Martin Niklas

Zweimal Glück, bitte

Roman

Edel:eBooks

Fast jedesmal gegen Monatsende machte ich eine ernüchternde Entdeckung: Obwohl ich das sichere Gefühl hatte, mir gar nichts Besonderes geleistet zu haben, herrschte auf meinem Konto Ebbe. Christina hielt das für eine normale Erfahrung, die zum Leben gehörte wie zu hart gekochte Frühstückseier oder eingelaufene Hosen. »Du hast zu lange studiert«, sagte sie mitleidig, »Probleme mit dem Geld hat beinahe jeder Berufstätige.«

»Aber je berufstätiger ich bin, desto weniger haben wir auf dem Konto«, klagte ich. »Findest du das in Ordnung?«

Ich war jetzt seit fast einem Jahr als Journalist bei der »Allgemeinen Zeitung« tätig und verdiente nicht schlecht. Christina brauchte als Lehrerin auch nicht zu hungern, tat es aber meist freiwillig irgendeiner Diät zuliebe. Seit sie damit angefangen hatte, wußte ich, daß kein Essen so teuer war wie Diäten, bei denen man nichts aß. Natürlich sagte ich ihr nichts von diesen Gedanken. Wahre Liebe ist toleranter als jedes Bankkonto. Als schöngeistiger Mensch war ich im Grunde meines Herzens an finanziellen Dingen wenig interessiert – jedenfalls solange ich genug Geld hatte, damit wir uns auch mal ein paar außergewöhnliche Dinge gönnen konnten.

Es war an unserem ersten Hochzeitstag, als ich Christina in einem großen Umschlag mein Überraschungsgeschenk überreichte. Ungeduldig zappelnd wie ein kleines Mädchen riß sie den Umschlag auf und zog mit angehaltenem Atem eine Hülle mit Reiseunterlagen heraus.

»Du bist ja verrückt!« rief sie strahlend. »Zehn Tage Venedig!« Glücklich fiel sie mir um den Hals. Doch plötzlich schob sie mich von sich.

»Aber wir hatten doch gar kein Geld mehr!«

Ich konnte sie beruhigen.

»Wir nicht, aber die Bank«, sagte ich. »Sie haben es mir gerne gegeben.«

»Ach Stefan! Wir hätten doch auch irgendwann später fahren können!«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nach einem Jahr Ehe hat man sich Venedig verdient. Jetzt oder nie.« Ich mochte nicht mehr über das leidige Thema Geld diskutieren.

Ausgerechnet in diesem Augenblick rief Onkel Josef an und meldete uns seinen Besuch. Als ich später versuchte, gedankliche Ordnung in die Geschichte mit Onkel Josef zu bringen, da wußte ich: In diesem Augenblick wurde eine Rakete gezündet, die nicht mehr aufzuhalten war.

Onkel Josef fuhr am nächsten Abend pünktlich bei uns vor und parkte seine große Limousine bedenkenlos im Halteverbot. Angeblich, so behauptete meine Mutter, ließ er seine Strafzettel regelmäßig vom Buchhalter seines Sägewerkes sammeln und die Gebühren einmal im Monat an die Polizei überweisen. Er hatte eben Format.

Mit schmatzenden Altherrenküssen fiel er uns zur Begrüßung um den Hals. Christina küßte er vor Begeisterung gleich viermal. Seine untersetzte, fast bullige Gestalt wirkte wie eine Walze, die man nicht aufhalten konnte. Er trug eine dunkelgrüne Lodenjacke. Seit ich ihn vor zwei Jahren zum letztenmal gesehen hatte, war sein Gesicht mit dem stoppeligen Schnurrbart schmaler geworden. Ächzend ließ er sich auf die Couch fallen.

»Was zu trinken, Onkel Josef?« fragte ich. Normalerweise bevorzugte er Weizenbier, wovon er selten weniger als zwei Flaschen trank. Er behauptete, Schuld daran sei die staubige Luft im Sägewerk.

»Na, vielleicht ein kleines Weizenbier«, sagte er entspannt.

