Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. Erzählungen
Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Ivan Aivazovsky, Vor der Krimküste, 1890
ISBN 978-3-8430-8692-9
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-9581-5 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-9582-2 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1921
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Zu den indischen Bergen, wo sie einst glücklich gewesen, hatte es sie zurückgezogen.
Oftmals war ihr im Traum die ferne indische Sommerstadt erschienen, die, einem riesigen Wespennest gleich, an der Bergwand zu hängen scheint und aus kühler Höhe herabschaut auf die endlose, in der Hitze dampfende Ebene tief unten.
Nun, nach Jahren, war die einsame Frau wieder dort oben.
Aus dem lärmenden, dünnwandigen Hotel mit den wackligen Holzveranden, wo sie, nach der langen Postfahrt bergan, abgestiegen war, trat sie bald wieder hinaus und schritt durch die winklig gewundenen Gäßchen des Bazars.
Es war da alles wie früher, und, wie so oft im Traume, erkannte sie es nun in der Wirklichkeit wieder. Da waren die glatten, geschmeidigen Händler aus Delhi, die schimmernde Goldstickereien und glitzerndes Geschmeide in elenden Buden feilbieten; die feierlichen Kaschmirioten, die ihre Warenballen aufrollen und alte Schals ausbreiten, deren Farben wie bunte Kirchenfenster glühen; die Holzschnitzer, die in offener Werkstatt immer wieder die gleichen durchbrochenen Wandschirme anfertigen. Kameele, in langer Reihe, zogen noch wie einst mit wiegendem Nicken der würdevollen Köpfe durch die Straße; neben ihnen afghanische Karawanentreiber mit grünem Turban und rotgefärbten Bärten. Unverändert waren auch die fetten bengalischen Babus mit ihren Imperatorenköpfen dekadenten Zeitalters, ihren togaartigen Gewändern, weißen Socken an nackten haarigen Beinen, schwarzen Zugstiefeln und baumwollenen Regenschirmen. Alles so unverändert, als müßten es noch dieselben Menschen, dieselben Tiere sein, die sie hier vor Jahren gesehen!
Aus dem Gewirr der Stimmen begann sie einzelne Klänge zu unterscheiden; sie hatte damals die Sprache der Eingebornen erlernt mit dem Eifer der Jugend und ihrem heiligen Glauben an den Wert des Wissens; jetzt erkannte sie die Laute, die sie so lang nicht mehr vernommen, und verstand alsbald wieder ihren Sinn.
Nun bog sie aufwärts zu dem bewaldeten Berge, wo die Bungalows der weißen Beherrscher des Landes verstreut im Grünen liegen. Hier begegneten ihr Regierungsboten in scharlachroten, goldbetreßten Gewändern; mit ernsten Mienen trugen sie für ihre fremden Gebieter Aktenmappen in die Ministerien oder auch kleinere Schriftstücke in die Wohnungen der vielen schönen Strohwitwen, die, selbst Kühlung suchend, aus der Sommerglut der Ebene aufsteigen zu den Bergen und hier manch neues Feuer entzünden. Rickschaws kamen der Einsamen entgegengesaust, gezogen von untersetzten, mongolisch aussehenden Gebirgskulis; blasse europäische Frauen lehnten darin, und eine Jede, wenn sie nur ein bißchen hübsch und jung war, wurde von einem Reiter begleitet, der in Sonnenhelm, Flanellanzug und hohen Stiefeln neben ihrem leichten Gefährte trabte; der Syce, mit der Pferdedecke auf dem Rücken, keuchte hinterdrein.
Auch das – ganz wie einst.
Und doch alles so verschieden.
Damals hätte sie die Namen all der weißen Frauen und ihrer Begleiter gewußt, – heute schritt sie grußlos an ihnen vorüber. Denn sie war selbst fremd geworden, niemand kannte sie mehr; für die rasch wechselnde Gesellschaft dieser Sommerstadt gehörte sie schon zu einer entschwundenen Epoche. Aber tieferer Unterschied noch trennte sie von jenen: alle, denen sie begegnete, hatten Zwecke noch und Ziele, standen noch im Zwang des Wollens; sie aber war wie losgelöst von allem Seienden, glich, lebend noch, doch schon den Schatten, die sehnsuchtsvoll Stätten einstmaligen Lebens umschweben.
