Reitemeier / Tewes · Schnapsidee

JÜRGEN REITEMEIER

WOLFRAM TEWES

Schnapsidee

PENDRAGON

Geschafft! Aus einer „Schnapsidee“ ist ein Buch geworden. Und mehr denn je sind sämtliche Inhalte frei erfunden. Dennoch bedurfte es diesmal aufwändigerer Recherchen als sonst. Schließlich gehört Berlin noch nicht zu Lippe. Und es ist nicht so einfach, den letzten Winkel des Bundestages und der Abgeordnetenbüros zu erkunden. Diese Möglichkeit hat uns der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Blienert, gemeinsam mit der Mitarbeiterin des deutschen Bundestages Sandra Lechelt, eröffnet. Vielen Dank für die wirklich hervorragende Führung, die aufschlussreichen Gespräche und die netten Anekdoten.

Burkhard Blienert war es auch, der uns mit dem altgedienten Bundestagsabgeordneten Jakob Maria Mierscheid bekannt gemacht hat.

Beim Ausmerzen der Fehler haben uns Ille Rinke, Christiane Fischer, Andreas Kuhlmann, Frank Mühlenmeier und Andreas Naumann mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ihr Lieben, herzlichen Dank dafür.

Das Cover-Bild wurde wie immer von Alfons Holtgreve geschnitzt.

Last, but not least, gilt ein großes Dankeschön unseren Ehefrauen. Sie haben uns, großzügig wie sie sind, alle Zeit der Welt eingeräumt, um dieses Buch schreiben zu können.

1

Wie jedes Mal blieb Brenke auch heute vor dem Café Einstein Stammhaus stehen und betrachtete die beiden Stolpersteine vor dem Eingang des Restaurants. Er war Stammgast in dieser Gastronomie, seit er Abgeordneter des Bundestages war. Das Essen war ausgezeichnet, der Service ebenfalls, und im Obergeschoss gab es eine gnadenlos gute Bar.

Vor einigen Jahren war er, nachdem er das Restaurant längere Zeit nicht mehr besucht hatte, über zwei Metallquader gestolpert, die nur ein paar Millimeter aus dem Boden herausragten. Brenke wusste natürlich, was es mit den metallenen Pflastersteinen ganz generell auf sich hatte, doch seit dem Moment, in dem sie ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatten, konnte er sie beim Betreten der Gaststätte nicht ignorieren und einfach über sie hinweggehen. Also beschloss er herauszufinden, warum die Steine des Anstoßes ausgerechnet an dieser Stelle eingelassen worden waren.

Google hatte ihm verraten, dass die im Stile der italienischen Renaissance erbaute Villa dem jüdischen Privatbankier Georg Blumenfeld und seiner Ehefrau Margarete Lucia gehört hatte, bevor das Paar 1939 aufgrund der nationalsozialistischen Rassengesetze enteignet wurde. Georg Blumenfeld nahm sich das Leben, und auch seine Ehefrau beging 1941 „als letzten Akt der Selbstbehauptung“ Selbstmord.

Nachdem Brenke durch diese kleinen Metallsteine auf die traurige Geschichte der ehemaligen Besitzer aufmerksam geworden war, hatte er lange überlegt, ob es sich ziemte, nach der Tragik, die den Blumenbergs widerfahren war, weiterhin den Freuden des Lebens in deren ehemaliger Wohnstätte zu frönen. Brenke hatte sich dazu entschieden, es zu tun. Und jedes Mal, wenn er ins Café Einstein kam, trank er den ersten Whisky nach dem Essen in der Bar Lebensstern in stillem Gedenken an die beiden Blumenfelds und schwor ihnen, alles dafür zu tun, dass diese braune Brut in Deutschland niemals mehr das Sagen bekommen würde. Erst dann wich die Ernsthaftigkeit des Moments der Leichtigkeit, die Brenke seit vielen Jahren für sich in Anspruch nahm. Anderen Menschen wäre seine Angewohnheit vielleicht seltsam vorgekommen, doch außer ihm kannte niemand sein kleines Ritual. Für ihn war es eine passende Umgehensweise mit der tragischen Geschichte der Blumenfelds, die ihm half, sein Leben auf seine Weise weiterzuführen.

Als Brenke damals als junger Abgeordneter nach Berlin gekommen war, hatte er sich für seine Freizeit Orte gesucht, wo er selten oder nie seine Abgeordnetenkollegen aus dem Bundestag traf. Es war ihm natürlich nicht gelungen, doch er hatte sich alle Mühe gegeben. Von dem Café Einstein Stammhaus in der Kurfürstenstraße hatte er gelesen, dass es sich um eine Künstlerkneipe handele. Und da er viele seiner Abgeordnetenkollegen für Banausen hielt, für die Kunst nur dann eine Rolle spielte, wenn ein paar Fotografen und Journalisten in der Nähe waren, hatte Brenke gedacht, in einer Künstlerkneipe würde er den Politikern des Bundestages nicht begegnen. Wie man sich doch irren konnte. Dennoch hatte er das Restaurant mit der wunderbaren Bar in sein Repertoire von besuchenswerten Kneipen aufgenommen.

