Paula Dehmel

Das liebe Nest

Gesammelte Kindergedichte

 

 

 

Paula Dehmel: Das liebe Nest. Gesammelte Kindergedichte

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Paula Modersohn-Becker, Mädchen im Garten mit Glaskugel, 1902

 

ISBN 978-3-8430-8238-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8619-9445-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-8619-9446-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Leipzig, E. A. Seemann, 1919. Herausgegeben von Richard Dehmel.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

Gruß an die Großen

Aus lichtem See,

über Sterne und Schnee,

rauschen die Schäume,

lauschen die Träume,

Himmel hinab, Himmel hinan,

ewige Bahn.

 

Aus Kinderland,

über Acker und Sand,

wachsen die Gluten,

die bösen, die guten,

Himmel hinab, Himmel hinan,

ewige Bahn.

 

Gruß an die Kleinen

Ich möcht euch alle miteinander

auf bunten Wiesen sehn,

bei Klarinetten und Geigen

die Füßchen im Tanze drehn.

 

Ich möcht euch alle miteinander

mitnehmen im Fliegerkahn,

euch die schöne Erde zeigen,

und was fleißige Menschen getan.

 

Ich möcht euch alle miteinander

still führen an der Hand,

euch heimliche Dinge sagen

von Gott und dem Sternenland.

 

Erster Teil

Wunderchen

Putzt die Fenster! fegt die Ecken!

Darf sich kein Staub, kein Krümel verstecken,

muß alles so blank wie Ostertag sein,

denn das Wunderchen zieht ein.

Zieht ein – schon stimmen die Englein die Geigen;

alle Könige werden sich neigen,

Hirten und Könige mit dem Stern

haben Wunderchen gern.

Wer soll Wunderchens Taufpate sein?

Sieben große Meister laden wir ein;

sieben große Helden mit Kron und Schalmein

sollen Wunderchens Taufpaten sein.

Und wer ist schnell

sein Spielgesell?

Da kommen gesprungen

die reizenden jungen

Wachholderweibchen und Fliedermännchen,

Taunixchen mit silbernen Wasserkännchen.

Aus Vogelnestern und Weidenkätzchen

gucken neugierige Schelmenmätzchen:

Wir lachen fein,

wir singen fein,

wir wollen Wunderchens Spielgesellen sein!

 

Geht leise

Geht leise –

es ist müd von der Reise.

Es kommt weit her:

vom Himmel übers Meer,

vom Meer den dunklen Weg ins Land,

bis es die kleine Wiege fand –

Geht leise.

 

Wittewoll schlafen

Auf der Leine, auf grünem Platz

hängen sieben Hemdchen und ein Latz;

im Winkel, am Zaun, wos Spinnchen spinnt,

liegt mit großen Augen mein Kind –

wittewoll schlafen?

 

Henne macht sich ein Bett im Sand,

Fliege träumt an der Mauerwand,

Schmetterling sitzt in der Mittagsruh,

schaukelt die Flügel auf und zu –

wittewoll schlafen?

 

Suselesu, der Sonnenwind

bläst in die Augen dem müden Kind;

es will noch blinzeln – Spinnchen hält

den bunten Schleier vor die Welt –

– wittewoll – schlafen – –

 

Frühstück

So morgens um halb acht herum:

Rumpumpel macht das Mäulchen krumm.

Und keine fünf Minuten drauf

wacht Rumpumpel auf.

 

Hu! kommt der kalte Badeschwamm,

Rumpumpel hält die Ohren stramm;

und schlägt die Ticke-Tacke acht,

wird ihm die Milch gebracht.

 

Die schmeckt Rumpumpeln aber fein;

er patscht mit beiden Fäustchen drein

und trinkt und trinkt, bis alles leer.

Rumpumpelchen, das freut mich sehr:

morgen gibt's gut Wetter!

 

Seereise

Pitsch – patsch – Badefaß,

Rumpumpel plantscht die Stube naß,

ist ein junger Wasserheld,

segelt durch die ganze Welt,

im Wipp – im Wapp – im Schaukelkahn

über den großen Ozean.

Stehn drüben alle Wilden still

und schrein: Was bloß Rumpumpel will?

so splitternackt und pitschenaß

in seinem kleinen Schaukelfaß?

