Quo Vadis

 

Henryk Sienkiewicz

 

 

 

 

 

Inhalt:

 

Henryk Sienkiewicz – Biografie und Bibliografie

 

Quo Vadis

 

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vierunddreißigstes Kapitel.

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Sechsunddreißigstes Kapitel.

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Achtunddreißigstes Kapitel.

Neununddreißigstes Kapitel.

Vierzigstes Kapitel.

Einundvierzigstes Kapitel.

Zweiundvierzigstes Kapitel.

Dreiundvierzigstes Kapitel.

Vierundvierzigstes Kapitel.

Fünfundvierzigstes Kapitel.

Sechsundvierzigstes Kapitel.

Siebenundvierzigstes Kapitel.

Achtundvierzigstes Kapitel.

Neunundvierzigstes Kapitel.

Fünfzigstes Kapitel.

Einundfünfzigstes Kapitel.

Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Vierundfünfzigstes Kapitel.

Fünfundfünfzigstes Kapitel.

Sechsundfünfzigstes Kapitel.

Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Achtundfünfzigstes Kapitel.

Neunundfünfzigstes Kapitel.

Sechzigstes Kapitel.

Einundsechzigstes Kapitel.

Zweiundsechzigstes Kapitel.

Dreiundsechzigstes Kapitel.

Vierundsechzigstes Kapitel.

Fünfundsechzigstes Kapitel.

Sechsundsechzigstes Kapitel.

Siebenundsechzigstes Kapitel.

Achtundsechzigstes Kapitel.

Neunundsechzigstes Kapitel.

Siebzigstes Kapitel.

Einundsiebzigstes Kapitel.

Zweiundsiebzigstes Kapitel.

Dreiundsiebzigstes Kapitel.

Vierundsiebzigstes Kapitel.

 

 

 

Quo Vadis, Henryk Sienkiewicz

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

 

ISBN: 9783849618629

 

www.jazzybee-verlag.de

admin@jazzybee-verlag.de

 

 



 

 

 

Henryk Sienkiewicz – Biografie und Bibliografie

 

Der bedeutendste poln. Romanschriftsteller der Gegenwart, geb. 1846 in Wola Okrzejska (Kreis Lukow, Gouv. Sedlez), verstorben am 15. November 1916 in Vevey (Schweiz). Studierte in Warschau Philosophie, trat schon 1872 mit seiner ersten humoristischen Novelle: »Niemand ist Prophet in seinem Vaterland«, hervor, reiste 1876 nach Amerika und wurde dann durch seine unter dem Pseudonym Litwos in der Warschauer »Gazeta Polska« veröffentlichten, ungemein interessanten amerikanischen Reisebriefe in den weitesten Kreisen bekannt. Er veröffentlichte sodann eine Reihe von Novellen, die ein ungewöhnliches Talent in realistischer Auffassung und Darstellung bekundeten und allgemeines Aufsehen erregten. Am bemerkenswertesten darunter sind: »Stary sługa« (»Der alte Diener«), »Hania« (»Hanna «), »Szkice węglem« (»Kohlenskizzen«), »Janko muzykant« (»Janko der Musikant«), »Przez stepy« (»Durch die Steppen«), »Orso«, »Z pamiętnika poznańskiego nauczyciela« (»Aus dem Tagebuch eines Posener Lehrers«), »Czyja wina« (»Wer ist schuld«), »Za chlebem« (»Ums liebe Brot«), »Latarnik« (»Der Laternenmann«), »Jamioł«, »Niewola tatarska« (»Die Tatarenknechtschaft«), »Na jednę kartę« (»Auf eine Karte«), »Bartek zwycięzca« (»Bartel der Sieger«). Alsdann errang er einen ganz außerordentlichen Erfolg auf dem Gebiete des historischen Romans mit der großen Romantrilogie »Ogniem i mieczem« (»Mit Feuer und Schwert«, Warsch. 1884, 4 Bde.), »Potop« (»Die Sintflut«, Berl. 1886, 6 Bde.) und »Pau Wołodyjowski« (das. 1887–88, 3 Bde.). Alle drei Romane spielen im 17. Jahrh. auf dem blutigen Hintergrunde der Kriege mit den Kosaken, Schweden und Türken und übertreffen an Kraft, Erfindungsgabe und glänzendem Stil alles, was bisher auf diesem Gebiet in der polnischen Literatur geleistet wurde. Nach Herausgabe einer Reihe von Novellen (»Ta trzecia«, »Sachem«, »Sielanka« etc. 1889) veröffentlichte er dann 1890 das zweibändige Werk »Bez dogmatu« (»Ohne Dogma«), den bedeutendsten psychologischen Roman, den die polnische Literatur aufzuweisen hat. Seine letzten Publikationen sind die Romane »Rodzina Połanieckich« (1894), das weltberühmt gewordene »Quo vadis« (1895, aus der Zeit Neros), das in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde, und »Krzyżacy« (»Die Kreuzritter«, 1901). S. hatte dann seinen Wohnsitz abwechselnd in Warschau und Krakau und hat in den letzten Jahren weite Reisen nach England, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, dem Orient etc. unternommen. Eine Reise nach Afrika schildern seine »Briefe aus Afrika«. Eine Zeitlang war er Redakteur des Warschauer »Slowo«. Jetzt lebt er meist auf dem Gute Olęgoret (Gouv. Kjelzy), das ihm 1900 zu seinem 25jährigen Schriftstellerjubiläum von den Polen als Nationalgeschenk verehrt wurde. 1905 wurde ihm der Nobel-Preis für Literatur zuerkannt. Eine Sammlung seiner Werke erscheint seit 1880 in Warschau. S.' Schriften sind fast sämtlich mehrfach übersetzt worden, seine Romane deutsch Leipzig 1901–02 in 10 Bänden, eine andre deutsche Ausgabe seiner »Gesammelten Werke« erscheint seit 1906 in Graz. Seine Biographie schrieben P. Chmielowski (poln., Lemberg 1901) und J. Nowiński (poln., Warsch. 1901).

 

 

Quo Vadis

 

 

Erstes Kapitel.

