Buch
Sexistische Sprüche bei der Weihnachtsfeier, Impfgegner beim Kindergeburtstag, antisemitische Kommentare unter einem Facebook-Post – wir alle kennen Situationen, in denen wir mit Halbwahrheiten oder einem problematischen Weltbild konfrontiert werden. Doch was entgegnet man, wenn jemand den Klimawandel leugnet, an die BRD-GmbH glaubt oder gegen Geflüchtete hetzt? Franzi von Kempis gibt uns fundierte Argumente und sorgfältig recherchierte Fakten an die Hand, damit wir uns sicherer fühlen, um populistischen, unwahren oder hetzerischen Parolen etwas entgegenzusetzen.
Autorin
Franzi von Kempis lebt und arbeitet als Journalistin mit dem Schwerpunkt Video in Berlin. Die Frage, wie Diskurse im realen Leben und im Netz geführt werden, beschäftigt sie sowohl beruflich als auch privat. Als Chefredakteurin der Medieninitiative MESH Collective hat sie bis 2018 politische Bildung in Form von Videokampagnen auf YouTube, Facebook und Instagram für eine jüngere Zielgruppe aufbereitet. Seit Januar 2018 leitet sie als Chefin-vom-Dienst den Bereich Video für die t-online.de-Redaktion. Mit dem ironisierten Titel »Die besorgte Bürgerin« hat sie im Netz eine eigene Marke etabliert, die vor allem mit Videos falschen Infos, Vorurteilen und Hetze inhaltlich Kontra bietet.
Franzi von Kempis
Klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien
Die Informationen im Buch geben den aktuellen Stand zum Redaktionsschluss Juli 2019 wieder. Mögliche spätere Änderungen können nicht ausgeschlossen werden.
Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Copyright © 2019: Mosaik Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
KW ∙ Herstellung: CB
ISBN 978-3-641-23060-9
V003
www.mosaik-verlag.de
Inhalt
Vorwort
Wie diskutiert man (richtig)?
Antworten an Menschen, die den Klimawandel leugnen
Antworten an Menschen, die Antisemitismus verbreiten
Antworten an Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben
Antworten an Menschen, die denken, dass der Islam ihr Abendland zerstöre
Antworten an Menschen, die ein Problem mit Frauen oder Gender haben
Antworten an Menschen, die gegen Geflüchtete hetzen
»Danksagungen sind langweilig«
Anmerkungen
Register
Vorwort
Hass und Hilflosigkeit liegen manchmal nah beieinander. Da sind die einen, die hetzen und wüten, die liken und teilen, die beleidigen und schimpfen. Die laut sind, egal ob online oder offline. Die mit tendenziösem Halbwissen vorbereitet daherkommen. Die vernetzt und bestens ausgestattet scheinen. Die, die wir gern die laute Minderheit nennen, weil sie so lange schreien, bis alle anderen schweigen.
Und dann sind da die anderen, die vor so viel Wut erstarren, die sich über Falschinformationen ärgern und wundern, die um die besseren Worte ringen, aber oft einfach verstummen. Weil sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Weil sie glauben, dass die eigenen Kenntnisse zu bestimmten Themen nicht ausreichen. Weil sie sich unsicher und hilflos fühlen. Und die deshalb oft die schweigende Mehrheit genannt werden.
Wie wir mit Hass und Hetze umgehen, wird in den Medien, in der Politik, bei Konferenzen, aber auch im eigenen Zuhause viel diskutiert. Oft geht es darum, wie und ob wir die schweigende Mehrheit zum Sprechen animieren können. Eine Frage, die sich die unterschiedlichsten Menschen in diesem Land stellen und mit der wir oft doch alleine zurückbleiben: Was kann man denn (selber) tun?
