John Cabot (ca. 1450 - ca. 1499) wurde als Giovanni Caboto in Genua geboren. Ab 1461 war er Bürger Venedigs. Ab 1496 lebte er in Bristol, wo er, wie viele andere Seefahrer, hoffte, von der englischen Krone unterstützt zu werden. 1497 brach er mit nur einem Schiff auf, um einen neuen Seeweg nach Asien zu finden. Es ist bis heute nicht geklärt, ob sein damals zwölfjähriger Sohn Sebastian ihn auf dieser ersten Reise begleitet hat.
Sebastian Cabot (1472 - 1557)
Nach dem Tod seines Vaters trat Sebastian zwischen 1512 und 1516 abwechselnd in englischen und spanischen Dienst als Kartograph und Kapitän. Ab 1522 wurde er Mitglied des Indienrates und Chefpilot der Flottenakademie in Spanien.
Egon Larsen (1904 - 1990)
Lange u.a. für die Süddeutsche Zeitung tätig und Fellow des internationalen PEN, publizierte er auch zahlreiche Sachbücher, die in 27 Sprachen übersetzt wurden.
ie auch Christopher Kolumbus betritt der Seefahrer John Cabot als erster Europäer nordamerikanisches Festland in der Überzeugung, einen neuen Seeweg nach Indien gefunden zu haben. Als John Cabot 1498 unter mysteriösen Umständen den Tod auf See findet, tritt sein Sohn Sebastian Cabot in die Fußstapfen seines Vaters. Obwohl als ausgezeichneter Kartograph geschätzt, sieht er sich immer wieder mit Intrigen konfrontiert, die schließlich im versuchten Hochverrat an der spanischen Krone gipfeln. Während von John Cabot gar keine schriftlichen Aufzeichnungen vorliegen, hat sein Sohn der Nachwelt immerhin einen kleinen Schriftennachlass vermacht. Mit dessen Hilfe sowie anhand verschiedener alter Quellen gelingt es dem Herausgeber Egon Larsen, ein vielschichtiges und differenziertes Bild dieser beiden ungewöhnlichen und zu Unrecht nur Eingeweihten bekannten Forscher zu zeichnen.
eute werden die Namen Christopher Kolumbus und Amerigo Vespucci mit der Entdeckung von Amerika verbunden. John Cabot ist lediglich Eingeweihten bekannt. Doch war er es, der als erster Europäer der Neuzeit nordamerikanisches Festland betrat. Als sein Sohn Sebastian Cabot nach dem Tod seines Vaters auf der Suche nach Reichtum und Ruhm das nautische Erbe seines Vaters antreten will, scheitert er an seinem eigenen Ehrgeiz und fällt schließlich in Ungnade. Erst Jahre später erhält er eine letzte Möglichkeit, sich zu beweisen: Er soll für England die erste Handelsbeziehung mit Russland eröffnen und eine Nordostpassage nach China und Japan finden. Die Namen John und Sebastian Cabot stehen heute für die Anfänge der neuzeitlichen Eroberung der ‚Neuen Welt’, die Gründung Kanadas und der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die Geburtsstunde des Commonwealth.
Sebastian Cabot im Alter
und die Expeditionen nach Südamerika
und in das Nördliche Eismeer
1497
Herausgegeben aufgrund alter
Quellen von Egon Larsen
Mit 15 Abbildungen und 12 Karten
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Der Text basiert auf der Ausgabe Edition Erdmann, Wiesbaden 2012
Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
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eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0283-3
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I. | Die Cabots in Bristol |
II. | Das neu gefundene Land |
III. | Sebastians Aufstieg |
IV. | Missglückter Hochverrat |
V. | Sebastian Cabot am Silberfluss |
VI. | Ein Deutscher unter Kannibalen |
VII. | Sebastian Cabot und die Moskau-Gesellschaft |
VIII. | Besuch bei Iwan dem Schrecklichen |
Dokumente
Kurzbiographien
Bibliographie
Erläuterungen zu den Abbildungen
IM JAHRE 1453 begann Johannes Gutenberg in Mainz mit dem Setzen des ersten Buchs, der Bibel, die er nach der von ihm erfundenen Methode der gegossenen, beweglichen Lettern herstellte. Und 40 Jahre später – eine verhältnismäßig kurze Zeit in jener Epoche der langsamen internationalen Verständigungsmöglichkeiten – erregte eine kleine Druckschrift das größte Aufsehen in ganz Westeuropa und trug, wie wir heute erkennen, wesentlich zur Ablösung des Mittelalters durch die Neuzeit bei.