Ein seltsames Gefühl der Unwirklichkeit überkam die Wanderin. Wie im Traume stieg sie weiter hinan. Die Bungalows lagen nun alle hinter ihr; sie befand sich im dichten Walde. Aber ganz oben, nahe des Berges Gipfel, an den zerklüfteten Felsen gelehnt, in dessen Höhlen Gaukler, Schlangenbeschwörer und Fakire, die die heiligen Affen füttern, wohnen, – dort oben, wußte sie, stand noch ein Haus. »Das letzte Haus«, wie man es nannte. Dort hatte sie einst gewohnt. Nicht einsam damals.
Zum letzten Heim war ihr das letzte Haus geworden. Nachher – da war das schaudernde erwachen aus dem Wahn gekommen, – aber hier, ja hier in diesem Walde, auf diesen selben Pfaden, da hatte sie ihres Lebens Traum geträumt. Unten im Bazar und zwischen den Wohnstätten der Weißen hatte sie nur all die altbekannten Gestalten wiedererkannt, die Statisten im längst gespielten Stücke ihres Lebens gewesen, – hier oben aber in des Waldes Stille, da fand sie sich selbst wieder.
Sich – und ihn. – Die ganze entschwundene Vergangenheit erstand plötzlich vor ihr und füllte das tiefe Schweigen mit tausend Stimmen. Brausend rauschte es ihr aus den Kronen der knorrigen Deodare entgegen, murmelnd plätscherten es die gleitenden Quellen, säuselnd erzählte es der Wind in den Zweigen der rotblühenden Rhododendren, flüsternd winkten und wehten Farren und Gräser es ihr zu: »Hier bist du glücklich gewesen.« – Und als sie einzelne alte Bäume erkannte, bemooste Felsplatten gewahrte, auf denen sie oft gesessen, und noch dieselben Blumen wie einst blühen zu sehen glaubte, da erschien ihr, was doch Jahre zurücklag und wovon sie durch schlimmere Abgründe als Jahre getrennt war, so gegenwärtig, daß sie wähnte, es wieder fassen und an sich pressen zu können. Nur noch ein paar eilende Schritte, das letzte, steilste Stück des Weges hinan und dann würde sie ihn wieder erblicken; am Eingang des Hauses würde er stehen – und es würde alles sein wie einst!
Und nun lag es vor ihr, das letzte Haus. Wie sie es oft im Traume geschaut. Die eine Seite dicht an den Felsen gedrängt, schien es sich fest an ihn zu klammern, um mit weit vorspringendem Dach und Altane hinauszulugen über die bewaldeten Abhänge und die endlose Ebene tief unten. Doch er stand nicht da.
Die Pforte des Gärtchens gähnte weit offen und mußte wohl schon lange so gestanden haben, denn rankendes Gestrüpp hatte Tür und Angeln mit dichten grünen Ketten umwoben. Die Pfade des Gartens waren überwachsen, Rasen und Beete zu einem Feld blühenden Unkrauts geworden. Von allen Seiten drang wuchernde Wildnis ein. Dazu zirpten unzählige Zikaden, schillernde Libellen schossen surrend durch die Luft, Eidechsen raschelten an bröckelndem Gemäuer, langzungige Chamäleone schielten nach schwirrenden Fliegen, Mücken summten in Schwärmen, wilde Tauben, gurrten wie im Traume. Am Boden aber hockte eine Schar großer grauer Affen; im Halbkreis umgaben sie einen der ihren; der war ein besonders menschenähnlicher alter Geselle und mochte wohl ihr Anführer sein; mit wichtigtuendem Geschnatter schienen sie Rat zu halten, während ihre übermütigen Jungen kichernd an den Zweigen schwangen. Und gerade diese Stimmen der völlig unbekümmerten Tiere erweckten ein Gefühl unendlicher Einsamkeit – sie sagten so deutlich, daß es da schon lange keine menschlichen Herren mehr gab, vor denen sie verstummen mußten.
