüdung jener abenteuerlichen Nacht erholten.

So waren wir denn, nach dieser Probe von dem berühmten Phlegma der Nation, überzeugt unter Holländern zu seyn, wenn gleich nicht in dem fruchtbar angebauten Holland, welches wir, allen Beschreibungen nach, gleich auf der ersten Meile über die Grenze hinaus, zu finden erwarteten. Dörfer und Städte sahen wir freilich mit einem Kranze von blühenden Feldern und Gärten umgeben; so wie wir aber diese ihre nächsten Umgebungen im Rücken hatten, fingen die traurigen schwarzen Haiden wieder an, und nur selten unterbrach ein einzeln liegender Bauerhof, noch seltener ein Baum diese öde Einförmigkeit. Von Deventer bis Amersfoord ging es allmählich besser. Wir fuhren durch lange Reihen schöner Gärten und Gartenhäuser; alles zeugte von bürgerlicher Wohlhabenheit ohne übertriebnen Luxus; alles glänzte in bunten lustigen Farben, und höchster Reinlichkeit. Wahrlich, Holland ist das gelobte Land der Anstreicher!

Ein hoher, hübscher Turm, von welchem mit jedem Stundenschlage ein Glockenspiel lustig ertönt, ziert die ziemlich große und freundliche Stadt Amersfoord. Ähnliche Türme mit Glockenspielen findet man in allen holländischen Städten, und soviel sich auch in musikalischer Hinsicht gegen der letztern ewiges Geklimper einwenden läßt, dem Reisenden kommen diese lustigen Töne wie eine freundliche Begrüßung anmutig entgegen.

Bis Nordhuis schlichen wir wieder langsam weiter durch Sand und Haide; nun aber kam endlich das Holland, wie wir es uns gedacht hatten. Von Naerden aus, der letzten Station vor Amsterdam, fanden wir, was wir schon lange herbeisehnten, das fruchtbar bebaute Land, die fetten Wiesen, auf welchen schön gefleckte Kühe bis ans Knie im hohen Grase wadeten, die prächtigen Kanäle, belebt durch Hunderte von Kähnen und von Pferden gezogenen Barken mit zierlichen Kajüten, Treckschütten genannt, in welchen man hier zu Lande fast alle Reisen macht.

Auch für uns zu Lande Reisende wurden die Wege nun vortrefflich. Bis jetzt hatten wir diese durchgängig schlecht gefunden, und doch nie mehr und höhere Wegegelder bezahlt. Außer den Chausseegeldern waren noch eine Menge Abgaben zu entrichten, ohne daß wir recht begreifen konnten, wofür. Fuhren wir in ein Stadttor hinein, so bezahlten wir Passagegeld; wir hielten uns keine Minute in der Stadt auf; sondern fuhren gleich wieder zum andern Tore hinaus; da capo Passagegeld, dann hieße es, mijn Heer gij betaalt Tol und so immer fort. Zuletzt waren wir die Sache so gewohnt, daß wir schon von selbst zu einander sagten, mijn Heer gij betaalt, wenn wir jemand an der Landstraße stehen sahen, der uns scharf ansah, und irrten fast nie. Alte Weiber und Kinder folgten uns bis in die Gasthöfe und forderten Abgaben ein, ohne daß sie sagen konnten, wofür, und ohne irgend eine Autorität dafür aufweisen zu können; aber der Wirt decidierte und wir betaalten. Dieses und das ewige Betteln, besonders der Kinder auf den Straßen, trägt eben nicht zur Annehmlichkeit des Reisens in diesem Lande bei, und mag dem der Sprache ganz Unkundigen oft sehr lästig und verdrießlich werden.

 

Fußnoten

 

1 Zierliche Spucktöpfchen von Porcellan, die man beim Tabaksrauchen auf den Tisch setzt.

 

Amsterdam

Mit Recht nennen es die Eingebornen das prächtige Amsterdam. Die breiten reinlichen Straßen, die mit Linden eingefaßten großen schiffreichen Kanäle, die schönen gemauerten Brücken, die Menge öffentlicher Gebäude und Kirchen, die vielen schönen Privathäuser, alles dies zusammen macht einen großen und imponierenden Eindruck auf jeden Fremden, wie vielleicht keine andere Stadt. Reichtum, Ordnungsliebe, weiser Gemeingeist, der alle Einzelne zu einem großen Ganzen verbindet, leuchten überall hervor. Überall sieht man deutlich, daß nicht die Macht eines Einzigen hier waltete und schaffte, sondern die Betriebsamkeit, die weise Ökonomie eines ganzen, an Mäßigkeit und Arbeit gewöhnten Volkes.

Der prächtige Hafen, mit seinem Walde von Masten, die einst in allen Zonen der Welt als Bäume blühten und grünten, und jetzt hier in einer ungeheuren Versammlung die Wimpel und Flaggen aller Nationen in den buntesten Farben spielen lassen, setzt auch ein an Hamburg und London gewöhntes Auge in Erstaunen. Das Gewühl der fleißigen Menge in den Straßen gleicht dem in einem Bienenkorbe. Hier, wo alles in gewohnter Ordnung still und fleißig nebeneinander hingeht und in der Arbeit Lohn und Vergnügen findet, muß ein Müßiggänger es gar nicht aushalten können. Entweder er bekehrt sich zum Fleiße, oder er sucht anderswo eine bequemere Existenz: denn wenn ihn nicht die Scham vertreibt, so vertreibt ihn die Langeweile aus einem Orte, wo niemand Zeit hat sich mit ihm abzugeben.