Diese Schrift war der »Kolumbus-Brief«. Der Entdecker der Neuen Welt jenseits des Atlantiks hatte das umfangreiche Tagebuch, das er auf seiner ersten Reise im Jahre 1492 geführt hatte, auf ein paar Seiten gekürzt, die alle wesentlichen Daten seiner historischen Fahrt enthielten und auch für den Laien verständlich waren. Damit wollte er wohl die verschiedenen, oft phantastischen Berichte und Gerüchte, die im Abendland über seine Fahrt umliefen, korrigieren; was er aber auslöste, war eine Welle von Entdeckungsreisen, die nun, da die Tatsachen schwarz auf weiß vorlagen, von mehreren Ländern aus begannen. Das lockende Ziel war vor allem, einen westlichen Seeweg nach Indien, China und Japan zu finden, um Gold und Silber und Gewürze nach Europa heimzubringen und die Konturen und Kolonisierungsmöglichkeiten jener mysteriösen Länder jenseits des Ozeans zu erforschen. Kolumbus glaubte, er habe Ausläufer von Indien erreicht, und so nannte man die Neue Welt »Westindien«.
Die Schnelligkeit, mit der dieser Kolumbus-Brief im Druck verbreitet wurde, war erstaunlich. Der Entdecker selbst hatte ihn nur ein paar Monate nach seiner Rückkehr verfasst, und schon 1493 erschien er in Barcelona, Rom, Paris und 1494 in Basel; die erste deutschsprachige Ausgabe kam allerdings erst 1497 in Straßburg heraus.
Unter den Seefahrern, die von diesem Brief zu eigenen Plänen inspiriert wurden, war auch ein anderer Mann aus Genua, wahrscheinlich um 1445 – also ein paar Jahre vor Kolumbus – in dieser hübschen, wenn auch damals nicht sehr bedeutenden Hafenstadt geboren. Er hieß Giovanni Caboto. Über seine Familie und Jugendzeit weiß man nichts, außer dass er schon mit etwa 15 Jahren nach Venedig auswanderte. Es scheint, dass er zu ehrgeizig war, um sich mit den beschränkten Aussichten eines jungen Burschen auf eine Laufbahn in Genua zufriedenzugeben. Venedig – das war etwas ganz anderes! Dieser Stadtstaat war der mächtigste und prächtigste am ganzen Mittelmeer, mit Kolonien und Niederlassungen, Handelsverbindungen und Einflussgebieten von einer Ausdehnung, wie sie nur das Römische Imperium im Altertum besessen hatte. Venedigs Stärke und Hauptquelle seines Reichtums war der Handel mit dem Orient, betrieben und beschützt von seiner glänzend ausgerüsteten Flotte.
Die anderen Stadtstaaten Italiens waren natürlich eifersüchtig auf Venedigs Macht und Reichtum, und so herrschte in der »Königin der Adria« eine auf der Furcht vor Invasion und Intrigen fußende Fremdenfeindlichkeit. Und als Ausländer galt auch der junge Mann aus Genua, Venedigs Rivalin. Man legte ihm allerhand Schwierigkeiten in den Weg, als er das Bürgerrecht und damit die Handelserlaubnis erwerben wollte. Erst 1476 erhielt er sie endlich, und nun konnte er Handelsreisen unter venezianischer Flagge antreten.
Er besuchte alle Hafenstädte im östlichen Mittelmeer und kam auf dem Landweg bis nach Mekka. Das war nicht nur die Heilige Stadt der Mohammedaner, sondern auch die Endstation vieler Gewürzkarawanen, von deren Führern Caboto herauszubekommen suchte, wo sie ihre in Europa hochbegehrten und hoch bezahlten Waren herhatten. Die Antworten, die er erhielt, waren absichtlich irreführend; oft sagte man ihm, die Gewürze stammten »aus dem Nordwesten«. Auch in Alexandria, Zypern, Konstantinopel und den Umschlaghäfen von Syrien und Palästina bekam er keine realistische Auskunft.