 

 

Petronius erwachte erst gegen Mittag und zwar wie gewöhnlich noch sehr ermüdet. Am Tage zuvor war er bei Nero zu einem Gastmahle eingeladen gewesen, das sich bis spät in die Nacht hineingezogen hatte. Seit einiger Zeit fing seine Gesundheit an zu leiden. Er selbst klagte darüber, daß er am Morgen stets wie an allen Gliedern zerschlagen aufwache und nicht imstande sei, seine Gedanken zu sammeln. Aber das Morgenbad und die damit verbundene sorgfältige Massage durch seine darin geschulten Sklaven brachten dann allmählich sein träges Blut wieder in Bewegung, erfrischten, belebten ihn und erfüllten ihn mit neuer Kraft, so daß er aus dem Salbzimmer, der letzten Abteilung des Bades, wie neuerstanden heraustrat, mit Augen, die von Geist und Heiterkeit strahlten, verjüngt, voller Leben, in rosiger Laune und in so vornehmer, tadelloser Haltung, daß sich selbst Otho nicht mit ihm vergleichen konnte: kurz, wirklich als »arbiter elegantiarum,« als oberster Richter in Sachen des feinen Geschmacks, wie man ihn nannte.

 

In den öffentlichen Bädern verkehrte er selten und nur dann, wenn ein berühmter Rhetor, von dem man in der ganzen Stadt sprach, auftrat oder wenn aus Anlaß einer Ephebenfeier besonders aufregende Ringkämpfe zu erwarten waren. Er besaß in seiner Villa, »Insula,« eigene Bäder, welche ihm Celer, der berühmte Fachgenosse des Severus, erweitert, umgebaut und mit so erlesenem Geschmacke eingerichtet hatte, daß selbst Nero ihnen den Vorzug vor den kaiserlichen Bädern einräumte, obgleich diese letzteren ausgedehnter und mit ungleich größerem Prunk ausgestattet waren.

 

Nach jenem Gastmahl also, bei dem er, gelangweilt von Vatinius' Schwätzereien, mit Nero, Lucanus und Seneca über die Frage, ob das Weib eine Seele habe, disputiert hatte, war er spät aufgestanden und hatte wie gewöhnlich ein Bad genommen. Zwei riesige Badediener legten ihn auf einen Tisch aus Zypressenholz, der mit schneeigem ägyptischen Byssos bedeckt war, tauchten ihre Handflächen in wohlriechendes Öl und begannen seinen wohlgestalteten Körper zu salben. Petronius wartete mit geschlossenen Augen, bis die Wärme des Schwitzbades und die Wärme ihrer Hände seine Glieder durchdrang und seine Mattigkeit beseitigte.

 

Nach einiger Zeit unterbrach er jedoch das Schweigen, schlug die Augen auf und begann nach dem Wetter sowie nach den Gemmen zu fragen, die der Goldschmied Idomeneus ihm heute zur Ansicht zu schicken versprochen hatte. Die Sklaven teilten ihm mit, das Wetter sei herrlich, ein leichter Wind wehe von den Albanerbergen her, und die Gemmen seien noch nicht eingetroffen. Petronius schloß von neuem die Augen und befahl soeben, ihn in den eigentlichen Baderaum, das Tepidarium, zu tragen, als hinter dem Vorhange der Nomenclator sichtbar wurde und meldete, daß der junge Marcus Vinicius, der vor kurzem aus Kleinasien zurückgekehrt war, ihn zu besuchen gekommen sei.

 

Petronius gab Befehl, den Gast ins Tepidarium zu geleiten, und begab sich auch selbst dorthin. Vinicius war der Sohn seiner älteren Schwester, welche sich vor langen Jahren mit Marcus Vinicius, einem Konsular aus der Zeit des Kaisers Tiberius, vermählt hatte. Der Jüngling diente bis dahin unter Corbulo gegen die Parther und war nach Beendigung des Krieges nach Rom zurückgekehrt. Petronius empfand eine gewisse Zuneigung für ihn, die nahe an Freundschaft grenzte, denn Marcus war ein schöner, kräftig gebauter Jüngling, der es zugleich verstand, in seinen Ausschweifungen ein gewisses ästhetisches Maß zu halten, was Petronius über alles schätzte.

 

»Sei gegrüßt, Petronius,« sagte der Jüngling, als er mit elastischem Schritte das Tepidarium betrat; »mögen alle Götter dir Glück schenken, namentlich Asklepios und Kypris, denn unter ihrem schützenden Beistande kann dir nichts Übles zustoßen.«

 

»Willkommen in Rom! Mögest du dich der Ruhe nach dem Kriege erfreuen,« antwortete Petronius, indem er seine Hände aus den Falten des weichen Musselingewebes, das ihn umhüllte, hervorstreckte. »Was gibt es Neues in Armenien, und bist du während deines Aufenthaltes in Asien nicht auch nach Bithynien gekommen?«

 

Petronius hatte früher Bithynien verwaltet, und was mehr bedeuten wollte, sein Amt mit Strenge und Gerechtigkeit geführt. Dies stand in merkwürdigem Gegensatz zu dem Charakter des Mannes, der wegen seiner Weichlichkeit und seines Hanges zur Üppigkeit allgemein bekannt war; daher liebte er es, sich jener Zeiten zu erinnern, weil sie ein Beweis dafür waren, was aus ihm hätte werden können, wenn er gewollt hätte.

 

»Ich war zufällig in Herakleia,« entgegnete Vinicius. »Corbulo hatte mich dorthin geschickt mit dem Befehl, Verstärkungen zusammenzuziehen.«

 

»Ach ja, Herakleia! Ich kannte dort ein Mädchen aus Kolchis, für das ich alle hiesigen geschiedenen Frauen, Poppaea selbst nicht ausgeschlossen, hingegeben hätte. Aber das sind vergangene Geschichten. Erzähle mir lieber, was es Neues an der parthischen Grenze gibt. Wahrlich, diese Vologesus, Tiridates, Tigranes und all diese Barbaren sind mir zuwider, welche, wie mir der junge Arulanus erzählt, bei sich zu Hause noch auf allen vieren kriechen und sich nur in unserer Gegenwart als Menschen gebärden. Aber man spricht jetzt viel von ihnen in Rom, wenn auch nur deshalb, weil es gefährlich ist, von etwas anderem zu sprechen.«

 

»Der Krieg geht schlecht vorwärts, und wenn Corbulo nicht wäre, so könnte er möglicherweise zu einer Niederlage führen.«

 

»Corbulo! Beim Bakchos, er ist der wahre Kriegsgott, der leibhaftige Mars, ein großer Feldherr und dabei aufbrausend, ehrlich und töricht. Ich liebe ihn, wenn auch nur deshalb, weil Nero ihn fürchtet.«

 

»Corbulo ist durchaus nicht töricht.«

 

»Vielleicht hast du recht; aber es ist alles eins. Die Torheit ist, wie Pyrrhon sagt, um nichts schlechter als die Weisheit und unterscheidet sich in nichts von ihr.«

 

Vinicius begann nun vom Kriege zu erzählen; als aber Petronius die Lider von neuem schloß, änderte der Jüngling, der seine müden und etwas eingefallenen Züge bemerkte, den Gegenstand der Unterhaltung und begann ihn mit einiger Besorgnis nach seiner Gesundheit zu fragen.