Zwar kennt man das Vergnügen in Amsterdam eben sowohl, als in andern großen Städten, aber erst nach getaner Arbeit. Die sogenannte Pflastertreterei, die Morgenvisiten und was dem anhängt, gedeihen hier nicht. Unser Aufenthalt in Amsterdam war zu kurz, um alles zu sehen, oder mit dem häuslichen und geselligen Leben der Einwohner recht vertraut zu werden; aber durch gewissenhafte Anwendung jeder Stunde gelang es uns doch größtenteils, das Äußere der Stadt und ihre Merkwürdigkeiten kennenzulernen. Mannigfaltige Empfehlungen, frühere Verbindungen mit einigen der besten Handelshäuser und Bekanntschaft mit der Landessprache, verschafften uns Gelegenheit auch mit ihren Einwohnern in freundliche Berührung zu treten; so ward der Mangel an Zeit ersetzt, und wir nahmen einen allgemeinen Begriff von der Lebensweise in diesem Lande mit uns, der in mancher Hinsicht von dem abweicht, was man sich gewöhnlich von Holländern denkt.

Jeden Morgen und auch manche freie Tagesstunde wandten wir an, um Straßen und Gebäude kennen zu lernen. Da die Stadt sehr groß ist, hatten wir für die Zeit unseres Aufenthalts in derselben eine recht hübsche Kutsche und zwei gute Pferde, zu einem weit billigern Preise als in Paris oder Wien, gemietet. Im Vergleich mit andern großen Städten konnten wir uns überhaupt nicht über Teuerung in unserem Gasthofe, dem größten in der Stadt, beklagen. In allen Straßen, durch welche wir kamen, fanden wir dieselbe solide Pracht, dieselbe Reinlichkeit, überall die schönen, mit Linden besetzten Kanäle und die steinernen hübschen Brücken. Die Ausdünstung der Kanäle wird freilich bei warmen Tagen oder bei einfallendem Regenwetter sehr beschwerlich. Diese üble Luft und der Mangel an gutem Trinkwasser sind für Amsterdams Einwohner eine große Unannehmlichkeit. Mit der Zeit gewöhnt man sich wohl daran; aber dem eben Eintretenden fällt es sehr auf, zwei Hauptelemente des Lebens in ihrer ursprünglichen Reinheit entbehren zu müssen, und gewöhnlich wird man bei längerem Aufenthalte durch ein, oft sehr langwieriges, kaltes Fieber erst gleichsam nationalisiert. Das ewige Scheuern, Waschen und Anmalen in Holland, so wie die immer dampfenden Tabakspfeifen verdanken gewiß der feuchten bösen Luft ihr Dasein. Das Holzwerk muß fast jährlich mit Ölfarben überzogen werden, wenn es nicht in kurzer Zeit, angegriffen von Nässe und Salpeter, verfaulen soll. Alles Silber wird in einer einzigen Nacht wie vergoldet, alles Metall schwarz; Eisen und Stahl in kurzer Zeit vom Rost verzehrt, wenn nicht immer gerieben und geputzt wird, um der Zerstörung Einhalt zu tun. Der Rauchtabak, so ungern wir ihm das Wort reden, ist für die Bewohner dieser Moräste eine rechte Wohltat; auch gibt es wohl keinen Holländer, vom vornehmsten bis zum geringsten, der nicht rauchte. Die Weiber der untern Klasse, besonders die, welche um ihres Gewerbes willen viel im Freien sein müssen, die Fisch-, Fleisch- und Gemüseverkäuferinnen, die Bäckerinnen, rauchen fast alle. Zuerst fällt es lustig auf, Weiber, selbst wohlgekleidete, mit langen Pfeifen gravitätisch dasitzen zu sehen. Wie man uns erzählte, versagen sich die älteren Frauen des Mittelstandes, ja bisweilen auch die der höhern Stände nicht die Freude, so ein kleines Rauchopfer zu bringen; doch behandeln sie diese Selbstindulgenz als ein Geheimnis, von welchem der Fremde nichts erfahren muß. So wie der Tabak, ist auch der Gebrauch des Branntweins, besonders des Wachholderbranntweins, in diesem Klima unentbehrlich; doch sieht man wenig Betrunkene in den Straßen. Nach dieser gewissermaßen aus der Luft gegriffenen Episode kehrten wir zurück zu den Straßen von Amsterdam. Einige derselben, die von sehr breiten Kanälen durchschnitten sind, so wie die Heeren Gracht, gewähren einen wirklich imposanten Anblick. Zwar stehen die Häuser fast alle mit der Giebelseite nach der Straße zu, aber ihre Höhe und oft verhältnismäßige Breite, die großen blitzenden Fenster von Spiegelglas, die marmornen Türpfosten, die reichen Portale, welche den Eingang schmücken, die zierlichen eisernen Balustraden vor den Fenstern des unteren Stocks, alles gibt ihnen ein reiches, wenn gleich bloss bürgerliches Ansehen.