Tatsächlich kamen die Gewürze zum Teil aus China, vor allem aber von den Molukken, den indonesischen »Gewürzinseln«. Sie wurden zumeist von Karawanen durch Turkestan nach Astrachan am Kaspischen Meer gebracht, von hier vielfach per Schiff nach Persien und dann wieder mit Karawanen durch Syrien nach Dschidda am Roten Meer und Mekka transportiert. Von dieser komplizierten Reiseroute erfuhr Caboto nichts, aber die Vorstellung, dass die Gewürze irgendwo aus dem »Nordwesten« stammten, das heißt aus Cathay (China) und Cipangu (Japan), hatte sich in ihm festgesetzt. Dorthin, so kalkulierte er, musste es wohl eine »nordwestliche Passage« jenseits des Atlantiks geben. Aus dieser Vorstellung ergab sich das – zunächst nur traumhafte – Ziel der Reisen, die er für die Zukunft plante. Was ihm vorschwebte, war die Entdeckung einer kürzeren Route von Europa nach dem asiatischen Kontinent, um die Gewürze direkt, und damit wesentlich billiger, aus ihren Ursprungsländern zum abendländischen Absatzmarkt zu bringen. Daher studierte er den Brief des Kolumbus mit besonderem Eifer.
So fasste er die vielen Jahre, die er auf venezianischen Schiffen verbracht hatte, als Trainingszeit für das große Vorhaben auf. Er musste die Navigation mit Hochseeschiffen auf offenem Meer beherrschen, er musste aber auch finanziellen Rückhalt haben; er erkannte jedoch, dass sich Venedig dafür nicht eignete. Denn hier waren die Schiffskapitäne zumeist auch die Schiffseigentümer, die über große Vermögen verfügten; die Nobili hatten die Handelsschiffe fest in ihren Händen, und die Regierung des Stadtstaates, der »Rat der Zehn« mit dem Dogen an der Spitze, sah strikt darauf, dass kein Fremder ihnen mit irgendwelchen abenteuerlichen Plänen ins Handwerk pfuschte. Mit finanzieller Unterstützung konnte Caboto also in Venedig nicht rechnen, und er beschloss, sich ein anderes Land, einen anderen Ausgangshafen für sein großes Projekt zu suchen.
Er hatte 1472 geheiratet, und seine Gattin hatte ihm drei Söhne geboren, von denen er erwartete, dass sie einst in seine Fußstapfen treten würden. Zu Beginn der Neunzigerjahre hatten Luigi, Sebastiano und Soncio schon fast das Alter erreicht, in dem man sie auf Entdeckungsfahrten mitnehmen konnte. Zunächst unternahm der Vater Reisen nach Spanien und Portugal, um von Königen und Kaufherren die Unterstützung zu erhalten, die man kürzlich seinem genuesischen Landsmann Kolumbus gewährt hatte. Aber in offiziellen und kommerziellen Kreisen war dessen Expedition als Fehlschlag angesehen worden; er hatte in »Westindien« weder Gewürze noch Schätze oder gar Absatzmärkte für europäische Erzeugnisse entdeckt. Caboto stieß mit seinem Projekt auf taube Ohren, und so reiste er weiter nach England.
Ausschnitt einer Karte von Sebastian Cabot
Auf den ersten Blick schienen auch dort seine Aussichten nicht besser zu sein. Dieses Inselreich, das im 18. und 19. Jahrhundert das größte Empire seit dem der Römer errichten und beherrschen sollte, war um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit das auf maritimem Gebiet rückständigste Land Westeuropas. Die umwälzende Entdeckung einer neuen Welt jenseits des Atlantiks war ja von der Iberischen Halbinsel aus erfolgt, und selbst der schlüssige Beweis, dass die Erde rund war, ließ die Engländer ziemlich kalt – ja, er wurde unter der Bevölkerung immer noch angezweifelt.
