Caroline Cross, Janice Maynard, Robyn Grady, Michelle Celmer

BACCARA EXTRA BAND 20

IMPRESSUM

BACCARA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

Neuauflage in der Reihe BACCARA EXTRA
Band 20 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2007 by Jen M. Heaton
Originaltitel: „Tame Me“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Eleni Nikolina
Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1473

© 2014 by Harlequin Books S. A.
Originaltitel: „Beneath the Stetson“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Ute Augstein
Deutsche Erstausgabe 2014 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1850

© 2011 by Harlequin Books S. A.
Originaltitel: „Millionaire Playboy, Maverick Heiress“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Sabine Bauer
Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1732

© 2012 by Michelle Celmer
Originaltitel: „The Nanny Bombshell“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Sarah Heidelberger
Deutsche Erstausgabe 2013 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1774

Abbildungen: Harlequin Books S. A., neirfy / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733725914

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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Wenn die Lust entflammt

1. KAPITEL

Früher, als sie noch ein tolles Leben führte, hätte Mallory Morgan ihn wohl als groß, gefährlich und unbeschreiblich sexy bezeichnet: Gabriel Steele.

Aber das war, bevor er ihr alles genommen hatte. Als sie jetzt die Tür ihrer Wohnung öffnete und ihn vor sich stehen sah, kamen ihr eher Worte wie hart und herzlos in den Sinn. Diesem Mann konnte man nicht über den Weg trauen.

„Mallory.“ Seine Stimme war leise, aber gebieterisch, wie immer. Sie passte perfekt zu seinem schlanken und doch kraftvollen Körper und den kühlen grünen Augen.

„Was willst du, Gabriel?“

„Wir müssen uns unterhalten.“

„Ach ja?“ Zu ihrer Erleichterung klang sie ruhig und beherrscht. Leider war sie das ganz und gar nicht gewesen, als sie sich vorhin zufällig bei „Annabelle’s“, einem der schicksten Restaurants in Denver, begegnet waren. Mallory hatte sich ziemlich danebenbenommen und einen ziemlich hohen Preis dafür gezahlt. „Lass mich mal überlegen.“ Sie legte den Kopf schief und tat ganze zwei Sekunden so, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. Dann sah sie ihn kühl an. „Nein.“

Ernergisch versetzte sie der Tür einen Stoß. Sollte Gabriel dabei zufällig am Kinn getroffen werden, ließ sich das leider nicht ändern.

Er zuckte nicht einmal mit der Wimper und hielt die Tür mühelos mit einem Fuß auf. „Hör zu, ich verstehe, dass du wütend bist …“

Mallory zog den scharlachroten Satinmorgenmantel fester um sich, den sie sich schnell über BH und Jeans geworfen hatte, als es unerwartet bei ihr geklopft hatte. „Wie bist du bloß darauf gekommen? Weil ich deine Reservierung gestrichen habe und mich weigerte, dir einen Tisch zu geben, obwohl der Speisesaal halb leer war? Oder weil ich lieber gekündigt habe, statt mich bei dir zu entschuldigen?“

„Hör auf, mich zu beleidigen. Ich habe deine Bemerkung über Schweine am Trog mitbekommen.“

„Dann sind wir hier ja fertig. Ich habe dir jedenfalls nichts mehr zu sagen.“

Er lächelte grimmig. „Du willst also nicht reden? Schön. Dann wirst du eben zuhören.“ Mit diesen Worten legte er die Handfläche auf die billige Holztür und versuchte, sie aufzudrücken.

Mallory lehnte sich mit aller Kraft dagegen, aber als der Spalt immer größer wurde, so als würde sie sich Gabriel gar nicht in den Weg stellen, wurde ihr bewusst, dass es lächerlich war, sich auf einen Kampf einzulassen, den sie verlieren musste. Also änderte sie schnell ihre Taktik.

„Nun, wenn du darauf bestehst …“ Sie trat zurück und zuckte die Achseln. „Komm doch herein“, fügte sie spöttisch hinzu.

Zu seiner Ehre musste gesagt werden, dass er sich seinen Triumph nicht anmerken ließ. Aber das war kein Trost, denn kaum hatte er die Schwelle überschritten und die Tür hinter sich geschlossen, wurde Mallory klar, dass sie sich wieder verrechnet hatte. Wie sehr ihre Würde auch darunter gelitten hätte, sie hätte lieber kratzen, beißen und um sich treten sollen, als ihn in ihre Wohnung zu lassen.

Gabriel schien ihre sowieso schon winzige Wohnung zusammenschrumpfen zu lassen. Er schien das ganze Apartment auszufüllen, sodass Mallory sich plötzlich sehr klein und schutzlos vorkam. Beinahe atemlos wurde sie sich bewusst, wie groß und stark er war. Sie erschauerte, als er sie ansah.

Es war kaum zu glauben, dass sie früher nichts dabei gefunden hatte, schamlos mit diesem Mann zu flirten. Nicht dass es irgendetwas bedeutet hätte, und das nicht nur, weil sie den Ruf eines frivolen Partymädchens hatte aufrechterhalten müssen. Nein, vielmehr hatte sie schon sehr früh erkannt, dass Gabriel viel zu gefährlich war, als dass sie mehr als ein bisschen unbeschwerten Spaß mit ihm wagen könnte.

Und doch war sie jedes Mal, wenn sie ihm auf der einen oder anderen Party in Denver begegnete, entzückt gewesen von dem leichten Knistern, das unweigerlich zwischen ihnen entstand. Es lag immer eine gewisse Spannung in der Luft, wenn sie sich begegneten.

Irgendwann tanzten sie dann unweigerlich miteinander, und Mallory hatte es immer Spaß gemacht, sich dicht an ihn zu schmiegen, ihm freche Angebote ins Ohr zu flüstern und mit anzusehen, wie ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel erschien, wenn sie mit der Fingerspitze über sein Kinn strich. Noch schöner war nur die besitzergreifende Art gewesen, mit der er ihre Taille fester umfasste, wenn sie ihren Schenkel an seinem rieb, und natürlich das amüsierte Funkeln seiner grünen Augen, mit denen er sie warnend ansah. Das Kribbeln, das dieser Blick in ihr auslöste, konnte sie bis in die Zehenspitzen spüren.

Aber all das gehört einem anderen Leben an, erinnerte sie sich streng. Das alles war, bevor Gabriel und seine verdammte Firma Steele Security ihren Vater jagten und Mallory ihr Zuhause, ihre Freunde, ihre letzten Illusionen und den Großteil ihrer Selbstachtung verloren hatte.