Ich gehöre zu denen, die sich oft hilflos gefühlt haben. Ich bin (leider) kein besonders geduldiger Mensch, es fällt mir schwer, darauf zu warten, dass jemand etwas tut. Ich will selber etwas tun. Oft hat das Schweigen der klügeren Mehrheit etwas mit Unsicherheit zu tun. Unsicherheit, weil man die richtigen Worte, die notwendigen Informationen nicht parat hat. Weil das Gefühl, sich in einem Thema nicht genügend auszukennen, überwiegt und man deshalb lieber erst mal gar nichts sagt. Dagegen lässt sich etwas tun, dachte ich. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Ich habe sechs Themen ausgewählt, zu denen die laute Minderheit gerne besonders hasserfüllt schreit. Und ich weiß: Diese sechs Themen decken längst nicht alle Bereiche ab, die Unsicherheit auslösen und Hass erzeugen, sie sind und bleiben nur ein Ausschnitt und ein Anfang. Ich habe diese Themen recherchiert, mich mit Experten und Wissenschaftlerinnen getroffen, mit Aktivistinnen und Betroffenen gesprochen, ich habe gelesen, geredet und zugehört. Zu jedem Thema habe ich möglichst viele Hintergrundinformationen und Argumente zusammengetragen, die dabei helfen sollen, sich weniger hilflos zu fühlen. Die vielleicht dazu beitragen, dass man sicherer ist (oder zumindest einmal nachschlagen kann, was es mit einer bestimmten Sache nochmal auf sich hat). Die ermutigen, im richtigen Moment nachzufragen. Die einen darin bestärken, Widerspruch einzulegen. Die auch ein Anstoß sein können, selbst weiter zu recherchieren. Und die im besten Fall dazu führen, dass man sich hin und wieder traut, mitzureden, mitzudiskutieren, mitzustreiten: im Netz, am Küchentisch, in Kommentarforen und in öffentlichen Debatten.
Es gibt in unserer Gesellschaft eine große Mehrheit von Menschen, die für die liberale Demokratie einstehen und extreme Haltungen ablehnen. Ich möchte, dass wir lauter werden. Dass wir widersprechen, wenn jemand Hetze verbreitet, Hass sät und Grundgesetze verletzt. Wir sind nämlich mehr. Und das sollte man auch hören (und lesen).
Wie diskutiert man (richtig)?
Eine Diskussion über ein (gesellschafts-)politisches Thema ist selten einfach, oft schwer zu führen und auch nicht immer angenehm. Die Erwartungen an solche Unterhaltungen sind meist hoch: bitte reflektiert bleiben, möglichst sachlich an ein Thema herangehen, miteinander statt gegeneinander diskutieren. Und trotzdem geht einem irgendwo in der Mitte oft die Geduld aus, Emotion übernimmt, man will Recht behalten, die eigene Meinung durchsetzen und geht im schlimmsten Fall im Streit aus einem Gespräch, das eigentlich eine in sich abgeschlossene Diskussion hätte bleiben sollen. Und weil auch die besten (Sach-) Argumente noch keine Garantie für ein gelungenes Gespräch sind, eine rein fachliche Herangehensweise nicht einmal in einer Bundestagsdebatte immer eine realistische Überlebenschance hat und wir trotzdem in einer Demokratie ständig damit beschäftigt sind, andere für unsere Überzeugungen zu gewinnen, nähern wir uns doch zunächst einmal der Grundfrage: Wie kann ich überhaupt mit einer Person diskutieren, die eine andere Meinung vertritt als ich?
Den Kontext kennen und eigene Ziele definieren
Eine pauschale Garantie dafür, dass eine Diskussion gut verläuft, wenn man X oder Y tut, gibt es natürlich nicht. Das jeweilige Gegenüber und der Kontext, in dem ein Gespräch, ein Streit, eine Debatte stattfindet, bestimmen jedes Mal neu, unter welchen Bedingungen ein Gespräch abläuft. Man spricht mit Fremden auf der Straße oder an der Supermarktkasse anders als mit der Kollegin im Büro oder dem eigenen Kind zu Hause.
