Louise von François

Der Posten der Frau

Erzählung

 

 

 

Louise von François: Der Posten der Frau. Erzählung

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Louise von François (Fotografie von Karl Festge in Erfurt, um 1881)

 

ISBN 978-3-8430-9346-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9507-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9508-2 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: (anonym) in: Morgenblatt für gebildete Stände, Stuttgart (Cotta) 1857, Nr. 42–45; erste Buchausgabe in: Ausgewählte Novellen, 1. Band, Berlin (Franz Duncker) 1868.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Louise von François: Gesammelte Werke, Band 1–5, Leipzig: Insel-Verlag, 1918.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Es war am Spätnachmittag des dreißigsten Oktober Anno 1757, als ein schon bejahrtes, dünnleibiges, geistliches Herrlein in Schuhen und Strümpfen, das schmale Chormäntelchen von schwarzer Serge über dem spitzen Leibrock vom Rücken niederhängend, in weißgepuderter Lockenperücke und trotz des anhaltenden Regens den kleinen, flachen Hut unter dem Arm, vor der Tür des »Polnischen Hauses« stillehielt, das Wetterdach seines grauleinenen Regenschirmes zuklappte, die beiden französischen Ehrenposten höflich grüßte und durch das offene Portal seinen Eingang nahm.

Das »Polnische Haus« war ein von Gärten umgebenes stattliches Gebäude der kleinen Stadt Weißenfels im Leipziger Kreise, welche Stadt, seit vor mehr als einem Jahrzehnt ihr eigner Herzogszweig erloschen und sie dem kurfürstlichen Mutterstamme heimgefallen war, ein gar verödetes Ansehen trug. Das große Schloß, das auf der Höhe das Städtchen überschwebt wie eine Henne einen Haufen winziger Küchlein, stand unbewohnt, die einzeln hervorragenden herrschaftlichen Häuser, die sich zu seinen Füßen aufgerichtet, um die Hofumgebung zu beherbergen, hatten ihre adligen Insassen meistenteils an die neue, anmutigere Residenzstadt abgetreten, und nur in den Zeiten der Leipziger Meßpassage verbreitete sich noch ein lebhafter Verkehr, der Gastwirten, Fuhrleuten, Vorspännern und dahin einschlagenden Gewerben zeitweisen Ertrag gewährte.

Seit länger als einem Jahre freilich hat ein ununterbrochenes Treiben die friedlichen Bürger wenig zu Atem kommen lassen; – wahrlich kein segenbringendes für Stadt[181] wie Land, dessen Oberhaupt vor den Siegen des großen Tageshelden geflüchtet ist. Das Städtchen teilt das Schicksal einer eroberten und doch herrenlosen Provinz, in welcher keiner mehr weiß, wer Koch oder Kellner sei. Der hochweise Rat macht seine Bücklinge bald nach rechts, bald nach links; die geängsteten Bürger leeren ihre Speicher und Keller heute für den Zieten und Katte, morgen für den Turpien und Lothringer. Glaubt man sich einen Augenblick in Ruhe: wie ein Wetter stehen die Preußen wieder vor den Toren, der Dessauer Moritz, der große König selber ziehen zwischen Erfurt und Torgau hin und wider, bis denn endlich vor ein paar Tagen ein französisches Korps seinen Einzug hält und der Chef der exequierenden Reichsarmee, Herzog von Hildburghausen, auf dem Schlosse seiner weiland Herren Vettern die zeitweise Residenz aufschlägt.