Heute jedoch war Brenke im Auftrag der Kanzlerin unterwegs, die ihn gegen seinen Willen in den Verteidigungsausschuss geschoben hatte. Seit einigen Monaten musste er sich nun in der Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung Bundeswehr“ gemeinsam mit einem Haufen Militaristen und Lobbyisten den Hintern plattsitzen. An diesem Abend hatten die Männer des einflussreichen Unternehmens Firmness Consulting and Business, kurz FCB, zu einem Arbeitsessen im kleinen Kreis eingeladen. Dazu hatten sie sich ausgerechnet eines von Brenkes Lieblingslokalen ausgesucht, nämlich das Café Einstein Stammhaus. Am liebsten hätte er den Termin unter Angabe von fadenscheinigen Gründen abgesagt, doch die Chefin duldete kein Schwänzen. Nicht in diesem Falle!

„Ich will wissen, welche Rolle der dicke MM spielt!“, hatte die Kanzlerin zu Brenke gesagt. Mit dem Kürzel spielte sie auf Markus Miekatz an, den treusten Staatssekretär der Verteidigungsministerin. „Ich habe es in der Nase. Da wird irgendetwas verhackstückt, das mir nicht gefallen wird.“

Und als Brenke nach diesem Gespräch mit seiner Chefin noch einmal in sich hineinhorchte, stellte er fest, dass auch er ein kleines bisschen neugierig geworden war. Warum hatte man ausgerechnet ihn zu dieser illustren Runde dazugebeten? War der Einfluss der Kanzlerin so groß, dass es ihr gelungen war, einen Mann wie ihn bei einem Treffen einzuschleusen, bei dem er an sich mehr störte als nützte?

Und so saß Brenke nun mit besagtem MM, einem ehemaligen Bundeswehroffizier namens Roland Horn und diesem undurchsichtigen Bernhard Dietz, dem Chef von FCB, zusammen. Das Essen war wie immer vorzüglich gewesen. Und nachdem sie ihren Espresso getrunken hatten, waren sie nach oben in die Bar gegangen. Auf dem Weg dorthin kam ihnen die Schauspielerin Margaritha Bönisch entgegen. Sie schien hoch erfreut, Brenke zu sehen, und begrüßte ihn mit einem Wangenkuss.

„Schön, dich zu sehen. Damit hatte ich jetzt gar nicht gerechnet. Was ist, Rudolf, unternehmen wir noch etwas?“

Während die anderen Männer Brenke so verblüfft anstarrten, als hätte der ihnen gerade offeriert, dass der Etat des Verteidigungsministeriums künftig halbiert werden müsse, grinste dieser nur etwas linkisch und sagte: „Ich muss dir leider einen Korb geben, meine liebe Margaritha. Dienst ist Dienst.“ Brenke zuckte mit den Schultern, und die Schauspielerin streichelte ihm zärtlich über die Wange, bevor sie ihren Weg nach unten fortsetzte.

Die Männer nahmen im hintersten Raum der Bar Platz. Das Unternehmen Firmness Consulting and Business hatte den Raum ab 21 Uhr reserviert. Eine Gruppe von Männern, die behaupteten, zum ältesten Stammtisch der Welt zu gehören, nämlich dem Flurverein Detmold, räumte den Politikern nach dieser wichtigen Auskunft bereitwillig das Feld.

„Mensch, Brenke, die Bönisch“, posaunte der Staatssekretär heraus. „Woher kennen Sie die denn? Jetzt behaupten Sie bloß nicht, dass dieses rattenscharfe Weib ursprünglich aus dem Hinterland von Höxter stammt.“

Die Männer von FCB lachten, und Brenke überhörte den Kommentar geflissentlich.

Kurze Zeit später stand eine Flasche Mineralwasser auf dem Tisch und vor jedem Mann ein Glas mit Hochprozentigem. Brenke hatte keine Bestellung aufgeben müssen. In diesem Lokal wusste man, was er trank.

„Dass Sie der faulste Abgeordnete des Bundestages sind, wusste ich ja schon lange“, frotzelte der dicke Miekatz. „Jetzt weiß ich aber auch, warum. Während andere Volksvertreter an ihrer Karriere basteln, treiben Sie sich in den interessantesten Bars und Kneipen Berlins herum. Mich wundert es, dass Ihr Kreisverband Ihnen nicht schon längst den Stuhl vor die Tür gesetzt hat. Und noch mehr wundert es mich, dass Sie mit ihrer Faulheit bei unserem Fraktionsvorsitzenden und der Kanzlerin durchkommen. Wie machen Sie das nur, Brenke?“

„Ich bin sogar so faul, Miekatz, dass ich Ihnen nicht einmal auf diese Frage eine Antwort geben werde“, entgegnete Brenke, ohne auch nur eine Gefühlsregung ob der despektierlichen Worte des Staatssekretärs erkennen zu lassen.