Ganz zu schweigen von einem so großen Vermögen, dass die Sorgen, die sie hatte, bis sie es verlor, sich darum drehten, ob sie das Wochenende für einen Einkaufsbummel in Paris oder lieber zum Skifahren in Gstaad nutzen sollte.

Es kam ihr vor, als wären seitdem hundert Jahre vergangen. Der Unterschied zur Gegenwart hätte nicht größer sein können, denn zurzeit war sie schon ganz krank vor Sorge, ob sie einen neuen Job finden würde, weil sie sonst ihre Miete nicht bezahlen konnte.

Aber das ging niemanden außer ihr etwas an. Gabriel konnte zwar einfach hier auftauchen und dabei mit seinem pechschwarzen kurzen Haar, dem perfekt sitzenden Anzug und dem bis zur Wade reichenden schwarzen Ledermantel aussehen wie ein gefallener Armani-Engel, aber er konnte sie nicht wirklich treffen. Auch wenn er ihren Frieden störte und Erinnerungen in ihr wachrief, die sie seit Monaten zu überwinden versuchte. Sie hatte viele Jahre Zeit gehabt, um zu lernen, wie sie Menschen allgemein auf Abstand hielt, und wusste nur zu gut, wie sie insbesondere Männer aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

Dieser Gedanke beruhigte sie ein wenig. Mallory stieß langsam die Luft aus und hob lässig die Arme, um ihr langes widerspenstiges Haar in einer absichtlich sinnlichen Geste nach hinten zu streichen.

„Und?“ Sie verschränkte die Arme unter den Brüsten und gab sich alle Mühe, gelangweilt auszusehen. „Willst du weiter einfach nur herumstehen? Ich dachte, es gibt da etwas, was du unbedingt loswerden musst.“

„Ja. Das stimmt auch.“ Sein Gesicht blieb ausdruckslos, aber sein Blick wanderte von ihren Augen zu ihrem Hals und dem Ausschnitt ihres Morgenmantels, bevor er ihr wieder in die Augen sah. „Ich habe mich geirrt.“

„Du hast dich geirrt?“ Sie lächelte unaufrichtig. „Das kann nicht sein.“

Er erwiderte ihr Lächeln nicht. „Ich würde lieber hören, was du zu sagen hast. Warum erzählst du mir nicht, was hier los ist, Mallory?“

„Wie bitte?“

„Ich sehe ja ein, dass die vergangenen Monate hart gewesen sein müssen, aber …“

„Hart?“ Ihre Stimme drohte sich zu überschlagen, aber Mallory riss sich zusammen. „Ich bitte dich.“ Sie zuckte lässig die Achseln. „Ich war eine Debütantin der feinen Gesellschaft, und wer einmal gelernt hat, in hohen Absätzen Walzer zu tanzen und einen perfekten Knicks zu machen, der wird mit allem fertig. Dass man mein Zuhause und meine Sachen versteigert und meinen Wagen gepfändet hat, das macht doch nichts. Auch nicht, dass die Presse den Namen meiner Familie durch den Dreck gezogen hat. Das macht doch nichts. Aber dass ich mich mit dem öffentlichen Busverkehr vertraut machen musste, das war eine wirkliche Herausforderung …“

„Hör auf“, warf Gabriel ein. „Ich versuche nicht, den Ernst der Situation herunterzuspielen, und das weißt du auch. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass Cal die Investoren von ‚Morgan Creek‘ hereingelegt und sich davongemacht hat. Aber das erklärt nicht, warum du bei ‚Annabelle’s‘ arbeitest …“

„Gearbeitet habe, dank dir“, berichtigte sie ihn leise und ignorierte die Erwähnung ihres Vaters.

„… oder hier lebst.“ Er wies auf die Küche mit dem zerkratzten Tisch und dem alten Herd und auf den Raum, der gleichzeitig Wohn- und Schlafzimmer war und in dem das Schönste zwei nicht zusammenpassende Beistelltischchen waren, die Mallory von einem neun Blocks entfernten Wohltätigkeitsladen nach Hause geschleppt hatte.

„Ich weiß. Es ist einfach lächerlich. Aber weil ich leider wenig Geld, keine Berufserfahrung und einen beklagenswerten Mangel an Referenzen habe, scheinen Arbeitgeber und Vermieter mich nur zögernd in Betracht zu ziehen. Wer hätte das gedacht?“

Dieses Mal saß der Hieb, und Gabriel presste den sinnlichen Mund – wenn auch nur für einen Moment – fest zusammen. „Soweit ich weiß, gibt es da einen Treuhandfonds, den das Gericht und die Banken nicht anrühren durften.“

„Ach ja, mein Treuhandfonds.“ Sie wusste, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab, machte einen Schmollmund und zuckte die Achseln, und um Gabriel abzulenken, zog sie den Morgenmantel, der bedenklich tief gerutscht war, nicht wieder über ihre Schultern. „Die traurige Wahrheit ist, bei all den Partys und Reisen und meiner ungezügelten Vorliebe für Designerkleidung und Dom Pérignon und Seidenunterwäsche … na ja, es gibt ihn nicht mehr.“

„Meinst du das ernst?“ Er sah sie finster an, offenbar nicht sicher, ob er ihr glauben konnte oder nicht.

Sie zuckte nicht mit der Wimper. „Todernst.“

„Und das hier?“ Er wies noch einmal auf den winzigen Raum mit dem wie Texas geformten Wasserfleck auf der Wand zwischen den zwei schmalen Fenstern.

Mallory hob leicht das Kinn an. „Zu mehr reicht es nicht.“

Er erstarrte einen Moment, und der Blick seiner grünen Augen schien sie durchbohren zu wollen. Dann stieß er ein derbes Schimpfwort aus, wandte sich ab und ging weiter in den Raum hinein. Aber schon nach ein paar Schritten war Gabriel an der Wand mit den beiden Fenstern angekommen.

„Pack ein, was du für heute Nacht brauchst“, befahl er, immer noch mit dem Rücken zu ihr stehend. „Morgen schicke ich jemanden, der alles Übrige abholt.“

Er hätte sie nicht mehr überraschen können, wenn er sich auf den Boden geworfen und ihr gebeichtet hätte, dass er ohne sie nicht mehr leben könne. „Was?“

Er wirbelte zu ihr herum. „Ich sagte, pack das Nötigste ein. Du bleibst keine Nacht länger hier.“

Sie musste träumen. Es kam ihr vielleicht so vor, als wäre sie wach, aber in Wirklichkeit war sie auf dem unbequemen kleinen Klappsofa eingeschlafen, und alles, was ihr so echt vorkam – der kühle Linoleumboden unter ihren Füßen, der schwache aufregende Duft von Gabriels Rasierwasser, die Nervosität, die seine Nähe immer in ihr hervorrief –, war nur ein Produkt ihrer Fantasie.