Das Städtchen, vor hundert Jahren noch dicht mit Laubbäumen umwaldet, ist freundlich, von Ost nach West lang gestreckt, am rechten Ufer der Saale gelegen, mit deren erhöhten Rändern und anmutigem Taleinschnitte der Thüringer Kreis, die Kornkammer des Landes, seinen Anfang nahm. Aber diese Kammer, wie kläglich ausgeleert! Die armen Bewohner wissen kaum mehr die Requisitionen von Feind und Freund zu befriedigen, und doch steht man erst am Anfang der aussichtslosen, kriegerischen Verwirrung. Die Pferde genommen, Rinder und Schweine geschlachtet, die Preise zu beispielloser Höhe emporgetrieben, die Kassen entführt, die Felder unbestellt! Das spät und schwer überwundene Drangsal des Dreißigjährigen Krieges, Blut- und Hungerzeiten gleich jenen, da die Leiche des großen Schwedenkönigs im Amthause des Städtchens geruht hatte, da ein andrer Schwedenkönig in der Nachbarschaft einen dem[182] vaterländischen Namen wenig ruhmreichen Frieden diktierte, sie leben wieder auf; man weiß seinem Leibe keinen Rat und blickt mit Zittern in die Zukunft.

Solchergestalt waren nun auch die Gedanken des geistlichen Herrn während des Wegstündchens von seinem jenseitigen Pfarrdorfe gewesen, und mancher schwere Seufzer hatte sich seiner Brust entrungen, als er mit aufgespanntem Parapluie, die Zipfel seines Chormäntelchens mehrfach um den den Hut krampfhaft einklemmenden Arm geschlungen, in leichtem Schuhwerk hüpfend von Stein zu Stein, sich mühselig einen Pfad durch den fußhohen Morast der ungepflasterten Straße suchte. Jetzt aber, seit fast einer Viertelstunde sehen wir alle seine Aufmerksamkeit darauf gerichtet, auf Scharren, Decken und Bürsten seine Fußbekleidung zu säubern und in seiner Erscheinung der Ordnung und Nettigkeit des Polnischen Hauses zu entsprechen, das seinen in diesem Punkte etwas zweideutigen Namen aus früheren Zeiten beibehalten hatte, ehe es aus den Händen eines herzoglichen Kammerherrn und polnischen Grafen in die seines gegenwärtigen Besitzers, eines königlich polnischen Kammerherrn und sächsischen Grafen, überging, der, ein junger, flottlebiger Kavalier, für den reichsten Edelherrn des Kreises galt und auf seinem nahegelegenen Stammschlosse der geistliche Patron seines gegenwärtigen Besuchers war.

Eben hatte dieser sein Reinigungsgeschäft einigermaßen zur Zufriedenheit zu Ende gebracht, als er schon wieder in die Lage kam, das ehrwürdige, dünne Haupt freundlich zu neigen, und zwar gegen ein Individuum, das mit kauenden Backenknochen aus der räumlichen Küche im unteren Geschosse ihm entgegentrat. Eine martialische Figur, sechs Fuß drei Zoll, breitschulterig, straff in die Höhe gerichtet,[183] mit kurzgerundetem, schnurrbärtigem Angesicht. Der steif im Nacken hängende faustdicke Zopf schien so wenig als die Schmarre über der Stirn und der ausgestopfte linke Arm zu dem silberbetreßten Livreeanzuge zu passen, in welchen der stramme Körper eingepreßt war. Der Mann war ja aber auch vom invaliden preußischen Wachtmeister zum schmucken sächsischen Kammerdiener avanciert.

»Wünsche wohl gespeist zu haben, Lehmännchen!« sagte der geistliche Herr mit nochmaligem höflichen Gruß.

»Prosit, Herr Magister!« lautete der Gegengruß.