„Na, lassen wir das, Brenke“, schlug Miekatz in versöhnlichem Ton vor. „In nächster Zeit werden Sie einiges zu tun bekommen. Die Angelegenheit ist noch nicht spruchreif, aber ich gehe davon aus, dass zwischen FCB und dem Verteidigungsministerium demnächst ein kleines, aber feines Geschäft über die Bühne gehen wird.“

Brenke sah den Staatssekretär erst verwundert an. Doch dann signalisierte er dem Dicken seine absolute Aufmerksamkeit.

„Sie wissen ja, Brenke, dass es mit unserer Truppe nicht zum Besten gestellt ist. Auch wenn der Baron damals, als er noch Verteidigungsminister war, die ersten Schritte zur Reform der Bundeswehr eingeleitet hat, so war die Abschaffung des Grundwehrdienstes doch nur der erste Schritt.“

Brenke überlegte, was der Staatssekretär im Schilde führen könnte.

„Wir müssen weiter modernisieren“, plauderte Miekatz scheinbar unbeschwert vor sich hin. „Das Zauberwort heißt Privatisierung. Ohne die werden wir bei der Bundeswehr nicht weiterkommen. Und genau bei Ihnen, in Ostwestfalen, fangen wir an. So ist es jedenfalls geplant. Sie wissen ja, dass die Engländer aus der Senne abziehen. Da gibt es natürlich Begehrlichkeiten. Nicht nur die Grünen wollen den Nationalpark. Selbst in unserer Partei gibt es eine Menge Mitglieder, die sich mit diesem Blödsinn ebenfalls anfreunden könnten.“

Brenke überlegte, ob er MM eröffnen sollte, dass auch er einer Nationalparkidee in der Senne nicht abgeneigt war. Doch er hielt sich lieber bedeckt. Ihn interessierten nämlich Miekatz’ Pläne und vor allem, was die Firmness Consulting and Business mit der ganzen Sache zu tun hatte.

„Der Kommandeur der Rommel-Kaserne Augustdorf und auch andere Militärs wollen den Truppenübungsplatz natürlich behalten. Doch dieses zusätzliche Projekt würde unseren sowieso schmalen Etat erheblich belasten. Die Ministerin und ich haben allerdings schon eine gute Lösung gefunden.“

Brenke zog die Augenbrauen hoch, und Miekatz feixte.

„Das Stichwort lautet Ein-Euro-Geschäft. Die Firmness Consulting and Business legt die Münze auf den Tisch, und die Senne gehört FCB. Das Unternehmen verpflichtet sich dazu, den Truppenübungsplatz Senne zum modernsten Europas zu machen. Die Bundeswehr darf dieses hypermoderne Areal anschließend zehn Jahre lang kostenfrei nutzen. Alle anderen NATO-Partner müssen von Anfang an blechen.“ Sofort fielen Brenke mindestens zehn Argumente ein, die gegen den Privatisierungsplan sprachen. Der Abgeordnete hielt sich jedoch zurück. Er war nicht hier, um zu argumentieren, sondern er saß mit diesen Männern zusammen, um herauszufinden, was sie vorhatten.

„Für mich ist das eine der größten Win-win-Situationen der letzten Jahre“, meldete sich nun auch Roland Horn zu Wort. „Als Militärberater der Ministerin dränge ich nun schon seit Jahren auf die Modernisierung einiger Truppenübungsplätze. Und im Fall des Truppenübungsplatzes Senne würde diese Maßnahme auch der ostwestfälischen Wirtschaft zugutekommen. Der Abzug der britischen Armee würde sicherlich durch diese Maßnahme ein Stück weit kompensiert.“

Brenke schwieg.

„Was ist denn, mein Lieber“, gab sich Miekatz jovial. „Haben Sie jetzt schon die Hosen voll? Angst vor der Arbeit, die auf Sie zukommen wird? Mein lieber Brenke! Sicher, da wird einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Da müssen Sie garantiert auch bei dem einen oder anderen Landrat ein dickes Brett bohren, aber Sie werden ja nicht alleine gelassen. Wenn wir es clever anfangen und ein breites Bündnis der konservativen Kräfte zusammenschieben, dann wird dieses Projekt ein Meilenstein für ein innovatives Ostwestfalen mit Zukunft.“

Brenke brauchte einen Schnaps und dann noch einen. Er konnte sie nicht mehr hören – diese Parolen und Schlagwörter, die so hohl waren wie eine Trommel. Von wegen innovatives Ostwestfalen, wegweisendes Projekt – hier wurde etwas eingestielt, das nur deshalb etwas mit Ostwestfalen zu tun hatte, weil die Senne ganz zufällig hier lag und nirgends sonst. Vor allem ging es wahrscheinlich um Geld, um sehr viel Geld, von dem kein Mensch seiner Heimatregion je etwas sehen würde.