„Und wo soll ich hingehen?“, fragte Mallory verblüfft.

„Zu mir.“

Es war also doch kein Traum. Einen so verrückten Streich würde ihr Unterbewusstsein ihr niemals spielen So einsam und verzweifelt konnte sie gar nicht sein, dass sie jemals daran denken würde, zu Gabriel zu ziehen, um ihre Probleme zu lösen.

Das wäre ja, als würde sie einen Käfig mit einem Tiger teilen – vielleicht eine halbe Sekunde lang faszinierend, aber danach einfach nur furchterregend.

Warum hatte sie dann – wenn auch nur einen Moment lang – den unwiderstehlichen Wunsch, sein Angebot anzunehmen? Warum wollte sie die Augen schließen, sich in seine Arme schmiegen und ihn bitten, auf sie aufzupassen?

Eine Angewohnheit, sagte sie sich verärgert. Daran waren achtundzwanzig Jahre lotterhaften Lebens schuld, in denen sie immer nur den leichten Weg gewählt und anderen erlaubt hatte, ihr Schicksal zu bestimmen. Als man sie von ihrem Zuhause vertrieben hatte, das seit neunzig Jahren in Familienbesitz gewesen war, hatte sie sich geschworen, dass sie das nie wieder zulassen würde.

Und diesen Schwur würde sie unter keinen Umständen brechen, selbst wenn sie deswegen viele Jobs verlieren oder häufig auf ein Mittagessen verzichten musste, um über die Runden zu kommen, oder ein Leben lang in einem Loch wie diesem wohnen musste. Und wenn das hieß, dass sie sich Gabriel widersetzen musste, der immerhin für ihre jetzige Situation verantwortlich war, dann war das sogar noch besser.

„Herzlichen Dank“, sagte sie mit unverhohlener Unaufrichtigkeit, „aber ich verzichte.“

Mallory hatte ihn immer für klug gehalten – klüger als ihr oft angenehm gewesen war –, und auch jetzt enttäuschte er sie nicht. „Du willst nicht mit zu mir kommen? Gut. Dann such dir ein Hotel aus. Dort kannst du bleiben, bis ich etwas anderes arrangiert habe.“

Sie dachte an ihre letzte Erfahrung mit einem Hotel und schauderte. Aber sie konnte ihre Neugier nicht verbergen. „Das würdest du tun? Mich auf deine Kosten irgendwo unterbringen? Selbst wenn ich dir sage, dass ich deinen Anteil an allem, was geschehen ist, niemals vergessen werde?“

„Ja.“

„Selbst wenn ich nicht mit dir schlafe, egal wie freundlich du dich jetzt auch gibst?“

„Noch mal, ja. Außerdem erinnere ich mich nicht, dich darum gebeten zu haben.“

„Warum machst du es dann? Was springt für dich dabei heraus?“

Er zuckte die breiten Schultern. „Ein ruhiges Gewissen. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass diese Wohnung nicht sicher ist. Die Eingänge zum Gebäude sind nicht gesichert, es gibt keinen Riegel an deiner Tür, und ich wette ein Jahresgehalt, dass ein schwächlicher Fünfjähriger deine Fenster mit einem Zahnstocher aufbekommen könnte. Außerdem ist dies eine ziemliche schlimme Gegend, und du hättest in etwa so viele Chancen, hier zu überleben, wie ein Kätzchen, das man in einen Zwinger voller Pitbulls wirft. Ich lasse nicht zu, dass du hierbleibst.“

Wenn ihr das jemand anders gesagt hätte, hätte sie die letzte Bemerkung als den Gipfel der Prahlerei abgetan, aber Gabriel ließ seinen Worten immer die entsprechenden Taten folgen.

Nur bekam leider niemand immer das, was er wollte. Was auch für Gabriel galt. „Das liegt nicht in deiner Hand“, entgegnete sie knapp. „Sondern in meiner. Und ich gehe nirgendwohin.“

„Mallory …“, er schlug den übertrieben geduldigen Ton an, den Erwachsene meist bei widerspenstigen Kindern benutzen, „sei vernünftig.“

„Nein.“ So ein kleines Wort, und so machtvoll! „Ich will deine Hilfe nicht, Gabriel. Ich brauche sie nicht. Ich kann allein auf mich aufpassen.“

„Glaubst du das wirklich?“

Natürlich nicht. Noch nicht. Aber sie würde lieber betteln gehen, bevor sie das Gabriel gegenüber zugab. „Ja, selbstverständlich.“

Er sah sie nachdenklich an, und es war ihm nicht die geringste Überraschung darüber anzumerken, dass sie etwas so Unerhörtes gesagt hatte. Mallory war gezwungen, Gleichgültigkeit vorzutäuschen und zu warten.

Worauf, wusste sie allerdings nicht genau.

Doch während das Schweigen sich unbehaglich in die Länge zog, stellte Mallory sich schon einige seiner möglichen Reaktionen vor. Wenn er wollte, überlegte sie, kann er mich einfach über die Schulter werfen und hinaustragen. Oder er könnte – und bei dem Gedanken überlief sie ein vertrauter Schauer – zu ihr gehen, sie an sich reißen, sie aufs Sofa werfen und …

„Na schön. Das war’s dann also.“

Seine ausdruckslose Stimme riss Mallory aus ihren Tagträumen. Und doch dauerte es noch einige Sekunden, bevor sie begriff, was er gesagt hatte.

Das war’s? Sie waren fertig miteinander? Wirklich?

Einen entsetzlichen Augenblick lang wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Dann erwachte allerdings der gesunde Menschenverstand, den sie fast ihr ganzes Leben lang mit aller Kraft ignoriert hatte, zu neuem Leben.

Bist du noch bei Trost? Er wirft endlich das Handtuch. Himmel noch mal, beeil dich und wirf ihn raus, bevor er seinen Entschluss ändert.

„Wer hätte das gedacht“, sagte sie spöttisch. „Endlich sind wir mal der gleichen Meinung.“

Er presste kurz die Lippen zusammen. „Pass auf, Süße“, riet er, während er schon den ersten Schritt auf die Tür zuging. „Du weißt ja, was man über kleine Mädchen sagt, die ein Raubtier reizen.“

„Nein, weiß ich nicht.“ Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten und nicht zurückzuweichen, als Gabriel wieder auf sie zukam. Sie war froh, dass es gleich vorbei sein würde. Sie würden beide ihrer Wege gehen, und in einer Woche, höchstens einem Monat, würde er nichts weiter als eine schwache Erinnerung aus einem weit zurückliegenden Leben sein. „Und es interessiert mich auch nicht.“

Plötzlich war er nur noch Zentimeter von ihr entfernt. Mallory schnappte erschrocken nach Luft und versuchte, Gabriel auszuweichen, aber es war schon zu spät. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es leicht an, sodass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.