In keiner Stadt außerhalb Italien ist vielleicht die Anwendung des Marmors so allgemein, als hier. Kamine und Fußböden davon findet man in allen Häusern; in den bessern sind die Lambrien längst den Treppen, der Hausflur und in den Vorsälen, Tür- und Fenstergesimse und Säulen von Marmor ganz in der Regel. Das Gewühl in den Straßen von Amsterdam ist groß, doch weniger drückend, drängend und treibend, als in andern großen Städten. Schon das ganze Wesen eines Holländers hat etwas Gesetztes, Bedächtiges, welches sich mit keiner ungestümen Eile verträgt. Dazu kommt noch, daß nur die auf den Straßen zu finden sind, welche wirklich dort etwas zu tun haben. Die Frauen lieben im Durchschnitt die Häuslichkeit und gehen wenig aus; geschäftige Müßiggänger gibt es gar nicht.

Aus diesem Grunde sieht man auch nicht viele Equipagen rollen; Hollands Lage begünstigt diesen Luxus nicht. Jedermann strebt hier ohnehin mehr nach Solidität und Bequemlichkeit, als nach Glanz. Der reiche Kaufmann hat zwar seinen bequemen, mitunter ein wenig altmodischen Wagen, bespannt mit einem Paare guter, wenn auch schwerfälliger Pferde, die ihn jeden Sonnabend treulich nach seinem Garten ziehen, während der Herr Sohn, wenn es hoch kommt, nebenher reitet, so gut er kann: aber Luxus wird mit allem dem nicht getrieben. Man fährt, weil es bequemer ist als Gehen; mehr prätendiert niemand. Im Winter freilich, wenn die Kanäle gefroren sind, fahren einige Liebhaber mit ungeheuer schnellen Pferden, sogenannten Harttrabern, im Schlitten gleichsam um die Wette. Sie wenden große Summen daran, um vorzügliche Läufer zu haben; doch auch diese Liebhaberei ist im Sinken, und nur wenige halten sie noch aufrecht, als eine von ihren Vätern herstammende Sitte. Last- und Fuhrmannswagen sieht man in Amsterdam weniger als in anderen Handelsstädten, weil hier fast aller Warentransport zu Wasser geschieht. Alles dies befördert die Reinlichkeit der Straßen sehr und gewährt, unerachtet des regen Lebens der großen Handelsstadt, doch ein Gefühl von Ruhe und sinnigem Streben zum vorgesetzten Ziele. Ein gar possierliches Fahrzeug sind die Schlitten oder Schleifen, auf welche ein alter abgelebter Kutschenkasten befestigt ist. Gelassen und langsam lassen sich die bejahrten Myneheeren in einem solchen Vehikel durch die Straßen schleifen; ein einziges Pferd zieht sie; bedächtig wandert der Fuhrmann nebenher, bald macht er dem Pferde mit seiner Peitsche ein wenig Mut, bald gießt er Wasser unter die Kufen des Schlittens, um zu verhindern, daß sie nicht von der Reibung auf dem Steinpflaster in Brand geraten. Oft glaubten wir, das ganze Fuhrwerk würde beim Umbiegen um eine Ecke in den Kanal fallen; aber dergleichen Unglücksfälle kommen nicht vor. Die Amsterdamer lachen selbst über diese Wagenschlitten, dennoch halten sie sie in Ehren und behaupten: sie wären sehr bequem, besonders um darin Abends vom Schmause heimzukehren.

 

Merkwürdige Gebäude und Kunstsammlungen

Vor allen Dingen mußten wir das berühmte amsterdamer Rathaus sehen. Jetzt hat es freilich seine Bestimmung verändert und vieles darin ist anders geworden, prächtiger, königlicher; indessen ist uns die Erinnerung an seine ehemalige Gestalt zu wert, als daß wir ihrer hier nicht mit wenigen Zeilen gedenken sollten. Obgleich wir von Jugend auf viel davon gehört hatten, überraschte es uns dennoch durch die imposante Größe und Pracht. Abbildungen davon sind überall zu sehen und zu haben, deshalb wollen wir nur der Säle und der darin aufgestellten Kunstwerke gedenken, welche den größten Eindruck auf uns machten.

Zuerst des sehr hohen und großen Vorsaals Fußboden und Wände sind ganz mit Marmor bekleidet. Zwei Galerien zieren ihn an zweien Seiten, geschmückt mit Bildhauerarbeit von schönem weißen Marmor, zwar nicht im hohen italienischen Stil, aber mit niederländischer Wahrheit, treuem Fleiß und nicht ohne Anmut gearbeitet. Die an den Pfeilern angebrachten Trophäen sind vorzüglich schön. Zwei davon, eine aus den Attributen der Musik, die andere aus denen der Fischerei zusammengesetzt, mußten wir als das Vollendetste bewundern, was vielleicht in dieser Art existiert.

Nächst diesem ein ganz von de Witt gemaltes Zimmer. Die eine Wand bedeckt ein Gemälde von ungeheurer Größe. Es stellt Moses vor, wie er dem israelitischen Volke Gesetze gibt, und enthält einundsiebenzig lebensgroße Figuren. Moses steht auf einer Erhöhung im hellsten Lichte; Begeisterung spricht ans seinen Zügen, die Stellung sowohl, als die ganze Gestalt sind edel gedacht und ausgeführt; auch das Volk umher bildet einige sehr schöne Gruppen. Basreliefs, täuschend grau in grau gemalt von demselben Meister, sind über den Türen angebracht. Über der Arbeit an dem auf Marmor gemalten Plafond, welche er auf dem Rücken liegend ausführen mußte, ist er leider blind geworden.