Und es ging um noch etwas, etwas viel Gravierenderes. Doch darüber wollte Brenke heute nicht weiter nachdenken. Im Moment hatte er genug von allem. Außerdem machte sich langsam, aber sicher der Alkohol bemerkbar. Der sorgte für eine angenehme Gleichgültigkeit, und die wiederum ließ es zu, dass er die Gespräche des Abends an sich vorbeiziehenlassen konnte, als handelte es sich dabei um schlechte Musik.

Dem Desinteresse folgte die Müdigkeit, und so bestellte sich Brenke noch einen Schlürschluck, bedankte sich bei den Männern von Firmness Consulting and Business, die zu verstehen gaben, dass sie die Zeche zahlen würden. Und so blieb für ihn nichts weiter zu tun, als sich mit einer schon schwer gewordenen Zunge zu verabschieden.

Vor sich hin dösend wankte der angetrunkenen Brenke Richtung U-Bahnstation. Doch schon nach wenigen Metern wurde er von einem kleinen Mann mit fettigen langen Haaren angesprochen.

„Ganz schöne Schleimer, diese Kerle von Firmness Consulting and Business, finden Sie nicht auch, Brenke?“

Der Bundestagsabgeordnete hob verdutzt seinen Kopf und blickte in ein Gesicht, das ihn an das Frettchen erinnerte, welches er seinem Sohn vor mehr als zwanzig Jahren einmal geschenkt hatte.

Der Mann grinste ihn an. Dabei wurde eine Reihe ungepflegter gelber Zähne sichtbar. Brenke fand den Kerl, der ihm gegenüberstand, unsympathisch. Aber die Tatsache, dass das Frettchen seinen Namen kannte und wusste, mit wem er in den letzten Stunden zusammengesessen und geredet hatte, zwang ihn zur Aufmerksamkeit.

„Woher wissen Sie, wie ich heiße?“

„Bestimmt nicht aus dem Fernsehen“, zischelte der unsympathische Fremde. „Denn anders als Ihre Berufskollegen unternehmen Sie ja alles, um nicht in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Na, lassen wir das.“ Der Frettchenmann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich muss mit Ihnen reden.“

Brenke unterbrach sein Gegenüber.

„Hören Sie, ich weiß nicht, woher Sie meinen Namen kennen. Aber zu einem anderen Zeitpunkt würde ich mir durchaus die Mühe machen, das herauszufinden. Und ich würde mir auch die Zeit nehmen, mir Ihr Anliegen anzuhören. Aber nicht jetzt. Ich hatte einen langen Tag, und mittlerweile habe ich auch noch ein paar Schnäpse getrunken. Ich bin müde und kaputt.“

Brenke kramte in seiner Jackentasche, zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie dem Mann. Der bleckte wieder seine Zahnruinen und sagte: „Brauche ich nicht. Ich finde Sie!“ Im nächsten Moment hielt er Brenke etwas Kleines, Silbernes unter die Nase. „Sehen Sie sich die Informationen an, die auf diesem Stick gespeichert sind. Wenn Sie die gelesen haben, lässt es sich besser reden.“

Brenke nahm den kleinen Speicher in Empfang und starrte ihn ratlos an. Als er aufblickte, war das Frettchen bereits verschwunden. Verwundert schüttelte Brenke den Kopf. Was war das denn für ein Typ?, dachte er, während er den Stick in seine Jackentasche steckte.

Wenig später sprach ihn schon wieder jemand an, diesmal eine Frau. Als er sich umdrehte, sah er keine zwei Meter entfernt Margaritha Bönisch stehen.

„Na, ist das Arbeitsessen beendet?“, fragte sie. Lächelnd kam sie auf ihn zu und hakte sich bei ihm ein. Brenke war etwas verwundert über die Vertrautheit, die die Schauspielerin seit einiger Zeit ihm gegenüber an den Tag legte, denn so oft war er der schönen Frau bislang nicht begegnet. Doch es gefiel ihm, dass Margaritha Bönisch ihn anscheinend mochte.

2

Zwei Männer tasteten sich an der Wand des spärlich beleuchteten langen Flures entlang. Der eine von ihnen, ein dicker, feister Kerl, murmelte etwas vor sich hin. Wahrscheinlich, um sich etwas abzulenken. „Alcatraz“, brummelte er. „Genau der richtige Name für dieses Ambiente. Das sieht hier wirklich aus wie im Knast.“

„Sei ruhig!“, zischte ihm sein Kumpan zu. Die Männer umrundeten einen Pfeiler und erreichten eine scheinbar endlos lange Treppe, die in der Dunkelheit verschwand. Der Dicke hielt etwas Metallenes, Kaltes in der Hand. Er schwitzte. Aufgeregt sah er sich um, als wollte er sichergehen, dass er nicht beobachtet wurde. Sein Blick blieb an einer hell erleuchteten Fensterfront des Kanzleramtes hängen. Arbeitete die Chefin etwa noch? Das konnte doch nicht sein, es war halb drei morgens. Schlief die Frau denn nie? Und sah sie jetzt womöglich gerade aus dem Fenster und nahm die schemenhaften Bewegungen hier im Jakob-Kaiser-Haus wahr?