Dazu kam, dass interne Kämpfe um die Thronfolge, wie der jahrzehntelange »Rosenkrieg« der Häuser York und Lancaster, die Gemüter wesentlich mehr erregten als Möglichkeiten, die sich den Europäern nun plötzlich irgendwo auf fernen Inseln und in unbekannten Ländern abseits der längst eingefahrenen Handelsrouten zu öffnen schienen. Mochten sich die Spanier und Portugiesen ihre Zähne an solchen kostspieligen Abenteuern ausbeißen! Richard Hakluyt, der führende englische Historiker des 16. Jahrhunderts, kritisierte seine Landsleute zur Zeit von Kolumbus als ein Volk, das »in stupider Besorgnis um die eigene Sicherheit derartige Unternehmen missachtete«; die Berichte darüber, die in England zirkulierten, seien »schändlich verfälscht und über alle Maßen verurteilend« gewesen.
Giovanni Caboto wusste nichts von diesen Umständen, diesen schlechten Aussichten für seinen großen Plan, als er samt Frau und Söhnen nach England umsiedelte. Er wählte Bristol an der Südwestküste des Landes als neues Standquartier. Diese Hafenstadt, mit freiem Zugang zum Atlantik, war für Seefahrer und internationale Händler von größerer Bedeutung als London; von Bristol aus segelten die Handelsschiffe nach allen Häfen Europas – sogar bis Island, mit dem im 15. Jahrhundert ein lebhafter Handel getrieben wurde: englische Stoffe, Wolle und Salz gegen Fische und vulkanischen Schwefel.
Stadtmitte von Bristol
Aber Entdeckungsreisen überließ man im Allgemeinen lieber den Portugiesen, mit denen Bristol in besonders engen Handelsbeziehungen stand. Portugal hatte seine eigenen Beweggründe für Erkundungsfahrten im Atlantischen Ozean. Lange Zeit hindurch, als die Mauren fast die ganze Iberische Halbinsel beherrschten, glaubten die Portugiesen an die Möglichkeit, diese Feinde »vom Rücken her« zu fassen, das heißt durch ein militärisches Umgehungsmanöver von der westafrikanischen Küste aus; dazu brauchte man Stützpunkte im Atlantik, wie Madeira und die von den Portugiesen bereits gefundenen Azoren. Als weitere Ziele schwebten ihnen die Entdeckung der »Insel der Sieben Städte« und der »Insel Brasilia« vor.
Das erste dieser Ziele hatte eine merkwürdige sagenhafte Geschichte. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts setzten sich die aus dem Nahen Osten vertriebenen Omaijaden in Spanien fest und gründeten das Kalifat von Córdoba. Um der drohenden Verfolgung durch diese »Ungläubigen« zu entgehen, sollen sieben Bischöfe mit mehreren stark bemannten Schiffen aus Portugal geflohen sein und sich auf einer »entfernten Insel« niedergelassen haben. Jeder der Bischöfe gründete dort seine eigene »Stadt«; aus Sicherheitsgründen wurden die Schiffe verbrannt. Erst um 1430, zur Zeit des portugiesischen Infanten Heinrich, genannt der Seefahrer, wurde ein von Oporto gestartetes Schiff vom Sturm angeblich an diese »Insel der Sieben Städte« verschlagen; dort seien die Ankömmlinge von den Siedlern geprüft worden, ob sie auch wirklich Christen seien. Aber die Seeleute wurden misstrauisch und befürchteten, man werde auch ihre Schiffe verbrennen und ihnen den Rückweg abschneiden; so fuhren sie schleunigst zurück und berichteten dem königlichen Prinzen Heinrich von ihrer Entdeckung. Er verlangte von ihnen, sie sollten nochmals zu jener Insel fahren, aber sie weigerten sich.
Später brachen noch weitere portugiesische Expeditionen auf, um die Insel zu suchen, kehrten aber erfolglos zurück. Man nahm schließlich an, es habe sich wohl um eine Azoreninsel gehandelt, die bei der Entdeckung der Inselgruppe im Jahre 1427 nicht eingehend erkundet worden sei. Doch die Sage von den »Sieben Städten« hielt sich weiter und tauchte immer wieder in den atlantischen Projekten auf.