»Kann Er mir wohl sagen, Lehmännchen, ob ich alleweile unsrer Gnädigen mit meiner Aufwartung zupasse komme?«

»Die gnädige Gräfin sind just beim Putz. Verziehen der Herr Magister ein paar Minuten, so werde ich rapportieren.«

»Keine Störung, lieber Lehmann; ich kann mich geduldigen. Komme auch lediglich von wegen des Berichtes über unser Junkerchen. Gänzlich zur Zufriedenheit, alter Freund. Sozusagen, quasi munter wie ein Fisch. Also beim Putz; will heißen bei der Toilette. Hm! hm! so spät noch am Tage! Schien mir ja sonsten keineswegs der Kasus bei unsrer Gnädigen. Beim Putz, beim Putz, will mir gar nicht in den Sinn!«

»Sonsten, ja sonsten, Herr Magister«, versetzte unwirsch der Veteran; »aber diese heillosen französischen Windbeutel stellen ja die Welt auf den Kopf! Heute abend ist Ball im ›Scheffel‹. Wie die Preußen da waren, hat sich keine Fiedel gerührt; aber diese vermaledeiten Zierbengel – hole sie alle der Teufel –«

»Sachtchen, sachtchen, Lehmännchen«, unterbrach den[184] Zornigen warnend der fromme Besucher, »gedenke Er an das zweite Gebot. Will mir freilich auch nicht recht in den Kopf, respektive in das alte Herz, diese Festivität; sintemal rings um uns herum ein verwüstetes Land, alles kahl wie eine flache Hand, fort furagiert, fort requiriert, fort ravagiert in Scheune und Stall. Zu Tillys Zeiten kann es nicht grausamer ausgesehen haben. Der heillose Preuße, daß Gott erbarm!«

»Soldaten wollen leben, Herr Magister. Und wer ist dran schuld, als die Franzosenbrut und das pfäffische Reich, die unsern Herrn und König nicht in Frieden lassen?« entgegnete der kriegerische Preuße, indem er mit dieser Anklage den sächsischen Friedensmann nicht zum erstenmal zu einer gereizten Kontroverse herausforderte.

»Unsern Herrn, unsern König, Lehmann?« rief er aus. »Man besinne sich. Wer ist Seiner Kurfürstlichen Gnaden unversehens ins Gebiet gefallen? Wer hat Seine geheiligte Person in die Flucht gescheucht, den Landfrieden gebrochen und die Brandfackel zuerst angezündet?«

»Wer hat dem König seine Provinzen rauben, sein Reich klein machen wollen, Herr Magister? Preußen klein machen, Preußen teilen, Herr Magister! Kreuzmohrenschockelement, da müßte ja gleich –«

»Nicht zetern und fluchen, Lehmann! Wie oft muß ich wiederholen: Beherzige Er das zweite Gebot, eventualiter auch das fünfte. Alles unschuldig vergossene Blut kommt über den König!«

»Über den König! Heiligeskreuzdonnerwetter – ich fluche ja nicht, Herr Magister – Schockschwerenot! über den König, unsern Herrn!«

»Unser Herr, Lehmann, unser Landesherr seufzen und[185] beten im fernen Polenreiche, auf daß Recht und Gerechtigkeit wiederkehren.«

»Ihr König vielleicht, der seufzt, Herr Magister, Ihr Herr, der betet, meiner nicht. Ich bin meiner gnädigen Komtesse gefolgt in ihren Ehestand, wie ihr Herr Vater, mein braver Oberst, Gott erhalt' ihn! mir anbefohlen. Im übrigen aber und im Herzen bin und bleibe ich des großen Fridericus allzeit getreuer Soldat und Untertan, und geht die Heidenwirtschaft hier im Lande so fort – hole mich dieser und jener – alle Tage andre Gäste und für jedweden untertäniger Wirt und Knecht. Ziehen die Preußen aus dem Tore, haben wir die Welschen auf dem Halse; hui! wie ein Wetter sind meine Preußen wieder da und wieder fort, und nun kommen Panduren, Schwaben, Kroaten, und fehlen zu guter Letzt nur noch die Kosaken, so ist die Bulle zum Platzen voll. Was haben wir nicht alles hinunterfressen müssen, nur allein in den paar Wochen, die wir vom Lande wieder in die Stadt gezogen sind. Kommt der Turpien mit seinem Korps. Zieht mein hochweiser Rat in corpore ihm vors Quartier und schwänzelt und bettelt um Verhaltungsbefehle vor dem bocksbeuteligen Französischen! Herr Magister, und unser Graf – –«

Der geistliche Herr ließ den Zornigen nicht zu Ende reden.