Im obern Stock sahen wir in einem kleinen Vorzimmer vier um einen Tisch sitzende amsterdamer Bürgermeister, gemalt von Rembrandt, gewiß eines der schönsten Gemälde dieses großen Meisters. Der an dieses Vorzimmer stoßende große Saal enthielt einen unbeschreiblichen Schatz der vorzüglichsten Werke aus der niederländischen Schule; lauter große Bilder in Lebensgröße; viele Portraits von Männern, deren Verdienste um den Staat ihnen hier die Ehrenstelle erwarb, welche ihr Andenken verewigt. Wir freuten uns der kräftigen, treuen Gesichter und ihres Ausdrucks fast so sehr, als der Kunst, die hier wahres atmendes Leben herzauberte. Die Krone von allen ist ein sehr großes Gemälde von van der Helft, welches alles übertrifft, was wir je in dieser Art sahen. Es stellt ein Friedensfest vor. Der spanische Gesandte sitzt ganz vorn, an einer reich bedeckten Tafel, Hand in Hand mit dem Bürgermeister von Amsterdam, beide schöne kräftige Männer mit allem Ausdruck und allem Charakteristischen ihrer so sehr verschiedenen Nationen dargestellt. Etwas weiter zurück steht ein sehr schöner Mann in schwarzen Samt gekleidet, der eine große blaue Fahne trägt; ein anderer in schwarzem Atlas, gießt ihm hellroten, perlenden Champagner ins schön geformte Trinkglas; noch ein anderer ist beschäftigt, eine Pastete aufzuschneiden; ringsum stehen viele Nebenpersonen, Vasen, Gläser mit Wein, Prachtgefäße aller Art, ein unendlicher Reichthum: alles wahr, alles treu und schön bis in's kleinste Detail, mit echtem Künstlersinn geordnet. Höher läßt sich die Täuschung nicht treiben, als auf diesem wunderbar heiteren Gemälde. Eine vom hellsten Mondlicht beleuchtete Darstellung einer Nachtwache, von Rembrandt, machte uns großes Vergnügen, wegen ihres aus der Natur aufgegriffenen Lebens. Die Hand des Anführers und die Flinte eines hinter ihm stehenden Soldaten treten wahrlich aus dem Bilde hervor.

In seiner Art ebenso merkwürdig, als das Stadthaus, ist die amsterdamer Börse; wir konnten nur durch die sie verschließende eiserne Gittertür hineinsehen. Der Fußboden war plötzlich eingesunken und die Kaufleute mußten sich deshalb eine Zeit lang an einem andern Platze versammeln. Ein Ereignis, welches eine trübe besorgliche Ahnung in den Gemütern der Amsterdamer erregte, obgleich es in diesem morastigen Lande übrigens nichts Wunderbares an sich hat.

Ein recht hübsches, großes, modernes Gebäude, welches den wunderlichen Namen felix meritis führt, wurde uns von aller Welt gepriesen; man ruhte nicht eher, bis wir es gesehen hatten, und ein wenig Eitelkeit mochte dabei mit im Spiele sein. Mehrere Privatpersonen erbauten es vor einigen Jahren durch Subskription, und weihten es den schönen Künsten und dem höhern geselligen Verein.

Es enthält einen artigen Konzertsaal, in welchem wir ein recht gutes Ölgemälde von einem hiesigen Künstler mit Vergnügen sahen. Es stellt das erste Koncert vor, welches in diesem Saale gegeben ward, und erhält dadurch für den Amsterdamer ein eigenes Interesse, daß alle Köpfe darauf Portraite sind. Ein ähnliches Gemälde fanden wir in dem zweckmäßig zum Zeichnen eingerichteten Saale, auf welchem man fast alle Köpfe der jetzt hier lebenden Künstler und Kunstfreunde sprechend ähnlich abgebildet sieht.

In einem Zimmer sahen wir einen schönen physikalischen Apparat aufgestellt; alles dies wird zum Unterricht für junge talentvolle Leute auf's zweckmäßigste benutzt. Das astronomische Observatorium war noch im Werden; aber von dem platten Dache desselben genossen wir einer höchst interessanten Aussicht. Zu unsern Füßen lag die große prächtige Stadt. Dem Auge fast unabsehbar, dehnt sie sich von der einen Seite weit über die Ebene hin, während von der andern der ungeheuere Wald von Masten sich erhebt, mit allen seinen buntfarbigen Wimpeln und Flaggen. Ein eignes unnennbares Gefühl ergriff uns, wie wir so in das in dieser Höhe fast lautlose Gewühl der fleißigen Menge herabsahen, und das endliche Ziel all dieses Strebens vor unsere Seele trat.

Wir besuchten auch die Schule für Kinder, die zum Dienst der Marine bestimmt sind. Die Freunde, welche uns hinführten, waren nicht ganz zufrieden damit; man sagt: sie koste viel und schaffe wenig Nutzen. Uns schien es, als wäre eine zweckmäßigere Bildung für den einmal erwählten Stand unmöglich. Erzöge man alle junge Leute zu dem ihnen bestimmten Fache auf ähnliche Weise, so würde wahrscheinlich jeder unendlich mehr in seiner Stelle leisten können, als jetzt geschieht. Ob aber dadurch die ganz unvermeidliche Einseitigkeit, die natürliche Folge einer solchen Erziehung, aufgewogen würde, ob Ältern und Vormünder schon in der frühen Jugend bestimmen, können, was für ihre Kinder das Rechte sei? ist freilich eine Frage, die wir bejahend zu beantworten uns nicht getrauen.