Noch vager waren die Geschichten, die man sich in Portugal von der »Insel Brasilia« erzählte. Auf den Seekarten vom 14. Jahrhundert an findet man sie an den verschiedensten Punkten verzeichnet. Selbst nach der Landung des portugiesischen Seefahrers Cabral in Südamerika im Jahre 1500, und zwar im wirklichen späteren Brasilien, ging die Suche nach der Sageninsel weiter. Aber auch in Bristol, das von seinen Handelspartnern über deren Projekte auf dem Laufenden gehalten wurde, rüstete man 1480 eine von dem englischen Seefahrer John Day geleitete Expedition nach »Brasilia« aus. Sie verlief ergebnislos – was das Interesse der Bristoler Handelsherren an transatlantischen Abenteuern nicht gerade förderte.
Bristol war voller Menschen aus verschiedenen Ländern, einschließlich Italienern (oder »Lombarden«, wie man sie im Volk nannte). Caboto, der um 1495 eintraf, wusste also, dass er hier kein einsamer, verachteter Einwanderer unter einer feindseligen Bevölkerung sein würde; es gab eine Menge seiner Landsleute, die ihm helfen konnten. Zudem kam er keineswegs als Habenichts – er hatte auf seinen Handelsreisen gut verdient und war von der Unterstützung oder gar Wohltätigkeit der angesehen italienischen Gemeinschaft in Bristol unabhängig. Ihre Hilfe bestand vor allem in guten Ratschlägen.
Schiffsbau im 16. Jahrhundert
Schnellstens Englisch lernen, war der erste gute Rat, den man ihm gab. Zweitens: den Namen ändern; »Cabot« genüge vollkommen, sagte man ihm, und statt Giovanni sollte er sich einfach »John« nennen. Seine Söhne hießen von nun an »Lewis« und »Sebastian« – nur Soncio behielt weiter seinen Vornamen, es gab kein englisches Äquivalent. Man darf annehmen, dass diese drei jungen Leute die neue Sprache wesentlich schneller erlernten als der Vater; Sebastian, wohl der aufgeweckteste von ihnen, war erst zwölf Jahre alt. Mutter Cabot hatte keine Schwierigkeit, die zum Einkaufen und Führen des Haushalts nötigen Worte zu lernen.
Die Ausländer von Bristol waren ein buntes Gemisch, und die Einheimischen hatten sich an sie gewöhnt. Ein ganzer Stadtteil wurde »Cathay« genannt, obwohl seine Bewohner keineswegs alle Chinesen waren, sondern zumeist aus der Levante und Nordafrika stammten. Hier wohnten aber auch Cabots Landsleute, die wichtigste und wohlhabendste Fremdenkolonie von Bristol: die Italiener.
Einer von ihnen, der gute Beziehungen zum Hof von Westminster hatte, half Cabot, eine Petition an den König zu formulieren, und Heinrich VII. – der erste König aus dem Haus Tudor – reagierte mit erstaunlicher Schnelligkeit. Bereits am 5. März 1496 erhielt Cabot den Patentbrief, den er zur Durchführung seines Vorhabens brauchte. Dieses erste Dokument, das uns aus dem Leben der Cabots erhalten geblieben ist, lautet folgendermaßen:
An John Cabot und seine Söhne
Von Seiner Majestät dem König.