Neugierig schaute er sich im Wohnzimmer um. Besonders der Blick in den Garten unseres gemieteten kleinen Hauses schien ihm zu gefallen. »Schön habt ihr's hier. Sieht beinahe so aus wie mein erstes Haus in Stuttgart. Das war ein kleines Juwel, sage ich euch!«

Onkel Josef konnte ins Schwärmen geraten, wenn es um Häuser ging. Davon verstand er etwas. Von Frauen hätte er gern etwas verstanden, fiel aber mit seinen Frauengeschichten immer wieder auf die Nase, wie zwei Scheidungen hinreichend belegten. Dabei war er ein einfacher Gemütsmensch, der nur in geschäftlichen Dingen hart wie Eichenholz schien.

»Wir sind sehr glücklich hier«, gestand Christina, die Onkel Josef erst kürzlich kennengelernt hatte. Sie goß ihm sein Bier ein. Er trank einen langen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. Dann stieß er einmal dezent auf. Christina blinzelte amüsiert zu mir herüber. Sie wußte, daß er in der Familie als ungehobeltes Schlitzohr galt.

»Ich bin gekommen, weil ich etwas mit euch besprechen wollte«, sagte Onkel Josef nach dem zweiten Schluck. Aus seiner Lodenjacke zog er ein Päckchen, das in Seidenpapier eingewickelt war. Er legte es behutsam auf den Tisch.

»Hast du uns ein Kartenspiel mitgebracht?« fragte ich grinsend. Ich wußte, daß er gerne Karten spielte.

Er lachte.

»Wirst schon sehen, Bub! Setz dich zu mir und mach das Päckchen auf.«

Ich gehorchte und schob mir einen Stuhl an den Tisch. Auch Christina kam neugierig näher. Onkel Josef strahlte wie vor Weihnachten.

»Nun packt schon aus.«

Ich streifte das Seidenpapier vorsichtig ab. Etwas Zerbrechliches schien sich nicht in dem Päckchen zu befinden. Endlich hatte ich die letzte Schicht Papier in der Hand und riß sie weg.

Ich erstarrte.

Vor mir auf dem Tisch lagen zwei dicke Stapel Geldscheine.

»Was ist das, Onkel Josef?« fragte ich tonlos.

»Dreihundertdreißigtausend Mark«, sagte er einfach.

Mit größter Selbstverständlichkeit nahm er das Geld wie Spielkarten in die Hand und verteilte es auf dem Tisch, während er abwechselnd zu Christina und mir schaute, als hätten wir Zweifel daran gehegt, daß die Scheine echt sein könnten.

Was tut man in so einer Situation?

Bewundernd durch die Zähne pfeifen, wie man es aus dem Kino kennt? Oder einfach voraussetzen, daß es ein Geschenk sei, und sich nett bedanken?

Christina nahm mir die Entscheidung ab.

»Was ist mit dem Geld, Onkel Josef?« fragte sie, einen Tausender in die Hand nehmend. Er stand ihr übrigens gut.

Onkel Josef lehnte sich gemütlich zurück. Er wählte seine Worte sorgfältig, als wolle er beobachten, wie wir reagieren.

»Wißt ihr... als Geschäftsmann trägt man doch ordentlich Verantwortung...«, räsonierte er. »Für die Firma, für die ganzen Leute – na, ich kann euch sagen, das ist nicht immer ein Zuckerschlecken, heutzutage. Mir macht's ja Spaß. Und ich denke den ganzen Tag nur an die anderen... Aber nun muß ich auch mal an mich denken.«

»Ist das dein Erspartes?« fragte ich naiv.

Onkel Josef lachte.

»Sozusagen, ja. Beim Finanzamt vom Munde abgespart.«

Endlich begriff ich.

»Also Schwarzgeld...?« fragte ich leise.

»Du brauchst nicht zu flüstern«, sagte Onkel Josef, »es ist ja nichts Unanständiges dabei, außer daß man dafür keine Steuern zahlt.«

So gesehen hatte er natürlich recht. Dem deutschen Bruttosozialprodukt kam es ja viel mehr zugute, wenn Onkel Josef sein Geld selbst ausgab.

Vorsichtig fragte ich ihn, warum er denn ausgerechnet uns, seine Schwarzbärchen vorgeführt habe...