„Das sollte es aber“, meinte er leise. „Weil es heißt, dass das Raubtier am Ende zurückschlägt und süße kleine Dinger wie dich zum Frühstück verspeist.“

Ihr Magen zog sich nervös zusammen bei der nicht zu überhörenden Warnung im seidenweichen Ton seiner Stimme. Mallory klimperte verführerisch mit den Wimpern, und erwiderte nur: „Wie amüsant. Und jetzt lass mich los.“ Zu ihrer eigenen Überraschung klang ihre Stimme völlig ruhig.

„Noch nicht. Da gibt es noch etwas, was wir klarstellen müssen.“

„Ach? Und das wäre?“

„Wenn wir zusammen ins Bett gehen …“, er ließ den Blick einen langen Moment auf ihrem Mund ruhen, bevor er Mallory wieder in die Augen sah, „… wird es nicht das Geringste mit Dankbarkeit zu tun haben. Glaub mir, du wirst genauso wild auf mich sein wie ich auf dich.“ Und damit gab er sie genauso abrupt wieder frei, wie er sie gepackt hatte, und trat zurück.

Als Mallory sich von ihrer Verblüffung erholt hatte, war Gabriel bereits gegangen.

2. KAPITEL

Unverschämt. Unerträglich. Unmöglich.

Und unwiderstehlich.

Das beschreibt Mallory Morgan perfekt, dachte Gabriel finster, als er auf dem lädierten Bürgersteig vor dem baufälligen Mietshaus stand, in dem Mallory wohnte. Er stellte den Mantelkragen hoch, um sich vor der kühlen Märzbrise zu schützen, sah sich auf der mit Abfällen übersäten Straße um und ging dann zu seinem auf der anderen Seite geparkten Jeep hinüber.

Er überprüfte den Wagen kurz und gab dem kräftigen kleinen Latino, der sich anerboten hatte, auf ihn aufzupassen, einen Zwanzigdollarschein. „Danke, mi hijo.“

Da ihre Abmachung eigentlich über zehn Dollar im Voraus gewesen war und weitere zehn, wenn der Junge seinen Auftrag richtig erledigte, war die Begeisterung des Kleinen nur allzu verständlich. „Muchas gracias, Mister!“

Gabriel nickte. „Du hast es dir verdient.“

Sí. Wenn Sie mal wieder in die Lattimer Street kommen, fragen Sie nach Tonio, okay? Ich kümmere mich um Sie.“

„Ich werde daran denken.“

„Bueno!“ Der Junge schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und lief davon. Er sauste an drei tätowierten Schlägertypen vorbei, die vor einer mit Brettern vernagelten Ladenfassade standen und rauchten, und winkte einer erschöpft aussehenden jungen Frau zu, die gerade die Treppe herunterstapfte. „Mama, Mama! Rate mal, was ich habe!“, rief er, während er in der zunehmenden Dämmerung auf sie zuraste.

Offenbar hatte Gabriel gerade jemanden glücklich gemacht.

Leider war es nicht der Jemand, den er sich gewünscht hätte. Aber was hatte er auch anderes erwartet? Obwohl sonst allgemein für seine Klugheit und seine Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszusehen, bekannt, hatte er vorhin die Feinfühligkeit eines Panzers bewiesen. Er hatte Mallorys Privatsphäre verletzt, gebieterisch Antworten verlangt, sie herumkommandiert und drangsaliert, statt ihr gut zuzureden. Und als wäre das nicht schlimm genug, hatte er sogar eine mehr als machohafte Andeutung gemacht, was sexuell zwischen ihnen passieren könnte.

Das Einzige, was den heutigen Tag vor einer vollkommenen Pleite rettete, war der sehr gewinnbringende Vertrag mit der „Lux Pacifica“-Hotelkette, den Gabriel beim Mittagessen geschlossen hatte und der seiner Firma den Auftrag erteilte, für die Sicherheit der leitenden Angestellten der Hotelkette in Übersee zu sorgen.

Abgesehen davon allerdings … Mit einem ungeduldigen Kopfschütteln legte er den Rückwärtsgang ein und machte sich auf zur Speicherstadt, wo das Bürogebäude von Steele Security stand. Es ging langsam voran, weil der Verkehr wie immer an einem Freitagabend sehr zäh war. Das gab Gabriel allerdings viel Zeit zum Nachdenken.

Es war schon fast komisch gewesen, wie verblüfft er darüber gewesen war, dass die Hostess bei „Annabelle’s“ mit dem goldbraunen Haar, die von allen Männern bewundert wurde, Mallory war. Und genauso wenig gab es eine vernünftige Erklärung für die Betroffenheit, mit der er auf ihre Feindseligkeit reagiert hatte.

Er hatte Mallory in den vier Jahren, die er sie jetzt kannte, kein einziges Mal die Fassung verlieren sehen – nicht einmal, als ein ungeschickter Kellner Champagner über ihr teures Kleid geschüttet hatte oder als sie auf Meg Banders Halloween-Party ihren Vater mit einer ihrer Freundinnen in einer äußerst verfänglichen Situation ertappt hatte. Umso bemerkenswerter fand er also natürlich ihre plötzliche Wut und die offenkundige Verachtung, mit der sie ihn bedacht hatte.

Aber er war nicht etwa deswegen so betroffen gewesen, weil er, wie Annabelle’s entsetzter Geschäftsführer angenommen hatte, wütend oder beleidigt war. Während er gezwungen gewesen war, das scheinbar nie enden wollende Geschäftsessen wie geplant durchzuführen, hatte etwas seine sonst unerschöpfliche Geduld auf eine harte Probe gestellt: Die Traurigkeit, die sich hinter Mallorys Wut zu verbergen schien, hatte Gabriel erschüttert. Außerdem war ihm der Verdacht gekommen, ihre Verwandlung vom unbeschwerten Partygirl zum hart arbeitenden Mädchen bedeutete, dass er sich in ihr geirrt haben musste.

Aber ihm unterliefen keine Irrtümer. Er hielt sich zwar nicht für unfehlbar, doch seit frühester Jugend, seit seine Mutter gestorben war und er im reifen Alter von ganzen vierzehn Jahren die Verantwortung für acht Brüder hatte übernehmen müssen, waren Fehler ein Luxus gewesen, den er sich nicht leisten durfte. Das hatte sich auch während seiner Jahre bei einer Spezialeinheit beim Militär nicht geändert.

