Lucius Annaeus Seneca: Agamemnon
Übersetzt von Wenzel Alois Swoboda
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Louis Jean Desprez, The Funeral Procession of Agamemnon, 1787
ISBN 978-3-8619-9551-7
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7879-5 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7880-1 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden zwischen 41 und 64 n. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von Wenzel Alois Swoboda.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Der Schatten des Thyestes
Agamemnon
Klytämnestra, seine Gattinn
Elektra
Orestes
Aegisthus, seine Kinder
Die Amme Klytämnestra's
Eurybates
Strophius, König von Pylades, sein Sohn
Kassandra
Chor von Trojanerinnen
Chor von Argiverinnen
Die Scene ist vor dem Pallaste des Agamemnon.
Der Schatten des Thyestes steigt die charontische Stiege herauf.
THYESTES.
Her aus des Höllengottes dunklem Reich
Komm' ich, Thyestes, aus den tiefen Schlünden
Des Tartarus zur Oberwelt herauf.
Ich weiß fürwahr nicht, welcher Wohnplatz mir
Verhaßter sey. Ich fliehe vor den Schrecken
Des Todtenreichs; und die Lebendigen
Flieh'n scheu vor mir davon. Mein Herz erschrickt,
Und Schauder rütteln mein Gebein. Ha sieh'!
Hier ist das Vaterhaus, des Bruders Haus;
Hier ist das Thor der alten Pelops-Burg!
Hier setzen sich die Königskron' auf's Haupt
Nach alter Sitte die Pelasger-Fürsten.
Hier sitzen sie auf hohem Throne, die
In stolzer Hand das mächt'ge Zepter führen;
Hier kommen sie zum hohen Rath zusammen,
Hier ist der Speisesaal.
Von Schauern ergriffen.
Zurück! Zurück!
Ist's besser nicht, am düstern Pfuhl zu hausen,
Den grausen Wächter an dem Styx zu schau'n,
Der um drey Nacken schwarze Mähnen schüttelt?
Viel lieber wohn' ich, wo an's schnelle Rad
Gefesselt um sich selbst im schnellen Wirbel
Der Arme kreis't; wo jener stets bergan
Das Felsstück wälzen muß, das, immer wieder
Herab gerollt, sein mühsam Werk vereitelt;
Wo an der Leber, die sich stets erneut,
Mit heißer Gier der grimme Geyer nagt;
Und wo mein Urahn mitten unter Wellen
In heißem Durst verschmachtet, nach den Wassern
Mit trock'nem Munde stets vergeblich hascht,
Die seiner Qualen spottend jach entflieh'n,
Hart büßend für das grause Mahl, das er
Den Göttern aufgetischt. Ha, und wie klein
Ist seine Schuld, mit unserm Gräu'l verglichen!
Zählt alle, alle, die der richtende
Fürst Gnossia's, um Frevelthun verdammt.
Ich, der Thyest, ich übertreffe Alle
An Gräuelthaten, mich mein Bruder nur.
Von dreyer Söhne Leibern hab' ich mich
Gesättigt, sie in meinem Bauch begraben,
Mein eig'nes Fleisch und Blut hab' ich verzehrt.
Noch war's dem Schicksal nicht genug, daß mit
So unnatürlich wildem Graus der Vater
Sich hat befleckt, zu wild'rem trieb's mich an;
Blutschande ward vom Schicksal mir gebothen,
Zu schänden meiner eig'nen Tochter Leib:
Und nicht mit Grau'n vernahm ich diesen Spruch;
Ja ich beging sie, diese Schreckensthat.
Auf daß der Vater aller Kinder Leib
Genöße, geht, – so wollt' es das Verhängniß, –
Mit einer Frucht von mir die Tochter schwanger,
Die mein, des Vaters, werth. Ich habe frech
Die Ordnung der Natur verkehrt; ward Ahn
Und Vater, Gatte der, die ich gezeugt,
Und Sohn' und Enkel zeugte ich zumahl,
Ha Gräu'l! – und Tag und Nacht hab' ich verworren.