»Ei Bub«, meinte er kopfschüttelnd, »ist das so schwer zu verstehen? Natürlich weil ich sie in eurer Obhut lassen will. Ihr sollt ein wenig darauf aufpassen...«

»Wir?« fragten Christina und ich wie aus einem Mund.

Er nickte bestätigend. Und dann erzählte er uns von Frau Rübenack. Brigitte Rübenack war nicht nur seine Geliebte, sondern seit einem Vierteljahr auch seine Geschäftspartnerin. Onkel Josefs Frau war vor fünf Jahren gestorben, und da er ein vitaler Mann war, der nicht alleine sein konnte, hatte er Frau Rübenack, seiner Prokuristin, Versprechungen gemacht, die ihn jetzt reuten: Er hatte sie an seinem Sägewerk beteiligt. Daß er ihr auch die Ehe versprochen hatte, davon erwähnte er zwar nichts, das sah ich aber seinem unglücklichen Gesicht an.

»Ist sie denn nicht mehr nett zu dir?« fragte ich. Er tat mir leid.

»Sie ist eine Xantippe!« schnaubte Onkel Josef. »Seit dem Tag, an dem ich nachgegeben habe. Und deswegen habe ich beschlossen, mir ein kleines finanzielles Depot anzulegen, sozusagen für schlechte Zeiten. Aber wo sollte ich das tun? In die Schweiz mag ich nicht, die Schweizer sind geldgierig und warten nur darauf, daß man die geheime Kontonummer vergißt. Meinem Schwager Ferdinand kann man nichts anvertrauen, und deinem Vater gegenüber darf man das Wort Schwarzgeld nicht mal erwähnen – so ehrlich, wie er ist.

Also – bleibst nur du.«

»Danke für dein Vertrauen«, sagte ich fast automatisch.

Christina, die nur zugehört hatte, fragte ganz sachlich:

»Und wie dachtest du, sollen wir das Geld anlegen?«

»Ihr geht zu eurer Bank und kauft euch für dreihunderttausend Mark Wertpapiere – aber bitte Inhaberschuldverschreibungen! Die haben hübsche kleine Coupons, die man einmal im Jahr diskret schnippeln kann...«

»Wieso nur dreihunderttausend?« wollte ich wissen. »Was machen wir denn mit den anderen dreißigtausend?«

Strahlend und mit feuchten Augen sagte Onkel Josef: »Die sollen für euch sein. Als Dank.«

Und dann erhob er sich und küßte uns beide innig und herzlich, als hätten wir eine große Last von ihm genommen.

»Aber das können wir doch gar nicht annehmen, Onkel Josef!« log ich. (Was konnte man mit dreißigtausend Mark alles machen...)

»Doch, Kinder, das dürft ihr«, sagte er bestimmt. »Geht nur ein bissel nett um mit meinem Geld. Versprecht ihr mir das?«

Es war, als hätte er uns ein liebes Haustier anvertraut, an dem er ganz besonders hing. Wie konnte ich ihn da enttäuschen? In meinem Herzen beschloß ich, seine Schätze wie ein Wolf zu bewachen, so lange, bis er selbst wieder davon Besitz ergreifen wollte, irgendwann. Ich, Stefan Roggenkämp, würde auf das Geld besser aufpassen als jedes Finanzamt...

Schon drei Wochen später wurde ich an meinen Schwur erinnert. Ich wußte zwar aus Erfahrung, daß Schwüre die unangenehme Eigenschaft haben, sich selbständig in Erinnerung zu bringen, aber diesmal geschah es hinterhältig und an einem Dienstag nachts um eins. Ein Telefonanruf schreckte mich aus dem Bett.

Der Überbringer der schlechten Nachricht war mein Vater.

Seine Stimme klang leise und traurig.

»Stefan? Gerade hat man uns aus Stuttgart angerufen... Onkel Josef ist tot...« Vater schluckte und fuhr fort: »Herzschlag... heute abend in seiner Firma...«

Ich verstand nur Bruchstücke.