 

Petronius schlug wieder die Augen auf.

 

Gesund! ... Nein, er fühle sich nicht wohl. Soweit sei es allerdings noch nicht mit ihm gekommen wie mit dem jungen Sissena, der so stumpfsinnig geworden sei, daß er, wenn man ihn früh ins Bad bringe, frage: »Sitze ich schon?« Aber er sei nicht gesund. Vinicius habe ihn ja dem Schutze des Asklepios und der Kypris empfohlen. Man wisse aber nicht einmal, wessen Sohn dieser Asklepios sei, ob der Arsinoe oder der Koronis, und wenn die Mutter zweifelhaft sei, was solle man dann erst vom Vater sprechen! Wer könne heutzutage überhaupt dafür bürgen, daß er der Sohn seines Vaters sei!

 

Hier begann Petronius zu lachen und fuhr dann fort: »Ich schickte wirklich vor zwei Jahren drei Dutzend lebende Hähne und einen goldenen Becher nach Epidauros, aber weißt du auch, warum? Ich sagte mir nämlich: mag es helfen oder nicht, auf keinen Fall schadet es mir. Obgleich die Menschen auf der Erde den Göttern noch immer Opfer darbringen, so glaube ich doch, daß sie alle derselben Meinung sind wie ich. Alle! mit Ausnahme vielleicht der Eseltreiber, die sich den Reisenden an der Porta Capena vermieten. Außer bei Asklepios hatte ich ganz dieselbe Erfahrung bei den Söhnen des Asklepios zu machen, als ich voriges Jahr etwas an der Blase litt. Sie wachten eine Nacht im Tempel für mich. Ich sah, daß es Betrüger waren, aber gleichmütig sagte ich mir: was schadet dies mir? Die Welt will betrogen werden, und das Leben selbst ist eine Täuschung. Ebenso ist die Seele eine Täuschung. Man muß jedoch soviel Verstand besitzen, daß man die angenehmen von den unangenehmen Täuschungen unterscheiden kann. In meinem Badeofen will ich mit Ambra bestreutes Zedernholz verbrennen lassen, denn in meinem ganzen Leben zog ich Wohlgeruch üblen Düften vor. Was aber Kypris betrifft, der du mich ebenfalls empfahlst, so erfuhr ich ihren Beistand in dem Maße, daß ich die Gicht im rechten Fuße habe. Im übrigen ist sie eine gute Göttin! Ich nehme an, daß auch du jetzt früher oder später weiße Tauben zu ihrem Altare hinbringen wirst.«

 

»Du hast recht,« entgegnete Vinicius. »Die Pfeile der Parther haben mich nicht ereilt, aber Amors Pfeil hat mich getroffen ... ganz unerwartet, einige Stadien vor den Toren der Stadt.«

 

»Bei den weißen Knieen der Charitinnen! erzähle mir dies in einer Mußestunde!« rief Petronius.

 

»Ich kam eben, um deinen Rat zu erbitten,« antwortete Marcus.

 

In diesem Augenblicke erschienen aber die Badewärter, die sich mit Petronius beschäftigten. Auch Marcus legte seine Tunika ab und stieg in die mit lauem Wasser gefüllte Wanne, da Petronius ihn zu einem Bade einlud.

 

»Ah! ich habe nicht einmal gefragt, ob du Gegenliebe gefunden hast,« sagte Petronius, indem er auf Vinicius' jugendlichen, wie aus Marmor gemeißelten Körper blickte. »Hätte dich Lysippos gesehen, so würdest du jetzt als Standbild des Herakles in seiner Jugendblüte das Tor, das zum Palatinus führt, zieren.«

 

Der Jüngling lächelte geschmeichelt und begann in der Wanne unterzutauchen, wobei ziemlich viel warmes Wasser auf den Mosaikfußboden überfloß, auf welchem Here in dem Augenblicke dargestellt war, wo sie den Schlummergott bittet, Zeus einzuschläfern. Petronius betrachtete ihn mit künstlerischer Befriedigung.

 

Als Marcus das Bad beendet und sich den Dienern überlassen hatte, erschien der Lektor, einen runden Behälter aus Bronze vor sich hertragend, in dem sich Schriftrollen befanden.

 

»Willst du zuhören?« fragte Petronius.

 

»Wenn es ein Werk von dir ist, gern!« entgegnete Vinicius, »ist dies aber nicht der Fall, so möchte ich mich lieber mit dir unterhalten. Die Dichter überfallen jetzt die Leute an allen Straßenecken.«

 

»Du hast recht. Man kann in keine Gerichtshalle, kein Bad, keine Bibliothek, keinen Buchladen treten, ohne daß man einen Poeten erblickt, der hier seine Affenpossen treibt. Als Agrippa aus dem Osten zurückkehrte, glaubte er, die Leute seien verrückt. Aber die heutige Zeit ist auch dazu angetan. Der Caesar schreibt Verse, und deshalb folgen ihm alle auf diesem Wege. Es ist nur verboten, bessere Verse als er zu machen, und aus diesem Grunde fürchte ich ein wenig für Lucanus .... Ich schreibe aber Prosa und lasse sie weder mir selbst noch anderen vorlesen. Was der Lektor lesen wird, sind die Codicilli des armen Fabricius Vejento.«

 

»Warum arm?«

 

»Weil ihm mitgeteilt wurde, er solle sich nach Odyssa begeben und nicht eher nach Hause zurückkehren, bis er erneuten Befehl erhalte. An dieser Odyssee wird er allerdings leichter zu tragen haben, als Odysseus an der seinigen, denn seine Frau ist keine Penelope. Ich brauche dir übrigens nicht erst zu sagen, daß man damit unklug gehandelt hat. Aber man treibt hier alles auf die Spitze. Dies ist ein ziemlich schlechtes, langweiliges Buch, das erst begierig gelegen wird, seitdem der Verfasser verbannt worden ist. Jetzt hört man überall rufen: Scandala! Scandala! und es kann sein, daß Vejento manches erfunden hat, aber ich, der ich die Stadt, unsere Familienväter und unsere Frauen kenne, versichere dich, daß alles noch hinter der Wirklichkeit zurückbleibt. Jetzt sucht jedermann in dem Buche sich selbst mit Besorgnis, Bekannte mit Schadenfreude. In der Buchhandlung des Avirnus schreiben hundert Kopisten das Werk nach Diktat, und sein Erfolg ist sicher.«

 

»Ist nicht auch von deinen Angelegenheiten darin die Rede?«

 