Die eigenen Ziele zu kennen kann helfen, eine Diskussion – egal welcher Art – vorzubereiten bzw. sich im Gespräch besser gewappnet zu fühlen. Wir landen schnell in verhärteten gegensätzlichen Positionen, weil wir uns selbst nicht klar sind, was wir von einem Gespräch wollen, ob wir es überhaupt wollen oder auch, warum wir es eigentlich führen. Der Philosoph und Argumentationstrainer David Lanius forscht zu konstruktivem Diskurs und Populismus und hält es für einen Fehler, ohne eigene Absicht in ein Gespräch zu gehen: »Oft reagieren wir einfach und haben dabei gar kein definiertes eigenes Ziel für ein Streitgespräch. Besser ist es, sich selbst bewusst zu machen, was man eigentlich mit einer Auseinandersetzung zu bestimmten Themen vorhat. Dabei hilft es, an der eigenen Haltung zu arbeiten.«1
Eine konstruktive Haltung einnehmen
Unsere persönliche Haltung kann den Verlauf und den Ausgang einer Diskussion stark beeinflussen. Der erste Impuls in einer Auseinandersetzung mit einer Person, die meine Meinung nicht vertritt, ist oft: Was die Person sagt, ist falsch, das ist aus meiner Sicht unmoralisch, das muss ich richtigstellen. Wie geht man also am besten vor? Lanius empfiehlt das Prinzip des interpretativen Wohlwollens: »Das bedeutet, das Gegenüber im bestmöglichen Sinne verstehen zu wollen. Ich gehe also mit der wohlwollenden Erwartungshaltung in ein Gespräch, dass mein Gesprächspartner etwas Sinnvolles zu sagen hat.« Was nicht hilft: sich sofort auf alles zu stürzen, was nach einem möglichen Fehler aussieht. Teil der eigenen Haltung kann es nämlich auch sein, jedes Gespräch als Gelegenheit, etwas Neues zu lernen, zu sehen. Anzuerkennen, dass beide Gesprächspartner voneinander lernen können oder zumindest dass man das Gegenüber und dessen Argumente näher kennenlernen kann. Ein mögliches Ergebnis ist, dass man die andere Seite besser versteht. Das bedeutet nicht, dass man alles akzeptieren muss, was das Gegenüber sagt. Aber wenn da etwas Valides kommt, sollte man auch bereit sein, etwas dazuzulernen.
Klingt erstmal schwierig? Kann aber auch für die eigene Überzeugungsarbeit dienlich sein: Wer versteht, warum das Gegenüber auf eine bestimmte Weise argumentiert, lernt auch, was gute Gründe für die eigene Position sein könnten. Man sollte Gegenargumente also – idealerweise – nicht nur als Angriff wahrnehmen, sondern als potenzielle Lernchance, wie man die eigene Position stärken kann, um sie halten zu können. Oder: wie man sie aufgibt. Für Lanius ist klar: »Man sollte grundsätzlich bereit sein, seine eigene Position auch aufzugeben, wenn es sinnvolle Gegenargumente gibt.« Selber zu so einer Einsicht zu gelangen oder sie beim Gegenüber zu erreichen ist tatsächlich eine große Erwartung an ein Gespräch. Aber ausschließen sollte man es nicht.
Psychologische Effekte bedenken
Neue Informationen können wir alle gebrauchen. Aus der Psychologie wissen wir aber: Menschen neigen dazu, sich ihre Informationen so auszuwählen, zu gewichten und zu deuten, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen. Das nennt man den »confirmation bias«, zu Deutsch: »Bestätigungsfehler«. Um aber nicht ständig nur unser eigenes Weltbild weiter zu bestätigen, müssen wir uns auch anderen Meinungen und Argumenten aussetzen. Eigene Auffassungen zu hinterfragen ist nie ganz einfach. Erstmal davon auszugehen, dass das Gegenüber mit seiner Meinung nicht automatisch völlig falschliegt, kann allerdings helfen, nicht gleich in alte Denkmuster zu verfallen.