Leise und behutsam schritt die Fremdgewordene durch den Garten, und ganz von selbst folgten ihre Füße den einstmaligen Windungen des verwischten Pfades. Zu der offenen Veranda führte er, die rings um das Haus lief. Und sie trat ein.
Wie oft waren sie beide da zusammen eingetreten! Wenn sie, müde vom frühen Morgenritt, nach dem grellen Sonnenlicht draußen hier schattige Kühle fanden; oder wenn sie, abends spät von Gesellschaften heimkehrend, noch einen Augenblick hier stehen blieben, ehe sie zur Ruhe gingen, und aneinander geschmiegt zurückblickten auf die tausend kleinen Feuer der Leuchtkäfer, die draußen im Gebüsch des nächtlichen Gartens blinkten.
Und die Diele der Veranda knarrte laut, als erinnere auch sie sich an all das!
Glastüren führten in die einzelnen Räume. Durch verstaubte, von Spinngeweben überzogene Scheiben schaute die einsame Frau in die Zimmer, die sie einst bewohnt, zaghaft, als läge da drinnen etwas, das nicht geweckt werden dürfe. Doch da war ja nur trostlose Leere, Verfall und Verlassenheit überall. Ihren sich erinnernden Augen aber verhüllten süße Bilder der Wirklichkeit Öde, und sie sah vieles, das längst entschwunden.
Weiterschreitend beschrieb sie unwillkürlich im Gehen Bogen, als wiche sie Pöbeln aus, die doch nicht mehr vorhanden; schob mit der Hand unsichtbare Vorhänge beiseite, verweilte vor einer leeren Wand, als erblicke sie noch an ihr das aufgehängte Fell des Tigers, den er einst geschossen. Überall haftete für sie noch etwas von den Dingen, die damals gewesen; blühender Zweige erinnerte sie sich, die sie aus dem Walde mitgebracht und in hohen Vasen zu Sträußen geordnet hatte, und der Bücher entsann sie sich, die sie, hier sitzend, gelesen. Verwehte Düfte, verhallte Worte umschwebten sie; Gedanken und Empfindungen, die verzaubert hier geschlummert, erwachten bei ihrem Nahen und fluteten ihr entgegen.
Bis zur äußeren, dem steilen Bergesabsturz und der Ebene zugewandten Seite des Hauses war sie nun gekommen. Hier gewahrte man, wie leicht und schwankend das ganze Gebäude war mit seiner weit ausladenden Veranda, – schwächer noch und vergänglicher als andere menschliche Behausungen, einem Neste gleich, das jeder Sturmwind verwehen konnte, so hing es am Felsen.
Über das Geländer beugte sich die einsame Frau. Ihre Blicke glitten den jähen Abhang des Bergrückens entlang, an dem die Rhododendren mit ihren feurigen Blütenbüscheln emporzuklimmen schienen, wie ein Heer von finstern Trägern blutroter Fähnchen. Und weiter hinab schweiften ihre Blicke, wo unter diesem Gipfel immer neue, niedriger werdende Bergmassen vorsprangen, kauernden Riesentieren gleich, deren letzte Ausläufer sich wie langgestreckte Tatzen in die dunstige Ebene schoben.
Sie kannte dies Bild so gut – hatte so oft von hier oben mit ihm hinabgeschaut und gesehen, wie aus den Bergfalten Nebelstreifen aufstiegen, sich zu seltsamen Gebilden formten und dann, von der Sonne aufgesogen, spurlos zerrannen. Und sie kannte auch den zitternden Zaubersang zahlloser Zikaden, bei dessen einschläferndem Zirpen sie beide hier manch heißen Nachmittag, in den niederen Strohsesseln liegend, hingedämmert hatten.