»Aber neulich war er doch noch bei uns – er war so lustig wie immer... Wer hat dich denn angerufen?«

»Eine Frau Rübenack, seine Prokuristin. Ich kenne die Frau ja auch nicht...«

›Aber ich‹, wollte ich beinahe sagen, ließ es aber. Dies war nicht der Zeitpunkt, meinen Vater zu irritieren. Der Tod seines Bruders war hart genug für ihn. Wir sprachen fast eine halbe Stunde miteinander; ich versuchte, so gut es ging, ihn zu trösten.

Nachdem er aufgelegt hatte, weckte ich Christina. Uns war beiden zum Heulen zumute, weil Onkel Josef der einzige in der weiten Verwandtschaft war, den man als weltoffen und herzlich bezeichnen konnte. Er würde uns fehlen.

Wir saßen fast bis zum Morgengrauen in unseren Pyjamas im Wohnzimmer. Erst versuchte ich, der Frage aller Fragen aus dem Weg zu gehen. Ich fand es pietätlos, mich damit zu befassen. Wir beschlossen nur, unsere Venedig-Reise abzusagen. Eigentlich hatten wir in drei Tagen fahren wollen, aber wie konnten wir jetzt noch an Urlaub denken?

Es war Christina, die irgendwann auf den Punkt kam:

»Und was passiert mit dem Geld? Mit den dreihunderttausend Mark?«

»Natürlich geben wir die auf der Stelle zurück.«

»Wem?« bohrte Christina weiter.

»Seinen Erben, wem sonst?« sagte ich.

»Etwa dieser Frau Rübenack? Vielleicht hat er die zu seiner Erbin gemacht!«

Ich verzog bei diesem Gedanken das Gesicht.

»Du hast eine Fantasie!« sagte ich.

In einer solchen Nacht ahnt man nicht, welche Scherze sich das Leben mitunter erlaubt. Ich jedenfalls ahnte es nicht.

Christina dagegen stammte aus einer Familie mit sehr weitläufiger Verwandtschaft und war seit Kindheit an mit Erbproblemen vertraut. Sie besaß allein vierzehn Onkel und neun Tanten, dazu kamen bergeweise Cousins, Cousinen und deren Anhang. Gott sei Dank waren zum Zeitpunkt meines Auftauchens in ihrer Familie alle Mitglieder des Stammes bereits so miteinander zerstritten, daß ich die Bekanntschaft der größten Streithähne gar nicht erst machen mußte. »In unserer Familie«, pflegte Christinas Mutter sorgenvoll zu sagen, »erbt man dauernd, ohne später einen Pfennig zu bekommen. Es ist schrecklich.«

»Aber Vater hat doch damals das Testament von Onkel Eberhard auch angefochten«, wandte Christina einmal ein.

Ihre Mutter schaute indigniert und sagte:

»Aber Kind! Wir wußten doch, daß die Erben nicht mit Geld umgehen können!«

Onkel Josefs Beerdigung wurde im wahrsten Sinne ein Trauerspiel. Bei strömendem Regen versammelten sich auf dem Friedhof der kleinen schwäbischen Gemeinde die Trauernden und lauschten am offenen Grab den Hornklängen eines Jägertrios. Es waren die Bläser des Jagdvereins, dessen Mitglied Onkel Josef über viele Jahre gewesen war. Es klang wie ein Halali.

Ein Herr im dunklen, vornehmen Mantel beugte sich zu seinem Nachbarn hinüber und flüsterte halblaut:

»Erst bringt sie ihn zur Strecke, und jetzt läßt sie ihn verblasen; na Waidmannsheil!«

Alle blickten auf die große, hagere Gestalt, die an der Kopfseite des Grabes die Zeremonie überwachte. Sie trug ein schwarzes Cape, eine strenge graue Bluse und einen Hut mit angedeutetem schwarzen Schleier – Frau Brigitte Rübenack, Prokuristin und Quasi-Witwe. Tränen liefen über ihre bleiche Wange – es konnten auch Regentropfen sein.

Nachdem sich die Trauergemeinde unter Hände- und Kopfschütteln wieder aufgelöst hatte, bat mein Vater, der Onkel Josefs einziger Bruder war, Frau Rübenack zu einem Gespräch unter vier Augen. Was dort gesprochen wurde, habe ich nie erfahren, doch als mein Vater nach fast einer Stunde am Friedhofseingang wieder zu mir in den Wagen stieg, war er sehr erregt.