Für den Seemann aber, der körperlich abgehärtet und an sein unstetes Element einmal gewöhnt, ohnehin fast nie seine Laufbahn verändert und dem häuslichen Leben beinahe ganz entsagen muß, ist diese frühe Bekanntschaft mit allem, was seine Lebensweise Hartes und Beschwerliches mit sich führt, augenscheinlich von großem Nutzen. Man muß durchaus schon in der ersten Jugend dazu vorbereitet werden, um auf Masten klettern zu können und weder Wind, Wetter, noch Todesgefahr zu scheuen; früh muß man sich, will man es einst beherrschen, mit dem Elemente bekannt machen, welches auf jeden Neuling eine alle Seelen- und Körperkräfte vernichtende Gewalt ausübt.

In dieser Anstalt werden verwaiste Knaben, größtenteils aus guten Familien, erzogen; die, welche Vermögen haben, bezahlen eine Pension, die andern nicht; alle aber werden ganz gleich, ohne allen Unterschied gepflegt und gehalten. Diese Knaben sind reinlich, aber höchst einfach, als Matrosen in lange Schifferhosen von gestreifter Leinwand und kurze Jäckchen gekleidet. Sie schlafen, wie auf einem Schiffe, in Hangematten, die sie, wie es dort gebräuchlich ist, jeden Morgen zusammenrollen, und essen aus großen hölzernen Schalen Erbsen, Stockfisch, Pökelfleisch und lauter Schiffskost; ihr Brot ist Schiffszwieback. Dabei sehen sie frisch und gesund aus, sind lustig und froh. Auf dem Hofe liegt, freilich auf trocknem Lande, eine ziemlich große Fregatte, an welcher sie alle Handgriffe lernen; doch werden sie auch auf der See und in allen Wissenschaften geübt, die ein guter Seemann braucht. Daß dabei streng auf Subordination und Ordnung gehalten wird, versteht sich ohnehin.

Ein munterer vierzehnjähriger Knabe, mit einem sehr klugen und dabei offenen Gesicht, führte uns überall herum. Er sprach fertig Französisch und war schon drei Jahre in Paris in Pension gewesen; das Geld, welches wir ihm für seine Mühe geben wollten, schlug er sehr höflich und bescheiden aus, indem er sagte: es wäre hier nicht erlaubt, etwas zu nehmen.

In einem oberen Zimmer, in welchem sich die Vorsteher und Lehrer dieser Anstalt versammeln, sahen wir ein sehr schönes Gemälde, welches gerade in diesem Hause einen besonders rührenden Eindruck auf uns machte. Es stellt den Admiral van der Zaan vor2, wie er, im Begriffe sich einzuschiffen, von seiner schönen blonden Frau Abschied nimmt. Tiefer, aber gehaltner Schmerz spricht aus ihren jugendlichen Zügen; er faßt ihre Hand und zeigt mit der Rechten auf den gefährlichen Weg, den er nun betreten soll; man sieht in der Ferne den Hafen und das segelfertige Admiralschiff. Sein männlich schönes Gesicht zeigt den Kampf des Helden mit dem Menschen, es wird ihm schwer, der sanftem Regung nicht zu unterliegen; aber er besiegt sie mit festem Mute, während die Frau seinem hohen Beispiele zu folgen strebt. In einem Schranke bewahrt man einen spanischen Orden und zwei schwere goldene Ketten mit Schaumünzen daran, die Belohnungen seiner Tapferkeit und das Ende von allem diesen, die Kugel, die sein Heldenherz tödtlich traf.

Amsterdam besitzt keine eigentliche Bildergalerie; aber in vielen reichen Privathäusern findet man ansehnliche und höchst sehenswerte Kabinette, welche dem Fremden mit großer Gefälligkeit gezeigt werden. Monate würden nicht ausreichen, um alle gehörig zu sehen; wir begnügten uns, ein Paar der vorzüglichsten derselben zu besuchen, deren Eigentümern wir ohnehin bekannt waren, die des Herrn de Smett und des Herrn de Winter. Zwar bestehen sie fast durchaus nur aus Kunstwerken der niederländischen Schule, aber wer sollte diese auch nicht gern hier, auf dem Boden sehen auf welchem sie entstanden?

Vorliebe für die eigene vaterländische Kunst herrscht hier allgemein. Man bekümmert sich eigentlich um die übrigen Schulen wenig; doch jeder, dessen Bildung ihn über die unterste Klasse des Pöbels erhebt, kennt die großen Meister seines Volks wenigstens dem Namen nach, und verweilt mit achtbarer Freude und Teilnahme vor ihren Werken, wo sich ihm die Gelegenheit dazu darbietet. Diese Kunstliebe hängt genau mit der dem Holländer ganz eignen Vaterlandsliebe zusammen. Wie sollte eine Nation auch das Land nicht lieben, welches sie sich selbst schuf, indem sie es mühsam den Wellen abkämpfte? Die Künstler stellen gewöhnlich große Momente der vaterländischen Geschichte dar, oder Portraite berühmter Männer, deren Namen und Verdienste um ihr Volk von allen Lippen tönen; oder sie bildeten treulich die sie umgebende Natur und das innere häusliche Leben nach, wie man beides noch täglich sieht. Natürlich muß dies alles Menschen lebhafter interessieren, welche kälter und phlegmatischer scheinen, als sie es sind; und diese Wärme, mit der sie sich darüber ausdrücken, mit der sie den Beifall des Fremden gleichsam herausfordern, ist eine um so angenehmere Erscheinung, je unerwarteter sie kommt.