Er hätte sich kaum von einem mittellosen Elternersatz zu einem mächtigen Geschäftsmann und Millionär entwickelt, wenn sein Urteil fehlerhaft gewesen wäre. Nein, alles, was er besaß, verdankte er seiner scharfsinnigen Urteilskraft, akribischer Planung, seinem untrüglichem Instinkt und einer guten Auffassungsgabe, die ihn jede Situation richtig einschätzen ließ.

Sein heutiges Verhalten war allerdings kein Beweis dafür, wie er zugeben musste, während er in die Tiefgarage von Steele Security fuhr.

Dass Mallory in ihrer schäbigen kleinen Wohnung geblieben war, zeigte, dass seine Entscheidung, sie zu verfolgen, ohne die Situation vorher gründlich zu untersuchen, nicht einer der klügsten Schritte war, die er je gemacht hatte.

Aber die Dinge waren erst dann endgültig den Bach hinuntergegangen, als sie ihm die Tür geöffnet hatte.

Zu sagen, er habe sich überrumpelt gefühlt, wäre eine der größten Untertreibungen aller Zeiten. Es war ihm eher so vorgekommen, als hätte man ihn mit einem Hammer zwischen die Augen geschlagen. Denn dieser Anblick …

In dem hauchdünnen, verführerischen roten Morgenrock, mit den nackten Füßen, dem leicht zerzausten goldbraunen Haar und den zart geröteten Wangen, hatte sie ausgesehen, als wäre sie gerade aus dem Bett eines sehr glücklichen Mannes gestolpert.

Sofort hatte ihn heftiges Verlangen ergriffen.

An sich wäre das kein Problem, weil Gabriel sich niemals von seiner Libido leiten ließ. Aber als Mallory plötzlich mit aller Kraft versuchte, das Zittern ihrer Unterlippe zu unterdrücken, rührte sich etwas in ihm.

Das brachte ihn völlig aus der Fassung – ebenso der erschreckende Wunsch, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen.

Beim Gedanken daran presste er unwillkürlich die Lippen zusammen. Nachdem er den Sicherheitscode für die Eingangstür eingegeben hatte, ging er mit langen Schritten den breiten Korridor des Hauptgebäudes hinunter. Er blieb nicht vor seinem Büro stehen, sondern ging zu dem seines Bruders Cooper, weil er dort zu seiner Erleichterung noch Licht sah.

„Hast du die Informationen bekommen, um die ich dich gebeten habe?“, fragte er, als er in der offenen Tür stand.

Sein jüngerer Bruder – Nummer vier in der Geburtsreihenfolge der neun Brüder – saß in einem halb nach hinten gekippten Bürostuhl hinter seinem Schreibtisch. Er hatte die in Turnschuhen steckenden Füße auf den Schreibtisch gelegt und bot das Bild absoluter Lässigkeit und Entspannung. Das Einzige, was diesem Eindruck widersprach, war die Schnelligkeit, mit der seine Finger über die Tasten des Laptops flogen, den er sich auf den Schoß gestellt hatte.

Er sah auf und antwortete gelassen: „Ist der Papst katholisch? Natürlich, großer Bruder. Das ist wohl keine Frage.“

„Und?“

„Und ich bekomme einen steifen Hals, wenn du da drüben stehen bleibst. Warum kommst du nicht rein und erzählst Onkel Cooper, was dich jetzt wieder genervt hat?“

„Träum weiter“, entgegnete Gabriel. Trotzdem kam er herein, aber nicht, um zu tun, wozu Cooper ihn aufgefordert hatte. Schließlich war er hier, um Informationen zu bekommen, und nicht, um selbst welche preiszugeben. „Also, wirst du mir jetzt sagen, was du herausgefunden hast, oder nicht?“

Cooper zuckte die Achseln. „Es hat sich nicht viel geändert. Der Haftbefehl für Cal Morgan ist immer noch gültig, obwohl mein Kontaktmann beim FBI meint, er sei im Moment nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt ist. Solange Morgan in San Timoteo bleibt, kommen sie nicht an ihn ran, und erst recht nicht an das gestohlene Geld. Eine Summe, die sich übrigens auf etwa zwanzig Millionen beläuft. Mit anderen Worten, du hast schon wieder gewonnen.“

„Na, wunderbar.“ Gabriel zog den Mantel aus und warf ihn mit unnötiger Energie auf einen der blauen Wildledersessel vor dem Schreibtisch. „Ich liebe es, eine Katastrophe genau vorauszusagen.“

„Es ist ja nicht deine Schuld“, erwiderte Cooper ruhig. „Du weißt verdammt gut, dass es noch schlimmer ausgegangen wäre, wenn wir nicht eingegriffen hätten.“

Das stimmte, und Gabriel tat es demzufolge auch nicht leid, dass es die Leute von Steele Security gewesen waren, die Caleb Morgans krumme Geschäfte aufgedeckt hatten. Er ging zum anderen Ende des Raums und trat ans Fenster.

Sie hatten getan, wofür sie engagiert worden waren, und hatten Caleb Morgans Investmentgesellschaft überprüft. Und sie waren so vorgegangen wie immer, gründlich und perfekt. Ihr Klient, ein potenzieller Investor bei Morgan Creek Investment, hatte nur eine flüchtige Untersuchung verlangt, um seine Mutter zu beruhigen, die berichtet hatte, sie hätte vor Kurzem auf einer Reise in Asien das taiwanesische Einkaufszentrum, das in Caleb Morgans Firmenliste aufgeführt war, nicht gefunden.

Ihr Klient schenkte seiner Mutter inzwischen wöchentlich einen Strauß Blumen, da sie ihn vor einem großen Verlust bewahrt hatte, denn das Einkaufszentrum existierte tatsächlich nicht.

Morgan hatte das Land an dem Tag verlassen, als Steele Security die Behörden in Kenntnis setzten, und trank jetzt wahrscheinlich auf der Veranda seiner neuen Villa tropische Cocktails und genoss das süße Leben. Die erbeuteten Millionen lagen unantastbar auf mehreren Konten im Ausland.

Nein, das Einzige, was Gabriel wirklich bedauerte, war, dass sie den Mistkerl nicht eher hatten auffliegen lassen. Es hätte zwar nicht geändert, was Morgan getan hatte, aber es hätte den Schaden für die Hauptgläubiger wenigstens etwas begrenzt.

Und dann war da noch Mallory, die Gabriel noch vor fünf Stunden irgendwo in St. Croix oder Monte Carlo oder sonst einem exklusiven Ort vermutet hatte, wo sie in luxuriöser Abgeschiedenheit ihre Wunden leckte. Er hätte nie gedacht, dass sie ganz allein in einer der übelsten Gegenden Denvers lebte und sich mit einem schlecht bezahlten Job über Wasser zu halten versuchte.