Wie sie so stand und in die endlose Weite starrte, und ihre Gedanken auf tausend Pfaden eilten, die alle zurück zu vergangenen Jahren führten, erzitterte plötzlich das Gebälk über ihr; ein Ächzen und Krachen lief durch die Träger und Stützen; es schwankte das Dach wie unter dem schnaubenden Ritt eines Zuges böser Kobolde, und dazu klang aus den Lüften Kichern und Keifen, Poltern und tückisches Lachen unheimlicher Stimmen! erschreckt fuhr die Fremde aus ihren wachen Träumen und aufschauend erblickte sie eine Schar Affen, die, von dem großen, graubärtigen geführt, vom Felsen aus über das Dach des Hauses mit lautem Geschnatter jagten. – Da entsann sie sich, wie sie einst durch dies selbe Geräusch wilder Sprünge in einer der ersten Nächte, die sie hier verbracht, aus dem Schlummer aufgeschreckt worden war. Ängstlich, an allerhand Spuk denkend, hatte sie damals in der Dunkelheit die Hand suchend nach ihm ausgestreckt – und er hatte sie an sich gezogen und halb verschlafen gemurmelt: »Nicht fürchten, das sind ja nur die heiligen Affen!« In seinen Armen war sie dann eingeschlafen und fürchtete sich nicht mehr. – So lebhaft war die Erinnerung, daß sie auch jetzt wieder die Hand unwillkürlich, wie suchend ausstreckte – und wußte doch, daß jene andere Hand sich nie mehr um die ihre schließen würde.
Wie grausam schmerzte es, gerade hier all dessen zu gedenken, das unwiederbringlich verloren! – Kindlich, abgöttisch, voll Bewunderung und grenzenlosem Vertrauen war ihre Liebe gewesen. Sie ahnte ja nicht, daß sie ihn, aus der Fülle ihres eigenen Herzens, mit vielen ihm fremden Eigenschaften ausgestattet hatte, bis daß sie einen durch ihre Einbildung geschaffenen und ganz anderen liebte, als er in Wahrheit war, – ahnte nicht, daß seine unbekümmert sorglose Art, die sie Kraft dünkte, des Leichtsinns Schwäche barg, – sah in ihm den, der sie vor jedem Unheil schützen würde, wähnte, daß ihr bei ihm niemand ein Leid zufügen könne.
Und er selbst war es, der ihr das Schlimmste angetan.
Wie war es nur möglich gewesen – er und jene andere Frau? Heute noch schien es ihr ebenso unfaßlich wie damals in der ersten Stunde, da sie dem Zeugnis der eigenen Augen nicht glauben wollte. Dann waren Zorn und Empörung in ihr aufgeloht, und nur den einen Wunsch noch hatte sie gekannt: Fort! fort! Nie mehr jene beiden sehen müssen, von denen sie gekränkt erniedrigt, betrogen worden ... So hatte sie alle Gemeinschaft mit ihm öffentlich zerrissen.
Jahre waren seitdem vergangen. Und dann war plötzlich ein rastloses Sehnen über sie gekommen, und mit unwiderstehlicher Gewalt hatte es sie aus der Ferne hierher zurückgezogen in das Haus, wo das Glück einst wohnte. Sie wußte nicht, was es war, das sie gezwungen hatte wiederzukehren, da doch alles verloren – aber, was sie bisher nur dunkel gefühlt, ohne es sich selbst doch eingestehen zu wollen, hier tönte es ihr fragend aus den verödeten Räumen und von den kahlen Wänden entgegen: warst du es nicht selbst, die das fliehende Glück auch noch vertrieben?