Herrn de Smett's Sammlung war in einer Reihe von Zimmern sehr elegant aufgestellt. Er selbst führte uns herum. Unter mehreren sahen wir bei ihm ein wunderschönes Gemälde von Rembrandt, es stellte Mann und Frau an einem Tische sitzend dar; allerliebste kleine Gemälde von Miris, schöne Tierstücke von Potter, ein Paar Wasserfälle von Ruisdal, auch Einiges von unserm Albrecht Dürer. Am auffallendsten wegen ihrer großen Wahrheit waren uns ein Paar perspektivische Darstellungen von Peter de Hoog, einem Meister, dessen Arbeiten selbst in Holland nicht häufig zu finden sind. Eine stellt das Äußere, die andere das Innere eines Hauses mit offnen Türen und Fenstern vor; man sieht genau durch verschiedene Gemächer, was im Innern des häuslichen Lebens vorgeht, ja man sieht sich so hinein, daß man am Ende fast fürchtet, die Leute würden gleich kommen und dem unberufenen Beobachter Tür und Fenster vor der Nase zuschließen.

Das Kabinet des Herrn de Winter ist noch größer, als das des Herrn de Smett und nicht weniger merkwürdig, nur aus Mangel an Platz nicht so gut aufgestellt. Auch hier sahen wir einige solcher perspektivischen Gemälde von Peter de Hoog, und bewunderten auf's neue ihre große Wahrheit und höchst vollendete Ausführung. In Deutschland scheint dieser Künstler wenig gekannt zu sein.

Bei einem Freunde machten wir auch die Bekanntschaft des Herrn Versteck, Besitzers einer sehr großen und merkwürdigen Sammlung von Handzeichnungen. Mit vieler Gefälligkeit, und auf eine für uns sehr belehrende Weise, zeigte er uns mehrere Abende nacheinander in einzelnen, sehr reichen Mappen einen Teil seines Schatzes; mehr erlaubte unsere beschränkte Zelt uns nicht zu sehen.

Einer Ausstellung müssen wir noch gedenken, die uns großes Vergnügen gewährte, des Blumenmarkts, der alle Montage gehalten wird. Was nur blühet und duftet im Reiche der Natur, wird jede Woche einmal in langen zierlichen Reihen, zu beiden Seiten einer Straße aufgestellt: Blumen, Sträuche, kleine Bäumchen, einheimisch und fremd, zur rechten Jahreszeit blühend, durch Kunst getrieben, in Töpfen wachsend oder schon abgeschnitten zu Blumensträußern. Der Anblick ist wirklich einzig in seiner Art. Dabei fehlt es so wenig an Käufern als an Verkäufern: denn die Blumenliebhaberei ist hier zu Hause. Die schönsten und seltensten Pflanzen verkauft man jedoch in großen, am Blumenmarkt gelegenen Kellern. Wir stiegen in einen derselben hinab und staunten fast eben so sehr über den Handelsmann, als über die große Pracht und Menge der Blumen, die hier zum Verkaufe standen. Ein häßlicher schmutziger Jude war der Eigner dieser Schätze; es sah possierlich aus, wie er mit seinem langen spitzigen Barte und orientalischen Gesichte sich zwischen diesen schönsten, zartesten Kindern des Frühlings, behend hin und her drehte, und sie mit der seiner Nation eigentümlichen Beredsamkeit uns anprieß. Der Bock als Gärtner mußte jedem dabei einfallen. Man sagte uns, der Blumenhandel sei, wie fast aller Kleinhandel, größtenteils in den Händen der Juden. Die Kinder Abrahams mischen sich auch hier in alles und sind fast überall zu finden.

Den Anblick eines andern Magazins, wie man es vielleicht außer Holland nicht wieder in Europa trifft, gewährte uns der Besitzer eines sogenannten japanischen Ladens, in der Nähe unseres Gasthofs. Da er uns oft vor seinem Hause vorbeigehen sah, lud er uns höflich ein, einmal hereinzutreten, um seine Kuriositäten zu sehen, und versicherte, es, wäre ihm gleich, wenn wir auch nichts kauften. An einem Nachmittage erfüllten wir seinen Wunsch. Myn Heer hatte sich auf unseren Besuch eingerichtet und förmlich Toilette gemacht: er trug einen langen, ziemlich engen Schlafrock von hellblauem indischen Zeuge, mit einem bunten Gürtel über den Hüften zusammengehalten und einen großen Hut mit spitzigem Kopf und niedergeschlagenen Krampen auf seinem mit einer runden, braun wollenen Perücke gezierten Haupte, welchen er auch im Zimmer nicht ablegte. So angetan, sah er einer seiner großen chinesischen Pagoden nicht unähnlich.