»Diese Frau ist kalt wie ein Fisch und geldgierig wie... Es ist nicht zu sagen!«

»Wird sie seine Firma erben?« fragte ich.

Vater nickte.

»Sie wird. Verlaß dich drauf.«

Die Testamentseröffnung eine Woche später gab ihm recht. Onkel Josef hatte es trotz seiner Zweifel, von denen wir ja wußten, nicht mehr geschafft, sein Testament zu ändern. Seinen restlichen Besitz hatte er zwischen meinem Vater, zwei Vettern und seiner alten Haushälterin aufgeteilt.

Während wir das Notariat, in dem das Testament verlesen worden war, verließen, schien mir mein Vater, obwohl er gerade der neue Besitzer des Schwarzwälder Ferienhauses von Onkel Josef geworden war, merkwürdig deprimiert.

Auf der Autobahn rückte er endlich mit seinem Problem heraus.

»Was mich ein bißchen traurig macht, mein Junge«, sagte er, »ist, daß Onkel Josef dich, seinen Lieblingsneffen, nicht mit einem einzigen Wort erwähnt hat. Ist das nicht merkwürdig?«

Ich druckste herum.

»Er wird sich schon was dabei gedacht haben... Ich habe ihn in guter Erinnerung – das kannst du mir glauben...«

»Na, da bin ich aber erleichtert!« sagte Vater. »Obwohl ich mich trotzdem wundere... Oder ist da irgendwas, wovon ich nichts weiß? Er war doch öfter bei euch – vielleicht ein Streit? Hast du ihn verärgert?«

Kritisch schaute er mich an. Mir wurde unbehaglich zumute. Ich habe keine Ahnung, wie sich Eltern solche durchdringenden Blicke antrainieren können, bei denen man selbst dann nervös wird, wenn man gar nichts ausgefressen hat. Mühsam hielt ich der väterlichen Attacke genau bis zur nächsten Autobahnausfahrt stand – dann gab ich auf. Ihn konnte ich nicht anlügen.

Stockend erzählte ich von Onkel Josefs Besuch und dem vielen Geld, das jetzt in einem Banktresor schlummerte.

Vater trommelte mit den Fingern auf seinem Lenkrad herum, während er murmelte: »Er war ein Fuchs – ein alter, schlauer Fuchs...«

»Bist du mit mir der Meinung«, fragte ich, »daß wir das Geld unter keinen Umständen bei Frau Rübenack abliefern?«

»Nur über meine Leiche!« rief Vater aus. »Dieses raffinierte Luder möchte ich nie wieder sehen!«

»Dann steht das Geld dir zu, Vater. Klare Sache, oder?«

»Mir? Du bist wohl verrückt geworden? Ich mache ja manchen Scherz mit, aber mit 300000 Mark Schwarzgeld möchte ich nichts zu tun haben, nicht das geringste.«

»Also soll ich es dem Finanzamt schicken? Ich kann das ja anonym machen. Ich stecke es einfach in einen Umschlag und...«

Vater machte eine Vollbremsung, hielt am Straßenrand und sah mich strafend an.

»Ich war immer der Meinung, wir hätten dich richtig erzogen. Und zwar so, daß du gelernt hast, auch in schwierigen Situationen pragmatische Entscheidungen zu treffen. Ist die Absicht, dem Finanzamt ohne Grund dreihunderttausend Mark zu schenken, in deinen Augen etwas Sinnvolles?«

»Wie man’s nimmt...«, sagte ich. »Für das Finanzamt schon.«

»Unsinn. Die Verwaltung dort wäre angesichts solch unverhofften Segens völlig überfordert«, entgegnete Vater mit felsenfester Überzeugung. Oder tat er nur so? Das wußte man bei ihm nie. Ich drängte auf eine Entscheidung.