Schnell das Badelaken!

 

So lala

Steht ein Töpfchen rund und nett

unterm Bett,

so lala, so lala.

Reicht mir mal das Kindel her,

das braucht jetzt keine Windel mehr,

so lala, so lala.

 

Rolle, rolle, ratteratt,

rollt ein Wagen durch die Stadt;

sind zwei blanke Pferdchen davor,

hinten drauf ein schwarzer Mohr.

 

Horch, er hält vor unserm Haus;

steigen zwei feine Jungherren aus,

mit Federbarettchen

und goldenen Kettchen.

Schnell das Töpfchen unters Bettchen!

 

Mein Wagen

Mein Wagen hat vier Räder,

vier Räder hat mein Wagen,

rolle, rolle, rummerjan,

das wollt ich euch bloß sagen.

 

Mein Wagen hat 'ne Deichsel,

'ne Deichsel hat mein Wagen,

rolle, rolle, rummerjan,

das wollt ich euch bloß sagen.

 

Mein Wagen hat ein Pferdchen,

ein Pferdchen hat mein Wagen,

rolle, rolle, rummerjan,

das wollt ich euch bloß sagen.

 

Mein Wagen fahrt nach Potsdam,

nach Potsdam fährt mein Wagen,

rolle, rolle, rummerjan,

das wollt ich euch bloß sagen.

 

Und wer mit mir nach Potsdam will,

in meinem neuen Wagen,

rolle, rolle, rummerjan,

der braucht es bloß zu sagen.

 

Kutscher auf dem Knie

Wagen im Wind.

Wie sitzt mein Kind?

Wie geht mein Pferd?

Alles verkehrt.

Holdriutsch –

oben die Räder, unten die Kutsch!

 

Wagen im Schnee.

Da guckt das Reh,

da schnuppert der Has

mit der wackligen Nas.

Holdriuff –

da sitzt unser Kutscher wieder oben uff!

 

Ereignis

(von Paula und Richard Dehmel)

Hurra, zum ersten Mal:

Mutter, der Peter,

hurra, da steht er!

hält sich am Röckchen,

hält sich am Stöckchen,

grade wie 'n Licht,

fürchtet sich nicht.

 

Hurra, zum ersten Mal:

Mutter, der Peter,

hurra, da geht er!

guck, ganz alleinechen

setzt er die Beinechen!

Aua, Geschrei –

bautz! – vorbei.

 

Heilsprüchel

Kra, kra, kalter Schnee,

dem Raben tut sein Beinchen weh,

dem Häsechen sein Herzchen;

die böse Zeit, die kalte Zeit,

ein jedes hat sein Schmerzchen.

 

Heile, Fingerchen, heile,

es dauert noch 'ne Weile,

es dauert noch bis Rosmarein,

dann ist lauter Sonnenschein.

 

Schlimme Geschichte

Im Stall unser Schäfchen – bäht,

im Hof unser Hähnchen kräht,

und der Karo an der Kette

bellt mit Spitz um die Wette.

Auf'm Dach unser Kätzchen – maut,

und im Ententeich die Frösche, alle Frösche quaken laut:

Kinder, denkt euch den Schreck,

unserm kleinen Wackelbein sein linker Schuh ist weg.

 

Austreibung

Das kann doch nicht Rumpumpel sein?

So kann Rumpumpel doch nicht schrein?

Seelöwen sind in unserm Haus;

schnell, Rumpumpel, wir jagen sie raus.

Ich 'n Stock,

Du 'n Stock,

alle beide einen Stock.

Ei der Daus,

wollt ihr raus,

wollt ihr in euer Seelöwenhaus!

 

Wenn Rumpumpel brummig ist

Die Henne legt ein Ei,

da ging der Mond entzwei;

die Hälfte fiel nach Nuckenstadt

und schlug zwei große Brummer platt.

 

Zwei große Brummer, brumm,

summten hier herum,

um Rumpumpels Kopf,

um Rumpumpels Bauch

und um sein dickes Näschen auch.

 

Nun sind sie tot... Aber im Ei

pickt das Küken die Schale entzwei,

kriegt heraus, und wackelt mit dem Schwanz –

– ist der Mond wieder ganz.