»Jawohl; aber der Verfasser befindet sich im Irrtum, denn ich bin zugleich schlimmer und weniger fad, als er mich hinstellt. Sieh, wir haben hier schon längst das Gefühl dafür eingebüßt, was ehrenhaft und was unehrenhaft ist, und mir selbst will es scheinen, als ob in Wahrheit gar kein Unterschied zwischen beiden bestände, obgleich Seneca, Musonius und Thrasea vorgeben, ihn zu kennen. Mir ist alles eins! Beim Herakles, ich spreche so, wie ich denke! Aber den Stolz habe ich mir stets bewahrt, daß ich weiß, was häßlich und was schön ist, und davon versteht zum Beispiel unser rotbärtiger Dichter, Wagenlenker, Sänger, Tänzer und Schauspieler nichts.«

 

»Fabricius dauert mich trotzdem! Er war ein guter Gesellschafter.«

 

»Seine Eigenliebe hat ihn ins Verderben gestürzt. Jedermann beargwöhnte ihn, ohne etwas sicheres zu wissen; aber er selbst konnte sich nicht beherrschen und plauderte überall Geheimnisse aus. Hast du die Geschichte von Rufinus gehört?«

 

»Nein.«

 

»Wir wollen ins Frigidarium gehen; dort können wir uns abkühlen, und ich erzähle dir dabei die Geschichte.«

 

Sie begaben sich ins Frigidarium, in dessen Mitte ein Springbrunnen sprudelte, der in hellrosa Farbe schimmerte und veilchenduftendes Wasser von sich gab. Dort setzten sie sich in mit Seide ausgeschlagene Nischen und begannen sich abzukühlen. Eine Weile herrschte Schweigen. Vinicius betrachtete einige Zeit sinnend einen Faun aus Bronze, der, sich über den Arm einer Nymphe beugend, mit seinen Lippen lüstern die ihrigen suchte, und sagte dann: »Der hat recht! Das ist das beste im Leben.«

 

»Mehr oder weniger! Außerdem liebst du aber auch den Krieg, den ich nicht leiden kann, weil unter den Zelten die Nägel rissig werden und ihre rosige Farbe verlieren. Im übrigen hat jeder seinen eigenen Geschmack. Der Rotbart liebt Gesang, namentlich seinen eigenen, und der alte Scaurus seine korinthische Vase, die in der Nacht sogar vor seinem Bette steht und die er küßt, wenn er nicht schlafen kann. Er hat schon ihre Ränder weggeküßt. Sag' einmal, machst du keine Verse?«

 

»Nein; ich habe noch nie einen ganzen Hexameter zustande gebracht.«

 

»Du spielst nicht auf der Laute und singst auch nicht?«

 

»Nein.«

 

»Du bist auch kein Wagenlenker?«

 

»Ich versuchte es seinerzeit in Antiochia, aber ohne Erfolg.«

 

»Dann bin ich deinetwegen außer Sorge. Und zu welcher Partei gehörst du in der Rennbahn?«

 

»Zu den Grünen.«

 

»Dann bin ich völlig außer Sorge, zumal du wirklich großen Reichtum besitzt, wenn auch nicht so großen, wie Pallas oder Seneca. Denn sieh, für uns ist es gegenwärtig gut, Verse zu schreiben, zur Laute zu singen, zu deklamieren und an den Wettfahrten im Zirkus teilzunehmen, aber noch besser und namentlich gefahrloser ist es, keine Verse zu machen, nicht zu spielen, nicht zu singen und nicht im Zirkus aufzutreten. Am besten ist es aber, wenn man es versteht, das zu bewundern, was der Rotbart bewundert. Du bist ein hübscher Bursche; daher könnte dir vielleicht die Gefahr drohen, daß sich Poppaea in dich verliebt. Aber sie hat darin zuviel Erfahrung. Sie hat ihr Liebesverlangen zur Genüge bei ihren ersten beiden Männern gestillt; bei dem dritten sind ihre Wünsche auf etwas anderes gerichtet. Weißt du, daß dieser alberne Otho sie bis zum Wahnsinne liebt? Er irrt auf den Felsen Spaniens umher und seufzt, auch hat er seine früheren Gewohnheiten in dem Grade abgelegt und hat so sehr aufgehört, sich mit seiner Person zu beschäftigen, daß ihm zur Pflege seines Haares jetzt drei Stunden täglich genügen. Wer hätte das erwartet, namentlich von Otho!«

 

»Ich verstehe ihn,« erwiderte Vinicius. »Aber an seiner Stelle hätte ich etwas anderes getan.«

 

»Was denn?«

 

»Ich hätte mir treuergebene Legionen unter den dortigen Gebirgsbewohnern angeworben. Es sind tüchtige Soldaten, diese Iberer!«

 

»Vinicius, Vinicius! Fast hätte ich Lust, dir zu sagen, daß du dazu nicht imstande wärest. Und weißt du, warum? So etwas tut man zwar, aber man spricht unter keiner Bedingung davon. Was mich betrifft, so hätte ich an seiner Stelle die Poppaea ausgelacht, ebenso den Rotbart und hätte mir Legionen gebildet nicht aus iberischen Männern, sondern aus iberischen Frauen. Zu guterletzt hätte ich Epigramme geschrieben, die ich übrigens niemand vorgelesen hätte, wie es dieser arme Rufinus getan hat.«

 

»Du wolltest mir seine Geschichte erzählen.«

 

»Ich werde sie dir im Unctorium erzählen.«

 

Aber im Salbzimmer wurde Vinicius' Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt, nämlich auf wunderschöne Sklavinnen, die auf die Badenden gewartet hatten. Zwei von ihnen, Negerinnen, die herrlichen Statuen aus Ebenholz glichen, begannen sie mit kostbaren arabischen Parfumerien zu salben, andere, geschickte phrygische Haarkünstlerinnen, hielten in ihren Händen, die weich und geschmeidig waren wie Schlangen, Kämme und Spiegel aus poliertem Stahl; zwei andere, griechische Mädchen aus Kos, Göttinnen an Schönheit ähnlich, warteten als Vestiplicae auf den Augenblick, wo sie säulengerade Falten in die Togen der beiden Männer legen konnten.

 

»Beim Wolkenversammler Zeus!« rief Marcus Vinicius, »was für auserlesene Geschöpfe du hier hast!«

 

»Ich ziehe auserlesenes einer großen Anzahl vor,« entgegnete Petronius. »Meine gesamte Dienerschaft in Rom beträgt nicht über vierhundert Köpfe und ich glaube, daß nur Emporkömmlinge eine größere Menge Menschen zu ihrer persönlichen Bedienung brauchen.«

 

»Schönere Sklavinnen besitzt nicht einmal der Rotbart,« sagte Vinicius, dessen Nasenflügel sich blähten.