»Also, was machen wir?«

»Ich mache gar nichts, höchstens du. Du hast das schmutzige Geld angenommen, also behältst du es auch.«

»Vater...«

»Schluß, aus. Du behältst es. Ich möchte damit nichts zu tun haben. Und wage nicht, deiner Mutter ein Wörtchen davon zu sagen – sie könnte nachts kein Auge mehr zutun.«

»Du meinst, ich solle es einfach auf der Bank lassen... Unter meinem Namen?«

Knurrend antwortete Vater: »Genauso meine ich es. – Ist hinter uns die Straße frei?«

»Ja, Vater«, sagte ich brav. Zügig fädelte er sich wieder in den Verkehr ein. Es war heiß im Auto, jedenfalls schwitzte ich sehr. Wenn Vater das Geld wirklich nicht wollte, war ich jetzt ein reicher Mann. Das Ganze machte mir plötzlich angst.

»Bitte, überleg es dir...!« versuchte ich es noch einmal.

»Nie im Leben!« sagte er und gab Gas, bis das alte Auto vibrierte.

Da erst sah ich das kleine, versteckte Lachen in seinen gütigen Augen.

Natürlich weiß jeder vernünftige Mensch, daß Geld nicht alles ist. Dieser Meinung ist man vor allem, solange man selber keins hat. In jener Sekunde aber, in der ein Stapel Geldscheine oder eine ordentliche Zahl Münzrollen vor einem liegen, gerät man ins Zweifeln: Was soll, bitte schön, so schlecht daran sein, daß man nicht ein wenig Nutzen daraus ziehen möchte?

Man selbst könnte ja damit viel Gutes tun; das Schlechte tun nur die anderen. Solange der Mensch in grauer Vorzeit lediglich zum Naturalienhandel befähigt war, gab es solche Verlockungen natürlich nicht. Man tauschte einen Sack Hafer gegen einen Sack Weizen. Das war soweit in Ordnung. Unangenehm wurde die Sache erst, als man die Entdeckung machte, daß es eigentlich ganz raffiniert wäre, den Weizen mit ein bißchen Sand zu mischen, um ein noch besseres Geschäft machen zu können.

Von da an ging es bergab.

Für ein gesundes Pferd bekam man künftig nur noch ein humpelndes, für sieben Ferkel ein altersschwaches Schwein, schließlich für zwanzig Rinder ein mickriges Huhn oder – in besonders heruntergekommenen Kulturen – das häßlichste Mädchen des Dorfes.

Wer mochte da noch mit Freude tauschen?

Genau an diesem Punkt der Geschichte findet sich die Geburtsstunde des Geldes. Goldstücke, Münzen, endlich auch Scheine – das war doch etwas ganz anderes!

Da der Mensch aber nicht zum Behalten, sondern zum Geben geboren wurde, suchte er bald jemanden, der nahm. Man nannte ihn Bankier. Und er nahm von Herzen.

Ein paar tausend Jahre später saß ich vor meinem Bankier, vor mir ausgebreitet die Summe von dreihunderttausend Mark, mit der endlich etwas Sinnvolles geschehen sollte. Ich war ausgesprochen nervös. Als routinierter Finanzakrobat sagte der Filialleiter mit sonorer Stimme: »Die Möglichkeiten der Anlage eines solchen Sümmchens sind vielfältig – aber wir werden etwas finden.«

Das tröstete mich.

»Denken Sie dabei an ein Sparbuch?« fragte ich naiv.

Er lächelte mitleidig.

»Das dürfte wohl nicht ganz das Richtige sein, Herr Roggenkämp. Die Zinsen auf einem Sparbuch mit gesetzlicher Kündigungsfrist liegen im Augenblick bei 2,3 Prozent – Tendenz abwärts. Deshalb rate ich eher zu Festverzinslichen. 7,4 für drei Jahre.«

»Na, wunderbar«, sagte ich erleichtert, »dann machen wir das doch.« Beschwichtigend hob er die Hände, so daß unter den Ärmeln seines dunklen, gestreiften Anzugs die goldenen Manschettenknöpfe noch weiter zum Vorschein kamen.

»Einen Augenblick. Für ein solches Sümmchen wäre der 7,4-Prozenter fast eine Beleidigung – wenn ich einmal so sagen darf. In Ihrem speziellen Falle wären die 8,5 Prozent für Festgeld wohl sehr viel angebrachter.«

Ich war sprachlos.

»8,5 Prozent? Ja, wenn das so ohne weiteres geht...«

»Nun... leider liegt hier ein kleines Problem... Unser Festgeld-Sonderprogramm beginnt erst bei 350000 Mark zu greifen. Dann allerdings haben Sie so ein Wachstum...«

Er deutete mit den Fingern ein stummes »erste Klasse« an.