Dem Dicken war bei der ganzen Aktion ganz und gar nicht wohl zumute. Er war ein Schreibtischtäter. Mit Papieren jeglicher Art kannte er sich aus, Action hingegen war ihm zuwider. Doch sein Partner hatte ihn gezwungen, mitzukommen. Der Dicke hatte nach Ausflüchten gesucht und gemeint, man müsse doch nicht alles selbst machen, und schon gar nicht die Drecksarbeit, die könne doch jemand anderes erledigen, schließlich habe er sehr gute Beziehungen zur hauseigenen Securityabteilung. Doch ihm wurde deutlich gemacht, dass diese Kontakte nicht gefragt waren.

„Warum setzt du es nicht gleich in die Zeitung?“, konterte sein Begleiter höhnisch. „Begreif doch, keine Zeugen! Je weniger Leute von unseren Aktionen wissen, umso sicherer sind wir aufgestellt. Kaum auszudenken, wenn uns so ein Schwachkopf vom Sicherheitsdienst das Zimmer aufschließt und anschließend rumerzählt, dass wir uns nachts die Büros der Abgeordneten ansehen.“

Dieses Argument konnte der Dicke nachvollziehen, auch wenn es ihm nicht gefiel. Ebenso wenig gefiel ihm die Tatsache, dass er das erste Mal in seinem Leben ein solches Brecheisen in der Hand hielt und es auch noch benutzen sollte. Auf diese Art von Aufregung konnte er sehr gut verzichten.

„Wenn du glaubst, ich könnte mit so einem Ding umgehen, dann hast du dich aber gewaltig geschnitten“, maulte er vor sich hin.

Der andere Mann legte den Finger auf den Mund. „Hör auf zu jammern und lass uns später reden“, zischte er. „Wer weiß, wer sich nachts hier sonst noch so rumtreibt. Ich habe mal von einem Bundestagsabgeordneten gehört, der in seinem Büro schläft, weil er zu geizig ist, sich eine Wohnung zu mieten. Und überhaupt, wir müssen ja nicht mehr Aufmerksamkeit erregen als nötig.“

Die Männer gingen eine Treppe hinauf, erreichten das nächste Stockwerk und schlichen erneut einen langen Flur entlang. Plötzlich blieb der Dicke stehen. So abrupt, dass sein Partner beinahe gegen ihn geprallt wäre. Verdammte Dunkelheit.

„Hier irgendwo muss das Büro sein“, zischte der Dicke dem anderen zu. Der leuchtete mit dem Licht seiner Taschenlampen-App die nächsten Türschilder ab. Beim vierten wurde er fündig und deutete mit der Hand darauf. Hilflos, fast verzweifelt, musterte der Dicke das eiserne Werkzeug in seiner Hand. Schon im nächsten Moment wurde ihm das Brecheisen mit einer harschen Bewegung entrissen. Der Dicke reagierte mit einem erleichterten Seufzen. Einige Sekunden später war ein kurzes Krachen zu hören, dann sprang die Tür auf.

„Wenn du bei der Bundeswehr gewesen wärst, hättest du es jetzt auch drauf, eine Tür aufzubrechen, du Sesselpupser“, meinte der zweite Mann ironisch und drückte dem Dicken das Werkzeug wieder in die Hand. „Sieh zu, dass du das Teil für immer verschwinden lässt.“

Im nächsten Moment hatte er die oberste Lade des Schubladenschranks aufgerissen und leuchtete mit seinem Handy hinein. Sie war leer, wie fast alle anderen. Im Schummerlicht, das von draußen hereinfiel, stieß der Dicke auf ein Schlüsselbund und ein paar Notizen, die in einem Schreibtischfach lagen. Die Schlüssel reichte er an seinen Kollegen weiter. Während der Dicke die spärlichen Unterlagen sichtete, drückte der zweite Mann jeden Schlüssel von links und rechts in eine Plastilinmasse. Bevor er diese Prozedur auch mit einem etwas größeren, außergewöhnlich geformten Modell durchführte, zeigte er es dem Dicken.

„Sieh dir den Kameraden mal an, der gehört zu einem Tresor. Weißt du, wo wir den finden können?“

Wenige Minuten später – die beiden Männer hatten alles, was ihnen interessant erschien, kontrolliert, aber nichts Bedeutsames gefunden – zischte der Dicke: „Ich glaube, wir haben nichts übersehen. Das war ja noch weniger, als ich erwartet hatte. Früher dachte ich immer, dieser Sozi namens Mierscheid ist der faulste Abgeordnete des Bundestages. Doch da bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher. Mittlerweile glaube ich, dass der Abgeordnete, der am wenigsten arbeitet, in unserer Fraktion sitzt. Und dass das Büro von Mierscheid häufiger frequentiert wird als dieses hier. Wahrscheinlich sind wir die ersten Menschen, die einen Fuß über die Schwelle dieses Büros gesetzt haben. Komm, lass uns hier verschwinden.“

„Langsam, langsam“, zischte der zweite Mann. „Einige kleine Wanzen können hier gar nicht schaden. Gib mir zwei Minuten, um ein paar gute Verstecke für die Dinger zu finden.“ Mit großer Gelassenheit machte er sich daran, das Büro zu inspizieren.