In einem geräumigen Zimmer fanden wir seine Schätze zierlich aufgestellt, die geschmacklosesten, unbrauchbarsten und wunderlichsten Seltenheiten, die man nur sehen kann. Wahre Kuriositäten. Echt chinesische Pagoden, groß und klein, mit dicken Bäuchen, langen Ohren, in allen nur möglichen Unformen, nickten uns entgegen, steckten die Zungen aus dem Munde und verdrehten die Augen zu unserem Willkommen. Einige der kostbarsten saßen in Glasschränken, in Lebensgröße, mit wirklichen chinesischen Kleidungsstücken herausgeputzt. Dies waren keine Karikaturen, sondern Figuren, wie sie wahrscheinlich die gute Gesellschaft in Peking oder Kanton aufweist. Nächst diesem zeigte er uns eine Menge in Holz und Elfenbein zierlich gearbeiteter chinesischer Kunststücke, fremde sonderbare Zeuche und Stickereien, eine Menge des alten japanischen Porzellans, womit in der Hälfte des vorigen Jahrhunderts großer Luxus getrieben wurde, und welches noch in Holland hochgehalten wird; kostbare chinesische lackierte Möbeln und Kästchen, schwarz mit Gold, fremde Federn, ausgestopfte Vögel, kurz, so viel Buntes durcheinander, daß uns Hören und Sehen dabei verging. Am Ende wurden wir noch mit echtem chinesischen Kaisertee, aus ganz kleinen echten japanischen Täßchen regaliert, kauften uns ein kleines Täfelchen schwarzer chinesischer Tusche für zwei Dukaten, gingen fort und zerbrachen uns die Köpfe, was er doch wohl mit seinem Magazin anfangen möge: denn es schien uns unmöglich, daß irgend jemand viel von diesen Herrlichkeiten brauchen oder kaufen könne. Obendrein war der Preis von allen ganz ungeheuer hoch.

Das holländische große Theater war eben im Haag, wo es einige Sommermonate hindurch spielt. Wir mußten uns jetzt damit begnügen, zwei kleine französische Theater zu besuchen; eines davon war noch unter der Mittelmäßigkeit, das andere erhielt sich mühsam auf dieser goldenen Stufe. Dennoch wurden beide fleißig besucht.

Die französische Sprache ist in Amsterdam sehr beliebt, und die vorzugsweise sogenannte gute Gesellschaft hat die Nationalsprache fast ganz aus ihrer Mitte verdrängt. Freilich können wir auch den Wohlklang derselben nicht rühmen; uns, die wir Plattdeutsch verstehen, schien sie durch unvermeidlich gewordene Vergleichungen und Ideenassoziationen mehr komisch als widerwärtig. Sie hat etwas Treuherziges wie das Plattdeutsche; und wenn die Damen recht schnell unter sich sprachen, klang es nicht übler, als das Englische. Die Einheimischen lieben ihre Sprache, erzürnen sich, wenn man darüber lacht, und rühmen deren großen Reichtum. Fremden wird es schwer, zu verstehen, wenn Einheimische schnell sprechen; die rechte Aussprache hat große Schwierigkeiten und kann fast nicht erlernt werden.

Allmählich fingen wir an, mit dem holländischen Leben und Sein bekannter zu werden. Man tut dem Volke, wenigstens dem amsterdamer, Unrecht, wenn man es für gröber hält als anderswo; uns erschien es höflicher, als in mancher niedersächsischen Stadt. Daß diese Leute fast nie den Hut abnehmen, auch im Zimmer nicht, und ihre Pfeife nicht leicht jemand zu Ehren ausgehen lassen, kann ihnen nicht als Mangel an Höflichkeit ausgelegt werden. Es ist einmal eingeführte Landessitte, sie wissen's nicht anders; und wenn der Fremde in ihrem Zimmer den Hut abnimmt, so denken sie, er tue es, weil es ihm so bequemer ist, und behalten den ihrigen ungestört auf dem Kopfe.

Kaltes Phlegma, ruhiges Unbekümmertsein um alles, was sie nicht nahe berührt, kann man ihnen so wenig absprechen, als eine Sparsamkeit, die mitunter wohl ein wenig an Knauserei grenzt. In ihrem Betragen haben sie allgemein etwas Ruhiges, Freundliches und Gutmütiges, sie sind auch nicht ungefällig, nur muß es kein Geld kosten; ein wenig Mühe achten sie nicht leicht. Man sagt den Holländern der Niederen Stände mancherlei nach, was wir nicht bestätigt fanden. Kein einziger hat uns je, wenn wir nach der Stunde fragten, oder um Zurechtweisung in den Straßen baten, Geld für den guten Rat abgefordert, wie man doch allgemein von ihnen erzählt; im Gegenteil mancher wohlbeleibte Myn Heer latschte freundlich im Schlafrock und auf Pantoffeln eine ziemliche Strecke mit uns, um an der Ecke der Straße mit seiner Tabakspfeife das Haus zu zeigen, welches wir suchten, und stand dann gelassen still und sah uns nach, ob wir auch die rechte Türe träfen, ohne mehr als einen freundlichen Dank dafür zu erwarten.

Von der Frugalität dieses fleißigen Volks kann man sich auswärts kaum einen Begriff machen, so viel man auch davon erzählt. Selbst in vielen reichen Kaufmannshäusern kommt gewöhnlich nur Sonntags ein großer Braten auf den Tisch, welcher die Woche über in mancherlei Gestalten wieder erscheint. Das Volk ist zufrieden, wenn es nur an dünnem Kaffeewasser, Tabak und Wacholderbranntwein keinen Mangel leidet, und die beiden letzten Artikel macht, wie wir oben bemerkten, das Klima notwendig.