 

Der Pudding

Rumpumpel will essen,

nun fix gebraten:

ein Kätzel, ein Spätzel

und sieben Soldaten.

 

Das gibt einen Pudding

so groß wie ein Haus.

Zuletzt leckt Rumpumpel

die Kuchenschüssel aus.

 

Zwei Mäulchen

Winkele, wankele,

vor der Tür steht ein Bankele,

auf der Bank sitzt mein Kindele,

spielt mit mei'm Hündele,

winkele, wankele.

 

Winkele, wankele,

ich hab ein Gedankele:

ein Äpfle fürs Kindele,

ein Knöchle fürs Hündele.

Dankele.

 

Mückebold

Mückchen, Mückchen, Dünnebein,

Mückchen, laß das Stechen sein,

Stechen tut ja weh!

Mückchen, Mückchen, weißt du was:

beiß doch in das grüne Gras,

beiß doch in den Klee!

 

Das Scherchen

Schnipsel, schnipsel, Scherchen,

schneid mir ein Gewehrchen;

schieß ich mir ein Häschen tot,

brat's dem Kind zum Mittagbrot.

Die Schnitzel fliegen zum Fenster hinaus

durch den Sonnenschein in des Gärtners Haus;

der hat seine Freude dran,

oder guckt sie gar nicht an,

oder streut sie in den Wind,

oder schenkt sie seinem Kind –

schnipsel, schnipsel, Scherchen – –

 

Geschichtchen vom Winde

Wer kommt dort angeflogen?

Das ist der Wind.

Der Wind ist ungezogen,

er bläst dem Kind

unters Röckchen,

an die Söckchen,

um die Ohren, an die Nase;

solch Geblase!

 

Ganz zerfleddert und zerzaust

kommt Rumpumpel angesaust;

und hustet

und prustet,

das arme Tröpfchen,

und steckt sein Köpfchen

in Mutters Schoß.

 

Und weißt du, warum der Wind so getollt?

Rumpumpel sollt zu Bette gehn, und hat nicht gewollt.

 

Anziehliedchen

Wer strampelt im Bettchen?

versteckt sich wie 'n Dieb?

Das ist der Rumpumpel,

den haben wir lieb.

 

Was guckt da für 'n Näschen?

Ein Bübchen sitzt dran.

Das ist der Rumpumpel,

den ziehn wir jetzt an.

 

Erst wird er gewaschen,

vom Kopf bis zur Zeh;

er weint nicht, er greint nicht,

denn es tut ja nicht weh.

 

Schnell her mit dem Hemdchen:

da schlüpfen wir fein,

erst rechts und dann links,

in die Ärmelchen 'rein.

 

Fix an noch die Strümpfchen,

fix an auch die Schuh;

kommts Händchen, schnürts Bändchen,

schon sind sie zu.

 

Nun Leibchen und Höschen,

ein Röckchen kommt auch;

sonst friert dem Rumpumpel

sein kleiner runder Bauch.

 

Das Kämmchen kämmt sachte,

aber still muß man stehn;

zuletzt noch das Kleidchen,

der Tausend, wie Schön!

Nun geht er und sagt: Guten Morgen.

 

Das Lämmechen

In Wolfenbüttel wohnt ein Lamm,

das hat ganz schwarze Haare.

Meint ihr, es brauche einen Kamm?

I Gott bewahre!

 

Aber mein Lämmechen

braucht ein Kämmechen,

braucht ein Schwämmechen,

läßt sich nix verdrießen;

setzt sein neues Käppechen auf,

will mal Koppkegel schießen.

 

Die wilden Beinchen

Guten Morgen, ihr Beinchen!

Wie heißt ihr denn?

Ich heiße Hampel,

ich heiße Strampel;

und das ist Füßchen Übermut,

und das ist Füßchen Tunichtgut.

 

Übermut und Tunichtgut

gehn auf die Reise,

platsch, durch alle Sümpfe,

naß sind Schuh und Strümpfe;

guckt die Rute um die Eck –

laufen sie alle beide weg.

 

Der lumpichte Bu

Ka Strümpferl im Kasten,

ka Bänderl am Schuh,

ka Knöpferl am Wams –

oh, der lumpichte Bu!