In der Realität wollen wir die Person, die eine andere Meinung vertritt, trotzdem meistens von unserer Meinung überzeugen. Das ist auch nicht erstaunlich, wir Menschen sind nämlich psychologisch darauf gepolt, Informationen, die nicht zu unseren Überzeugungen passen als Störfaktoren zu empfinden – und abzulehnen. Das nennt man »kognitive Dissonanz«. Psychotherapeutin Miriam Junge beschreibt diesen Effekt als einen Zustand, »der in uns Widerwillen hervorruft, den wir als unangenehm empfinden und aus dem wir – logischerweise – versuchen herauszukommen. Das tun wir dann, in dem wir uns Sachen schönreden, Tatsachen verdrehen, Argumente unseres Gegenübers widerlegen wollen.«2 Sprich: Wir tun alles, damit das Gefühl der Dissonanz verschwindet. Was vornehmlich dazu führt, dass wir das Gegenüber direkt mit der eigenen Meinung konfrontieren und mit eigenen Argumenten »zuballern«. Wir haben ja so viele gute Belege für unsere Meinung und gefühlt natürlich auch Recht, also gilt doch sicher, je mehr desto besser? Nein. So eine Strategie kann nur scheitern. Reines Argumente-Pingpong hat für keine Seite einen Mehrwert. Der sogenannte »Backfire-Effekt« kann im schlimmsten Fall sogar dafür sorgen, dass Menschen ihre Überzeugungen als Reaktion auf diese vielen Gegenargumente nicht etwa ändern, sondern sogar noch verfestigen. Klar ist: Die eigene Überzeugung, das eigene Weltbild gibt niemand leichtfertig auf. Erst recht nicht, wenn man sich mit der eigenen Meinung in einem Gespräch nicht ernst genommen oder sogar abgewertet fühlt.
Was muss man bei Internetdiskussionen bedenken?3
Besonders für eine Diskussion im Internet hilft es, bestimmte psychologische Effekte im Hinterkopf zu haben. Denn negatives, toxisches Online-Feedback untergräbt viele unserer wichtigsten psychischen Grundbedürfnisse: Wir wollen ein positives Selbstbild haben, wir sind soziale Wesen und möchten dazugehören, wir wünschen uns Sicherheit und haben gerne die Kontrolle.
Warum schreiben Menschen überhaupt schreckliche Sachen ins Netz?
Sie haben ein subjektives Bedrohungsgefühl (der Hass dient hier als vermeintlich notwendige Gegenwehr gegen diese Bedrohung). Menschen, die strategisch Hass schüren, setzen deshalb vorrangig auf Angst- und Katastrophenszenarien.
Sie fühlen sich hilflos und in ihren Bedürfnissen übersehen.
Sie wünschen sich Zugehörigkeit und übernehmen daher unreflektiert Feindbilder und Verhaltensweisen einer Gruppe. Diese belohnt sie dafür mit Anerkennung, isoliert sie von gegenteiligen Meinungen und unterdrückt eine echte Auseinandersetzung.
Sie leben einen Machtwunsch aus, wollen ihren eigenen Selbstwert erhöhen. Es handelt sich um einen Ausdruck von Sadismus oder Psychopathie.
Psychologische Effekte können so ein Verhalten verstärken:
Der »confirmation bias«, also die Suche nach Informationen, die nur die eigene Überzeugung bestätigen.
Der Ingroup/Outgroup-Effekt: Man entmenschlicht als anders empfundene Gruppen und wertet diese ab.
Dunning-Kruger-Effekt: Menschen, die eigentlich wenig Ahnung von einem Thema haben, glauben, sehr viel Ahnung zu haben. Aufgrund des mangelnden Wissens ist keine differenzierte Meinung zum Thema vorhanden.