»Nun höre Er auf, Lehmann«, unterbrach er ihn mit Würde; »ich habe Seine Lästereien gelassen mit angehört, sintemal Er sozusagen nach Gelegenheit ein alter Preuße ist und ein jeglicher getreulich zu der Fahne halten soll, der er geschworen hat. Aber seinen Brotherrn verunglimpfen, dieweil er gleichermaßen seine Treue bewahrt –«

»'s kommt nur drauf an, wie er sie bewahrt, Herr[186] Magister«, fiel ihm der unerschütterliche Wachtmeister ins Wort. »Aufrecht und ehrlich Freund wie Feind ins Angesicht, und wenn sie dem Leibhaftigen in Person geschworen wäre, unser Herrgott wird's zu ästimieren wissen. Aber Courage gehört zu der Treue, Herr Magister, Courage!«

»Wolle Er in Erwägung ziehen, Lehmann«, entgegnete ein wenig verlegen der geistliche Anwalt, »daß unser junger Herr Graf nicht vom Kriegshandwerke sind. Au contraire, im Gegenteil: Kammerherr Seiner Kurfürstlichen Gnaden von Sachsen.«

Der alte Preuße lachte, zwischen Gift und Lust geteilt.

»Das soll wohl so viel heißen, Herr Magister«, fiel er ein, »daß einem Kammerherrn Seiner Kurfürstlichen Gnaden von Sachsen das Herz auf einem andern Flecke gewachsen ist, als andern Christenmenschen, und daß er anstatt der Courage einen Katzenbuckel zeigen darf? Na, wenn's auf die Weise verstanden ist, Herr Magister, meinethalben. – Aber einen hübschen Jux hat's doch noch gegeben mit diesen Französischen, Herr Magister. Schickt mein Turpien, da wir ihn endlich vom Halse haben, ein Kommando von Merseburg und ordonniert, daß sämtliche Armatur und Effekten, so von der Kattschen Winterexpedition noch hiesigen Orts restieren, stante pede an selbiges ausgeliefert werden. Insonderheit drei schwere Coffres mit Geschmeide und kostbarem Silbergerät, so der Leutnant von Itzenplitz von den Leibkürassieren im gräflich von Finkschen sobenamsten Polnischen Hause zurückgelassen habe. Bei Konfiskation von des Hehlers Vermögen. Ein preußischer Leutnant und drei Coffres voll Preziosa! Ein Maul hätt ich dem Spaßvogel geben mögen, der[187] den Schabernack ausgeheckt hat. Allein meinem Hochweisen ist kein Spaß allzu dumm. Eine Deputation, den Herrn Bürgermeister in persona an der Spitze, gefolgt von dem ganzen Kommando, macht sich ernsthaftiglich auf die Socken hinter den Rohrdamm ins Polnische Haus. Die Frau Gräfin schreien Zeter. 's war ein anvertrautes Pfand, und sie ist eine Preußin, Herr Magister.

Mein Herr Graf, liebes Kind wie allzeit, schleppt mit eignen Händen den Koffer – denn 's war nur einer, Herr Magister, und ein ganz kleiner obendrein – hier in den Saal. Ich rühre mich nicht und lache mir in die Faust. Ein ellenlanges Protokoll wird aufgesetzt, das große Amtssiegel druntergedruckt, das Köfferchen feierlichst aufgeschlossen, und was für Preziosa ziehen die Hochweisen an das Licht? Einen abgeschabten, alten Pelz, eine weiße Lederhose, ein Paar zerrissene Reiterstiefeln, und sorgfältig eingewickelt, hahaha! ja nun kommt's, Herr Magister, sorgfältig eingewickelt – das Konterfei einer alten Frau. Hahaha, einer alten Frau!«