Ihrer Jugend war damals unmöglich erschienen, daß sich über die Verheerungen solchen Zusammenbruchs je eine Brücke schlagen ließe, auf der die für immer getrennt Scheinenden, doch wieder den Weg zueinander fänden; heute wußte sie, daß gar manches auf Erden, das stark genug ist, schwere Lasten zu tragen, aus Trümmern erbaut wurde, und daß die meisten Leben nur Flickwerk sind. Sie hatte es erfahren, daß jedes neue Jahr doch etwas von jenen unantastbar scheinenden Forderungen abhandelt, mit denen die Menschen des Lebens Fahrt antreten, bis endlich die Erkenntnis entsteht, daß in einer Welt der Unzulänglichkeiten das aus tiefstem Mitleid entspringende gegenseitige Vergeben der einzige Weg ist, der zum Frieden führt. – Sie hatte ja nichts dadurch gebessert, daß sie damals die Welt zum Zeugen gerufen und sich vor aller Augen öffentlich Recht verschafft. Unrecht, das barmherzig zu verdecken in ihrer Macht gestanden, hatte sie grausam enthüllt. Offenkundig geworden, mußte es verheerend weiterwirken. Unfaßlich schien es ihr heut in diesem Hause, daß sie hier einst, als drei Menschenlose in ihrer Hand lagen, einzig auf die Stimme eigenen Gekränktseins gelauscht hatte. Oh, daß sie noch einmal zurückgekonnt hätte zu jener Schicksalsstunde! Denn sie war in den Jahren eine andere geworden, der Jugend Unerbittlichkeit und Härte waren von ihr gewichen, und die Vereinsamung hatte sie gelehrt, daß selig ist, wer noch einen besitzt, dem er vergeben kann.
Sehnsüchtig breitete sie die Arme aus, als sei die Lust erfüllt von Unsichtbarem, das sie an sich ziehen wollte. So unendlich viel von ihnen beiden war ja hier in diesem letzten Hause haften geblieben, – ungreifbar und doch gegenwärtig fühlte sie es überall, – es blickte sie an, es flüsterte ihr zu, – ach, es mußte einen Weg geben, auf dem sich Vergangenes noch einmal zurückbringen läßt! – All ihr Sein spannte sich in dem Sehnen, ihm ein Zeichen noch zu senden, nicht für alle Ewigkeit getrennt zu bleiben mit Zornesworten als letztem Abschied.
Und da, als ihr ganzes Wesen mit heißem Verlangen nach der Vergangenheit Wiederkehr rief, ging plötzlich ein leiser Hauch durch die träge Luft, und aufsteigend aus Bergesschlucht tief unten, zog ein graues Gebilde an den Abhängen herauf. Dem Schatten gleitender Wolken glich es, doch klar und wolkenlos wölbte sich des Himmels opalene Ferne. Nebelstreifen mochten es sein, wie die einsame sie hier früher oftmals zwischen der Bäume Wipfel gesehen. Näher kamen sie ihr, von unsichtbarer Gewalt gehoben; schwebten langsam heran, als ob sie widerstrebend vernommenem Rufe gehorchten. Undeutlich noch und verschwommen, schwankend, sich biegend und schiebend, formte sich mählich der flatternde Dunst. Durchsichtige Umrisse verdichteten sich zu wehenden Gestalten, als fänden gedankenfeine Atome sich von neuem zu früherem Wesen zusammen. Aus dem wogenden, wolkigen Grau tauchten vor ihr zwei Antlitze auf, blaß, mit trostlosen Augen und abgehärmten Wangen.
Regungslos starrte sie die Erscheinung an, die ihr Sehnen aus Wesenlosem hervorgezaubert. Und sie erkannte jene beiden, die sie nie mehr gesehen – ihn und die andere Frau.
Durchsichtige Hände hoben sich zu ihr empor und leise tönte es von bleichen Lippen: »Wozu riefst du uns aus düstern Tiefen? Willst du dich weiden am Werke, das dein Wollen geschaffen?«
»Bin ich es denn nicht, die durch euch elend wurde?« frug sie zurück.
Doch es antworteten harmvoll die beiden Schatten: »Du tatest uns Schlimmeres an. Wir raubten ein paar kurze Stunden der Wonne, du stießest uns für immer ins Verderben.«
Von dem Gefährten sich lösend, glitt mit wehendem Haar und gramerfüllter Gebärde das geisterhafte Weib näher noch zu ihr heran und hauchte: »Warum, ach warum konntest du, Glückliche, nicht schweigend vergeben! Dann wäre es bald gewesen, als sei es alles nie gewesen!«
»Aber du hattest mit tausend Künsten und Ränken mir Ahnungslosen mein Liebstes geraubt!«