Mediale Effekte spielen auch eine Rolle:
Online-Enthemmung: Weil ich mein Gegenüber nicht sehe, habe ich eine größere Distanz und daher auch weniger Empathie oder Hemmung, Gewalt auszuüben – das Gegenüber wird schneller zur Projektionsfläche.
Echokammer: Eine Situation, in der Menschen nur noch Informationen finden, die ihre bereits vorhandenen Ansichten verstärken.
Broken-Windows-Effekt: Der besagt, dass harmlose Übertretungen wie zum Beispiel das Liegenlassen von Abfall den Boden für weit schlimmere Taten bereiten können, weil sie das Gefühl erzeugen, eine Situation sei außer Kontrolle geraten und niemand werde mehr für irgendetwas zur Rechenschaft gezogen. Das kann im schlimmsten Fall zur Verschiebung sozialer Normen führen. Im Online-Kontext bedeutet dies, dass in unmoderierten digitalen Räumen das Gefühl für bereits verhandelte soziale Normen (wie zum Beispiel Höflichkeit) verloren geht.
Zuhören und selber sachlich bleiben
Einen Ansatz, wie man sinnvoll Kritik äußert, hat der Philosoph Daniel Dennett in Anlehnung an den Sozialpsychologen Anatol Rapoport aufgestellt: Bevor man auf eine Aussage des Gegenübers mit einer eigenen Aussage reagiert, sollte man erst einmal dessen Aussage wiederholen, dann Gemeinsamkeiten finden und herausstellen und aufzeigen, was man aus der Aussage des Gegenübers gelernt hat. Erst danach kann man in einem vierten Schritt selbst Kritik an der Aussage üben.4 Der Vorteil laut Dennett: Das Gegenüber fühlt sich gehört und ist eher bereit, einem Gehör zu schenken. Was man mit so einer Strategie auf jeden Fall vermittelt: die eigene Bereitschaft zuzuhören. Durch die Wiederholung kann man sicherstellen, dass man die Gesprächspartnerin oder den Gesprächspartner wirklich verstanden hat und nicht nur das bei einem hängenbleibt, worauf man sowieso antworten will.
Man kann auch einen Schritt weitergehen und nochmal nachfragen, ob sich die Person korrekt wiedergegeben fühlt: »Ist es das, was du meinst/was Sie meinen?« Mit der eigenen Antwort kann man sich dann auf das tatsächlich Gesagte konzentrieren und so beim Thema bleiben. Wichtig ist natürlich außerdem, die eigene Kritik sachlich zu formulieren und dabei falsche Informationen zu korrigieren oder Widersprüche aufzuzeigen. Und dabei nie vergessen: Vor Vorurteilen ist keiner von uns gefeit. Vorurteile sind vorschnelle Urteile, die wir über andere Gruppen entwickeln, positive wie negative. Wie das passiert? Der Mensch kategorisiert, das hilft dabei, sich einen Überblick zu verschaffen und Situationen einzuschätzen. Wir stecken andere Personen dementsprechend in vorgefertigte Schubladen. Das passiert automatisch, quasi auf »Autopilot«. Nach welchen Merkmalen wir diese Kategorien allerdings sortieren, ist uns nicht vorgegeben.
(Offene) Fragen stellen und nicht moralisch werden
Einen besseren Einblick, wie das Gegenüber tickt, bekommt man, wenn man ihr oder ihm konkrete, offene Fragen stellt. Warum jemand etwas so oder so sieht. Oder auch wie das Gegenüber eine bestimmte Situation beurteilt. Manchmal kann man durch eine Frage auch verhindern, selbst zum belehrenden Moralapostel zu werden. Indem man zum Beispiel umformuliert und einfach fragt: »Haben Sie schon mal selbst erlebt, dass …?« So kann man etwa auch für pauschalisierende Aussagen konkrete Beispiele einfordern. Fragen stellen kann auch beim Perspektivenwechsel helfen, denn wenn es gelingt, sich in die Situation einer anderen Person hineinzuversetzen, können wir auch leichter Empathie für deren Situation aufbringen: »Wie würden Sie sich fühlen/wie würde es Ihnen gehen, wenn …« Und: Wenn mein Gegenüber eigene, persönliche Erfahrungen in die Diskussion einbringt, sollten diese ernst genommen werden – sonst kann eine Versachlichung kaum gelingen. Grundsätzlich gilt: Wer Fragen stellt, muss natürlich mit Antworten rechnen und bereit sein, auf diese einzugehen.