»Und darunter ist nichts möglich?«

»Aber natürlich, doch: Übliches Festgeld kann ich für Sie ab einhunderttausend Mark anlegen – allerdings momentan nur zu 7,7 Prozent.«

Nun war ich vollends irritiert.

»Das heißt also... im Prinzip habe ich zu wenig Geld?« fragte ich. »Ist es das, was Sie mir sagen wollen?«

Penibel ordnete er zwei Schreibblöckchen auf seinem Tisch, bis die Ecken in gleicher Höhe nebeneinander lagen. In seinen grauen Augen lag Bedauern.

»Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß eine maximale Rendite sich erst ab 350000 Mark ergibt – Sie sollten sich also gut überlegen, ob Sie die fehlenden 50000 Mark nicht doch noch investieren wollen...«

Ich gab es auf. Es schien mir plötzlich, als sei ich hoffnungslos überfordert. Ich war ein junger Journalist mit durchschnittlichem Einkommen und ohne Erfahrung in Bankgeschäften. Wie sollte ich da mit einem Mann verhandeln, für den 300000 Mark nur ein »Sümmchen« waren? Ich ließ das Geld wieder in mein Tresorfach bringen und kündigte an, über seinen Vorschlag der Kapitalerhöhung nachzudenken.

Ich hatte den ganzen Tag in der Redaktion freigenommen. Als Christina, die ganz in der Nähe in einem Gymnasium unterrichtete, um ein Uhr nach Hause kam, fand sie mich erschöpft auf der Couch liegend vor. Zum erstenmal hatte ich ausgiebig und bewußt die Wirtschaftsseite unserer Tageszeitung studiert. Besonders die Zinssätze.

»Du bist so blaß«, stellte sie fest und gab mir einen Kuß. »Ist irgend was?«

»Die Bank kommt mit unserem Geld nicht aus«, sagte ich klagend, »es reicht einfach nicht.«

»Wie meinst du das?«

Ich erklärte ihr, was der Filialleiter mir vorgeschlagen hatte. Gott sei Dank zeigte Christina in solchen Situationen meist mehr Vernunft als ich.

»Warum fragst du nicht einfach Max um Rat?« schlug sie vor. Das war in der Tat eine wundervolle Idee.

Mit Max von Schlipp zusammen hatte ich Literaturwissenschaft studiert. Während ich im vergangenen Jahr gleich nach dem Examen als Journalist in der Lokalredaktion der »Allgemeinen Zeitung« angefangen hatte, war Mäxchen kurz vor Erlangung des Doktortitels in eine schwere depressive Phase geraten. Er gehörte nicht zum verarmten Adel, sondern zum völlig verarmten Adel – meist besaß er nicht einmal genug Geld, um seine kleine Miete zu bezahlen.

In dieser Situation hatte er damals das Handtuch geworfen – gegen den Rat aller Freunde – und war in die Firma eines Cousins eingetreten, der sich als Börsenmakler betätigte. »von Schlipp & Meppenröder« nannten sich die Herren. »Von Schlipp« war in diesem Fall natürlich nicht Max, sondern sein wohlhabender Vetter.

Max war eine Art gehobener Lehrling in dessen Büro, wenn auch mit Aussicht auf spätere Teilhaberschaft, sofern er sich in dem schwierigen Geschäft bewähren sollte.

Ich hatte Max seit Monaten nicht mehr gesehen. Als ich anrief, war er außer sich vor Freude. Wir verabredeten uns in einem Stehcafé gegenüber der Börse.

Als er hereinkam, traute ich meinen Augen nicht.

Zwar hatte sich Mäxchen schon als Student als einziger von uns getraut, hin und wieder eine Fliege zu tragen und konservative Jacketts, die er von seinem Vater geerbt hatte, aber ansonsten hatte er, groß und verhungert, ein bißchen wie der arme Poet gewirkt mit seiner randlosen Gelehrtenbrille.