Doch spät erst wird mir Unglücksmüden nun
Nach meinem Tod des dunklen Spruchs Verheißung
Erfüllet endlich. Agamemnon, König
Der Könige, der Heldenfürsten Fürst,
Deß Banner tausend Schiffe sind gefolgt,
Mit ihren Segeln Troja's Meer bedeckend,
Kehrt jetzt, da Phöbus nun im zehnten Jahr
Die Erd' umkreis't, als Sieger Ilions
Zurück, und bringt sein Haupt dem Morde dar,
Womit daheim die Gattinn seiner harrt.
Bald wird das Haus im Blut der Rache schwimmen,
Schon seh' ich Schwerter, Beile, Dolche, sehe
Des Königs Haupt von scharfer Art gespalten.
Ha nah' sind Frevel, Tücke, Mord und Blut.
Das Mahl ist fertig. Ha Aegisth, die Stunde
Der Rache naht, zu der ich dich gezeugt!
Was senkst zu Boden du den scheuen Blick?
Was zittert noch die unentschloss'ne Hand?
Was überlegst du, quälst mit Zweifeln dich,
Ob du denn darfst und sollst? Ha blicke nur
Auf deine Mutter hin! Du darfst, du sollst!
Doch warum dehnt die Sommernacht sich plötzlich
Zur Dauer aus der langen Winternächte?
Was hält die untergeh'nden Stern' am Himmel?
Um meinetwillen säumet Phöbus noch.
Auf denn! erscheine, gib der Welt den Tag!
Geht ab.
Chor von Argivern.
CHOR.
Strophe.
O Herrscherglück!
Wie falsch sind die Güter,
Womit du verlockst!
Wie auf steile,
Schlüpfrige Höhen
Stellst du die Mächtigen!
Um die Höhe des Throns
Wallt nimmer die Ruh'.
Kein Tag erscheinet,
Wo sicher sich dünkte
Der Zeptergewaltige.
Sorge auf Sorge
Aengstet sie immer,
Sturm auf Sturm
Erschrecket ihr Herz.
In Lybia's Syrten
Ras't nicht das Meer so,
Wenn es fluthet und ebbet;
So braus't nicht die Woge
Des Euxinus, herauf
Vom Grunde gewühlt,
Wenn Bootes,
Des eisigen Poles
Nächster Nachbar,
Den Sternenwagen,
Der nimmer hinab taucht
In die bläuliche Fluth,
Herwärts lenkt;
Wie das Schicksal
In schnellem Wirbel
Die Herrscher herab
Stürzt von der Höhe.
Antistrophe.
Gefürchtet zu seyn,
Sie wünschen es wohl,
Und scheu'n es zugleich.
Die allerfrischende
Nacht bringt nicht Ruh'
Ihnen; der Schlaf,
Der die Sorgen verscheucht,
Erquickt nicht ihr Herz.
Wo ist die Pfalz,
Die nicht gestürzt ist
Durch Wechselverrath?
Wo wüthete nicht
Unnatürlicher Mord?
Das Recht und die Scheu
Und züchtige Sitte
Und eh'liche Treue
Fliehet vom Hofe.
Dort waltet Bellona
Mit blutiger Faust,
Und die Erynne,
Die den Hochmuth entflammt,
Und im Hause der Stolzen
Rächend hauset.
Von steiler Höhe
Stürzt jegliche Stunde
Sie herab in den Staub.
Epode.
Wenn die Waffen auch ruh'n,
Wenn nicht der Verrath
Sie tückisch umschleicht;
Die Colosse
Stürzen zusammen
Durch eigene Last,
Und das Glück läßt fallen,
Wen zu hoch er erhob.
Wenn günstiger Wind
Die Segel zu voll bläs't,
So zaget der Schiffer.