Dora Duncker

Meine Herren Collegen!

Moment-Aufnahmen

von einer jungen Schriftstellerin

 

 

 

Dora Duncker: Meine Herren Collegen! Moment-Aufnahmen von einer jungen Schriftstellerin

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Dora Duncker (Fotogravure, um 1900)

 

ISBN 978-3-8430-8678-3

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9411-5 (Broschiert)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Berlin (Gustav Pohlmann) 1894.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Dora Duncker: Meine Herren Collegen! Moment-Aufnahmen von einer jungen Schriftstellerin, Berlin: Verlag von Gustav Pohlmann, 1894.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Einleitung

Als ich fünfzehn Jahre alt war, schwärmte ich für Lenau, um so mehr, als ich wußte, daß er ein Jüngling mit schwarzen Locken und Glutaugen war; Erzeugnisse blonder Autoren las ich überhaupt nicht.

Als ich zwanzig Jahre alt war, trat ich in die Schriftstellerwelt als Collegin, als eine, die da sieht, ohne für unverstandene Lyrik zu schwärmen. Und was ich da sah, hätte selbst dem schwärmenden Backfisch die Begeisterung zerstört, denn ich fand nur die schärfsten Gegensätze! Ich hatte innige, süße Episoden aus dem Kinderleben gelesen, Szenen voll Herz und Gemüt – die Autoren waren unverheiratete Lebemänner, die das[3] Weib nur unter der Hefe gesucht und verstanden hatten! Ich las frivole, spöttelnde, boshaft kritische Essays – die Autoren waren edle, seltene Charaktere! Ich las sprühende Artikel, die sich gegen die Ehe richteten – der Autor war der glücklichste Gatte und Vater, dem nichts über Weib und Kind ging! –

Inzwischen habe ich eingesehen, daß der Schriftsteller ein Mensch ist, der nicht sein innerstes Empfinden, in schöne Worte gekleidet, auf den litterarischen Markt bringen kann, sondern daß er – bis auf Wenige, – für Geld arbeiten muß und produziert, was eben Geld einbringt, so gut wie der Bäcker dunkle Semmeln bäckt, während er vielleicht nur die hellen liebt.

Meine nachstehenden »Moment-Aufnahmen« sollen keinem anderen Zweck dienen, als dem, den fernstehenden Kreisen diesen oder jenen Lieblingsschriftsteller vor Augen zu führen als Mensch, wie er sich mir auf kurze Augenblicke zeigte.

Vielleicht ist dieser oder jener enttäuscht, vielleicht stimmt meine Beschreibung mit der, die sich der Leser machte, überein – in jedem Fall aber bitte ich zu bedenken, daß ich die einzelnen Persönlichkeiten nur schildere, wie sie mir in einer viertel- oder halben Stunde des Gespräches vorkamen.[4]

Meine Herren Collegen bitte ich, mir nicht Indiskretion vorzuwerfen; denn der Schriftsteller und der Journalist gehört der Öffentlichkeit an, diese hat ein Recht, ihn auch als Mensch kennen zu lernen.

Die Verfasserin.[5]

 

Als ich an's Werk ging, mir die Herren Collegen auszusuchen, die ich konterfeien wollte, stieß ich auf unerwartete Schwierigkeiten; ich wollte namentlich den Frauen die Schriftsteller als Menschen schildern, weil ich weiß, daß sie gar zu gern erfahren, wie der Autor dieses oder jenes Werkes aussieht und wie er sich im Leben giebt; manchmal geht die liebe Neugier wohl auch noch weiter und möchte wissen, was der Mann der Feder für einen Haarschnitt trägt, ob Brille oder Pincenez seine Nase verschönt, was er ißt, trinkt, raucht, was er treibt, wenn ihm die Muse Ruhe läßt, u.s.w. – Daß ich gar so indiskrete Wünsche nicht würde befriedigen können, war mir sofort klar, aber auch die Befriedigung der berechtigten Neugier war nicht leicht; wie vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen[7] sollte ich da Rechnung tragen; da gibt es Frauen, die nie etwas anderes lesen, als ein oder zwei Tagesblätter ihrer Stadt; andere lieben Romane französischer Richtung; wieder andere schwärmen für gemütvolle Skizzen und Novelletten, einige bevorzugen die verfeinerte Kost ästhetischer Essays, andere begnügen sich mit Kritiken; dann giebt es welche, die sich für Politik, sei es auch nur Sozialpolitik, interessieren. Was blieb mir übrig, als von alledem ein bischen zu bringen, hier einen Redakteur herauszufischen, dort mich an einen Romancier zu wagen, dann einen Feuilletonisten heranzuziehen, nach ihm einen Kritiker, schließlich einen Vertreter der sozialpolitischen Litteratur. In jeder Gruppe habe ich diejenigen bevorzugt, die bei den Frauen am beliebtesten sind.

Daß ich nur solche Literaten wählte, die in Berlin und dessen Umgebung wohnen, hat seinen Grund darin, daß die Reichshauptstadt die größte Auswahl bietet und für die einzelnen Richtungen tonangebend ist; die in der literarischen Diaspora lebenden Autoren aufzusuchen, wäre außerdem ein mühseliges und kostspieliges Unternehmen gewesen, man wird es mir deshalb nicht verargen, wenn ich in notgedrungener Selbstbeschränkung die Objekte für meine Moment-Aufnahmen nur in Berlin suchte. –[8]

Ich greife auf's Geratewohl in meine Sammlung und erwische den Leiter des »Bazar«, Gustav Dahms[9][10]