 

Tintenheinz und Plätscherlottchen

Heini, Heini,

ach, ist Heini dumm:

stippt mit allen Fingerchen

im Tintenfaß herum.

 

Heini, Heini,

kleiner dummer Mohr:

stippt sich alle Fingerchen,

klecks, ins Ohr.

 

Und unten am Brunnen,

da steht ein Faß,

da macht sich unsre Lotte

pitschepatschenaß.

 

Und oben die Sonne

hat drüber gelacht

und hat unsre Lotte

wieder trocken gemacht.

 

Es regnet

Es regnet, es regnet

der Kuh auf den Schwanz;

es regnet, es regnet

der Braut in den Kranz.

 

Es regnet, es regnet,

die Welt ist schon naß;

hol 's Töpfchen,

fang 's Tröpfchen,

dann sag ich dir was:

 

Wäscht du die Nase,

bleibt sie fein grade.

Wäscht du das Mündchen,

bist du 'n lieb Kindchen.

Wäscht du aber die Augen schön,

kannst du dem lieben Herrgott seinen Himmel besehn.

 

Trösterchen

Blümchen hängt das Köpfchen,

der Tau ist ihm zu schwer;

kommt der durstige Morgenwind,

trägt die Tropfen ins Meer.

 

Spätzchen piepst und bettelt,

das Kröpfchen ist ihm leer;

Pferdchen hat die Krippe voll,

streut Körnerchen umher.

 

Kindchen weint noch immer,

Böckchen stößt so sehr.

Schenkt ihm Mutter einen Kuß:

sieh mal, nun weint's nicht mehr.

 

Häschen in der Grube

(mit Benutzung des Volkspiels)

Häschen in der Grube

saß und schlief,

kam der heilge Kuckdiguck

und bracht ihm einen Brief.

 

Häschen, bist du müde

oder bist du krank?

Steck doch deine Läufer raus,

ob du noch hüpfen kannst.

 

Und was stand geschrieben

in Kuckdiguckens Brief?

»Dem Kutscher, der nicht fahren kann,

geht der Wagen schief.«

 

Hasenspiel

Hinter den Birken über den Rasen

huschen drei Hasen

an uns vorbei,

Springen über Busch und Dorn,

wollen ins junggrüne Winterkorn,

hocken da,

locken sich da,

laufen kreuz,

laufen quer,

hin und her,

als gäb's in der Welt keine Schrotflinte mehr.

 

Warte, in der Weihnachtszeit

kommen die drei Hasen ins Haus geschneit.

Den größten verschicken wir,

den zweitgrößten spicken wir,

der kleinste kommt ins Hundehaus

und steckt hinten sein Schwänzchen raus.

 

Drei Bäumchen

Jung jung drei Bäumchen

wachsen im Wiesengras,

jung jung drei Bäumchen

sagen mir was.

 

Das erste hat sich

so gequält,

hat alle seine siebentausend

Blättchen gezählt.

 

Das zweite trägt Pfläumchen,

schlicker-schleckerfein;

hätt es deine Zähnchen,

es äße sie allein.

 

Das dritte, das dritte

schüttelt sich bloß:

fallen lauter Blüten

in meinen Schoß.

 

Sag ich schön Dank,

geh ich nach Haus,

mach ich Rumpumpeln

ein Kränzchen draus.

 

Schabernack

Wenn ich in die Stube geh

und den Rumpumpel seh,

tanzen wir zwei

Ringeldireih,

lachen wir,

machen wir

Schabernack,

Huckepack,

Kätzchen spielt den Dudelsack,

macht Rumpumpel Hottehüh

nach der alten Melodie:

Miau, miau,

dem Kater seine Frau,

dem Kater seine grisegrimme

gritzegraue Frau.

 

Am Abend

Still.

Was bloß das Kätzchen will?

Es streicht um meinen Schoß herum,

das Schwänzchen hoch, den Buckel krumm,

Still –

und weißt du, was es will?

 

Still.

Was bloß die Glucke will?

Sie lockt und lockt die kleine Brut

zum warmen Stall und deckt sie gut,

Still –

und weißt du, was sie will?

 

Still.

Was bloß Rumpumpel will?

Die Augen macht er schon ganz klein