Es sei bekannt gegeben, dass Wir, in Unserem eigenen Namen und dem Unserer Nachfolger, Unserem ergebenen John Cabot, Bürger von Venedig, sowie seinen Söhnen Lewis, Sebastian und Soncio und den Erben und Stellvertretern derselben das Recht und die Ermächtigung erteilen und gewähren, nach allen Erdteilen, Gebieten und Küsten der östlichen, westlichen und nördlichen Meere unter Unseren Bannern, Fahnen und Flaggen mit fünf Schiffen oder Fahrzeugen aller Art und Größe … auf ihre eigenen Kosten zu reisen, um Inseln, Länder, Gebiete oder Provinzen der Heiden und Ungläubigen in verschiedenen Erdteilen, die allen Christen vordem nicht bekannt waren, zu finden, zu entdecken und zu erforschen. Wir ermächtigen ferner die Obengenannten, Unsere Flaggen und Hoheitszeichen in irgendwelchen von ihnen neu entdeckten Städten, Siedlungen und Burgen auf den von ihnen gefundenen Inseln oder festem Land zu errichten. Ferner ermächtigen Wir den obengenannten John Cabot und seine Söhne oder deren Erben und Stellvertreter, die von ihnen entdeckten Städte, Burgen, Inseln und Gebiete zu erobern, zu besetzen und zu verwalten als Unsere Vasallen, Gouverneure und Stellvertreter sowie sich für Uns die Regierungsgewalt, Rechtshoheit und das Besitzrecht anzueignen; jedoch sollen die Obengenannten verpflichtet sein, von den auf jeder Reise von ihnen erworbenen Erzeugnissen, Profiten, Einkünften usw. bei jeder Rückkehr zum Hafen von Bristol, zu der sie verpflichtet sind, nach Abzug aller Spesen und Ausgaben ein Fünftel an Uns zu entrichten, entweder in Waren oder Geld …
Heinrich VII.
Ferner garantieren wir den Obengenannten, dass alle Länder, Inseln usw., die von ihnen entdeckt wurden, wie viele es auch sein mögen, von keinem anderen Unserer Untertanen ohne Genehmigung des obengenannten John Cabot und seiner Söhne und Stellvertreter betreten oder besucht werden dürfen, bei Strafe des Verlusts der Schiffe samt Fracht, die es wagen, an den betreffenden neu entdeckten Gebieten anzulegen.
Beglaubigt von …
Unterzeichnet von Uns zu Westminster
am fünften Tag des Monats
März A. D. 1496
von König Heinrich (VII.)
Höchstselbst.
Schiffstyp im 15. Jahrhundert
Zu den vielen Rätseln, die den Historikern von den Cabots hinterlassen wurden, zählt auch die Eile und offensichtliche Bereitschaft des Königs, mit der er ihnen diesen Patentbrief ausstellte, der es John Cabot ermöglichte, finanzielle Unterstützung bei den Kaufherren zu suchen. Dies gelang ihm auch ohne allzu große Schwierigkeiten. Man muss jedoch Heinrichs VII. Vorgeschichte und Charakter in Betracht ziehen, um sein Interesse zu verstehen.
Der mörderische »Rosenkrieg« zwischen den Häusern York und Lancaster, die beide Englands Thron beanspruchten, war 1485 zu Ende gegangen. Den einzigen überlebenden Thronprätendenten aus dem Hause Lancaster, den väterlicherseits der Adelsfamilie Tudor entstammenden Heinrich, hatte man vorsichtshalber schon als jungen Mann in die Bretagne geschickt (zwei Knaben, ebenfalls mögliche Thronprätendenten, waren im Londoner Tower ermordet worden, wahrscheinlich auf Anordnung Richards III.). Sofort nach dem Krieg, der mit der illegalen Krönung Richards endete, stellte sich der nunmehr 28-jährige Heinrich an die Spitze einer Invasionsarmee, landete in England und lieferte Richard eine Schlacht, in der dieser getötet wurde (»Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd!«, zitierte Shakespeare seine letzten Worte).
Heinrich wurde vom Parlament als König bestätigt und erwies sich als geschickter und energischer Herrscher. Es gelang ihm, die rebellischen Adligen aus der Politik auszuschalten – allerdings mithilfe einiger Hinrichtungen – und die neue Dynastie Tudor durch verschiedene Heiraten in seiner Familie zu festigen. Ein Bündnis Englands mit Spanien und auch die Union der Königreiche England und Schottland waren ihm zu verdanken. Er konnte schließlich seinem Sohn, Heinrich VIII., einen starken, zentralisierten Regierungsapparat hinterlassen, und sein Vorausblick brachte England nach einem Jahrhundert innerer Fehden und äußerer Schwächen wieder zu internationalem Ansehen. Seine Unterstützung der Wissenschaft und Künste schaltete England in die große europäische Bewegung der Renaissance ein.