Jetzt aber trat mir ein smarter, junger Manager entgegen, in der Hand eine dünne, lederne Aktentasche. Der dunkle, zart gestreifte Anzug schien mir der gleiche zu sein wie der meines Bankiers. Entweder war dieses Modell die Uniform aller Finanzleute, oder diese kauften alle mit demselben Rabatt beim selben Herrenausstatter. Da sie allesamt Geizhälse waren, erschien mir letzteres am wahrscheinlichsten.

Als Max vor mir stand, sah ich auch, daß er seine alte Brille gegen ein teures Goldrandmodell eingetauscht hatte. Er sah furchtbar seriös aus!

Zum Glück war sein herzliches Grinsen das alte geblieben. Mit freudig strahlenden Augen ließ er seine feine Tasche fallen und umfaßte meine Hand.

»Stefan! – Sag nichts, ich weiß, du und Christina müßt mir böse sein, weil ich euch nicht mal mehr angerufen habe...«

Ich grinste zurück.

»Unsinn. Ich weiß doch, wie beschäftigt du in der Firma bist. Offensichtlich seid ihr richtig erfolgreich.«

»Wieso?« fragte er, leicht stutzend. »Woher weißt du das?«

Ich deutete auf seinen Anzug.

»Das sieht man doch deinem guten Zwirn an – alle Achtung. Sowas kann ich mir als Journalist nicht leisten.«

Max winkte sofort ab.

»Weißt du... das ist nun mal so üblich in der Branche. Davon habe ich noch drei. Eduard, mein Cousin, hat außerdem eine gute Anzugquelle. Ein Mandant.«

»Bist du zufrieden? Ich meine, bereust du nicht, alles hingeschmissen zu haben damals?«

»Ach Gottchen...«, sagte Max sinnierend, »natürlich wäre ein Doktortitel auch nicht schlecht, aber Geld ist besser. Du glaubst ja gar nicht, was man mit Geld alles machen kann...!«

»Seit ein paar Tagen ahne ich es immerhin,« antwortete ich.

Ich erzählte ihm von Onkel Josefs Geld, von meinem Problem mit dem Bankier, der mehr von mir wollte, als ich besaß, und von meinem ganz einfachen Wunsch, die Summe solide und mit ordentlicher Verzinsung anzulegen.

»Solide ist gut, ordentliche Verzinsung ist zuwenig«, sagte Max, ohne zu zögern. Er schien sofort in seinem Element zu sein. »Eine lediglich ordentliche Verzinsung bedeutet nämlich Mittelmaß. Und wer will für seine Geldanlage schon Mittelmaß? Unser Unternehmen empfiehlt deshalb zur wirklichen Gewinnmaximierung mit deutlich höherer Rendite...«

»Max!« unterbrach ich ihn. »Wir sind hier nicht in deinem Büro!«

»Entschuldigung – aber in einem solch interessanten Fall bricht nun mal der Börsianer in mir durch...«

Ich mußte lachen. Irgendwie hatte ich plötzlich den Eindruck, als sei ihm die Rolle des Börsenmaklers doch noch ein wenig zu groß. Aber so war er schon immer gewesen: Selbst Jobs in den Semesterferien versuchte er überprofessionell auszufüllen. Eigentlich war das ja sympathisch, wenn auch manchmal etwas albern. Doch ich spürte, daß er der große, nette Junge von damals geblieben war – unter dem dunklen Anzug.

»Ich will doch nur ein paar Tips von dir – nichts weiter«, sagte ich amüsiert, »keine von deinen Leimruten für eure Kunden.«

Endlich wurde Max lockerer.

»Klar«, sagte er. »Weißt du, ich bin jetzt so richtig im Geschäft drin... und gerade komme ich aus der Börse. Achtzigtausend Mark haben wir heute an der richtigen Plazierung eines Aktienpaketes verdient. Entschuldige – da bin ich eben noch in Fahrt.«

Ungläubig sah ich ihn an.

»Achtzigtausend Mark? Mit Aktien?«

»Mit Standardwerten, ja. Es ist eine fabelhafte Zeit für Aktien, glaub mir.«

Ich wurde hellhörig.

»Würdest du denn sagen, sowas sollte ich mit meinem Geld auch machen? Aktien kaufen?«

»Na – aber nur! Schneller kannst du doch nicht reich werden!«