Der Dicke war mittlerweile durchgeschwitzt, und seine Herzfrequenz nahm von Minute zu Minute zu. Er hatte Angst und wollte nur noch von hier weg. Für ihn war es bis vor zwei Stunden unvorstellbar gewesen, wie man einen Einbruch begehen und dabei so kaltschnäuzig und gelassen bleiben konnte wie sein Partner. Für diesen schien eine solche Tat jedoch so normal zu sein wie der Einkauf in einem Supermarkt. Darum maulte der Dicke unzufrieden: „Wanzen in dieses Büro, was ist das denn für ein Schwachsinn? Das ist Verballern von Steuergeldern. Bis diese Dinger mal zum Einsatz kommen, haben sich die Batterien längst von selbst entladen.“

3

Das Wochenende hatte es in sich gehabt. Stadtfest in Brakel, Schützenfest in Erkeln. Nächste Woche standen die Schützenfeste in Borgentreich, Fürstenau, Hohenwepel und Ossendorf auf der Agenda. Diese Veranstaltungen hatte Brenke im Kopf. Mit Sicherheit gab es noch weitere Termine, an denen seine Anwesenheit gewünscht war. Das war keine Freizeit, das war der pure Stress. Aber er musste sich als Abgeordneter der „Schwatten“ bei einem Großteil dieser Feierlichkeiten blicken lassen. Vielleicht würde er in der einen oder anderen Gemeinde ein etwas größeres Fass Bier springen lassen, um sich so von der Anwesenheitspflicht freizukaufen. Aber grundsätzlich war an den Wochenenden Präsenz im Wahlkreis gefragt. Vor der Bundestagswahl wurde abgerechnet, auch in seiner Partei. Wenn seine Gegner ihm nachweisen konnten, dass er seinen Wahlkreis gänzlich vernachlässigte, dann wäre das nicht ganz ungefährlich für ihn. Je länger er Bundestagsabgeordneter in Berlin war, umso mehr Provinzfürsten versuchten, während seiner unvermeidlichen Abwesenheit an seinem Stuhl zu sägen. Brenke hing zwar nicht an seinem Bundestagsmandat, aber mittlerweile an seinem Leben in Berlin. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr vorstellen, zurück auf seinen Bauernhof zu gehen, um hier wieder den Landwirt zu spielen.

Sein Bauernhof war es im Übrigen sowieso nicht. Das Anwesen gehörte seiner Frau. Und seitdem er auf diesem Hof lebte, hatten ihn seine Schwiegereltern klar und deutlich spüren lassen, dass er nur ein Habenichts, ein armer Schlucker war. Und später, als die Liebe ihm und seiner Frau abhandengekommen war, da verhielt sich auch seine Frau entsprechend. Er hatte einen Ausweg aus diesem Elend gebraucht. Für ihn war das der Bundestag und der damit verbundene Umzug nach Bonn und später nach Berlin gewesen. Diese Variante stellte für ihn eine Möglichkeit dar, der familiären und dörflichen Enge zu entgehen. Außerdem hatte sein Sohn mittlerweile den Laden übernommen. Er war stolz auf den Jungen. Denn der war Bauer mit Leib und Seele und machte es zehnmal besser, als er selbst es je gekonnt hätte.

Auf diesem Hof war allerdings kein Platz für zwei Herren. Mit seinem Sohn hätte er sicher einen Modus Vivendi gefunden. Doch mit seiner Frau und den mittlerweile greisen Schwiegereltern wäre dies unmöglich. Eine Legislaturperiode musste er also noch durchhalten, dann konnte er seinen Abgeordnetenjob an den Nagel hängen. Und bis dahin hätte er für sich auch Lebensmodelle entworfen, die keinesfalls im Landkreis Höxter angesiedelt waren, und schon gar nicht auf dem ungeliebten Bauernhof.

Gedankenverloren war Brenke durch die Flure des Gebäudes gelaufen, in dem die Büros der Bundestagsabgeordneten untergebracht waren. Nun stand er vor seinem Arbeitszimmer und versuchte die Tür zu öffnen. Verdammt, warum passte dieser Schlüssel nicht? Irgendetwas hakte da doch. Oder hatte jemand etwas ins Schloss gesteckt, wodurch der Schließmechanismus nicht mehr in Ordnung war? Brenke drückte die Klinke herunter und lehnte sich gegen die Tür. Mit einem leisen Knarren öffnete sie sich.

Brenke staunte nicht schlecht. Das Schloss war aufgebrochen worden, und um den Einbruch nicht sofort auffliegen zu lassen, hatte man die Tür anschließend mit doppelseitigem Klebeband in den Rahmen gepappt.