Und genau das war sein unverzeihlicher Irrtum.

„Was ist mit Morgans Tochter?“, fragte er abrupt und sah seinen Bruder abwartend an. „Was hast du über sie herausgefunden?“

Cooper hörte kurz auf zu tippen. „Du meinst, abgesehen von der Tatsache, dass sie dich heute beim Mittagessen fast vertrimmt hätte?“

„Woher, zum Teufel, weißt du das?“

Cooper verdrehte die Augen. „Was glaubst du denn? Familientratsch, großer Bruder. Irgendeine Frau, mit der Lilah zusammen zur Schule gegangen ist, hat alles gesehen und konnte es kaum erwarten, sie anzurufen und ihr alles brühwarm zu erzählen. Lilah gab es dann an Dominic weiter, als er sie zu ihrem Arzttermin brachte, und er sagte es mir, als er kurz vorbeischaute, um eine Akte mit nach Hause zu nehmen.“

„Du meine Güte.“ Die Nachrichtenübermittlung zwischen den Brüdern hatte schon immer einwandfrei geklappt, aber seit im letzten Jahr Genevieve und Lilah, seine zwei Schwägerinnen, zur Familie gestoßen waren, funktionierte sie wirklich beängstigend gut.

„Ja. Ganz schön gruselig, was?“

„Kann man wohl sagen. Geht es Lilah gut? Keine Überraschungen beim Arzt?“ Er kam langsam wieder auf Coopers Schreibtisch zu.

„Soweit ich weiß, geht es ihr so gut, wie das bei einer Frau im sechsten Monat möglich ist. Nur Dominic wird es vielleicht nicht überleben.“

„Das ist nichts Neues.“ Ihr Bruder Dominic, ein ehemaliger Navy SEAL, war die Verkörperung des harten draufgängerischen Soldaten gewesen, der sich nie eine Schwäche anmerken ließ, bis er den Auftrag übernahm, einem hübschen, reichen blonden Mädchen bei der Flucht aus einer Bananenrepublik helfen, wo man sie gefangen hielt. Jetzt waren er und Lilah verheiratet und erwarteten ihr erstes Kind, und Dominic war so übertrieben ängstlich wie ein General, dessen Armee nur aus einem einzigen Soldaten bestand.

„Stimmt wohl“, gab Cooper zu. „Trotzdem. Lilah erwähnte heute, wie sehr ihr die Arbeit für den nächsten Wohltätigkeitsball Spaß macht, und man konnte Dominics Zähne regelrecht knirschen hören. Je näher sie dem Geburtstermin kommt, desto schwerer fällt es ihm, sie sich nicht einfach über die Schulter zu werfen, sie an einen sicheren Ort zu verfrachten und sie bis zur Geburt in Watte zu packen.“ Er seufzte. „Wenn es nicht so komisch wäre, wäre es mitleiderregend. Dabei war er früher so cool, wenn es um Frauen ging.“

Gabriel musste über Coopers wehmütigen Gesichtsausdruck lächeln. „Die Liebe macht die Leute verrückt.“ Einer der vielen bestechenden Gründe, weswegen Liebe nichts für ihn war.

Cooper stellte den Laptop auf den Schreibtisch und sah Gabriel aufmerksam an. Seine Melancholie verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war. „Da wir gerade von ‚verrückt‘ reden – hat die göttliche Miss Morgan tatsächlich als Kellnerin gearbeitet?“

„Als Hostess“, verbesserte Gabriel ihn.

„Und sie hat dich wirklich einen egoistischen schleimigen Mistkerl genannt?“

„Kann sein. Ich habe nicht mitgeschrieben.“

„Und?“

„Das war’s eigentlich schon. Sie beschimpfte mich, weigerte sich, mir einen Tisch zu geben, und rauschte ab, als ihr Chef versuchte, die Situation zu retten.“

Cooper betrachtete ihn neugierig. „Und was hat sie gesagt, als du später zu ihr gegangen bist? War sie immer noch sauer?“

„Wer sagt, dass ich zu ihr gegangen bin?“

„Ich bitte dich.“ Cooper schüttelte den Kopf. „Du hast deine Termine für den ganzen Nachmittag streichen lassen, du hast um Informationen über die Morgans gebeten, und es ist mehr als deutlich, dass dir eine Laus über die Leber gelaufen ist. Außerdem meinte Dominic, die kleine Morgan und du hättet schon immer etwas füreinander übriggehabt.“

Gabriel musste plötzlich daran denken, wie Mallorys Morgenmantel ihr von den Schultern gerutscht war und ihre zarte Haut enthüllt hatte.

„Also ist es ja wohl klar, dass du bei ihr gewesen bist“, fuhr Cooper fort.

Gabriel verscheuchte das Bild der fast nackten Mallory. „Du hast recht, ich war bei ihr. Und es stimmt auch, dass sie nicht besonders entzückt war, mich zu sehen. Was unter den Umständen kaum überraschend ist. Und alles Übrige geht dich nichts an.“ Er dachte an Mallorys tapferen Versuch, sich gleichgültig zu geben und sogar zu behaupten, es ginge ihr wunderbar. Auch jetzt spürte er wieder Ungeduld, Ärger und Enttäuschung in sich aufsteigen – und auch Rührung, obwohl er sich nicht erklären konnte, wieso.

„Ach, komm schon. Du wirst doch wohl deinen Lieblingsbruder nicht verletzen wollen, oder?“

„Nein. Aber soviel ich weiß, ist Deke immer noch auf Borneo.“

„Au.“ Cooper schenkte ihm einen gespielt beleidigten Blick. „Du hättest einfach Nein sagen können.“

„Als ob dich ein einfaches Nein jemals aufgehalten hätte.“ Gabriel beugte sich vor und stützte die Hände auf den Schreibtisch. „So gern ich meine innersten Gefühle mit euch teilen und mir alles anhören würde, was du und Dominic über mein Liebesleben zu sagen habt …“, sagte er, und mit jedem Wort wurde sein Ton ironischer, „… es ist jetzt leider schon nach sechs, und ich habe heute Abend etwas vor. Was hältst du also davon, wenn du mir einfach sagst, was ich wissen will, und wir uns den Rest für ein anderes Mal aufheben? Sagen wir, wenn ihr wieder eine Pyjamaparty gebt?“

Cooper setzte eine vorwurfsvolle Miene auf. „Kein Grund, gleich so empfindlich zu sein.“

Gabriel sah ihn nur weiter wortlos an.