 

»Du bist mein Neffe, und ich bin weder ungefällig wie Bassus, noch ein Pedant wie Aulus Plautius,« entgegnete Petronius mit einer Art gleichmütiger Zuvorkommenheit.

 

Beim Klange dieses letzteren Namens vergaß Vinicius auf einen Augenblick die koischen Mädchen, und lebhaft den Kopf erhebend, fragte er: »Wie kommt dir Aulus Plautius in den Sinn? Weißt du, daß ich etliche Tage in seinem Hause zubrachte, als ich mir vor der Stadt die Hand verstaucht hatte? Es traf sich, daß Plautius in dem Augenblicke, wo sich der Unfall ereignete, hinzukam, und als er sah, wie sehr ich litt, mich in sein Haus aufnahm, wo mich auch sein Sklave, der Arzt Meryon, wiederherstellte. Hierüber eben wollte ich mit dir sprechen.«

 

»Worüber? Hast du dich bei dem Unfalle etwa in Pomponia verliebt? In diesem Falle dauerst du mich. Sie ist nicht mehr jung und dabei sehr tugendhaft. Ein schlechteres Verhältnis als dieses kann ich mir gar nicht vorstellen. Brrr!«

 

»Nicht in Pomponia, ach!« antwortete Vinicius.

 

»In wen denn sonst?«

 

»Wenn ich es nur selbst wüßte, in wen. Aber ich weiß nicht einmal genau, wie sie heißt: Lygia oder Callina. Im Hause nennt man sie Lygia, weil sie aus dem Volke der Lygier herstammt; aber sie hat noch ihren eigenen barbarischen Namen: Callina. Es ist ein seltsames Haus, das Haus dieser Familie Plautius; trotz der großen Zahl der Bewohner herrscht eine Stille darin wie in den Hainen von Subiacum. Längere Zeit hindurch wußte ich nicht, daß eine Gottheit darin wohnte. Da sah ich einst bei Tagesanbruch, wie sie sich in dem Springbrunnen im Garten badete. Und bei dem Schaume, aus dem Aphrodite geboren wurde, schwöre ich dir, daß die Strahlen der Morgenröte ihren Leib wie Pfeile durchdrangen. Ich glaubte, daß sie beim Aufgang der Sonne im Lichte zerfließen würde, wie die Morgendämmerung zerfließt. Seitdem sah ich sie zweimal, und seitdem weiß ich auch nicht mehr, was Ruhe ist, kenne ich kein anderes Verlangen, will nichts mehr von dem wissen, was mir die Stadt bieten könnte; ich will keine Weiber, kein Gold, kein korinthisches Erz, keinen Bernstein, keine Perlen, keinen Wein, kein Gelage, ich verlange nur nach Lygia. Ich sage dir im vollen Ernste, Petronius, daß ich mich nach ihr sehne, wie jener Hypnos auf dem Mosaikfußboden deines Tepidariums sich nach Paisitheia sehnte, daß ich mich die ganzen Tage und Nächte nach ihr sehne.«

 

»Wenn sie eine Sklavin ist, so kaufe sie doch.«

 

»Sie ist keine Sklavin.«

 

»Was ist sie denn? Eine Freigelassene des Plautius?«

 

»Da sie nie Sklavin war, kann sie auch nicht eine Freigelassene sein.«

 

»Wer ist sie also?«

 

»Ich weiß es nicht; die Tochter eines Königs oder etwas ähnliches.«

 

»Du machst mich neugierig, Vinicius.«

 

»Wenn du mich anhören willst, will ich sofort deine Wißbegierde befriedigen. Ihre Geschichte ist nicht allzulang. Vielleicht hast du Vannius, den König der Sueven, persönlich gekannt, der, aus seinem Lande vertrieben, lange Zeit hier in Rom lebte und sogar wegen seines Glücks im Würfelspiel und seines Geschicks im Wagenlenken berühmt war. Cäsar Drusus setzte ihn wieder auf den Thron. Vannius, der wirklich ein tüchtiger Mann war, regierte anfangs gut und führte glückliche Kriege; später aber begann er nicht nur die Nachbarvölker, sondern auch seine Sueven selbst allzusehr zu bedrücken. Daher beschlossen seine beiden Neffen Vangio und Sido im Verein mit den Söhnen des Hermundurenkönigs Vibilius, ihn zu zwingen, wieder nach Rom zu gehen, um sein Glück im Würfelspiel zu versuchen.«

 

»Ich weiß, es war zu Claudius' Zeiten, es ist noch nicht allzulange her.«

 

»Jawohl! Der Krieg brach aus. Vannius rief Jazygen zu Hilfe, seine teuren Neffen aber die Lygier, die von Vannius' Schätzen gehört hatten und von der Hoffnung auf Beute angelockt in so zahlreichen Massen ins Land kamen, daß selbst Cäsar Claudius wegen des Friedens an der Grenze in Besorgnis geriet. Claudius wünschte nicht, sich in die Barbarenkriege zu mischen, schrieb jedoch an Atelius Hister, der die Donaulegion befehligte, er möge den Verlauf des Krieges aufmerksam verfolgen und keine Friedensstörung gegen uns dulden. Hister verlangte nun von den Lygiern das Versprechen, die Grenze nicht zu überschreiten; diese verpflichteten sich nicht nur hierzu, sondern stellten auch Geiseln, unter denen sich die Gemahlin und die Tochter ihres Fürsten befanden. Du weißt ja, daß die Barbaren mit Weib und Kind in den Krieg ziehen. Und meine Lygia ist die Tochter jenes Königs.«

 

»Woher weißt du dieses alles?«

 

»Aulus Plautius selbst hat es mir erzählt. Die Lygier überschritten daraufhin wirklich nicht die Grenze. Aber Barbaren kommen und gehen wieder wie eine Windsbraut. So verschwanden auch die Lygier samt ihren Auerochsenhörnern, die sie auf dem Kopfe tragen. Sie erschlugen die Sueven des Vannius sowie die Jazygen; aber auch ihr König fiel, worauf sie mit der Beute abzogen. Die Geiseln blieben in Histers Händen. Kurze Zeit danach starb die Mutter, und da Hister nicht wußte, was er mit dem Kinde anfangen sollte, sandte er es zu Pomponius, dem Statthalter von ganz Germanien. Dieser kehrte nach Beendigung des Krieges mit den Katten nach Rom zurück, wo ihm Claudius, wie du weißt, gestattete, einen Triumphzug zu halten. Das Mädchen ging dabei hinter dem Wagen des Siegers einher. Da aber die Geiseln nicht als Kriegsgefangene betrachtet werden können, so wußte Pomponius seinerseits nicht, was er mit dem Kinde beginnen sollte, und übergab er es nach der Beendigung der Feier seiner Schwester Pomponia Graecina, der Gattin des Plautius. In diesem Hause, wo alles, von der Herrschaft angefangen bis herab zum Geflügel im Hühnerhof tugendhaft ist, wuchs Lygia zur Jungfrau heran, ist aber leider ebenso tugendhaft wie Graecina selbst, dabei jedoch so schön, daß selbst Poppaea im Vergleich zu ihr wie eine Herbstfeige neben dem Apfel der Hesperiden erscheint.«