Der Geist des Aufbewahrens ist der eigentliche Nationalgeist der Holländer. Sie haben zum Beispiel ungeheure Vorräte der schönsten feinsten Wäsche, aber sie verwahren sie sorgfältig in großen Kisten für ihre Kinder, die sie wiederum ihren Kindern nachlassen, während sie sich mit weit schlechterer für den lebenslänglichen Gebrauch begnügen. Und auch in diesem Gebrauche sind sie von einer Sparsamkeit, die wir nicht näher bezeichnen mögen; genug, die gepriesene Reinlichkeit dieses Volks erstreckt sich nur auf die Wohnungen; für sich selbst ökonomisieren die guten Holländer sogar mit dem Wasser, das freilich auch nicht immer umsonst zu haben ist. Eben so sparsam sind sie mit der in ihrem Lande doch gar nicht kostbaren Feuerung, die größtenteils aus Torf besteht. Die Kamine sind oft so enge, daß gar kein ordentliches Feuer darin gemacht werden kann. Die Frauen sitzen fast den ganzen Tag mit den Füßen auf den Feuerstübchen, um nur nicht ganz zu erfrieren.

In ihrer Kleidung sehen die Holländer besonders auf Dauerhaftigkeit, und achten keine erste Auslage, wenn es nur Dinge von bleibendem Werte betrifft. Die Form gilt ihnen gleich; massive Knöpfe, Ketten und Spangen von Gold und Silber, nicht selten auch Edelsteine, findet man fast bei allen, freilich höchst altmodisch gearbeitet und von vielen Generationen auf einander vererbt.

Sie wohnen in engen, elenden Kämmerchen, bedienen sich der schlechtesten Möbeln; aber sie haben ein Prunkgemach, in welchem alles glänzt und blinkt. Dieses Staatszimmer ist der Stolz der Hausfrau, obgleich sie vielleicht in mehreren Jahren es nicht benutzt, und nur von Zeit zu Zeit hineintritt, um den Staub abzuwischen. So ist's in der Niederen Klasse des Volks. Bei den höheren Ständen findet man freilich dieselben Grundzüge wieder, nur unendlich modifiziert. Was dort oft wie schmutzige Kargheit erscheint, wird hier zur weisen Sparsamkeit, Häuslichkeit, und zum stillen ruhigen Familienleben.

Im Allgemeinen darf niemand die Holländer geizig schelten, der nur einen Blick auf die vielen milden Anstalten wirft, die ihr Dasein bloß der wohltätigen Freigebigkeit der Nation verdanken. Sobald von einem solchen Zwecke die Rede ist, gibt jeder gern. Daß sie einen höheren Wert auf Geld und Eigentum legen, als sie vielleicht sollten, ist nicht zu leugnen; aber kann dies dem Volke verargt werden, welches alles, was es besitzt, mit Arbeit erwarb; sogar die Erdscholle, auf der es lebt, einem mächtigen Element mit ungeheuerer Anstrengung abgewann, gegen das es noch immer anstreben muß mit Dämmen und Gräben, damit die alte Flut nicht einst wieder gewaltsam ihr ehemaliges Eigentum verschlinge? Bei aller übrigen Ökonomie hat indessen keine Nation mehr wie diese, sogenannte Liebhabereien, welche oft mit großen Kosten befriedigt werden. Nirgends gibt es mehr Sammler von Seltenheiten aller Art. Sammlungen von Gemälden, Kupferstichen, Handzeichnungen, Münzen, Conchylien und naturhistorischen Merkwürdigkeiten, sind die Liebhabereien der Reichen, während die übrigen sich mit Siegelabgüssen, Tabakspfeifen, japanischem Porzellan und allerlei Spielkram begnügen. Jeder hat doch in seinem Hause etwas, woran er sich nach des Tages Mühe erfreut und worauf er großen Wert legt, sei der Gegenstand auch dem Auge des Unbefangenen noch so unbedeutend. Die Gartenliebhaberei ist die allgemein herrschendste und man wendet viel Geld darauf. Wer es nur möglich machen kann, besitzt bald näher, bald entfernt von der Stadt einen Garten, in welchem er vom Sonnabend bis Montag mit den Seinen lebt.

Diese Landhäuser sind oft sehr prächtig, wohl möbliert, die Gärten daran groß, die Treibhäuser schön. Die holländischen Gärtner besitzen eine eigne Geschicklichkeit, der Natur ihre schönsten Gaben in einem ungünstigen Klima gleichsam abzuzwingen. Alle edlere Früchte gedeihen unter ihren pflegenden Händen, als wären sie in ihrem Vaterlande. Sonne, Luft und Licht werden bei Anlegung der Treibhäuser so benutzt, daß dadurch viel an Feuerung erspart wird, und die Früchte nur um so besser gedeihen. Pfirschen, Melonen, Trauben, denen wenig zur völligen Reife fehlte, sahen wir im Treibhause eines reichen Kaufmanns schon in der Mitte des Mai, und wie man uns versicherte, ohne alles Feuer zu dieser Vollkommenheit gebracht. Nur um Ananas zu treiben, welche wir ebenfalls hier schön und groß fanden, wendet man Feuer an. Die holländischen Gemüse und Blumen sind zu berühmt, als daß wir versuchen sollten sie hier noch anzupreisen.

Die Gartenanlagen schwanken zwischen dem sogenannten englischen und dem alt-französischen Geschmack; doch ist zu fürchten, daß die neumodischen, dichten, diesem ganz flachen Lande so wenig angemessenen Bosquete, in welchen man sich auf einem beschränkten Raum, in schmalen, ängstlich gewundenen Gängen fast bis zum Schwindel herum drehen muß, bald auch eben so gut aus Holland die in einem größern Stil gedachten Anlagen mit ihren prächtigen Alleen und Blumenparterren verdrängen werden, als es schon aus Deutschland geschehen ist.