Einen Augenblick war Brenke geneigt, sein Büro zu betreten. Doch dann erinnerte er sich an die zahllosen Krimis, die er im Fernsehen gesehen hatte. Da bekam man immer mächtig Ärger, wenn man unachtsam einen Tatort betrat, weil man dabei ja alle Spuren verwischte und den Tatort auch sonst kontaminierte. Also drückte Brenke die Tür wieder in den Rahmen. Das Klebeband erfüllte seinen Zweck immer noch, so dass die Tür geschlossen blieb. Dann ging er zurück zum Eingang, um den Sicherheitsdienst zu benachrichtigen.

„Wie, Sie wollen einen Einbruch anzeigen?“, fragte der Pförtner irritiert. „Wenn Sie einen Einbruch melden wollen, dann müssen Sie zur Polizei gehen. Hier in der Wilhelmstraße befinden sich nur Abgeordnetenbüros. Hier kann man keine Anzeigen aufgeben.“

„Ich weiß, dass sich in diesem Gebäude die Büros der Bundestagsabgeordneten befinden“, erwiderte Brenke ungehalten. „Schließlich bin ich selbst stolzer Besitzer eines solchen Büros in diesem Gebäude. Und genau in dieses Büro ist eingebrochen worden.“

Der Bedienstete sah Brenke an, als hätte der gerade verkündet, dass er seinen Job verlieren würde, weil der Bundestag zurück nach Bonn verlegt werden würde.

„Sie halten mir wohl für blöde, wa? In unsere Büros bricht niemand ein. Det is unmöglich“. Der Pförtner war so perplex, dass er in seinen Kiezdialekt verfiel. „Hörnse ma. Det Gebäude, det is so sicher, da kommt nich mal ne Maus rein, wenn ik det nich will. Wenn hier einer einbricht, dann muss der an mir vorbei. Und wenn der an mir vorbeikäme, dann würde ik det merken, ob’s ’n Einbrecher is oder nich. Bei mir is aber keener vorbeijekommen. Also is bei Ihnen auch nich eingebrochen worden. Is det klar?“

Brenke raufte sich die Haare. „Hören Sie, guter Mann. Ich will jetzt augenblicklich Ihren Chef sprechen!“

„Der kann Ihnen ooch nich helfen. Aber wennse meinen, bitte, dann sprechense eben mit dem Chef. Mir soll et recht sein.“ Der Pförtner griff zum Telefon.

Der Chef des Wachdienstes konnte es kaum fassen, als er wenig später gemeinsam mit Brenke die aufgebrochene Tür des Büros inspizierte. „Das kann nicht sein“, murmelte er jetzt schon zum vierten Mal vor sich hin. ‚Das kann nicht sein!“ An Brenke gewandt meinte er: „Unautorisiert kommt man genauso schwer in den Bundestag, wie man ein Kamel durchs Nadelöhr geschoben kriegt. Sie kennen doch die Prozeduren, die wir vornehmen, um die allgemeine Sicherheit in allen Gebäuden zu gewährleisten. Und nachts kommt hier keiner rein, der hier nicht hingehört. Es sei denn, da schießt sich jemand den Weg mit einer Panzerfaust frei.“

Brenke war einen Moment sprachlos. Dann formulierte er einen ungeheuerlichen Gedanken.

„Sie meinen also, es müsste jemand Internes gewesen sein? Ein Abgeordneter oder ein Bundestagsbediensteter?“

„Das haben Sie jetzt gesagt, Herr Abgeordneter“, antwortete der Wachdienstchef mit einem konspirativen Unterton. „Aber in größerer Runde würde ich diese Vermutung niemals äußern. Ich finde meinen Job nämlich gar nicht so schlecht.“

Brenke musste raus, er musste nachdenken. Und er trat einfach aus dem Büro auf die Straße und ließ sich treiben. Irgendwann bummelte er den Schiffbauerdamm entlang und bog dann in die Friedrichstraße ab. Zugegeben, es gab schönere Orte in Berlin. Doch das war ihm im Moment egal. Brenke musste nachdenken. Wer von seinen Abgeordnetenkollegen brach in sein Büro ein? Das war doch der größte Schwachsinn. Er nutzte sein Büro fast nicht und bewahrte dort auch nichts von Bedeutung auf. Es fehlte auch nichts. Das war alles sehr seltsam.