„Okay, okay.“ Cooper hob resignierend die Hände. „Hör zu. Bis noch vor sechs Monaten hat sich unsere Zielperson auf dem Familiengut verkrochen, obwohl das Personal schon Monate vorher entlassen worden war. Als dann das FBI kam, alles beschlagnahmte und das Haus verriegelte, zog sie ins Markham Plaza. Dort blieb sie mehrere Wochen, bis ihre Kreditkarte abgelehnt wurde und man herausfand, dass es sich dabei nicht um einen Irrtum handelte. Es heißt, sie hätte versucht, mit einem Scheck zu zahlen, aber der platzte auch, und so bat die Geschäftsführung sie nicht allzu freundlich, das Hotel zu verlassen.“

Cooper setzte sich auf und sah auf den Computerbildschirm. „Das Interessante ist, dass sie alle Schulden einige Wochen später bezahlte, bis auf einen kleinen Betrag, den sie Stück für Stück abstotterte. Doch vor etwa sechzig Tagen fing sie an, auch ihre Miete schuldig zu bleiben.“

Gabriel runzelte die Stirn. „Hatte sie keine weiteren Bankkonten?“, fragte er und begann unruhig auf und ab zu gehen.

„Das Girokonto wurde geschlossen, weil sie es überzogen hatte. Mehr habe ich nicht finden können, allerdings hatte ich auch kaum Zeit, gründlicher nachzuforschen. Ist es wichtig?“

„Wahrscheinlich nicht … Ich dachte nur, es gäbe da ein Treuhandkonto auf ihren Namen, und zwar mit einer großen Summe. Aber sie sagt, das hätte sie auch schon abgeräumt.“ Das Treuhandkonto war auch der Grund gewesen, warum er eigentlich ganz beruhigt gewesen war, was Mallorys finanzielle Situation anging, und sich nicht schon vorher nach ihr erkundigt hatte.

„Und du glaubst ihr nicht?“

„Das habe ich nicht gesagt. Aber ich will sichergehen.“ Trotz der überzeugenden Anhaltspunkte, dass Mallory tatsächlich über kein finanzielles Sicherheitsnetz mehr verfügte, würde er sich dieses Mal nicht nur auf seine Annahmen verlassen.

„Okay, ich werde mich also noch weiter darum kümmern.“

„Danke.“

„Sonst noch was?“

„Nein. Das wäre im Moment alles.“

Cooper sah ihn nachdenklich an. „Das soll wohl heißen, dass du mit Mallory noch nicht fertig bist. Und das, obwohl du allem Anschein nach auf ihrer Liste der hassenswerten Dinge ungefähr auf gleicher Höhe mit Fußpilz rangierst.“

„Worauf willst du hinaus, Cooper? Wenn wir mal annehmen, dass du das selbst weißt.“

„O doch.“ Cooper gehörte nicht zu den Menschen, die mit ihrer Meinung lange hinter dem Berg hielten. Er begegnete Gabriels finsterem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Sieh mal, ich weiß, wie hart du dafür arbeitest, dass unsere Firma ein Erfolg wird, aber auch, dass wir mit unserer Arbeit etwas Wichtiges vollbringen. Du setzt dich mit all deiner Kraft dafür ein, das Leben unserer Klienten sicherer zu machen und zu verbessern, wenn möglich. Und genau deswegen glaube ich, dass man dich ab und zu daran erinnern muss, dass du nicht für diese Frau verantwortlich bist – was immer sie auch zu dir gesagt hat und wie sehr sie auch versucht hat, dir ein schlechtes Gewissen einzureden. Du schuldest ihr nicht das Geringste, Gabriel.“

„Glaub mir, Cooper …“, Gabriel lächelte selbstironisch, „… das ist hier nicht das Problem.“

Cooper war überrascht. „Nein? Was denn …“

„Lass es gut sein, kleiner Bruder. Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, aber ich kümmere mich schon seit vielen Jahren allein um meine Angelegenheiten, und zwar recht erfolgreich. Wenn ich Hilfe brauchen sollte, lasse ich es dich wissen. Aber bis dahin …“, er sah auf die Uhr, „… bleibt die Zeit nicht stehen, und ich muss mich noch um einen Berg von Angelegenheiten kümmern, bevor ich von hier verschwinden kann.“

„Mehr sagst du nicht? Du lässt mich ganz einfach so stehen?“

„Ja, du hast es erfasst.“ Gabriel nahm seinen Mantel vom Sessel und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. „Gehst du morgen zu Taggart und Genevieve zum Abendessen?“

Cooper wusste, wann er das Handtuch werfen musste. „Machst du Witze? Es gibt leckere Hausmannskost und ein Basketballspiel im Fernsehen. Klar geh ich hin. Und du?“

„Ja, ich komme auch.“ Er ging auf die Tür zu. „Soll ich dich abholen?“

„Okay.“

„Ich ruf dich morgen an, dann können wir Einzelheiten besprechen.“ An der Tür hielt er kurz inne. „Cooper?“

„Was ist?“

„Danke für die Informationen. Ich weiß das zu schätzen.“

„Das sagt sich so leicht“, beschwerte Cooper sich. „Dich lässt man nicht mitten im interessantesten Gespräch hängen.“

„Du wirst es überleben“, meinte Gabriel trocken und ging lächelnd zu seinem eigenen Büro.

Es gab zwar keinen Grund für die Sorgen, die sein jüngerer Bruder sich um ihn machte, aber Cooper hatte in gewisser Hinsicht doch recht gehabt.

Er, Gabriel, war noch lange nicht mit Mallory fertig.

3. KAPITEL

„Geht es Ihnen gut, Miss Morgan?“

Mallory nahm widerwillig den Blick von dem Blatt Papier in ihrer zitternden Hand und sah den Mann ihr gegenüber betäubt an. „Wie bitte?“

Der Ausdruck auf Mr. Cowdens schmalem intelligentem Gesicht wurde weicher. „Sie scheinen erschüttert zu sein“, sagte der Besitzer des Anwaltsbüros „Finders Keepers“, das sich am vorigen Abend mit ihr in Verbindung gesetzt hatte, nicht ohne Mitgefühl. „Kann ich Ihnen etwas bringen lassen? Ein Glas Wasser oder Kaffee?“

„Nein. Ich … es ist nur …“ Voller Verlegenheit wegen ihrer Stotterei, riss Mallory sich mühsam zusammen. „Könnten Sie mir bitte noch einmal erklären, woher das hier kommt? Sie sagten, es käme auf Anweisung eines Verwandten?“

„Ja. Dem Brief zufolge, den wir erhielten, kommen die Gelder von einem gewissen …“, er warf einen Blick auf ein Dokument, das auf seinem Nussbaumschreibtisch lag, „… Ivan Mallory Milton. Ihr Cousin, wie es den Anschein hat, wenn auch vermutlich ein eher entfernter, da es hier heißt, dass er einundneunzig Jahre alt war, als er von uns ging.“ Er rückte die Lesebrille zurecht und überflog wieder den Inhalt des Dokuments. „Die Verwandtschaft geht offenbar auf Ihre Großmutter mütterlicherseits zurück.“

„Aber ich habe nie von ihm gehört.“

„Nun ja, das kommt häufig vor bei so entfernten Verwandten. Und tatsächlich erheben genau aus diesem Grund viele gar keinen Anspruch auf eine Erbschaft. In diesem Fall scheint es, dass Mr. Milton die verwandtschaftliche Beziehung erkannte, als er einen Zeitungsartikel über Ihre Familie las.“

Mallory zuckte leicht zusammen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr verstorbener Cousin irgendetwas Schmeichelhaftes über sie oder ihren Vater gelesen hatte. Aber offenbar hatte ihn das nicht sonderlich beeindruckt.