Rhetorische Ausweichmanöver (er)kennen
Es gibt verschiedene Rhetorikmanöver, die ein Gespräch in eine unerwünschte Richtung laufen lassen (können). Nicht immer werden sie absichtlich eingesetzt, manchmal aber doch. In jedem Fall ist es sinnvoll, sich bewusst zu machen, dass es solche Manöver gibt, und einige davon zu kennen, damit man nicht darauf reinfällt, egal ob sie bewusst oder unbewusst eingesetzt werden. Zwei anschauliche Beispiele (einige mehr finden sich in den Folgekapiteln) für Argumentationsstrategien, die eine Diskussion ad absurdum führen können, sind das Strohmann-Argument und der sogenannte Whataboutism.
Das Strohmann-Argument
Bei Diskussionen geht es ja oft darum, die Emotionen nicht hochkochen zu lassen. Das fällt besonders schwer, wenn einem das Gegenüber einen Standpunkt unterstellt, den man so gar nicht geäußert hat. Das nennt man ein Strohmann-Argument: Man interpretiert die Argumentation seines Gesprächspartners falsch, verdreht sie vielleicht sogar absichtlich und zieht daraus dann einen falschen Schluss. Und schon stecken beide Parteien mitten in einem Streitgespräch über ein Thema, über das die eine Seite gar nicht sprechen wollte, weil sie es so nicht geäußert hat. Ein Beispiel:
Politiker X: »Wir möchten an einem Tag in der Woche fleischfreies Essen in öffentlichen Kantinen anbieten.«
Politikerin Y: »Wir werden bevormundet, Fleisch soll in Deutschland verboten werden!«
Das ist ein klassisches Strohmann-Argument: Nach der ursprünglichen Aussage sollte niemand bevormundet und keinem Fleisch verboten werden. Das angewandte Strohmann-Argument von Politikerin Y verändert aber das Thema. Wenn Politiker X jetzt auf dieses Argument eingeht, bestätigt er damit quasi die Darstellung des Strohmann-Arguments.
Diese Argumentationsstrategie ist auch deshalb ein Problem, weil sie zum Teil zwar bewusst verwendet wird, oft aber unabsichtlich zum Einsatz kommt, ohne dass die Verwendenden das selbst merken. Häufig sogar, ohne dass beide Parteien es merken. Die eine Person sagt etwas, das Gegenüber versteht es anders, die erste Person wiederum fühlt sich dann in der Pflicht auf das falsch Verstandene zu reagieren, obwohl es sich gar nicht auf ihre ursprüngliche Aussage bezieht. Man reagiert also in einer Gesprächssituation auf einmal auf ein neues Argument, um das es vorher gar nicht ging. Was man sich merken kann: Man kann das Argument des Gegenübers natürlich absichtlich verdrehen, um es angreifbarer zu machen. Das passiert aber auch unabsichtlich. Weil man sich gegenseitig nicht richtig zuhört. Weil man von Anfang an nur das hört, was man hören will – oder eben gar nicht zuhört und inhaltlich direkt das angeht, was man vom Gegenüber sowieso erwartet. Egal ob es gesagt wurde oder nicht. Hier muss also jeder auch bei sich selbst aufpassen, nicht rhetorisch fehlzumanövrieren.
Whataboutism
Die Strategie ist simpel: Man versucht, die Aussage des Gegenübers durch eine Gegenaussage, die vom eigentlichen Thema wegführt, zu relativieren.