 

»Und was weiter?«

 

»Ich wiederhole dir, daß ich sie seit dem Augen blicke, wo ich sah, wie die Sonnenstrahlen am Springbrunnen ihren Körper durchleuchteten, liebe, ohne an etwas anderes denken zu können.«

 

»Sie ist also durchsichtig wie eine Lamprete oder eine junge Sardine?«

 

»Spotte nicht, Petronius. Und wenn du die Offenherzigkeit, mit der ich zu dir über meine Liebe spreche, mißverstehst, so bedenke, daß ein schimmerndes Kleid oft tiefe Wunden bedeckt. Auch das muß ich dir erzählen, daß ich bei meiner Rückkehr aus Asien eine Nacht im Heiligtum des Mopsos schlief, in der Absicht, einen prophetischen Traum zu haben. Und wirklich erschien mir Mopsos selbst im Traum und erklärte mir, daß die Liebe eine große Veränderung in meinem Leben bewirken werde.«

 

»Ich hörte Plinius sagen, er glaube nicht an die Götter, wohl aber an Träume, und möglicherweise hat er recht. Meine Spöttereien hindern mich nicht daran, bisweilen zu denken, daß es in Wahrheit nur eine einzige ewige, allmächtige, schöpferische Gottheit gibt: Venus Genitrix. Sie verknüpft Seelen miteinander, sie verknüpft Lebendes und Lebloses. Eros rief die Welt aus dem Chaos ins Dasein. Ob er gut daran tat, ist allerdings eine andere Frage; aber da es so ist, so müssen wir seine Macht anerkennen, obgleich es uns freisteht, sie nicht zu segnen ...«

 

»Ach, Petronius, es ist leichter, auf der Welt Philosophie als einen guten Rat zu hören.«

 

»So sage mir, was du eigentlich wünschst.«

 

»Ich wünsche Lygia zu besitzen. Ich wünsche, daß ich mit diesen meinen Armen, welche jetzt in die leere Luft greifen, Lygia umfasse und an meine Brust drücke; ich wünsche ihren Atem einzusaugen. Wäre sie eine Sklavin, so würde ich Aulus für sie hundert Mädchen geben mit in Kalk getauchten Füßen, zum Zeichen, daß sie zum erstenmal zum Verkauf kommen. Ich will sie solange in meinem Hause haben, bis mein Haupt so weiß ist, wie der Soracte im Winter.«

 

»Sie ist keine Sklavin, gehört aber schließlich doch zur Familie des Plautius; und da sie ein verlassenes Kind ist, so kann sie als Alumna betrachtet werden. Plautius könnte sie dir abtreten, wenn er wollte.«

 

»Du sprichst so, weil du Pomponia Graecina nicht kennst. Im übrigen lieben beide Gatten sie so zärtlich, wie wenn sie ihre eigene Tochter wäre.«

 

»Ich kenne Pomponia – die wahre Trauerweide. Wäre sie nicht des Aulus Gattin, so könnte man sie als Klageweib vermieten. Seit Julius' Tode hat sie die schwarze Stola noch nicht abgelegt und sieht überhaupt so abgemagert aus, als wandle sie lebend bereits auf der Asphodeloswiese. Außerdem ist sie eine Univira und daher unter unseren vier- bis fünfmal geschiedenen Frauen ein leibhaftiger Phönix ... Aber ... hast du gehört, daß in Oberägypten jetzt wirklich ein Phönix ausgebrütet worden ist, was nicht häufiger vorkommt als einmal in fünfhundert Jahren?«

 

»Petronius, Petronius! vom Phönix sprechen wir ein andermal!«

 

»Worüber soll ich denn mit dir sprechen, lieber Marcus? Ich kenne Aulus Plautius, der zwar meinen Lebenswandel tadelt, aber mir doch eine Art Wohlwollen entgegenbringt und mich vielleicht höher schätzt als andere; denn er weiß, daß ich niemals ein Angeber gewesen bin, wie zum Beispiel Domitius Afer, Tigellinus und die ganze Schar der Freunde des Rotbartes. Obgleich ich mich nicht für einen Stoiker ausgebe, entrüstete ich mich doch nichtsdestoweniger über manche Taten Neros, bei denen weder Seneca noch Burrus etwas Arges fanden. Wenn du glaubst, daß ich etwas für dich bei Plautius tun kann, so stehe ich dir gern zu Diensten.«

 

»Ich glaube, du kannst es. Du hast Einfluß auf ihn, und außerdem besitzt dein Geist unerschöpfliche Hilfsmittel. Wenn du dich der Sache annehmen und mit Plautius sprechen wolltest ...«

 

»Du hast eine allzuhohe Meinung von meinem Einflusse und meiner Klugheit, aber wenn es weiter nichts ist, was du verlangst, so will ich mit Plautius sprechen, sobald er in die Stadt zurückkehrt.«

 

»Sie sind schon seit zwei Tagen zurück.«

 

»Dann laß uns ins Triclinium gehen, wo ein Mahl für uns bereit steht, und dann, wenn wir uns gestärkt haben, wollen wir uns zu Plautius tragen lassen.«

 

»Du bist stets gütig gegen mich gewesen,« antwortete Marcus Vinicius lebhaft; »nun aber lasse ich deine Bildsäule – sieh, eine so schöne wie diese hier – unter meine Laren versetzen und bringe ihr Opfer dar.«

 

Bei diesen Worten wandte er sich den Statuen zu, welche die ganze eine Wand des mit Wohlgerüchen erfüllten Zimmers schmückten, und deutete mit der Hand auf die Bildsäule des Petronius, die ihn als Hermes mit dem Stabe in der Hand darstellte, und fuhr dann fort: »Beim Strahlenglanze des Helios! wenn der göttliche Held Alexandros dir glich, so wundere ich mich nicht mehr über Helena.«

 

In dieser Versicherung lag ebensoviel Aufrichtigkeit wie Schmeichelei, denn Petronius war, obgleich älter und weniger kräftig gebaut, schöner als selbst Vinicius. Die römischen Frauen bewunderten nicht nur seinen überlegenen Geist und seinen vollendeten Geschmack, der ihm den Beinamen arbiter elegantiarum eingebracht hatte, sondern auch seine äußere Schönheit. Diese Bewunderung war sogar in den Gesichtern jener koischen Mädchen zu lesen, welche jetzt die Falten seiner Toga ordneten, und eine von ihnen, Eunike mit Namen, die ihn heimlich liebte, blickte ihm mit einem Gemisch von Demut und Entzücken in die Augen. Er aber achtete weiter nicht darauf, sondern wandte sich nur lächelnd an Vinicius, indem er das beißende Wort Senecas über die Weiber zitierte: »Animal impudens ...« usw.