„Die Information wurde unter seinen Papieren gefunden, nachdem er gestorben war, und da es keine anderen Erben gibt, geht sein Besitz an Sie über. Andererseits war es ziemlich ungewöhnlich, dass wir über den Postweg davon in Kenntnis gesetzt wurden, wo doch das Internet sich heutzutage so großer Beliebtheit erfreut …“

Obwohl sie sich ermahnte, Mr. Cowden besser zuzuhören, wanderte ihr Blick automatisch wieder zu dem Bankscheck in ihrer Hand.

Da stand es wirklich schwarz auf weiß: Sie sollte die unglaubliche, wundervolle Summe von 4721,46 Dollar erhalten. Noch vor einem Jahr hätte das nicht einmal gereicht, um ihren monatlichen Bedarf an Schuhen zu decken. Jetzt allerdings bedeutete dieses Geld, dass sie zum ersten Mal seit Monaten wieder befreit aufatmen konnte. Und sie verdankte es jemandem, den sie nie kennengelernt hatte und auch nie kennenlernen würde.

Vielen Dank, lieber verstorbener Cousin Ivan.

Sie war natürlich nicht froh, dass ihr armer Verwandter tot war, aber wenn der alte Junge schon hatte gehen müssen, dann hätte er sich dazu keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können.

„Miss Morgan?“

Erschrocken sah sie auf und bemerkte, dass Mr. Cowden sie fragend betrachtete, als hätte er schon vor einer ganzen Weil aufgehört zu reden, und auf ihre Antwort wartete. „Entschuldigen Sie“, sagte sie hastig. „Es ist nur …“ Sie strich fast zärtlich über den Scheck. „Ich kann es noch nicht ganz fassen. Es ist eine so große Überraschung.“

„Aber eine willkommene, will ich doch hoffen.“ Mr. Cowden lächelte und stand auf.

„Oh ja.“ So sehr sogar, dass sie befürchtete, dass gleich jemand hereinplatzen und beteuern würde, es sei alles nur ein fürchterlicher Irrtum.

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich das freut“, fuhr er fort und kam hinter dem Schreibtisch hervor. „Und wie froh ich bin, dass wir Ihnen von Nutzen sein konnten. Offen gestanden …“, er blinzelte ihr fröhlich zu, „… ist das der schönste Teil meiner Arbeit.“

„Das glaube ich gern.“ Mallory erwiderte sein Lächeln und steckte dann den Scheck vorsichtig in ihre Handtasche. Da Mr. Cowden ihr Geschäft offenbar für beendet hielt, erhob sie sich. „Schulde ich Ihnen irgendetwas? Gibt es eine Gebühr dafür, dass sie mich ausfindig gemacht haben?“

„Ja, selbstverständlich, aber die wurde ja bereits von Mr. Miltons Nachlassverwalter übernommen.“ Cowden half ihr in den Mantel und begleitete sie ins Vorzimmer seines Büros. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatte sie ein Papier unterschrieben, mit dem sie den Erhalt des Schecks bestätigte.

Nachdem sie sich bedankt und verabschiedet hatte, verließ sie das Anwaltsbüro und trat wieder auf der Straße.

Einen herrlichen Moment ließ sie sich von ihrer Begeisterung mitreißen und wirbelte lachend um die eigene Achse. 4721 Dollar! Sie ging mit großen hüpfenden Schritten die Straße hinunter zur Bushaltestelle und konnte einfach nicht aufhören zu lächeln. Ihre Füße berührten kaum den Boden, ungeahnte Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf.

Wo sollte sie nur anfangen? Sollte sie sich zuerst bei „Très Chic“ eine Gesichtsbehandlung, eine Massage oder einen ganzen Wellnesstag gönnen? Der Himmel wusste, wie sehr ihre Poren es ihr danken würden. Oder sollte sie „Mr. Kenneth’s“, dem berühmtesten Friseursalon des Bundesstaates, gehen und sich einen seiner sensationellen Schnitte gönnen und sich helle Strähnchen machen lassen? Sie könnte auch ins eleganteste Einkaufszentrum fahren und sich die göttliche Moreno-Handtasche kaufen, die sie neulich gesehen hatte. Oder sollte sie sich ein neues Paar Pumps leisten, da ein Kind an ihrem ersten Tag bei „Annabelle’s“ auf ihre Lieblingsschuhe getreten war?

Vielleicht sollte sie sich heute aber lieber mit einem gemütlichen Mittagessen verwöhnen oder – noch besser – mit einem eleganten Abendessen. Es würde ihr so guttun, sich wieder einmal toll zurechtzumachen. Den größten Teil ihrer Garderobe hatte sie zwar verkaufen müssen, aber einige wenige gute Stücke waren ihr noch geblieben. Sie könnte mit dem Taxi zu „Gambiolini’s“ fahren, ihren gewohnten Tisch verlangen und dann ein paar Stunden damit vertrödeln, ein oder zwei Gläser teuren roten Wein zu trinken, mit Philippe, ihrem Lieblingskellner, zu flirten und sich dem Genuss der Hausspezialität hinzugeben, ihren seit Monaten innig ersehnten Garnelen Tettrazini.

Aber es würde bestimmt jemand von ihren alten Bekannten da sein, und wollte sie wirklich das Flüstern und die neugierigen Blicke über sich ergehen lassen, die zu erwarten waren, wenn nicht sogar die Demütigung, behandelt zu werden, als wäre sie Luft?

Es ist wohl doch keine so gute Idee, sagte sie sich, als der Bus vorfuhr und hielt. Es gab schließlich andere Wege, sich zu amüsieren. Sie könnte ihre teure Armbanduhr von der Pfandleihe abholen. Sie kletterte in den Bus, zeigte dem Fahrer ihre Monatskarte und setzte sich wie gewohnt auf einen Platz in der Mitte, wo sie weiter ihren Tagträumen nachhing.