Person 1: »Rechtsextreme zünden Flüchtlingsheime an!«
Person 2: »Ja, aber was ist mit Linksextremisten, die Autos anzünden?«
Das eigentliche Thema geht dabei unter. Aber: Nur, weil jemand anderes schlimmer handelt oder eine andere Situation ebenfalls schlimm ist, wird das eigentlich behandelte Thema nicht weniger wichtig oder die eigentlich im Vordergrund stehende kritisierte Handlung nicht legitimer. Was tun? Beim eigentlichen Thema bleiben, auf die Whataboutism-Taktik hinweisen und sich nicht ablenken lassen.
Grenzen ziehen und menschlich bleiben
Grundvoraussetzung für eine Auseinandersetzung, gerade über gesellschaftspolitische Themen, ist es, Grenzen zu ziehen, die nicht überschritten werden sollten. So weiß man, bis zu welchem Punkt ein Gespräch lohnt und es für einen selbst sinnvoll bleibt. Diese roten Linien zieht jeder für sich, sie sind personen-, kontext- und situationsabhängig. Es gibt aber auch Grenzen, die, sagen wir mal, einen gewissen Allgemeingültigkeitsanspruch erfüllen.
Eine solche Grenze ist zum Beispiel die Einhaltung der Meinungsfreiheit. Denn auch ein Klassiker wie »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« hat Grenzen. Diese zu erkennen ist nicht immer einfach. Nicht alles, was man sagt, ist eine Meinung. In der Regel geht es oft darum, zu unterscheiden, ob jemand wirklich seine Meinung äußert oder ob es sich um eine Tatsachenbehauptung handelt. Auch Beleidigungen und Verleumdungen von Meinungen abzugrenzen kann sich als schwierig erweisen. Nicht alles, was man selbst als Beleidigung auffasst, ist etwa vor Gericht auch eine. Eine Verleumdung kann es dann sein, wenn jemand absichtlich über andere eine unwahre, ehrverletzende Behauptung in die Welt setzt. Manche Aussagen sind aber auch klar strafbar. Volksverhetzung ist zum Beispiel in Deutschland ein Straftatbestand. Darunter fällt unter anderem die Herabwürdigung einer klar abgegrenzten Gruppe. Manche Beschränkungen der Meinungsfreiheit lassen sich wiederum sehr klar aus der deutschen Geschichte erklären: Die Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes ist verboten. Den Holocaust zu billigen, zu verharmlosen oder zu leugnen, fällt in Deutschland nicht unter freie Meinungsäußerung und wird bestraft. Den Hitlergruß zu zeigen, ebenso.
Es ist also nicht immer leicht, die Grenzen unseres Rechts auf Meinungsäußerung zu verstehen, oft sind sie fließend. Während die einen schon Zensur schreien, ist für andere bereits eine Grenze überschritten. Eine Grenze, die ich persönlich ziehe, findet sich im ersten Artikel des Grundgesetzes. »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Die Menschenwürde sollten wir immer im Hinterkopf haben und bereit sein, uns im Zweifel für sie einzusetzen. Egal ob es sich um eine Online-Diskussion handelt, in der Geflüchteten auf dem Mittelmeer oder einem Politiker der Tod gewünscht wird oder um einen (verbalen) rassistischen Angriff auf eine Person, mit der ich im gleichen U-Bahn-Wagen sitze.
Wir sollten und müssen menschlich bleiben, egal worüber wir diskutieren, egal unter welchen Bedingungen wir miteinander sprechen, egal welche Vorkenntnisse wir haben. Dazu gehört, nicht zu vergessen, dass auch im Netz (wenn es sich nicht gerade um Bots handelt) Menschen agieren. Und dazu gehört – offline wie online –, dem Gegenüber zuzuhören. Bei sich selbst Empathie für die vielleicht konträren Meinungen anderer zu wecken (und aufrechtzuerhalten) ist nicht immer einfach. Aber mit einer offenen Haltung ins gemeinsame Gespräch zu gehen, kann ein Anfang sein.