 

Dann legte er seine Hand in den Arm seines Gastes und geleitete ihn in das Triclinium.

 

Im Unctorium begannen die beiden griechischen Mädchen, die Phrygierinnen und die Negerinnen, die Gefäße mit den wohlriechenden Salben wegzuräumen. In diesem Augenblicke erschienen aber hinter dem zurückgeschlagenen Vorhang des Frigidariums die Köpfe der Badewärter und stießen ein leises Pst! aus; auf diesen Ruf sprangen eine der Griechinnen, die Phrygierinnen und die beiden Negerinnen rasch auf und verschwanden augenblicklich hinter dem Vorhange. In den Baderäumen begann nun eine Zeit der Ausgelassenheit und des Übermutes, denen der Aufseher nicht steuerte, weil er selbst häufig an diesen Orgien teilnahm. Übrigens vermutete Petronius dies, aber als kluger Mann, der nicht gern strafte, fand er nichts arges dabei.

 

Eunike blieb allein im Unctorium zurück. Eine Zeitlang lauschte sie auf das aus der Richtung des Laconicums herübertönende Stimmengewirr und Gelächter, dann nahm sie den mit Bernstein und Elfenbein ausgelegten Stuhl, auf welchem Petronius vor kurzer Zeit gesessen hatte, und stellte ihn vorsichtig vor dessen Bildsäule.

 

Das Unctorium war von farbigem Sonnenlichte durchflutet, das sich auf den glitzernden Marmorplatten brach, mit denen die Wände bedeckt waren.

 

Eunike stieg auf den Stuhl und als sie sich in gleicher Höhe mit der Statue befand, legte sie ihr plötzlich die Arme um den Hals. Dann warf sie ihre goldenen Haare zurück, preßte ihren rosigen Leib an den weißen Marmor und drückte ihren Mund voller Inbrunst auf Petronius' kalte Lippen.

 

 

Zweites Kapitel.

 

Nach dem Mahle, das sich Frühstück nannte und zu dem die beiden Freunde sich zu einer Zeit niedersetzen, wo gewöhnliche Sterbliche ihr mittägliches Prandium schon längst eingenommen hatten, schlug Petronius vor, etwas zu ruhen, da es nach seiner Meinung zu früh war, um schicklicherweise Besuche machen zu können. Es gebe allerdings Leute, welche ihre Bekannten schon bei Sonnenaufgang zu besuchen pflegen, weil sie glauben, das gehöre zur alten römischen Sitte. Er aber, Petronius, halte dies für barbarisch. Die Nachmittagsstunden seien dazu am geeignetsten, wenn die Sonne auf ihrer Bahn bis über den Tempel des kapitolinischen Jupiter gelangt sei und in schräger Richtung auf das Forum niederschaue. Im Herbste sei es noch heiß, und die Menschen schlafen gern nach dem Essen. Dann sei es angenehm, dem Plätschern des Springbrunnens im Atrium zuzuhören und, nachdem man die vorgeschriebenen tausend Schritte gegangen sei, in dem roten Lichte einzuschlummern, das durch den halbzusammengezogenen purpurnen Bettvorhang dringe.

 

Vinicius erkannte das Zutreffende seiner Worte an, und sie begannen auf und nieder zu gehen, plauderten gemächlich über die Vorgänge auf dem Palatin und in der Stadt und fingen allmählich an, über das menschliche Leben zu philosophieren. Dann begab sich Petronius ins Cubiculum, schlief aber nicht lange. Nach Verlauf einer halben Stunde trat er wieder heraus, ließ sich Verbenenöl bringen und begann daran zu riechen und sich Hände und Schläfen damit zu reiben.

 

»Du glaubst gar nicht,« sagte er, »wie sehr dies belebt und erquickt. Jetzt bin ich bereit.«

 

Die Sänfte wartete ihrer schon längst; sie setzten sich hinein und ließen sich nach dem Vicus patricius, zu dem Hause des Aulus tragen. Die »Insula« des Petronius lag am Südabhange des Palatins in der Nähe der sogenannten Carinae; ihr kürzester Weg hätte daher unterhalb des Forums hingeführt, da aber Petronius zugleich bei dem Goldschmiede Idomeneus vorsprechen wollte, so gab er den Befehl, sie über den Vicus Apollinis und das Forum nach dem Vicus Sceleratus zu tragen, auf welchem Wege sie bei Läden aller Art vorüberkamen.

 

Riesige Neger hoben die Sänfte empor und setzten sich in Bewegung; ihnen folgten Sklaven, die man Pedisequi nannte. Eine Zeitlang hielt Petronius schweigend seine nach Verbenenöl duftenden Hände an die Nase und schien über etwas nachzudenken. Nach einer Weile sagte er: »Es fuhr mir eben durch den Kopf, daß, da deine Waldgöttin keine Sklavin ist, sie ja das Haus des Plautius verlassen und in das deinige übersiedeln kann. Du würdest sie mit Liebe umgeben und mit Reichtum überschütten, wie ich meine angebetete Chrysothemis, der ich – unter uns gesagt – ebenso im höchsten Grade überdrüssig bin, wie sie meiner.«

 

Marcus schüttelte den Kopf.

 

»Nicht?« fragte Petronius. »Im schlimmsten Falle dürfte die Sache vom Caesar abhängen, und du kannst versichert sein, daß der Rotbart dank meinem Einflusse auf deiner Seite stehen wird.«

 

»Du kennst Lygia nicht!« entgegnete Vinicius.

 

»Dann gestatte mir die Frage, ob du sie anders kennst, als von Gesicht. Hast du mit ihr gesprochen. Hast du ihr deine Liebe gestanden?«

 

Drittes Kapitel.