Plötzlich wurde Brenke in seinem Gedankenfluss gestört. Er war mit seiner Schulter gegen etwas Weiches gestoßen, das verdammt gut roch. Verwirrt drehte er den Kopf in die Richtung, in der sich das Hindernis befand, und blickte in zwei leuchtend grüne Augen. Sie gehörten zu Margaritha Bönisch. Als sie Brenke erkannte, lachte sie. „Rudolf, mein Lieber, du wandelst ja völlig entrückt durch Berlins Straßen. Bist du verliebt?“

Brenke fühlte ein leichtes Ziehen im Bauch. Schon bei ihrer letzten Begegnung vor zwei Tagen im Café Einstein und auch während des gemeinsamen Heimwegs hatte er dieses Gefühl bemerkt. Gemeinsamer Heimweg war natürlich nicht ganz richtig. Nachdem er ihr vor dem Restaurant begegnet war und sie ein Stück gemeinsam gegangen waren, hatte sich Brenke angeboten, sie bis vor ihre Haustür zu begleiten. Die Wohnung lag in Kreuzberg. Durch diese nette Extratour war es für Brenke eine lange Nacht geworden. Und jetzt stand er wieder vor dieser atemberaubenden Frau und stammelte unzusammenhängende Worte vor sich hin. Frauen brachten Rudolf Brenke in der Regel nie aus dem Konzept, und grundsätzlich war er einer kleinen Affäre nicht abgeneigt. Doch bei Margaritha Bönisch war es etwas anderes. Sie sorgte bei ihm auf eine angenehme Art und Weise für Verwirrung.

Margaritha Bönisch lächelte wieder. Dieser Anblick sorgte bei Brenke nicht unbedingt für mehr Souveränität.

„Ich bin auf dem Weg zum Mittagessen“, plauderte die schöne Frau ungezwungen drauflos. „Hast du Lust, mich zu begleiten?“

Brenke brachte kaum einen Ton heraus. „Ja, doch, gerne“, sagte er schließlich und nickte eifrig.

„Hier gleich um die Ecke, in der Oranienburger Straße gibt es ein nettes Lokal, wo man toll singapurisch essen kann, das Mirchi. Ich liebe asiatisches Essen. Ist das für dich okay?“

Brenke nickte weiter wie ein Wackeldackel, obwohl die asiatische Küche bei ihm nicht an vorderster Stelle rangierte und er noch nie etwas Singapurisches gegessen hatte. Doch mit dieser Frau würde er überall und alles essen, dachte er. Und so gingen sie gemeinsam die Oranienburger Straße entlang.

Margaritha Bönisch plauderte munter drauflos. „Bei mir in Kreuzberg gibt es auch eine Filiale vom Mirchi, witzigerweise in der Oranienstraße. Könnte man ja glatt verwechseln, die beiden Standorte …“

Im Restaurant fanden sie einen netten Platz und studierten eifrig die Speisekarte.

„Was hältst du davon, wenn wir zunächst eine Tagessuppe nehmen?“, schlug Margaritha Bönisch vor. Brenke tat das, was er schon seit geraumer Zeit tat. Er nickte.

„Und dann nehme ich Barisal. Das sind gemischte Linsen, langsam über Nacht im Tandoori-Lehmofen geschmort mit Zwiebeln, Tomaten und Koriander. Und was nimmt du, Rudolf?“

„Lachs Palai“, sagte Brenke und las aus der Karte vor: „Zartes norwegisches Lachsfilet in einer feurig-roten Marsala-Currysauce, zubereitet nach einem traditionellen Rezept von der Mutter der beiden Eigentümer. Das hört sich doch gut an, oder?“

„Feurig-rote Marsala-Currysauce“, wiederholte Margarete Bönisch versonnen.

„So ein bisschen Schärfe habe ich ganz gerne“, erklärte Brenke, doch als er bemerkte, dass Margaritha Bönisch diesen Satz auch missverstehen könnte, wurde er ein bisschen verlegen.

Die Tagessuppe war hervorragend. Brenkes Lachs Palai sah hervorragend aus. Wenn es nur halb so gut schmeckte, wie es aussah, dann würde er künftig öfter singapurisch essen gehen, beschloss er. Vorsichtig probierte er etwas Lachs. Der war noch besser, als Brenke es in seinen kühnsten Vorstellungen gehofft hatte.

„Hervorragend“, bestätigte er und nahm jetzt ein großes Stück von dem Fisch, tauchte es in die Soße und schob den Happen in den Mund. Genüsslich zerdrückte er den zarten Lachs zwischen Zunge und Gaumen. Im nächsten Moment wich alle Farbe aus seinem Gesicht. Schweißperlen traten auf seine Stirn, und dann bekam er Schnappatmung. Er musste sich zwingen, den Bissen hinunterzuwürgen. Anschließend griff er sich sein Wasserglas, stürzte den Inhalt hinunter, füllte es erneut und trank es wieder in einem Zug leer, doch es half nichts. Die Schleimhäute in seinem Mund brannten, als versuchte jemand sie mit einem glühenden Eisen zu bearbeiten. Brenke war im Begriff, ohnmächtig zu werden. In diesem Moment fasste eine kühle zarte Hand nach ihm. Sein Kopf wurde an Margaritha Bönischs Brust gedrückt. Sie legte ihm eine feuchte Serviette auf die Stirn. Doch dieses angenehme Gefühl bewirkte ebensowenig wie die zuvor getrunkenen Gläser Wasser. „Boah, ist das scharf“, röchelte Brenke.