 

»Ich glaube an den einen allmächtigen und allgerechten Gott,« wiederholte Petronius nach einer Weile, als er sich mit Vinicius zusammen wieder in der Sänfte befand. »Wenn ihr Gott allmächtig ist, so herrscht er über Leben und Tod; und wenn er allgerecht ist, dann sendet er den Tod nach Verdienst. Warum trägt also Pomponia Trauer um Julia? Wenn sie um Julia trauert, so murrt sie damit gegen ihren Gott. Ich muß diese Schlußfolgerung unserem rotbärtigen Affen wiederholen, denn ich behaupte, in der Dialektik dem Sokrates gleich zu kommen. Was die Frauen betrifft, so stimme ich mit ihm überein, daß jede drei bis vier Seelen besitzt, aber keine einzige eine vernünftige Seele hat. Lassen wir Pomponia mit Seneca oder Cornutus darüber disputieren, was diese unter ihrem großen Logos verstehen ... Lassen wir sie einmal die Schatten des Xenophanes, Parmenides, Zenon und Platon heraufbeschwören, die sich dort in den kimmerischen Gefilden langweilen wie ein Zeisig im Käfig. Ich wollte mit ihr und Plautius von etwas anderem sprechen. Bei dem heiligen Leibe der ägyptischen Isis! Wenn ich ihnen gleich offen heraus gesagt hätte, weshalb wir gekommen wären, so fürchte ich, so hätte ihre Tugendhaftigkeit einen Lärm gemacht wie ein eherner Schild, auf den man mit einer Keule schlägt. Und ich hatte nicht den Mut dazu! Glaube mir, Vinicius, ich hatte nicht den Mut! Pfaue sind schöne Vögel, aber sie schreien zu laut. Ich fürchtete das Geschrei. Aber deine Wahl muß ich loben. Die wahre rosenfingrige Eos ... Und weißt du, an wen sie mich erinnerte? An den Frühling! – nicht an den unseren hier in Italien, wo hier und da ein Apfelbaum Blüten treibt, die Olivenhaine grau bleiben wie immer, sondern an den Frühling, den ich einmal in Helvetien sah, jung, frisch, duftig-grün ... Bei der bleichen Selene – ich wundere mich nicht über dich, Marcus. Wisse jedoch, daß du eine Diana liebst und daß Aulus und Pomponia bereit sind, dich in Stücke zu zerreißen, wie die Hunde einst den Aktaion zerrissen.«

 

Vinicius hob den Kopf nicht empor und schwieg eine Zeitlang, dann begann er mit vor Erregung stockender Stimme: »Ich begehrte sie früher und begehre sie jetzt noch mehr. Als ich ihre Hände ergriff, glühte ein Feuer in mir auf. Ich muß sie besitzen. Wenn ich Zeus wäre, so würde ich sie mit einer Wolke umgeben, wie er Jo umgab, oder ich würde als Regen auf sie herabfallen, wie er auf Danae fiel. Ich möchte ihre Lippen küssen, bis sie Schmerz empfände. In meinen Armen möchte ich sie wimmern hören. Ich möchte Aulus und Pomponia erschlagen, dann sie rauben und auf meinen Armen in mein Haus tragen. Ich will heute nicht schlafen. Ich werde einen Sklaven peitschen lassen und seinem Stöhnen zuhören ...«

 

»Beruhige dich!« rief Petronius. »Deine Leidenschaft äußert sich wie bei einem Zimmermann in der Subura.«

 

»Es ist mir alles einerlei. Ich muß sie besitzen. Ich habe dich um Rat gefragt; aber wenn du kein Mittel findest, so werde ich es selbst finden. Aulus betrachtet Lygia als seine Tochter; warum sollte ich auf sie wie auf eine Sklavin blicken? Und wenn es keinen anderen Ausweg gibt, so soll sie die Tür meines Hauses schmücken, sie mit Wolfsfett salben und als Gattin an meinem Herde sitzen.«

 

»Beruhige dich, rasender Abkömmling von Konsuln! Nicht deswegen führen wir Barbaren, an unsere Wagen gebunden, im Triumphe einher, um ihre Töchter heiraten zu können. Hüte dich vor dem Äußersten! Erschöpfe die geraden, anständigen Mittel und laß dir und mir Zeit zum Nachdenken. Auch mir erschien Chrysothemis als die Tochter Jupiters und doch heiratete ich sie nicht – ebenso wie auch Nero Akte nicht geheiratet hat, trotzdem sie für eine Tochter des Königs Attalos galt ... Beruhige dich! Bedenke, daß, wenn Lygia Aulus um deinetwillen zu verlassen wünscht, er kein Recht hat, sie zurück zu halten. Wisse aber auch, daß du nicht nur selbst glühst, sondern daß Eros auch in ihr die Flamme entfacht hat. Ich bemerkte es, und mir kannst du glauben. Habe Geduld. Für alles sind Mittel und Wege zu finden, aber heute habe ich schon zu viel gedacht, und das ermüdet mich. Dagegen verspreche ich dir, mich morgen deiner Liebe erinnern zu wollen, und Petronius müßte nicht Petronius sein, wenn er nicht ein Mittel fände.«

 

Wiederum schwiegen beide – endlich sagte Vinicius nach einer Weile ganz ruhig: »Ich danke dir, und möge Fortuna dir gnädig sein.«

 

»Gedulde dich.«

 

»Wohin läßt du uns tragen?«

 

»Zu Chrysothemis.«

 

»Du bist glücklich, da du diejenige besitzest, die du liebst.«

 

»Ich? Weißt du, was mich noch an Chrysothemis amüsiert? Daß sie mich mit einem meiner eigenen Freigelassenen, dem Lautenspieler Theokles, betrügt, und glaubt, ich wüßte das nicht. Einst liebte ich sie, und jetzt amüsieren mich ihre Lügen und ihre Dummheit. Begleite mich zu ihr. Sollte sie anfangen mit dir zu kokettieren und mit dem Finger Buchstaben auf den Tisch zu schreiben, wisse dann, daß ich nicht eifersüchtig bin.«

 

Sie ließen sich also beide zu Chrysothemis tragen. Im Vorhofe aber legte Petronius die Hände auf Vinicius' Schulter und sagte: »Warte! Ich glaube ein Mittel entdeckt zu haben.«

 

»Mögen dich alle Götter dafür segnen.«

 

»So ist es! Ich glaube, der Plan kann nicht fehlschlagen.«

 

»Ich lausche deinen Worten – meine Athene!«

 

»Wohlan, in einigen Tagen wird die göttliche Lygia in deinem Hause die Frucht der Demeter genießen.«

 

»Du bist größer als der Caesar!« rief Vinicius voller Begeisterung.